Die Ideologie des Salafismus - Theologische Gemeinsamkeiten und

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Erschienen in der Reihe
Herausgeber der Reihe
Anschrift des Autors
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Studies on Islamic Cultures and Societies
No. 1-2014
Fabian Wagener
Die Ideologie des Salafismus
Theologische Gemeinsamkeiten und politische Friktionen
Eine Untersuchung
unter besonderer Berücksichtigung der
ägyptischen Salafīya
Seminar für Arabistik und Islamwissenschaft - Philosophische Fakultät
Georg-August-Universität Göttingen
2014
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
............................................ 3
1.1
Zur Gliederung ................................................................................................. 6
1.2
Zu Ideologiebegriff und Quellenauswahl ......................................................... 7
2
Begriffsbestimmung und theoretischer Hintergrund ..................................... 10
2.1
Salafismus ....................................................................................................... 10
2.2
Islamismus ...................................................................................................... 19
2.3
Fundamentalismus .......................................................................................... 22
3
Ideologischer Hintergrund: Saudi Arabien und die Wahhābīya ................... 27
3.1
Zum Begriff Wahhābīya ................................................................................. 29
3.2
Theologie ........................................................................................................ 30
3.3
Politik.............................................................................................................. 33
Das einende Band: Die salafistische ʿaqīda
4
Das salafistische tauḥīd-Konzept ................................................................... 41
4.1
4.1.1
Tauḥīd ar-rubūbīya
4.1.2
Tauḥīd al-ulūhīya
.............................................................. 41
................................................................. 42
4.1.2.1
Das Hilfegesuch beim Propheten und die Richtlinien des takfīr
4.1.2.2
Der Prophetengeburtstag und die Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ
Tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt
4.1.3
5
.......................................... 39
43
.. 46
................................................... 54
Der trennende Faktor: Salafismus und Politik
.......................................... 60
5.1
Puristischer Salafismus ................................................................................... 60
5.2
Politischer Salafismus..................................................................................... 67
5.3
Fallbeispiel: Die ägyptische Salafīya vor, während und nach der
Revolution ...................................................................................................... 69
5.3.1
Die ägyptische Salafīya vor und während der Revolution ................. 69
5.3.1.1
Die ägyptische Salafīya und politische Partizipation ......................... 69
5.3.1.2
Die ägyptische Salafīya und das Mubārak-Regime
5.3.2
Die ägyptische Salafīya nach der Revolution
................... 73
...................... 77
6
Fazit
.......................................... 87
7
Literaturverzeichnis
.......................................... 90
7.1
Bücher, Aufsätze und Artikel .......................................................................... 90
7.2
Quellen aus dem Internet ................................................................................ 93
2
1 Einleitung1
Im Januar 2012 gab die ägyptische Wahlkommission das offizielle Endergebnis der ersten
Parlamentswahlen
nach
dem
Sturz
Ḥusnī
Mubāraks
bekannt.
Dass
die
der
Muslimbruderschaft nahestehende „Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“ (Ḥizb al-Ḥurrīya wal-ʿAdāla) dabei einen eindeutigen Wahlsieg erlangen konnte, dürfte die wenigsten Beobachter
überrascht haben. Weit überraschender erscheint indes das gute Abschneiden der
salafistischen „Partei des Lichts“ (Ḥizb an-Nūr), die mit über 20 Prozent der Stimmen zur
zweitstärksten Kraft im neugewählten Parlament avancierte. Dieses Ergebnis ist vor allem
deshalb bemerkenswert, weil die ägyptische Salafīya vor der Revolution politisch kaum in
Erscheinung getreten ist. Im Gegenteil: Weite Teile des salafistischen Milieus zeichneten sich
durch ein ausgesprochen hohes Maß an Skepsis gegenüber jeglicher Form politischen
Engagements aus. Dieser „politische Skeptizismus“ trat im Frühstadium der ägyptischen
Revolution offen zu Tage, als die bekanntesten salafistischen Organisationen die
regimekritischen Demonstrationen verurteilten und ihren Anhängern von der Teilnahme an
diesen abrieten.2
Die Politisierungstendenzen innerhalb der ägyptischen Salafīya haben dazu beigetragen, dass
sich der mediale und wissenschaftliche Blick auf den salafistischen Islam geöffnet hat. Wurde
dieser lange Zeit v.a. vor dem Hintergrund sicherheitspolitischer Erwägungen betrachtet und
mit ǧihādistischen Organisationen wie al-Qaida in Verbindung gebracht, wird er heute als weit
vielfältigere globale und transnationale Strömung wahrgenommen.3
Bei der Beschäftigung mit der medialen und wissenschaftlichen Literatur zum Salafismus
stößt man häufig auf zwei unterschiedliche und sich im Kern widersprechende
Deutungsmuster. Während die Einen im Salafismus eine besonders strikte und
traditionalistische Variante des Islams zu erkennen glauben, halten die Anderen den
Salafismus für eine moderne und anti-traditionalistische Bewegung.
Als Beispiel für die erstgenannte Deutung lässt sich ein im vergangenen Jahr erschienener
Artikel des Spiegel anführen, in dem der Salafismus als „streng konservativer“ und „streng
1 Die vorliegende Arbeit basiert im Wesentlichen auf der Magisterarbeit des Autors, die im April 2013 an der
Universität Göttingen eingereicht wurde..
2 Vgl. Amīma ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, Doha 2011, S. 3-5.
Unter: http://www.dohainstitute.org/file/pdfViewer/fb4a7d15-29e4-49f8-97fb-7db0fd298c15.pdf Letzter
Zugriff: 1.3.2013.
3 Tendenzen in diese Richtung lassen sich bereits vor den arabischen Revolutionen ausmachen. So erschien die
aus meiner Sicht differenzierteste Darstellung des Salafismus mit Roel Meijers Sammelband Global Salafism
– Islam´s New Religious Movement bereits 2009. Gleichwohl nimmt die Debatte um den militanten
Salafismus auch in diesem „Standardwerk“ einen breiten Raum ein. Vgl. Roel Meijer (Hg.): Global Salafism
– Islam´s New Religious Movement, London 2009.
3
orthodoxer Islam“ bezeichnet wird.4 Das von den Autoren diagnostizierte Anwachsen der
salafistischen Bewegung wird dabei u.a. mit dem Anstieg der generellen Frömmigkeit unter
Muslimen begründet. Je frommer ein Muslim, desto eher neige er demnach dem salafistischen
Islam zu. Die Bezeichnung „streng orthodoxer Islam“ suggeriert, dass es innerhalb der
islamischen Religion einen definierbaren Kanon an Dogmen und Werten gibt, die als
Standards der Rechtgläubigkeit angesehen werden können und von zeitgenössischen
Salafisten in strikterer Weise befolgt werden als von nichtsalafistischen Muslimen. Ein
Salafist wird so zu einem strenggläubigen, in gewisser Weise jedoch auch zu einem besonders
„muslimischen“ Muslim, da er zentrale islamische Wertvorstellungen nach dieser Lesart in
besonders pointierter Form vertritt. Dies entspricht voll und ganz dem salafistischen
Selbstverständnis. Salafisten selbst sehen sich als Bewahrer und Repräsentanten des einzig
authentischen Islams. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass manche Salafisten den
Begriff der Orthodoxie selber verwenden, etwa wenn sie englischsprachige Übersetzungen
von Texten salafistischer Gelehrter in einem Verlag namens „The Orthodox Press“
herausgeben. Während Salafisten nicht selten in der öffentlichen Diskussion stehende
Konzepte, Ideen und Begrifflichkeiten aufgrund ihres vermeintlich westlichen Ursprungs als
„unislamische Neuerungen“ (bidaʿ, Sg. bidʿa) verwerfen, nutzen sie in ihrem Streben nach
Authentizität mit dem Orthodoxiebegriff einen aus der christlichen Kirchengeschichte
entlehnten Terminus.
Nicht wenige widersprechen der eben skizzierten Deutung vehement. Für sie weisen
Salafismus und islamische „Orthodoxie“ keinerlei ideologische Schnittmengen auf. Im
Gegenteil: „[Die] missionarische Ideologie der Salafiten zielt weniger auf den Westen als auf
den traditionellen und orthodoxen Islam mit seiner oft noch synkretistischen Vielfalt ab.“ 5 Für
den Islamwissenschaftler Thomas Bauer hat der Salafismus mehr mit „den Vernunftannahmen
der cartesianischen Moderne“ als mit dem „gewissermaßen orthodoxen sunnitischen
Gelehrtenislam“ gemein. Der salafistische Anspruch auf den Besitz der exklusiven Wahrheit
und die damit verbundene antipluralistische Grundhaltung werden als Reaktion auf die
westlich-moderne Forderung nach ideologischer Eindeutigkeit verstanden.6 Die Stoßrichtung
dieser Argumentation ist offenkundig: Dem exklusivistischen Islamverständnis der Salafīya
wird das Bild eines pluralistischen und diesem Pluralismus gegenüber aufgeschlossenen
4 Vgl. Matthias Bartsche, Maximillian Popp, Christoph Scheuermann: Die Scharfmacher, in: Der Spiegel,
Nr.8/2012, S. 48-50.
5 Stefan Weidner: Aufbruch in die Vernunft - Islamdebatten und islamische Welt zwischen 9/11 und den
arabischen Revolutionen, Bonn 2011, S. 21.
6 Vgl. Thomas Bauer: Die Kultur der Ambiguität – Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011, S. 24,
S.127, S.191.
4
„traditionellen“, „klassischen“ oder „orthodoxen“ Islam entgegengestellt.7 Dadurch bekommt
der Salafismus den Charakter einer „heterodoxen“ Außenseiterbewegung, deren ideelle
Verwurzelung in einer nicht immer näher definierten islamischen Tradition in Zweifel
gezogen wird. Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner geht sogar so weit, den Salafismus
seiner islamischen Wurzeln fast vollständig zu entledigen. In seiner in den allermeisten
Aspekten berechtigten Kritik am deutschen Islamdiskurs schreibt er an die Adresse der
sogenannten Islamkritiker: „Leider ist ausgerechnet unsere Islamkritik blind gegen den
Unterschied von Islam und salafitischem Extremismus.“8
Es ist richtig, dass sich die islamische Religion seit frühesten Tagen durch eine synkretistische
Vielfalt auszeichnet. Und es ist ebenfalls richtig, dass zahlreiche Muslime diese Vielfalt als
enorme Bereicherung empfanden und empfinden. Dennoch erscheint es mir nicht angemessen
den Salafismus als bloßen Oberflächeneffekt der Moderne zu beschreiben und ihm
gewissermaßen nicht mehr als eine islamische Scheinidentität zuzugestehen.
Wie in dieser Arbeit gezeigt werden soll, knüpfen zeitgenössische Salafisten an
ideengeschichtliche Traditionen an, die durchaus in die vormoderne Zeit zurückreichen.
Insbesondere die theologischen Prämissen des Salafismus sind weit weniger das Ergebnis
einer „Neuschaffung des Islams“9 im Lichte moderner Ideologien, als vielmehr das Resultat
innerislamischer Debatten und Reformbestrebungen des 18. Jahrhunderts. In ihrer
Wertschätzung bestimmter Gelehrter und in ihrem Zugang zu den religiösen Quellen
unterscheiden sich Salafisten zweifelsohne von vielen Muslimen, der Salafismus ist deshalb
jedoch weder „islamischer“ noch „weniger islamisch“ als andere religiöse Strömungen.
Auf welche ideengeschichtlichen Traditionen aber beruft sich der zeitgenössische Salafismus?
Welche ideologischen Ansichten vertreten Salafisten, was ermöglicht es, einen salafistischen
Muslim von einem nichtsalafistischen Muslim zu unterscheiden? Und in welchen Aspekten
divergieren Salafisten untereinander? Oder anders gefragt: Kann überhaupt von dem
Salafismus gesprochen werden?
Diese Fragen sollen in der vorliegenden Arbeit beantwortet werden, bedürfen gleichwohl
einer Präzisierung. Es ist das Ziel dieser Arbeit, den salafistischen Islam mit Blick auf zwei
7 Zur Diskussion über die Verwendung des Orthodoxiebegriffes in der Islamwissenschaft und für einen
Überblick über unterschiedliche Definitionen islamischer „Orthodoxie“ vgl. Robert Langer, Udo Simon: The
Dynamics of Orthodoxy and Heterodoxy. Dealing with Divergence in Muslim Discourses and Islamic
Studies, in: Die Welt des Islams 48 (2008), S. 273-288. Und Alexander Knysh: “Orthodoxy“ and “Heresy“
in medieval Islam: An Essay in Reassessment, in: The Muslim World, Vol. LXXXIII, No. 1 (1993), S. 48-67.
8 Weidner: Aufbruch in die Vernunft, S. 21.
9 Vgl. Bauer: Kultur der Ambiguität, S. 52. Bauer spricht hier vom Islamismus als „Neuschaffung des Islams
als einer Ideologie.“ Da er jenen „neuen“ Islam in seinem gesamten Buch jedoch v.a. anhand salafistischer
Positionen zu veranschaulichen versucht, dürfte er hier nicht zuletzt den salafistischen Islam vor Augen
haben.
5
Themenfelder näher zu beleuchten: Theologie und Politik. Diese Auswahl wurde v.a. deshalb
getroffen, weil sich die ideologischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter
zeitgenössischen Salafisten anhand dieser Kategorien gut veranschaulichen lassen. Während
Salafisten auf theologischer Ebene die gleichen Grundprämissen teilen, die es ermöglichen
vom Salafismus als einer eigenständigen religiösen Tradition mit spezifischen Konturen zu
sprechen, ist der Salafismus im politischen Bereich eine hochgradig fragmentierte
Bewegung.10
1.1 Zur Gliederung
Um die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten, wird die Arbeit in folgende Abschnitte
eingeteilt: Dieser Einleitung folgt in Kapitel 2 eine Betrachtung der Begriffe Salafismus,
Islamismus und Fundamentalismus. Diese Begriffe werden im medialen wie im
wissenschaftlichen Diskurs in vielfacher, aber oftmals missverständlicher Weise verwendet.
Nicht zuletzt um definitorischen Unklarheiten im weiteren Verlauf der Arbeit vorzubeugen,
erscheint mir ein genauer Blick auf die genannten Begriffe unvermeidlich.
Kapitel 3 widmet sich der saudischen Wahhābīya, deren ideologischer Einfluss auf den
zeitgenössischen Salafismus mehrfach nachgewiesen wurde.11 Hier sollen zunächst Genese
und Entwicklung zentraler theologischer Grundpositionen der Wahhābīya nachgezeichnet
werden. Darüber hinaus werden einige Schlaglichter auf den innersaudischen Politikdiskurs
geworfen. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil Spannungen und Friktionen innerhalb der
Salafīya ohne Kenntnis dieses Diskurses nicht nachvollzogen werden können.
In Kapitel 4 wird die salafistische ʿaqīda näher betrachtet, die als das einende Element aller
Salafisten angesehen werden kann.12 Der Fokus liegt dabei auf den salafistischen
Vorstellungen zur Einheit Gottes (tauḥīd), weil diese das Herzstück der salafistischen
Glaubenslehre bilden und die folgenreichsten Implikationen aufweisen. Insbesondere in
diesem Kapitel wird der Einfluss des wahhābitischen Islams auf den zeitgenössischen
Salafismus deutlich.
Kapitel 5 dieser Arbeit befasst sich mit dem komplexen Verhältnis von Salafismus und
Politik. In diesem Kapitel werden wir sehen, dass sich Salafisten - trotz ihrer theologischen
Gemeinsamkeiten - in ihren politischen Ideologien und Handlungsmustern gravierend
10 Vgl. Bernard Haykel: On the Nature of Salafi Thought and Action, in: Meijer: Global Salafism, S. 33-57,
hier: S. 38-42. Vgl. auch Quintan Wiktorowicz: Anatomy of the Salafi Movement, in: Studies in Conflict and
Terrorism, Vol. 29, 2006, S. 207-239. Insbesondere S. 208f.
11 Vgl. u.a. Noorhaidi Hasan: Ambivalent Doctrines and Conflicts in the Salafi Movement in Indonesia, in:
Meijer: Global Salafism, S. 169-188. Vgl. Haykel: On the Nature of Salafi Thought and Action, S. 33-57.
12 Vgl. Bernard Haykel: On the Nature of Salafi Thought and Action, S. 38-42.
6
unterscheiden. An dieser Stelle soll ein genauerer Blick auf die eingangs angedeuteten
Entwicklungen innerhalb der ägyptischen Salafīya geworfen werden, weil sich anhand dieser
die Komplexität und Dynamik salafistischen politischen Handelns gut nachzeichnen lassen.
Kapitel 5 ist also in Teilen eine Fallstudie, die sich mit dem Verhalten und der politischen
Positionierung ägyptischer Salafisten vor, während und nach der Revolution befasst und
gleichfalls einen ersten Versuch unternimmt, das Staats- und Demokratieverständnis von
Teilen der nachrevolutionären Salafīya näher zu beleuchten. Mit Blick auf die politischen
Friktionen innerhalb des salafistischen Islams ist an dieser Stelle jedoch eine einschränkende
Bemerkung notwendig: Im Mittelpunkt des „politischen“ Teils dieser Arbeit steht die
Betrachtung der ägyptischen Salafīya. Nicht zuletzt, weil der sogenannte ǧihādistische
Salafismus für diese Betrachtung keine Relevanz besitzt, wird sich in dieser Arbeit auf die
Darstellung der politischen Spannungsfelder zwischen nichtmilitanten Salafisten beschränkt.
1.2 Zu Ideologiebegriff und Quellenauswahl
Die vorliegende Arbeit versteht sich in erster Linie als Analyse der salafistischen Ideologie,
wobei der Ideologiebegriff im wertneutralen Sinne als charakteristisches Ideen- und
Gedankensystem, als Produktion von Bedeutungen, Symbolen und Werten verstanden wird
und religiöse Überzeugungen ausdrücklich mit einschließt.13 Damit widerspricht der hier
verwendete Ideologiebegriff sowohl der populären Auffassung von Ideologie als einem „rigid
framework of preconceived ideas“14 als auch der aus der marxistischen Theorie bekannten
Deutung von Ideologie als „falschen Ideen“, die in erster Linie der Festigung bestehender
Machtverhältnisse dienen.15
In dieser Arbeit soll die Ideologie des Salafismus untersucht werden, nicht zuletzt, weil sie
bedeutsame Funktionen erfüllt: Sie dient der Selbstvergewisserung und Abgrenzung, definiert
Kriterien und Grenzen der Gruppenzugehörigkeit und kann soziales und politisches Handeln
legitimieren. In ihr kommen sowohl gegenwärtige Interessenlagen und Wertpositionen als
auch generelle Geschichtsdeutungen und Zukunftserwartungen zum Ausdruck.16 Auch für den
Salafismus
gilt,
was
Riesebrodt
als
generelles
Charakteristikum
„religiöser
Revitalisierungsbewegungen“ ausmacht:
Revitalisierungsbewegungen setzen sich kritisch mit der gesellschaftlichen Realität auseinander und
erheben den Anspruch, daß die von ihnen diagnostizierte abgrundtiefe Gesellschaftskrise nur durch
13
14
15
16
Vgl. Terry Eagleton: Ideology: An Introduction, London 1991, S. 1-2.
Eagleton: Ideology, S. 3.
Vgl. Eagleton: Ideology, S. 1.
Vgl. Martin Riesebrodt: Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung, Tübingen 1990, S. 29.
7
eine Rückkehr zu den Grundlagen der jeweiligen religiösen Tradition zu überwinden sei.
Revitalisierungsbewegungen artikulieren somit eine Gesellschaftskrise, eine Diagnose der Ursachen
der Krise, Rezepte zu deren Überwindung sowie den Entwurf einer künftigen gerechten
Sozialordnung; sie sind somit durch die Komplexität und zentrale Bedeutung ihrer Ideologie
17
gekennzeichnet, welche deshalb von besonderem analytischen Interesse ist.
Für die Identifizierung der ideologischen Überzeugungen salafistischer Muslime ist die
Quellenauswahl von zentraler Bedeutung.18 Zunächst gilt es die Quellenauswahl für jenes
Kapitel zu erläutern, das sich auf die Darstellung der Grundmuster der salafistischen ʿaqīda
konzentriert, also jene ideologischen Prämissen herauszustellen versucht, die für die
Identitätsbildung salafistischer Muslime von entscheidender Bedeutung sind und es
ermöglichen den salafistischen Islam von anderen islamischen Strömungen abzugrenzen. Hier
wollen wir v.a. auf Texte renommierter saudischer Salafisten wie ʿAbd al-ʿAzīz Ibn Bāz,
Muḥammad Ibn al-ʿUṯaimīn oder Ṣāliḥ Ibn Fauzān al-Fauzān zurückgreifen. Diese Auswahl
ist das Ergebnis relativ pragmatischer Erwägungen und wurde nicht unwesentlich durch die
vorhandene Sekundärliteratur erleichtert. Als entscheidende Auswahlkriterien wurden der
hohe Einfluss und Bekanntheitsgrad der erwähnten Gelehrten gewählt. Ibn Bāz, Ibn alʿUṯaimīn und al-Fauzān besitzen im theologischen Bereich unter Salafisten weltweit ein
enormes Prestige. Ihre theologischen Texte werden von deutschen, indonesischen oder
ägyptischen Salafisten gelesen und auf zahllosen Internetseiten in verschiedensten Sprachen
zum kostenlosen Download angeboten.19 Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum
Richard Gauvain Saudi Arabien als „the ideological centre of modern global Salafism“
bezeichnet.20 Dennoch wollen wir die Darstellung der Grundzüge der salafistischen
Glaubenslehre zwar überwiegend, jedoch nicht ausschließlich auf saudisches Material stützen.
Nicht zuletzt, um zu veranschaulichen, dass Salafisten weltweit zuvorderst durch bestimmte
theologische Ansichten miteinander verbunden sind, soll bereits in diesem Kapitel v.a. auf
17 Martin Riesebrodt: Die Rückkehr der Religionen – Fundamentalismus und der „Kampf der Kulturen“,
München 2001, S.52-53.
18 Die meisten in dieser Arbeit verwendeten arabischen und englischen Primärquellen aus dem salafistischen
Milieu stammen aus dem Internet. Leider sind diese nicht immer mit Hinweisen zum Erscheinungsjahr und ort und Seitenzahlen versehen. Dies soll nicht immer aufs Neue gekennzeichnet werden.
19 Vgl. für Texte der genannten Gelehrten auf Internetseiten deutscher Salafisten:
http://www.selefiyyah.de/aqidah-tauhid/, www.salaf.de, www.diewahrereligion.de. Die mit der
letztgenannten Seite verbundene Organisation wurde im vergangenen Jahr einer breiten Öffentlichkeit
bekannt, als sie kostenlose Koranübersetzungen in deutschen Städten verteilte. Kostenlose Schriften und
Vorträge der genannten Gelehrten finden sich auch auf der Internetseite der ägyptischen Organisation adDaʿwa as-Salafīya. Siehe für al-Fauzān: http://www.salafvoice.com/class.php?id=137. Für Ibn al-ʿUṯaimīn:
http://www.salafvoice.com/class.php?id=135. Für Ibn Bāz:
http://www.salafvoice.com/search.php?Submit=%C7%C8%CD%CB&criteria=%C7%C8%E4+%C8%C7%D
2&searchin=0&al=1 Letzter Zugriff auf alle Seiten: 14.03.2013.Vgl. für den Einfluss der genannten Personen
in Indonesien Hasan: Ambivalent Doctrines, S. 172.
20 Richard Gauvain: Salafi Ritual Purity – In the Presence of God, Oxon 2013, S. 51.
8
Texte der alexandrinischen Organisation ad-Daʿwa as-Salafīya21 und ihres Gelehrten Yāsir
Burhāmī22 verwiesen werden.
Die Daʿwa as-Salafīya im Allgemeinen und der erwähnte Burhāmī im Speziellen wiederum
stehen im Zentrum der Analyse des ägyptischen Salafismus, die den größten Raum im letzten
Kapitel dieser Arbeit einnimmt. Während zu Beginn dieses Kapitels die unterschiedlichen
politischen Ansichten unter salafistischen Muslimen anhand der in der Wissenschaft
anerkannten Kategorien des „puristischen“ und „politischen“ Salafismus skizziert werden,
wird im weiteren Verlauf das komplexe Verhältnis von Salafismus und Politik durch einen
konkreten Blick auf die politischen Einstellungen ägyptischer Salafisten vor, während und
nach der Revolution illustriert. Wie wir sehen werden, liefern insbesondere die Schriften
Burhāmīs und anderer Gelehrter der Daʿwa as-Salafīya - der Mutterbewegung der Ḥizb anNūr - erste Anhaltspunkte für das Verständnis jener Politisierungsprozesse, die zu Anfang
dieser Einleitung angedeutet wurden und weite Teile der ägyptischen Salafīya erfasst haben.
21 Die Daʿwa as-Salafīya entstand in den 70er Jahren im Umfeld der Universität Alexandria. Zunächst eher ein
loser Verbund, institutionalisierte die Daʿwa as-Salafīya ihre Aktivitäten in den 80er Jahren, indem sie z.B.
ein Exekutivkomitee, ein Jugendkomitee und eine Generalversammlung aufbaute. Sie gilt bis heute als die
am Besten organisierte salafistische Gruppierung in Ägypten. Vgl. Daniel A. Boehmer/ James P. Murphy:
The Politicization of the Egyptian Salafiyya: Principled Participation and Islamist Competition in the PostMubarak
Era,
IMES
Capstone
Paper
Series,
Mai
2012,
S.
15-17,
unter:
http://www.gwu.edu/~imes/assets/docs/Capstone%20Papers%20-%202012/Boehmer,%20Murphy.pdf Vgl.
auch Gauvain: Salafi Ritual Purity, Fußnote 44, S. 287. Vgl. auch Kapitel 5.3 dieser Arbeit.
22 Yāsir Burhāmī kann als einer der prominentesten salafistischen Gelehrten in Ägypten betrachtet werden. Er
gilt als einflussreicher Ideologe der Ḥizb an-Nūr und war nach der Revolution Mitglied der
verfassungsgebenden Versammlung in Ägypten. Geboren 1958, graduierte er 1999 an der al-Azhar in
islamischem Recht und wurde insbesondere von den Ideen des saudischen Salafisten Ibn Bāz beeinflusst.
Burhāmī gehört dem Führungzirkel der Daʿwa as-Salafīya an und betreibt die wichtigste Internetseite der
Organisation,
die
in
dieser
Arbeit
als
eine
der
Hauptquellen
fungiert.
Vgl.
http://www.jadaliyya.com/pages/index/3185/yasser-borhami Letzter Zugriff: 1.4.2013. Für die Internetseite
Burhāmīs: http://www.salafvoice.com/index.php.
9
2 Begriffsbestimmung und theoretischer Hintergrund
Die mediale und wissenschaftliche Verwendung der Begriffe Salafismus, Islamismus und
Fundamentalismus stiftet oftmals mehr Verwirrung als Klarheit. Oft werden Salafisten als
Islamisten bezeichnet, andernorts sind Salafismus und Islamismus „two adamantly opposed
political philosophies.“1 Auch der Fundamentalismusbegriff kommt häufig zum Einsatz, wenn
salafistische Gruppierungen „genauer“ beschrieben werden sollen - ganz überwiegend jedoch
ohne vorherige Definition.
Um definitorischen Unklarheiten im Verlauf dieser Arbeit vorzubeugen, erscheint es deshalb
notwendig, die genannten Begriffe näher zu bestimmen. In wohldefinierter Form können
Kategorien wie Islamismus oder Fundamentalismus aus meiner Sicht durchaus eine gute
theoretische Grundlage für die weiteren Ausführungen bieten.
2.1 Salafismus
In den deutschen Medien wird der Begriff Salafismus seit verhältnismäßig kurzer Zeit, jedoch
mit zunehmender Häufigkeit verwendet.2 Im wissenschaftlichen Diskurs existiert der Begriff
weitaus länger, diente bis vor einigen Jahren allerdings vorwiegend zur Bezeichnung einer
ideellen Strömung im kolonialisierten Ägypten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts,
die eng mit den Namen Ǧamāl ad-Dīn al-Afġānī (gest. 1897) und Muḥammad ʿAbduh (gest.
1905) verbunden ist und mit dem hier als Salafismus bezeichneten Phänomen zum Teil
erheblich in Widerspruch steht (siehe unten).
Der Begriff Salafismus leitet sich von dem arabischen Ausdruck as-salaf aṣ-ṣāliḥ ab, der mit
„die tugendhaften Vorfahren“ oder „die frommen Altvorderen“ übersetzt werden kann. Als assalaf aṣ-ṣāliḥ gelten zumeist die ersten drei Generationen der Muslime, wobei der
Generationenbegriff eine weit größere Zeitspanne als die bei uns bekannten 25 Jahre umfasst.
Einigkeit über eine genaue zeitliche Grenzziehung besteht indes nicht: Während für Ibn
Taimīya (gest. 1328) die Zeit der salaf mit dem Zusammenbruch des umaiyadischen Reiches
im Jahre 750 endet, umfasst jede einzelne Generation nach Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī (gest. 1209)
1 Noah Salomon: The Salafi Critique of Islamism: Doctrine, Difference and the Problem of Islamic Political
Action in Contemporary Sudan, in: Meijer: Global Salafism, S. 143-168, hier: S. 150.
2 Gibt man den Begriff Salafismus beispielsweise auf den Onlineseiten von Die Zeit in die Suchmacheine ein,
fällt auf, dass der Begriff vor dem Jahre 2003 überhaupt nicht verwendet wurde. Insgesamt wird über den
Salafismus erst seit wenigen Jahren intensiver berichtet. So lassen sich in dem Zeitraum von 2010 bis Ende
2012 38 Artikel finden, in denen das Wort Salafismus vorkommt, während es im Zeitraum von 2003 bis 2010
nur 11 Artikel sind.
10
60 bis 80 Mondjahre.3 Heutige Salafisten taxieren das Ende dieser Epoche oftmals ungefähr
auf das Jahr 850, schließen also bedeutende Gelehrte wie Muḥammad Ibn Idrīs aš-Šāfiʿī (gest.
820) oder Aḥmad Ibn Ḥanbal (gest. 855) unter die salaf mit ein.4
Nicht zuletzt aufgrund ihrer lebensgeschichtlichen Nähe zum Propheten Muḥammad besitzen
die salaf im sunnitischen Islam ein ausgesprochen hohes Prestige, werden gemeinhin als
Vorbilder für eine authentische und korrekte islamische Lebensführung angesehen. Ein
bekannter und vielzitierter Ḥadīṯ unterstreicht die Bedeutung der ersten drei Generationen der
Muslime und deutet gleichfalls eine Rangfolge an: „Die besten der Menschen sind meine
Generation (qarnī), dann diejenigen, die ihnen folgen und dann diejenigen, die ihnen folgen.“5
Laut Bernard Haykel ist der Begriff salafī als Eigenname sowie Adjektiv vormodernen
Ursprungs und lässt sich auf die theologische Strömung der Ahl al-Ḥadīṯ zurückführen, als
deren wichtigster Protagonist der erwähnte Ibn Ḥanbal gilt.6 Wenngleich nicht davon
ausgegangen werden sollte, dass sich bereits mit den Ahl al-Ḥadīṯ eine religiöse Bewegung
identifizieren lässt, deren doktrinäre Grundpositionen im innerislamischen Diskurs von
Anhängern und Gegnern unter dem Schlagwort Salafismus zusammengefasst wurden, 7 so
sind die ideologischen Gemeinsamkeiten zwischen den Ahl al-Ḥadīṯ und der Salafīya
unverkennbar. Wie die Ahl al-Ḥadīṯ zeichnen sich auch zeitgenössische Salafisten durch einen
literalistischen Zugang zu den religiösen Quellen aus, der sich beispielsweise darin äußert,
dass die salafistische Koranexegese vorwiegend nach der wörtlichen, der „äußeren“
Bedeutung (ẓāhir) koranischer Verse fragt und der insbesondere aus der sufischen
Exegesetradition bekannten Suche nach dem tieferliegenden „inneren“ Sinn (bāṭin) des
Korans mit großer Skepsis begegnet (Vgl. Kapitel 4).8 Wie die Ahl al-Ḥadīṯ üben auch
Salafisten scharfe Kritik an der spekulativen Theologie (kalām), die sich aus ihrer Sicht eines
exzessiven Gebrauchs der menschlichen Ratio und einer Geringschätzung der religiösen
Überlieferungen schuldig macht (Vgl. Kapitel 4). Und wie die Ahl al-Ḥadīṯ messen auch
Salafisten der prophetischen Sunna sowohl in rechtlichen und theologischen als auch in
3 Vgl. Eric Chaumont: al-Salaf wa ´l-Khalaf, in: The Encyclopaedia of Islam, New Edition, Vol. VIII, Leiden
1995, S.900.
4 Vgl. Bernard Haykel: On the Nature of Salafi Thought and Action, S. 38f.
5 Muḥammad Ibn Ismāʿīl al-Buḫārī: Ṣaḥīḥ al-Buḫārī, al-muǧallad aṯ-ṯāliṯ, al-ǧuzʾ aṯ-ṯāmin, Beirut 1990,
S.113.
6 Vgl. Haykel: Salafi Thought and Action, S. 38.
7 Zur Begriffsgeschichte des Terminus Salafismus vgl. Henri Lauzière: The Construction of Salafiyya:
Reconsidering Salafism from the Perspective of Conceptual History, in: International Journal of Middle East
Studies, 42 (2010), S. 369-389, hier: S. 371.
8 Für eine genauere Analyse der Gemeinsamkeiten zeitgenössischer Salafisten und der Ahl al-Ḥadīṯ und für
mehr Details zur salafistischer Koranexegese vgl. Kapitel 4. oder Adis Duderija: Neo-Traditional Salafi
Qur´an-Sunnah Hermeneutic and the Construction of a Normative Muslimah Image, in: Hawwa, 5, 2-3
(2007), S. 289-323.
11
alltäglichen Fragen eine enorme Bedeutung bei. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich u.a.
durch die hohe Wertschätzung erklären, die bedeutende Vertreter der Ahl al-Ḥadīṯ – allen
voran der Theologe und Rechtsgelehrte Aḥmad Ibn Ḥanbal – im salafistischen Milieu
genießen und haben manchen Wissenschaftler dazu veranlasst, den Salafismus mit dem etwas
sperrigen Begriff „Neo-Ahl-Hadithism“9 zu beschreiben.
Anhänger der Salafīya bezeichnen sich manchmal als Ahl al-Ḥadīṯ, weit öfter jedoch als Ahl
as-Sunna wa-l-Ǧamāʿa oder schlicht als Salafisten. Mit der Selbstbezeichnung als Salafist
stellen sich Anhänger des Salafismus bewusst in die Tradition der ersten drei Generationen
der Muslime. Sie vertreten die Ansicht, einen Islam von größtmöglicher Authentizität zu
praktizieren, da sie sich strikt an Koran, Sunna und den salaf orientieren. Neben dem Streben
nach Authentizität geht mit dem Bezug auf jenen Islam der Frühzeit immer auch Folgendes
einher: eine vehemente Kritik an der historischen Entwicklung und am gegenwärtigen
Zustand der islamischen Gemeinschaft. Salafisten lesen die Geschichte als einen Prozess der
Degeneration, in dessen Verlauf sich die islamische Religion durch zahllose unrechtmäßige
Neuerungen und kulturelle Synkretismen von ihrer ursprünglichen Form weit entfernt habe.
Als Hauptziel aller Salafisten lässt sich daher die Reinigung der Religion und die
Wiederherstellung des Islam der salaf ansehen - was auch immer man konkret darunter zu
verstehen hat. So heißt es in einem Text der ägyptischen Daʿwa as-Salafīya:
Wir wollen die Rückkehr zu dem Islam, so wie ihn der Gesandte gebracht hat, in unverfälschter
Reinheit, ohne Makel und ohne Neuerungen (nurīdu l-ʿauda ilā l-islām ka-mā ǧāʾa bihi r-rasūl
abyaḍa naqīyan bi-lā šawāʾib wa-lā bidaʿ), ebenso wie ihn die frommen Altvorderen (as-salaf aṣṣāliḥ) unter den Anhängern des Propheten verstanden und angewendet haben und diejenigen, die ihnen
mit der Verrichtung guter Taten nachfolgten.10
Trotz dieser Gemeinsamkeiten in Zielsetzung, Gegenwartsdeutung und Geschichtsbild ist der
Salafismus eine äußerst heterogene und fragmentierte Bewegung. Unter den Begriff
Salafismus werden unterschiedlichste Gruppierungen und Strömungen aus verschiedensten
Staaten subsumiert: vom saudischen „Staatsislam“ eines Ibn Bāz oder Ibn al-ʿUṯaimīn über
die Anhänger der ägytischen Ḥizb an-Nūr bis zur transnationalen al-Qaida Osama bin
Ladens.11 Die genannten Personen und Gruppierungen unterscheiden sich in ihrem Verhältnis
zu politischem Engagement und Gewalt als politischem Mittel. Während al-Qaida auf einen
9 Duderija: Hermeneutic, S. 290.
10 Ad-Daʿwa
as-Salafīya:
ad-Daʿwa
as-Salafīya
man
naḥnu?
wa-māḏā
nurīdu?
Unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=5615, letzter Zugriff: 01.03.2013.
11 Für einen detaillierten Überblick über die verschiedenen politischen Ausrichtungen salafistischer Kräfte vgl.
Quintan Wiktorowicz: Anatomy of the Salafi Movement, S. 207-239.
12
militanten Kampf für die Umsetzung ihrer Ziele setzt und die Ḥizb an-Nūr am
parteipolitischen Wettbewerb teilnimmt, zeichneten sich die Gelehrten Ibn Bāz und Ibn alʿUṯaimīn zeitlebens durch ein hohes Maß an Skepsis gegenüber jeder Form politischen
Engagements aus. Diese Heterogenität in der politischen Einstellung und im Handeln
salafistischer Gruppen und Gelehrter hat einige Wissenschaftler am wissenschaftlichen Wert
des Begriffes Salafismus zweifeln lassen. Thomas Hegghammer vertritt die Ansicht, das
Label Salafismus eigne sich nur bedingt als wissenschaftliche Kategorie, da es wenig bis gar
nichts über die politischen Präferenzen der beschriebenen Akteure aussagt.12 Vielmehr
bezeichne der Begriff Salafismus einen „nebula of actors“,13 die in wichtigen politischen
Fragen zum Teil völlig gegensätzliche Positionen vertreten würden.
Hegghammers Kritik trifft aus politikwissenschaftlicher Perspektive zu, verlangt von der
Politikwissenschaft eine differenziertere Kategorisierung des Phänomens Salafismus (Vgl.
Kapitel 5). Gleichwohl birgt sie das Risiko, in ihrer Betonung der Unterschiede die
theologischen, sozialen und rechtlichen Gemeinsamkeiten zwischen Salafisten jedweder
politischer Couleur zu vernachlässigen. In seinem Aufsatz stellt Hegghammer selbst fest, dass
der Begriff Salafismus weniger eine politische als vielmehr eine theologische Kategorie
darstellt.14 Diese Feststellung ist für das Verständnis des heutigen globalen und
transnationalen Salafismus zentral. Das einende Band zwischen salafistischen Akteuren in
Ägypten, in Saudi Arabien, in Indonesien, Frankreich oder Deutschland ist keinesfalls eine
wie auch immer geartete politische Ausrichtung, sondern vielmehr eine nahezu identische,
distinktive theologische Doktrin (Vgl. Kapitel 5), eine ähnliche Auffassung auf dem Gebiet
des islamischen Rechts und eine gemeinsame Vision von einer nach islamischen
Moralvorstellungen organisierten Gesellschaft:
Most Salafis are not political actors [...] Salafis are first and foremost religious and social reformers
who are engaged in creating and reproducing particular forms of authority and identity, both personal
and communal. […] It is important to understand Salafis as constituting a group that defines its
reformist project first and foremost through credal tenets (i.e., a theology).15
Auf sozialer Ebene zeichnet sich der Salafismus vor allem durch seine in dem Zitat bereits
angedeutete identitätsstiftende Dimension aus. Oftmals lassen sich Salafisten bereits an ihrem
Kleidungsstil und äußeren Erscheinen erkennen und von nichtsalafistischen Muslimen
12 Vgl. Thomas Hegghammer: Jihadi-Salafis or Revolutionaries? On Religion and Politics in the Study of
Militant Islamism, in: Meijer: Global Salafism, S. 244-266.
13 Hegghammer: Jihadi-Salafis or Revolutionaries? S. 249.
14 Vgl. Hegghammer: Jihadi-Salafis or Revolutionaries? S. 250.
15 Haykel: Salafi Thought and Action, S. 34f.
13
unterscheiden. So tragen männliche Salafisten häufig Gewänder, die oberhalb der Knöchel
enden und lassen ihren Kinnbart wachsen, während der Oberlippenbart kurz getragen wird.
Sie begründen diese Praktiken mit der prophetischen Sunna, was deutlich macht, welchen
Vorbildcharakter Muḥammad im salafistischen Milieu auch in scheinbar profanen und
alltäglichen Dingen besitzt.16 Salafistische Frauen, in der Öffentlichkeit weit weniger präsent
als ihre männlichen Glaubensbrüder, tragen vielfach den niqāb, der sich von dem verbreiteten
Kopftuch dadurch unterscheidet, dass er einen Großteil des Gesichtes verdeckt und zumeist
nur einen Sehschlitz freilässt. Keinesfalls immer Ergebnis unmittelbaren patriarchalischen
Zwangs, verstehen Salafistinnen den niqāb vielfach als Ausdruck besonderer Frömmigkeit.
Wie Martijn de Koning am Beispiel einer niederländischen Salafistin verdeutlicht, kann der
Gesichtsschleier
darüber
hinaus
die
Funktion
erfüllen,
sich
sowohl
von
der
Mehrheitsgesellschaft als auch von familiären religiösen Traditionen abzugrenzen und zu
distanzieren.17 Auch jenseits dieser Kleidungscodes existieren innerhalb des Salafismus
habituelle Praktiken, die vorwiegend der Distinktion und Identitätsbildung dienen. Es gibt
salafistische Freizeit- und Lernangebote; in der sprachlichen Kommunikation fallen Salafisten
nicht selten durch die Verwendung bestimmter Grußformeln oder den fast inflationären
Gebrauch religiöser Floskeln auf.18
Das komplexe Verhältnis von Salafismus und islamischem Recht kann in dieser Arbeit
aufgrund des begrenzten Umfangs leider nicht im Detail behandelt werden. An dieser Stelle
sei nur auf Folgendes verwiesen: Zumindest auf theoretischer Ebene zeichnen sich Salafisten
durch eine kritische Haltung gegenüber den etablierten Rechtsschulen aus, deren
unterschiedliche Meinungen zu bestimmten Rechtsfragen vielfach nicht als Ausdruck eines
begrüßenswerten Rechtspluralismus, sondern als Quelle tadelnswerter Uneinigkeit betrachtet
werden. Zwar lehnen Salafisten die Existenz der Rechtsschulen in aller Regel nicht
vollständig ab, so jedoch das Folgen einer Rechtsschule in allen Rechtsfragen (taqlīd).
Demnach habe ein jeder Gläubige das Recht, ja sogar die Pflicht, die eigene
Rechtsschulmeinung zu verwerfen, wenn ihm die Ansicht eines anderen Gelehrten schlüssiger
erscheint und diese durch eindeutige Hinweise (adilla, dalāʾil, Sg. dalīl)
oder besser:
Beweise19 aus Koran und Sunna gestützt wird.20 Diese Haltung sollte nicht mit dem aus der
16 Vgl. Laurent Bonnefoy: Salafism in Yemen – Transnationalism and Religious Identity, Columbia 2012, S.
48f.
17 Vgl. Martijn de Koning: Changing Worldviews and Friendship – An Exploration of the Life Stories of Two
Female Salafis in the Netherlands, in: Meijer: Global Salafism, S. 404-423, hier: S. 414.
18 Vgl. Bonnefoy: Salafism in Yemen, S. 49.
19 Thomas Bauer weist darauf hin, dass das Wort dalīl in salafistischen Texten im Sinne von Beweis und nicht
im Sinne von Hinweis übersetzt werden sollte. Vgl. Bauer: Kultur der Ambiguität, S. 189.
14
islamischen Jurisprudenz bekannten Konzept des taḫaiyur verwechselt werden, das die freie
Auswahl verschiedener Lehrmeinungen aus dem reichhaltigen Fundus aller anerkannten
Rechtsschulen gestattet.21 Geht es beim taḫaiyur um die Flexibilisierung des Rechts unter
Rückgriff auf vorhandene Rechtsmeinungen, plädieren Salafisten für die Lösung von
Rechtsfragen durch eine direkte Betrachtung von Koran und Sunna. Es ist demnach die
Aufgabe des qualifizierten Gelehrten durch eigenständiges Bemühen (iǧtihād) in den
religiösen Texten Beweise für eine bestimmte rechtliche Position zu finden und diese den
„einfachen“ Gläubigen zu unterbreiten, die wiederum durchaus die Fähigkeit besitzen
eindeutige Beweise als solche zu erkennen.22 Diese Rechtsauffassung, von Kritikern als „LāMadhhabiyya-Position“23 gebrandmarkt und der Vernachlässigung der gesamten islamischen
Rechtstradition bezichtigt, ist theoretisch unter Salafisten weitgehend anerkannt. Wie
mehrfach nachgewiesen wurde, folgen Salafisten praktisch jedoch überwiegend der
ḥanbalitischen Rechtsschule, was auch innerhalb der Salafīya zu Kritik geführt hat.24
Insgesamt spielen rechtstheoretische Themen im salafistischen Diskurs jedoch eine
untergeordnete Rolle.
Erklärt werden können die angedeuteten und auf theologischer Ebene im weiteren Verlauf der
Arbeit näher beleuchteten Gemeinsamkeiten nicht zuletzt mit der gemeinsamen intellektuellen
Traditionslinie, auf die sich alle Salafisten gleichermaßen beziehen und die eng mit folgenden
Namen verbunden ist: Aḥmad Ibn Ḥanbal, Ibn Kaṯīr (gest. 1337) und Ibn Taimīya, der häufig
als Mastermind der salafistischen Theologie angesehen und von Salafisten oftmals ehrenvoll
als šaiḫ al-islām bezeichnet wird.25 Ein weiterer für den gegenwärtigen Salafismus wichtiger
Gelehrter ist Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb (gest. 1792), der als Begründer der Wahhābīya
gilt.26
Für den Salafismus sind jedoch keinesfalls ausschließlich Gelehrte von Bedeutung, die weit
vor dem 20. bzw. 21. Jahrhundert gelebt und gewirkt haben. Als religiöse Autoritäten des 20.
20 Vgl. Muḥammad Ibn al-ʿUṯaimīn: The Methodology of the Salaf Concerning Ijtihad and Taqlid, unter:
http://www.binuthaymin.co.uk/ , letzter Zugriff: 01.03.2013.
21 Vgl. Mathias Rohe: Das islamische Recht – Geschichte und Gegenwart, München 2009, S. 189f.
22 Für einen Überblick über das Verhältnis von Salafismus und Recht vgl. Haykel: Salafi Thought and Action,
S. 43-45.
23 Vgl. für eine scharfe Polemik gegen das salafistische Rechtsverständnis Muḥammad Saʿīd Ramaḍān al-Būṭī:
Al-Lā Madhhabiyya – Abandoning the Madhhabs is the Most Dangerous Bidʿah Threatening the Islamic
Sharʿīah, Damaskus 2007.
24 Vgl. Stéphane Lacroix: Between Revolution and Apoliticism: Nasir al-Din al-Albani and his Impact on the
Shaping of Contemporary Salafism, in: Meijer: Global Salafism, S. 58-80, hier besonders: S. 59-61.
25 Vgl. auf der Internetseite der ägyptischen Daʿwa as-Salafīya unter:
http://www.salafvoice.com/class.php?id=143 Letzter Zugriff: 14.03.2013.
26 So lassen sich auf der Internetseite der ägyptischen Daʿwa as-Salafīya Schriften Muḥammad Ibn ʿAbd alWahhābs herunterladen. Siehe:http://www.salafvoice.com/class.php?id=135 und:
http://www.salafvoice.com/class.php?id=138. Auch auf Internetseiten deutscher Salafisten werden die
Schriften Ibn ʿAbd al-Wahhābs in übersetzter Form vielfach zum Download angeboten. Vgl. u.a.
http://www.salaf.de/verschiedenes/verschiedenes_allgemein.html Letzter Zugriff: 14.03.2013.
15
Jahrhunderts gelten - wie erwähnt - die Saudis Ibn Bāz, Ibn al-ʿUṯaimīn und al-Fauzān,
daneben z.B. der Jemenit Muqbil al-Wādiʿī und der Albaner Nāṣir ad-Dīn al-Albānī.
Insbesondere al-Albānī ist eine äußerst interessante und für den Salafismus prägende
Persönlichkeit. Als „self-taught expert on Islam“27 und somit ohne nennenswerte
Bildungszertifikate hat es al-Albānī geschafft, vom Sohn eines Uhrmachers zum
bedeutendsten Ḥadīṯ-Gelehrten des Salafismus aufzusteigen. In der Ḥadīṯ-Wissenschaft hat
sich
al-Albānī
besonders
auf
Grund
seiner
hohen
Qualitätsansprüche
an
die
Überlieferungskette(n) eines jeweiligen Ḥadīṯ einen Namen gemacht, in deren Konsequenz er
nicht einmal davor zurückschreckte, Überlieferungen als schwach und damit wenig glaubhaft
einzustufen, die in der kanonischen Sammlung des Muslim verzeichnet sind.28 Bis heute gilt
es unter salafistischen Gelehrten als besonderes Gütezeichen, wenn al-Albānī, dieser größte
„Traditionarier seiner Epoche“ (muḥaddiṯ al-ʿaṣr), einen Ḥadīṯ als glaubhaft und verlässlich
eingestuft hat.29
Zu Beginn dieses Abschnitts wurde darauf hingewiesen, dass der Terminus Salafismus lange
Zeit zur Bezeichnung einer intellektuellen Strömung diente, als deren geistiger Vater vor
allem Muḥammad ʿAbduh gilt. Mancherorts wird diese Strömung auch als „modernistische
Salafīya“ bezeichnet.30 In welchem ideengeschichtlichen Verhältnis aber steht die in dieser
Arbeit als Salafismus bezeichnete Strömung zu jenem „modernistischen Salafismus“? Welche
Rolle spielen die Ideen ʿAbduhs im salafistischen Diskurs der Gegenwart?
Beschäftigt man sich mit der reichhaltigen Literatur zu diesen Fragen, stößt man oftmals auf
zwei unterschiedliche, sich im Kern widersprechende Antworten. Für die Einen stehen
Salafismus
und
„modernistische
Salafīya“
in
einem
ideengeschichtlichen
Verwandschaftsverhältnis, manchmal werden die heute unter dem Begriff Salafismus
firmierenden Ideen sogar direkt auf ʿAbduh zurückgeführt.31 Die Anderen lehnen die eben
beschriebene Sichtweise rundheraus ab, für sie sind „modernistische Salafīya“ und
gegenwärtiger Salafismus scharf voneinander zu trennen. Insbesondere die Identifizierung
salafistischer Positionen mit Muḥammad ʿAbduh halten Vertreter dieser Deutung für
27 Vgl. Stéphane Lacroix: Nasir al-Din al-Albani, S. 58.
28 Vgl. Kamarudin Amin: Nāṣirudīn al-Albānī on Muslim´s Ṣaḥīḥ: A Critical Study of His Method, in: Islamic
Law and Society, 11,2, Leiden 2004, S. 149-176, hier: S. 150.
29 Vgl. Lacroix: Nasir al-Din al-Albani, S. 58.
30 Vgl. Lutz Berger: Islamische Theologie, Wien 2010, S. 146.
31 So heißt in einem 2010 veröffentlichten Kommunique des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes über
die Ursprünge des zeitgenössischen Salafismus: „Entstanden ist der Salafismus als Ideologie Ende des 19.
Jahrhunderts als sogenannte „Islamische Reformbewegung“ in Ägypten. Maßgeblich wurde diese Strömung
von zwei Ideologen geprägt: Jamal al-Din al-Afghani und Muhammad Abduh.“ Salafismus – von einer
religiösen Strömung zur politischen Ideologie, Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen, 2010, unter:
http://www.mik.nrw.de/uploads/media/salafismus_aktuell.pdf, letzter Zugriff: 20.03.2013.
16
unangemessen.32
Richtig ist, dass es auf den ersten Blick frappierende Parallelen im Denken zeitgenössischer
Salafisten und in den Positionen ʿAbduhs gibt. Auch ʿAbduh kritisierte die Glaubenspraxis
vieler Muslime scharf, auch ʿAbduh zeichnete sich durch ein hohes Maß an Skepsis
gegenüber den etablierten Rechtsschulen aus und auch ʿAbduh sah in der Rückkehr zu Koran,
Sunna und dem Islam der salaf das geeignete Mittel, um die Probleme der muslimischen
Gemeinschaft zu lösen.33 Allerdings verband er mit dem Islam der salaf oder mit Konzepten
wie dem iǧtihād inhaltlich etwas anderes als Salafisten von heute, vor allem aber folgten seine
Bestrebungen einer gänzlich anderen Zielsetzung. Im Angesicht der kolonialen Dominanz
Europas wehrte sich ʿAbduh gegen den von vielen Europäern erhobenen Vorwurf, dass der
Islam ontologisch fortschrittsfeindlich und daher für die auch von ʿAbduh wahrgenommene
Rückständigkeit muslimischer Gesellschaften hauptverantwortlich sei. Für ʿAbduh standen
weder Islam und „Moderne“ noch Islam und Rationalismus im Widerspruch zueinander,
vielmehr suchte er zeitlebens zu beweisen, dass Ratio, Logik und Bildung im Islam hohe
Wertschätzung genießen. Während ʿAbduh die koloniale Fremdherrschaft des Westens scharf
verurteilte, begegnete er den ideellen Dimensionen westlichen Denkens, etwa auf dem Gebiet
der Naturwissenschaften, durchaus mit Anerkennung und versuchte diese „islamisch“ zu
begründen und für die ägyptische Gesellschaft nutzbar zu machen.34 In diesem
Zusammenhang spielten die Ḥadīṯwissenschaft im Speziellen und die Sunna im Allgemeinen
für ʿAbduh eine untergeordnete Rolle. Als maßgebliche Stütze seiner Argumentation diente
der Koran, den er als Plädoyer für die menschliche Wissenssuche, Handlungsfreiheit und
Rationalität und somit als emanzipatorische Schrift verstand. ʿAbduhs Zugang zum
koranischen Text unterschied sich dabei gravierend vom literalistischen Textverständnis
zeitgenössischer Salafisten, da er der Vernunft gegebenenfalls Vorrang vor dem Text (naṣṣ)
einräumte, einige Verse allegorisch und andere kontextgebunden interpretierte, sodass er
beispielsweise die koranische Erlaubnis zur Polygamie mit den gesellschaftlichen Umständen
zum Offenbarungszeitpunkt erklärte, die Monogamie und moralische Gleichheit von Mann
und Frau jedoch zum eigentlichen Ideal des Koran erhob.35
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass insbesondere Gelehrte und Intellektuelle
ʿAbduh rezipieren, die im Westen oft als „reformerisch“ oder „progressiv“ beschrieben
32
33
34
35
Vgl. Haykel: Salafi Thought and Action, S. 45-47.
Vgl. Joseph Schacht: Muḥammad ʿAbduh, in: EI, New Edition, Vol. VII, S. 418-420.
Vgl. Berger: Islamische Theologie, S. 127-130.
Vgl. Schacht: Muḥammad ʿAbduh, in: EI, S. 419. Berger: Islamische Theologie, S. 128. Und für eine genaue
Analyse der Koranexegese ʿAbduhs vgl. Helmut Gätje: The Qurʾān and its Exegesis, Los Angeles 1976, v.a.
S. 42-44 und S. 248-251.
17
werden.36 Noch weniger verwunderlich erscheint es jedoch, dass ʿAbduh im zeitgenössischen
salafistischen Diskurs keine Rolle spielt. Während meiner Recherche ist mir kein Text eines
salafistischen Autors begegnet, in dem positiv auf ihn Bezug genommen wird. Im Gegenteil:
Auf der salafistischen Internetseite tawhid.ws findet sich ein Text, in dem ʿAbduh scharf
kritisiert wird.37 Ihm wird v.a. eine ungebührliche Nähe zum Westen vorgeworfen, die nicht
zuletzt an seiner Freundschaft zum britischen Kolonialbeamten und Generalkonsul in
Ägypten „Lord Cromer“ festgemacht wird. ʿAbduh habe sich zwar in jungen Jahren gegen die
physische Präsenz der Kolonialtruppen in Ägypten aufgelehnt, sei im Grunde jedoch ein
Bewunderer des Westens und ein Befürworter der „kulturellen Kolonialisierung“ (al-istiʿmār
aṯ-ṯaqāfī) gewesen. Diese wiederum stelle die folgenreichste Form der Kolonialisierung dar,
weil sie nicht mit dem Abzug der Armeen ende, sondern sich langfristig im Denken einer
Gesellschaft niederschlüge. Auch ʿAbduhs Islamverständnis wird in dem Text auf- und
angegriffen. So sei ʿAbduh fälschlicherweise der Meinung gewesen, dass der Islam als
Religion nicht aus detaillierten Vorschriften (qawānīn tafṣīlīya) bestehe, sondern in seinen
Einzelheiten nur mit Hilfe der menschlichen Verstandesfähigkeiten (ʿuqūl, Sg. ʿaql) zu
erschließen sei. Tatsächlich aber sei der Islam ein vollständiges Prinzip (mabdaʾ kāmil), das
nicht nur auf ethischen Grundsätzen (qawāʿid aḫlāqīya), sondern ebenso auf detaillierten
gesetzlichen Bestimmungen (aḥkām tafṣīlīya) beruhe.
Der Salafismus eines Muḥammad ʿAbduh hat mit dem zeitgenössischen Salafismus inhaltlich
wenig gemein. Dies ändert sich jedoch bereits mit seinen Schülern, von denen einige seine
Ideen zu liberalen und säkularen Positionen fortentwickelten, andere sich jedoch stärker am
Islamverständnis der Wahhābīya orientierten.38 Als prominentestes Beispiel für die
letztgenannte Entwicklungsrichtung gilt Rašīd Riḍā, der in seinen späten Jahren maßgeblich
zur Verbreitung „wahhābitischer“ Ideen auch außerhalb Saudi Arabiens beigetragen und nicht
zuletzt über seine Zeitschrift al-Manār das Denken des erwähnten al-Albānī beeinflusst hat.39
36 Der Literaturwissenschaftler Naṣr Ḥāmid Abū Zaid beispielsweise sieht in ʿAbduhs Korankommentar Tafsīr
al-Manār ein positives Beispiel für den Versuch die koranische Offenbarung mit der menschlichen Vernunft
in Einklang zu bringen. Für Abū Zaid ist das Werk sogar „der erste explizite Versuch einer
Rekontextualisierung des Koran vor dem kulturellen Hintergrund des 7.Jahrhunderts.“ Naṣr Ḥāmid Abū
Zaid: Gottes Menschenwort – Für ein humanistisches Verständnis des Koran, Freiburg 2008, S. 221f.
37 Vgl.
Ṭāriq
Ḥamdī:
Muḥammad
ʿAbduh;
rūwād
al-iṣlāḥ
am
at-taġrīb?
Unter:
http://www.tawhed.ws/r?i=32puve0h, letzter Zugriff: 20.03.2013.
38 Vgl. Berger: Islamische Theologie, S. 130f.
39 Vgl. Lacroix: Nasir al-Din al-Albani, S. 64.
18
2.2 Islamismus
Es wurde angedeutet, dass Salafisten im medialen sowie im wissenschaftlichen Diskurs
oftmals pauschal als Islamisten bezeichnet werden. Wenngleich die Sinnhaftigkeit einer
derartigen Bezeichnung zuweilen bezweifelt wurde, lässt sich doch feststellen, dass sie
überwiegend unwidersprochen übernommen wird. Kann man Salafisten jedoch ohne nähere
Prüfung dem islamistischen Milieu zuordnen? Sind Salafisten immer auch Islamisten?
Der Begriff Islamismus wird oft als Synonym für den Terminus politischer Islam verwendet,
der wiederum auf das zentrale Merkmal islamistischen Denkens hinweist: das Politische. Der
Islamismus gilt als „political manifestation of islam“40 und als „politische Ideologie“41.
Für Islamisten ist der Islam mehr als privat oder gemeinschaftlich gelebte Religiosität, mehr
als ein ethisch-moralischer Leitfaden, nämlich immer auch Orientierungsrahmen staatlicher
Politik, eine Religion also, die durchaus konkrete politische Ordnungsvorstellung beinhaltet.
In der staatlichen Anwendung dieser Ordnungsvorstellungen sehen Islamisten die Garantie für
eine erfolgreiche Politik; sofern in der Opposition und nicht bereits Träger politischer Macht,
wird die Umsetzung dieser Ordnungsvorstellungen als Ausweg aus der diagnostizierten
gesellschaftlichen Krise angesehen. Zwei noch heute unter Islamisten verbreitete Slogans
bringen diese Vorstellungen auf den Punkt: al-islām dīn wa-daula, der Islam ist Religion und
Staat, und al-islām huwa l-ḥall, der Islam ist die Lösung.42 Islamisten leiten aus der Religion
also politische Forderungen ab, etwa die Einführung der Scharia, die sie an den Staat richten
und für deren Umsetzung sie sich einsetzen. In der Form ihres politischen Engagements
unterscheiden sich Islamisten gleichwohl erheblich. Die ägyptische Muslimbruderschaft (alIḫwān al-Muslimūn), oft als Mutterbewegung des Islamismus angesehen, zeichnet sich seit
frühesten Jahren durch eine straffe Organisationsstruktur aus, versucht die ägyptische
Bevölkerung z.B. durch karitative Arbeit zu unterstützen und nimmt – falls möglich – an
kommunalen sowie gesamtägyptischen Wahlen teil. Von den Muslimbrüdern führt über Saiyid
Quṭb gleichfalls ein Strang zum oftmals netzwerkartig organisierten ǧihādistischen
Islamismus, der auf Gewalt für die Umsetzung seiner Ziele zurückgreift, für den
revolutionären Umsturz „unislamischer“ Regimes wirbt und die Demokratie als Staatsform
ganz überwiegend ablehnt. Gruppen wie Hamas und Hizbollah wiederum unterhalten
einerseits bewaffnete Milizen, partizipieren andererseits seit Jahren und mitunter sehr
40 Martin
Kramer:
Coming
to
Terms:
Fundamentalists
or
Islamists?
2003,
unter:
http://www.meforum.org/541/coming-to-terms-fundamentalists-or-islamists, letzter Zugriff: 20.03.2013.
41 Berger: Islamische Theologie, S. 153.
42 Vgl. Berger: Islamische Theologie, S. 159 bzw. S. 189.
19
erfolgreich am demokratischen Prozess. Und die erste islamistische Revolution fand weder in
Ägypten noch in Palästina oder Libanon statt, sondern 1979 in Iran, als die Anhänger
Āyatollāh Ḫumainīs die Regierung stürzen konnten und die Islamische Republik Iran
begründeten.43
Die genannten Beispiele weisen auf zwei wichtige Aspekte des Islamismus hin: Erstens verrät
der Begriff zunächst nichts über die Einstellung der mit ihm bezeichneten Kräfte zur
Demokratie. Es lassen sich unter Islamisten sowohl Anhänger als auch Gegner dieser
Staatsform finden. Zweitens besitzt der Terminus Islamismus unterhalb seines Islambezugs
keine theologische Aussagekraft. Es gibt sunnitische, schiitische, ja sogar sufische Islamisten,
der Begriff bezeichnet also keine konkreten Glaubensinhalte, sondern vielmehr eine
besondere Lesart des Islams als politischem Programm:
Aus der Sicht des Islamismus ist der Islam immer auch eine politisch-religiöse Ideologie. Eine
unpolitische Religiosität ist für ihn nicht vorstellbar […]. Die Erlangung der politischen Herrschaft ist
für Islamisten dabei zuweilen wichtiger als eine Umsetzung aller Einzelbestimmungen des islamischen
Rechts, so wie es traditionell verstanden wurde.44
Inwieweit die gesamte salafistische Bewegung, in der bedeutende Teile die politische
Partizipation beispielsweise in Parteien ablehnen und fast ausschließlich auf Missionsarbeit
setzen (Vgl. Kapitel 5), als islamistisch bezeichnet werden kann, hängt nicht zuletzt von der
Beantwortung folgender Fragen ab: Wo verläuft die Grenze zwischen politischem und
nichtpolitischem sozialen Handeln? Wann also ist religiöser Aktivismus politisch?
In dem knappen aber bemerkenswerten Artikel „What is Political Islam?“
vertritt der
Anthropologe Charles Hirschkind die These, dass eine Einteilung in politischen und
nichtpolitischen islamischen Aktivismus nicht vorgenommen werden kann, dass der Begriff
politischer Islam bzw. Islamismus keine analytische Aussagekraft besitzt.45 Dies begründet er
nun keinesfalls mit der prominenten und essentialistischen Auffassung vom wesenhaft
politischen Islam, sondern mit der strukturellen Verfasstheit des modernen Nationalstaates.
Hirschkind sieht in der Ausweitung des staatlichen Einflussbereiches ein entscheidendes
Merkmal
der
Nationalstaatsbildung,
vormals
der
staatlichen
Kontrolle
entzogene
gesellschaftliche Teilbereiche wie Bildung, Familie, Wohlfahrt oder Religion seien in den
43 Für einen Überblick über verschiedene islamistische Gruppierungen vgl. Guido Steinberg/Jan-Peter Hartung:
Islamistische Gruppen und Bewegungen, in: Werner Ende/Udo Steinbach: Der Islam in der Gegenwart,
München 2005, S. 681-695.
44 Berger: Islamische Theologie, S.121.
45 Vgl. Charles Hirschkind: What is Political Islam?, 1997, unter: http://www.merip.org/mer/mer205/whatpolitical-islam, letzter Zugriff: 20.03.2013.
20
Staatsapparat
inkorporiert
und
dadurch
politisiert
worden.
Jeder
Versuch
einer
gesellschaftlichen Gruppe in diesen Teilbereichen die eigenen Interessen durchzusetzen, sei
dadurch notgedrungen mit staatlichem Handeln verknüpft und deshalb politisch.
Konsequenterweise siedelt Hirschkind nun sowohl solche religiösen Bewegungen in der
politischen Sphäre an, deren Ziel die Übernahme staatlicher Institutionen darstellt, als auch
Gruppierungen, die sich der religiösen Mission oder Wertevermittlung widmen. Letztgenannte
würden zwar nicht nach institutionalisierter Macht streben, ihre Aktivitäten seien jedoch
insofern politisch, „that they are subject to restrictions imposed by the state (such as
licensing), and in so much as they must often compete with state or state-supported
institutions (pedagogic, confessional, medical) promoting Western models of family, worship,
leisure and social responsibility.“46
Folgt man Hirschkinds weitgefasstem Politikverständnis, so ist die analytische Aussagekraft
des Begriffes Islamismus bzw. politischer Islam tatsächlich arg begrenzt. Er würde
unterschiedlichste im Namen des Islams aktive Gruppen mit einschließen: Gruppen, welche
die Übernahme staatlicher Institutionen anstreben, ob mit legalen oder militanten Mitteln,
genauso wie Gruppen, die sich explizit gegen die Übernahme staatlicher Institutionen
aussprechen. Gruppen, die in parteipolitischen Organisationen politische Forderungen
artikulieren und auf ihre Durchsetzung drängen sowie solche Gruppen, die jede Form
formeller Organisation ablehnen, sich ausschließlich der religiösen Mission widmen und
Demonstrationen und öffentliche Kritik an Regierungen als „unislamisch“ verurteilen.
Aus meiner Sicht kann der Islamismusbegriff allerdings durchaus einen wissenschaftlichen
Wert besitzen, gerade dann nämlich, wenn er die erwähnten Unterschiede islamischer
Gruppierungen in den Blick nimmt und diesbezüglich als analytische Orientierungshilfe dient.
Ansonsten würde er nicht mehr als die Grenze zwischen privater und öffentlicher Religiosität
markieren, vorausgesetzt, man würde ihn wie Hirschkind nicht vollständig verwerfen. Die
geforderte Unterscheidungskraft kann der Islamismusbegriff jedoch nur dann aufweisen,
wenn er klar definiert wird und ihm ein vergleichsweise enggefasstes Politikverständnis
zugrunde liegt, welches davon ausgeht, dass politischer Aktivismus immer einen staatlichinstitutionellen Fokus aufweist, dass politische Aktivisten also nach institutioneller Macht
streben und die staatliche Durchsetzung ihrer Ansichten fordern.47 In Anlehnung an Noah
Salomon werden Islamisten in der vorliegenden Arbeit daher als Akteure verstanden, die auf
die Islamisierung des Staates und seiner Institutionen drängen, ganz gleich ob mit friedlichen
46 Hirschkind: What is Political Islam?
47 Zur äußerst komplexen Debatte über die Wesenszüge politischen Handelns vgl. Mark E. Warren: What is
Political?, in: Journal of Theoretical Politics, 1999, 11:207, S. 207-231.
21
oder gewalttätigen Mitteln.48 Wenngleich der Islamismusbegriff mittlerweile in inflationärer
Weise und weit über die hier definierten Grenzen hinaus verwendet wird, folgt die genannte
Definition im Kern dem Verständnis von Islamismus als einer staatsorientierten Bewegung
und „Herrschaftstheorie“49.
Die in dieser Arbeit verwendete Islamismusdefinition hat jedoch nicht nur den Vorteil die
verschiedenen Handlungsmuster islamischer Aktivisten zu kategorisieren und zu ordnen. Die
größte Rechtfertigung ihrer Verwendung findet sich im salafistischen Diskurs selbst. Wie
Noah Salomon in seinem Artikel „The Salafi Critique of Islamism“ überzeugend darlegt, wird
die Trennlinie zwischen Islamisten (islāmīyūn) und Nichtislamisten, zwischen politischem
und nicht-politischem Islam, oft genau dort gezogen, wo Aktivisten beginnen, den Staat als
primäres Ziel der Islamisierung zu betrachten.50 Dass sich nicht wenige Salafisten durch eine
bemerkenswerte Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen und den Mechanismen staatlicher
Politik auszeichnen, wurde angedeutet und wird im weiteren Verlauf der Arbeit näher
ausgeführt.
2.3 Fundamentalismus
Salafisten werden nicht nur als Islamisten, sondern auch als Fundamentalisten bezeichnet.
Ganz ähnlich wie der Islamismusbegriff wird auch der Terminus Fundamentalismus dabei
vielfach ohne vorherige Definition verwendet, was dazu führt, dass er weniger als
wissenschaftliche Kategorie denn als diskreditierendes Schlagwort fungiert.
Wie aber kann eine Fundamentalismusdefinition aussehen, welche die Verwendung des
Begriffes rechtfertigt und eine wissenschaftliche Aussagekraft besitzt? Und eignet sich ein
eindeutig
definierter
Fundamentalismusbegriff
bei
der
Beschäftigung
mit
dem
zeitgenössischen Salafismus womöglich besser als der auf politische Gruppierungen
beschränkte Islamismusbegriff?
Eine
der
wenigen
klaren
und
differenzierten
theoretischen
Definitionen
des
Fundamentalismus bietet der Religionssoziologe Martin Riesebrodt an. 51 Insbesondere aus
zwei Gründen liegt es nahe die Grundzüge seiner Fundamentalismustheorie an dieser Stelle
kurz vorzustellen und im weiteren Verlauf der Arbeit im Hinterkopf zu behalten: Erstens trifft
Riesebrodt detaillierte Aussagen über Inhalt und Struktur der fundamentalistischen Ideologie,
48 Vgl. Noah Salomon: The Salafi Critique of Islamism, hier besonders Fußnote 4.
49 Martin
Riexinger:
Islamismus
und
Fundamentalismus,
2007,
unter:
http://www.bpb.de/themen/SXR79M,0,0,Islamismus_und_Fundamentalismus.html,
letzter
Zugriff:
20.03.2013.
50 Vgl. Salomon: Salafi Critique of Islamism, S. 143-168, hier besonders Fußnote 4.
51 Vgl. Riesebrodt: Fundamentalismus, v.a. S. 11-40. Und Riesebrodt: Rückkehr der Religionen, v.a. S. 50-52.
22
misst der Ideologie fundamentalistischer Bewegungen also große Bedeutung bei. Zweitens
begreift er den Fundamentalismus nicht als genuin politische Bewegung, schließt quietistischpietistische Bewegungen ohne politische Ambitionen vielmehr ausdrücklich in seine Theorie
mit ein.52 Vor dem Hintergrund der Fundamentalismustheorie Riesebrodts ist der vielerorts
betriebenen Gleichsetzung von islamischem Fundamentalismus und Islamismus daher
entschieden zu widersprechen.53
Bevor wir einen genaueren Blick auf die theoretischen Annahmen Riesebrodts hinsichtlich der
Grundstrukturen fundamentalistischer Ideologie werfen, sei kurz auf einige generelle
Vorbehalte gegen die Verwendung des Fundamentalismusbegriffes im islamischen Kontext
hingewiesen. Oftmals wird die Verwendung des Begriffes im Zusammenhang mit islamischen
Strömungen und Bewegungen mit dem Verweis auf seinen christlichen Ursprung abgelehnt.54
In der Tat ist der Fundamentalismusbegriff erstmals zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur
Bezeichnung einer religiösen Strömung innerhalb des amerikanischen Protestantismus
verwendet worden, die sich u.a. gegen die moderne Bibelkritik richtete und für eine
literalistische Auslegung der heiligen Schrift eintrat. Bei der religionsübergreifenden
Verwendung von Begriffen, die in ihrem Entstehungs- sowie Anwendungskontext mit einer
bestimmten religiösen Tradition verknüpft sind, ist tatsächlich Vorsicht geboten. Dennoch
erscheint es mir nicht angemessen eine derartige Begriffsübertragung a priori abzulehnen.
Eine solche Ablehnung basiert auf der irrigen Annahme von der prinzipiellen
Unvergleichbarkeit von Religionen und Kulturen, die letztendlich - wenn auch ungewollt - zur
„Exotisierung und Essentialisierung gerade nicht-westlicher Kulturen und religiöser
Traditionen“55 beiträgt. Auch der Islam ist nicht derart anders, dass sich Vergleiche mit
anderen Religionen von vornherein verbieten.
Ein weiteres gängiges Argument gegen die Übertragung des Fundamentalismusbegriffes geht
davon aus, dass er im Zusammenhang mit islamischen Gruppen und Strömungen keine
analytische Aussagekraft besitzt. So würden im christlichen Kontext jene Strömungen als
fundamentalistisch bezeichnet und von anderen Gruppen unterschieden, welche die
Irrtumsfreiheit der Bibel proklamieren, sie als verbalinspiriertes Wort Gottes ansehen und ihre
wortwörtliche Auslegung fordern. Im islamischen Kontext sei eine Unterscheidung nach
derartigen Kriterien jedoch unmöglich, da alle Muslime in ihrem Verständnis vom Koran als
geoffenbartem Wort Gottes einer literalistischen Auslegung der religiösen Texte anhängen
52 Vgl. Riesebrodt: Fundamentalismus, S. 20.
53 Albrecht Metzger beispielsweise setzt zunächst die Begriffe Islamismus und Islamischer Fundamentalismus
gleich, um sich dann für den Islamismusbegriff zu entscheiden. Vgl. Albrecht Metzger: Der Himmel ist für
Gott, der Staat für uns – Islamismus zwischen Gewalt und Demokratie, Göttingen 2000, S. 19.
54 So beispielsweise bei Jan Künzl: Islamisten – Terroristen oder Reformer? Marburg 2008, S. 18.
55 Riesebrodt: Rückkehr der Religionen, S. 52.
23
würden. In diesem Punkt ist es meiner Ansicht nach elementar, zwischen dem muslimischen
Verständnis vom Koran und dem exegetischen Zugang zu diesem zu unterscheiden. Zwar
halten (die allermeisten) Muslime den Koran in der Tat für das unerschaffene, fehlerfreie und
unmittelbare Wort Gottes, dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass sie sich in der Auslegung des
ambigen koranischen Textes nicht unterscheiden würden. Die mancherorts vertretene
Auffassung, alle Muslime würden sich durch einen literalistischen Zugang zum Korantext
auszeichnen, ist aus meiner Sicht nicht nur stark verallgemeinernd, sondern schlichtweg
falsch. Man muss nicht auf „modernistische“ Gelehrte wie ʿAbduh zurückgreifen, um
festzustellen, dass allegorische, symbolische und kontextuelle Deutungen des Koran in der
vielfältigen islamischen Exegesetradition ihren festen Platz haben.56 Ganz Ähnliches gilt im
Übrigen für die Sunna, der zweiten zentralen religiösen Quelle des Islams.
Ein literalistischer Zugang zu den religiösen Quellen lässt sich laut Riesebrodt als
wesentliches Merkmal fundamentalistischer Religiosität betrachten. Hier unterscheiden sich
fundamentalistische Bewegungen seiner Meinung nach gravierend von anderen religiösen
Revitalisierungsbewegungen, die ebenfalls die Rückkehr zu den religiösen Ursprüngen und
die Orientierung an einer als ideal wahrgenommenen Frühzeit als Lösung für die
diagnostizierte
Gesellschaftskrise
propagieren.
Während
Fundamentalisten
die
buchstabengetreue Anwendung der Ordnungsprinzipien der Urgemeinde, der Gebote des
Stifters und des Offenbarungstextes forderten, die jeweilige religiöse Tradition demnach vor
allem in Hinblick auf ihre gesetzesethische Dimension betrachteten,
gehe es
nichtfundamentalistischen Bewegungen nicht um die wörtliche Umsetzung jener Traditionen
und Prinzipien, sondern um ihre „analoge Anwendung“57 vor dem Hintergrund der sich
wandelnden gesellschaftlichen Umstände: „Nicht den Buchstaben, sondern den „Geist“ der in
der Vergangenheit einmal verwirklichten idealen Ordnung gilt es unter neuen Bedingungen zu
realisieren.“58
Es
ist
offensichtlich,
dass
die
modernistische
Salafīya
diesem
Anforderungsprofil weitestgehend entspricht, trotz ihres Bezugs auf die „Fundamente“ des
Islams hiernach also nicht als fundamentalistisch bezeichnet werden kann.
Ein ausgeprägter Literalismus bildet in der Fundamentalismustheorie Riesebrodts jedoch
nicht das einzige Merkmal fundamentalistischen Denkens. Vielmehr ließen sich bei
Fundamentalisten unterschiedlichster Religionen gemeinsame ideologische Grundmuster
56 Für einen Überblick über Entstehung und Entwicklung der verschiedenen koranischen Exegesetraditionen
vgl. Hussein Abdul-Raof: Schools of Qur´anic Exegesis – Genesis and Development, New York 2010, S.
101.
57 Riesebrodt: Rückkehr der Religionen, S. 53.
58 Riesebrodt: Fundamentalimus, S. 20.
24
erkennen.59 Vier dieser Grundmuster seien an dieser Stelle näher betrachtet.
Zum Ersten zeichnet sich die fundamentalistische Ideologie laut Riesebrodt durch einen
patriarchalischen Moralismus aus. Demnach steht der moralische Verfall der Gesellschaft im
Zentrum der fundamentalistischen Gesellschaftskritik. Dieser moralische Verfall äußere sich
für Fundamentalisten in Phänomenen wie Prostitution, Pornographie, Ehebruch, Scheidungen,
Alkoholkonsum oder ausschweifenden Tanz- und Musikveranstaltungen, deren Existenz als
Resultat der Abkehr vom göttlichen Gesetz mit seiner festgelegten Geschlechterordnung
angesehen wird. Als Ausweg aus dieser moralischen Dekadenz wird die Rückkehr zu einer
gottgewollten
Ordnung
betrachtet,
die
durch
eine
klare
geschlechtsspezifische
Rollenverteilung gekennzeichnet ist, dem Mann mithin die Rolle des in der öffentlichen
Sphäre tätigen Ernährers zukommen lässt und die Aufgaben der Frau vorwiegend im
häuslichen Bereich, etwa in der Kindererziehung, verortet. Diese Rollenverteilung wird nach
Riesebrodt dabei einerseits mit den „wesenhaften“ und „natürlichen“ Unterschieden der
Geschlechter begründet und ist andererseits das Resultat eines bestimmten Blickes auf die
weibliche Sexualität, die als potentiell bedrohlich angesehen wird und die es um der
gesellschaftlichen Ordnung willen zu zähmen gelte. Vor diesem Hintergrund seien die
Versuche fundamentalistischer Kräfte zu verstehen, bestimmte Kleidungsvorschriften für
Frauen durchzusetzen oder die Vermischung der Geschlechter an öffentlichen Orten zu
verhindern.60
Als zweiten elementaren Bestandteil der fundamentalistischen Ideologie führt Riesebrodt eine
spezifische organische Sozialethik an, die sich darin äußert, dass Fundamentalisten dem
modernen Konflikt- und Klassendenken ein religiöses Integrationsmodell entgegenstellen. Die
gesellschaftlichen Konfliktlinien verlaufen für Fundamentalisten demnach nicht entlang von
Kategorien wie Arm und Reich, Arbeiter und Unternehmer, sondern entlang der Kategorien
Glaube und Unglaube. Entscheidendes Kriterium für die Gruppenzugehörigkeit sei somit die
Akzeptanz bestimmter religiöser Werte, nicht das Vorhandensein gemeinsamer materieller
Interessen.61
Drittens ist die fundamentalistische Ideologie nach Riesebrodt durch einen gesetzesethischen
Monismus gekennzeichnet. So existiere für Fundamentalisten nur die eine im göttlichen
Gesetz verankerte Ethik, die ewige Gültigkeit beanspruchen könne und alle Situationen und
Lebensbereiche
regele.
Laut
der
Fundamentalismustheorie
Riesebrodts
ist
die
fundamentalistische Ideologie durch eine antipluralistische Grundhaltung charakterisiert, da
59 Vgl. Riesebrodt: Fundamentalimus. S. 217-224.
60 Vgl. Riesebrodt: Fundamentalimus. S. 217-219
61 Vgl. Riesebrodt: Fundamentalimus. S. 219f.
25
sie die Existenz anderer gesellschaftlicher Teilethiken nicht anerkennen würde.62
Darüberhinaus
nennt
Riesebrodt
einen
religiösen
Nativismus
mit
universellem
Geltungsanspruch als viertes wichtiges ideologisches Element des Fundamentalismus. Dieser
könne sowohl einen regressiven als auch einen expansiven Aspekt besitzen und baue vor
allem auf einem für das fundamentalistische Denken charakteristischen manichäischen
Weltbild auf, das die Welt in „zwei oppositionelle Lager, in Gut und Böse“ 63 einteile. Der
fundamentalistische Nativismus zeige sich dabei in der Besinnung auf die eigenen religiösen
Traditionen und der gleichzeitigen Ablehnung als fremd wahrgenommener Einflüsse. In
diesem Sinne zeichnet sich die fundamentalistische Ideologie durch eine isolationistischexklusivistische Grundhaltung aus, die durchaus offen xenophobe Züge tragen kann.
Insbesondere wenn wir uns im weiteren Verlauf der Arbeit mit den theologischen Positionen
des
Salafismus
auseinandersetzen,
werden
wir
sehen,
dass
Riesebrodts
Fundamentalismustheorie einen hohen wissenschaftlichen Wert besitzt und sich zentrale
Grundmuster
fundamentalistischer
Ideologie
62 Vgl. Riesebrodt: Fundamentalimus. S. 220f.
63 Riesebrodt: Fundamentalimus. S. 222.
26
auch
im
Salafismus
finden
lassen.
3 Ideologischer Hintergrund: Saudi Arabien und die Wahhābīya
In einem seltenen Moment der Einigkeit riefen Teile der ägyptischen Salafīya und die
Muslimbruderschaft im Juli 2011 zu einer gemeinsamen Demonstration auf dem Taḥrīr-Platz
in Kairo auf. Die teilnehmenden Salafisten, mittlerweile offenkundig im islamistischen
Spektrum angelangt, fielen dabei neben der Forderung nach der Einführung der Scharia durch
das Schwenken einiger saudi-arabischer Nationalflaggen auf.1 Insbesondere die nichtislamistischen Kräfte in Ägypten sahen sich dadurch in ihrer Annahme bestätigt, die
Salafisten würden nach der Errichtung eines Staatswesen nach saudischem Vorbild streben
und vom saudischen Königshaus finanziert. Ähnliche Gerüchte über saudische Finanzströme
waren sowohl bei den ägyptischen Parlamentswahlen als auch bei den Präsidentschaftswahlen
zu vernehmen und wurden nicht zuletzt durch die aufwendigen Wahlkämpfe salafistischer
Parteien und Kandidaten genährt.2 Die Gerüchte folgten dabei einem Argumentationsmuster,
das im Zusammenhang mit dem globalen Salafismus vielerorts anzutreffen ist, selten jedoch
in so unverblümter Weise formuliert wird wie von dem Sozialisten Muḥammad Wakīd, der in
einem Interview die ägyptischen Salafisten als „saudische Stützpunkte“ und „Marionetten der
Saudis“ bezeichnete.3
Es ist zunächst einmal richtig, dass der zeitgenössische Salafismus ohne Kenntnis der
innenpolitischen Entwicklungen in Saudi Arabien und der dort dominierenden Lesart des
Islams nicht zu verstehen ist. Saudi Arabien kann durchaus als Mutterland des Salafismus
angesehen werden. Bereits ein Blick auf die Biographien prominenter Gelehrter des
Salafismus zeigt die immense Bedeutung Saudi Arabiens und seiner religiösen Institutionen
bei der Vermittlung und Verbreitung der salafistischen Ideologie. Sofern nicht wie Ibn Bāz,
Ibn al-ʿUṯaimīn oder al-Fauzān direkt aus Saudi Arabien stammend, verbrachte eine Vielzahl
der renommiertesten Salafisten längere Abschnitte ihres Lebens an saudischen Lehranstalten:
angefangen bei Nāṣir ad-Dīn al-Albānī und Muqbil al-Wādiʿī über die heute in
Großbritannien bzw. Kuwait tätigen Muḥammad Surūr Zain al-ʿĀbidīn und ʿAbd ar-Raḥmān
Ibn ʿAbd al-Ḫāliq bis hin zu dem populären ägyptischen Fernsehprediger Muḥammad Ḥassān.
Selbst der deutsche Salafist Pierre Vogel alias Abū Ḥamza studierte mehrere Semester an der
Umm al-Qurā Universität in Mekka.
1 Vgl. Islamopedia: Salafi Influences, unter: http://www.islamopediaonline.org/country-profile/egypt/salafiinfluences. Letzter Zugriff: 1.3.2013.
2 Vgl.
Christoph
Sydow:
US-Pass
bringt
Islamisten
in
Erklärungsnot,
unter:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/passaerger-fuer-aegyptens-praesidentschaftskandidat-hazem-salah-abuismail-a-825987.html. Letzter Zugriff: 1.3.2013.
3 Interview mit Muḥammad Wakīd in der Jungen Welt, 21.5.2011, abrufbar unter: http://www.agfriedensforschung.de/regionen/Aegypten/wakid.html. Letzter Zugriff: 1.3.2013.
27
Es lässt sich gleichfalls schwerlich bezweifeln, dass die Ausbreitung des saudischen
Islamverständnisses über die Grenzen des Königreichs hinaus einen festen Bestandteil der
außenpolitischen Agenda des saudischen Königshauses darstellt und durchaus auch
machtpolitischen Erwägungen folgt. Insbesondere seit den 70er Jahren und verstärkt nach der
iranischen Revolution fließen nicht wenige saudische Petrodollars in den internationalen
Vertrieb religiöser Schriften, in die Errichtung und den Unterhalt von Moscheen,
Bildungseinrichtungen und Organisationen außerhalb Saudi Arabiens und in den Aufbau eines
überregionalen Mediennetzwerkes.4 Was Noorhaidi Hasan mit Blick auf den indonesischen
Salafismus feststellt, gilt für die salafistische Bewegung insgesamt:
Its very existence demonstrates how the dynamics of Islamic activism have taken their form in the
context of the intensification of globalisation spurred by an increasing ease of travel, communication,
learning and flow of ideas. Despite its local nuances and characteristics, the movement primarily
evolved out of the dynamics of transnational politics in the Muslim world. In fact, its rapid
proliferation constitutes a manifestation of the rising influence of Saudi Arabia in the world´s politics.5
Dennoch sollten Salafisten außerhalb Saudi Arabiens nicht als bloße Handlanger und
Interessenvertreter der saudischen Regierung angesehen werden, wie es die Metaphern von
den saudischen Stützpunkten und Marionetten nahelegen. Bereits die Finanzierung des
globalen Salafismus ist komplexer als vielfach angenommen. Keinesfalls alle salafistischen
Gruppierungen werden direkt vom saudischen Staat finanziert, die Geldströme innerhalb der
Salafīya sind vielmehr häufig nebulös und informell und gehen oftmals auf nichtstaatliche
Akteure zurück, die der saudischen Regierung nicht zwangsläufig in bedingungsloser
Loyalität gegenüberstehen.6 Auch Staaten wie Qatar oder Kuwait spielen für die Finanzierung
salafistischer Gruppen keine unerhebliche Rolle.
Darüber hinaus wirken sich die lokalen politischen, gesellschaftlichen und sozialen
Gegebenheiten naturgemäß auf das Handeln salafistischer Gruppen aus. Wie wir sehen
werden, zeigt gerade das Beispiel der postrevolutionären ägyptischen Salafīya wie
gesellschaftspolitische Entwicklungen das Verhalten und die ideologische Ausrichtung
salafistischer Akteure prägen und in einer Weise verändern können, die nicht unbedingt im
Interesse des saudischen Königshauses liegen dürfte und der These von den „ferngesteuerten“
4 Vgl. Saeed Shehabi: The role of religious ideology in the expansionist policies of Saudi Arabia, in: Madawi
al-Rasheed: Kingdom without Borders – Saudi Arabia´s Political, Religious and Media Frontiers, London
2008, S. 183-199.
5 Noorhaidi Hasan: Saudi Expansion, The Salafi Campaign and Arabised Islam in Indonesia, in: al-Rasheed:
Kindom without Borders, S. 263-281, hier: S. 264.
6 Vgl. Madawi al-Rasheed: An Assesment of Saudi Political, Religious and Media Expansion, in: al-Rasheed:
Kingdom without Borders, S. 1-38, hier: S. 18-24.
28
Salafisten widerspricht.
Sowohl in Ägypten als auch auf globaler Ebene ist die salafistische Bewegung weit
vielschichtiger und dynamischer als die erwähnten Sprachbilder suggerien. Insbesondere an
der Frage nach der richtigen Haltung gegenüber der saudischen Regierung entzünden sich im
salafistischen Milieu bis heute heftige Debatten. Die dabei vertretenen Standpunkte folgen
nicht zuletzt den in Saudi Arabien selbst vertretenen Auffassungen. Dies ist für das
Verständnis des Salafismus zentral: Auch der saudische Islam, vielfach als „wahhābitisch“
bezeichnet, ist alles andere als homogen. Im Gegenteil: Die politische Fragmentierung des
zeitgenössischen Salafismus ist nicht zuletzt Abbild und Folge der Heterogenität des
saudischen
Islams
höchstselbst.
Eine
genauere
Betrachtung
der
theologischen
Grundannahmen der Wahhābīya sowie der politischen Debatten im Saudi Arabien des 20.
Jahrhunderts ist für unser Thema deshalb unabdingbar.
3.1 Zum Begriff Wahhābīya
Während der Begriff Wahhabismus in den deutschen Medien relativ selten verwendet wird,
hat sich der Terminus in der Wissenschaft zur Bezeichnung einer religiösen Bewegung
durchgesetzt, die Mitte des 18. Jahrhunderts in Saudi Arabien entstanden ist. Die Bezeichnung
Wahhābīya wird abgeleitet von Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb, dem Begründer der
Bewegung. Es ist allerdings wichtig festzuhalten, dass sich Ibn ʿAbd al-Wahhāb und seine
Anhänger selbst nie als Wahhābiten bezeichnet haben, der Begriff Wahhābīya ist vielmehr
eine Wortschöpfung der frühesten Gegner der Bewegung. Kritiker Ibn ʿAbd al-Wahhābs allen voran sein Bruder Sulaimān – unterstrichen mit der Bezeichnung ihre Ansicht, nach der
die Unterstützer Ibn ʿAbd al-Wahhābs einer fanatischen Lehre folgen, die ihre Wurzeln nicht
in der sunnitisch-islamischen Tradition, sondern in den häretischen Gedanken eines einzelnen
Gelehrten habe.7 Bis heute wird der Begriff im innerislamischen Diskurs auf ähnliche Weise
genutzt. Im Internet beispielsweise kursieren zahlreiche Videoclips über den deutschen
Salafisten Pierre Vogel, in denen vor seinem „wahhabitischen“ Islamverständnis gewarnt
wird.
Ibn ʿAbd al-Wahhāb und seine Gefolgsleute wiederum bezeichneten sich selbst als „Bekenner
der Einheit Gottes“ (al-muwaḥḥidūn), als „Anhänger des tauḥīd“ (ahl at-tauḥīd), als
Salafisten (as-salafīyūn) oder schlicht als Muslime.8 Heute wird in Kreisen, die in der
7 Vgl. Esther Peskes: Muḥammad b. ʿAbdalwahhāb (1703-92) im Widerstreit – Untersuchungen zur
Rekonstruktion der Frühgeschichte der Wahhābīya, Beirut 1993, S.15.
8 Vgl. Guido Steinberg: Religion und Staat in Saudi-Arabien – Die wahhabitischen Gelehrten 1902-1953,
Würzburg 2002, S.28.
29
Wissenschaft oftmals der Wahhābīya zugeordnet werden, die Bezeichnung Salafist jedoch
bevorzugt.9
Wenngleich der Begriff Wahhabismus in der Wissenschaft - trotz seines Charakters als
diskreditierender Fremdbezeichnung - oft verwendet wird, herrscht keine Einigkeit über
seinen exakten Bedeutungsgehalt. Verstehen manche unter Wahhabismus eine historisch
abgeschlossene Reformbewegung,10 nutzt die Mehrzahl der Wissenschaftler den Begriff auch
für die Beschreibung des heute in Saudi Arabien dominierenden Islamverständnisses.11 Die
letztgenannte Anwendungspraxis hat jedoch seltsame Konstellationen zur Folge, da gewisse
in Saudi Arabien vertretene Standpunkte als wahhabitisch bezeichnet werden, während
dieselben ideologischen Auffassungen anderswo als salafistisch gelten. Was Wissenschaftler
als zeitgenössischen Wahhabismus beschreiben ist jedoch nichts anderes als Salafismus,
weshalb die Verwendung des Terminus Wahhabismus für das vielschichtige Islamverständnis
großer Teile der heutigen saudischen Muslime wenig einleuchtend erscheint. Daher wird in
dieser Arbeit unter Wahhābīya eine historische Reformbewegung verstanden, die mit der
Missionstätigkeit Ibn ʿAbd al-Wahhābs begann und mit dem Zusammenbruch des ersten
saudischen „Staates“ im Jahre 1818 endete. Diese Reformbewegung bildet wiederum die
wichtigste ideologische Quelle des zeitgenössischen Salafismus, ist jedoch nicht mit diesem
gleichzusetzen. Im Folgenden sollen die theologischen Grundpositionen der Wahhābīya
skizziert werden, an den Stellen jedoch, an denen die saudischen religös-politischen Debatten
des 20. Jahrhunderts berührt werden, befinden wir uns bereits im salafistischen Diskurs.
3.2 Theologie
Wie erwähnt, wird die Wahhābīya auch als religiöse Reformbewegung bezeichnet. Im
Zusammenhang mit Offenbarungsreligionen wird der Begriff Reform dabei oftmals als
Rückkehr zu den Ursprüngen der Religion verstanden, d.h. zu den Lehren des jeweiligen
Religionsbegründers und den Offenbarungstexten.12 In diesem Sinne kann die Wahhābīya als
religiöse Reformbewegung gelten. Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb ging es zuvorderst
darum, den aus seiner Sicht wahren Islam wiederherzustellen, dessen Grundlagen Koran und
Sunna bilden sollten und der zuletzt zu Lebzeiten der salaf in Gänze verwirklicht worden sei.
9 Vgl. Madawi al-Rasheed: Contesting the Saudi State – Islamic Voices from a New Generation, Cambridge
2007, S.2.
10 So beispielsweise Bonnefoy in seiner Studie über den Salafismus im Jemen. Vgl. Bonnefoy: Salafism in
Yemen, S. 39-42.
11 Vgl. Steinberg: Religion und Staat, S.29-30. Vgl. al-Rasheed: Contesting the Saudi State, S.2. Vgl. David
Commins: The Wahhabi Mission and Saudi Arabia, New York 2006, S.185.
12 Vgl. Rudolph Peters: Erneuerungsbewegungen im Islam vom 18. bis 20. Jahrhundert und die Rolle des
Islams in der neueren Geschichte: Antikolonialismus und Nationalismus, in: Ende/Steinbach: Der Islam in
der Gegenwart, S. S. 90-123, hier: S. 90.
30
Die von der Mehrheit seiner Umgebung praktizierte Religion hatte für ihn mit den echten
Lehren des Islams nichts mehr gemein. Vielmehr hätten sich die Menschen derart weit von
den islamischen Grundlagen entfernt, dass sie in den Zustand vorislamischer Unwissenheit
(ǧāhilīya) zurückgefallen seien.13
Den Mittelpunkt der Mission (daʿwa) Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhābs bildete sein
zweigliedriges Konzept des tauḥīd.14 Dabei wich er mit der Betonung der Relevanz des tauḥīd
nicht von der damals dominierenden Gelehrtenmeinung ab, die das Einheitsbekenntnis neben
der Erfüllung der religiösen Pflichten als konstituierendes Element des Muslimseins ansah.
Das zentrale Unterscheidungsmerkmal der Lehre Ibn ʿAbd al-Wahhābs war seine Auffassung
darüber, was für die Erfüllung des tauḥīd erforderlich ist bzw. welche Handlungen eine
Verletzung des tauḥīd darstellen und damit den Tatbestand der Vielgötterei (širk) erfüllen.15
Da es unter den sunnitischen Gelehrten überwiegend anerkannt war (und ist), dass širk in
seiner gravierendsten Form (širk akbar) einen Muslim zum Apostaten macht, dessen Leben
rechtlich nicht mehr geschützt ist, ging es in diesem Zusammenhang also um nicht weniger
als um die Frage nach der Festlegung der Trennlinie zwischen Glaube (imān) und Unglaube
(kufr).
Während das Aussprechen des Glaubensbekenntnisses (šahāda) von den damaligen
Theologen mehrheitlich als hinreichende Bedingung für die Erfüllung des tauḥīd angesehen
wurde, widersprach Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb dieser Auffassung vehement.16 Zwar
würde die Mehrzahl der Menschen seiner Umgebung tatsächlich die šahāda aussprechen und
den religiösen Pflichten wie dem Gebet nachkommen, gleichwohl seien sie keinesfalls
Muslime, weil sie den zentralen Aspekt des tauḥīd vernachlässigen würden: den tauḥīd alulūhīya, oder von Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb synonym verwendet: den tauḥīd alʿibāda.
Esther Peskes übersetzt den Begriff tauḥīd al-ulūhīya mit „Bekenntnis zur Einheit Gottes
durch den Dienst an Gott“ und definiert ihn als „das aktive Element, mit dem der Gläubige
durch sein eigenes Handeln, durch den Dienst an Gott allein, das Bekenntnis zur Einheit
Gottes in die Tat umsetzt.“17
In seinem auch von heutigen Salafisten viel beachteten Werk, dem Kitāb at-Tauḥīd,18 definiert
13 Vgl. Commins: The Wahhabi Mission, S.19.
14 Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb gliederte den tauḥīd, wie schon Ibn Taimīya, in die Kategorien tauḥīd arrubūbīya und tauḥīd al-ulūhīya bzw. tauḥīd al-ʿibāda. Wir werden sehen, dass heutige Salafisten dieses
Konzept um eine dritte, in ganz seltenen Fällen sogar um eine vierte Kategorie erweitern. Vgl. Kapitel 4. und
Peskes: Muḥammad b. ʿAbdalwahhāb, S. 21-24, v.a. Fußnote 33.
15 Vgl. Peskes: Muḥammad b. ʿAbdalwahhāb, S.18.
16 Vgl. Commins: The Wahhabi Mission, S.14, und: Peskes: Muḥammad b. ʿAbdalwahhāb, S.21.
17 Peskes: Muḥammad b. ʿAbdalwahhāb, S.23.
18 Das Kitāb at-Tauḥīd von Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb gilt als das dogmatische Grundlagenwerk der
31
Muḥammad ibn ʿAbd al-Wahhāb den tauḥīd al-ulūhīya vorwiegend negativ. Er listet eine
Vielzahl von Vergehen auf, die diesen aus seiner Sicht verletzen. Nicht alle aufgelisteten
Vergehen stuft er dabei als širk akbar ein, so jedoch folgende: das Ersuchen von Segen z.B.
von Bäumen, das Gelübde (naḏr) gegenüber jemand anderem als Gott oder das Richten einer
Anrufung bzw. eines Bittgebets (duʿāʾ) oder eines Hilfegesuchs (istiġāṯa) an einen anderen als
Gott.19 Heftige Kontroversen zwischen Anhängern der Wahhābīya und ihren Gegnern
entzündeten sich an der Frage nach der Rechtmäßigkeit des tawassul, d.h. der Bitte um
Vermittlung bei Gott durch den Propheten oder einen verstorbenen Heiligen. Ibn ʿAbd alWahhāb verurteilte den tawassul scharf und richtete sich damit v.a. gegen Zwölferschiiten
und sunnitische Sufiorden, für die der tawassul an den Gräbern der Imame bzw. der
Ordensbegründer einen zentralen Bestandteil des religiösen Kultes darstellte.20 Ibn ʿAbd alWahhāb widersprach mit seiner Position jedoch auch den meisten Gelehrten der
renommierten sunnitischen al-Azhar, die noch über hundert Jahre nach dem Ableben Ibn
ʿAbd al-Wahhābs die Legitimität des tawassul betonten.21 Die wahhabitische Kritik richtete
sich also vor allem gegen Praktiken aus dem Gebiet der Heiligenverehrung und des
Gräberkultes, die als Verstoß gegen das islamischen Monotheismusgebot gewertet wurden. Da
eine Vielzahl dieser als širk akbar eingestufter Praktiken unter Muslimen weite Verbreitung
fanden, waren die Konsequenzen der Lehre Ibn ʿAbd al-Wahhābs so simpel wie weitreichend:
Faktisch erklärte er einen großen Teil der Muslime zu Polytheisten und somit zu Ungläubigen
(kuffār).
Aus der Sicht Ibn ʿAbd al-Wahhābs musste der tauḥīd sowohl mit dem Herzen (qalb) und der
Zunge (lisān), als auch durch die Tat (ʿamal) vollzogen werden. Tauḥīd durch die Tat hieß für
ihn jedoch nicht nur das Ablassen von jenen Praktiken, die er als unerlaubte Neuerungen oder
sogar als Ausdruck von Polytheismus wertete. Seine Lehre vom islamischen Monotheismus
beinhaltete vielmehr sowohl eine offensiv-aktionistische als auch eine defensivisolationistische Dimension. So erhob er das feindschaftliche Vorgehen gegen seine
„polytheistische“ Umgebung zur religiösen Notwendigkeit:
Wahhābīya. Es wird heute auf verschiedensten salafistischen Internetseiten in unterschiedlichsten Sprachen
vertrieben.
19 Vgl. Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb: Kitab at-Tauhid – The Book of Monotheism, Riad 1996, S. 57-63.
Und: Peskes: Muḥammad b. ʿAbdalwahhāb, S.24-26.
20 Vgl. Werner Ende: Religion, Politik und Literatur in Saudi-Arabien: Der geistesgeschichtliche Hintergrund
der heutigen religiösen und kulturpolitischen Situation, in: Orient, Jahrgang 22/1981, S.370-390, hier: S.380.
21 Vgl. Dirk Boberg: Ägypten, Naǧd und der Ḥiǧāz – Eine Untersuchung zum religiös-politischen Verhältnis
zwischen Ägypten und den Wahhabiten, 1923-1936, anhand von in Kairo veröffentlichten pro- und
antiwahhabitischen Streitschriften und Presseberichten, Bern 1991, S.32-34.
32
Bedenke, daß der Islam nur mit dem feindschaftlichen Vorgehen gegen die, die širk betreiben,
vollständig vollzogen ist. Wer nicht feindschaftlich gegen sie vorgeht, der ist einer von ihnen, auch
22
wenn er ihn [den širk] nicht selbst vollzieht.
Diese offensiv-aktionistische Dimension der Ideologie der Wahhābīya bildet einen
entscheidenden Faktor für das Verständnis der raschen Ausdehnung des wahhabitischen
Machtbereiches auf der arabischen Halbinsel. Während Ibn Saʿūd die militärischen
Ressourcen bereitstellte, forderte Ibn ʿAbd al-Wahhāb die offene Feindschaft gegen die
„Pseudomuslime“ seiner Umgebung, legitimierte durch den takfīr den ǧihād gegen diese und
lieferte dadurch das ideologische Rüstzeug für eine expansive Politik, die in den Jahren 1803
bzw. 1804 mit der Eroberung Mekkas und Medinas ihren zwischenzeitlichen Höhepunkt
erreichte.
Neben der Pflicht zum feindlichen Vorgehen betonte Ibn ʿAbd al-Wahhāb die Notwendigkeit
der innerlichen und räumlichen Distanzierung von den Ungläubigen und forderte gleichzeitig
eine unbedingte innerwahhabitische Loyalität ein. Nachdem der ägyptische Gouverneur
Muḥammad ʿAlī den Āl Saʿūds in den Jahren 1812 bzw. 1813 die Herrschaftsgewalt über
Mekka und Medina vorübergehend entreißen konnte, wurde dieser Gedanke zusehends zum
Leitmotiv in vielen Schriften der religiösen Gelehrsamkeit. Insbesondere im zweiten
saudischen „Staat“ (1824-1891), als die geopolitische Lage eine Expansion durch den ǧihād
nicht zuließ, rückten Forderungen nach der Abgrenzung von der ungläubigen Umgebung und
der Abwehr fremder Einflüsse ins Zentrum des theologischen Diskurses und verliehen diesem
eine stark defensiv-isolationistische und xenophobe Färbung.23
Wir werden sehen, dass diese Ideen unter der Losung al-walāʾ wa-l-barāʾ Eingang in die
Ideologie des zeitgenössischen Salafismus gefunden haben und die salafistische Theologie
insgesamt vom Denken Ibn ʿAbd al-Wahhābs maßgeblich beeinflusst worden ist. Dies zeigt
sich etwa in der salafistischen tauḥīd-Konzeption sowie in dem ausgeprägten Antischiismus
und Antisufismus der Salafīya.
3.3 Politik
Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb hat nur Rudimente einer politischen Theorie hinterlassen. In
seiner Allianz mit Ibn Saʿūd sicherte er diesem das alleinige Recht zum Ausruf des ǧihād zu
und hob die Gehorsamspflicht gegenüber dem Herrscher hervor. Als Gegenleistung versprach
Ibn Saʿūd die Ausbreitung der wahhabitischen Lehre voranzutreiben und deren Geltung im
22 Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb zitiert nach Peskes: Muḥammad b. ʿAbdalwahhāb, S.31-32.
23 Vgl. Commins: The Wahhabi Mission, S.41.
33
eigenen Machtbereich durchzusetzen. Während die Durchsetzung des göttlichen Gesetzes
nach wahhabitischer Lesart eine der Hauptaufgaben des Herrschers bildete, sollten die
Gelehrten die Scharia-Konformität seiner Politik kontrollieren und ihn mit „gutem Rat“
(naṣīḥa) unterstützen.24 Schon in jener Allianz spiegelte sich also wider, was bis heute eines
der bedeutendsten Charakteristika saudischer Staatlichkeit darstellt: die eigentümliche
Verbindung von politischer Macht und religiöser Doktrin, von politischen Herrschern
(umarāʾ) auf der einen und religiösen Gelehrten (ʿulamāʾ) auf der anderen Seite.
Die Entstehung und Konsolidierung des saudischen Nationalstaates Mitte des 20.
Jahrhunderts bildet eine historische Wegmarke im Verhältnis von saudischem Herrscherhaus
und religiöser Gelehrsamkeit. Durch die Eingliederung von Teilen der Gelehrten in den
Staatsapparat konnten diese in einigen Gesellschaftsbereichen an Einfluss gewinnen, während
ihre Einflussmöglichkeiten andernorts deutlich zurückgegangen sind. So wurden Institutionen
wie die haiʾāt al-amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿan al-munkar geschaffen, über welche die
Gelehrten die Religionspolizei kontrollieren und somit ihre Funktion als Wächter über die
öffentliche Moral institutionell manifestieren konnten.25 Mit der Institutionalisierung der
Gelehrsamkeit ging jedoch gleichfalls ein Verlust an Unabhängigkeit einher, der letztendlich
die weitgehende Verdrängung der Gelehrten aus den politischen Entscheidungsprozessen zur
Folge hatte. Die staatlich gebundenen Gelehrten scheuten zunehmend die Konfrontation mit
dem saudischen Regime und beschränkten sich stattdessen auf die schwierige Aufgabe, den
der Partizipation im internationalen Staatensystem und in der globalen Wirtschaftsordnung
geschuldeten politischen Pragmatismus der Regierung religiös zu legitimieren, der sich
beispielsweise in einer engen Zusammenarbeit mit den USA äußerte und nicht selten mit
wahhabitischen Dogmen wie der Feindschaftspflicht gegenüber Ungläubigen kollidierte.
Vor diesem Hintergrund entwickelten sich in Saudi Arabien ein hegemonialer religiöser
Diskurs und eine offizielle politische Theorie, deren Kernpostulate die nahezu bedingungslose
Gehorsamspflicht gegenüber dem Herrscherhaus und die Wahrung der Einheit der
Gesellschaft bzw. die Vermeidung jeder Form von Uneinigkeit und Chaos (fitna) bildeten.26
So wurde der Gehorsam gegenüber dem Herrscher auch im Falle einer sündhaften und
despotischen Regierungsführung für verpflichtend erklärt. Zur Stütze ihrer Argumentation
diente den Gelehrten dabei jener berühmte und auch von Salafisten außerhalb Saudi Arabiens
24 Vgl. Steinberg: Religion und Staat, S.423-425 und Guido Steinberg: Saudi Arabien, in: Ende/Steinbach: Der
Islam in der Gegenwart, S. 537-547, hier: S.537.
25 Zur Institutionalisierung des amr bi-l-maʿrūf wa-n-nahy ʿan al-munkar im Naǧd und Hiǧāz vgl. Steinberg:
Religion und Staat, S.406-418.
26 Vgl. Steinberg: Religion und Staat, S. 428f. Und: Madawi al-Rasheed: The minaret and the palace:
obedience at home and rebellion abroad, in: al-Rasheed: Kingdom without Borders, S. 199-220, hier: S. 204206.
34
vielfach zitierte Ausspruch Ibn Taimīyas: „Sechzig Jahre mit einem tyrannischen Imam sind
besser als eine Nacht ohne Imam.“27
Wie Ibn Taimīya hielten auch die saudischen (Staats-) ʿulamāʾ eine Aufkündigung des
Gehorsams nur dann für statthaft, wenn der Herrscher seine Untertanen zur Verletzung der
Scharia zwingt, wobei sie sich bezüglich der genauen Kriterien dieses Falles
bezeichnenderweise vornehmlich in Schweigen hüllten. In den seltenen Fällen, in denen man
derlei Kriterien erörterte, wurde beispielsweise das Verbot des Gebets als hinreichende
Bedingung für eine Rebellion angeführt. Führt man sich vor Augen, dass in der islamischen
Geschichte ein Verbot des Gebets selbst dann eine Seltenheit war, wenn Muslime unter nichtmuslimischer Herrschaft standen, wird die politische Stoßrichtung der ʿulamāʾ überdeutlich:
Eine Rebellion gegen den Herrscher wird zwar als theoretisch möglich betrachtet, praktisch
jedoch so gut wie ausgeschlossen. 28
Diese von den in die staatlichen Organe eingebundenen Gelehrten und über Moscheen und
„neue“ Medien wie dem Fernsehen verbreitete politische Theorie wurde von Madawi alRasheed auf die griffige Formel „Theologie des Gehorsams“29 gebracht. Damit verweist alRasheed auf die theologische Fundierung der Theorie, die nicht zuletzt durch eine weit über
das Postulat des Gehorsams hinausreichende Auslegung folgenden Koranverses hergestellt
wurde:
Ihr Gläubigen! Gehorchet Gott und dem Gesandten und denen unter euch, die zu befehlen haben
(oder:zuständig sind)! Und wenn ihr über eine Sache streitet (und nicht einig werden könnt), dann
bringt sie vor Gott und den Gesandten, wenn (anders) ihr an Gott und den jüngsten Tag glaubt! So ist
es am besten (für euch) und nimmt am ehesten einen guten Ausgang.30
In seiner Funktion als saudischer Großmufti leitete Ibn Bāz aus diesem Vers nicht nur die
Gehorsamspflicht gegenüber dem Herrscher und das Verbot einer gewaltsamen Rebellion
(ḫurūǧ bi-s-saif) ab. Vielmehr erklärte er auch Demonstrationen, Akte des zivilen
Ungehorsams und öffentliche Kritik am Herrscherhaus unter Rückgriff auf den Koran für
illegitim. Das religiöse Establishment entwarf damit ein politische Theorie, in der jede Form
politischen Engagements und öffentlicher Kritik am saudischen Staat als Gefahr für den
Zusammenhalt des Gemeinwesens und potentielle Quelle der Unordnung verboten und als
27
28
29
30
Vgl. Steinberg: Religion und Staat, S.423-425.
Vgl. al-Rasheed: Contesting the Saudi State, S.48.
Al-Rasheed: The minaret and the palace, S. 204.
Koran 4,59, Übersetzung nach Rudi Paret: Der Koran, Stuttgart 2007, S.66. Mit einer Ausnahme folgen alle
weiteren in dieser Arbeit zitierten Koranstellen Parets Übersetzung.
35
unislamische Rebellion gegen den Herrscher (ḫurūǧ ʿalā l-ḥākim) gebrandmarkt wurden.31
Mit der „Theologie des Gehorsams“ wurde das Bild eines wahrhaft frommen Muslim
gezeichnet, der sein Leben der strikten Einhaltung der religiösen Gebote widmet, sich von den
politischen Belangen des Staatswesens jedoch vollständig fernzuhalten habe.
Am 20. November 1979 besetzte der Prediger Ǧuhaimān al-ʿUtaibī mit annähernd 500
Gefolgsleuten die große Moschee in Mekka. Obgleich die Besetzung stark millenaristische
Züge trug, verfolgten die Besetzer, die sich als al-ǧamāʿa as-salafīya al-muḥtasiba
bezeichneten, auch genuin politische Ziele: Sie forderten die Rückkehr zum wahren Islam der
salaf und das Ende der Monarchie, die sie als unislamisches Herrschaftssystem wahrnahmen.
Daneben kritisierten sie das saudische Herrscherhaus für die Aufgabe des ǧihād und für die
engen Verbindungen zu den USA.32
Die Besetzung der heiligsten Stätte des Islams offenbarte, dass es eine beträchtliche Anzahl
von Saudis gab, die weder die Auffassung von der Gehorsamspflicht gegenüber dem
Herrscher teilten, noch der Meinung des religiösen Establishments folgten, nach der das
saudische Herrscherhaus in einigen politischen Bereichen womöglich fehlerhaft agiere, im
Grunde jedoch den einzig wahrhaft islamischen Staat, den daulat at-tauḥīd, regiere. Es hatte
sich unterhalb der staatlichen Ebene also ein inoffizieller religiös-politischer Diskurs
entwickelt, der die von den „offiziellen“ Gelehrten propagierte „Theologie des Gehorsams“
herauszufordern begann und sich gegebenenfalls sogar in offenem Aktivismus äußerte.
Die al-ǧamāʿa as-salafīya al-muḥtasiba entsprang dem Dunstkreis der sogenannten aṣ-ṣaḥwa
al-islāmīya, oder schlicht ṣaḥwa, einer saudischen Oppositionsbewegung, die in den 60er
Jahren v.a. im universitären Umfeld entstand und spätestens in den 90er Jahren zur
einflussreichsten islamistisch-oppositionellen Strömung in Saudi Arabien heranwuchs. Zu den
wichtigsten Ideengebern der ṣaḥwa gehörten sowohl in Saudi Arabien geborene und in der
salafistischen Lehre ausgebildete Gelehrte wie Safar al-Ḥawālī und Salmān al-ʿAuda als auch
Gelehrte wie Muḥammad Quṭb - der Bruder Saiyid Quṭbs - und Muḥammad Surūr Zain alʿĀbidīn, die sich als Exilanten in Saudi Arabien aufhielten und ursprünglich aus dem Umfeld
der Muslimbrüder in Ägypten bzw. Syrien stammten.33 Die unterschiedliche Herkunft der
Gelehrten spiegelte sich in der hybriden Ideologie der ṣaḥwa wider, in der Elemente des
staatszentrierten Islamismus v.a. ägyptischer Prägung mit den puristischen Aspekten der
„klassischen“ wahhabitischen Theologie sowie mit ihrer stärker aktivistisch ausgerichteten
Dimension verschmolzen.
31 Vgl. al-Rasheed: The minaret and the palace, S. 205.
32 Vgl. Steinberg/ Hartung: Islamistische Gruppierungen und Bewegungen, S. 689.
33 Zur ṣaḥwa vgl. al-Rasheed: Contesting the Saudi State, S.65-81.
36
Für die ṣaḥwis standen religiöser Anspruch und politische Wirklichkeit in Saudi Arabien nicht
mehr in Einklang miteinander. Sie kritisierten die aus ihrer Sicht fortschreitende
Vernachlässigung religiöser Prinzipien in der saudischen Politik, die sie, wie Ǧuhaimān alʿUtaibī, u.a. an der engen Zusammenarbeit mit den „ungläubigen“ Amerikanern festmachten.
Dieser Werteverfall sei nun keinesfalls hinzunehmen, sondern müsse korrigiert werden.
Politik fiele nicht nur in den Handlungsbereich einer kleinen Elite im Herrscherhaus, sondern
sei Aufgabe aller Gläubigen. Dementsprechend richtete sich die Kritik sowohl an das
politische Regime selbst, dessen Pragmatismus scharf angegriffen wurde, als auch an das
religiöse Establishment, das die Trennung von Politik und Religion in den Augen der
Oppositionellen maßgeblich befeuert hatte. Die ṣaḥwa brach dabei zusehends eines der
verbreitetesten Tabus innerhalb der saudischen Gesellschaft, da sie die Āl Saʿūd öffentlich
kritisierte. Auch die offiziellen ʿulamāʾ wurden scharf angegriffen, v.a. auf Grund ihrer
Fokussierung auf rituelle und sozio-moralische Aspekte der Religion. Nicht, dass die
Anhänger der ṣaḥwa derlei Themen als völlig unwichtig empfanden, für die ṣaḥwa war der
Islam jedoch mehr als Orthopraxie und Geschlechtertrennung, nämlich v.a. ein ideologischer
Weisungsrahmen für die Politik.34
Mit der ṣaḥwa entstand also ein stärker politisierter Salafismus, der den theologischen
Annahmen des in Saudi Arabien vorherrschenden Islamverständnisses loyal gegenüber stand,
die quietistische „Theologie des Gehorsams“ jedoch ablehnte. Nach einem seiner führenden
Vertreter, Muḥammad Surūr Zain al-ʿĀbidīn, wird dieser ideologische Strang des Salafismus
auch als surūrīya bezeichnet. Ihre ideologische Ausrichtung wiederum wird mancherorts als
salafī-iḫwānī
beschrieben,
was
eine
Nähe
zum
politischen
Aktivismus
der
Muslimbruderschaft suggerieren soll. In ihrer Genese und Entwicklung ein Phänomen der
saudischen Politik und ihres Diskurses entfaltete die Ideologie der ṣaḥwa eine weit über die
Grenzen Saudi Arabiens hinausreichende Wirkung – nicht zuletzt, weil Gelehrte wie
Muḥammad Surūr Zain al-ʿĀbidīn seit geraumer Zeit außerhalb Saudi Arabiens leben und
lehren (Vgl. Kapitel 5).35
Auch die weitere Radikalisierung von Teilen des salafistischen Milieus, die in der Entstehung
einer militanten Spielart des Salafismus mündete, ist nicht zuletzt als Reaktion auf politische
Entwicklungen innerhalb Saudi Arabiens zu verstehen. Da dieser Strang innerhalb der
Salafīya, der v.a. allem auf die Ideen des gebürtigen Jordaniers Abū Muḥammad al-Maqdisī
zurückzuführen ist, im weiteren Verlauf dieser Arbeit jedoch keine Relevanz besitzt, können
34 Vgl. al-Rasheed: Contesting the Saudi State, S. 69-72.
35 Vgl. al-Rasheed: Contesting the Saudi State. S. 72-77.
37
wir auf diese Entwicklungen hier nicht tiefer eingehen.36
Mit Blick auf den „politischen“ Teil dieser Arbeit bleibt an dieser Stelle jedoch folgendes
festzuhalten: Im Saudi Arabien des späten 20. Jahrhunderts ist es zu einer tiefgehenden
Fragmentierung des salafistischen Milieus gekommen. Diese Fragmentierung war v.a. eine
Reaktion auf die Politik des saudischen Königshauses, die nicht wenige als Verrat an
salafistischen Kerndogmen wahrnahmen. Mit der Ausbreitung des salafistischen Islams weit
über die Grenzen Saudi Arabiens hinaus konnten deshalb nicht nur jene theologische
Grundüberzeugungen weltweit Fuß fassen, die bis heute von allen Salafisten gleichermaßen
geteilt werden. Darüber hinaus verbreiteten sich ebenso die verschiedenen Interpretationen
der politischen Implikationen salafistischer Ideologie:
When Wahhabi [salafi] religio-political discourse began to be transnationalised in the last decades of
the twentieth century, it travelled with its potential for both consent and contestation. Both at home
and abroad, it carried the seeds of its own mutation.37
36 Vgl. zu dem erwähnten al-Maqdisī Joas Wagemarkers: Defining the Enemy: Abū Muḥammad al-Maqdisī`s
Radical Reading of Sūrat al-Mumtaḥana, in: Die Welt des Islams 48 (2008) S. 348-371.
37 Al-Rasheed: Contesting the Saudi State, S. 104.
38
4 Das einende Band: Die salafistische ʿaqīda
Die Juden haben sich in 71 Gruppen (firqa) gespalten, die Christen in 72 Gruppen und diese
Gemeinschaft (umma) wird sich in 73 Gruppen spalten, wovon alle bis auf eine in das Höllenfeuer
(an-nār) eingehen. Wir fragten: Wer ist sie [die eine Gruppe], oh Gesandter Gottes? Er sagte: Wer sich
so verhält wie ich heute und meine Gefährten.1
Dieser in der häresiographischen Literatur in unterschiedlichen Varianten bekannte Ḥadīṯ wird
in theologischen Texten der Salafīya häufig zitiert.2 Er dient v.a. der Selbstvergewisserung
und Abgrenzung. Salafisten reklamieren für sich jene in der Überlieferung erwähnte Gruppe
zu bilden, die der Höllenstrafe Gottes auszuweichen vermag und direkt ins Paradies eingehen
wird. Sie vertreten die Ansicht, die einzig heilsbringende Variante des Islams zu vertreten und
bezeichnen sich dementsprechend auch als „die errettete Gruppe“ (al-firqa an-nāǧīya).3
Während Salafisten in ihrer Eigenwahrnehmung fest in den Fußstapfen des Propheten und
seiner Gefährten stehen, ist dies aus ihrer Sicht bei vielen anderen Muslimen nicht der Fall.
Für Salafisten ist die in dem Ḥadīṯ angekündigte Spaltung der muslimischen Gemeinschaft
Realität: Eine große Zahl der Muslime würde defizitären Glaubenslehren anhängen und sei
folglich zu den 72 der Bestrafung Gottes ausgesetzten Gruppen zu zählen.
Diese Spaltung gelte es zu überwinden. Während es islamische Gruppierungen und
Strömungen gibt, die eine Einigung der muslimischen umma auch über theologische
Differenzen hinweg für möglich erachten, ist dies für Salafisten undenkbar. Die Aufhebung
der wahrgenommenen Spaltung ist aus salafistischer Perspektive nur durch eine Rückkehr
aller Muslime zum Islam der salaf aṣ-ṣāliḥ zu verwirklichen. Es kann kaum ausreichend
betont werden, dass die Salafīya in erster Linie eine theologische Bewegung darstellt, deren
Hauptaugenmerk auf der religiösen Reform liegt und die sich in ihrer Kritik zuvorderst gegen
die religiöse Praxis und die Glaubensüberzeugungen anderer Muslime wendet. Folgerichtig
ist ein nicht unwesentlicher Teil der salafistischen Texte dem Genre der islamischen
1 Dieser Ḥadīṯ ist auch unter dem Namen „Sekten-Ḥadīṯ“ bekannt. Für die verschiedenen Varianten dieser
Überlieferung und ihre Verwendung im theologischen Diskurs durch unterschiedliche theologische
Strömungen vgl. Josef van Ess: Der Eine und das Andere – Beobachtungen an islamischen
häresiographischen Texten, Bd. 1, Göttingen 2011, S. 7-58.
2 Zitiert z.B. bei Ṣāliḥ Ibn Fauzān al-Fauzān: Min uṣūl ʿaqīdat ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa, S. 5, unter:
http://www.islamhouse.com/p/314810. Vgl. auch Ṣāliḥ Ibn Fauzān al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf aṣṣāliḥ, S. 3, unter: http://www.islamhouse.com/p/314798. Vgl. auch folgenden Text des ägyptischen Daʿwa
as-Salafīya-Gelehrten ʿAlāʾ Bakr: Asʾila wa-aǧwiba ḥaula s-salafīya, 2001, siehe Abschnitt 11, unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=5098 Bakr weist hier explizit darauf hin, dass al-Albanī die hier
angegebene Variante der Überlieferung als besonders verlässlich einstuft.
3 Vgl. al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf aṣ-ṣāliḥ, S. 3.
39
häresiographischen Literatur zuzurechnen.4
Salafisten beschränken sich jedoch nicht nur auf die Kritik an den „defizitären
Glaubenslehren“ anderer Muslime. Vielmehr bieten sie ein alternatives Islamverständnis an,
das aus konkreten Dogmen besteht, die nach salafistischem Selbstverständnis die
theologischen Überzeugungen der ersten Generationen der Muslime widerspiegeln und
deshalb auch unter den Begriff „Glaubenslehre der frommen Altvorderen“ (ʿaqīdat as-salaf
aṣ-ṣāliḥ) zusammengefasst werden. Während der Bezug auf die Zeit der salaf, wie oben
angemerkt, als Definitionsmerkmal des zeitgenössischen Salafismus nicht ausreicht, sind es
eben diese Dogmen, die Salafisten von anderen Muslimen unterscheiden und es gestatten vom
Salafismus als einer eigenständigen Bewegung zu sprechen:
The various factions of the Salafi community are united by a common religious creed or aqida. This
creed outlines the basic dogma or articles of faith that constitute the core precepts of religious
understanding and interpretation.5
In diesem Kapitel sollen einige Kernaspekte der salafistischen ʿaqīda näher betrachtet
werden. Die folgenden Ausführungen stützen sich dabei zuvorderst auf die Schriften
prominenter saudischer Gelehrter wie Ibn Bāz, Muḥammad Ibn al-ʿUṯaimīn oder Ṣāliḥ Ibn
Fauzān al-Fauzān. Wie erwähnt, wird die Quellenauswahl v.a. mit dem überregionalen
Einfluss der genannten Gelehrten begründet. Ihre theologischen Schriften sind in zahlreichen
Sprachen zugänglich, werden von Salafisten weltweit gelesen und bieten sich deshalb an, um
Einblicke in die Grundzüge der salafistischen Glaubenslehre zu gewinnen.6 Überdies soll
bereits in diesem Kapitel v.a. auf einige Texte Yāsir Burhāmīs und anderer Gelehrter der
ägyptischen Daʿwa as-Salafīya verwiesen werden, um die theologischen Gemeinsamkeiten
4 Auf vielen salafistischen Internetseiten finden sich einzelne Unterkapitel, in denen Texte zu finden sind, die
sich vorwiegend der Kritik an anderen theologischen Strömungen und Gruppierungen widmen. Vgl.
beispielsweise die Rubrik „firaq wa-maḏāhib“ auf der Seite der ägyptischen ad-Daʿwa as-Salafīya, unter:
http://www.salafvoice.com/class.php?id=137. Vgl. auch die gleichnamige Rubrik auf www.tawhed.ws, wo
sowohl theologische Strömungen wie der Sufismus, der Schiismus oder die Ašʿarīya angegriffen werden,
gleichfalls jedoch Texte zur Verfügung stehen, die sich kritisch mit politischen Konzepten wie der
Demokratie und mit den politischen Ausrichtungen nichtǧihādistischer Salafisten auseinandersetzen. Letzter
Zugriff auf beiden Seiten: 1.2.2013.
5 Wiktorowicz: Anatomy of the Salafi Movement, S. 208.
6 Um den globalen Einfluss von Gelehrten wie Ibn Bāz, Ibn al-ʿUṯaimīn und al-Fauzān zu illustrieren, sei hier
nochmals auf Internetseiten salafistischer Gruppierungen verwiesen, auf denen die Texte der genannten
Gelehrten – z.T. in Übersetzung – zum kostenlosen Download zur Verfügung stehen. Vgl. für eine
Internetseite deutscher Salafisten: http://www.selefiyyah.de/aqidah-tauhid/ Für Texte der genannten
Gelehrten
auf
der
Internetseite
der
ägyptischen
Daʿwa
as-Salafīya:
http://www.salafvoice.com/class.php?id=135 und: http://www.salafvoice.com/class.php?id=137. Letzter
Zugriff: 15.03.2013. Vgl. für den Einfluss der Gelehrten in England: Sadek Hamid: The Attraction of
„Authentic Islam“: Salafism and British Muslim Youth, in Meijer: Global Salafism, S. 384-403, hier: S. 389f.
In Indonesien: Hasan: Ambivalent Doctrines, S. 172f. Und in Jemen: Laurent Bonnefoy: How Transnational
is Salafism in Yemen? In: Meijer: Global Salafism, S. 321-341, hier: S. 330 und S. 338.
40
unter Salafisten zu veranschaulichen.
4.1 Das salafistische tauḥīd-Konzept
Wie bei der Wahhābīya steht auch beim zeitgenössischen Salafismus eine bestimmte
Konzeption des tauḥīd im Zentrum der Glaubenslehre. Leicht ironisierend hat Bernard Haykel
den Inhalt der salafistischen Theologie wie folgt zusammengefasst: „tawhid, tawhid and more
tawhid.“7 Während Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb den tauḥīd, zumindest explizit, nur in
die Kategorien tauḥīd ar-rubūbīya und tauḥīd al-ulūhīya unterteilte, ergänzen Salafisten ihre
Konzeption vom islamischen Monotheismusbekenntnis mit dem tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt
um einen dritten Aspekt. Der gebürtige Ägypter ʿAbd ar-Raḥmān Ibn ʿAbd al-Ḫāliq, der heute
in Kuwait lebt und neben dem erwähnten Muḥammad Surūr Zain al-ʿĀbidīn als einer der
maßgeblichen Ideengeber eines stärker politisierten Salafismus angesehen werden kann, fügt
dem salafistischen tauḥīd-Konzept mit dem tauḥīd al-ḥukm bzw. tauḥīd al-ḥākimīya sogar
eine vierte Kategorie hinzu.8 Diese vierte Kategorie ist jedoch von nur wenigen Salafisten
übernommen und von renommierten Gelehrten wie al-Albānī als bidʿa verworfen worden
(Vgl. Kapitel 5).
4.1.1
Tauḥīd ar-rubūbīya
Den Terminus tauḥīd ar-rubūbīya in sinnvoller Weise ins Deutsche zu übersetzen ist nicht
einfach. Seinem Bedeutungsgehalt am nächsten kommt wohl die Übersetzung „Bekenntnis
zur bzw. Anerkennung der Einheit Gottes in der Herrschaft.“ Im Kern geht es beim tauḥīd arrubūbīya darum, dass der Mensch Gott als alleinigen Schöpfer, als Ernährer, als Herr über
Leben und Tod und als alleinigen Vorherbestimmer aller Dinge anerkennt.9 Der tauḥīd arrubūbīya umfasst also v.a. die Anerkennung der Attribute göttlicher Allmacht. Abgeleitet wird
diese Kategorie des tauḥīd aus zahlreichen Koranversen, es sei hier nur auf einen Vers
verwiesen: „Gott (allein) hat die Herrschaft über Himmel und Erde. Er macht lebendig und
läßt sterben. Außer ihm habt ihr weder Freund noch Helfer.“10
Aus salafistischer Perspektive reicht die Umsetzung des tauḥīd ar-rubūbīya jedoch nicht aus,
um als Muslim gelten zu können. Viele Menschen würden Gott als einzigen Schöpfer
betrachten, würden sich in schwierigen Lebenssituationen an ihn wenden und somit seine
Position als Lenker des Schicksals akzeptieren – und seien dennoch keine Muslime. Selbst
7 Haykel: Salafi Thought and Action, S. 38.
8 Vgl. ʿAbd ar-Raḥmān Ibn ʿAbd al-Ḫāliq: aṣ-Ṣirāṭ – uṣūl manhaǧ ahl as-sunna wa-l-ǧamāʿa fī l-iʿtiqād wa-lʿamal, 2000, S. 5-11. unter: http://salafi.net/books/book3.html . Letzter Zugriff: 1.2.2013.
9 Vgl. al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf aṣ-ṣāliḥ, S. 7f.
10 Koran 9, 116.
41
Iblīs, das „Oberhaupt des Unglaubens“ (raʾs al-kufr),11 hätte den tauḥīd ar-rubūbīya
anerkannt, als er bestätigte, dass er nicht durch seine freie Entscheidung vom wahren Weg
abgewichen ist, sondern durch Gott irregeleitet wurde.12
Der tauḥīd ar-rubūbīya ist demnach eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für
die Zugehörigkeit zur muslimischen Gemeinschaft. Er manifestiert sich in inneren
Überzeugungen, möglicherweise verbal artikuliert, jedoch nicht in Taten im Sinne
nichtverbaler Handlungen. Es ist eine elementare Grundannahme der salafistischen Theologie,
dass sich der wahre Glaube nicht nur in inneren Überzeugungen und verbalen Bekenntnissen,
sondern auch in äußeren Handlungen zu offenbaren habe.13 Glaube und menschliches
Handeln sind für Salafisten untrennbar miteinander verknüpft. Der Glaube könne durch Taten
ansteigen und sinken, bestimmte Handlungen würden sogar zu seiner vollständigen
Auslöschung führen und einen Muslim zum Apostaten machen. Damit widersprechen
Salafisten theologischen Auffassungen murǧʾitischer Tradition, die den Glauben als
„Zustimmung mit dem Herzen“14 definieren und es ablehnen jemanden aufgrund seiner
Handlungen den Status des Muslims zu entziehen.15
4.1.2
Tauḥīd al-ulūhīya
Der Einfluss des wahhābitischen Islams auf den zeitgenössischen Salafismus wird in der
Rubrik des tauḥīd al-ulūhīya überdeutlich. Wie bei Ibn ʿAbd al-Wahhāb bildet der tauḥīd alulūhīya auch im Salafismus das Herzstück der tauḥīd-Konzeption. Er ist der „trennende
Faktor“16 (al-fāriq) zwischen Islam und Polytheismus und „das Leitmotiv der Botschaft der
Gesandten Gottes“17 (mauḍūʿ daʿwat ar-rusul). Er manifestiert sich bereits im ersten Teil des
islamischen Glaubensbekenntnisses („Es gibt keinen Gott außer Gott“), in dem nach
salafistischer Lesart nicht nur die Existenz des einen und einzigen Gottes, sondern v.a. seine
alleinige Anbetungswürdigkeit bekräftigt wird. Wie bei Ibn ʿAbd al-Wahhāb ist der tauḥīd alulūhīya auch in der salafistischen Theologie das aktive Element, mit dem der Gläubige durch
sein eigenes Handeln das islamische Monotheismusgebot in die Tat umsetzt.18 Und wie bei
Al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf aṣ-ṣāliḥ, S. 7.
Vgl. al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf aṣ-ṣāliḥ, S. 7f.
Vgl. Haykel: Salafi Thought and Action, S. 40.
Berger: Theologie, S. 66.
Vgl. zu Inhalt und Entstehung der murǧʾitischen Theologie Wilferd Madelung: Murdjiʾa, in: EI, New
Edition, VII, S.605-607.
16 Al-Ḫāliq: aṣ-Ṣirāṭ, S. 6.
17 Ṣāliḥ Ibn Fauzān al-Fauzān: ʿAqīdat at-tauḥīd, S. 17. Unter: http://www.islamhouse.com/p/2071. Letzter
Zugriff: 1.2.2013.
18 Yāsir Burhāmī z.B. bezeichnet den tauḥīd al-ulūhīya vor diesem Hintergrund auch als „Anerkennung der
Einheit des Herrn durch die Taten des Menschen (tauḥīd ar-rabb bi-afʿʿāl al-ʿibād) “. Vgl. Yāsir Burhāmī:
Tauḥīd al-ulūhīya – šarḥ al-minna (17), 2007, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=962 Letzter
11
12
13
14
15
42
Ibn ʿAbd al-Wahhāb richtet sich der tauḥīd al-ulūhīya auch im Salafismus v.a. gegen
zahlreiche Praktiken aus dem Bereich des Gräberkultes und der Heiligenverehrung. Ṣāliḥ Ibn
Fauzān al-Fauzān definiert den tauḥīd al-ulūhīya vor diesem Hintergrund wie folgt:
Der tauhīd al-ulūhīya ist seine [Gottes] Alleinsetzung (ifrād) durch die Taten der Menschen, durch die
sie ihm näher kommen […] wie z.B. die Anrufung, die Furcht, die Hoffnung, die Liebe, die
Schlachtung, das Gelübde, die Zuhilfenahme, die Zufluchtnahme, das Hilfegesuch, das Gebet, das
Fasten, die Pilgerfahrt und die Ausgabe auf dem Wege Gottes.19
In seiner Definition des tauḥīd al-ulūhīya weist al-Fauzān also bereits auf einige Handlungen
hin, mit denen die Gläubigen aus seiner Sicht Gott näher kommen und das islamische
Monotheismusgebot in die Tat umsetzen. Da dies im Umkehrschluss bedeutet, dass das
Richten derartiger Handlungen an einen anderen als Gott per definitionem eine Verletzung des
tauḥīd al-ulūhīya darstellt, ist die Stoßrichtung al-Fauzāns offensichtlich. Seine Definition
impliziert eine scharfe Kritik an all jenen Muslimen, für die Praktiken wie die Anrufung
verstorbener Persönlichkeiten an deren Gräbern zum religiösen Kultus gehören. Salafisten
bezeichnen solche Muslime oft abfällig als Qubūrīyūn -„Gräberverehrer“- und begreifen die
Reinigung des Islams von ihren „polytheistischen“ Praktiken als eine der dringlichsten
Aufgaben salafistischer Mission.20
4.1.2.1 Das Hilfegesuch beim Propheten und die Richtlinien des takfīr
Als eine dieser „polytheistischen“ Praktiken betrachten Salafisten das Hilfegesuch (alistiġāṯa) beim Propheten. Diese Praxis ist sowohl unter sunnitischen wie schiitischen
Muslimen verbreitet, findet oftmals am Prophetengrab statt und äußert sich darin, dass der
Prophet z.B. in schwierigen Lebenssituationen um Hilfe gebeten wird. Während salafistische
Gelehrte das Richten eines Hilfegesuchs an eine lebendige und anwesende Person unter
Rückgriff auf die prophetische Sunna für legitim erachten, halten sie ein Hilfegesuch bei einer
verstorbenen Person, sei es der Prophet Muḥammad, für eine gravierende Verletzung des
tauḥīd. So heißt es bei al-Fauzān:
Denn viele von denen, die behaupten (inna kaṯīran min man yaddaʿī), dass sie seiner Gemeinschaft
[der Gemeinschaft des Propheten] angehören, überschreiten das Maß bezüglich seines Rechts (afraṭa
fī ḥaqqihi) und übertreiben darin, so dass sie ihn über den Rang des demütigen Gottesverehrers hinaus
Zugriff: 28.03.2013.
19 Al-Fauzān: Uṣūl, S. 9.
20 Vgl. Haykel: Salafi Thought and Action, S. 41.
43
in den Rang des Angebeteten unter Ausschluss Gottes erheben. Denn sie rufen ihn und nicht etwa Gott
um Hilfe an (fa-staġāṯa bihi min dūni llāh) und bitten ihn um etwas, wofür nur Gott die Kraft besitzt –
wie die Erfüllung der Bedürfnisse oder die Vertreibung der Sorgen.21
Die Idee, dass Muḥammad in irdischen Belangen Hilfestellung geben kann, ist für Salafisten
eine unzulässige Überhöhung des Propheten. Ihm würden Kräfte zugestanden, über die nur
Gott verfügt. Damit stelle man ihn auf eine Stufe mit Gott, erhebe ihn zu einem Objekt der
Anbetung und mache ihn schlussendlich zum Teilhaber Gottes. Konsequenterweise verstößt
das Hilfegesuch beim Propheten aus salafistischer Perspektive gegen die Grundlagen der
islamischen Glaubenslehre und wird als širk akbar eingestuft.22 In gleicher Weise bewerten
Salafisten religiöse Riten wie die Bitte um Vermittlung bei Gott durch den Propheten oder die
Anrufung verstorbener Persönlichkeiten. Mit dem Wissen, dass die erwähnten Praktiken
insbesondere in der schiitischen und sufischen Religiosität eine wichtige Rolle spielen, wird
verständlich, warum Salafisten Schiiten und Sufisten als Häretiker einstufen und mancherorts
nicht einmal vor der Zerstörung ihrer Kultstätten zurückschrecken.23
Es ist an dieser Stelle jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass die Verrichtung jener von
salafistischen Theologen als širk akbar bzw. kufr akbar eingestufter Praktiken den jeweiligen
„Delinquenten“ nicht zwangsläufig zum Apostaten macht, der nach klassischem islamischen
Recht – bei der Abwesenheit von Reue - mit dem Tode zu bestrafen ist.24 Während die
salafistische Lehre vom takfīr derlei Handlungen an sich als Unglaube bewertet und nicht
davor zurückschreckt theologische Strömungen wie den Sufismus pauschal aus der
islamischen Gemeinschaft auszuschließen, seien beim takfīr auf ein einzelnes Individuum
(takfīr al-ʿain) spezifische Verfahrenswege und Richtlinien zu beachten.25
So muss zunächst der eindeutige Nachweis (ḥuǧǧa) erbracht werden, dass die im Einzelfall
vorliegende Handlung tatsächlich die Schwere eines kufr-akbar-Vergehens besitzt. Es muss
also geprüft werden, ob die formellen Kriterien für die Einleitung eines Apostasieverfahrens
erfüllt sind. Sind diese Kriterien erfüllt, gilt es im nächsten Schritt zu prüfen, inwieweit die
notwendigen Bedingungen (šurūṭ, Sg. šarṭ) für eine Exkommunizierung vorliegen. Diesen
Bedingungen stehen wiederum verschiedene Hinderungsgründe (mawāniʿ, Sg. māniʿ)
gegenüber, welche die Exkommunizierung des Beschuldigten unmöglich machen.26
21 Al-Fauzān: ʿAqīdat at-tauḥīd, S. 20.
22 Vgl. ʿAbd al-ʿAzīz Ibn Bāz: The Rule on Those Who Seek Help in Other Than Allah, Riad 2003, S. 5-22.
23 Vgl. Mit der Axt in Mali – Salafisten zerstören das Weltkulturerbe in Timbuktu, ohne Autor und Datum,
unter: http://www.zeit.de/2012/28/Weltkulturerbe-Timbuktu. Letzter Zugriff: 1.2.2013.
24 Vgl. Rohe: Das islamische Recht, S. 134f.
25 Vgl. u.a. Muḥammad Ibn al-ʿUṯaimīn: Shaikh Ibn Uthaimeen on Takfir of an Individual, unter:
http://www.spubs.com/sps/. Letzter Zugriff: 1.2.2013.
26 Vgl. Muḥammad Ibn al-ʿUṯaimīn: Imaam Ibn al-Uthaymeen on the Conditions For Takfir, unter:
44
Ibn al-ʿUṯaimīn führt zwei Bedingungen an, die vorliegen müssen, um einen Muslim aufgrund
einer bestimmten Handlung zum Apostaten zu erklären: Wissen (ʿilm) und Absicht (qaṣd). Es
sei eine notwendige Voraussetzung für den takfīr, dass der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt ein
ausreichendes Maß an Wissen über die Schwere seines Vergehens besaß. Wer den Propheten
also um Hilfe anruft, kann nur dann seinen Status als Muslim verlieren, wenn er Kenntnis
über die Illegalität dieser Handlung besessen hat. Hatte er dies nicht, tritt der
Hinderungsgrund der Unwissenheit (ǧahl) in Kraft und der Beschuldigte wird vom Vorwurf
der Apostasie freigesprochen.27 Neben dem Wissen um die Strafbarkeit muss aus der Sicht Ibn
al-ʿUṯaimīns noch die Bedingung der Absicht vorliegen, um einen Muslim aufgrund einer
bestimmten Handlung zum Ungläubigen zu erklären. So muss die jeweilige Handlung
willentlich und freiwillig vollzogen worden sein. Kam sie indes unter Zwang oder im Zustand
geistiger Verwirrtheit - etwa unter Alkoholeinfluss oder in wütender Raserei - zustande, muss
vom takfīr abgesehen werden.28
Dass die Forderung nach der Erfüllung der Bedingungen zum takfīr auf Einzelpersonen und
somit - zumindest implizit - die Warnung vor einer leichtfertigen Exkommunizierung von
Individuen einen hohen Stellenwert im salafistischen Gelehrtendiskurs einnimmt, lässt sich
gut anhand eines Rechtsgutachtens verdeutlichen, das auf der Internetseite des Ägypters Yāsir
Burhāmī veröffentlicht ist, sich im Kern mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit des takfīr auf
schiitische Muslime befasst und sich dabei v.a. auf die Ansichten des „Šaiḫ al-Islām“ Ibn
Taimīya stützt.29 Zu Beginn des Rechtsgutachtens wird zwischen den schiitischen Strömungen
der Zaidīya und Zwölferschia unterschieden. Während die Erstgenannte vom Vorwurf des
Unglaubens freigesprochen wird, wird die Zwölferschia zunächst der Gruppe der
„Zurückweiser (ar-rāfiḍa)“ zugeordnet - eine unter salafistischen Muslimen vielfach
verwendete diffamierende Bezeichnung für die große Mehrheit der Schia, die auf die
schiitische Ablehnung der Legitimität der ersten drei Kalifen und zahlreicher auf die
Prophetengenossen zurückgeführter Überlieferungen abzielt. Im Folgenden werden zwei
Rechtsgutachten Ibn Taimīyas zitiert, in denen dieser auf die Existenz unterschiedlicher
Meinungen hinsichtlich der Frage nach der Legitimität des takfīr u.a. auf die Rāfiḍa, d.h. die
Zwölferschia, aufmerksam macht, schlussendlich jedoch ohne Angabe näherer Details
festhält, dass diese Gruppe in ihren Worten (aqwāl) und Handlungen (afʿāl) ungläubig sei.30
http://www.spubs.com/sps/. Letzter Zugriff: 1.2.2013.
27 Vgl. Muḥammad Ibn al-ʿUṯaimīn: Imaam Ibn al-Uthaymeen on the Conditions For Takfir.
28 Vgl. Ibn al-ʿUṯaimīn: Imaam Ibn al-Uthaymeen on the Conditions For Takfir.
29 Vgl. Yāsir Burhāmī: Hal ar-rawāfiḍ kuffār? 2006, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=215
Letzter Zugriff: 1.4.2013.
30 Für eine Sammlung der gängigsten Vorwürfe gegen die Zwölferschia vgl. auf der Internetseite Burhāmīs: ArRadd ʿalā man zaʿama bi-anna maḏhab aš-šīʿa al-iṯnai ʿašarīya maḏhab ḫāmis li-l-muslimīn, 2009, unter:
45
Dies ist für Burhāmī jedoch nicht das Entscheidende an der Position Ibn Taimīyas. Vielmehr
sei es Ausdruck der Gerechtigkeit (inṣāf) Ibn Taimīyas, dass dieser die Exkommunizierung
eines spezifischen Individuums an eine strikte Beweisführung knüpfe. So wird Ibn Taimīya
wie folgt zitiert: „Aber der takfīr auf ein bestimmtes Individuum von ihnen [u.a. der 12er
Schia] und das Urteil über sein ewiges Verweilen in der Hölle sind gebunden an das
Vorhandensein der Bedingungen (šurūṭ) des takfīr und das Fehlen seiner Hinderungsgründe
(mawāniʿ )...“31
Eine ganz ähnliche Haltung nimmt die große Mehrzahl salafistischer Gelehrter im Übrigen
auch in der Frage nach der Exkommunizierung politischer Herrscher ein. Vor diesem
Hintergrund attackieren salafistische Gelehrte oftmals den militanten Ideologen Saiyid Quṭb
und seine Anhänger, denen sie vorwerfen, muslimische Herrscher für ungläubig zu erklären,
weil diese nicht nach schariatischen Bestimmungen regieren, ohne jedoch vorab zu prüfen,
inwieweit die für die Exkommunizierung notwendigen Bedingungen wie Wissen und Absicht
erfüllt sind.32
Trotz der erwähnten Schranken und Mahnungen hinsichtlich der Exkommunizierung
einzelner Individuen sollte nicht der falsche Eindruck entstehen, dass der takfīr in der
salafistischen Ideologie eine marginale Rolle spielt. In gewisser Weise ist sogar das Gegenteil
der Fall. Während salafistische Gelehrte vielfach vor der leichtfertigen Exkommunizierung
spezifischer Individuen warnen, nicht zuletzt wegen ihrer weitreichenden juristischen (und
politischen) Konsequenzen, bildet der pauschalisierende und juristisch zunächst einmal
folgenlose takfīr auf ganze Strömungen des Islams einen festen Bestandteil der salafistischen
Ideologie. Salafisten stützen ihre exklusivistische Grundhaltung dabei zuvorderst auf ihr
Konzept des tauḥīd al-ulūhīya, mit dem sie die Grenzen der Zugehörigkeit zum Islam
definieren und das sie gegen all jene „Pseudomuslime“ ins Feld führen, die sich aus
salafistischer Perspektive zwar formal zum Islam bekennen, in ihrer alltäglichen religiösen
Praxis jedoch die Grenze zum Polytheismus längst überschritten haben.
4.1.2.2 Der Prophetengeburtstag und die Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ
Am 12. Tag des Monats rabīʿ al-auwal feiern Muslime weltweit den Geburtstag ihres
Propheten Muḥammad (al-maulid an-nabawī). Sie veranstalten zu diesem Anlass festliche
Mahlzeiten und Prozessionen, tragen Gedichte zu Ehren des Propheten vor, lesen aus seiner
http://www.salafvoice.com/article.php?a=3364 Letzter Zugriff: 1.4.2013. U.a. wird hier an die Adresse der
Schia der Vorwurf des Polytheismus (širk) und der übermäßigen Verehrung ihrer Imame erhoben, die sich
z.B. in der Verehrung ihrer Gräber und ihrer Anrufung um Hilfe äußere.
31 Burhāmī: Hal ar-rawāfiḍ kuffār?
32 Vgl. u.a. Nāṣir ad-Dīn al-Albānī: An Explanation of the Deception of the Qutubiyyah, 2000, unter:
www.spubs.com. Letzter Zugrif: 1.2.2013.
46
Biographie, spenden Almosen an Bedürftige oder nehmen an sufischen Gedenkzeremonien
teil.33 Wenngleich unter muslimischen Theologen und Juristen nie unumstritten, bilden die
Feierlichkeiten spätestens seit dem 12. Jahrhundert einen elementaren Bestandteil schiitischer
sowie sunnitischer Frömmigkeit und Spiritualität. Drückte sich in vormoderner Zeit in den
Feierlichkeiten v.a. die Hoffnung der Gläubigen auf Erlösung durch die Liebe und spirituelle
Nähe zum Propheten aus,34 verweisen zeitgenössische Befürworter der Feier wie der populäre
Gelehrte Yūsuf al-Qaraḍāwī verstärkt auf ihren didaktischen Wert. Sie betrachten die
Aktivitäten rund um den Prophetengeburtstag als emotionale Akte sozialer Sinnstiftung, die
die Erinnerung der muslimischen Gemeinschaft an eines der bedeutendsten Ereignisse der
Menschheitsgeschichte festigen und wachhalten.35
Für Salafisten ist die Feier des Prophetengeburtstages eine religiöse Sünde (maʿṣiya). Zwar
werten sie die Feier nicht als offenen Ausdruck von Unglaube, sehen in ihr jedoch eine
verbotene und verwerfliche religiöse Neuerung (bidʿa mamnūʿa bzw. bidʿa munkara), die das
Risiko der Verletzung des tauḥīd in sich trägt und mit dem authentischen Islam der salaf
unvereinbar ist.36
In seinem Ḥukm al-iḥtifāl bi-ḏikrā l-maulid an-nabawī führt al-Fauzān die gängigsten
Argumente der Salafīya gegen die Feier an. Es sei an dieser Stelle auf die Argumentation alFauzāns näher eingegangen, weil dies einerseits zu einem tieferen Verständnis des
salafistischen tauḥīd-Konzeptes beitragen kann und andererseits verdeutlicht, welche soziale
Funktion der Bezug auf die islamische Frühzeit und die prophetische Sunna im salafistischen
Milieu besitzt. Wir werden sehen, dass der Islam des Propheten und der „frommen
Altvorderen“ zeitgenössischen Salafisten weniger als Quelle spiritueller Frömmigkeit,
sondern v.a. als Orientierungsrahmen einer rechtlich einwandfreien Lebensführung dient.
Darüber hinaus lässt sich anhand der salafistischen Argumentation bezüglich der maulid-Feier
mit der Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ ein wesentlicher Aspekt der Ideologie des Salafismus
näher erläutern.
Die historische Tatsache, dass die Feier des Prophetengeburtstages keine Tradition aus der
33 Vgl. Aviva Schussmann: The Legitimacy and Nature of Mawlid al-Nabī, in: Islamic Law and Society 5/2
Leiden 1998, S. 214-234. Hier: S. 214f.
34 Vgl. Marion Holmes Katz: The Birth of the Prophet Muḥammad – Devotional piety in Sunni Islam, New
York 2007. Hier besonders den Abstract.
35 Vgl.
Yūsuf
al-Qaraḍāwī:
Ḥukm
al-iḥtifāl
bi-l-maulid
an-nabawī,
2008,
unter:
http://www.qaradawi.net/fatawaahkam/30/1444.html. Letzter Zugriff: 1.2.2013.
36 Vgl. Ṣāliḥ Ibn Fauzān al-Fauzān: Ḥukm al-iḥtifāl bi-ḏikrā l-maulid an-nabawī, S. 5, 12, 14, unter:
http://www.ahlalhdeeth.com/vb/showthread.php?t=303529. Ein im Wortlaut nahezu identischer Text findet
sich unter http://d1.islamhouse.com/data/ar/ih_articles/ar_Prophetic_Birthday_Fawzan.pdf . Vgl. auch den
Text des ägyptischen Daʿwa as-Salafīya-Gelehrten ʿAlāʾ Bakr: al-Iḥtifāl bi-l-maulid an-nabawī bidʿa šīʿīya
ṣūfīya, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=3137 Bakr begründet seine Ablehnung der
Feierlichkeiten hier nicht zuletzt unter Rückgriff auf die Positionen des saudischen Salafisten Ibn Bāz.
Letzter Zugriff auf allen Seiten: 1.4.2013.
47
Zeit Muḥammads und der salaf darstellt, gilt Salafisten wie al-Fauzān als eines der
wichtigsten Argumente gegen die Legitimität der Geburtstagsfeier. Weder Muḥammad noch
seine Gefährten hätten den Geburtstag des Propheten gefeiert, vielmehr sei die Feier eine
hinterlistige Erfindung der schiitischen Fatimiden, die diese zum Zwecke der Zerstörung der
Religion der Muslime (ifsād dīn al-muslimīn) eingeführt hätten.37 Mit dieser Argumentation
versucht al-Fauzān den Feierlichkeiten in zweifacher Hinsicht die Legitimation zu entziehen:
Erstens verweist er auf den vermeintlich häretischen Ursprung der Praxis, macht sie zu einem
dem sunnitischen Islam fremden Element, das sogar willentlich und mit der Absicht seiner
Zerstörung in diesen integriert wurde. Indirekt wird dadurch jeder Teilnehmer an den
Feierlichkeiten zu einem Handlanger der Angreifer des Islams. Zweitens macht al-Fauzān
deutlich, dass die prestigeträchtigsten Muslime, jene „frommen Altvorderen“, die durch ihre
lebensgeschichtliche Nähe zum Propheten über ein exklusives religiöses Wissen verfügten,
den Prophetengeburtstag nie als Anlass für besondere Festivitäten betrachtet haben. Dies ist
für Salafisten weltweit einer der wichtigsten Gründe für ihre Ablehnung der Geburtstagsfeier
des Propheten und bildet die argumentative Grundlage für die Bewertung des maulid-Festes
bidʿa munkara.38
Damit widersprechen Salafisten den Ansichten zahlreicher v.a. vormoderner Rechtsgelehrter.
Zwar hatten diese den Status der maulid-Feier als Neuerung ohne Präzedenzfall in der Zeit
der salaf anerkannt, sie aber wegen ihrer positiven Effekte für die muslimische Gemeinschaft
geradezu als Paradebeispiel für die rechtliche Kategorie der „guten Neuerung“ (bidʿa ḥasana)
angesehen.39 Für Salafisten ist die schiere Existenz derlei guter Neuerungen unvorstellbar. In
ihrer strikten Frühzeitorientierung lehnen sie jede religiöse Handlung, jeden Akt spiritueller
Frömmigkeit kategorisch ab, für den es keine explizite Entsprechung im Islam der salaf und
keinen eindeutigen Hinweis in den religiösen Quellen gibt. In diesem Zusammenhang berufen
sie sich oftmals auf folgenden Ḥadīṯ, der im salafistischen Milieu zu den meistzitierten
Überlieferungen überhaupt zählt: „Jede Neuerung (muḥdaṯa) ist eine bidʿa und jede bidʿa ist
ein Irrtum (ḍalāla).“40
Wie Marion Holmes Katz in ihrer ausführlichen Studie zur Genese und Entwicklung des
37 Vgl. al-Fauzān: Ḥukm al-iḥtifāl, S. 5. Im zweiten oben angegeben Dokument: S. 149. Auch der Ägypter
ʿAlāʾ Bakr verweist auf den schiitischen Ursprung der Feierlichkeiten. Vgl. Bakr: al-Iḥtifāl bi-l-maulid annabawī bidʿa šīʿīya ṣūfīya.
38 Vgl. u.a. Bakr: al-Iḥtifāl bi-l-maulid an-nabawī bidʿa šīʿīya ṣūfīya.
39 Vgl. Raquel M. Ukeles: The Sensitive Puritan? Revisiting Ibn Taymiyya´s Approach to Law and Spitituality
in Light of 20th-century Debates on the Prophet´s Birthday (mawlid al-nabī), in: Shahab Ahmed/Yossef
Rapoport: Ibn Taymiyya and His Times, Oxford 2010, S. 319-337, hier: S. 320 und S. 328.
40 Al-Fauzān: Ḥukm al-iḥtifāl, S. 5. Im zweiten oben angeführten Dokument: S. 149. Vgl. auch Bakr: al-Iḥtifāl
bi-l-maulid an-nabawī bidʿa šīʿīya ṣūfīya. Bakr führt hier zum Ende seines Textes ein Zitat von Ibn Bāz an,
in dem diese Überlieferung erwähnt wird.
48
maulid-Festes darlegt, hat die Ausbreitung des salafistischen Islams über die Grenzen Saudi
Arabiens hinaus ihre Spuren im theologischen Diskurs um die Legitimität der
Geburtstagsfeier hinterlassen und auf Seiten ihrer Befürworter zu einer Akzentverschiebung
in der Argumentation geführt.41 Wurde in vormoderner Zeit, wie erwähnt, der rechtliche
Status der maulid-Feier als bidʿa ḥasana hervorgehoben, ist diese Position heute bei den
Verteidigern der Feierlichkeiten weit weniger populär. Stattdessen wird versucht, die Feier aus
der Sphäre der religiösen Riten auszugliedern, d.h. sie wird zunehmend nicht mehr als
religiöse Aktivität, sondern als weltlicher und gesellschaftlich nützlicher Brauch betrachtet.42
Der Zweck einer solchen Argumentation ist offenkundig. Da die Feierlichkeiten nicht die
Religion betreffen, können sie auch keine illegitime Neuerung darstellen, die salafistische
bidʿa-Kritik wird somit ihrer Grundlage beraubt. Diese neue Schwerpunktsetzung in den
Verteidigungsschriften weist gleichwohl auf einen tiefgehenden Wandel der Diskursstruktur
hin. Unter dem Eindruck des Erstarken des Salafismus meiden selbst die Befürworter des
maulid-Festes den Bezug auf die Kategorie der guten Neuerung – sei es, weil sie die
salafistische Skepsis gegen Neuerungen übernommen haben oder aber weil sie befürchten,
dass ihre Argumentation mit dem Rückgriff auf das zunehmend negativ konnotierte Konzept
der bidʿa an Schlagkraft einbüßt und womöglich sogar die Grenze des Sagbaren überschreitet.
Neben der Klassifizierung des maulid-Festes als verwerflicher Neuerung führen Salafisten
wie al-Fauzān noch weitere Gründe für ihre ablehnende Haltung an. Aus ihrer Sicht werden
die Feierlichkeiten oftmals von elementaren Verstößen gegen den tauḥīd al-ulūhīya
überschattet, etwa dann, wenn der Prophet um Hilfe angerufen wird oder wenn zu seinen
Ehren Gedichte mit polytheistischem Inhalt vorgetragen werden. Salafisten kritisieren die
Geburtstagsfeier des Propheten vor diesem Hintergrund als ein unzulässiges Mittel zur
Überschreitung der gebührenden Grenze in der Verherrlichung (taʿẓīm) des Propheten.43
Es ist in diesem Zusammenhang interessant die salafistischen Ansichten hinsichtlich einer
bestimmten Emotion zu beleuchten, die aus islamrechtlicher Perspektive für jeden Gläubigen
verpflichtend ist und aus Sicht vieler Muslime in der Feier des Prophetengeburtstages ihren
beispielhaften Ausdruck findet: die Liebe (maḥabba) zum Propheten.44 Auch Salafisten
unterstreichen den obligatorischen Charakter dieser Emotion. So betont al-Fauzān, dass es für
jeden Muslim verpflichtend ist, den Propheten stärker zu lieben als sich selbst, die eigenen
41
42
43
44
Vgl. Katz: The Birth of the Prophet Muḥammad, S. 169-207.
Vgl. Katz: The Birth of the Prophet Muḥammad, S. 188-207.
Vgl. al-Fauzān: Ḥukm al-iḥtifāl, S. 6. Im zweiten oben angeführten Dokument: S. 150.
Vgl. Katz: The Birth of the Prophet Muḥammad, S. 117-125.
49
Kinder, die Eltern und die Menschen insgesamt.45 Allerdings beschränkt al-Fauzān die
legitimen Ausdrucksformen dieser Liebe auf zwei Dimensionen: den Gehorsam (ṭāʿa) und die
Gefolgschaft (ittibāʿ). Die wahre Liebe zum Propheten offenbare sich einzig und allein in der
strikten Befolgung seiner Lebensweise und seiner Ver- und Gebote:
Die Liebe zum Propheten verlangt die Anwendung seiner Sunna (iḥyāʾ sunnatihi), das verbissene
Festhalten an dieser (al-ʿaḍḍ ʿalaihā bi-n-nawāǧiḏ) und das Vermeiden von Aussagen und
Handlungen, die im Widerspruch zu ihr stehen. Es gibt keinen Zweifel, dass alles was seiner Sunna
widerspricht eine tadelnswerte Neuerung (bidʿa maḏmūma) und eine offensichtliche Sünde (maʿṣiya
46
ẓāhira) darstellt.
Die Liebe zum Propheten stellt für al-Fauzān also keine legitime Begründung für die maulidFeier dar. Auch aus dem Gefühl der Liebe heraus bleibt das Fest eine sündhafte Handlung
ohne Nutzen für den Gläubigen. Es ist bemerkenswert, dass sich al-Fauzān in diesem Punkt
von Ibn Taimīya, einem der wichtigsten Ideengeber des Salafismus, unterscheidet. Hatte Ibn
Taimīya die Feier des Prophetengeburtstages auf normativer Ebene als verwerfliche Neuerung
ohne Wurzeln in den autoritativen Quellen und der Epoche der salaf verurteilt, vertrat er
gleichfalls die Ansicht, dass den Gläubigen eine „große Belohnung“ zuteil werden würde,
sollte ihren Feiern das edle Motiv der Liebe des Propheten zugrundeliegen.47 In seiner
ambivalenten Haltung zum prophetischen Geburtstagsfest war Ibn Taimīya also bereit, einer
in juristischer Hinsicht verwerflichen Handlung positive Aspekte abzugewinnen. Hier zeigt
sich eine gewisse Offenheit gegenüber den spirituellen Bedürfnissen der Menschen, die so
von heutigen Salafisten nicht geteilt wird. Diese dulden Akte spiritueller Frömmigkeit
ausschließlich innerhalb des normativen Rahmens der Scharia und stehen der Idee, dass
juristisch verwerfliche Neuerungen positive Begleiterscheinungen aufweisen können, mit
entschiedener Ablehnung gegenüber: „Es gibt nichts gutes in den Neuerungen (laisa fī l-bidaʿ
šaiʾ ḥasan).“48
Wie an der Position al-Fauzāns zur Liebe des Propheten deutlich wird, sehen Salafisten in
Muḥammad nicht primär ein Objekt spiritueller Frömmigkeit. Im Gegenteil, sie kritisieren
Rituale wie die maulid-Feier gerade deshalb, weil sie diese für unzulässige Formen der
Verehrung des Propheten halten. Ihre Beziehung zum Propheten, aber auch zum Islam der
salaf insgesamt, ist vielmehr stark instrumenteller Natur: Salafisten leiten aus der
45 Vgl. al-Fauzān: Ḥukm al-iḥtifāl, S. 12. Im zweiten oben angeführten Dokument: S. 155.
46 Al-Fauzān: Ḥukm al-iḥtifāl, S. 12. Im zweiten oben angeführten Dokument: S. 155. Die Textstelle beginnt
hier mit „Die Liebe zu ihm [dem Propheten] verlangt…“ und ist im Wortlaut ansonsten identisch.
47 Vgl. Ukeles: The Sensitive Puritan? S. 325.
48 Al-Fauzān: Ḥukm al-iḥtifāl, S. 10. Im anderen Dokument: S. 153.
50
prophetischen Sunna und der Frühzeit des Islams v.a. normative Handlungsweisen und
rechtliche Vorschriften ab, deren rigorose Nachahmung und Befolgung als wahrhaft fromme
Lebensführung und einziger Heilsweg betrachtet und als Alternative zu all jenen durch
unterschiedliche Einflüsse korrumpierten Islaminterpretationen angeboten werden. In diesem
Sinne
gilt
für
den
Salafismus,
was
Riesebrodt
als
charakteristisches
Merkmal
fundamentalistischer Bewegungen anführt: „Das „Goldene Zeitalter“ soll durch Rückkehr zu
seinen wörtlich tradierten Ordnungsprinzipien wiederhergestellt werden.“49
Die Forderung nach der Wahrung der Reinheit der islamischen Lehre und nach ihrem Schutz
vor fremden und unislamischen Einflüssen bildet das Leitmotiv hinter einem weiteren
wichtigen Argument, das al-Fauzān gegen die maulid-Feierlichkeiten hervorbringt. Er
kritisiert diese als illegitime Nachahmung (tašabbuh) der christlichen Religion im
Allgemeinen und des christlichen Weihnachtsfestes im Speziellen. Die Nachahmung
Ungläubiger, so al-Fauzān, habe der Prophet Muḥammad jedoch mit folgender Überlieferung
entschieden verboten: „Wer ein Volk nachahmt, der ist von diesem (man tašabbaha bi-qaum
fa-huwa minhum).“50
Dieses Nachahmungsverbot ist ein prominentes Motiv in den Schriften salafistischer
Gelehrter und steht in einem größeren theoretischen Zusammenhang. Unter der Devise alwalāʾ wa-l-barāʾ (etwa: Loyalität und Lossagung) propagieren Salafisten die bedingungslose
innermuslimische Loyalität einerseits und die Lossagung und Distanzierung von allem
Nichtmuslimischen andererseits. Die Nachahmung Ungläubiger wird in diesem Kontext als
Ausdruck unzulässiger Loyalität betrachtet. So heißt es in einer Schrift Yāsir Burhāmīs, die
im Internet auch in deutscher Übersetzung kursiert:
Von den klarsten Erscheinungsformen der verbotenen Loyalität (muwālāt) zu den Polytheisten ist ihre
Nachahmung in ihrem Verhalten (at-tašbīḥ bihim fī hadīhim) – egal ob im Äußeren (aẓ-ẓāhir) oder im
Inneren (al-bāṭin).51
Während die Feier des maulid aus salafistischer Perspektive eine besonders verwerfliche
Form der Imitation Ungläubiger darstellt, weil sie mit dem Weihnachtsfest eine Aktivität aus
dem religiös-rituellen Bereich einer anderen Religion kopiert, wird das Verbot der Imitation
von Ungläubigen nicht auf Aktivitäten aus der religiösen Sphäre beschränkt. Al-Fauzān
beispielsweise lehnt bereits eine Anpassung im Kleidungsstil und in der Ausdrucksweise oder
49 Riesebrodt: Fundamentalismus, S. 20.
50 Al-Fauzān: Ḥukm al-iḥtifāl, S. 5. Im anderen Dokument: S. 150.
51 Yāsir Burhāmī: Lā ilāh illā llāh miftāḥ al-ǧanna, 2006, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=50
S.11. Für die deutsche Übersetzung siehe auf: www.diewahrereligion.de Letzter Zugriff auf beide Seiten:
1.4.2013.
51
die Benennung muslimischer Kinder mit den „fremden Namen“ (asmāʾ aǧnabīya) der kuffār
als unzulässige Nachahmung ab.52
Mit der Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ teilen Salafisten die Welt in zwei Sphären, in eine gute
islamische und eine schlechte unislamische, vor deren Einfluss es sich um der Reinheit der
islamischen Lehre willens zu schützen gelte.53 In diesem Zusammenhang halten Gelehrte wie
al-Fauzān Reisen in nichtislamische Länder für illegitim, es sei denn, sie dienen der
medizinischen Behandlung, dem wirtschaftlichen Handel oder einer nützlichen Ausbildung,
die nur dort absolviert werden kann. Motive wie die Lust auf Vergnügen oder das Bedürfnis
nach Erholung gelten nicht als legitime Antriebe für Reisen in nichtislamische Länder.54
Ideologische Ansätze für die Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ finden Salafisten bereits in den
Schriften Ibn Taimīyas, der v.a. vor einer jüdischen und christlichen Einflussnahme auf den
Islam gewarnt hatte und diese als maßgebliche Ursache für die Verfälschung der islamischen
Lehre und die Abkehr vieler Muslime von der wahren Religion ausgemacht hatte. Ibn Taimīya
kritisierte dabei insbesondere die Aufnahme fremder religiöser Riten in den Islam und riet in
diesem Kontext z.B. von der Teilnahme an jüdischen und christlichen Festen ab, die er unter
Rückgriff auf den Koran als unbotmäßigen Ausdruck von Loyalität und Freundschaft zu
Nichtmuslimen wertete.55
Ihr Gläubigen! Nehmt euch nicht Juden und Christen zu Freunden! Sie sind untereinander Freunde
(aber nicht mit euch). Wenn einer von euch sich ihnen anschließt, gehört er zu ihnen (und nicht mehr
zu der Gemeinschaft der Gläubigen). Gott leitet das Volk der Frevler nicht recht.56
Mehr als 400 Jahre später griffen Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb und seine Anhänger die
Ideen Ibn Taimīyas auf und entwickelten diese weiter. Während Ibn Taimīya v.a. vor allzu
engen Kontakten mit Juden und Christen warnte und die Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ als
Mittel zur Wahrung der Reinheit des Islams und als Instrument gegen die Einführung
unrechtmäßiger Neuerungen begriff, ging die Wahhābīya über seine Ansichten hinaus, indem
sie neben der Vermeidung enger Beziehungen zu Ungläubigen die offene Feindschaft gegen
52 Vgl Ṣāliḥ Ibn Fauzān al-Fauzān: al-Walāʾ wa-l-barāʾ fī l-islām, unter:
http://d1.islamhouse.com/data/ar/ih_books/single/ar_Loyalty_and_Enmity_in_Islam.pdf und unter:
http://www.saaid.net/book/open.php?cat=1&book=792. Hier: S. 4 und S.8. Letzter Zugriff: 1.2.2013.
53 Für einen detaillierten Überlick zur Genese und Entwicklung des Konzeptes vgl. Joas Wagemakers: Al-Walaʾ
wa-l-baraʾ in the Ideology of Abu Muhammad al-Maqdisi, in: Meijer: Global Salafism, S. 81-106.
54 Vgl. al-Fauzān: al-Walāʾ wa-l-barāʾ, S. 5.
55 Vgl. Wagemakers: Al-Walaʾ wa-l-baraʾ, S. 86. Zeitgenössische Salafisten begegnen nicht nur der Teilnahme
an nichtislamischen religiösen Feiern mit großer Skepsis, sondern halten bereits Glückwünsche oftmals für
unangebracht. Diese Haltung hat z.B. in Ägypten unter Kopten für Empörung gesorgt und unterscheidet
salafistische Kräfte dort z.B. von der Muslimbruderschaft, die ihren koptischen Mitbürgern auf großen
Plakaten zum koptischen Weihnachtsfest gratulierte. Vgl. für die Haltung der ägyptischen Daʿwa as-Salafīya
zu diesem Thema: al-Iḥtifāl bi-aʿyād ġair al-muslimīn wa-tahniʾatuhum bihā, 2007, unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=2048 Letzter Zugriff: 1.4.2013.
56 Koran 5,51.
52
diese einforderte. Wie oben angemerkt, wurde der distanzierte und feindschaftliche Umgang
mit den Ungläubigen zu einer elementaren Bedingung zur Erfüllung des tauḥīd erklärt. Die
Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ wurde somit in den Rang einer religiösen Notwendigkeit und zu
einem „litmus test of true belief of all Muslims“57 erhoben.
Zeitgenössische Salafisten haben die Ideen Ibn Taimīyas und der Wahhābīya in ihr
ideologisches Weltbild integriert. Die Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ bildet einen integralen
Bestandteil der salafistischen Ideologie. So gehört es für al-Fauzān zu den Grundlagen der
islamischen Glaubenslehre, die Anhänger des tauḥīd (ahl at-tauḥīd) zu lieben und den
Polytheisten (ahl al-išrāk) mit Feindschaft und Hass zu begegnen.58 Dass al-Fauzān hier
zwischen den Anhängern des tauḥīd und den Polytheisten unterscheidet, nicht explizit
zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, kommt nicht von ungefähr. Wie wir sehen werden,
fordern Salafisten mit der Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ nicht nur die Distanzierung von
Christen und Juden, sondern von all jenen, die aus salafistischer Perspektive nicht die richtige
Auffassung vom tauḥīd vertreten.
Es ist offensichtlich, dass die Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ zentrale Strukturelemente
fundamentalistischen Denkens aufweist. Sie gründet auf einem manichäischen Weltbild, das
die Welt in Gut und Böse einteilt und die Zugehörigkeit zu einer dieser beiden Sphären
unmittelbar an die religiöse Ausrichtung knüpft. Die Doktrin stützt sich also auf ein religiöses
Integrationsmodell - nach Riesebrodt ein wesentliches Merkmal fundamentalistischer
Ideologie. Auch ihr xenophober Akzent ist unübersehbar. Die Reinheit der islamischen Lehre
und ihre Abschirmung vor fremden und als bedrohlich wahrgenommenen Einflüssen nehmen
einen zentralen Platz innerhalb der Doktrin ein. Von einem engen Kontakt zu Nichtmuslimen
gilt es abzusehen, ihnen soll sogar, mindestens im Herzen, mit Abscheu und Hass begegnet
werden.
Es wäre in diesem Zusammenhang sicherlich zu einfach, Gewalttaten wie die jüngsten
Ausschreitungen
salafistischer
Kräfte
gegen
koptische
Einrichtungen
in
Ägypten
ausschließlich auf die Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ zurückzuführen. Dennoch werden solche
Vorkommnisse mit dem Wissen um die xenophoben Elemente der salafistischen Ideologie aus
meiner Sicht weit fassbarer.59
57 Wagemakers: Al-Walaʾ wa-l-baraʾ, S. 87.
58 Vgl. al-Fauzān: al-Walāʾ wa-l-barāʾ, S. 2.
59 Vgl. für Ablauf und Hintergründe antichristlicher Gewalt in Ägypten Gauvain: Salafi Ritual Purity, S. 237259.
53
4.1.3
Tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt
Die dritte Kategorie des tauḥīd, die alle Salafisten teilen, ist der tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt.60
Übersetzt werden kann diese Kategorie des tauḥīd mit „Bekenntnis zur Einheit Gottes in
seinen Namen und Attributen (Eigenschaften).“ Der tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt bildet
zweifelsohne den komplexesten Teil des salafistischen tauḥīd-Konzeptes, da er auf
tiefschürfende frühislamische theologische Debatten Bezug nimmt, die hier nur in
oberflächlicher Weise behandelt werden können. Im Kern drehten sich diese Debatten um die
Frage nach der richtigen Auslegung jener Stellen in Koran und Sunna, in denen Gott mit
anthropomorphen Eigenschaften beschrieben wird.61 So spricht der Koran von Gottes Augen,
seinem Gesicht und seinen Händen.62 Darüber hinaus werden in Koran und Sunna bestimmte
Handlungen Gottes erwähnt, die durchaus ein anthropomorphes Gottesbild nahelegen können:
Gott spricht, kommt, geht und steigt in den niedrigsten Himmel hinab. Hitzige Debatten im
Zusammenhang
mit
diesen
Handlungen
Gottes,
die
in Abgrenzung
zu
seinen
Wesenseigenschaften (ṣifāt aḏ-ḏāt) manchmal auch als Tateigenschaften (ṣifāt al-fiʿl)
bezeichnet werden,63 entzündeten sich v.a. an jenen koranischen Versen, in denen davon die
Rede ist, dass sich Gott über seinen Thron erhebt:64 „Siehe, euer Herr ist Allah, Welcher die
Himmel und die Erde in sechs Tagen erschuf und sich hierauf über seinen Thron erhob.“65
In der Debatte um die Auslegung dieser anthropomorphen Textstellen wurden (und werden bis
heute)
unterschiedliche
und
miteinander
unvereinbare
Ansichten
vertreten.
Eine
60 Vgl. für Texte zum tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt auf der Internetseite von al-Maqdisī:
http://www.tawhed.ws/c?i=30. Vgl. auch al-Ḫāliq: aṣ-Ṣirāṭ, S. 10-13 und al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf
aṣ-ṣāliḥ, S. 9-11. Für ein fatwā hinsichtlich der Frage nach den Arten des širk im Zusammenhang mit dem
tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt vgl. auf der Internetseite des ägyptischen Salafisten Yāsir Burhāmī: Hal aš-širk fī
tauḥīd
al-asmāʾ
wa-ṣ-ṣifāt
yašmalu
l-akbar
wa-l-aṣġar?
Unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=5649. Letzter Zugriff: 12.2.2013.
61 Vgl. für die Hintergründe dieser Debatten u.a. Joseph van Ess: Tashbīh wa-Tanzīh, Encyclopaedia of Islam,
Second Edition. Brill Online, unter: http://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam2/tashbih-wa-tanzih-COM_1190 . Letzter Zugriff: 12.2.2013.
62 Vgl. u.a. Koran 28,88 und 38,75.
63 Vgl. Claude Gilliot: Attributes of God, Encyclopaedia of Islam, THREE, Brill Online, unter:
http://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-3/attributes-of-god-COM_0163. Letzter
Zugriff: 12.02.2013. Ibn al-ʿUṯaimīn teilt die Attribute Gottes in „dauerhafte bzw. wesenhafte Attribute“ (aṣṣifāt aḏ-ḏātīya) und „handlungsbezogene Attribute“ (aṣ-ṣifāt al-fiʿlīya). Unter die erste Kategorie fasst er
göttliche Attribute wie Wissen, Macht und Weisheit, während er unter die zweite Kategorie Handlungen
Gottes, etwa sein Erheben über den Thron, einordnet, die er als zeitlich begrenzt und direkte Folge des
göttlichen Willens betrachtet. Vgl. Muḥammad Ibn al-ʿUṯaimīn: Exemplary Principles Concerning the
Beautiful Names and Attributes of Allaah, Toronto 2009, S. 75f. Die arabische Originalausgabe dieses
Buches ist unter dem Titel al-Qawāʿid al-muṯlā erschienen und kann im Internet - mit Schwierigkeiten heruntergeladen werden.
64 Im Koran wird in diesem Zusammenhang das ambige Verb istawā verwendet, das sowohl mit „erheben
über“ als auch mit „niederlassen“, „hinsetzen oder „zurechtsetzen“ übersetzt werden kann. Paret übersetzt
den Beginn von Vers 7,54 beispielsweise wie folgt:„Euer Herr ist Gott, der Himmel und Erde in sechs Tage
geschaffen und sich daraufhin auf dem Thron zurechtsetzt hat.“
65 Koran 7,54. Hier folgt die Übersetzung ausnahmsweise nicht Paret, sondern Frank Bubenheim und Nadeem
Elyas, unter: http://tanzil.net/#7:54 Letzer Zugriff: 12.02.2013.
54
Extremposition nahm die sogenannte Ǧahmīya ein, die ein radikal transzendentes Gottesbild
vertrat und die Existenz der göttlichen Attribute rundheraus ablehnte.66 Theologen wie Ibn
Ḥanbal, Ibn Taimīya, aber auch (der späte) Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī, kritisierten diese Haltung
als eine unzulässige „Entleerung des göttlichen Wesens (taʿṭīl).“ Auch die oftmals als
rationalistisch bezeichnete Strömung der Muʿtazila sah sich mit dem Vorwurf des taʿṭīl
konfrontiert,
weil
sie
die
anthropomorphen
Beschreibungen
Gottes
metaphorisch
interpretierte. So wurde die Hand Gottes als Ausdruck seiner Gnade, seine Augen als Sinnbild
seiner Wissenskraft gedeutet.67 Ihre Auffassung von der absoluten Andersartigkeit Gottes und
ihre Zurückweisung einer wörtlichen Übernahme der göttlichen Attribute stützten die
muʿtazilitischen Theologen v.a. mit folgender Koranstelle: „Es gibt nichts, was ihm [Gott]
gleichkommen könnte (laisa ka-miṯlihi šaiʾ).“68
Insbesondere im ḥanbalitischen Milieu regte sich heftiger Widerstand gegen die
muʿtazilitische Metaphorik, die von den Ḥanbaliten als Bedrohung der Integrität des
koranischen Textes und als Gefahr für ihr stärker personal ausgerichtetes Gottesbild
wahrgenommen wurde. Vor diesem Hintergrund wurde die Forderung nach der
wortwörtlichen Akzeptanz der Attribute Gottes erhoben.
Um dem Vorwurf des offenen
Anthropomorphismus zu entgehen, bediente man sich allerdings eines Formelkompromisses,
der unter der Losung bi-lā kaif (ungefähr: „ohne nach dem Wie zu fragen“) Eingang in die
islamische Theologie gefunden hat: Man postulierte einerseits das Festhalten am exakten
Wortlaut des Textes, schränkte andererseits jedoch ein, dass die genaue Beschaffenheit der
göttlichen Attribute dem Menschen unergründlich bleibt, dass diese nicht mit den
Eigenschaften der göttlichen Schöpfung zu vergleichen seien und dass ein intellektuelles
Nachdenken über die Attribute Gottes zu unterbleiben habe.69 Damit konnte man an einem
insbesondere unter der Ḥanbalīya verbreiteten koranischen Literalismus festhalten, ohne dabei
Gott anthropomorphe Eigenschaften zuzuschreiben.
Mit dem tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt knüpfen zeitgenössische Salafisten an diese Ideen
ḥanbalitischen Ursprungs an. Sie fordern die Bestätigung (iṯbāt) der Attribute Gottes ohne
Veränderung ihres Sinngehaltes (lā taḥrīf), ohne ihre Verneinung bzw. Entleerung (lā taʿṭīl),
ohne Suche nach ihren spezifischen Details (lā takyīf) und ohne sie mit den Eigenschaften der
66 Vgl. Van Ess: Tashbīh wa-Tanzīh.
67 Vgl. Daniel Gimaret: Muʿtazila, Encyclopaedia of Islam, Second Edition. Brill Online, unter:
http://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/mutazila-COM_0822.
Letzter
Zugriff: 12.02.2013.
68 Koran 42,11. Vgl. Van Ess: Tashbīh wa-Tanzīh.
69 Vgl. Binyamin Abrahamov: The „bi-lā kayfa“ Doctrine and its Foundation in Islamic Theology, in: Arabica,
42 (1995), S. 365-379.
55
Schöpfung zu vergleichen (lā tamṯīl).70 Gott hat aus salafistischer Perspektive also tatsächlich
eine Hand, tatsächlich Augen und erhebt sich tatsächlich über seinen Thron, die spezifischen
Details dieser Eigenschaften und Handlungen bleiben aber notgedrungen unklar, wenngleich
ihre Existenz durch Koran und Sunna eindeutig belegt ist.71
Während Salafisten mit dem Verbot des takyīf und tamṯīl der Gefahr eines offenen
Anthropomorphismus entgegenwirken wollen, verrät ihre Warnung vor dem taḥrīf und taʿṭīl
die Hauptstoßrichtung des
tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt: Er richtet sich v.a. gegen jene
Muslime, die sich aus salafistischer Perspektive durch eine rationale Interpretation (taʾwīl)
der Attribute Gottes der Abkehr von ihrem offensichtlichen Bedeutungsgehalt (ẓawāhir) und
damit des taʿṭīl schuldig machen.
Vor diesem Hintergrund kritisieren Salafisten beispielsweise den berühmten tafsīr Saiyid
Quṭbs, weil dieser Gottes istiwāʾ über (auf) den Thron als Ausdruck seiner Herrschaft über die
Schöpfung auslegte.72 V.a. richtet sich die salafistische Kritik gegen zeitgenössische Ašʿariten,
denen ein exzessiver Gebrauch der menschlichen Ratio bei der Auslegung der religiösen
Quellen und, wie bei Quṭb, eine metaphorische Interpretation einiger Attribute Gottes
angelastet werden.73 So wirft z.B. der ägyptische Salafist Yāsir Burhāmī der Ašʿarīya in einem
fatwā vor, vom Weg der Ahl as-Sunna abgewichen zu sein, da sie bei manchen göttlichen
Attributen auf den taʾwīl zurückgreifen und der Ratio (ʿaql) Vorrang vor der Überlieferung
(naql) einräumen würde.74
In ihren Polemiken gegen die ašʿaritische Theologie finden Salafisten zum wiederholten Mal
in Ibn Taimīya einen ihrer wichtigsten ideellen Bezugspunkte. Ibn Taimīya hatte zeitlebens
heftige Kontroversen mit seinen ašʿaritischen Zeitgenossen ausgetragen. Diese fanden ihren
Höhepunkt im sogenannten Damaszener Prozess (1306), in dem gegen Ibn Taimīya der
Vorwurf der anthropomorphen Auslegung der göttlichen Attribute und die Anklage der
Zurückweisung ihrer - damals unter den Ašʿariten dominanten - metaphorischen Interpretation
erhoben wurde.75 In seiner Verteidigung führte Ibn Taimīya einige Argumente gegen die
70 Vgl. al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf aṣ-ṣāliḥ, S. 9.
71 Vgl. Ibn al-ʿUṯaimīn: Exemplary Principles, S.99-102.
72 Vgl. ʿAbd al-ʿAzīz Ibn Bāz: Shaikh Ibn Baz on Sayyid Qutb, unter: http://www.spubs.com/sps/. Letzter
Zugriff: 12.02.2013.
73 Vgl. für die vielschichtige Kritik der Salafisten an der Ašʿarīya: Safar al-Ḥawālī: Manhaǧ al-ašāʿira fī lʿaqīda, unter: http://www.tawhed.ws/r?i=e6vdquvs. In dem Abschnitt zum tauḥīd wirft al-Ḥawālī der
Ašʿarīya vor, die Existenz einiger göttlicher Attribute - wie das Gesicht Gottes, seine Hand und seine Augen
- zu leugnen. In dem Abschnitt über den taʾwīl stellt er gleichwohl klar, dass sich die Fehler der ašʿaritischen
Textauslegung keinesfalls auf Fragen zu den Attributen beschränken, vielmehr würden sie auch in anderen
Aspekten von der offensichtlichen Bedeutung des Wortlauts der religiösen Texte abweichen und den Sinn
dieser verdrehen (taḥrīf). Letzter Zugriff: 12.02.2013.
74 Vgl. Yāsir Burhāmī: al-Inḥirāfāt fī ʿaqīdat al-ašāʿira wa-hal hum min ahl as-sunna?
Unter:http://www.salafvoice.com/article.php?a=4131 Letzter Zugriff: 15.03.2013.
75 Vgl. Racha el Omari: Ibn Taymiyya´s Theology of the Sunna and his Polemics with the Ashʿarites, in:
56
Ašʿarīya und ihre metaphorische Deutung der göttlichen Attribute an, die von heutigen
Salafisten vielfach übernommen werden. So vertrat Ibn Taimīya die Ansicht, dass der
metaphorische taʾwīl dem von den salaf vertretenen Verständnis der betreffenden Textstellen
zuwiderlaufe. Diese hätten die fraglichen Textstellen ihrem Wortlaut nach akzeptiert, die
Realität der göttlichen Attribute also anerkannt, ohne jedoch über ihre genaue Beschaffenheit
zu spekulieren und ohne Gott anthropomorphe Eigenschaften zuzuschreiben.76
Das zweite Argument Ibn Taimīyas gegen seine ašʿaritischen Opponenten ist zu einem
Standardargument zeitgenössischer Salafisten in den theologischen Auseinandersetzungen um
die Auslegung der göttlichen Attribute geworden. Wie heutige Salafisten versuchte schon Ibn
Taimīya seinen Gegnern ihre argumentative und genealogische Grundlage zu entziehen,
indem er al-Ašʿarī selbst zum Anwalt seiner eigenen Position machte. Dieser habe, so Ibn
Taimīya und die zeitgenössische Salafīya, trotz seiner Nähe zur rationalistischen Theologie
(kalām) die metaphorische Interpretation der göttlichen Attribute abgelehnt und stattdessen
auf die bi-lā kaif-Formel zurückgegriffen.77
Das Hauptargument Ibn Taimīyas aber war ein anderes und betraf bestimmte Annahmen des
kalām, wie sie insbesondere von Faḫr ad-Dīn ar-Rāzī formuliert worden waren. Ar-Rāzī hatte
der menschlichen Ratio im Zugang zu den religiösen Quellen eine enorme Bedeutung
beigemessen und ihr im Konfliktfall sogar Vorrang vor dem exakten Wortlaut von Koran und
Sunna eingeräumt. Da für ihn die wörtliche Akzeptanz einiger göttlicher Attribute mit der
menschlichen Ratio kollidierte, plädierte er konsequenterweise für ihre metaphorische
Auslegung. Diese Ansicht stellte für Ibn Taimīya eine unzulässige Priorisierung der
menschlichen Ratio vor der religiösen Überlieferung dar. Er warf seinen ašʿaritischen
Zeitgenossen vor, mit ihrer rationalistischen Interpretation den göttlichen Attributen
fehlerhafte Bedeutungen beizumessen, anstatt sich auf die im Koran und in der Ḥadīṯliteratur
präsenten Informationen zu beschränken. Ibn Taimīya hielt die menschliche Ratio also für
kein geeignetes Mittel zur Lösung der hermeneutischen Probleme hinsichtlich der Attribute
Ahmed/Rapoport: Ibn Taymiyya and His Times, S. 101-119, hier: S. 101f.
76 Vgl. el Omari: Ibn Taymiyya´s Theology of the Sunna and his Polemics with the Ashʿarites, S.112.
77 Zum Ende seines Lebens, nachdem er sich von der Muʿtazila losgesagt hatte und diese - unter Rückgriff auf
die Methoden der rationalen Theologie - heftig attackierte, hat sich al-Ašʿarī tatsächlich gegen eine
metaphorische Deutung der Attribute Gottes ausgesprochen. Dennoch gibt es graduelle Unterschiede
zwischen al-Ašʿarīs Verständnis der bi-lā kaif Doktrin und dem der Ḥanbalīya. Al-Ašʿarī distanzierte sich
insgesamt weit stärker von einer wörtlichen Übernahme der Attribute Gottes als die Ḥanbaliten. Dies könnte
eine Ursache dafür sein, dass spätestens ab dem 11. Jahrhundert unter bedeutenden Theologen der Ašʿarīya
die metaphorische Interpretation der göttlichen Attribute wieder populär wurde, während die Ḥanbaliten
diese weiterhin strikt ablehnten. Vgl. Montgomery Watt: ʿAkīda, Encyclopaedia of Islam, Second Edition.
Brill
Online,
unter:
http://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-of-islam-2/akidaCOM_0037.Vgl. auch Mohammad Javad Anvari/Matthew Melvin Koushki: Al-Ashʿarī, Encyclopaedia
Islamica, unter: http://referenceworks.brillonline.com/entries/encyclopaedia-islamica/al-ashari-COM_0300.
Letzer Zugriff auf beide Artikel: 12.02.2013.
57
Gottes.78
Zeitgenössische Salafisten teilen diese Auffassung in uneingeschränkter Weise. Für sie sind
die Attribute Gottes tauqīfīya, d.h. nur durch Koran und Sunna zu erkennen und dem
individuellen Räsonnement unzugänglich. So heißt es bei al-Fauzān:
Gott hat sich mit Attributen beschrieben und mit Namen benannt. Es ist unsere Pflicht, dass wir dies
bestätigen und daran glauben, durch das, was in dem Buch Gottes steht, ohne mit unserer Ratio zu
intervenieren
(lā
natadaḫḫalu
bi-ʿuqūlinā),
ohne
mit
unserer
Intelligenz
und
unseren
Verstandeskräften zu interpretieren (lā nuʾauwilu bi-afhāminā wa-madārikinā) und ohne über Gott zu
urteilen (lā naḥkumu ʿalā llāh)...79
Diese Skepsis gegenüber dem rationalistischen taʾwīl beschränkt sich im salafistischen Milieu
jedoch keinesfalls nur auf die Auslegung der göttlichen Namen und Attribute, wenngleich ihre
rationalistisch-metaphorische Interpretation als besonders folgenschwere Abkehr von der
offensichtlichen Bedeutung des Textes betrachtet wird, weil die Bestätigung der Existenz der
Namen und Attribute mit dem tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt in den Rang einer
Glaubensnotwendigkeit erhoben wird.80 Der Salafismus zeichnet sich in seinem gesamten
Zugang zu den religiösen Quellen durch einen ausgeprägten und für fundamentalistische
Strömungen charakteristischen Literalismus aus, der sich v.a. darin äußert, dass sich Salafisten
um eine wortwörtliche Auslegung der Texte bemühen und die Suche nach tieferliegenden
Bedeutungen ablehnen und als potentielle Quelle für Uneinigkeit und Ketzerei verurteilen.81
So ist die Berücksichtigung der menschlichen Ratio und persönlichen Meinung bei der
Exegese des Korans aus salafistischer Perspektive verboten, stattdessen seien koranische
Verse nur im Lichte des Korans selbst, der prophetischen Sunna und der Aussagen der salaf
zu interpretieren.82 Den Hintergrund des salafistischen Literalismus bildet dabei die
Vorstellung von einem in klarer arabischer Sprache geoffenbarten Korans, dessen
Bedeutungsgehalt als zeitlich unwandelbar und vergleichsweise einfach zu entschlüsseln
gilt.83 Für Salafisten ist der Koran also kein ambiger Text, kein „gewaltiges Meer“, in dem ein
Exeget „nie auf Grund stößt und nie durch ein Ufer zum Halten gebracht wird“, 84 sondern ein
78 Vgl. el Omari: Ibn Taymiyya´s Theology of the Sunna and his Polemics with the Ashʿarites, S.107-116. Vgl.
auch Abrahamov: The „bi-lā kayfa“ Doctrine, S. 369f.
79 Al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf aṣ-ṣāliḥ, S. 10.
80 Vgl. al-Fauzān: Muǧmal ʿaqīdat as-salaf aṣ-ṣāliḥ, S. 11.
81 Vgl. Ibn al-ʿUṯaimīn: Exemplary Principles, S. 95-97.
82 Vgl. Ṣāliḥ Ibn Fauzān al-Fauzān: Reflecting upon the Qur´aan, Kanada 2006, S. 49-51.
83 "And the Qur´aan is the truth, and the meanings are the truth without any contradictions in it and the
meanings do not change with the changing of times.“ Al-Fauzān: Reflecting upon the Qur´aan, S. 49.
84 So zitiert Thomas Bauer den mamlukischen Gelehrten Muḥammad Ibn al-Ǧazarī in: Bauer: Kultur der
Ambiguität, S.116.
58
kontextunabhängiger Text, der sich in seiner Funktion als Rechtleitung für die Menschen
weniger durch seine Bedeutungsfülle, als vielmehr durch seine Eindeutigkeit auszeichnet.
Diese Ansicht begründet Ibn al-ʿUṯaimīn - durchaus rational - wie folgt:
The fact that the Qur´aan is Arabic, and that those who understand Arabic can understand it, shows
that its meaning must be understandable. Otherwise, there would be no significance in it being in
Arabic or any other language. […] It is impossible to think that Allah, the Exalted, would send down a
book, or that His Messenger would say things, intending for this book or this speech to be guidance for
the Creation that they are in dire need of, while at the same time it is something that can not be
understood, like some jumbled letters of the alphabet that do not make any sense. This is impossible
since it is foolishness that could not coincide with the Wisdom of Allah, the Exalted.85
85 Ibn al-ʿUṯaimīn: Exemplary Principles, S.100.
59
5 Der trennende Faktor: Salafismus und Politik
Während Salafisten auf theologischer Ebene die gleichen Grundprämissen teilen und sich
dadurch von anderen Muslimen abgrenzen, kann im politischen Bereich von einer derartigen
Einigkeit nicht die Rede sein. Wie bereits erwähnt wurde, lassen sich unter Salafisten
verschiedenste politische Einstellungen und Handlungsmuster finden, die unterschiedlicher
kaum sein könnten: von einer quietistischen Ablehnung jeder Form politischen Engagements
über „klassischen“ parteipolitischen Aktivismus bis hin zu militanten Operationen im Namen
des ǧihād. Roel Meijer ist zuzustimmen, wenn er das Verhältnis salafistischer Muslime zur
Politik als „one of the most puzzling, slippery and fascinating aspects of Salafism“1
bezeichnet.
Die Politikwissenschaft teilt den Salafismus mit Blick auf seine politische Vielfalt zumeist in
die Kategorien des „puristischen“, „politischen“ und „ǧihādistischen“ Salafismus ein.2
Salafisten wiederum sprechen in diesem Zusammenhang von manhaǧ (Methode, Weg) und
meinen damit die Art und Weise, mit der die salafistischen Glaubensüberzeugungen in der
Realität umgesetzt und in der Gesellschaft verankert werden sollen. 3 Wir werden im
Folgenden sehen, welch unterschiedliche Positionen unter Salafisten in der Frage nach dem
richtigen manhaǧ vertreten werden. Dieses Kapitel beginnt mit der Darstellung der
ideologischen Differenzen unter „puristischen“ und „politischen“ Salafisten. Darauf
aufbauend wird das komplexe Verhältnis von Salafismus und Politik anhand eines näheren
Blickes auf die ägyptische Salafīya veranschaulicht.
5.1 Puristischer Salafismus
Die Propheten sind nicht gekommen, um Staaten (duwal) zu Fall zu bringen und andere zu errichten.
Sie strebten weder nach Herrschaftsgewalt (mulk) noch haben sie dafür Parteien (aḥzāb) gegründet.
Vielmehr kamen sie, um die Menschen rechtzuleiten, sie vor dem Irrtum und dem širk zu retten und
sie aus den Dunkelheiten (aẓ-ẓulumāt) ans Licht zu führen...4
1 Roel Meijer: Introduction, in: Meijer: Global Salafism, S. 1-32, hier: S. 17.
2 Vgl. u.a. Wiktorowicz: Anatomy of the Salafi Movement, S. 217-234. Wie erwähnt, wird der ǧihādistische
Salafismus im Folgenden keine Rolle spielen.
3 Vgl. Haykel: Salafi Thought and Action, S. 47.
4 "al-anbiyāʾ mā ǧāʾū li-isqāṭ duwal wa-iqāmat uḫrā wa-lā yaṭlubūn mulkan wa-lā yunaẓẓimūn li-ḏālika
aḥzāban. innamā ǧāʾū li-hidāyat an-nās wa-inqāḏihim min aḍ-ḍalāl wa-š-širk wa-iḫrāǧihim min aẓẓulumāt.“ Rabīʿ Ibn Hādī al-Madḫalī: Manhaǧ al-anbiyāʾ fī d-daʿwa ilā llāh fīhi l-ḥikma wa-l-ʿaql, S.242f.
Unter: http://www.rabee.net/books.aspx?pid=1 Letzter Zugriff: 22.02.2013. Dieses Buch ist auf der
Internetseite al-Madḫalīs auch in englischer Sprache unter dem Titel The Methodology of the Prophets in
Calling to Allah – that is the way of wisdom and intelligence herunterzuladen. Hier wurde vollständig
transkribiert, weil der Text nur mit Schwierigkeiten herunterzuladen ist.
60
Dieses Zitat stammt von dem saudischen Salafisten Rabīʿ Ibn Hādī al-Madḫalī, der als einer
der einflussreichsten und konsequentesten Vertreter jenes Stranges innerhalb des globalen
Salafismus gilt, der in der westlichen Wissenschaft als puristischer, quietistischer oder
apolitischer Salafismus bezeichnet wird und im arabischen Diskurs unter den Begriffen assalafīya ad-daʿwīya (missionarischer Salafismus), as-salafīya al-ʿilmīya (wissenschaftlicher
Salafismus) oder as-salafīya at-taqlīdīya (traditionalistischer Salafismus) firmiert.5 Als
bedeutende Vertreter dieser Richtung können überdies prominente Gelehrte wie Muqbil alWādiʿī, Nāṣir ad-Dīn al-Albānī, v.a. aber die Mitglieder des saudischen religiösen
Establishments angesehen werden.
Wie das angeführte Zitat verdeutlicht, vertritt al-Madḫalī die Ansicht, dass der Kampf gegen
die polytheistischen Praktiken ihrer Umgebung den Kern der Mission aller Propheten bildete,
während die Erlangung politischer Macht - oder mehr noch: die Herbeiführung revolutionärer
Umstürze - niemals in ihrem Interesse lag. Damit versucht al-Madḫalī unter Rückgriff auf die
Propheten, von Abraham über Jesus bis Muḥammad, zwei charakteristische Handlungsmuster
strikt puristischer Salafisten religiös zu untermauern: den salafistischen Aufruf zur Rückkehr
aller Muslime zum wahrhaftigen tauḥīd einerseits und die Zurückweisung jeglicher Form
politischen Engagements andererseits.
Im Mittelpunkt des puristischen Salafismus steht die daʿwa, die religiöse Mission. Unter der
Devise taṣfiya wa-tarbiya (Reinigung und Erziehung) streben puristische Salafisten eine
gesellschaftliche
Reform
unter
religiösen Vorzeichen
an.6
Das
Herzstück
dieser
Reformbestrebungen bildet dabei die Forderung nach der Reinigung der Gesellschaft von all
jenen Praktiken, die aus salafistischer Perspektive gegen den tauḥīd verstoßen und v.a. auf
den Einfluss des sufischen und schiitischen Islam zurückgeführt werden. Darüber hinaus
nimmt die Vermittlung rechtlicher und moralischer Wertmaßstäbe im Diskurs puristischer
Salafisten einen großen Stellenwert ein, wobei in diesem Kontext Fragen zu den
Geschlechterbeziehungen im Allgemeinen und zur gesellschaftlichen Rolle und Position der
Frau im Speziellen im Vordergrund stehen. In diesem Punkt zeichnen sich (puristische)
Salafisten durch ein für fundamentalistische Bewegungen charakteristisches patriarchales
Weltbild aus. Sie fordern eine strikte Geschlechtertrennung, sehen die Aufgaben der Frau
vorwiegend im häuslichen Bereich und in der Kindererziehung, während dem Mann die
Aufgabe des familiären Ernährers zukommt. Dem salafistischen Patriarchalismus liegt dabei
5 Vgl. u.a. Salomon: The Salafi Critique of Islamism, S.146f., insbesondere Fußnote 10. Vgl. auch: Yāsir azZaʿātira:
as-Salafīya
at-taqlīdīya
fī
maʿārik
al-umma
wa-dīnihā,
unter:
http://www.aljazeera.net/pointofview/pages/c5bf3059-c2cb-43f0-aeb3-3e7e65601ebe.
Letzter
Zugriff:
22.02.2013.
6 Vgl. Haykel: Salafi Thought and Action, S. 49.
61
u.a. ein bestimmter Blick auf die weibliche Sexualität zugrunde, die als potentielle Quelle
gesellschaftlichen Aufruhrs betrachtet wird und die es deshalb, etwa durch Segregation oder
rigide Kleidungsvorschriften, zu bändigen gilt.7
Puristische Salafisten versuchen ihre Glaubens- und Moralvorstellungen auf gesellschaftlicher
Ebene durchzusetzen und zu verbreiten. Sie setzen dafür beispielsweise auf religiöse
Bildungsarbeit oder den Aufbau von Moscheen, nicht aber auf traditionelle Formen
politischen Engagements – ganz gleich ob es sich dabei um parteipolitische Arbeit,
Demonstrationen oder schlicht um die Teilnahme an demokratischen und damit
„unislamischen“ Wahlen handelt.8 Während al-Madḫalī diesen manhaǧ durch einen Bezug auf
alle Propheten argumentativ zu stützen versucht, ziehen andere puristische Salafisten oftmals
eine Analogie zur Zeit des Propheten in Mekka, in der Muḥammad und seine Anhänger eine
Minderheit bildeten und – so die Interpretation – nicht nach politischer Macht strebten und
gegen die feindlich eingestellte mekkanische Elite rebellierten, sondern deren Repressionen
duldsam ertrugen und sich ausschließlich der friedlichen daʿwa widmeten.9
In ihrer Skepsis gegenüber den verschiedenen Ausdrucksformen politischen Handelns lehnen
puristische Salafisten die klassisch islamistische Forderung nach der Errichtung eines
islamischen Staates zwar nicht rundheraus ab, sie halten die umfassende Islamisierung der
Gesellschaft jedoch für eine notwendige Vorbedingung für den Aufbau eines solchen Staates.
Der islamistischen Auffassung, mit der Islamisierung der staatlichen Institutionen die
tiefgreifende
Islamisierung
der
Gesellschaft
vorbereiten
zu
können,
wird
somit
widersprochen.10
Die mit z.T. bemerkenswerter Vehemenz vorgetragene Kritik puristischer Salafisten am
politischen Aktivismus islamistischer Kräfte erschöpft sich jedoch nicht mit dem eben
skizzierten Argument. Für puristische Salafisten stellt politisches Engagement v.a. deshalb
keine ernstzunehmende Handlungsoption dar, weil dieses aus ihrer Sicht zu Uneinigkeit
(fitna) führt und die Integrität der salafistischen daʿwa bedroht. Mit dem Eintritt in die
politische Sphäre, so die Argumentation, würde sich der Fokus von der religiösen Mission auf
die politische Auseinandersetzung verschieben, was letztendlich fast zwangsläufig zu internen
7 Salafisten betrachten den weiblichen Körper jedoch nicht nur als sexuell verführerische potentielle Quelle
des Aufruhrs. Sie halten ihn im Vergleich zum männlichen Körper auch für defizitär und unrein, was sich für
Salafisten nicht zuletzt in der monatlichen Menstruation zeigt. Vgl. für einige Rechtsgutachten saudischer
Salafisten zu diesem und ähnlichen Themen: Khaled Abou El Fadl: Speaking in God´s Name – Islamic Law,
Authority and Women, Oxford 2001, S.272-298.
8 Vgl. Bonnefoy: Salafism in Yemen, S. 51-64.
9 Vgl. Wiktorowicz: Anatomy of the Salafi Movement, S. 217f.
10 Dass diese Skepsis gegenüber den Mechanismen staatlicher Politik und den strategischen Ausrichtungen
islamistischer Kräfte nicht nur unter strikt puristsichen Salafisten zu finden ist, sondern auch ins stärker
politisierte Milieu hineinreicht, zeigt Noah Salomon in seinem bereits erwähnten Aufsatz. Vgl. Salomon: The
Salafi Critique of Islamism, hier v.a. S. 148.
62
Streitigkeiten, v.a. aber zu unverzeihlichen Nachlässigkeiten in zentralen Glaubensbelangen
führe.11 Genau hier setzt der Hauptkritikpunkt puristischer Salafisten an islamistischen
Gruppen an. Ihnen wird vorgeworfen, in dem Streben nach politischer Macht die Interessen
der eigenen Partei über die Religion zu stellen - für den politischen Erfolg also religiöse
Überzeugungen zu opfern. Puristische Salafisten wie al-Albānī sprechen in diesem
Zusammenhang von ḥizbīya, ein Begriff, der in einer Schrift über die Illegitimität
parteipolitischen Engagements als „bigotted partisanship and blind attachment to
personalities“12 übersetzt wird.
Geradezu als Paradebeispiel für eine solche „bigotte Parteilichkeit“ betrachten puristische
Salafisten die Muslimbruderschaft, die renommierte Salafisten wie der Jemenit Muqbil alWādiʿī auch abfällig als „bankrotte Bruderschaft“ (al-iḫwān al-muflisūn) bezeichnet haben.13
Es sei an dieser Stelle auf die salafistischen Vorwürfe gegen die Muslimbruderschaft näher
eingegangen, weil mit deren Kenntnis ein tieferer Einblick in die „politische Theorie“
puristischer Salafisten gewonnen werden kann. Überdies werden uns die Vorwürfe zumindest in Teilen - bei der näheren Betrachtung der ägyptischen Salafīya wiederbegegnen.
Die Grundlagen der Kritik puristischer Salafisten an der Muslimbruderschaft sollen an dieser
Stelle anhand eines fatwā des saudischen Salafisten Aḥmad Ibn Yahyā Ibn Muḥammad anNaǧmī verdeutlicht werden. Dieses ist in seinem Werk al-fatāwā l-ǧalīya ʿan al-manāhiǧ addaʿawīya enthalten und fasst die gängigsten Argumente puristischer Salafisten gegen die
Muslimbruderschaft beispielhaft zusammen.14
Den schwerwiegendsten Vorwurf erhebt an-Naǧmī gleich zu Beginn seines Rechtsgutachtens,
indem er die Muslimbruderschaft für ihre Geringschätzung (tahāwun) des tauḥīd al-ʿibāda
bzw. tauḥīd al-ulūhīya tadelt, den er - gemäß der salafistischen ʿaqīda - als „wichtigste Sache
im Islam (huwa [der tauḥīd al-ʿibāda] ahammu šaiʾ fī l-islām)“15 bezeichnet. Vor diesem
Hintergrund kritisiert er die Muslimbruderschaft für ihr Schweigen (sukūt) gegenüber den
polytheistischen Praktiken ihrer Umgebung und für ihre Akzeptanz (iqrār) all jener
Menschen, die in eben solche verwerflichen Praktiken verstrickt sind. Es ist offensichtlich,
11 Vgl. Bonnefoy: Salafism in Yemen, S. 52f. und S. 61-64. Vgl. auch Hasan: Ambivalent Doctrines, S. 171174.
12 Abū l-Ḥasan Mālik Ibn Ādam: „The Crime of Hizbiyyah Against the Salafi Daʾwah“, Michigan 2009, S. 4.
Dieses Heft ist eine Sammlung von Schriften renommierter Gelehrter wie al-Albānī oder al-Wādiʿī zum
Thema der Ḥizbīya.
13 Vgl. Bonnefoys Kurzbiographie zu al-Wādiʿī in: Meijer: Global Salafism, S. 431f.
14 Vgl. Aḥmad Ibn Yahyā Ibn Muḥammad an-Naǧmī: al-Fatāwā l-ǧalīya ʿan al-manāhiǧ ad-daʿawīya - alǧuzʾ al-auwal, 1999, S. 77-87. Unter: http://www.alnajmi.net/downloads.php?action=listdownloads&id=4
Direkter Link: http://www.alnajmi.net/files/77.pdf Letzter Zugriff: 22.02.2013. An-Naǧmī setzt sich in
diesem Rechtsgutachten nicht nur kritisch mit der Muslimbruderschaft auseinander, sondern auch mit den
Anhängern Saiyid Quṭbs, der Surūrīya und der Ǧamāʿat at-Tablīġ.
15 An-Naǧmī: al-Fatāwa, S. 78.
63
was an-Naǧmī mit diesem unter Salafisten populären Argument bezweckt: Er versucht der
Muslimbruderschaft ihre religiöse Legitimität zu entziehen, indem er ihr vorwirft, in ihrer
Fokussierung auf die Politik mit dem tauḥīd al-ʿibāda bzw. tauḥīd al-ulūhīya den
elementarsten Aspekt der Religion zu vernachlässigen.
Ein weiteres Argument, das an-Naǧmī und viele andere Salafisten gegen die
Muslimbruderschaft hervorbringen, betrifft die bereits näher erläuterte salafistische Doktrin
al-walāʾ wa-l-barāʾ. So wird der Muslimbruderschaft zur Last gelegt, durch ihre
Bemühungen um eine Annäherung (taqrīb) zwischen Sunna und Schia zentrale
Grundannahmen dieser Doktrin zu verletzen.16 An-Naǧmī zitiert in diesem Zusammenhang
einen berühmten Ausspruch Ḥasan al-Bannās, dem Gründer der Muslimbruderschaft, der aus
seiner Sicht die indifferente und fehlerhafte Einstellung der Muslimbrüder zur „häretischen“
Schia exemplifiziert:
Wir arbeiten in den Dingen zusammen, in denen wir uns einig sind und wir vergeben einander dort,
wo wir uns uneins sind (nataʿāwanu fīmā ttafaqnā ʿalaihi wa-yaʿḏiru baʿḍunā baʿḍan fīmā ḫtalafnā
fīhi).17
Für Salafisten wie an-Naǧmī ist eine Zusammenarbeit und Annäherung mit der Schia
unmöglich, da die theologischen Unterschiede als unüberbrückbar angesehen werden.18 Ein
Hinwegsehen über diese Unterschiede, beispielsweise um bestimmte politische Ziele zu
erreichen, wird vor diesem Hintergrund daher nicht als löbliche Kompromissbereitschaft,
sondern als Beispiel für die Korrumpierung religiöser Überzeugungen durch die Teilnahme
am politischen Wettbewerb angesehen.
Während die gerade genannten Kritikpunkte im Kern den Vorwurf der Vernachlässigung
religiöser
Pflichten
beinhalten,
führt
an-Naǧmī
auch
Argumente
gegen
die
Muslimbruderschaft ins Felde, die in direktem Zusammenhang mit ihrem politischen
Vorgehen
und
ihren
politischen
Forderungen
stehen.
So
wirft
an-Naǧmī
der
Muslimbruderschaft vor, nach Fehltritten und Mängeln bei den Machthabern zu suchen und
ihre regierungskritischen Positionen mit der Absicht zu verbreiten, Hass gegen die politischen
Autoritäten zu schüren.19 Das Verbreiten (našr) der Fehler der Machthaber aber sei verboten,
weil dies zu chaotischen Zuständen (fitan, Sg. fitna) führe.20 An-Naǧmī nennt das Verbot der
16 An-Naǧmī: al-Fatāwa, S. 79.
17 Ḥasan al-Bannā zitiert aus: An-Naǧmī: al-Fatāwa, S. 79.
18 Diese Haltung von der großen Mehrzahl salafistischer Muslime geteilt. Vgl. z.B. Salomon: The Salafi
Critique of Islamism, S. 157f.
19 An-Naǧmī: al-Fatāwa, S. 79.
20 Vgl. an-Naǧmī: al-Fatāwa, S. 86.
64
Verbreitung der Fehler der Machthaber dabei direkt in einem Atemzug mit salafistischen
Glaubensgrundsätzen wie der Akzeptanz der Attribute Gottes und erhebt es zu einem
elementaren Bestandteil des manhaǧ as-salafī.21 Dies ist durchaus bemerkenswert und
verdeutlicht, welch wichtige Rolle die „politische Kritik“ puristischer Salafisten für die
Identität dieser Strömung spielt.
An-Naǧmī knüpft mit seinen Positionen in offensichtlicher Weise an die bereits näher
beschriebene „Theologie des Gehorsams“ an, deren Leitmotive von vielen puristischen
Salafisten geteilt werden. So zeichnen sich puristische Salafisten oftmals durch eine
bemerkenswerte Loyalität gegenüber ihren jeweiligen Regierungen aus, die sich u.a. darin
äußert, dass eine Rebellion gegen einen muslimischen Herrscher unabhängig von der Qualität
seiner Regierungsführung abgelehnt wird, solange der Herrscher nicht offenkundig ungläubig
ist.22 Vor diesem Hintergrund werden bereits Demonstrationen (muẓāharāt, Sg. muẓāhara)
von Gelehrten wie al-Fauzān als „unislamische“ Handlungen verboten, weil sie Aufruhr und
Blutvergießen (safk ad-dimāʾ) erzeugen und damit dem Wesen des Islams als „Religion der
Disziplin“ (dīn inḍibāṭ) und „Religion der Ordnung“ (dīn niẓām) widersprechen würden.23
Diese Haltungen puristischer Salafisten wurden nicht zu Unrecht als „politischer
Konformismus“ beschrieben.24 Wenngleich ein solcher politischer Konformismus v.a. auf die
Positionen des saudischen religiösen Establishments zurückzuführen ist, lässt sich doch
konstatieren, dass die quietistischen Positionen saudischer Prägung weit über die Grenzen des
Königreichs hinaus Fuß fassen konnten und – zumindest bis zu den arabischen Revolutionen
– wohl als Mainstream-Positionen innerhalb der globalen Salafīya angesehen werden
können.25 So weist Noorhaidi Hasan nach, dass ein bedeutender Teil indonesischer Salafisten
die
puristische
ḥizbīya-Kritik
übernommen
hat
und
gegen
Gruppen
wie
die
Muslimbruderschaft, aber auch gegen stärker politisierte Salafisten hervorbringt.26 Gleiches
21 Vgl. An-Naǧmī: al-Fatāwa, S. 85-87.
22 Die Frage, durch welche Taten ein Herrscher des Abfalls vom Glauben schuldig gesprochen werden kann,
wird von puristischen Salafisten selten im Detail behandelt. Wie bereits angemerkt wurde, vertritt die
Mehrzahl der Salafisten hinsichtlich des takfīrs auf Individuen und Regierungen eine äußerst zurückhaltende
Position. Insbesondere puristische Salafisten werfen Gruppen wie al-Qaida dabei eine inflationäre
Verwendung des takfīrs vor und vergleichen diese vor diesem Hintergrund nicht selten mit den
frühislamischen Ḫāriǧiten. Vgl. Bonnefoy: Salafism in Yemen, S. 52f.
23 So urteilt Ṣāliḥ Ibn Fauzān al-Fauzān in einem Rechtsgutachten zur Frage nach der Legitimität von
Demonstrationen. Abrufbar unter: https://www.pv.gov.sa/UIS/KebalOlama3/Pages/F37.aspx Letzter Zugriff:
22.02.2013.
24 Vgl. Omayma Abdel-Latif: Trends in Salafism, in: Islamist Radicalisation: The Challenge for EuroMediterranian Relations, 2009, S. 69-86, hier: S. 74,
unter: http://www.isn.ethz.ch/isn/DigitalLibrary/Publications/Detail/?ots591=0c54e3b3-1e9c-be1e-2c24-a6a8c7060233&lng=en&id=101222 . Letzter
Zugriff: 22.02.2013.
25 Vgl. Meijer: Introduction, in derselbe: Global Salafism, S.17f.
26 Vgl. Hasan: Ambivalent Doctrines, S. 171-174.
65
gilt für den Jemen, wo insbesondere Muqbil al-Wādiʿī zeitlebens gegen islamistische
Organisationen nicht-militanter und militanter Natur agitierte und vor den fatalen Folgen
regierungskritischer Aktivitäten warnte. Al-Wādiʿī und seine Anhänger gingen in ihrer
apolitischen Grundhaltung sogar so weit, jede Form der formellen Institutionalisierung ihrer
Aktivitäten abzulehnen und bereits die Mitgliedschaft in einer Partei als unrechtmäßige
Neuerung (bidʿa) zu betrachten.27 Und auch unter Salafisten in Europa ist dieses „nonpolitical model of islamic activism“28 stark verbreitet. In Frankreich beispielsweise weisen
Salafisten die Partizipation in demokratischen Wahlen, Parteien und politischen Debatten als
„unislamisch“ zurück und grenzen sich damit nicht nur von der „ungläubigen“ französischen
Gesellschaft, sondern auch von anderen islamischen Akteuren ab.29
Mit dem Wissen um die Kernpunkte der Kritik puristischer Salafisten an Organisationen wie
der Muslimbruderschaft und an den verschiedenen Ausdrucksformen politischen Handelns
erscheint es mir äußerst fragwürdig Salafisten pauschal in das islamistische Milieu
einzuordnen. Zwar ziehen sich puristische Salafisten nicht vollständig aus der Gesellschaft
zurück und ihre Missionsbestrebungen mögen durchaus langfristige politische Implikationen
aufweisen, dennoch unterscheiden sie sich in ihren Handlungsmustern und ideologischen
Grundannahmen vom staatszentrierten Islamismus in gravierender Weise. Puristische
Salafisten propagieren weder die Islamisierung staatlicher Institutionen noch die
Herbeiführung revolutionärer Umstürze. Im Gegenteil, sie stehen den Mechanismen
staatlicher Politik mit großer Skepsis gegenüber und halten z.B. die Teilnahme an
demokratischen Wahlen mehrheitlich für nicht vertretbar, nicht zuletzt weil sie die
Demokratie als unislamisches System wahrnehmen.30 In ihren Reformbestrebungen setzen sie
also weder auf eine Partizipation im politischen System noch auf Gewalt, sondern bewusst
unterhalb der staatlichen Ebene an und betrachten das Meiden jeder Form politischen
Engagements als besten Schutz für die daʿwa. Wir werden in unserem Fallbeispiel sehen, dass
diese Haltung auch im vorrevolutionären Ägypten als charakteristisches Merkmal weiter Teile
der Salafīya angesehen werden kann. Das Fallbeispiel wird jedoch auch illustrieren, dass die
Ablehnung politischen Engagements bei Salafisten nicht immer aus tiefen ideologischen
Überzeugungen resultieren muss, sondern schlicht das Ergebnis pragmatischer Erwägungen
sein kann.
27 Vgl. Bonnefoy: Salafism in Yemen, S.61.
28 Hasan: Ambivalent Doctrines, S. 170.
29 Vgl. Mohamed-Ali Adraoui: Salafism in France – Ideology, Practices and Contradictions, in: Meijer: Global
Salafism, S. 364-383, hier besonders: S. 371.
30 Vgl. Bonnefoy: Salafism in Yemen, S.61
66
5.2 Politischer Salafismus
Nicht alle Anhänger des salafistischen Islams teilen den eben skizzierten „politischen
Skeptizismus“ puristischer Salafisten. Insbesondere auf die Ideen der Gelehrten Muḥammad
Surūr Zain al-ʿĀbidīn31 und ʿAbd ar-Raḥmān Ibn ʿAbd al-Ḫāliq32 ist ein stärker politisierter
Salafismus zurückzuführen, der auch als as-salafīya al-ḥarakīya (aktivistischer Salafismus)
und as-salafīya at-tanẓīmīya (organisatorischer Salafismus) bezeichnet wird.33 Mit diesen
Bezeichnungen wird auf einige wesentliche Merkmale des „politischen Salafismus“
verwiesen. Politische Salafisten scheuen sich nicht, in der politischen Sphäre aktiv für ihre
Ziele zu streiten. Die salafistische daʿwa und die Teilnahme am politischen Wettbewerb
werden nicht als unvereinbare Widersprüche betrachtet, vielmehr wird die politische Arbeit
als eines von mehreren nützlichen Instrumenten der Mission angesehen.34 Für Ibn ʿAbd alḪāliq z.B. ist die salafistische daʿwa in ihren Grundlagen und Konsequenzen eine politische
Tat - mithin wesenhaft politisch. Es ist in diesem Zusammenhang durchaus bemerkenswert,
dass auch Ibn ʿAbd al-Ḫāliq seine Position unter Rückgriff auf die mekkanische Zeit
Muḥammads zu stützen sucht. Er widerspricht der Auffassung puristischer Salafisten, der
Prophet habe sich während seiner Mission in Mekka von politischen Dingen vollständig
ferngehalten, indem er den Begriff des Politischen vergleichsweise weit fasst. Es sei eine
fehlerhaft Annahme, so Ibn ʿAbd al-Ḫāliq, das Handeln des Propheten in Mekka als apolitisch
zu betrachten, weil politisches Handeln mehr beinhaltet als das bloße Streben nach
Souveränität. Vielmehr sei Muḥammad bereits durch sein Vorgehen gegen die
polytheistischen Praktiken seiner Umgebung in die politische Sphäre eingetreten.35
In seiner Offenheit gegenüber politischem Engagement weist der politische Salafismus
überdies einen im Vergleich zum puristischen Salafismus hohen Institutionalisierungsgrad auf,
weshalb er auch als as-salafīya at-tanẓīmīya bezeichnet wird. Während strikt puristische
Salafisten, wie oben angemerkt, im Extremfall jede Form formeller Organisationsstrukturen
als bidʿa verwerfen, halten Salafisten wie Muḥammad Surūr Zain al-ʿĀbidīn und Ibn ʿAbd alḪāliq die Gründung von und Partizipation in politischen Assoziationen und Parteien für
legitim.36 Diese Ansicht hat in einigen Regionen bereits vor den arabischen Revolutionen
31 Für detaillierte Informationen zu Muḥammad Surūr Zain al-ʿĀbidīn vgl. al-Rasheed: Contesting the Saudi
State, S. 72-77. Vgl. auch die Kurzbiographie al-ʿĀbidīns in Meijer: Global Salafism, S.435f.
32 Für Hintergründe zu ʿAbd ar-Raḥmān Ibn ʿAbd al-Ḫāliq vgl. Salomon: The Salafi Critique of Islamism, S.
167-167.
33 Vgl. Abdel-Latif: Trends in Salafism, S. 69. Vgl. auch Haykel: Salafi Thought and Action, S. 48.
34 Vgl. Salomon: The Salafi Critique of Islamism, S. 165.
35 Vgl. Salomon: The Salafi Critique of Islamism, S. 164f.
36 Vgl. die Kurzbiographie al-ʿĀbidīns in Meijer: Global Salafism, S.435f. Vgl. auch Salomon: The Salafi
Critique of Islamism, S. 165.
67
Wurzeln schlagen können: In Bahrain, im Sudan, v.a. aber in Kuwait, dem Wohnort Ibn ʿAbd
al-Ḫāliqs, wo sich die bereits 1992 gegründete Partei at-Taǧammuʿ al-Islāmī as-Salafī für die
Einführung
schariatischer
Gesetze
stark
macht,
gleichzeitig
jedoch
in
durchaus
ernstzunehmender Weise zu den ohnehin nur spärlich vorhandenen Mechanismen
demokratischer Politik bekennt.37
Dieses stärker politisierte Weltbild findet bei einigen (wenigen) Salafisten bereits im Bereich
der Glaubenslehre seinen Niederschlag. So erweitert Ibn ʿAbd al-Ḫāliq das salafistische
tauḥīd-Konzept mit dem tauḥīd al-ḥākimīya bzw. tauḥīd al-ḥukm um eine vierte Kategorie,
die sich sinngemäß mit „Anerkennung der Einheit Gottes in seiner Rolle als Gesetzgeber“
übersetzen lässt und im Kern die Forderung nach der vollständigen Anwendung der Scharia
beinhaltet.38 Die Anerkennung der alleinigen Legislativgewalt Gottes erhebt Ibn ʿAbd alḪāliq dabei u.a. durch folgende unter Islamisten äußerst populäre Koranstelle zu einem
elementaren Bestandteil der salafistischen ʿaqīda: „Diejenigen, die nicht nach dem
entscheiden, was Gott (in der Schrift) herabgesandt hat, sind die (wahren) Ungläubigen“39
Die Parallelen zu Abū l-Aʿlā Maudūdīs und Saiyid Quṭbs berühmtem Postulat der
Gottesherrschaft40 und der politische Charakter dieser Kategorie des tauḥīd sind
unübersehbar. Dadurch, dass Ibn ʿAbd al-Ḫāliq die Anwendung der göttlichen Gesetze
explizit zur Bedingung der Erfüllung des tauḥīd erklärt, schafft er ein Instrument, das zur
Kritik an Regierungen herangezogen und – zumindest theoretisch – sogar als
Legitimationsgrundlage des takfīr dienen kann. Wie bei Quṭb und anderen Islamisten wird
also auch bei Ibn ʿAbd al-Ḫāliq die Anwendung der Scharia zum entscheidenden Gradmesser
der Qualität der Regierungsführung. Damit integriert Ibn ʿAbd al-Ḫāliq altbekannte
Forderungen und Positionen des Islamismus in die salafistische Glaubenslehre und verschiebt
ihren Fokus von Fragen individueller Frömmigkeit auf die politische Sphäre – was ihm von
Seiten puristischer Salafisten zum Teil beißende Kritik eingebracht hat.41
37 Vgl. Steve L. Monroe: Salafis in Parliament: Democratic Attitudes and Party Politics in the Gulf, in: The
Middle East Journal, Volume 66, Number 3, Summer 2012, S. 409-424, hier v.a. S. 418-424.
38 Vgl. al-Ḫāliq: aṣ-Ṣirāṭ, S. 7-10.
39 Koran 5,44.
40 Vgl. hierzu u.a. Berger: Theologie, S. 155-158.
41 Vgl. Nāṣir ad-Dīn al-Albānī: Imaam al-Albani on Tawhid ul-Hakimiyyah, unter: http://www.spubs.com/sps/
Letzter Zugriff: 28.02.2013.
68
5.3 Fallbeispiel: Die ägyptische Salafīya vor, während und nach der
Revolution
Im folgenden Abschnitt sollen die politischen Positionen ägyptischer Salafisten vor, während
und nach der Revolution näher betrachtet werden. Diese Betrachtung ist aus meiner Sicht v.a.
deshalb spannend, weil sich die politische Einstellung weiter Teile des salafistischen Milieus
mit der ägyptischen Revolution grundlegend gewandelt hat. Die ägyptische Salafīya liefert
daher bestes Anschauungsmaterial für die komplexe Beziehung von Salafismus und Politik.
5.3.1
Die ägyptische Salafīya vor und während der Revolution
Wie im Vorangegangenen erläutert wurde, lassen sich die verschiedenen politischen
Einstellungen und Handlungsmuster unter Salafisten v.a. auf die unterschiedliche
Beantwortung folgender Fragen zurückführen: Ist eine Partizipation im politischen System
aus islamischer Perspektive erlaubt und mit Blick auf die Erfolgsaussichten der salafistischen
daʿwa sinnvoll? Und inwieweit ist es legitim politische Autoritäten zu kritisieren oder sogar
gegen diese zu rebellieren?
In diesem Abschnitt sollen die Antworten ägyptischer Salafisten auf eben diese Fragen
skizziert werden. Die politischen Grundpositionen der ägyptischen Salafīya vor und während
der Revolution werden also anhand ihrer Einstellung zu politischem Engagement im
Allgemeinen und zum Regime Ḥusnī Mubāraks im Speziellen dargestellt. Dass sich
insbesondere die Frage nach der Legitimität der ägyptischen Regierung mit dem Aufkommen
der Proteste Anfang 2011 auch für Salafisten mit neuer Dringlichkeit stellte, liegt auf der
Hand und wird im weiteren Verlauf dieses Abschnittes deutlich werden.
5.3.1.1 Die ägyptische Salafīya und politische Partizipation
Was die politische Partizipation im vorrevolutionären Ägypten anbelangt, so lässt sich die
ägyptische Salafīya diesbezüglich auf den ersten Blick pauschal dem puristischen Salafismus
zuordnen. Im Ägypten vor der Revolution existierten weder salafistische Parteien, noch
beteiligten sich die ägyptischen Salafisten in nennenswerter Zahl am ohnehin nur in
eingeschränkter Form möglichen politischen Diskurs.
Statt über politische Kanäle für die Durchsetzung ihrer Ziele zu streiten, versuchten
salafistische Gruppen wie die bereits 1926 gegründete Anṣār as-Sunna al-Muḥammadīya42
42 Die Anṣār as-Sunna al-Muḥammadīya wurde 1926 von einem Schüler Rašīd Riḍās gegründet und zeichnete
sich von Beginn an durch einen ausgeprägten Antisufismus aus. Sie gilt als die größte und wichtigste
69
und die in den 1970er Jahren in Alexandria entstandene ad-Daʿwa as-Salafīya43 ihre
Vorstellungen unterhalb der staatlichen Ebene zu verbreiten.
Eine nicht unwesentliche Rolle bei der weiträumigen Vermittlung der salafistischen Ideologie
spielten die populären Fernsehsender an-Naṣṣ und ar-Raḥma-TV, auf denen ausschließlich
männliche Religionsgelehrte die Grundlagen der salafistischen ʿaqīda erläuterten und einem
größeren Publikum zugänglich machten.44 Dass die Erörterung schariarelevanter Themen in
der inhaltlichen Ausrichtung dieser salafistischen Sender höchstens einen marginalen
Stellenwert besaß, verrät einiges über die politische Ausrichtung weiter Teile der
vorrevolutionären ägyptischen Salafīya. Während Fragen zur ʿaqīda zuvorderst den Bereich
individueller
Frömmigkeit
und
Lebensführung
berühren,
hätte
eine
tiefgehende
Auseinandersetzung mit der islamischen Scharia fast zwangsläufig die Frage nach ihrer
Anwendung bzw. Nichtanwendung durch die Staatsorgane aufgeworfen und somit den Eintritt
in den politischen Diskurs bedeutet. Dies wurde durch den thematischen Fokus auf Aspekte
der Glaubenslehre vermieden und von Nathan Field und Ahmed Hamam als „the most critical
distinction between salafi and non-salafi programming“45 beschrieben.
Auch in ihrer Haltung zur Muslimbruderschaft folgten zahlreiche Salafisten den
Grundmustern puristisch-salafistischer Politikkritik, indem sie die Muslimbruderschaft
bezichtigten, in ihrem Streben nach politischer Macht ihre religiösen Ideale zu opfern.46 So
warf beispielsweise Yāsir Burhāmī – einer der prominentesten Gelehrten der Daʿwa asSalafīya und heute womöglich der einflussreichste „politische“ Salafist in Ägypten – der
islamistischen Szene insgesamt und damit v.a. der Muslimbruderschaft vor, ihre islamischen
Prinzipien (mabādiʾ) und ihre islamische Identität (huwīya) „für einen [politischen] Posten
hier und eine Gelegenheit dort (li-manṣib hunna au furṣa hunāka)“ zu verraten.47
Die ägyptischen Salafisten waren sich vor der Revolution in ihrer Kritik am Islamismus, v.a.
aber in ihrer Ablehnung jeder Form politischen Engagements ganz überwiegend einig.
43
44
45
46
47
salafistische Organisation in Ägypten und unterhält seit Gründungstagen enge Beziehungen zur saudischen
Gelehrtenschaft. Vgl. Gauvain: Salafi Ritual Purity, S. 38.
Wie erwähnt, wurde die Daʿwa as-Salafīya wurde in den 70er Jahren von Studenten der Universität
Alexandria gegründet. Eine maßgebliche Antriebsfeder für die Gründung bildeten ideologische und später
gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und Anhängern der Muslimbruderschaft an eben
dieser Universität. Zunächst eher ein loser Verbund, institutionalisierte die Daʿwa as-Salafīya ihre
Aktivitäten in den 80er Jahren, indem sie z.B. ein Exekutivkomitee, ein Jugendkomitee und eine
Generalversammlung aufbaute. Sie gilt bis heute als die am Besten organisierte salafistische Gruppierung in
Ägypten. Vgl. Boehmer /Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 15-17. Vgl. auch Gauvain:
Salafi Ritual Purity, Fußnote 44, S. 287.
Vgl. Nathan Field/Ahmed Hamam: Salafi satellite TV in Egypt, in: Arab Media and Society, Frühling 2009,
S. 1-11.
Nathan Field/Ahmed Hamam: Salafi satellite TV in Egypt, S. 6.
Vgl. Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 5.
Vgl. für das angeführte Zitat Burhāmīs: ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S. 7. Hier sei
nochmals auf den Link verwiesen: http://www.dohainstitute.org/file/pdfViewer/fb4a7d15-29e4-49f8-97fb7db0fd298c15.pdf Letzter Zugriff: 1.4.2013.
70
Dennoch sollte nicht der Fehler begangen werden, die vorrevolutionäre ägyptische Salafīya in
ihrer generellen Einstellung zu Politik und politischer Partizipation als völlig homogene
Gruppe wahrzunehmen.
So können innerhalb des salafistischen Milieus verschiedene Begründungsmuster für die
Zurückweisung
politischen
Engagements
identifiziert
werden,
die
durchaus
auf
unterschiedliche Politisierungsgrade schon vor der Revolution schließen lassen. Während die
Einen bereits die Stimmabgabe in Parlamentswahlen als „unislamisch“ ablehnten und
politische Partizipation kategorisch ausschlossen, vertraten die Anderen eine weit
pragmatischere Position und begründeten ihr Fernbleiben von der Politik zuvorderst mit dem
Hinweis auf die politischen Strukturen, ohne jedoch politisches Engagement an sich als
religiös illegitim zu betrachten und somit rundheraus abzulehnen.48
Als Beispiel für eine derartige pragmatische Position lässt sich ein bereits 2007 unter dem
Titel „Die Politische Partizipation und die [politischen] Kräfteverhältnisse (al-mušāraka assiyāsīya wa-mawāzīn al-quwā)“ erschienener Text des erwähnten Burhāmī anführen.49 Wie
der Titel verrät, setzt sich Burhāmī in diesem Text unmittelbar mit dem Thema der politischen
Partizipation auseinander. Er erklärt die Partizipation im politischen System dabei mit
Verweis auf die gegenwärtigen globalen, regionalen und innerägyptischen Kräfteverhältnisse
für illegitim. Diese Kräfteverhältnisse, so Burhāmī, würden die Teilnahme am „politischen
Spiel“ (al-laʿba as-siyāsīya) nur unter Aufgabe der eigenen Glaubensgrundsätze (ʿaqāʾid) und
Prinzipien (mabādiʾ) gestatten, die jedoch viel zu wertvoll seien, als dass sie für politische
Zwecke und Ziele geopfert werden könnten.
Burhāmī lehnt eine Teilnahme an der Politik also deshalb ab, weil diese aus seiner Sicht zu
unzulässigen Kompromissen v.a. in religiösen Belangen zwinge. Obwohl er damit durchaus in
Teilen an altbekannte Argumentationsmuster des puristischen Salafismus anknüpft,
unterscheidet sich Burhāmīs Text in der inhaltlichen Akzentuierung und im gesamten
Grundton doch merklich von den Positionen strikt puristischer Salafisten wie Muqbil alWādiʿī oder Rabīʿ Ibn Hādī al-Madḫalī. Während al-Madḫalī, wie angemerkt, u.a. durch einen
Rückgriff auf die Propheten des Islams das Fernhalten von der Politik zum einzig wahrhaft
islamischen Lebensweg erklärt, begründet Burhāmī seine politische Zurückhaltung
ausschließlich mit den gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnissen (mawāzīn al-quwā al-
48 Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S. 7, S. 15. Boehmer/Murphy: The Politicization of the
Egyptian Salafiyya, S. 17-21. Vgl. auch Jonathan Brown: Salafis and Sufis in Egypt, The Carnegie Papers,
2011, unter: http://carnegieendowment.org/files/salafis_sufis.pdf Letzter Zugriff: 1.3.2013.
49 Vgl. Yāsir Burhāmī: al-Mušāraka as-siyāsīya wa-mawāzīn al-quwā, 2007, unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=664. Letzter Zugriff: 3.3.2013. Auch Boehmer und Murphy
analysieren diesen Text in: Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 18f.
71
muʿāṣira).50 Burhāmī stuft weder Parteien und politische Organisationen als unrechtmäßige
Neuerungen ein, noch lehnt er die Teilnahme an der Politik unter Rückgriff auf theologische
Argumente für alle Zeiten ab. Sein Text ist keine Streitschrift gegen politische Partizipation
als solche, keine Polemik gegen all jene Kräfte, die den Islam auch als Aufruf zu politischem
Engagement verstehen. Im Gegenteil: Gleich zu Beginn stellt Burhāmī ausdrücklich klar, dass
der Islam einen umfassenden Charakter und damit auch eine politische Dimension besitzt.
Aufgrund seiner Ausdrucksstärke sei der Textanfang hier in voller Länge wiedergegeben:
Viele legen den Salafisten wegen ihrer Vermeidung der Teilnahme am politischen Spiel Passivität (assalbīya), Isolationismus (al-inʿizālīya) und einen Mangel an Anpassung an die Wirklichkeit (ʿadam
musāyarat al-wāqiʿ) zur Last – und dies in den meisten Ländern, in denen die salafistische Mission in
Erscheinung tritt. Die Wahrheit ist, dass die meisten Salafisten die Teilnahme am politischen Spiel
nicht deshalb ablehnen [wörtlich: nicht deshalb nicht am politischen Spiel teilnehmen], weil weder
Religion und Politik noch Politik und Religion zusammengehören, so wie dies die Säkularisten (alʿalmānīyūn) behaupten und wie Gruppen von ihnen träumen, dass die salafistische Mission es [die
Trennung von Religion und Politik] theoretisch und praktisch genauso sieht. Denn die Anhänger des
Islams im Allgemeinen – und die Anhänger der Sunna und die Gefolgschaft der salaf im Speziellen –
glauben an den umfassenden Charakter des Islams in allen Bereichen des Lebens, darunter das
Individuelle (al-fardīya) und das Kollektive (al-ǧamāʿīya), das Nationale (al-waṭanīya) und das
Internationale (ad-duwalīya), das Dogmatische (al-iʿtiqādīya), das Gottesdienliche (al-ʿibādīya) und
das Moralische (al-aḫlāqīya) und die Bereiche zwischenmenschlicher Beziehungen (al-muʿāmalāt),
Politik (as-siyāsa), Wirtschaft (al-iqtiṣād) und Soziales (al-iǧtimāʿ).51
Das angeführte Zitat verdeutlicht eindrücklich das integristische Weltbild Burhāmīs. Für
Burhāmī erstreckt sich der Geltungsbereich des Islams auf alle Bereiche menschlichen
Lebens. Er wehrt sich mit einiger Vehemenz gegen die Ansicht, die Salafīya würde durch ihre
Ablehnung politischen Handelns die Trennung von Religion und Politik (faṣl ad-dīn ʿan assiyāsa) anerkennen. Vielmehr betont er im weiteren Verlauf seiner Ausführungen, dass eine
Trennung von Religion und Politik aus islamischer Perspektive unmöglich sei und bezeichnet
diese als „Abirrung von der Religion“ (murūq min ad-dīn), als „Ketzerei“ (zandaqa),
„Heuchelei“ (nifāq) und als „Leugnung des notwendigen Wissens von der Religion (ǧaḥd li-lmaʿlūm min ad-dīn bi-ḍ-ḍarūra).“52 So sei es Teil dieses notwendigen Wissens, dass der
Koran umfassende Vorschriften (aḥkām šāmila) beinhalte, die u.a. die Politik und Fragen von
Krieg und Frieden betreffen und überdies auch im Bereich des Rechtssystems, etwa in Form
50 Vgl. Burhāmī: al-Mušāraka as-siyāsīya wa-mawāzīn al-quwā.
51 Burhāmī: al-Mušāraka as-siyāsīya wa-mawāzīn al-quwā.
52 Vgl. Burhāmī: al-Mušāraka as-siyāsīya wa-mawāzīn al-quwā.
72
der koranischen Körperstrafen (ḥudūd), ihren Ausdruck finden. Dass Burhāmī die ḥudūd an
dieser Stelle als elementaren Bestandteil der koranischen Vorschriften hervorhebt, ist
bemerkenswert und kann durchaus als implizite politische Forderung, wenn nicht gar als
versteckte Regierungskritik gedeutet werden, da das islamische Strafrecht im Ägypten unter
Mubārak nicht angewendet wurde.
Nicht zuletzt dies zeigt, dass sich Burhāmīs Argumentation im Grundton vom „politischen
Skeptizismus“ strikt puristischer Salafisten mehr als nur graduell unterscheidet und dass
keinesfalls alle Salafisten in Ägypten Fragen zur Anwendung der Scharia vor der Revolution
vollständig gemieden haben. Zwar hält sich auch Burhāmī mit offener Regierungskritik
zurück und lehnt die Partizipation im politischen System mit Verweis auf den vagen Begriff
der politischen Kräfteverhältnisse ab, gleichwohl betont er eindringlich den politischen
Charakter des Islams. Dies lässt durchaus den Schluss zu, dass Burhāmī und seine
alexandrinische ad-Daʿwa as-Salafīya schon vor der Revolution einen weit höheren
Politisierungsgrad aufwiesen als viele andere ägyptische Salafisten. In diesem Sinne ist
Gauvain in seiner Feststellung ausdrücklich beizupflichten, „that the Egyptian Salafi
Movement(s) should never have been regarded simply as a collection of apolitical pietists.“53
5.3.1.2 Die ägyptische Salafīya und das Mubārak-Regime
Die Frage nach der Einstellung der ägyptischen Salafīya zum Regime Ḥusnī Mubāraks ist
nicht
einfach
zu
beantworten.
Das
vorrevolutionäre
Ägypten
lässt
sich
aus
politikwissenschaftlicher Perspektive als autoritäres System einstufen, das seinen Bürgern u.a.
fundamentale
politische
Partizipationsrechte
wie
die
Meinungs-,
Presse-
und
Informationsfreiheit vorenthielt und zivilgesellschaftliches Engagement nur in äußerst engen
Grenzen zuließ.54 In autoritären politischen Systemen ist Oppositionsarbeit im Allgemeinen
und die Artikulation dezidiert regierungskritischer Ansichten im Speziellen nur schwer
möglich und mit dem Risiko schärfster Repressalien verbunden. Unter solchen Gegebenheiten
müssen öffentlich verkündete politische Positionen nicht notgedrungen mit den tatsächlichen
Überzeugungen eines jeweiligen Akteurs korrespondieren, was die wissenschaftliche
Ermittlung politischer Einstellungen in autoritären Systemen z.T. erheblich erschwert.
Nicht zuletzt in Abgrenzung zu anderen „islamischen“ Akteuren wie der Muslimbruderschaft
können dennoch einige grundsätzliche Aussagen zum Verhältnis von Salafīya und MubārakRegime getroffen werden. Anders als die Muslimbruderschaft lässt sich die große Mehrheit
53 Gauvain: Salafi Ritual Purity, S. 46.
54 Zur Typologie politischer Systeme vgl. Wolfgang Merkel: Systemtransformation – Eine Einführung in die
Theorie und Empirie der Transformationsforschung, Wiesbaden 2010, S. 21-55.
73
der Salafīya außerhalb des oppositionellen Milieus einordnen. Wenngleich eine kleine Anzahl
von Salafisten existierte, die vor offener Regierungskritik nicht zurückschreckte und sich
deshalb staatlichen Repressionen ausgesetzt sah, zeigte sich das Gros der Salafisten in der
Meidung öffentlicher Regierungskritik einig, was der salafistischen Bewegung im
vorrevolutionären Ägypten einen vergleichsweise großen Bewegungsspielraum einbrachte.55
Insbesondere bedeutende Gelehrte der Anṣār as-Sunna al-Muḥammadīya folgten in ihrer
Haltung zur ägyptischen Regierung den ideologischen Grundmustern des puristischen
Salafismus samt seiner „Theologie des Gehorsams“ - weshalb ihre Auffassungen in
Anlehnung an al-Madḫalī auch als „Madḫalismus“ bezeichnet wurden.56 Unter dem Motto „lā
ḫurūǧ ʿalā l-ḥākim“ verboten diese Gelehrten nicht nur eine gewaltsame Rebellion gegen das
Mubārak-Regime, sondern gleichfalls jede Form von Regierungskritik. Überdies erklärte man
den Gehorsam gegenüber den politischen Autoritäten unter Rückgriff auf die Ansichten
prominenter saudischer Salafisten und durch einen Bezug auf Koran 4:5957 zur religiösen
Pflicht. In diesem Zusammenhang wurden z.T. heftige Vorwürfe gegen die ägyptischen
Islamisten erhoben, deren Hang zur Regierungskritik als Anzeichen für den verwerflichen
Einfluss der Ideen Saiyid Quṭbs angesehen wurde und ihnen mancherorts den
diskreditierenden Beinamen „moderne Ḫāriǧīya“ einbrachte.58
Wenngleich diese regimefreundliche Haltung, wie angedeutet, v.a. in den Führungszirkeln der
Anṣār as-Sunna al-Muḥammadīya dominiert haben dürfte, wurde sie im vorrevolutionären
Ägypten nicht von allen Salafisten in Gänze geteilt. Am Beispiel Burhāmīs und der Daʿwa asSalafīya haben wir bereits feststellen können, dass im Ägypten vor der Revolution durchaus
prominente und einflussreiche salafistische Stimmen existierten, die in ihrer Ablehnung
politischen Engagements zwar schwerlich dem oppositionellen Lager zugeordnet werden
können, gleichwohl der ägyptischen Regierung - wenn auch nur subtil – mit größerer Distanz
begegneten. Gauvain geht in diesem Kontext sogar so weit, von einer
Spaltung der
ägyptischen Salafīya schon vor der Revolution zu sprechen: Während die Einen dem
Mubārak-Regime in nahezu bedingungsloser Loyalität gegenübergestanden hätten, hätten die
Anderen in der Regel zwar nicht zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufgerufen, die
Legitimität der Regierung jedoch, zumindest in informellen Kreisen, durchaus in ihren
55 Vgl. Stéphane Lacroix: Sheikhs and Politicians – Inside the New Eqyptian Salafism, Doha 2012, unter:
http://www.brookings.edu/research/papers/2012/06/07-egyptian-salafism-lacroix. S.2.
56 Vgl. Gauvain: Salafi Ritual Purity, S. 41.
57 Ihr Gläubigen! Gehorchet Gott und dem Gesandten und denen unter euch die zu befehlen haben
(oder:zuständig sind)!Und wenn ihr über eine Sache streitet (und nicht einig werden könnt), dann bringt sie
vor Gott und den Gesandten, wenn (anders) ihr an Gott und den jüngsten Tag glaubt! So ist es am besten (für
euch) und nimmt am ehesten einen guten Ausgang. Koran 4:59.
58 Vgl. Gauvain: Salafi Ritual Purity, S. 41f.
74
Grundlagen angezweifelt.59
Mit dem Aufkommen der Massenproteste gegen das Mubārak-Regime Anfang 2011 gewann
die Frage nach dessen Legitimität auch im salafistischen Milieu naturgemäß an Bedeutung
und Brisanz. Trotz der von Gauvain angedeuteten innersalafistischen Friktionen waren sich
die wichtigsten salafistischen Organisationen in der Ablehnung der Proteste zunächst einig.
Zwar nahmen Salafisten ganz vereinzelt an den regimekritischen Demonstrationen teil und
riefen zum Aufstand gegen den „despotischen und tyrannischen Herrscher (al-ḥākim al-ǧāʾir
aẓ-ẓālim)“ Mubārak auf, sowohl die Anṣār as-Sunna al-Muḥammadīya als auch die Daʿwa
as-Salafīya sprachen sich jedoch in entschiedener Weise gegen die Proteste aus. 60 So
veröffentlichte beispielsweise Burhāmī wenige Tage vor den landesweiten Demonstrationen
vom 25. Januar 2011 ein Rechtsgutachten, in dem er die Teilnahme an den Protesten u.a. aus
Sorge um das Wohl des Landes untersagte und sich kritisch über die „Absichten der Feinde
(maqāṣid al-aʿdāʾ)“ äußerte, die auf die „Verbreitung chaotischer Zustände (našr al-fitan)“
abzielen würden.61 Zwar weist Burhāmī darauf hin, dass die Ablehnung der Demonstrationen
nicht bedeute, dass man potentielle „kleine und großer Ungerechtigkeiten“ in Ägypten dulden
würde und führt in diesem Zusammenhang das „Verbergen des göttlichen Gesetzes (taġyīb
šarʿ allāh)“ als schwerwiegendstes Beispiel an. Die Situation in Ägypten sei jedoch nicht mit
der in Tunesien zu vergleichen, wo der Machthaber Zain al-ʿĀbidīn Ibn ʿAlī wenige Tage vor
Erscheinen des fatwā aufgrund anhaltender Proteste das Land verlassen hatte. Um seiner
Position zusätzlich Nachdruck zu verleihen, schließt Burhāmī sein Rechtsgutachten mit dem
Hinweis, dass sich alle alexandrinischen Gelehrten [d.h. die Gelehrten der Daʿwa as-Salafīya]
in der Ablehnung der Demonstrationen umstandslos einig seien.
Dieser ablehnenden Haltung blieb die Daʿwa as-Salafīya in den ersten Tagen nach den
Protesten vom 25. Januar treu. Am 29. Januar veröffentlichte sie ein Schreiben, in dem sie zur
Kooperation mit der staatlichen Armee und zur Sicherung des öffentlichen und privaten
Eigentums aufrief.62 Zwei Tage später bekräftigte die Daʿwa as-Salafīya ihren Aufruf und
forderte mit Blick auf die zunehmenden Plünderungen den Widerstand gegen „die kriminellen
Banden (al-ʿiṣābāt al-iǧrāmīya).“63
Die Daʿwa as-Salafīya lehnte die Proteste in der Frühphase der Revolution demnach v.a.
deshalb ab, weil sie diese als Gefahr für die öffentliche Ordnung des Landes betrachtete. Die
59 Vgl. Gauvain: Salafi Ritual Purity, S. 37-47.
60 Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S. 3-6. Vgl. auch: Boehmer/Murphy: The Politicization
of the Egyptian Salafiyya, S. 27-33.
61 Vgl. Yāsir Burhāmī: Ḥukm al-mušāraka fī ṯaura yaum 25 min yanāyir iqtidāʾan bi-ṯaurat tūnis, 21. Januar
2011, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=5115. Letzter Zugriff: 6.3.2013.
62 Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S. 3.
63 Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S. 4.
75
Argumentation der Anṣār as-Sunna al-Muḥammadīya wies dagegen eine stärker religiöse
Färbung auf und folgte zentralen Grundannahmen des puristischen Salafismus. Noch am 10.
Februar 2011, genau einen Tag vor dem Rücktritt Mubāraks, verurteilte die Organisation die
Aufstände als illegitime Rebellion gegen einen muslimischen Herrscher, der nach der Scharia
richte, der Bevölkerung das Gebet ermögliche und nicht offenkundig ungläubig sei.64
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Einstellung der Daʿwa as-Salafīya bereits grundlegend
gewandelt. Zwar rief sie nach wie vor nicht zur Teilnahme an den Demonstrationen auf,
gegenüber dem Mubārak-Regime nahm sie mittlerweile jedoch eine offen oppositionelle
Haltung ein. Ein am 1. Februar veröffentlichtes Schreiben demonstriert die neue Haltung und
den fundamentalen Positionswechsel der
alexandrinischen Organisation:
Statt
die
Aufforderung zur Zusammenarbeit mit den staatlichen Organen erneut zu bekräftigen, wurde
auf die Unvermeidbarkeit grundlegender Veränderung verwiesen und die Idee der Schaffung
einer Übergangsperiode zur Vorbereitung freier Wahlen unterstützt. Mit Blick auf die
amtierende ägyptische Regierung zeigte sich die Organisation in dem Schreiben
unmissverständlich: „Es ist unmöglich, dass diejenigen [im Amt] bleiben, die das Land an den
Rand des Abgrunds (ḥāfat al-hāwiya) geführt haben.“65
Über die genauen Ursachen dieses abrupten Positionswandels lässt sich aus der Ferne nur
spekulieren. Boehmer und Murphy legen nahe, dass es sich hierbei um eine wohlkalkulierte
Entscheidung handelt, die als Reaktion auf die steigenden Erfolgsaussichten der
Protestbewegung zu verstehen ist. Demnach änderte die Daʿwa as-Salafīya ihren Standpunkt
erst zu dem Zeitpunkt, als sie den Sturz des Mubārak-Regimes für wahrscheinlich und
realistisch hielt.66 Fernab solch „opportunistischer“ Motive erscheint es mir durchaus denkbar,
dass die zunehmende Brutalität des Regimes und das Anwachsen der Opferzahlen auf Seiten
der Demonstranten zu einem Umdenken innerhalb der Führungselite der Organisation geführt
haben.
Fakt jedenfalls ist, dass sich die Daʿwa as-Salafīya mit dem Schreiben vom 1. Februar
erstmalig öffentlich und unzweideutig gegen die ägyptische Regierung positionierte. Daneben
wurden einige Forderungen erhoben, die sich als explizit politisch bezeichnen lassen, darunter
u.a. Forderungen nach dem Ende staatlicher Unterdrückung und Folter, dem Verbot von
Festnahmen ohne Gerichtsverhandlungen und nach der Aufhebung des Notstandsgesetzes.67
Andernorts verlangte man darüber hinaus die Beseitigung aller Gesetze, die nicht im Einklang
64
65
66
67
Vgl. Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 29.
Das Schreiben wird zitiert aus: ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S. 4.
Vgl. Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 27f.
Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S.4. Vgl. auch: Boehmer/Murphy: The Politicization of
the Egyptian Salafiyya, S. 28.
76
mit der islamischen Scharia stehen.68 Damit trat die Daʿwa as-Salafīya zum ersten Mal in
ihrer Geschichte in offenkundiger Weise in den politischen Diskurs ein. Dass dieser Eintritt
nicht nur vorübergehender Natur sein sollte, zeigte sich wenige Monate später, als die
Organisation mit der Ḥizb an-Nūr ihre eigene Partei gründete, die sich im postrevolutionären
Ägypten als wichtigste politische Kraft der Salafīya etablieren konnte. Auf eben diese
Entwicklungen soll im folgenden Abschnitt näher eingegangen werden.
5.3.2
Die ägyptische Salafīya nach der Revolution
Im März 2011 gründeten Salafisten in Kairo mit der al-Faḍīla die erste salafistische Partei in
der Geschichte Ägyptens. Kurze Zeit später zog die Daʿwa as-Salafīya nach und schuf mit der
Ḥizb an-Nūr ihren eigenen politischen Arm.69 Der Entschluss von nun an dauerhaft am
„politischen Spiel“ teilzunehmen, wurde zuvorderst mit den neuen politischen Freiheiten im
postrevolutionären Ägypten begründet: Während die Kräfteverhältnisse unter Mubārak
politisches Engagement nur unter Aufgabe der eigenen Ideale erlaubt hätten, sei es nun
erstmals möglich, ohne Verzicht auf die eigenen Ansichten und Positionen an der Politik
teilzunehmen und für die Durchsetzung politischer Ziele zu streiten.70 Salafistische
Organisationen wie die Daʿwa as-Salafīya betrachten politisches Engagement demnach nicht
mehr als Bedrohung für die Missionsarbeit. Vielfach wird der Eintritt in die politische Sphäre
sogar als notwendiger Schritt gedeutet, um die Selbige zu schützen und den islamischen
Charakter Ägyptens v.a. vor dem Einfluss säkularer Kräfte zu bewahren.71 Nicht wenige
ägyptische Salafisten teilen heute also die Auffassungen politischer Salafisten wie IbnʿAbd alḪāliq, der seinen eigenen ideologischen Einfluss im Übrigen als einen maßgeblichen Faktor
für die Politisierung der ägyptischen Salafīya und die Entstehung salafistischer Parteien
betrachtet.72
Mit den strukturellen Veränderungen im Zuge der Revolution hat sich die politische
Einstellung weiter Teile der ägyptischen Salafīya also grundlegend gewandelt. Zwar
existieren in Ägypten nach wie vor Salafisten, welche die Partizipation im politischen System
68 Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S.4. Vgl. auch: Boehmer/Murphy: The Politicization of
the Egyptian Salafiyya, S. 27f.
69 Vgl. Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 30.
70 Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S.9. Vgl. auch Burhāmīs Stellungnahme in einem
Interview mit der ägyptischen Zeitung al-Ahrām: Ḥiwār ǧarīdat al-Ahrām maʿa š-šaiḫ Yāsir Burhāmī, 12
November 2011, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=5777 Letzter Zugriff: 15.03.2013.
71 Vgl. Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 31. Vgl. auch: Ḥiwār ǧarīdat alAhrām maʿa š-šaiḫ Yāsir Burhāmī. U.a. warnt Burhāmī hier vor der drohenden Gefahr einer liberalen und
säkularen Verfassung.
72 Vgl. folgenden Artikel der kuwaitischen Zeitung al-Waṭan: ʿAbd ar-Raḥman ʿAbd al-Ḫāliq: anā dafaʿtu salaf
miṣr li-taškīl al-aḥzāb, 2012, unter: http://alwatan.kuwait.tt/ArticleDetails.aspx?Id=164541 Letzter
Zugriff:15.03.2013.
77
in puristisch-salafistischer Tradition kategorisch ablehnen, viele ägyptische Salafisten stehen
politischem Engagement heute jedoch weit weniger skeptisch gegenüber oder nehmen über
eine der mittlerweile vier salafistischen Parteien direkt am politischen Wettbewerb teil.73
Nathan Field fasst die Entwicklung innerhalb der ägyptischen Salafiya weitestgehend richtig wenngleich etwas pauschalisierend - zusammen und deutet an, dass nicht zuletzt die Angst
vor einer gesellschaftlichen Marginalisierung im hochpolitisierten postrevolutionären
Ägypten eine Ursache für den Positionswandel weiter Teile der Salafīya gewesen sein mag:
During the Mubarak era, Salafis judged that they couldn´t achieve meaningful reform by trying to get
involved in politics, so they focused on preaching, i.e. teaching Egyptians how to be better Muslims.
However, post-February 2011, the equation changed and as the political process opened up, they saw
an opportunity to achieve change by working within the system, and without having to compromise on
their values. In fact, if they didn´t enter the political game, they would probably have lost support.74
Mit dem für viele Beobachter überraschenden Erscheinen ägyptischer Salafisten auf der
politischen Bühne rückt die Frage nach ihren politischen Forderungen im Allgemeinen und
nach ihrer Einstellung zur Demokratie im Speziellen naturgemäß in den Fokus der
Aufmerksamkeit. Insbesondere die salafistischen Positionen zur Demokratie sind in diesem
Zusammenhang von besonderem Interesse, nicht zuletzt, weil sich ägyptische Salafisten vor
der Revolution, wenn überhaupt, überwiegend negativ über diese Staatsform geäußert haben
und diese in der Tradition puristischer Salafisten als unislamische Staatsordnung
wahrnahmen.75
Das Parteiprogramm der Ḥizb an-Nūr spricht in diesem Kontext auf den ersten Blick eine
deutlich andere Sprache.76 So bekennt sich die Ḥizb an-Nūr zu zentralen Dimensionen einer
demokratischen Staatsordnung wie der Teilung der Gewalten in Legislative (at-tašrīʿīya),
Judikative (al-qaḍāʾīya) und Exekutive (at-tanfīḏīya) und betont die Position des Volkes als
Quelle dieser Gewalten („aš-šaʿb huwa maṣdar ǧamīʿ as-sulṭāt“).77 Darüber hinaus hebt das
Parteiprogramm das Recht des Volkes auf die Wahl (iḫtiyār), Kontrolle (murāqaba) und
Absetzung (ʿazl) der politischen Autoritäten und auf die Gründung politischer Parteien
73 Vgl. Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 12f.
74 Vgl. Nathan Field: Salafis: Why the Surprise? Dezember 2012, unter:
http://www.arabist.net/blog/2011/12/12/salafis-why-the-surprise.html. Letzter Zugriff: 15.03.2013.
75 Vgl. Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 55f.
76 Das Parteiprogramm kann auf der offiziellen Seite der Partei eingesehen werden. Unter:
http://www.alnourparty.org/
Oder
an
dieser
Stelle
heruntergeladen
werden:
http://archive.org/details/hezb_alnoor. Letzter Zugriff: 15.03.2013.
77 Vgl. Ḥizb an-Nūr: Ḥizb an-Nūr – al-barnāmiǧ, S. 4f. und S.6. Vgl. dazu auch: ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī
miṣr wa-s-siyāsa, S.12f. Und: Boehmer/Murphy: The Politicization of the Egyptian Salafiyya, S. 55f.
78
(takwīn aḥzāb siyāsīya) hervor.78
Nicht zu Unrecht bezeichnet ʿAbd al-Laṭīf das Parteiprogramm vor diesem Hintergrund als
Präzedenzfall in der Geschichte der ägyptischen Salafīya. Erstmals, so ʿAbd al-Laṭīf, würden
Salafisten mit dem Parteiprogramm eine demokratische Staatsordnung anerkennen und damit
zahlreichen vorrevolutionären Rechtsgutachten und Ansichten der salafistischen Bewegung
(al-ḥaraka as-salafīya) widersprechen, in denen die Demokratie „als Prinzip (ka-mabdaʾ)“
zurückgewiesen wurde.79
Dennoch ist an dieser Stelle ein differenzierterer Blick notwendig. Obwohl die Ḥizb an-Nūr in
dem Parteiprogramm grundlegende Mechanismen einer demokratischen Staatsordnung als
notwendig erachtet, liest es sich nicht als uneingeschränktes Bekenntnis zur Demokratie.
Gleich zu Beginn des Parteiprogrammes hebt die Ḥizb an-Nūr hervor, dass Ägypten aufgrund
des Glaubens (ʿaqīda) und der Religion (dīn) der großen Mehrheit der Bevölkerung eine
„islamisch-arabische
Identität
(huwīya
islāmīya
ʿarabīya)“
aufweise.
In
diesem
Zusammenhang wird die Anerkennung des Islams als Religion des Staates und der
islamischen Scharia als Hauptquelle der Gesetzgebung gefordert (aš-šarīʿa al-islāmīya hiya lmaṣdar ar-raʾīsī li-t-tašrīʿ).80 Mit Blick auf die staatliche Ordnung des neuen Ägyptens
plädiert das Parteiprogramm für die „Verwirklichung der Demokratie im Rahmen der
islamischen Scharia (taḥqīq ad-dimuqrāṭīya fī iṭār aš-šarīʿa al-islāmīya).“81
Es ist offensichtlich, dass die Formulierung „Demokratie im Rahmen der Scharia“ einen nicht
unerheblichen Interpretationsspielraum offen lässt. Um einen tieferen Einblick in das
Demokratie- und Staatsverständnis von Teilen der ägyptischen Salafīya zu gewinnen,
erscheint deshalb ein Blick über das Parteiprogramm der Ḥizb an-Nūr hinaus sinnvoll. An
dieser Stelle sollen daher die Staatsvorstellungen einiger Gelehrter der Daʿwa as-Salafīya, der
Mutterbewegung der Ḥizb an-Nūr, näher beleuchtet werden. Es ist in diesem Kontext jedoch
wichtig darauf hinzuweisen, dass die im folgenden dargelegten Ansichten nicht notgedrungen
mit der politischen Einstellung aller Mitglieder der Ḥizb an-Nūr korrespondieren müssen. Wir
werden sogar sehen, dass sich die Positionen der Daʿwa-Gelehrten zumindest in Stoßrichtung
und Akzentuierung vom Parteiprogramm der Ḥizb an-Nūr unterscheiden.
Im Zentrum der Ausführungen der Daʿwa-Gelehrten steht die Forderung nach der Bewahrung
der islamischen Identität Ägyptens und der Einführung eines „islamischen Staates“ (daula
islāmīya), wobei dieser vorwiegend negativ, d.h. in Abgrenzung zu anderen Staatsformen
78
79
80
81
Vgl. Ḥizb an-Nūr: Ḥizb an-Nūr – al-barnāmiǧ, S.6.
Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S. 13.
Vgl. Ḥizb an-Nūr: Ḥizb an-Nūr – al-barnāmiǧ, S. 2f.
Vgl. Vgl. Ḥizb an-Nūr: Ḥizb an-Nūr – al-barnāmiǧ, u.a. S. 6.
79
definiert wird.82 So wird oftmals hervorgehoben, dass ein auf dem Islam aufbauender Staat
nicht mit einem theokratischen Staat (daula ṯiyuqrāṭīya) bzw. einem religiösen Staat nach
westlichem Verständnis zu vergleichen sei.83 Letztgenannter sei im Europa vor der
Renaissance (nahḍa) verwirklicht und durch die übermächtige Stellung der Kirche
gekennzeichnet
gewesen.
Während
sowohl
die
Herrschafts-
als
auch
die
Gesetzgebungsgewalt damals in den Händen der Kirche lag, habe das Volk nur über ein
äußerst geringes Maß an Freiheiten verfügt und sei stattdessen der Willkür (istibdād) und
Tyrannei (ṭuġyān) der Herrscher ausgeliefert gewesen, die ihre absolute Macht auf das
Konzept der Unfehlbarkeit (ʿiṣma) und Heiligkeit (qadāsa) stützten.84 Ein solches
Herrschaftskonzept sei dem Islam jedoch nicht nur fremd, sondern müsse als Ausdruck von
Polytheismus gewertet werden.85 Der Gelehrte ʿAlāʾ Bakr, einer der wichtigsten „politischen
Theoretiker“ der Daʿwa as-Salafīya, untermauert diese Ansicht durch einen Rückgriff auf
folgende bekannte Koranstelle:86 „Sie nehmen ihre Rabbiner und Mönche und den Messias,
Sohn der Maria, neben Allah zu Herren an...“87
In einem an islamischen Normen orientierten Staat, so die Gelehrten der Daʿwa einmütig, sei
der Herrscher weder unfehlbar noch heilig, sondern ein normaler und fehlbarer Mensch, ein
„Mensch von den Menschen (bašar min al-bašar)“,88 der die Funktion des Bevollmächtigten
der umma in der „Durchführung der Religion und der weltlichen Politik durch die Religion
(iqāmat ad-dīn wa-siyāsat ad-dunyā bi-d-dīn)“89 innehabe.90
Mit der Unterscheidung zwischen einem islamischen und einem theokratischen Staat ist von
salafistischer Seite v.a. der Versuch verbunden, all jenen Kritikern zu begegnen, die der
Salafīya vorhalten, in Ägypten eine autoritäre Theokratie errichten zu wollen. Salafisten wie
Bakr und Burhāmī beschränken sich jedoch nicht nur auf die Verteidigung ihrer eigenen
Staatsvorstellungen gegen äußere Kritik, sondern greifen gleichfalls aktiv in den politischen
82 Vgl. ʿAlā Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām. 2011,
unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=5232 Vgl. ʿAlā Bakr: Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula alislāmīya, 2011, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=5205 Vgl. für einen Text, in dem v.a. an die
Adresse säkular orientierter Kräfte der Vorwurf erhoben wird, die Identität Ägyptens zu bedrohen ad-Daʿwa
as-Salafīya (ohne Nennung eines spezifischen Autors): ad-Daʿwa as-Salafīya wa-Ḥizb an-Nūr wa-d-dustūr
wa-š-šarīʿa, 2012, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=6442. Letzter Zugriff auf alle Texte:
15.03.2013.
83 Vgl. Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām, vgl. auch:
Bakr: Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula al-islāmīya. Und: Yāsir Burhāmī: Māḏā nurīdu fī d-dustūr? 2012,
unter:http://www.salafvoice.com/article.php?a=6183 Letzter Zugriff: 15.03.2013.
84 Vgl. Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām, vgl. auch:
Bakr: Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula al-islāmīya. Und: Burhāmī: Māḏā nurīdu fī d-dustūr?
85 Vgl. Bakr: Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula al-islāmīya. Vgl. auch Burhāmī: Māḏā nurīdu fī d-dustūr?
86 Vgl. Bakr: Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula al-islāmīya.
87 Koran 9:31.
88 Burhāmī: Māḏā nurīdu fī d-dustūr?
89 Siehe das erwähnte Interview mit Burhāmī unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=5777
90 Vgl. Bakr: Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula al-islāmīya.
80
Diskurs über die zukünftige Natur des ägyptischen Staates ein, indem sie v.a. die Ansichten
nichtislamistischer Akteure scharf attackieren.
Im Mittelpunkt der salafistischen Kritik steht das Konzept des zivilen (oder: bürgerlichen)
Staates (ad-daula al-madanīya). Nicht selten beginnen die Gelehrten der Daʿwa as-Salafīya
ihre Ausführungen dabei mit einer Klarstellung. So sei es ein verbreitetes Missverständnis,
den zivilen Staat als Gegenentwurf zum militärischen Staat zu betrachten. Ein ziviler Staat sei
jedoch keinesfalls antimilitaristisch, sondern antireligiös, weil er auf der Trennung von
Religion und Staat (faṣl ad-dīn ʿan ad-daula) basiere und durch die Abwesenheit der Religion
– jeder Religion – in sämtlichen staatlichen Belangen gekennzeichnet sei.91
Auch im Zusammenhang mit dem zivilen Staat verweisen die Gelehrten der Daʿwa asSalafīya häufig auf dessen vermeintlich westlichen Ursprung – nicht zuletzt, um ihn als ein
dem Islam fremdes Element darzustellen und damit grundlegend die Legitimität zu
entziehen.92 In einem Interview mit der ägyptischen Zeitung al-Ahrām betont Burhāmī
überdies und in ähnlicher Absicht, dass ein derartiges Konzept bislang in keiner ägyptischen
Verfassung Erwähnung gefunden habe und von seinen Anhängern v.a. deshalb hervorgebracht
werde, um „Feuer unter den Gruppen der umma zu schüren (išʿāl an-nār fī ṭawāʾif alumma).“93
Besonders eingehend befasst sich ʿAlāʾ Bakr in seinen „staatstheoretischen“ Texten mit dem
Konzept des zivilen Staates. Dieser sei in Folge der europäischen Renaissance und als
Ergebnis der Rebellion (ḫurūǧ) gegen die Willkürherrschaft der christlichen Kirche
entstanden.94 Während vormals sowohl die Herrschafts- als auch die Gesetzgebungsgewalt bei
der Kirche lagen, seien beide Gewalten nun vollständig in die Hände des Volkes
übergegangen. Damit sei jedoch im Grunde nur ein Unrechtsregime durch ein anderes ersetzt
worden, da nun eine Demokratie entstanden sei, die auf der Trennung von Religion und Staat
aufbaue und dem Volk als Inhaber der Legislativgewalt das Recht gewähre, Gesetze nach
eigenem Gutdünken und ohne Bindung an Gottes Gesetz zu erlassen. Dadurch, so Bakr, sei in
Europa eine der Religion feindlich gesinnte materialistische Kultur (ḥaḍāra mādīya)
entstanden, in der religiös verwerfliche Dinge wie Wucher (ar-ribā), Unzucht (az-zinā) und
andere sexuelle Ausschweifungen (aš-šuḏūḏ al-ǧinsī) durch das Volk legalisiert wurden.95
91 Vgl. Bakr: Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula al-islāmīya und Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-ddaula al-madanīya wa-daulat al-islām. Vgl. auch: ad-Daʿwa as-Salafīya: Ḥaula muṣṭalaḥ: ad-daula almadanīya ḏāt al-marǧiʿīya al-islāmīya, 2011, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=5181 Letzter
Zugriff 15.03.2013. Vgl auch das erwähnte Interview mit Burhāmī unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=5777
92 Vgl. u.a. Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām.
93 Burhāmī im Interview unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=5777
94 Vgl. Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām.
95 Vgl. Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām.
81
Genau an dieser Stelle ziehen die Gelehrten der Daʿwa as-Salafīya die entscheidende
Trennlinie zwischen einem islamischen und einem zivilen Staat bzw. des im Westen
verbreiteten Verständnisses einer demokratischen Staatsordnung. Während auch in einem
islamischen Staat das Volk das Recht auf die Wahl des Herrschers habe, also wie in einem
zivilen Staat Träger der Herrschaftsgewalt sei, wird die Idee, dass das Volk über die alleinige
Gesetzgebungsgewalt verfügt, als mit dem Islam unvereinbar angesehen und als Verletzung
der Souveränität (as-siyāda) Gottes betrachtet.96 In einem islamischen Staat sei weder das
Volk noch der Herrscher mit derart umfassenden legislativen Befugnissen ausgestattet,
vielmehr läge die Gesetzgebungsgewalt in letzter Konsequenz ausschließlich bei Gott bzw.
dem geoffenbarten Gesetz (aš-šarʿ):
Der islamische Staat stimmt mit der Idee des zivilen Staates darin überein, dass die Herrschaftsgewalt
(as-sulṭa al-ḥākima) vom Volk ausgeht und weicht vom zivilen Staat darin ab, dass die
Gesetzgebungsgewalt (sulṭa at-tašrīʿ) vom geoffenbarten Gesetz ausgeht, nicht vom Volk. Das Volk
besitzt in ihm nicht das Recht der Gesetzgebung (ḥaqq at-tašrīʿ)97
In den Augen der salafistischen Gelehrten zeichnet sich ein islamischer Staat also v.a. durch
die
Anwendung
schariatischer
Bestimmungen
aus.
Dass
auch
die
koranischen
Strafrechtsvorschriften einen Bestandteil dieser Bestimmungen bilden, hebt ʿAlāʾ Bakr
explizit hervor. So gehörten die ḥudūd, ähnlich wie die islamischen Erbschaftsregelungen, in
jenen Bereich der Scharia, der eigentlich unabhängig von Ort und Zeit Geltung haben müsste.
Die islamische Scharia, so Bakr, sei ein „passender Lebensweg für alle Orte und Zeiten bis
zum jüngsten Tag (manhaǧ li-l-ḥayāt yaṣluḥu fī kull zamān wa-makān wa-ḥattā qiyām assāʿa).“98
Die Gelehrten der Daʿwa as-Salafīya betonen darüber hinaus, dass die Anwendung der
Scharia kein wünschenswerter Akt, sondern vielmehr eine religiöse Pflicht und einen
elementaren Teil der islamischen Glaubenslehre darstellt. Der Islam erschöpfe sich nicht in
Akten individueller Frömmigkeit, sondern verlange die gesellschaftliche Umsetzung seiner
Regelungen und Vorschriften:
[Die] demütige Gottesverehrung (al-ʿubūdīya) umfasst die Übernahme des geoffenbarten Gesetzes in
allen Aspekten (iltizām aš-šarʿ fī kull an-nawāḥī), in dem, was das Individuum (al-fard), die
96 Vgl. Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām und Bakr:
Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula al-islāmīya. Vgl. auch Burhāmī in einem Interview mit der Zeitung al-Ahrām im
September 2012, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=6388 Letzter Zugriff: 15.03.2013.
97 Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām.
98 Bakr: al-Furqān baina d-daula aṯ-ṯiyuqrāṭīya wa-d-daula al-madanīya wa-daulat al-islām.
82
Gesellschaft (al-ǧamāʿa), die umma und den Staat (ad-daula) betrifft.99
Vor diesem Hintergrund wird das Erlassen von Gesetzen, die nicht im Einklang mit der
islamischen Scharia stehen, zu einem religiös illegitimen Akt, ja sogar zu einem Ausdruck
von Unglaube. Wie Ibn ʿAbd al-Ḫāliq in seiner Konzeption vom tauḥīd al-ḥākimīya bezieht
auch Bakr sich in diesem Punkt nicht zuletzt auf Koran 5:44:100 „Diejenigen, die nicht nach
dem entscheiden, was Gott (in der Schrift) herabgesandt hat, sind die (wahren) Ungläubigen.“
Die eben skizzierten Vorstellungen haben die Salafisten der Daʿwa as-Salafīya nicht zuletzt in
der ägyptischen Verfassung verankern wollen. So unternahm man beispielsweise den Versuch,
der Verfassung einen Artikel beizufügen, in dem die Souveränität Gottes explizit
hervorgehoben wird (as-siyāda li-llāh).101 In einem Interview vor einigen Monaten verriet
Burhāmī, selbst Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung in Ägypten, den
Hintergrund dieser Forderung: Während in einer Demokratie westlichen Verständnisses die
Souveränität und damit die Gesetzgebungsgewalt vollständig in den Händen des Parlamentes
liege, würde die Einführung eines Artikels, der Gott die Souveränität zubillige, genau dies für
Ägypten ausschließen. Dadurch sei es dem Parlament nicht möglich, religiös illegitime Dinge
zu legalisieren und nach europäischem Vorbild „Verbotenes zu erlauben und Erlaubtes zu
verbieten (taḥlīl al-ḥarām wa-taḥrīm al-ḥalāl).“ Diese Staatsauffassung bringt Burhāmī dabei
auf die Formel einer „durch die Scharia disziplinierten Demokratie (dimuqrāṭīya munḍabaṭa
bi-š-šarīʿa).“102
Wie erwähnt, richten sich die Gelehrten der Daʿwa as-Salafīya mit ihrer Forderung nach der
Errichtung eines islamischen Staates und mit ihrer Kritik am Konzept des zivilen Staates in
erster Linie gegen stärker säkular orientierte Gruppen in Ägypten, die sie nicht selten als
Anhänger einer Verwestlichung Ägyptens und als Gegner des Islams darstellen. So hebt die
Daʿwa as-Salafīya in einem Text hervor, dass die Ḥizb an-Nūr v.a. deshalb gegründet wurde,
um all jenen Kräften zu begegnen, welche die „Identität der umma“ auszulöschen versuchen
und sich dabei nicht zuletzt auf „leere und geschwollene Parolen (šiʿārāt maʿsūla faḍfāḍa)“
von der „Freiheit (al-ḥurrīya), Gleichheit (al-musāwāt) und Menschenwürde (al-karāma alinsānīya)“ stützen würden.103
Gleichwohl bilden „Säkularisten“ und „Liberale“ nicht die einzige Zielscheibe salafistischer
99 Iyhāb aš-Šarīf: al-islām wa-d-daula, 2011, unter: http://www.salafvoice.com/article.php?a=5656 Letzter
Zugriff: 15.03.2013.
100Vgl. Bakr: Malāmiḥ raʾīsīya li-d-daula al-islāmīya.
101Vgl. ad-Daʿwa as-Salafīya: ad-Daʿwa as-Salafīya wa-Ḥizb an-Nūr wa-d-dustūr wa-š-šarīʿa
102Burhāmī in einem Interview mit der Zeitung al-Ahrām im September 2012, unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=6388
103ad-Daʿwa as-Salafīya: ad-Daʿwa as-Salafīya wa-Ḥizb an-Nūr wa-d-dustūr wa-š-šarīʿa.
83
Kritik. Auch Teile des islamistischen Milieus werden von Seiten der Daʿwa-Gelehrten z.T.
scharf attackiert, v.a. deshalb, weil sie in der Debatte um die Natur des zukünftigen
ägyptischen Staates zu nachgiebig und kompromissbereit agieren und sich der „lauten
Stimme“ der Säkularen unterwerfen würden.104 So wird an die Adresse anderer Islamisten der
Vorwurf erhoben, die Forderung der vollständigen Anwendung der Scharia fallen gelassen zu
haben. Man würde über Fragen der Anwendung bestimmter Prinzipien der Scharia schweigen,
statt für ihre vollständige Einführung zu werben.105
Ein weiteres Beispiel für die Indifferenz einiger islamistischer Kräfte bildet aus Perspektive
der Daʿwa as-Salafīya die Idee von der Einführung eines „zivilen Staates mit islamischer
Autorität (ad-daula al-madanīya ḏāt al-marǧiʿīya al-islāmīya)“, die v.a. auf Teile der
Muslimbruderschaft zurückgeführt wird.106 Eine solche Staatsvorstellung sei jedoch ein
Widerspruch in sich, da ein ziviler Staat ontologisch areligiös sei und somit in keiner Weise
mit einem an der islamischen Religion ausgerichteten Staat in Verbindung gebracht werden
könne. Darüber hinaus basiere die Idee von einem zivilen Staat mit islamischer Autorität auf
der Annahme, dass Freiheit und Gleichheit die wichtigsten Werte im Islam seien. In einem
Rechtsgutachten über das Konzept des zivilen Staates mit islamischer Autorität hebt die
Daʿwa as-Salafīya jedoch explizit hervor, dass dies nicht uneingeschränkt richtig ist, da der
Islam gewisse Freiheitsrechte, etwa die Freiheit zur Apostasie (ḥurrīyat ar-ridda) oder zur
Schmähung (ṭaʿn) Gottes, seines Gesandten und seiner Bücher und Verse, nicht kenne.107
Der nähere Blick auf die Staatsvorstellungen führender Gelehrter der Daʿwa as-Salafīya
offenbart einige interessante Aspekte: Erstens zeigt sich anhand der betrachteten Schriften, in
welch offenkundiger Weise sich salafistische Kräfte mittlerweile am politischen Diskurs in
Ägypten
beteiligen.
Die
Gelehrten
haben
ihre
zurückhaltende
Einstellung
aus
vorrevolutionären Tagen aufgegeben und fordern öffentlich und in klassisch islamistischer
Manier die Einführung eines islamischen Staates. Als entscheidendes Kennzeichen eines
solchen Staates wird die vollständige Anwendung der islamischen Scharia angesehen, die als
umfassendes und zeitloses Regelwerk sowohl für individuelle als auch gesellschaftliche
Belange betrachtet wird. Die Anwendung der göttlichen Normen und Vorschriften wiederum
wird von salafistischer Seite zum Ausdruck wahrhaftigen Glaubens und zur religiösen Pflicht
erhoben. In diesem Punkt weisen die Staatsauffassungen von Gelehrten wie Burhāmī ein
104Vgl. ad-Daʿwa as-Salafīya: ad-Daʿwa as-Salafīya wa-Ḥizb an-Nūr wa-d-dustūr wa-š-šarīʿa.
105Vgl. ʿAbd al-Munʿim aš-Šaḥāt: Manhaǧ al-iṣlāḥ baina d-daʿwa wa-s-siyāsa, 2012, unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=6075 Letzter Zugriff: 15.03.2013.
106Vgl. ad-Daʿwa as-Salafīya: Ḥaula muṣṭalaḥ: ad-daula al-madanīya ḏāt al-marǧiʿīya al-islāmīya. Unter:
http://www.salafvoice.com/article.php?a=5181. Letzter Zugriff: 15.03.2013.
107Vgl. ad-Daʿwa as-Salafīya: Ḥaula muṣṭalaḥ: ad-daula al-madanīya ḏāt al-marǧiʿīya al-islāmīya.
84
zentrales Strukturmerkmal fundamentalistischen Denkens auf: Sie gründen auf einem
gesetzesethischen Monismus, der das göttliche und in der heiligen Schrift überlieferte Gesetz
als einzig gültige Ethik des Staates anerkennt. Andere Staatsauffassungen, etwa das Konzept
des zivilen Staates, werden vor diesem Hintergrund nicht nur als westliche und kulturell
fremde Importe dargestellt, sondern als Negation fundamentaler Glaubenspflichten gedeutet.
Zweitens weichen die Ansichten der salafistischen Gelehrten von verbreiteten Annahmen über
die Grundzüge einer demokratischen Staatsordnung ab. In einem an islamischen Werten
orientierten Staat, so die Argumentation, besäße das Volk zwar das Recht auf die Wahl der
politischen Autoritäten, verfüge also über die Herrschaftsgewalt, habe jedoch nicht die
vollständige Gesetzgebungsgewalt inne. Diese läge in letzter Konsequenz bei Gott bzw. dem
geoffenbarten
Gesetz,
dessen
Regeln
als
unantastbar
gelten
und
auch
durch
Parlamentsbeschlüsse nicht aufgehoben werden dürfen. Wer die Beschlüsse des Parlamentes
wiederum auf ihre Schariakonformität überprüft, wird in den betrachteten Texten nicht im
Detail erläutert. Laut ʿAbd al-Laṭīf regte der Daʿwa-Gelehrte ʿAbd al-Munʿim aš-Šaḥāt kurze
Zeit nach der Revolution in diesem Zusammenhang jedoch die Gründung eines vom
Parlament unabhängigen Rates (maǧlis fiqhī) an.108
Die Gelehrten der alexandrinischen Organisation bekennen sich in ihren Schriften also zu
demokratischen Mechanismen wie der Wahl, lehnen die Idee einer Volksgesetzgebung jedoch
im Kern entschieden ab. Zumindest in der Entschiedenheit ihrer Argumentation unterscheiden
sie sich vom Grundton des Parteiprogrammes der Ḥizb an-Nūr. Zwar spricht auch das
Parteiprogramm von einer „Demokratie im Rahmen der Scharia“ und erklärt die islamische
Scharia zur Hauptquelle der Gesetzgebung, andererseits wird jedoch das Volk als Quelle aller
Gewalten bezeichnet und die Errichtung eines islamischen Staates nicht in aller Klarheit
gefordert. Ob die Ambivalenz des Parteiprogramms schlicht aus politischem Kalkül resultiert
oder bereits ideologische Differenzen zwischen Partei und Mutterbewegung abbildet, ist aus
der Ferne schwer zu beurteilen, dürfte jedoch ein interessanter Gegenstand weiterer
Forschungen sein.
Drittens verraten die Ansichten der Gelehrten einiges über die politische Positionierung der
Daʿwa as-Salafīya in der nachrevolutionären politischen Landschaft Ägyptens. In ihrer
Argumentation richten sich die Gelehrten zuvorderst gegen stärker säkular ausgerichtete
Kräfte. Die Auseinandersetzung wird dabei im Stile eines Kulturkampfes geführt, in dem es
aus salafistischer Perspektive um nicht weniger als um die Bewahrung der islamischen
Identität des Landes geht. Auch hier weist die Argumentation durchaus fundamentalistische
108 Vgl. ʿAbd al-Laṭīf: as-Salafīyūn fī miṣr wa-s-siyāsa, S.13.
85
Züge auf: Sie ist durch einen ausgeprägten religiösen Nativismus gekennzeichnet, der sich v.a.
darin äußert, dass die eigenen Auffassungen als Abbild der religiös-kulturellen Tradition
Ägyptens dargestellt werden und andere Staatskonzepte wie der zivile Staat auf kulturell
fremde, weil westliche und daher unislamische Ideen zurückgeführt werden. Während die
Salafisten der Daʿwa as-Salafīya Säkulare und Liberale vor diesem Hintergrund zu Feinden
des Islams erklären, stilisiert man sich selbst zum Verteidiger der eigenen Kultur und
Religion. Überdies grenzen sich die Salafisten auch von anderen islamistischen Akteuren ab.
Wie schon vor der Revolution wird in diesem Zusammenhang v.a. der Vorwurf der
Vernachlässigung religiöser Ideale erhoben. Wenngleich die Gelehrten der Daʿwa as-Salafīya
das islamistische Denken in keiner Weise um innovative Aspekte erweitern, versuchen sie
sich als einzig wahrhafte Vertreter des Islams darzustellen und islamistische Opponenten wie
die
Muslimbruderschaft
auf
der
„islamischen
86
Straße“
zu
überholen.
6 Fazit
In dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, die theologischen Gemeinsamkeiten und
politischen Differenzen unter zeitgenössischen Salafisten näher zu beleuchten. Vor allem in
dem Kapitel über die politischen Ansichten salafistischer Muslime wurden die ägyptische
Salafīya im Allgemeinen und die alexandrinische Daʿwa as-Salafīya im Speziellen in
besonderer Weise berücksichtigt.
Ich hoffe, es ist in dieser Arbeit deutlich geworden, dass sich Salafisten auf theologischer
Ebene v.a. durch gewisse Auffassungen von der „Einheit Gottes“ auszeichnen, die mindestens
und überwiegend in den drei Kategorien des tauḥīd ar-rubūbīya, tauḥīd al-ulūhīya und tauḥīd
al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt konzeptualisiert werden. Wie schon bei der religiösen Reformbewegung
der Wahhābīya, deren ideologischer Einfluss auf den Salafismus kaum hoch genug
eingeschätzt werden kann, steht auch im zeitgenössischen Salafismus der tauḥīd al-ulūhīya im
Zentrum der Glaubenslehre. Aus salafistischer Perspektive bildet der tauḥīd al-ulūhīya die
entscheidende Trennlinie zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Islam und Polytheismus.
Während sich Salafisten auf dem geraden Pfad der salaf aṣ-ṣāliḥ wähnen und vor diesem
Hintergrund als die einzig errettete Gruppe bezeichnen, würden große Teile der Muslime die
Grenze zum Polytheismus regelmäßig überschreiten und damit ihr Seelenheil aufs Spiel
setzen. Wie am Beispiel des Hilfegesuchs beim Propheten illustriert, richtet sich die
salafistische Kritik in diesem Kontext zuvorderst gegen Praktiken aus dem Bereich der
Gräber- und Heiligenverehrung, die als fundamentaler Verstoß gegen den tauḥīd al-ulūhīya
angesehen werden. Dass sich die salafistische Glaubenslehre v.a. gegen verbreitete Formen
der „Volksfrömmigkeit“ richtet, konnte auch anhand der salafistischen Standpunkte zur Feier
des Prophetengeburtstages festgestellt werden. Wenngleich Salafisten die Feier des
Prophetengeburtstages, anders als das Hilfegesuch, nicht per se als polytheistische Praxis
einstufen, so werten sie diese als eine von schiitischen Häretikern erfundene verwerfliche
Neuerung, die weder von Muḥammad noch von den salaf je praktiziert wurde. An dieser
Stelle wird deutlich, was Salafisten unter Salafismus verstehen: den wahrhaftigen und
unverfälschten Islam, basierend nur auf Koran und Sunna und dem Vorbild der salaf und
gereinigt von all jenen kulturellen Neuerungen, die der Religion im Laufe der Zeit
hinzugefügt wurden und diese in den Augen der Salafisten entstellt haben. Zumindest
außerhalb Saudi Arabiens tritt der salafistische Islam daher oftmals als eine Art „Gegenkultur“
in Erscheinung. Er richtet sich gegen lokale Traditionen und Bräuche, die aus seiner Sicht
nicht mit den normativen Grundlagen des Islams zu vereinen sind.
87
Dass die Ideologie des Salafismus auf einem exklusivistischen und manichäischen Weltbild
aufbaut, konnte in dieser Arbeit zusätzlich durch einen näheren Blick auf die salafistische
Doktrin al-walāʾ wa-l-barāʾ verdeutlicht werden. Unter Rückgriff auf die Ideen Ibn Taimīyas
und Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhābs fordern Gelehrte wie al-Fauzān und Burhāmī die
Abgrenzung und Distanzierung von allem Nichtmuslischem ein. Wie in Abschnitt 5.1
angedeutet, wird in diesem Kontext nicht nur die Meidung enger Kontakte zu Juden und
Christen postuliert, sondern gleichfalls die Idee einer Zusammenarbeit und Annäherung mit
dem schiitischen Islam aufgrund tiefster theologischer Gräben verworfen.
Nicht nur in der exklusivistischen und in Teilen durchaus xenophoben Doktrin al-walāʾ wa-lbarāʾ spiegeln sich ideologische Prämissen wider, die mit der Fundamentalismustheorie
Riesebrodts als Ausdruck fundamentalistischen Denkens gewertet werden können. Auch in
seinem Zugang zu den religiösen Quellen weist der salafistische Islam durchaus
fundamentalistische Züge auf, da er sich durch einen ausgeprägten Literalismus auszeichnet.
Wenngleich sich Salafisten hinsichtlich der Frage nach der richtigen Auslegung der göttlichen
Attribute entschieden vom Vorwurf des Antropomorphismus distanzieren, plädieren sie im
Zuge des tauḥīd al-asmāʾ wa-ṣ-ṣifāt und ganz in ḥanbalitischer Tradition für das Festhalten an
ihrer wörtlichen Bedeutung und richten sich in ihrer gesamten Koranhermeneutik v.a. gegen
Theologen ašʿaritischer Prägung, die sich der heiligen Schrift in rationaler Weise nähern und
möglicherweise sogar einige göttliche Attribute metaphorisch auslegen.
Während diese theologischen Überzeugungen das einende Band unter Salafisten bilden und es
ermöglichen vom Salafismus als einer eigenständigen religiösen Tradition und Bewegung zu
sprechen, konnte in dieser Arbeit gezeigt werden, dass von einer salafistischen Einigkeit im
politischen Bereich keine Rede sein kann. Nicht zuletzt die politischen Entwicklungen im
Mutterland des Salafismus, in Saudi Arabien, haben zu einer tiefen Fragmentierung der
Salafīya auch außerhalb des Königreichs beigetragen. Obwohl mit dem ǧihādistischen
Salafismus hier eine bedeutende politische Facette der Salafīya bewusst ausgeklammert
wurde, konnten in Kapitel 5 tiefere Einblicke in die verschiedenen politischen Ideologien
salafistischer Muslime und in das komplexe Verhältnis von Salafismus und Politik gewonnen
werden. Zunächst wurden in diesem Kapitel die unterschiedlichen politischen Philosophien
puristischer und politischer Salafisten skizziert, im Mittelpunkt stand jedoch die nähere
Betrachtung der politischen Einstellungen ägyptischer Salafisten vor, während und nach der
Revolution. Diese Betrachtung hat einige durchaus interessante Aspekte zu Tage gefördert: So
wurde festgestellt, dass sich die ägyptischen Salafisten vor der Revolution in der Ablehnung
politischen Engagements nahezu vollständig einig waren, sich ausschließlich der religiösen
Missionsarbeit widmeten und damit einem unter Salafisten weltweit verbreiteten
88
Handlungsmuster folgten. Gleichwohl wurde dieses Handlungsmuster unterschiedlich
begründet: Wie anhand der Ansichten Burhāmīs verdeutlicht, folgten keinesfalls alle
ägyptischen Salafisten in ihrer politischen Zurückhaltung den ideologischen Prämissen
puristischer Salafisten wie Muqbil al-Wādiʿī oder Rabīʿ Ibn Hādī al-Madḫalī. Statt politisches
Engagement als religiös illegitim zu verdammen und die puristische ḥizbīya-Kritik in allen
Aspekten zu teilen, rechtfertigte Burhāmī das Fernhalten vom „politischen Spiel“
ausschließlich mit den politischen Umständen und unterstrich schon 2007 den politischen
Charakter des Islams.
Auch in der Haltung zum Mubārak-Regime war das salafistische Milieu weit heterogener als
es ein flüchtiger Blick suggerieren mag. Während renommierte Gelehrte der Anṣār as-Sunna
al-Muḥammadīya den bedingungslosen Gehorsam gegenüber der Regierung Mubārak
einforderten und Regierungskritik nicht zuletzt unter Rückgriff auf die Positionen saudischer
Salafisten verurteilten, standen andere Salafisten der Regierung distanzierter gegenüber, in der
Regel freilich ohne eine eindeutig oppositionelle Haltung einzunehmen.
Vor diesem Hintergrund wird der postrevolutionäre Positionswandel von Teilen der
ägyptischen Salafīya
verständlicher. Schon
vor der Revolution
nicht in
Gänze
„madḫalistisch“, setzten die politischen Umwälzungen Anfang 2011 im salafistischen Milieu
einen Politisierungsprozess in Gang, der schlussendlich in der Gründung mehrerer
salafistischer Parteien mündete und einen „neuen ägyptischen Salafismus“ entstehen ließ.
Erste Einblicke in diesen „neuen Salafismus“ haben wir im letzten Abschnitt dieser Arbeit
gewinnen können. So wurde verdeutlicht, dass sich insbesondere die Gelehrten der Daʿwa asSalafīya zu Verteidigern der islamischen Identität Ägyptens aufschwingen und in diesem
Kontext v.a. die vollständige Anwendung der Scharia fordern. Mit ihren politischen
Forderungen richten sich die Salafisten dabei zuvorderst gegen säkular orientierte Akteure,
versuchen sich jedoch gleichfalls als islamische Alternative zur Muslimbruderschaft zu
etablieren. Dass der alteingesessenen Muslimbruderschaft durch die Politisierung von Teilen
der ägyptischen Salafīya eine durchaus ernstzunehmende islamistische Konkurrenz erwachsen
ist, hat sich mit den ägyptischen Parlamentswahlen gezeigt und lässt sich zweifelsohne als
eine der politisch bedeutsamsten Entwicklungen im postrevolutionären Ägypten betrachten.
89
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