CSCF - Université de Neuchâtel

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> Libellen
Betroffene Regionen: Voralpen, Engadin und Jura
> Aeshna subarctica elisabethae Djakonov, 1922
Hochmoor-Mosaikjungfer – Aeschne subarctique – Aeshna subarctica
RL: VU | PRIO: 3 | NHV: geschützt
Beschreibung
Ökologie
In Größe und Aussehen sehr ähnlich wie die häufige TorfMosaikjungfer A. juncea, variiert aber in der Körperlänge mit
70‑76 mm etwas weniger als diese und erscheint gesamthaft
düsterer (Gesamtlänge von A. juncea: 65‑80 mm). Die Flügelvorderkante ist eher braun als gelb, die Farbflecken am Thorax
und Abdomen sind beim Männchen weniger klar in blau und
gelb differenziert als bei A. juncea. Die zuverlässigsten Unterscheidungsmerkmale für beide Geschlechter finden sich am
Kopf: A. subarctica ist am Hinterkopf – hinter den Augen – völlig
schwarz, das heisst ohne gelbe Flecken wie bei A. juncea, und
die waagrechte Gesichtslinie zwischen Frons und Clypeus ist
einheitlich dick, während sie bei A. juncea gegen die Augen hin
dünner wird. Die Hinterleibsanhänge (Cerci) sind bei beiden
Geschlechtern breiter als bei A. juncea. Im Flug – und aus
Distanz auch im Sitzen – lassen sich A. subarctica und A. juncea
nicht eindeutig unterscheiden.
Die Larve sieht derjenigen von A. juncea ähnlich. Die Exuvie
ist 38-42 mm lang, oft dunkel und glänzend. Unterschiede
zu A. juncea: Cerci mehr als halb so lang wie die Paraprocten.
Femur am Vorderbein höchstens 4 mm lang, bei A. juncea
immer länger. Wichtigste Indizien für das bodenständige
Vorkommen von A. subarctica sind die Exuvien. Diese sind im
Gegensatz zu denen von A. juncea nur in Hochmooren und
auch bei ungünstigem Flugwetter zu finden.
Als ausgesprochener Habitatspezialist besiedelt Aeshna
subarctica in der Schweiz ausschliesslich Hoch- und Zwischenmoore der oberen Montan- und unteren Subalpinstufe.
Diese Primärbiotope weisen ein grösseres baumfreies oder
mit einzelnen, kleinwüchsigen Nadelbäumen bewachsenes
Zentrum auf. Am Rand dieser Moore stockt meist Wald mit
Bergföhre (Pinus mugo), Arve (P. cembra) oder Fichte (Picea
abies).
Fortpflanzungsgewässer der Hochmoor-Mosaikjungfer sind
Torfmoos-Schwingrasen in verlandenden Hochmoorweihern
(Blänken, Kolke) und manchmal auch seichte ZwischenmoorSchlenken mit halb untergetauchten Moosen (Sphagnum sp.,
Drepanocladus sp.), kleinwüchsigen Seggenarten (zum Beispiel
Carex limosa), Blumenbinse (Scheuchzeria palustris) und Mittlerem Sonnentau (Drosera intermedia). Diese seichten, nährstoffarmen und eher sauren Gewässer liegen oft zwischen
aufragenden Hochmoorbülten. Optimale Entwicklungsgewässer trocknen nie vollständig aus.
Die Eier überwintern, die Larven schlüpfen rund 300 Tage nach
der Eiablage zwischen Ende Juni und Mitte Juli. Im Lauf ihrer
drei- bis vierjährigen Entwicklung durchlaufen sie 16 bis 18
Stadien. Die Larven sind thermisch anspruchsvoll, bevorzugen
je nach Alter unterschiedliche Temperaturen und überwintern
im letzten Stadium.
Zum Schlupf, der bei sonnigem Wetter vormittags beginnt
und dann höchstens drei Stunden dauert, klettern die Larven
5-20 cm an senkrechten Halmen hoch. Die Exuvien sind in der
lockeren Halmvegetation meist leicht zu finden, manchmal
auch an Torfmoos.
Männchen von Aeshna subarctica sonnt sich auf totem Baumstamm.
Weibchen von Aeshna subarctica bei der Eiablage in überflutetes Torfmoos
einer Zwischenmoorschlenke. © H. Wildermuth
© A. Krebs
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> Libellen: Aeshna subarctica elisabethae
Aeshna subarctica beim Schlupf in einer Hochmoorschlenke mit
Blumenbinsen. © H. Wildermuth
Die Schlüpfperiode beginnt je nach Höhenlage frühestens
gegen Ende Juni. Der Hauptschlupf findet im Juli statt, kann
sich aber bis Mitte August hinziehen.
In Mooren mit verstreuten Gewässern wandert ein Grossteil der
frisch geschlüpften Imagines ab, und nur wenige Tiere kehren
an das Entwicklungsgewässer zurück. Während der Reifungszeit, die einen bis eineinhalb Monate dauert, jagen die Imagines
im lockeren Nadelwald und setzen sich zum Aufwärmen oft an
besonnte Baumborke, besonders morgens und abends. Die
Nächte und Schlechtwetterperioden verbringen sie vermutlich
in den Baumkronen.
2
Die Hauptflugzeit dauert von Mitte Juli bis Anfang September
mit einem Höhepunkt um Mitte August. Die paarungsgestimmten Männchen patrouillieren in ruhigem Flug bis zu einer
halben Stunde über den Fortpflanzungsgewässern und suchen
ankommende oder Eier legende Weibchen. Sie verhalten sich
weniger aggressiv als die oft gleichzeitig anwesenden Männchen von A. juncea. Die Paarung dauert etwa eine Stunde und
wird meist in den Baumkronen beendet. Die Eiablage erfolgt
unbewacht und kann über eineinhalb Stunden dauern. Dabei
bohrt das Weibchen bis zu je 20 Eier einzeln und präzis in die
Stämmchen von Moospflänzchen.
In Moorkomplexen mit verstreut liegenden, isolierten Gewässern, die sich unterschiedlich zur Entwicklung eignen, lebt
A. subarctica in Metapopulationen. Die Gewässer gliedern
sich in (1) Stammhabitate, in denen jährlich eine grössere
Anzahl Libellen schlüpft, in (2) Nebenhabitate mit geringerer
Schlüpfzahl und in (3) Latenzhabitate, in denen nur vereinzelt
und nicht in jedem Jahr Tiere schlüpfen. Die verschiedenen
Subpopulationen stehen miteinander im Genaustausch. Dabei
entsteht in den Quellpopulationen (source populations) der
Stammhabitate regelmässig ein Überschuss an Individuen,
welche die Neben- und Latenzhabitate – diese enthalten
Zuwanderungspopulationen (sink populations) – mit Nachkommen auffüllen. Werden Quellpopulationen durch Katastrophenereignisse ausgelöscht, was selten vorkommt, können sie
neu aufgebaut werden mit Individuen, die einem Neben- oder
Latenzhabitat entstammen.
Die Hochmoor-Mosaikjungfer kommt zusammen mit anderen
moorbewohnenden Arten der höheren Lagen vor. Häufigste
Begleitarten sind A. juncea, Leucorrhinia dubia, Somatochlora
alpestris, S. arctica und A. caerulea
[links] Hochmoor in den Voralpen mit randlichem Bergföhrenwald und offenen, nassen Mulden, in denen sich die Larven der Hochmoor-Mosaikjungfer
entwickeln. Im Moorzentrum können sich die Föhren nur kleinwüchsig und auf etwas trockeneren Torfmoosbulten halten. © H. Wildermuth
[recht] Entwicklungsgewässer von Aeshna subarctica – eine Zwischenmoorschlenke, bewachsen mit Blumenbinse und umgeben von aufragenden
Torfmoosbulten. © H. Wildermuth
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Situation weltweit und in Europa
Situation in der Schweiz
Das Verbreitungsgebiet dieser holarktischen Art erstreckt sich
von Nordamerika über Japan und Sibirien bis nach Europa. Die
Nominatform, A. s. subarctica Walker, 1908, ist auf Nordamerika beschränkt. In Europa kommt die Unterart A. s. elisabethae Djakonov, 1922 vor. Sie besiedelt vor allem die nördlichen
Gebiete und dringt in Nordfinnland bis zum 69. Breitengrad
vor. Ein weiteres Teilareal umfasst das südliche Mitteleuropa
mit verstreuten und oft isolierten Populationen in den Alpen,
im nördlichen Alpenvorland und in den Mittelgebirgen.
Gesamteuropäisch gilt die Art als nicht gefährdet, da sie
in Nordost- und Nordeuropa noch weit verbreitet ist. Regional, insbesondere in Mitteleuropa, wird sie jedoch als stark
gefährdet oder vom Aussterben bedroht eingestuft.
Das Vorkommen der Hochmoor-Mosaikjungfer wurde erst 1978
offiziell bekannt. Seit dem Jahr 2000 ist sie in 27 km2-Rasterflächen nachgewiesen. Die Vorkommen konzentrieren sich auf
die Kantone Bern, Obwalden und Luzern; verstreute Populationen gibt es in den Kantonen Glarus und Graubünden. Im
Jura (Kanton Waadt) existiert nur ein einziges Vorkommen.
Die Fundorte liegen zwischen 900 und 1900 müM, im Bereich
zwischen der sehr kühlen oberen Ackerbaustufe und der kalten
mittleren Alpengrünlandstufe mit Schwerpunkt auf der sehr
rauen oberen Berggrünlandstufe.
Die wenigen Populationen liegen in empfindlichen Hochund Zwischenmooren. Die Art wird in der Schweiz wegen der
Störungsanfälligkeit der Entwicklungsgewässer als verletzlich
(VU) eingestuft.
2500
Verbreitung, Höhenverbreitung und Phänologie
von Aeshna subarctica in der Schweiz.
500
1000
1500
2000
© CSCF
Altitude
0%
30%
25
20
15
10
< 1970
1970 - 1999
2000 - 2009
5
0
J
F
M
A
M
J
J
A
S
O
N
D
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Priorität
Gefährdungsursachen
Schutz- und Förderungsmassnahmen
Die Art wird in der Schweiz in die Prioritätsstufe 3 gestellt.
Beweidung mit Grossvieh:
• Trittschäden
• Abfressen der emersen
Wasservegetation
•
Düngungseffekte
Weidevieh von Hochmooren
fernhalten, allenfalls durch
Auszäunung
Düngung oder Entwässerung
der Umgebung
Mögliche Düngungs- und
Entwässerungseinflüsse aus der
Umgebung prüfen und allenfalls
blockieren bzw. rückgängig machen.
Auffangen und Ableiten des
nährstoffreichen Wassers in Gräben,
die am Moorrand angelegt werden
Eingriffe im Rahmen des
Wintertourismus, namentlich
Langlaufloipen
Keine Wintertourismus-Anlagen in
Hochmooren. Allenfalls bestehende
Langlaufloipen verlegen
Allfälliges Zuwachsen von
Sekundärgewässern (alte
Torfstiche)
Teilweises Abtragen der
Vegetationsdecke
Klimawandel:
Austrocknen der Gewässer
kaum möglich
Gefährdungsursachen
Die meisten schweizerischen Fundorte von A. subarctica
befinden sich im Bereich von Hochmooren, die durch die
Gesetzgebung theoretisch geschützt sind. In der Praxis
kommen manche dennoch in Bedrängnis: Weidendes Grossvieh zertrampelt die trittempfindlichen Torfmoospolster,
beschädigt durch Frass die auftauchende Wasservegetation
– damit das Schlupfsubstrat – und düngt das nährstoffarme
Moor. Mechanische Schädigungen treten auch dann auf, wenn
Langlaufloipen durch Hochmoore führen. Zudem können sich
Veränderungen in der Umgebung wie Düngung oder Entwässerungen schädigend auf die Moore auswirken.
Schliesslich könnte der Klimawandel mit erhöhten Durchschnittstemperaturen, mit markanteren Temperaturextremen
und verminderten Niederschlagsmengen die Art in höhere
Lagen verdrängen oder beim Fehlen von Ausweichmöglichkeiten zum regionalen Aussterben bringen.
Erhaltungs- und Fördermassnahmen
Bei den in der Schweiz bekannten Entwicklungsgewässern
handelt es sich um Primärbiotope. Diese müssen im Rahmen
des Hochmoorschutzes unbeeinträchtigt erhalten werden.
Dies bedeutet, dass auch die weitere Umgebung nicht drainiert werden darf, da dies den Wasserhaushalt des Torfkörpers
stört. Das Eindringen von Weidevieh lässt sich durch einen
entsprechend gesteuerten Weidegang oder nötigenfalls durch
Auszäunung verhindern.
Liegen mehrere A. subarctica-Gewässer nah beisammen, sollen
alle gesamthaft geschützt werden, um so die Metapopulationen zu erhalten. Inwieweit sich in der Schweiz auch Sekundärgewässer wie verlandende Torfstiche und verwachsende
Torfgräben zur Entwicklung von A. subarctica eignen, bleibt
abzuklären.
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5
Literatur
De Marmels J. & H. Schiess (1978): Aeshna subarctica Walker auch in der Schweiz
(Anisoptera: Ashnidae). Notulae odonatologicae 1: 19-22.
Gonseth Y. & C. Monnerat (2002): Rote Liste der gefährdeten Libellen der Schweiz.
BUWAL, Bern & CSCF, Neuchâtel.
Peters G. (2008): Abnahme der Großlibelle Aeshna subarctica auf den
Rheinsberger Hochmooren und mögliche Ursachen. Sitzungsberichte der
Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (N.F.) 47: 119-125.
Sternberg K. (1995): Regulierung und Stabilisierung von Metapopulationen bei
Libellen, dargestellt am Beispiel von Aeshna subarctica elisabethae Djakonov, 1922
im Schwarzwald (Anisoptera, Aeshnidae). Libellula 14: 1-39.
Sternberg K. (2000): Aeshna subarctica elisabethae Djakonov, 1922. In: Sternberg K.
& R. Buchwald (Hrsg.): Die Libellen Baden-Württembergs, Bd. 2. Ulmer, Stuttgart:
93-109.
Vaucher-Ballmoos C. (1993): Aeshna subarctica Walker (Odonata, Aeshnidae):
reproduction dans le Jura suisse – première mention. Bulletin romand
d’entomologie 11: 93-100.
Wildermuth H. (2005): Aeshna subarctica elisabethae. In: Wildermuth H.,
Y. Gonseth & A. Maibach (ed.): Odonata – die Libellen der Schweiz. Fauna
Helvetica Bd. 12, CSCF/SEG, Neuchâtel: 230-233.
Wildermuth H. & D. Küry (2009): Libellen schützen, Libellen fördern. Leitfaden für
die Naturschutzpraxis. Beiträge zum Naturschutz in der Schweiz Nr. 31. Pro Natura,
Basel.
Abkürzungen
Impressum
RL
Autor
Rote Liste der gefährdeten Libellen der Schweiz
(Gonseth & Monnerat 2002, http://www.bafu.admin.ch)
PRIO
Liste der National Prioritären Arten
(BAFU 2011, http://www.bafu.admin.ch)
NHV
Verordnung über Natur- und Heimatschutz SR 451.1
(16. Januar 1991)
Hansruedi Wildermuth
Zitierung Wildermuth H. 2013. Merkblätter Arten – Libellen – Aeshna subarctica
elisabethae. Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Libellenschutz,
CSCF info fauna, Neuenburg und Bundesamt für Umwelt, Bern. 5 S.
Kontakt
Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Libellenschutz,
c/o Life Science SA, 4058 Basel · [email protected]
Herausgegeben mit fachlicher und finanzieller Unterstützung des Bundesamtes
für Umwelt (BAFU), dieses Merkblatt kann unter www.cscf.ch abgerufen werden
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