9. Natürliche Zahlen, rationale Zahlen, reelle Zahlen.

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Funktionen
9. Natürliche Zahlen, rationale Zahlen, reelle Zahlen.
Hier soll ein Überblick gegeben werden, wie die reellen Zahlen ausgehend von den
natürlichen Zahlen konstruiert werden. Dies erfolgt in drei Schritten. Dabei interessiert uns bei den Zahlensystemen, die wir erhalten, nicht nur die mengentheoretische
Konstruktion, sondern auch
• die Addition und damit auch (so weit möglich) die Subtraktion.
• die Multiplikation und damit auch (so weit möglich) die Division.
• die Anordnung ≤.
Kronecker soll einmal gesagt haben: Die natürlichen Zahlen
hat Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.
Als erstes gehen wir auf die natürlichen Zahlen ein.
9.1. Die natürlichen Zahlen.
Mit N = {1, 2, 3, . . . } haben wir die Menge der natürlichen Zahlen bezeichnet.
Intuitiv ist jedem klar, was gemeint ist, wenn man in die
Mengenklammer die drei ersten Zahlen 1, 2, 3 schreibt und
dann Pünktchen . . . hinzufügt. Hier soll nun herausgearbeitet werden, wie dies in der Mathematik formalisiert wird.
Es gelten die folgenden Aussagen:
(N1) 1 ∈ N.
(N2) Zu jeder natürlichen Zahl n gibt es eine eindeutig bestimmte natürliche Zahl n+1,
man nennt n + 1 den Nachfolger von n. (Die Zuordnung n 7→ n+1 ist also eine
Abbildung N → N.)
(N3) Die Nachfolger-Abbildung ist injektiv.
(N4) Die Zahl 1 ist nicht im Bild der Nachfolger-Abbildung (Die Nachfolger-Abbildung
ist also nicht surjektiv).
(N5) Ist U ⊆ N eine Teilmenge, mit folgenden beiden Eigenschaften:
(i) Erstens, 1 ∈ U .
(ii) Zweitens: Ist n ∈ U, so ist auch n + 1 ∈ U .
Dann ist U = N.
Beweis: Wir setzen voraus, dass U ⊆ N gilt, zu zeigen ist also N ⊆ U. Wegen (i)
wissen wir, dass gilt 1 ∈ U . Wegen (ii) folgt: 2 ∈ U . Wieder wegen (ii) folgt 3 ∈ U , und
so weiter. Um zu zeigen, dass die natürliche Zahl 1000 zu U gehört, müssen wir also
999 mal die Regel (ii) anwenden...
Man nennt diese Aussagen (N1) - (N5) die Peano-Axiome für die natürlichen
Zahlen.
Die Bedeutung der Axiome (N3) und (N4) kann man sich
folgendermaßen klar machen: Betrachten wir eine Menge M
Leitfaden
9-2
mit einem Element m0 und einer Abbildung ν : M → M ,
für die eine Regel wir in (N5) notiert, gilt:
(N5’): Ist U ⊆ M eine Teilmenge, mit folgenden beiden Eigenschaften: Erstens, m0 ∈ U . Zweitens: Ist x ∈ U, so ist
auch ν(x) ∈ U . Dann ist U = M .
Man sieht mühelos, dann dann einer der drei folgenden
Fälle vorliegen muss:
m0 • ............................ • ........................... • ............................ • .......................... · · ·
m0. • ........................... • .
.........
......
.....
.....
.....
.....
..... .
..........
..
.
.....
.....
.......
........
• ..
m0 • ........................... •
..
.
• ........................... •
.....
•
• .................................... • ...................... • ......
.....
..... .
...........
...
.....
.....
.....
•..
..
..
..
• ............................ •
.
.....
.....
.......
.........
•
dabei haben wir jeweils einen Pfeil von x nach ν(x) gezeichnet.
Im ersten Fall ist ν injektiv und m0 gehört nicht zum Bild
von ν, es sind also Axiome entsprechend zu (N3) und (N4)
erfüllt. Im zweiten Fall ist m0 im Bild von ν, im dritten
Fall ist ν nicht injektiv.
Beachte, dass in den Fällen zwei und drei die Menge M
endlich ist, im ersten Fall muss dagegen M eine unendliche
Menge sein.
Beweise mit vollständiger Induktion. Die Regel (b) wird oft verwendet, um
zu zeigen, dass Formeln, die von einer natürlichen Zahl n abhängen, richtig sind, Wir
betrachten dabei eine Formel P (n), etwa
Xn
t=1
t =
n(n + 1)
.
2
Für n = 1, 2, 3, 4, . . . handelt es sich also um die Formeln
1·2
2
P (1)
1=
P (2)
1+2=
P (3)
1+2+3=
P (4)
1+2+3+4 =
2·3
2
3·4
2
4·5
2
9-3
Funktionen
Hier der Beweis mit vollständiger Induktion: Die Formel P (1) ist offensichtlich richtig.
Wir nehmen nun an, dass P (n) richtig ist, dass also gilt
Xn
t=1
t=
n(n + 1)
.
2
Wir berechnen die linke Seite von P (n + 1) wie folgt:
Xn+1
t=1
t=
Xn
t=1
t +n+1
n(n + 1)
+n+1
2
n(n + 1) + 2(n + 1)
=
2
2
(n + 1)(n + 2)
n + n + 2n + 2
=
,
=
2
2
=
rechts steht aber gerade die rechte Seite der Formel P (n + 1).
Die beiden Schritte für den Beweis einer Formel P (n) sind also:
(i) Man zeigt P (1) (man nennt dies die Induktionsverankerung).
(ii) Man setzt voraus, dass P (n) für eine natürliche Zahl n gilt, und folgert daraus,
dass dann auch P (n + 1) gilt (man nennt dies den Induktionsschritt).
Damit ist gezeigt, dass die Formel P (n) für alle natürlichen Zahlen gilt. Denn sei
U die Menge der natürlichen Zahlen n, für die P (n) gilt. Dies ist eine Teilmenge der
natürlichen Zahlen mit den Eigenschaften (b) (i) und (b) (ii), also U = N.
Hier ein weiteres Beispiel für einen Beweis mit vollständiger Induktion:
Satz. Für alle natürlichen Zahlen n und alle reellen Zahlen x 6= 0 gilt
Pn−1
P (n)
t=0
xt =
xn − 1
.
x−1
Beweis. Induktionsverankerung: Links steht x0 = 1, rechts steht
x−1
x−1
= 1.
Induktionsschritt: Wir setzen voraus, dass P (n) für eine natürliche Zahl n richtig
ist, und berechnen die linke Seite von P (n + 1)
Xn
t=0
xt =
Xn−1
t=0
xt + xn
xn − 1
+ xn
x−1
xn − 1 + xn (x − 1)
−1 + xn+1
=
=
,
x−1
x−1
=
wir erhalten also wirklich die rechte Seite von P (n + 1).
Leitfaden
9-4
Für beide Aussagen, die wir hier mit vollständiger Induktion bewiesen haben, gibt es auch andere (direkte) Beweise. Es gibt aber viele Aussagen, die man recht einfach mit
vollständiger Induktion beweisen kann und für die man keinen anderen Beweis kennt.
Vollständige Induktion wird auch in Definitionen verwandt. So kann man die Addition natürlicher Zahl folgendermaßen definieren: Seien m, n natürliche Zahlen, wir
definieren m+n wie folgt: Ist n = 1, so ist m+1 als der eindeutig bestimmte Nachfolger
von m definiert. Ist schon m + n definiert, so setzen wir
m + (m + 1) = (m + n) + 1.
Beispiel: Hier wird also 203 + 317 durch (203 + 316) + 1 definiert, also als die
Nachfolgezahl der schon definierten Zahl 203 + 316.
Durch die Gleichung 1 + 1 = 2 wird die Zahl 2 definiert, entsprechend ist 3 + 1 = 4
eine Definition. Die Gleichung 2 + 2 = 4 kann wie folgt bewiesen werden:
2 + 2 = (2 + 1) + 1 = 3 + 1 = 4
(das erste Gleichheitszeichen ist die Definition von +, das zweite die Definition von 3,
das dritte die Definition von 4).
Das Assoziativgesetz besagt: Für alle natürlichen Zahlen a, b, c gilt:
a + (b + c) = (a + b) + c
Für c = 1 ist dies die Definition von a + (b + 1). Aus a + (b + c) = (a + b) + c folgt
a + (b + (c + 1)) = a + ((b + c) + 1)
= (a + (b + c)) + 1
= ((a + b) + c) + 1
= (a + b) + (c + 1)
(dabei ist das dritte Gleichheitszeichen die Induktionsvoraussetzung, bei den restlichen
drei Gleichheitszeichen handelt es sich um den Spezialfall, dass der dritte Summand
gleich 1 ist).
Entsprechend, aber nicht ganz so einfach, zeigt man das
Kommutativgesetz der Addition mit Induktion.
Ebenfalls mit Induktion definiert man das Produkt m · n der natürlicher Zahlen:
Ist n = 1, so setzt man m · 1 = m. Ist schon m · n definiert, so setzt man
m · (n + 1) = m · n + m.
9-5
Funktionen
Wieder mit vollständiger Induktion kann man die zugehörigen Rechenregeln zeigen: das Assoziativgesetz und das
Kommutativgesetz der Multiplikation, wie auch das Distributivgesetz zeigen. All dies ist umständlich und trägt
wenig zum Verständnis bei. Für das Verständnis dieser Rechenregeln ist es wichtig, die Multiplikation geometrisch zu
interpretieren (Verwendung von Rechtecksmustern; Schokolade). Für all dies sei auf die Vorlesung Zahlbereiche verwiesen.
Nicht nur Addition und Multiplikation sind zu erwähnen; wichtig ist auch, dass
N eine Ordnungs-Struktur trägt. Man definiert m < n, falls es eine natürliche Zahl m′
mit m + m′ = n gibt.
Zum Axiom (N5) ist das folgende Axiom (N6) äquivalent:
(N6) Jede nicht-leere Teilmenge U von N hat ein kleinstes Element u (es gibt also u ∈ U ,
sodass gilt: u ≤ u′ für alle u′ ∈ U ).
Wir skizzieren, wie man die Äquivalenz zeigt. Also erstes setzen wir (N5) voraus
und betrachten eine Teilmenge U ⊆ N, die kein kleinstes Element besitzt. Mit Induktion
zeigen wir U ∩ {1, 2, . . . , n} = ∅. Daraus folgt aber U ∩ N = ∅ und demnach ist U die
leere Menge. Damit ist (N6) bewiesen.
Umgekehrt werde (N6) vorausgesetzt. Sei U ⊆ N mit 1 ∈ U , sodass gilt: Ist n ∈ U,
so ist auch n + 1 ∈ U . Wir zeigen, dass U ′ = N \ U die leere Menge ist. Wäre U ′ nicht
leer, so würde U ′ nach (N6) ein kleines Element u enthalten. Es ist u 6= 1, denn wir
setzen 1 ∈ U voraus. Also ist u = n + 1 für eine natürliche Zahl n. Da n + 1 das kleinste
Element in U ′ ist, ist n ∈
/ U ′ , also n ∈ U . Dann ist aber nach Voraussetzung n + 1 ∈ U,
im Widerspruch zu n + 1 ∈ U ′ . Insgesamt sehen wir, dass U ′ leer, also U = N ist.
Herausgearbeitet werden sollte:
• Es gibt keine größte natürliche Zahl.
Denn es gilt: Zu jeder natürlichen Zahl n gibt es den Nachfolger n + 1. Dies wurde
gleich zu Beginn als Eigenschaft (N2) formuliert.
9.2. Von N zu R.
Wie wir wissen, können natürliche Zahlen addiert und multipliziert werden: Addition und Multiplikation sind Abbildungen
N2 −→ N
(dabei ist N2 = N × N die Menge der Paare (a, b) natürlicher Zahlen). Subtraktion und
Division sind dagegen nur auf Teilmengen von N2 definiert: die Subtraktion auf der
Menge
{(a, b) ∈ N2 | a > b},
Leitfaden
9-6
die Division auf der Menge
{(a, b) ∈ N2 | es gibt b′ ∈ N mit a = bb′ }.
Auch interessiert uns zum Beispiel das Quadrieren, das auf ganz N definiert ist, während
die Umkehr-Operation, das Wurzelziehen, wieder nur auf einer echten Teilmenge, nämlich
der Menge der Quadratzahlen, definiert ist.
Die Konstruktion von R dient dazu, neue Zahlen zur Verfügung zu stellen, um
Rechen-Operationen zu ermöglichen, die vorher nicht möglich war.
Drei Konstruktionsschritte sind notwendig, um aus den natürlichen Zahlen die
reellen Zahlen zu konstruieren.
(a) Das Hinzufügen der Null und der jeweiligen negativen Zahlen (man erreicht auf
diese Weise, dass die Subtraktion für alle Zahlenpaare definiert ist). In diesem
Schritt wird also die Addition invertierbar gemacht.
(m) Das Hinzufügen von Quotienten. In diesem Schritt wird die Multiplikation so
weit möglich invertierbar gemacht.
(v) Das Vervollständigen durch Intervall-Schachtelungen.
N
Z
Q
R
Q+
R+
Die relevanten Zahlmengen sind die folgenden
die Menge der natürlichen Zahlen {1, 2, 3, . . . }.
die Menge der ganzen Zahlen . . . , −2, −1, 0, 1, 2, . . ..
die Menge der rationalen Zahlen,
die Menge der reellen Zahlen.
die Menge der positiven rationalen Zahlen,
die Menge der positiven reellen Zahlen.
Das Inklusionsdiagramm hat die folgende Form:
.
....
v.................
Z .....
....
....
.....
.....
.
.
.
.
....
....
m
Q ...
a
.....
.....
.....
.....
.....
.
...
.....
R+
.....
.....
.....
.....
.....
...
a
....
....
.....
.....
.
.
.
.
....
....
v
Q+
....
Z .....
....
....
.....
.....
.
.
.
.....
.....
.....
a ................
m
N
Wie man sieht, gibt es drei verschiedene Wege, um von N zu R zu gelangen. In
theoretischen Überlegungen wird meist der linke gewählt: Durch den Prozess (a) erhält
man aus N den “Ring” der ganzen Zahlen, durch (m) den “Körper” der rationalen
Zahlen, dieser wird schließlich vervollständigt. In den Schulen wird meist der mittlere
Weg eingeschlagen: in den Klassen 5 und 6 wird die Bruchrechnung behandelt, in Klasse
7 die negativen Zahlen, erst in Klasse 9 die reellen Zahlen. Allerdings wird gegenwärtig
durchaus diskutiert, ob nicht die negativen Zahlen vor den Brüchen behandelt werden
sollten (also der linke Weg). Es gibt verschiedene Möglichkeiten, von Q zu R zu gelangen
9-7
Funktionen
(Intervallschachtelung, Cauchy-Folgen, Dedekind’sche Schnitte); immer gibt es dabei
aber gewisse Schwierigkeiten, die die Multiplikation mit negativen Zahlen betreffen.
Derartige Schwierigkeiten werden beim rechten Weg vermieden, insofern erscheint er
am einfachsten zu sein.
Malle hat im Heft 140 der Zeitschrift ml darauf hingewiesen, dass dieser Weg auch
der historischen Entwicklung entspreche. Dabei kann man festhalten:
• Die Griechen arbeiteten mit Brüchen (Pythagoras), aber auch mit irrationalen
Zahlen.
• Schon für Petrus Ramus (1515-1572) waren die positiven rationalen Zahlen nicht
nur ein Hilfsmittel, sondern echte Zahlen.
• Simon Stevin (1548-1620) arbeitete heraus, dass Zahlen Quantitäten sein sollten,
dass Längen von Strecken wirklich Zahlen sind.
• Erst im 19.Jahrhundert wurden auch die negativen Zahlen als echte Zahlen angesehen, siehe zum Beispiel Martin Ohm (1792-1872).
Schaut man sich die Entwicklung des Zahlbegriffs an, so
lässt sich schon aus den verwendeten Begriffen ablesen, dass
hier mit großen Schwierigkeiten gekämpft wurde, spricht
man doch von negativen Zahlen, von irrationalen Zahlen, von imaginären Zahlen.
Die in den folgenden Abschnitten vorgestellten Konstruktionen von Zahlsystemen
arbeiten jeweils mit “Äquivalenzrelationen”.
Äquivalenz-Relationen. Es sei daran erinnert dass man jede Teilmenge U ⊆
A × B eine Relation zwischen A und B nennt, dabei sind A und B Mengen. Eine
Äquivalenz-Relation auf einer Menge M ist eine Untermenge U ⊆ M 2 = M × M mit
folgenden drei Eigenschaften:
(i) (Reflexivität) Für jedes m ∈ M ist (m, m) ∈ U.
(ii) (Symmetrie) Ist (m, m′ ) ∈ U , so ist auch (m′ , m) ∈ U.
(iii) (Transitivität) Sind (m, m′ ), (m′ , m′′ ) ∈ U , so ist auch (m, m′′ ) ∈ U.
Ist U ⊆ M 2 eine Äquivalenzrelation so schreibt man meist m ∼ m′ falls (m, m′ ) ∈ U
und nennt die Elemente m, m′ äquivalent; jedem Element m ∈ M kann man seine
Äquivalenzklasse [m] zuordnen, dies ist die Menge der zu m äquivalenten Elemente
von M , also
[m] = {m′ ∈ M | m′ ∼ m}.
Wegen der Bedingung (i) ist m ∈ [m]. Wegen der Bedingungen (ii) und (iii) gilt: Sind
m1 , m2 ∈ M und ist [m1 ] ∩ [m2 ] 6= ∅, so ist [m1 ] = [m2 ]. Insgesamt gilt also: Jedes
Element von M gehört zu genau einer Äquivalenz-Klasse. Mit M/ ∼ bezeichnet man
die Menge der Äquivalenzklassen.
Bei den folgenden Konstruktionen von Zahlsystemen werden wir jeweils mit einem
schon konstruierten Zahlsystem beginnen, dann auf einer geeigneten Menge M eine
Äquivalenzrelation definieren und M/ ∼ wird das neue Zahlsystem sein. Wir werden
jeweils zeigen, wie auf der Menge M/ ∼ Addition, Multiplikation und Anordnung
Leitfaden
9-8
definiert sind, verzichten aber darauf, nachzuweisen, dass die üblichen Rechenregeln
(wie Kommutativität, Assoziativität, usw.) erfüllt sind.
9.3. Das Hinzufügen negativer Zahlen.
Ausgangspunkt sei die Menge N der natürlichen Zahlen. Wie wird Z konstruiert?
Warum werden negative Zahlen gebraucht? Rechnungen der Form 2 − 4 oder 3 − 5
sind in N nicht durchführbar, sollten aber, wenn sie durchführbar wären, zum gleichen
Ergebnis führen. Wir betrachten daher derartige Paare (2 | 4), (3 | 5), nennen sie
äquivalent (hier also alle Paare (a | b) mit a + 4 = b + 2) und nehmen als Zahl −2 diese
Äquivalenzklasse. In dieser Interpretation ist also eine ganze Zahl z nichts anderes als
die Menge der Paare (a | b) ∈ N2 mit a − b = z (diese Paare liegen alle auf der Geraden
mit Steigung 1, die durch den Punkt (a | b) geht).
Wir gehen also aus von der Grundmenge M = N2 , und betrachten auf M die
Äquivalenz-Relation ∼, die folgendermaßen definiert ist:
(a, b) ∼ (c, d) genau dann, wenn
a + d = b + c.
Nach Definition ist Z = N2 / ∼ .
Man kann die Paare (a|b) auch inhaltlich interpretieren, zum Beispiel in einem
Geldmodell: jemand hat gleichzeitig ein Guthaben in Höhe a und Schulden in Höhe b.
Hier eine Veranschaulichung der Äquivalenzklassen: es handelt sich bei jeder Äquivalenzklasse um die Paare (a, b) ∈ N, die auf einer Geraden mit Steigung 1 liegen:
..
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•
•
•
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•
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...........................................................................................................................................................................................................................................................................................
◦
−3
◦
−2
◦
−1
◦
0
1
2
3
4
...
5
Ist a > b, so gibt es b′ mit a = b + b′ . In diesem Fall können wir die Äquivalenzklasse
des Paares (a, b) mit der natürlichen Zahl b′ identifizieren (in diesem Fall ist die Subtraktionsaufgabe a − b schon in N lösbar, die Lösung ist b′ ). Ist dagegen a < b, also
b = a + a′ mit a′ ∈ N, so bezeichnen wir die Äquivalenzklasse des Paares (a, b) mit
−a′ . Im Fall a = b wird die Äquivalenzklasse des Paares (a, a) mit Null bezeichnet,
geschrieben: 0.
Wir sehen also, dass wir eine Äquivalenzklasse erhalten, die mit Null bezeichnet
wird: sie besteht aus den Paaren (a, a) mit a ∈ N. Ansonsten gibt es zu jeder natürlichen
Zahl n eine ganze Zahl, die mit −n bezeichnet wird und für die n + (−n) = 0 gilt.
Wir erhalten auf diese Weise die Menge Z der ganzen Zahlen.
9-9
Funktionen
Auf dieser Menge definieren wir eine Addition auf folgende Weise: Die Summe
der Äquivalenzklassen von (a, b) und (c, d) sei die Äquivalenzklasse von (a + c, b + d).
(Inhaltliche Interpretation: das Addieren von Guthaben a, Schulden b und Guthaben
c, Schulden d liefert ein Guthaben a + c und Schulden b + d.)
Die Multiplikation ist auf folgende Weise definiert: Das Produkt der Äquivalenzklassen von (a, b) und (c, d) sei die Äquivalenzklasse von (ac + bd, ad + bc).
Schließlich definieren wir die Anordnung durch (a, b) ≤ (c, d), falls a + d ≤ b + c.
Durch |(a, b)| = max(a − b, b − a) erhalten wir eine Abbildung Z → N ∪ {0}, man
nennt dies die Betragsfunktion.
Wir sind bisher von der Menge N der natürlichen Zahlen ausgegangen und haben
die ganzen Zahlen Z konstruiert. Beginnen wir mit den positiven rationalen Zahlen Q+ ,
so erhalten wir auf die gleiche Weise die rationalen Zahlen Q. Beginnen wir mit den
positiven reellen Zahlen R+ , so erhalten wir auf die gleiche Weise die reellen Zahlen R.
Hervorzuheben ist jeweils die Betragsfunktion | − |, dies ist eine Abbildung
R → R+ ∪ {0}
mit den folgenden Eigenschaften
|a| = 0 nur für a = 0,
|ab| = |a| · |b|
|a + b| ≤ |a| + |b| (Dreiecks-Ungleichung).
Bezeichnet man die Menge der negativen ganzen, rationalen, oder reellen Zahlen
mit Z− , Q− , beziehungsweise R− , so erhält man folgende Zerlegungen
Z = Z− ∪ {0} ∪ N,
Q = Q− ∪ {0} ∪ Q+ ,
R = R− ∪ {0} ∪ R+ ,
und die Betragsfunktion liefert Bijektionen
Z− −→ N,
Q− −→ Q+ ,
R− −→ R+ .
9.4. Die Konstruktion von Brüchen.
Ausgangspunkt sei wieder die Menge N der natürlichen Zahlen. Wie wird Q+
konstruiert?
Leitfaden
9-10
Warum werden Brüche gebraucht? Rechnungen der Form 2/4 oder 3/6 sind in N
nicht durchführbar, sollten aber, wenn sie durchführbar wären, zum gleichen Ergebnis
führen. Wir betrachten daher derartige Paare (2 | 4), (3 | 6), nennen sie äquivalent (hier
also alle Paare (a | b) mit 2 · a = b) und nehmen als Zahl 12 diese Äquivalenzklasse.
In dieser Interpretation ist also der Bruch ab nichts anderes als die Menge der Paare
(c | d) ∈ N2 mit ad = cb; diese Paare liegen alle auf der Ursprungsgeraden die durch
den Punkt (a | b) geht.
Wir gehen hier also wieder von der Grundmenge M = N2 aus, betrachten diesmal
aber auf M die Äquivalenz-Relation ∼, die folgendermaßen definiert ist:
(a, b) ∼ (c, d) genau dann, wenn
ad = bc.
Nach Definition ist nun Q+ = N2 / ∼ . Die Äquivalenzklasse des Paares (a, b) wird
üblicherweise mit ab bezeichnet.
Hier eine Veranschaulichung der Äquivalenzklassen: es handelt sich bei jeder Äquivalenzklasse um die Paare (a, b) ∈ N, die auf einer festen Ursprungsgeraden liegen:
.
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.. ...... .... ......... ...... ............................... ......... ........... ..............
............. .....................................................................
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.. ..... .. ....... ..... ....................... ........ .......... ...........
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... ................................................................................................... ...............................................................................................
... ................................................................................ ............................................................
.. .....................................................................................................................................................
..............................................................................................................................
.......................................................................................
.....................................................................................................................................................................................................................................................
•
•
•
•
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•
•
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•
•
•
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•
•
•
•
•
•
◦
Wir erhalten auf diese Weise die Menge Q+ der positiven rationalen Zahlen.
Auf dieser Menge definieren wir eine Addition auf folgende Weise: Die Summe
der Äquivalenzklassen von (a, b) und (c, d) sei die Äquivalenzklasse von (ad + bc, bd).
Die Multiplikation ist auf folgende Weise definiert: Das Produkt der Äquivalenzklassen von (a, b) und (c, d) sei die Äquivalenzklasse von (ac, bd).
Schließlich definieren wir die Anordnung durch (a, b) ≤ (c, d), falls ad ≤ bc.
Archimedische Eigenschaft. Sind x, y ∈ Q+ , so gibt es eine natürliche Zahl n
mit nx > y.
Beweis: Sei x =
a
b
und y = dc . Sei n = bc + 1. Dann ist
nx = (bc + 1) ab = ca +
a
b
≥ c+
a
b
>c≥
c
d
= y.
Die in den Abschnitten 9.3 und 9.4 geschilderten Konstruktionen gehören eigentlich in eine Vorlesung zum Thema
“Zahlbereiche”.
9-11
Funktionen
9.5. Quadratwurzeln.
√
Satz. 2 ist nicht rational.
√
√
Beweis: Angenommen, 2 ist rational. Schreibe 2 = ab mit natürlichen Zahlen
a,
haben. Aus
√ b. Wir können annehmen, dass a und b 2keinen2 gemeinsamen Primfaktor
2b = a folgt, dass durch Quadrieren 2b = a . Demnach ist a2 gerade. Dann muss
aber auch a gerade sein. Demnach ist a2 durch 4 teilbar. Wegen a2 = 2b2 sehen wir,
dass 2b2 durch 4 teilbar ist, also ist b2 durch 2 teilbar, und demnach auch b durch 2
teilbar.
Wir haben hier die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung
einer natürlichen Zahl verwendet, dies ist ein keineswegs offensichtlicher Sachverhalt! Man kann die Behauptung auch
ohne Verwendung
√ vonaPrimfaktorzerlegungen beweisen:
Angenommen, 2 = b mit natürlichen Zahlen a, b. Es ist
√
also b 2 = √
a ∈ N. Wir sehen also: es gibt eine natürliche
Zahl b mit b 2 ∈ N, und wir können annehmen, dass b minimal mit dieser
Eigenschaft gewählt wurde.
√
Es ist 1 < 2 < 2, also
0<
√
2 − 1 < 1.
√
√
Sei r = b( 2 − 1) = b 2 − b. Dies ist wieder eine natürliche
Zahl und es gilt
√
0 < r = b( 2 − 1) < b.
Andererseits ist aber
√
√
√
√
√
√
r 2 = (b 2 − b) 2 = b( 2)2 − b 2 = 2b − b 2
eine natürliche Zahl.
√
Natürlich ist 2 eine wohlbestimmte reelle Zahl: man kann sie mühelos auf der
Zahlengerade konstruieren:
..
...........................................................
..
.. ........
...
.. .... ....
..
.
... ..
...
..
..
...
..
..
..
...
..
.
...
...
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...
..
...
...
.. ..
...
....
.
.
.
.
.....................................................•
.................................................................................................................
...
..
√
2
Man beginnt mit einem Quadrat, dessen eine Seite das Intervall [0 | 1] ist, und schlägt
einen Kreis um den Ursprung, der durch die gegenüberliegende Ecke geht.
Leitfaden
9-12
Das Heron-Verfahren. Frage: Wie kann man
√
2 berechnen?
Gesucht sei die Quadratwurzel einer positiven reellen Zahl r. Sei x0 > 0 ein Startwert. Ist schon xn definiert, setze
xn+1 =
1
2
xn +
r .
xn
Behauptung: Wir erhalten eine Intervallschachtelung durch die Intervalle mit den Endpunkten xn und yn = r/xn .
Hilfssatz (Vergleich des geometrischen und des arithmetischen Mittels).
Sind a, b positive reelle Zahlen, so gilt
√
ab ≤ 21 (a + b).
(Zusatz: Das Gleichheitszeichen gilt nur für a = b.)
Beweis: Betrachte das rechtwinklige Dreieck mit Hypotenusenabschnitten
√a, b. Ist
2
h die Höhe, so besagt der Höhensatz von Euklid, dass h = ab gilt, also h = ab. Der
Radius des Thales-Kreises ist 12 (a + b) und natürlich ist h ≤ 21 (a + b).
...........................
.............
...................
.......
...... .... ... .......
......
...... ... .... ...... .........
.....
.
.
.
.
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....
......
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... ..
.. ....
.....
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... ...........
...
...
......
.. ......
.
.
..................................................................................................................
h
a
b
Beweis, dass das Heron-Verfahren eine Intervall-Schachtelung liefert. Sei
0 < y < x.
Sei r = xy (es ist dann also y = xr .). Als erstes sehen wir:
y<
√
r < x.
(Beweis: Multiplikation von 0 < y < x erst mit y, dann mit x, liefert y 2 < xy < x2 . Da
auch das Wurzelziehen monoton ist, folgt die Behauptung). Die Ungleichung zwischen
geometrischem und arithmetischem Mittelwert liefert für das arithmetische Mittel x′ =
1
(x + y):
2
√
y < r < x′ < x.
Setze y ′ =
r
.
x′
Es gilt
y < y′ <
√
r.
(Beweis: Aus√x′ < x folgt x′ y < xy =√
r, also y < xr′ = y ′ , dies ist die erste Ungleichung.
r
r
′
′
Es ist √r = r < x , also y = x′ < r, dies ist die zweite Ungleichung.)
9-13
Funktionen
Insgesamt ergibt sich also das folgende Bild:
√
r
...
y..
.
. .
x
.
..........................................................................................................................................................
. ...
.
.
.
. ..
.
...................................
′ ....
′
.
..
y
x
Da x′ das arithmetische Mittel von x und y ist, ist
x′ − y ′ < x′ − y =
1
(x − y),
2
das neue Intervall ist also weniger als halb so lang wie das Ausgangsintervall.
√
Beispiel: Wir approximieren 2, Ausgangswert sei x0 = 2.
yn
n
xn
...........................................................................................................................................................................................................................................................................
0
1
2
3
4
1
1, 333333333
1, 411764706
1, 414211438
1, 414213562
2
1, 5
1, 414215686
1, 414213562
1, 414213562
dabei wird jeweils erst xn+1 , danach yn+1 berechnet, und zwar vermöge der Formeln
yn+1 =
r
xn+1
,
xn+1 = 21 (xn + yn ).
Geometrische Interpretation:
Gesucht ist ein Quadrat mit dem Flächeninhalt
√
r, also mit der Seitenlänge r. Konstruiert wird zu vorgegebener Seitenlänge xn ein
Rechteck mit Flächeninhalt r: die zweite Seitenlänge muss natürlich yn = r/xn sein.
Als Verbesserung wählen wir im nächsten Schritt statt xn das arithmetische Mittel
xn+1 von xn und yn , usw. Hier die ersten drei Rechtecke für r = 12 und x0 = 6:
.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
.
.
.
.
... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ..... .... ....
...
...
.
.
...
.
..
.
...
.
..
.
.
..............................................................................................................................................................................
.
....
...
..
.
.
..
..
.
...
..
...
.
...
.
.
.
....
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..
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..
..
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...
.
...
..
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...
.
.
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.
....
..
.
.
.
..
..
.
.
...
...
.
..
...
.
.
...................................................................................................................................................................................
• Man beginnt mit dem Rechteck mit Seitenlängen 6 und 2.
• betrachtet im nächsten Schritt das Rechteck mit Seitenlängen 4 und 3 (gestrichelt),
• dann im dritten Schritt das Rechteck mit Seitenlängen 3,5 und 3,43 (gepunktet),
usw.
Leitfaden
9-14
Bermerkung: Mittelwerte. Seien 0 < y ≤ x reelle Zahlen. Setze
2xy
,
x+y
√
g(x, y) = xy,
h(x, y) =
a(x, y) = 21 (x + y).
Man nennt h(x, y) das harmonische Mittel, g(x, y) das geometrische Mittel, a(x, y) das
arithmetische Mittel.
Ist x = y, so ist
y = h(x, y) = g(x, y) = a(x, y) = x.
Ist dagegen y < x, so ist
y < h(x, y) < g(x, y) < a(x, y) < x.
Es gilt immer
g(x, y)2 = xy = h(x, y) · a(x, y),
dies ist die Basis für das Heron-Verfahren.
Heron von Alexandria lebte wohl im 1.Jahrhundert
u.Z..
Das Heron-Verfahren wird auch babylonisches Wurzelziehen genannt, da schon die Babylonier es kannten.
9.6. Ganz allgemein: Intervall-Schachtelungen.
von
(i)
(i′ )
(ii)
(iii)
Definition. Unter einer Intervall-Schachtelung han , bn i versteht man Folgen an , bn
reellen Zahlen mit den folgenden Eigenschaften:
Die Folge der an ist monoton wachsend: es ist also an ≤ an+1 für alle n.
Die Folge der bn ist monoton fallend: es ist also bn+1 ≤ bn für alle n.
Es gilt an ≤ bn für alle n.
Die Folge bn − an ist eine Nullfolge.
Zwei Intervall-Schachtelungen han , bn i und ha′n , b′n i heißen äquivalent, wenn an ≤
b′n und a′n ≤ bn für alle n gilt.
Um nun R+ zu definieren, betrachten wir als Grundmenge M die Menge der
Intervall-Schachtelungen han , bn i, wobei an und bn Folgen rationaler Zahlen sind, mit
der gerade notierten Äquivalenz-Relation ∼, Nach Definition ist R+ = M/ ∼ .
Auf dieser Menge definieren wir eine Addition auf folgende Weise: Die Summe
der Äquivalenzklassen von han , bn i und hcn , dn i sei die Äquivalenzklasse von han +
cn , bn + dn i.
Das Produkt der Äquivalenzklassen von han , bn i und hcn , dn i sei die Äquivalenzklasse von han cn , bn dn i. Damit ist die Multiplikation ist definiert.
9-15
Funktionen
Schließlich definieren wir die Anordnung durch han , bn i ≤ hcn , dn i, falls an ≤ b′n
für alle n gilt.
Es gilt nun:
Archimedische Eigenschaft. Sind x, y ∈ R+ , so gibt es eine natürliche Zahl n
mit nx > y.
Beweis: Sei x die Äquivalenzklasse von han , bn i und y die von hcn , dn i. Zu a1 und
d1 gibt es eine natürliche Zahl t mit ta1 > d1 , denn a1 , d1 sind positive rationale
Zahlen, und für positive rationale Zahlen gilt die archimedische Eigenschaft. Man sieht
unmittelbar, dass dann auch tx > y gilt.
Vollständigkeit. Zu jeder Intervall-Schachtelung han , bn i mit an , bn ∈ R+ gibt es
genau eine positive reelle Zahl x mit an ≤ x ≤ bn für alle n.
Beweis. [Fehlt]
Wir haben hier skizziert, wie man R+ mit Hilfe von IntervallSchachtelungen aus Q+ erhält. Es gibt andere Möglichkeiten zur Konstruktion der reellen Zahlen: die Verwendung
von Dedekind-Schnitten oder auch die von Cauchy-Folgen.
9.7. Die Dezimaldarstellung reeller Zahlen.
Bekanntlich kann jede natürliche Zahl n in der Form
n=
Xt
i=0
li · 10i
geschrieben werden, mit eindeutig bestimmten Zahlen li ∈ {0, 1, 2, . . . , 9} und lt 6= 0.
In der Praxis schreibt man einfach diese Ziffernfolge in umgekehrter Reihenfolge hin:
n = lt lt−1 · · · l1 l0 .
Oder umgekehrt: ist zum Beispiel die Ziffernfolge 30 912 gegeben, so interpretiert man
sie als
3 · 104 + 0 · 103 + 9 · 102 + 1 · 101 + 2 · 100 .
Man sagt, dass die Zahl 30 912 in Dezimaldarstellung gegeben ist.
Warnung. Wenn wir n = lt lt−1 · · · l1 l0 schreiben, so darf
man dies nicht mit dem üblichen Multiplizieren von Variablen verwechseln! Die Buchstabenkombination l1 l0 bedeutet 10 · l1 + l0 , also für l1 = 2 und l0 = 3 ist mit l1 l0 die
Zahl 2 · 10 + 3 = 23 und nicht etwa das Produkt 2 · 3 = 6
gemeint.
Die mögliche Verwirrung wird noch dadurch gesteigert, dass
Leitfaden
9-16
zum Beispiel in Zahlenrätseln derartige Buchstaben-Kombinationen durchaus den Charakter von Variablen haben
können.
Abbrechende Dezimalbrüche. Betrachtet man nun auch Potenzen 10i mit i
negativ, so erhält man Summen
(∗)
r=
Xt
i=s
li · 10i
mit s ≤ t in Z und Ziffern li ∈ {0, 1, 2, . . . , 9} s ≤ t ∈ Z, wobei wir wieder lt 6= 0
verlangen. Dies sind gerade die abbrechenden positiven Dezimalbrüche wie etwa
3, 1415926,
17, 5,
0, 000001.
Man schreibt die Zahl (∗) üblicherweise in der Form
r = lt lt−1 · · · l1 l0 , l−1 l−2 · · · ls
und es gilt wieder die Warnung, dass es sich bei den li um
Ziffern handelt, die nebeneinander hingeschrieben sind.
Offensichtlich gilt: Eine Zahl r ∈ Q+ lässt sich genau dann als abbrechende Dezimalbruch schreiben, wenn r von der Form r = pq ist, wobei q eine Zehnerpotenz ist.
Ganz allgemein: Positive Dezimalalbrüche. Um alle positiven reellen Zahlen
zu erhalten, betrachtet man ganz allgemein Ziffernfolgen der Form
lt lt−1 · · · l1 l0 , l−1 l−2 · · · ,
die nicht notwendigerweise abbrechen.
Hierbei handelt es sich um eine Intervall-Schachtelung han , bn i, bei der nur abbrechende Dezimalbrüche verwendet werden. Zum Beispiel liefert die Dezimaldarstellung
der Kreiszahl
π = 3, 1415926535897932 . . .
die folgende Intervall-Schachtelung
n
an
bn
bn − an
0
1
2
3
4
5
6
7
8
3
3, 1
3, 14
3, 141
3, 1415
3, 14159
3, 141592
3, 1415926
···
4
3, 2
3, 15
3, 142
3, 1416
3, 14160
3, 141593
3, 1415927
···
1
0, 1
0, 01
0, 001
0, 000 1
0, 000 01
0, 000 001
0, 000 000 1
9-17
Funktionen
Es gilt:
Satz. Die Dezimaldarstellung einer reellen Zahl ist eine Intervallschachtelung.
Beweis: Es genügt, den Fall einer reellen Zahl r mit 0 ≤ r < 1 zu betrachten. Sei
r = 0, l−1 l−2 · · · l−i · · ·
Setze
an = 0, l−1 l−2 · · · l−n
und
ab = 0, l−1 l−2 · · · l−n + 10−n .
Offensichtlich ist an eine monoton wachsende Folge. Es ist nicht schwer zu zeigen, dass
bn eine monoton fallende Folge ist. Natürlich ist an ≤ bn , nach Konstruktion weiß man
sogar, dass gilt: bn − an = 10−n , daher ist bn − an eine Nullfolge.
Satz. Man erhält auf diese Weise alle positiven reellen Zahlen.
Beweis: [fehlt]
Periodische Dezimalbrüche. Man nennt einen Dezimalbruch
lt lt−1 · · · l1 l0 , l−1 l−2 · · · ,
periodisch wenn es natürliche Zahlen p, n gibt mit l−i−p = l−i für alle i ≥ n, und man
schreibt dann
lt lt−1 · · · l1 l0 , l−1 l−2 · · · l−n+1 l−n · · · l−n−p+1 ,
also zum Beispiel
0, 231 statt 0, 231313131 · · · .
Satz. Sei r ∈ R+ . Genau dann ist r gemischt-periodisch, wenn r rational ist.
Beweis: [fehlt]
Wichtig. Es ist 0, 9 = 1.
Allgemeiner kann man statt der Zahl 10, die als Basis für die
Dezimaldarstellung genommen wird, jede natürliche Zahl
a > 1 als Basis nehmen. Man schreibt dann die natürliche
Zahl n in der Form
Xt
n=
li · ai
i=0
mit eindeutig bestimmten Zahlen li ∈ {0, 1, 2, . . . , a − 1},
für diese “Ziffern” braucht man dann jeweils Symbole.
Beispiele, die Verwendung finden:
• a = 2. Man nennt dies das Dualsystem, hier verwendet man
als Ziffern die Symbole 0 und 1. Alle Computer-Rechnungen
verwenden dieses Zahlsystem.
Leitfaden
9-18
• a = 16. Das Hexadezimalsystem, es wird in der Informatik
verwendet; als Ziffernmenge nimmt man
{0, 1, 2, . . . , 0, A, B, C, D, E, F }.
• a = 20. Die Inkas verwendet dieses System: sie zählten offensichtlich mit Fingern und Zehen . . . .
• a = 60 Das Sexagesimalsystem, es wurde von den Babyloniern verwendet.
9.8. Endlichkeit, Abzählbarkeit, Überabzählbarkeit.
Wir kehren zurück zu den natürlichen Zahlen N. Man verwendet sie zum Zählen:
zum Abzählen, um also festzustellen, wieviele Elemente eine vorgegebene Menge hat.
Sei M eine Menge. Gibt es eine natürliche Zahl n und eine Bijektion
{1, 2, . . . , n} −→ M,
so sagt man, dass M genau n Elemente hat (oder auch, dass die Kardinalität von M
gleich n ist). Gibt es eine derartige Zahl n, so sagt man, dass M nur endlich viele
Elemente hat.
Ist M nicht leer und gibt es keine Bijektion {1, 2, . . . , n} → M mit n ∈ N, so nennt
man M eine unendliche Menge.
Ist M eine unendliche Menge, so gibt es eine injektive Abbildung f : N → M (und
natürlich nur dann). Man nennt eine unendliche Menge M abzählbar, wenn es eine
Bijektion N → M gibt.
Beispiel 1. Die Menge Z der ganzen Zahlen ist abzählbar.
Beweis: Wir wollen die ganzen Zahlen auf folgende Weise anordnen:
0, 1, −1, 2, −2, 3, −3, 4, −4, ...
Wir beginnen also mit der Null, dann nehmen wir die 1 und die -1, danach die 2 und
die -2, usw. Man sieht sofort, dass man auf diese Weise alle ganzen Zahlen erhält,
und keine Zahl taucht dabei doppelt auf. Dies ist also offensichtlich eine Abzählung
der ganzen Zahlen. (Wir konstruieren hier also eine Bijektion f : N → Z wie folgt:
f (1) = 0, f (2) = 1, f (3) = −1, f (4) = 2, f (5) = −2, usw. Will man dies durch
eine Formal ausdrücken, so kann man dies hier unproblematisch: es ist f (2n) = n und
f (2n − 1) = −n.)
Beispiel 2. Die Menge N2 der Paare natürlicher Zahlen ist abzählbar.
Beweis: Wir nehmen folgende Anordnung;
(1, 1), (1, 2), (2, 1), (1, 3), (2, 2), (3, 1), (1, 4), (2, 3), . . . .
9-19
Funktionen
Das Abzählen erfolgt also nach folgender Vorschrift (durch Pfeile wird jeweils der
Nachfolger beschrieben):
•
..
........
................
....
...... .....
.... .......
..
............
..
....
..
....
...
...
...
.............. ........ ........
. ..
...... ......
..
.... ...... ........ ...........
..
..... ......
... ......
...
....
....
..
....
.....
...
.
.
...
.............. ...... ........ ........ ........
.
.
.
.
.
..
.
..... ....... .... ......... ....... .........
..
... ......... .... .......... ...... .........
...
....
.....
...
..
...
...
...
...
.............
..... .......
.....
... ... ..
...
..... .....
..... ....
.....
....... ..............
..
..... .....
.........
......
..........
.
..
.
.
.
.................
..............
.........
..........
..
...
..
...
...
..
..
...
......................................................................................................................
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Wir fassen jeweils die Paare (a, b) mit a + b = n zusammen; zuerst nehmen wir (1, 1),
dies ist das einzige Paare (a, b) mit a + b = 1. Dann kommen die beiden Paare (a, b)
mit a + b = 2, danach die Paare (a, b) mit a + b = 3, usw.
Satz. Die Menge Q der rationalen Zahlen ist abzählbar.
Hier kombinieren wir nun, was man in den Beispielen 1 und 2 lernen kann: statt
mit Brüchen pq arbeiten wir mit den Paaren (p, q) also Elementen in N2 . Außerdem
müssen wir beachten, dass Brüche gekürzt werden können.
0,
1, −1,
1
2 , 2,
1 2
3, 3,
1
2,
3
2,
···
dabei stehen in der Zeile, die mit
eine der Zahlen p, q gleich n ist.
1
n
2,
3, − 13 , − 23 , − 32 , −3,
beginnt, alle nicht-kürzbaren Brüche ± pq , fïr die
Satz. Die Menge R der reellen Zahlen ist nicht abzählbar.
Beweis (Cantor’sches Diagonal-Verfahren). Es handelt sich um einen Widerspruchsbeweis. Wir nehmen also an, R sei abzählbar. Sei etwa
(∗)
r 1 , r2 , . . .
eine Abzählung der reellen Zahlen. Sei jeweils [ri ] die größte ganze Zahl z mit z ≤ ri .
Sei
ri − [ri ] = 0, ri1 ri2 ri3 . . .
die Dezimaldarstellungen von ri −[ri ], hier ist also jedes rij eine der Ziffern 0, 1, 2, . . . , 9.
Wir konstruieren eine reelle Zahl s folgendermaßen: die Dezimaldarstellung von s
sei
s = 0, s1 s2 s3 . . .
Leitfaden
9-20
dabei sei si = 0 falls rii = 1, und es sei si = 1 falls rii 6= 1.
Da s eine reelle Zahl ist, und alle reellen Zahlen in der Abzählung (∗) vorkommen,
muss es einen Index j mit s = rj geben. Es ist 0 ≤ s < 1, also ist auch 0 ≤ rj < 1.
Demnach ist [rj ] = 0 und daher ist
0, s1 s2 s3 · · · = s = rj − [rj ] = 0, rj1 rj2 rj3 . . .
Wir schauen uns die Ziffer an der j-ten Stelle hinter dem Komma an: Es muss gelten
sj = rjj .
Dies widerspricht aber der Definition von sj , denn ist rjj = 1, so ist sj = 0, ist dagegen
rjj 6= 1, so ist sj = 1.
Dieser Widerspruch zeigt, dass es keine Abzählung geben kann.
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