Zur Vorsorge-Untersuchung bei Kindern bis zu sechs Jahren

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FACHBEITRAG
Zur Vorsorge-Untersuchung
bei Kindern bis zu sechs Jahren
ihrer entsprechenden Organe bleibt deshalb wenig Zeit. Zudem gibt es für
die Amblyopie als weitaus häufigste
Störung der Sehentwicklung eine Reihe
von Risikofaktoren, welche nicht durch
einen einfachen Sehtest erkannt werden
können. Dazu zählen vor allem Refraktionsfehler und das mit bloßem Auge
schlecht erkennbare kleinwinklige
Schielen. Trotz einer Prävalenz der Amblyopie zwischen 3 und 6 %5, 6 wurden
deshalb vor Einführung der U7a weniger als 1 % der Kinder mit okulären Auffälligkeiten an den Augenarzt überwiesen.7 Erschwerend kommt hinzu, dass
die zumeist einseitige Amblyopie von
Eltern und Kindern meist lange unbemerkt bleibt, weil sie sich schleichend
einstellt und weil die eingeschränkte
Sehleistung vom besseren Auge überdeckt wird. Zudem können sich Kleinkinder diesbezüglich weder mitteilen
noch ihre Sehleistung selbst testen, wie
das etwa Erwachsene gelegentlich durch
wechselseitiges Abdecken der Augen
tun. Auch sind die Sehanforderungen
im Kleinkind- und Vorschulalter oft
nicht so hoch, dass den Eltern die meist
nur moderate Einschränkung der Sehleistung auffällt.
Zusammenfassend können folgende
Gründe für die verhältnismäßig geringe
Effektivität der gesetzlichen Früherkennungsprogramme im Hinblick auf die
Amblyopie angeführt werden:
Screenings bzw. Vorsorge-Untersuchungen dienen der Aufdeckung von Risikofaktoren für bestimmte Augenerkrankungen und Entwicklungsstörungen
oder der Entdeckung derselben in einem Frühstadium. Dabei wird oft zwischen gezielten Untersuchungen für bestimmte Risikofaktoren und einer
Durchuntersuchung zur Überprüfung der allgemeinen (Augen-)Gesundheit
unterschieden. Vorsorge-Untersuchungen sind bei Kindern vor allem deshalb sinnvoll, weil die Sehentwicklung durch das Vorhandensein einer Augenerkrankung nachhaltig behindert werden kann. Allerdings sind organische Erkrankungen im Kinderauge vergleichsweise selten.1 Viel häufiger ist
die Amblyopie, welche vor allem durch nicht rechtzeitig entdeckte Refraktionsfehler und/oder durch einen Strabismus entsteht. Entsprechende Screening-Verfahren haben deshalb nicht nur die Überprüfung der Augengesundheit zum Ziel, sondern auch die die Prüfung auf Vorhandensein einer Fehlsichtigkeit oder eines Strabismus. Der Artikel beschreibt allgemeine Screening-Programme für Kinder im Vorschulalter und geht näher auf das Amblyopie-Screening ein.
Gesetzlich empfohlene Vorsorgeuntersuchungen – das Kinder-Früherkennungsprogramm in Deutschland
Das Kinder-Früherkennungsprogramm
gehört seit 1971 zum Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) in Deutschland. Das Programm
beinhaltet zehn Untersuchungen (U),
wovon allein fünf auf das erste Lebensjahr entfallen. Seit Einführung der U7a
im Jahr 2008 gibt es zwischen dem ersten und dem sechsten Lebensjahr des
Kindes jährlich eine Vorsorgeuntersuchung (U6 bis U9). Das verhältnismäßig
engmaschige Netz soll unter anderem
bewirken, dass mehr Eltern mit ihren
Kindern am Kinder-Früherkennungsprogramm teilnehmen, denn zuvor war
die U8 bzw. U9 nur von 75 bis 90 % der
Kinder wahrgenommen worden.2, 3 Ewa
16 % der Kinder haben nur an einem Teil
und 3 % haben nie an einer Kinderuntersuchung teilgenommen.3
Von den zehn Untersuchungen beinhalten mindestens vier (U5, U7a, U8
und U9) eine Überprüfung des Sehens
bzw. des visuellen Systems. In der U5
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beurteilt der Kinderarzt, ob ein Schielen
erkennbar ist, ob ein Blickkontakt hergestellt werden kann und ob das Kind
gezielt nach Gegenständen greifen
kann. Bei den größeren Kindern (U7a
bis U9) erfolgt eine Messung des Visus,
eine einfache Prüfung auf Strabismus
(z. B. durch Stereotest oder HirschbergTest) und eine Sichtprüfung auf Nystagmus. Diese Maßnahmen dienen der Erkennung und gegebenenfalls Behandlung von hochgradiger Sehbehinderung oder Blindheit, des Schielens und
anderen die Entwicklung gefährdenden
Fehlbildungen oder Erkrankungen der
Augen.4
Allerdings ist die Liste der vom Kinder- oder Allgemeinarzt
bei der jeweiligen »U« zu
untersuchenden Merkmale lang. So müssen beispielsweise Haut, Skelett,
Bauch- und Geschlechtsorgane sowie bestimmte
Verhaltensweisen untersucht werden. Für die Untersuchung der Sinne
(Hören und Sehen) sowie
Prof. Dr. Holger Dietze
Beuth Hochschule Berlin
Kurfürstenstraße 141
10785 Berlin
E-Mail: [email protected]
2
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handlung an den Augenarzt überwiesen wird.
a) Einige für das Aufdecken amblyogener Risikofaktoren wichtige Untersuchungsbestandteile sind in den Untersuchungen des Früherkennungsprogramms nicht vorgesehen bzw.
können von Kinder- und Hausärzten
nicht ausgeführt werden.
b) Eltern, welche alle empfohlenen UUntersuchungen in den vorgegebenen Zeiträumen nutzen, gehen möglicherweise davon aus, dass zusätzliche Untersuchungen durch einen
Facharzt oder andere Spezialisten
nicht mehr nötig sind.
c) Im für das Amblyopie-Screening
wichtigen Lebensalter werden die zur
Früherkennung vorgesehen Untersuchungen nicht von allen Eltern wahrgenommen.
d) Die Kinder oder die Eltern bemerken
ein schlechteres Sehen häufig erst zu
einem Zeitpunkt (z. B. nach der Einschulung), zu welchem die Sehentwicklung weitgehend abgeschlossen
und die Amblyopie nicht mehr oder
kaum noch reversibel ist.
Den Augenärzten sind die unbefriedigenden Ergebnisse bestens bekannt.
Die gemeinsam vom Berufsverband
der Augenärzte (BVA) und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) herausgegebene Leitlinie
für das Amblyopie-Screening sieht deshalb eine augenärztliche Untersuchung
für alle Kinder zwischen 30 und 42 Monaten vor.6 Allerdings werden die Kosten für eine augenärztliche Vorsorgeuntersuchung gegenwärtig nicht von
den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, weil das Institut für Qualität
und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) ein augenärztliches
Screening für Vorschulkinder bisher
ablehnt. Die Augenärzte sind deshalb
auf eine Empfehlung durch den Kinderoder Hausarzt angewiesen und gezwungen, ihre Vorsorge-Untersuchungen als privat zu zahlende individuelle
Gesundheitsleistung (IGeL) in Rechnung zu stellen. Eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen setzt in der Regel erst dann ein,
wenn ein Kind von einem Kinder- oder
Hausarzt als auffällig erkannt worden
ist und zur weiteren Diagnose und Be-
Definition der Amblyopie
Die Amblyopie ist eine entwicklungsbedingte Schwachsichtigkeit, die durch
vollständigen oder unvollständigen Entzug des Sehreizes und/oder eine fehlerhafte binokulare Zusammenarbeit der
Augen während der Entwicklungsphase
des Sehens entsteht. Sie äußert sich
durch einen zumeist einseitig unterhalb
der altersentsprechenden Norm liegenden Visus, was besonders bei der Messung an Reihenoptotypen auffällt. Die
Amblyopie ist umso ausgeprägter und
umso weniger reversibel, je früher und
je vollständiger der Entzug des Sehreizes stattfindet. Unbehandelt bleibt die
Amblyopie ein Leben lang bestehen,
und es wird vermutet, dass der Verfall
der Sehfunktion amblyoper Augen sogar bis in das Erwachsenenalter hinein
fortschreitet.8 Als Risikofaktoren gelten
angeborene, den Sehreiz entziehende
Pathologien (= Stimulus-Deprivation),
wie etwa die angeborene Katarakt oder
eine angeborene, einseitige Ptosis. Viel
häufiger wird die Amblyopie jedoch von
erst im Kleinkindalter bedeutsamen Refraktionsfehlern und/oder einem einseitigen Innenschielen verursacht (Abb.
1). Das Innenschielen (Esotropie) ist die
häufigste Form des in ca. 3 % der Bevölkerung9 auftretenden Schielens. Bei einer Ametropie besteht ein erhöhtes Amblyopie-Risiko besonders dann, wenn es
sich bei Kindern >12 Monate um eine
(hyperope) Anisometropie (ab ca. ± 1,00
dpt Brechkraftdifferenz), einen einoder beidseits höheren Astigmatismus
(ab ca. cyl. ± 1,00 dpt) oder eine beidseits
hohe Hyperopie (ab ca. + 3,00 dpt) han-
Abb. 1: Ursachen der Amblyopie (Datenquelle:
Attebo et al, 1998).
3
delt.6 Entsprechend wird die Amblyopie
als Deprivations-Amblyopie (ein- oder
beidseitig), Schiel-Amblyopie (einseitig) bzw. als Refraktions-Amblyopie
(ein- oder beidseitig) bezeichnet.
Die Bedeutung des AmblyopieScreenings
Das Screening für amblyogene Risikofaktoren ist deshalb von so großer Bedeutung, weil die Amblyopie oft ohne
äußere Auffälligkeiten oder Symptome
einhergeht, unbehandelt jedoch zu einer
lebenslangen Einschränkung der Sehfähigkeit führt. Eine Amblyopie, die zu
etwa 50 % Augen mit einem Strabismus
betrifft (s. Abb. 1), kann die gesundheitliche, soziale und intellektuelle Entwicklung eines Kindes beeinträchtigen
und für die spätere Berufswahl
entscheidend sein. So ist bei einigen
Berufen eine beidseits volle Sehleistung (z. B. feinmechanische Berufe)
und/oder ein intaktes Stereosehen (z. B.
Berufskraftfahrer, Piloten, einige feinmechanische Berufe u. a.) erforderlich.
Das Ziel der Amblyopie-Behandlung ist
es, die Entwicklung einer beidseits guten
Sehleistung zu fördern und damit, wenn
möglich, die Voraussetzungen für ein
normales Binokularsehen zu schaffen.
Selbst in Fällen mit dauerhaft gestörtem
Binokularsehen (z. B. bei angeborenem
Strabismus) ist eine Behandlung der
Amblyopie sinnvoll, damit im Falle einer
späteren Erkrankung oder Verletzung
des besseren Auges ein »Ersatzauge«
zur Verfügung steht.
Eine
Früherkennungs-Untersuchung für eine Erkrankung oder eine
Entwicklungsstörung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Schäden für Gesundheit oder Lebensqualität durch eine frühzeitig einsetzende Behandlung
nachweisbar verringert werden können.
Aktuelle Studien haben bestätigt, dass
eine rechtzeitig durchgeführte Amblyopie-Behandlung, die zumeist in der Okklusion eines Auges besteht, erfolgreich
sein kann.10, 11 Dabei ist bekannt, dass
die Erfolgschancen der Behandlung mit
zunehmendem Lebensalter rapide abnehmen, weshalb die Früherkennung
besonders wichtig ist.
Optometrie 3/2010
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Durchführung des AmblyopieScreenings
Im Rahmen des Amblyopie-Screenings
wird für Babys im ersten Lebensjahr eine Prüfung auf angeborene Abnormalitäten sowie, bei Risikokindern, im
Rahmen der U3 eine Prüfung auf Strabismus und Ametropie und eine Untersuchung der vorderen und hinteren
Augenabschnitte empfohlen. Im Kleinkindalter (30 bis 42 Monate), wo die Aufdeckung einer Fehlsichtigkeit bzw. eines
Schielens im Vordergrund steht, sollte
das Screening neben der Visusmessung
eine beidseitige Strichskiaskopie, eine
Prüfung auf Strabismus sowie eine Inspektion der Augen und der Adnexe enthalten. In Einzelfällen kann die Untersuchung durch weitere Tests, wie z. B.
die Refraktionsbestimmung in Zykloplegie, die Fundusbetrachtung in Mydriasis und die Beurteilung der exzentrischen Fixation ergänzt werden.6
Im Folgenden werden die empfohlenen Tests kurz besprochen:
In der Anamnese erfolgt eine Befragung der Eltern (= Fremdanamnese).
Die Fragen richten sich insbesondere
darauf, ob den Eltern ein (vorübergehendes) Schielen, Sehschwächen, eine
ungenügende Auge-Hand-Koordination
oder andere Störungen des Sehens und
der Augen aufgefallen sind und ob es bereits eine familiäre Vorbelastung für das
Schielen oder die Amblyopie gibt. Die familiäre Vorbelastung gilt als wichtiger
Risikofaktor für das Schielen. Es konnte
nachgewiesen werden, dass das SchielRisiko für Kinder mit einem schielenden Elternteil bis zu 20 % und für Kinder, deren Eltern beide schielen, bis zu
50 % beträgt.12 Auch die Befragung nach
(und das Ausmessen von) eventuell vorhanden Sehhilfen ist Bestandteil der
Anamnese.
Für die Visusmessung werden kindgerechte Sehprobentafeln empfohlen,
die je nach Lebensalter variieren. Bis zu
etwa zwei Jahren kann die Sehschärfe
nur grob über das sog. Preverential-Looking-Verfahren getestet werden, bei welchem nacheinander Gitter mit abnehmender Linienbreite neben einem einheitlich grauen Hintergrund dargeboOptometrie 3/2010
Abb. 2: Kindgerechte Sehprobentafeln. Links oben: Cardiff Acuity Test. Die Konturen der unterschiedlichen
Symbole bestehen aus einer je nach Visusstufe unterschiedlich breiten weißen und zwei begrenzenden schwarzen Linien. Wenn die die weiße Linie nicht mehr aufgelöst werden kann, erscheint die gesamte Fläche der Tafel
grau. Es kann sowohl nach der Bedeutung der Symbole gefragt als auch nach dem Preferential-Looking-Verfahren vorgegangen werden. Links unten: Logarithmisch gestufte Tafel mit LEA-Symbolen. Rechts: Kay Picture
Cards. Hier werden verschiedene Tafeln mit einer immer gleichen Anzahl von Optotypen gezeigt, deren Größe
und Abstand zueinander ja nach Visusstufe variiert. Damit wird der Einfluss des Crowding-Phänomens auf
das Messergebnis weitgehend konstant gehalten.
ten werden. Kann das Kind das Gitter
auflösen, wird es dieses automatisch fixieren, weil es interessantere Sehreize
als der graue Hintergrund der Tafel bietet. Der Untersucher beobachtet dazu
die Blickrichtung des Kindes und notiert
den Visus als die kleinste Linienbreite,
bei der sich ein eindeutiger Blick auf
das Gitter erkennen lässt. Um den monokularen Visus messen zu können,
kann das andere Auge mit einem Okklusionspflaster abgeklebt werden.
Bei Kindern ab zwei bis drei Jahren
eignen sich Tests, bei denen ein in der
Ferne dargebotenes kindgerechtes Symbol mit dem Finger auf einer handgehaltenen Tafel gezeigt oder, bei etwas älteren Kindern, benannt werden muss
(Abb. 2). Hierzu sind besonders Teste
mit logarithmischen Visusstufen und
mit Optotypen, für welche eine gleiche
Ratewahrscheinlichkeit besteht, empfehlenswert. Besonders zu beachten ist
das sog. Crowding-Phänomen (engl.
crowd = dichte Menge), das eine weitere
Herabsetzung des Visus in einem amblyopen Auge beschreibt, wenn diesem
viele Sehinformationen gleichzeitig dargeboten werden. Das Crowding-Phänomen hat zur Folge, dass sich der an einzelnen Optotypen gemessene Visus eines amblyopen Auges oft erheblich von
dem an Optotypenzeilen gemessenen
Visus unterscheidet.
Die Grenzwerte für den bestkorrigierten Visus (VCC) sind bei Kindern nicht
eindeutig festzulegen und werden daher
je nach Quelle unterschiedlich definiert
(s. Tabelle 1). Bei Erwachsenen und Kindern ab sechs Jahren betrachtet man
bestkorrigierte Visuswerte von 0,8 oder
weniger (Einzelsehzeichen) als subnormal und das betreffende Auge als amblyop. Wegen der häufigen Einseitigkeit
der Amblyopie ist aber auch die Seitendifferenz des Visus ein wichtiges Krite-
4
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Geburt
Vcc
(pref. looking)
0,01
1 Monat
0,02
6 Monate
0,1
12 Monate
0,25
Alter
Vcc (Symbole)
Vcc (einzeln)
Vcc (Reihe)
3 Jahre
0,5
4 Jahre
1,0
0,8 bis 1,0
0,4
6 Jahre
1,25
1,25
0,8 bis 1,0
Tabelle 1: Grenzwerte für den korrigierten Visus (Vcc) in Abhängigkeit vom Lebensalter (Modifiziert nach
W. Haase, 2003)6.
Verdacht auf eine hohe Hyperopie vorliegt oder wenn gleichzeitig eine tiefergehende Untersuchung stattfinden soll.
Wegen der hohen Streuung des Refraktionsfehlers im Baby- und Kleinkindalter und wegen des in den ersten
Lebensjahren stattfindenden Emmetropisationsprozesses wird die Höhe des
als auffällig geltenden Refraktionsfehlers altersabhängig betrachtet und in der
Literatur unterschiedlich beschrieben.
rium, Hier werden z. B. eine Visus-Seitendifferenzen von mehr als einer logarithmischen Visustufe6 oder zwei Zeilen5 als amblyopieverdächtig eingestuft.
Die Skiaskopie eignet sich deshalb so
gut für die Refraktionsbestimmung bei
Kindern, weil Fixation und Akkommodation besser kontrollierbar sind als mit
einem automatischen Refraktometer.
Latente Hyperopien, die je nach Höhe
als Risikofaktor für den Strabismus und
eine daraus folgende Amblyopie gelten,
können deshalb sicherer aufgedeckt
werden. Zudem unterliegt die Akkommodation von Kinderaugen sehr großen
Schwankungen, die mittels Skiaskopie
wesentlich besser als durch den mit
einem Refraktometer angefertigten
»Schnappschuss« berücksichtigt werden können. Unter den verschiedenen
Verfahren der Skiaskopie hat sich besonders die Skiaskopie nach Mohindra
bewährt. Bei diesem Verfahren wird der
Prüfraum abgedunkelt, und das Kind
schaut in die Lichtquelle des Skiaskops,
welches durch das »Flackern« des Instruments während der Messung bewegt wird. Neben der klassischen Skiaskopie steht seit einigen Jahren ein
speziell für das Amblyopie-Screening
entwickeltes Gerät zur Verfügung
(s. Abb. 3). Es misst die Refraktion bei
(Klein-)Kindern aus ca. 1 m automatisch, kann jedoch eine Refraktionsbestimmung in Zykloplegie nicht ersetzen. Die für eine genaue Refraktionsbestimmung bei Kleinkindern empfohlene Refraktionsbestimmung in Zykloplegie (= Lähmung der Akkommodation)
ist im Rahmen eines Screenings nur in
Einzelfällen nötig, etwa wenn bereits ein
Abb. 3: Messvorgang mit dem Hand-Autorefraktometer SO9 (Quelle: Plusoptix Nürnberg;
www.plusoptix.de). Das Gerät basiert auf dem
Prinzip der Video-Skiaskopie und wurde speziell
für das Screening bei Kleinkindern entwickelt.
Zur Prüfung auf Strabismus, der vor
allem in Fällen des einseitigen Innenschielens zu einer Amblyopie führt,
sind der Brücknertest, der Hirschbergtest und der Abdecktest (Covertest) besonders geeignet. Ergänzend sollte ein
Stereotest und ein Motilitätstest ausgeführt werden, bei dem die Stellung der
Augen in den neun diagnostischen
Blickrichtungen sowie die Folgebewegungen beurteilt werden. Beim Brücknertest schaut der Untersucher aus 1 bis
3m Entfernung durch die Öffnung eines
vor das Auge gehaltenen Ophthalmoskops und beleuchtet beide Augen des
Kindes gleichzeitig mit dem Lichtkegel.
Durch die Reflexion des Lichtes am Augenhintergrund leuchten beide Pupillen gleich hell auf, sofern der Refraktionsfehler in beiden Augen etwa gleich
groß ist (= Isometropie) und sofern kein
Strabismus vorliegt. Bereits geringfügige Anisometropien (ab ca. ± 1,00 dpt)
und/oder ein kleinwinkliger Strabismus führen jedoch zu unterschiedlich
hellen Pupillen, die zu einer genaueren
Untersuchung Anlass geben sollten
(s. Abb. 5). Beim Hirschbergtest hält der
Untersucher aus ca. 50 cm eine Stablampe oder eine andere Lichtquelle mittig vor die Augen des Kindes und beobachtet die Hornhautreflex-Bilder der
Lichtquelle. Liegt kein oder nur ein sehr
kleinwinkliger Strabismus vor, sind die
beiden Hornhautreflex-Bilder symmetrisch zu den Pupillenmitten angeordnet. Liegt eine Asymmetrie vor (s. Abb.
6), sollte ein Abdecktest oder eine anderweitige Untersuchung auf Strabismus
erfolgen. Der Abdecktest kann in geüb-
Abb. 4: Kindgerechte Stereotests. Links: Stereotest nach Lang. Ein Kind mit intaktem Stereosehen kann auf dem
Random-Dot-Muster mehrere erhaben erscheinende Figuren erkennen. Rechts: Frisby-Test. Auf drei verschieden dicken Plastikplatten mit je vier aufgedruckten Random-Dot-Quadraten ist je ein Kreis in einem der Quadrate räumlich hervorgehoben.
5
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ten Händen eine sehr sichere Auskunft
darüber geben, ob ein Schielen vorliegt
oder nicht (Ausnahme: Mikrostrabismus < 2° sowie exzentrische Fixation).
Hier werden die Augen wechselseitig
mit einem Okkluder (Abdeckkelle)
abgedeckt und beobachtet, ob das jeweils freie Auge eine Einstellbewegung
zur Fixationsaufnahme ausführt. Weil
ein manifestes Schielen in der Regel
nicht nur zu einer Amblyopie, sondern
auch zu einer Suppression zentraler
Gesichtsfeldanteile im Schielauge
führt, ist das stereoskopische Sehen
von Schielern typischerweise eingeschränkt. Stereoteste haben deshalb
eine große Bedeutung bei der (indirekten) Aufdeckung eines Schielens und
einer Amblyopie. Besonders geeignet
sind Tests mit kindgerechten Symbolen,
die auf dem Pseudo-Random-Dot-Prinzip (scheinbar zufällige Punktverteilung) basieren. Wichtige Vertreter dieser Tests sind der Stereotest nach Lang
sowie der in Deutschland seltene FrisbyTest (Abb. 4).
Abb. 5: Beleuchtungstest nach Brückner. Die Aufnahme entstand mit einer digitalen Kompaktkamera
mit eingeschaltetem Blitz. Das unterschiedliche Aufleuchten der Pupillen kann sowohl eine Anisometropie als auch einen Strabismus anzeigen. Beide sind
ohne weitere Tests nicht voneinander zu trennen.
Bild 6 – Hirschbergtest bei linkseitiger Esotropie.
Zu beachten ist die Asymmetrie der Hornhautreflexbilder von der Lichtquelle.
Die Behandlung der Amblyopie
Die klassische Behandlung der Amblyopie besteht im Ausgleich von Refraktionsfehlern sowie, vor allem bei der
Schielamblyopie, in der Okklusion des
besseren Auges. Dem amblyopen Auge
soll dadurch ein scharfes, zentral fixierOptometrie 3/2010
tes Netzhautbild angeboten werden, um
die wichtigsten Voraussetzungen für eine normale Sehentwicklung zu erfüllen.
Allerdings kann der Entzug des Sehreizes durch die Okklusion dazu führen,
dass auch das bessere Auge eine (Deprivations-)Amblyopie ausbildet, weshalb
in der Regel eine Teilzeit-Okklusion mit
unterschiedlichen Tragemodi verordnet
wird. Eine Alternative zur Okklusion ist
die Penalisation (= »Bestrafung«), bei
der die Akkommodation des besseren
Auges über einen gewissen Zeitraum
mit Atropin gelähmt wird. Damit kann
das ggf. mit einem Brillenglas korrigierte bessere Auge scharf in der Ferne und
das amblyope Auge mittels Akkommodation scharf in der Nähe sehen, eine
beidseits zentrale monokulare Fixation
vorausgesetzt. Ein ähnliches Prinzip
verfolgt die einseitige Nebelung mit einem zu stark positiven Brillenglas, was
jedoch eine schlechtere Compliance als
die Atropinisierung erwarten lässt.
Daneben gibt es Verfahren, mit welchen die Fovea durch bestimmte Sehreize aktiv stimuliert werden soll (sog. pleoptische Verfahren). Unter diesen Verfahren ist vor allem das Haidinger Büschel bekannt, welches von Augenärzten und Orthoptistinnen heute jedoch
nur noch selten angewendet wird. Auch
speziellen Sehübungen in der Nähe
oder am PC wird ein positiver Effekt bei
der Amblyopie-Behandlung nachgesagt, wenngleich der Beweis dafür bisher nicht erbracht werden konnte.13
Eine erfolgreiche Amblyopie-Behandlung erfordert eine gute Mitarbeit
der Eltern und vor allem eine intensive
Aufklärung, wozu auch Augenoptiker
einen wertvollen Beitrag leisten können.
hältnis zum Vorkommen der Amblyopie stehende Erkennungsquote lässt
den Schluss zu, dass die im Früherkennungsprogramm vorgesehenen Untersuchungen des visuellen Systems nur
von entsprechend geschultem Personal
ausgeführt werden sollten oder zumindest durch einen einfach zu handhabenden Test auf höhere Refraktionsfehler
ergänzt werden müssen.
䡵
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Zusammenfassung
Das Screening für Kinder bis zu sechs
Jahren dient der Aufdeckung seltener
Pathologien und vor allem der Früherkennung amblyogener Risikofaktoren.
Die wichtigsten Risikofaktoren für die
Amblyopie sind Refraktionsfehler und
Strabismus, weshalb ein Screening
Tests zur Erkennung größerer Refraktionsfehler und zur Erkennung des Schielens beinhalten muss. Die im Missver-
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