SWR2 OPER

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SWR2 OPER
Moderationsmanuskript von Reinhard Ermen
Ferruccio Busoni:
„Turandot“ und „Arlecchino“
Sonntag, 02.10.2016, 20.03 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
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In den SWR2 Musikstunden ging es in der vergangenen Woche um Ferruccio Busoni,
dessen 150. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Heute Abend setzen wir das in
gewisser Weise fort, anders gesagt: Wir senden zwei Kurzopern des Meisters „Turandot“
und „Arlecchino“, die beide am 11. Mai 1917 in Zürich uraufgeführt wurden. Es handelt sich
um eine musikalische Huldigung an die Comedia dell’Arte. Heiter, ironisch und tiefsinnig
verbeugt sich der Dichterkomponist Busoni vor den theatralischen Ursprüngen seiner
Herkunft. Der Deutschitaliener schreibt zwei italienische Opern, für die er jeweils deutsche
Texte verfasst hat. Sie hören beide Stücke in Aufnahmen, die 1992 unter der Leitung von
Gerd Albrecht entstanden.
Zwischen 1915 und 1920 lebte Busoni in Zürich. Dorthin hatte er sich vor den Wirren des
ersten Weltkriegs geflüchtet. Der Meisterpianist, der mehr sein wollte als nur ein Virtuose auf
dem Klavier, beginnt in diesem stillen Exil, das seinen Bewegungsradius entschieden
eingrenzt, zum einen mit der Arbeit an seinem Hauptwerk „Doktor Faust“, zum anderen
realisiert er hier (neben anderen Projekten) zwei Kurzopern, eben „Turandot“ & „Arlecchino“.
Verglichen mit der Faust-Oper, hinter der auch so etwas wie eine Lebensbilanz seines
eigenen Künstlertums steckt, geht die Arbeit an den beiden kurzen Opern relativ problemlos
von statten. Dabei steckt auch in diesen beiden Preziosen ein gutes Stück
Erinnerungsarbeit, bzw. Selbsterkenntnis. Ja, die Figur des Arlecchino wird für ihn zu einem
Ideal der Freiheit von Leib und Seele, das in den Zürcher Jahren besonders leuchtet, da er
die Schweiz in dieser Zeit durchaus als Gefängnis seines Weltbürgertums empfindet. Davon
später. Zuerst also “Turandot“.
Die chinesische Oper im Gewand der Comedia dell Arte, frei nach Carlo Gozzi nimmt er in
Angriff als sich herausstellt, dass „Arlecchino“ für einen Busoni-Abend in Zürich einfach zu
kurz ist. Etwa ein Jahr vor der Uraufführung macht er sich an die Arbeit. Die Musik ist zu
diesem Zeitpunkt allerdings nicht ganz neu. 1911 hatte er den größten Teil davon schon als
Schauspielmusik für eine Inszenierung von Max Reinhardt in Berlin verwendet. Reinhardt
praktizierte ein festliches, auch aufwendiges Theater. Teil dieser Pracht waren ambitionierte
Musiken. Seit 1905, seit er das Deutsche Theater in Berlin übernommen hatte, arbeitete für
ihn die junge Komponistengarde von Pfitzner bei Weingartner, von Eugen d’Albert bis
Engelbert Humperdinck. Dass Busoni bei Reinhardt erst 1911 zum Zuge kommt, verwundert
fast ein wenig. Die Musik von Busoni existierte zu diesem Zeitpunkt schon. Im Oktober 1905
hatte er in seiner eigenen Konzertreihe in Berlin eine entsprechende Orchestersuite nach
„Turandot“, bzw. nach Gozzi realisiert, auf die er dann später zurückgreifen konnte. Bereits
1913, während eines Gastspiels der Reinhardt-Bühnen in London, kommt ihm der Gedanke,
dass man daraus eine (italienische) Oper machen könnte. Ab 1916 in Zürich nimmt diese
Idee Gestalt an, allerdings unter etwas anderen Vorzeichen.
Die Schauspielproduktion 1911 in Berlin basierte auf einer Textfassung von Carl Vollmöller,
die sich (im Gegensatz etwa zu Schillers alles erklärenden Version) um eine gewisse Nähe
zum Original bemühte. Für seine Oper schreibt Busoni das Libretto selber, er umreißt, ja er
skizziert Gozzis Stehgreifkomödie mit wenigen Strichen, so dass für die Musik noch reichlich
Platz ist. Es entsteht ein ‚Singspiel‘, eine Oper mit gesprochenen Dialogen. Wer Puccinis
schwergewichtige „Turandot“ im Ohr hat, muss umlernen. Es geht nicht um Psychologie,
entscheidend ist die Situation, auch die Art und Weise, in der sich einfache und höher
gestellte Personen begegnen. Eigentlich haben die Diener das Sagen, aus ihrer Perspektive
erscheinen die Nöte der Herrschaften gelegentlich komisch. Was nicht ausschließt, dass
gerade deren Schicksal uns ergreift. Doch für Sentimentalität ist einfach kein Raum in dem
kurzgefasten Libretto. Hinzu kommt bei Busoni, dass hier alles rasend schnell geht. Die
Musik ergeht sich in einem respektlosen Klassizismus, der von dem, was später unter
diesem Etikett laufen wird, noch nichts weiß. Über der Introduktion und der ersten Szene
steht als Vortragsbezeichnung „Alla marcia. Allegro“. Darin steckt etwas Typisches. Zur Eile
kommt ein Moment, dass man mit ‚Überraschung‘ kennzeichnen könnte. Das sind nicht nur
die schnellen Wendungen der Handlung oder das ‚als ob‘ des Theaters, das sich gerne
ausstellt. Manchmal wundert man sich auch über die musikalischen Zeichen; zum Beispiel
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wenn in Turandots Frauengemach als Musikkulisse ein englisches Volkslied auftaucht,
„Greensleves“ in einer witzigen Geschwindversion. – Die Besetzung.
Altoum, Kaiser: René Pape
Turandot: Linda Plech
Adelma: Gabriele Schreckenbach
Kalaf: Josef Protschka
Barak: Friedrich Molsberger
Königinmutter: Celina Lindsley
Truffaldino: Robert Wörle
Pantalone: Johannes Werner Prein
Tartaglia: Gotthold Schwarz
Der RIAS-Kammerchor Berlin
Das Radio-Symphonieorchester Berlin
Leitung: Gerd Albrecht
Erstes Bild. Kalaf, Prinz eines Reiches, das von Feinden erobert wurde, verguckt sich in
Turandot, die männermordende Prinzessin. Wer ihre Rätselfragen nicht beantworten kann,
wird geköpft. Sieben erfolglose Kandidaten waren es bis jetzt. Kalafs getreuer Diener Barak
warnt. Doch ein Blick der gefährlichen Frau besiegelt sein Schicksal. Er wird sich ihren
Fragen stellen. Zweites Bild. Truffaldino, das Haupt der Eunuchen, richtet den Ort für die
Ratezeremonie und macht sich so seine Gedanken zum Leben und der Liebe. Der Prinz
lässt sich nicht einschüchtern. „Tod oder Turandot“ lautet sein Motto. Er weiß die richtigen
Antworten: „Der menschliche Verstand“, „Die Sitte“ & „Die Kunst“. Er gewinnt und gibt der
Prinzessin gleich eine eigene Frage mit auf den Weg, die nach seinem Namen. Drittes Bild.
Aus dem Frauengemach tönen heitere Lieder. Turandot ist verzweifelt, sie hat eine seltsame
Anwandlung: Eigentlich liebt sie den Prinzen, doch sie will nicht klein beigeben, sie will lieber
unberührt sterben. Der alte Kaiser redet seiner Tochter (vergebens) ins Gewissen. Adelma,
einst selber eine Prinzessin, jetzt nur eine Sklavin am chinesischen Hof, kennt Kalaf. Sie
verrät Turandot den Namen. Viertes und letztes Bild. Ein Trauermarsch erklingt. Kommt
jetzt seine oder Ihre Niederlage? „Kalaf, Sohn des Timur, du bist entlassen!“ Die Prinzessin
hat gesprochen. Kalaf will gehen ´, um anderswo den Tod zu suchen. Turandot ruft ihn
zurück und bekennt sich zu ihrer Liebe.
„Turandot“ = 73‘41“
SWR2 Opernabend, sie hören zwei (kurze) Opern von Ferruccio Busoni. Die erste war
„Turandot“ Eine chinesische Fabel in 2 Akten. Die Ausführenden waren:
Altoum, Kaiser: René Pape
Turandot: Linda Plech
Adelma: Gabriele Schreckenbach
Kalaf: Josef Protschka
Barak: Friedrich Molsberger
Königinmutter: Celina Lindsley
Truffaldino: Robert Wörle
Pantalone: Johannes Werner Prein
Tartaglia: Gotthold Schwarz
Der RIAS-Kammerchor Berlin
Das Radio-Symphonieorchester Berlin
Leitung: Gerd Albrecht
Nummer zwei dieses Doppelabends, der am 17. Mai 1917 erstmals in Zürich in Szene ging
ist „Arlecchino“ Ein theatralisches Cappriccio in einem Aufzug. Unmittelbarer Anlass zu
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diesem Einakter war die Darstellung des Harlekin durch einen italienischen Schauspieler.
Busoni, der Sohn einer deutschstämmigen Mutter und eines italienischen Vaters entdeckt
seine väterlichen Wurzeln wieder. Das geschieht seit den 90er Jahren immer mal wieder,
doch wohnhaft ist er in Berlin, wo ein weltmännischer Geist herrscht. Darüber hinaus
erschreckt ihn die Begegnungen mit dem Italien seiner Gegenwart. Doch nach diesem
Erlebnis erscheint er wie gewandelt. Hinzu kommt noch der Eindruck vom einer
Marionettentheateraufführung eines Einakters von Rossini. Diese Begegnungen bestärken
ihn, seine erste Heimat nicht zu vergessen. Vielleicht gibt es noch einen Taktgeber für den
„Arlecchino“. 1913, kurz nach dem Schlüsselerlebnis mit der Schauspieldarbietung,
arrangiert er bei sich, in seiner Berliner Wohnung, eine Aufführung von „Pierrot Lunaire“,
dem Melodram von Arnold Schönberg, das von einem mondsüchtigen Spaßmacher handelt.
Das ist wieder eine Figuration des Harlekin. Schönbergs kunstvolle Kammermusik hat nicht
nur eine motivische Nähe zu „Arlecchino“. Busonis Held ist wie im „Pierrot Lunaire“ als
Sprechrolle angelegt. Bei Schönberg ist der Sprechpart allerdings etwas ausführlicher notiert
als bei Busoni, nämlich nicht nur in rhythmischer Hinsicht, sondern auch mit angedeuteten
Tonhöhen. Bei Busoni kommt freilich ein anderes Moment hinzu. In Zürich spielte seinerzeit
Alexander Moissi die Titelpartie. Busoni kannte ihn seit der Aufführung der „Turandot“. Er
hatte unter Reinhardt den Kalaf gespielt. Moissi, ein Theaterstar der Gegenwart war berühmt
für seine melodischen Kurven. Er gilt als „Singspieler“, der singt indem er spricht. Man darf
annehmen, dass Moissi 1917 in Zürich in wogenden Kurven sprach, ohne dass Busoni sie
eigens notieren musste.
Das Textbuch schreibt Busoni 1914. Sofort beginnt er zu komponieren. Gleichzeitig entsteht
eine Orchestersuite, in der er eine Art konzertante Seitenansicht zu dem Stück liefert. Die
Musik treibt die Geschichte nach vorn. Es kommt zu rasanten Montagen zwischen Gesang,
Orchester und Sprachsplittern. Der Titelheld ist ein witziger Schaukopf, eine Art
‚Westentaschen-Don Giovanni‘, der fast über seine eigene Vergangenheit stolpert. Er reißt
das Geschehen an sich. Als Kriegskapitän bringt er den wehleidigen Schneidermeister zum
Zittern. Busoni riskiert eine (lächelnde) Weltkriegsparodie. Zeitweilig denkt er an eine
Fortsetzung. Dazu gibt es immerhin einen ausführlichen Libretto-Entwurf, in dem sich viel
Biographisches findet und eine anrührende Friedensapotheose vorgesehen ist. Diese
Fortsetzung kommt nicht zustande. Sie zeigt aber, wie nahe ihm die Geschichte und sein
Titelheld ist. Was die Verschmelzung von Handlung und Musik angeht, ist „Arlecchino“ wohl
Busonis ambitioniertester Versuch in dieser Richtung. Er realisiert eine Art
Marionettentheater mit lebenden Puppen. Die Musik bedient parodistisch die Allgemeinplätze
der Handlung. Das Theater ist unübersehbar, es hat sich aber einem quasi musikalischen
Formverlauf zu unterwerfen, denn dieser „Arlecchino“ ist angelegt als eine Sinfonie in vier
Sätzen, der Busoni einen programmatischen Prolog vorangestellt hat. – Die Besetzung:
Arlecchino: Peter Matic (Sprecher)
Arlecchino, Leandro: Robert Wörle
Ser Matteo del Sarto: René Pape
Abbate Cospicuo: Siegfried Lorenz
Dottor Bombasto: Peter Lika
Colombina: Marcia Bellamy
Das Radio-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Gerd Albrecht
Prolog. Arlecchino erklärt das Wesen des heiteren Schauspiels und gewährt eine Vorschau
auf das Kommende. Erster Satz. Während Arlecchino mit der Frau des Schneiders im
oberen Stockwerk schmust, sitzt deren Gatte verträumt vor der Tür und liest in seinem
geliebten Dante. Arlecchino springt herab und erklärt dem erschreckten Schneidermeister,
dass das Träumen jetzt ein Ende hat, denn es sei Krieg! Er schubst den Schneider ins Haus
und schließt ab. Abbate und Dottore kommen vorbei. Sie sind in tiefsinnige Gespräche
verwickelt und jetzt erfahren sie, dass die Barbaren vor der Tür stehen. Der bibbernde
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Schneider will sein Testament machen. Dottore und Abbate ziehen ab, bleiben aber im
Wirtshaus nebenan hängen. Zweiter Satz. Arlecchino kehrt zurück in Verkleidung. Er
rekrutiert den Schneider für die Truppe und schickt ihn fort. Er selbst wird auf das Haus und
die Schneiderin aufpassen. Dritter Satz. Colombina, Arlecchinos verlassene Gattin, taucht
auf. Es kommt zu einer leidenschaftlichen Wiedererkennungsszene. Kaum hat die
‚weggeworfene‘ Gattin sich in der alten Liebe eingefunden, muss sie feststellen, dass der
Ehemann sich schon wieder aus dem Staub gemacht hat. Der Kavalier Leandro taucht auf.
Der Tenor macht Colombina den Hof. Sie geht darauf ein, um ihren wirklichen Ehemann
eifersüchtig zu machen. Das funktioniert. Arlecchino ist sofort wieder da und fordert den
Schönling zum Duell. Vierter Satz. Abbate und Dottore kommen aus dem Wirtshaus und
stolpern über Leandro, der keinesfalls tot ist. Das Haus des Schneiders ist geschlossen, sie
müssen den angeschlagenen Jüngling irgendwo anders hinbringen. Sie ziehen ab. Die Luft
ist rein. Arlecchino verschwindet mit der Schneiderin. Der Schneider selbst kommt zurück.
Irgendetwas hat er falsch verstanden. Die Gattin hat ihm einen Zettel hinterlassen, auf dem
steht, dass sie bald wiederkommt. Der Schneider will warten und liest noch etwas in seinem
geliebten Dante. Die anderen verbeugen sich indessen vor einem Zwischenvorhang.
Arlecchino erklärt darüber hinaus die neuen Paarungen, - „bis zu neuen Begebenheiten.“
„Arlecchino“ = 55‘00“
SWR2 Opernabend. Das war zuletzt „Arlecchino“. Ein theatralisches Capriccio in einem
Aufzug. Die Ausführenden waren:
Arlecchino: Peter Matic (Sprecher)
Arlecchino, Leandro: Robert Wörle
Ser Matteo del Sarto: René Pape
Abbate Cospicuo: Siegfried Lorenz
Dottor Bombasto: Peter Lika
Colombina: Marcia Bellamy
Das Radio-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Gerd Albrecht
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