Wertlos? - Haslinger, Keck.

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H a s l i n g e r, K e c k .
Wertlos?
In der heutigen Zeit wird einem nichts geschenkt. Schon gar nicht von Unternehmen.
Und doch gibt es all die Slogans, die einem den Diskonthimmel auf Erden versprechen. Immer mehr, immer besser, immer schneller und das Ganze immer
billiger. Doch irgendwie beschleicht uns doch das Gefühl, dass irgendetwas nicht
stimmen kann, dass irgendjemand am Ende die Rechnung präsentiert bekommen
muss.
Kratzen am Mythos Wenn es an Werten wie Glaubwürdigkeit, Aufrichtigkeit
oder sozialer Verantwortung fehlt, ist chronische Orientierungslosigkeit nicht mehr
fern. Wer den Wandel nicht spürt oder sich dagegen sträubt, verliert erst den
Überblick und dann die Kontrolle. Sei es über sich selbst, über ein Unternehmen,
oder über einen ganzen Staat. George Orwell hat völlig richtig erkannt: “Der
Fortschritt kann nur durch Aufklärung stattfinden, was soviel bedeutet wie die
Zerstörung von Mythen.”
Und Mythen gibt es sonder Zahl. Etwa, dass man nicht gleichzeitig für den Markt
und die Menschen tätig sein kann. Oder, dass Arbeit zwangsläufig eine Mühsal
sein muss. Oder, dass der einzige Sinn unserer Gesellschaft in einem permanenten
Ping-Pong von Wachstum und Lohnerhöhungen besteht. Und nicht zuletzt auch
den Mythos, dass alles in bester Ordnung ist, solange der Preis niedrig ist.
Die Billiglüge Franz Kotteder beschreibt in seinem aktuellen Buch “Die BilligLüge” die unbekannten Machenschaften und Tricks der Discounter. Der Tenor
seines Werks ist eindeutig: Vieles, was wir bei Hofer, Lidl und Co. billig kaufen,
kommt uns am Ende des Tages teuer zu stehen. Es wird höchste Zeit, unsere
Macht als Verbraucher an der Kassa auszuspielen, denn das ist der einzige Weg
aus der ruinösen und gefährlichen Preisspirale.
Um die Billiglüge zu entlarven, trennt Kotteder den Preis vom Wert und postuliert,
dass diese Größen sehr wenig miteinander zu tun haben. Manche Dinge, die sehr
wertvoll sind, kann man eben nicht kaufen: Liebe, Zuneigung, Freundschaft. Wert
entsteht durch persönliche Einschätzung und gesellschaftliche Normen. Und doch
ist der Preis manchmal sehr eng an den Wert eines Produktes gebunden, besonders
bei bekannten Marken. Nike, Coca-Cola, Chanel etc. können einen höheren Preis
erzielen, da mit ihren Produkten untrennbare, positiv besetzte Assoziationen
verknüpft sind.
Wir alle wissen, dass uns der Genuss einer Dose Cola light nicht schöner oder
attraktiver macht, genauso wenig wie ein Kleid von Chanel oder ein Parfum von
Calvin Klein. Und doch geben wir uns alle hin und wieder der Illusion hin. Der
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Discounter arbeitet dagegen mit dem Prinzip des “Smart-Shoppers”, das uns
sagt: Bei uns bekommt ihr die gleiche Qualität zu einem besseren Preis, weil wir
auf die Lügen der Werbung verzichten.” Doch wie weit ist es damit wirklich her?
Der Preis für den Tiefstpreis Exemplarisch für die Machenschaften der Discounter
an dieser Stelle ein kleiner Auszug aus “Die Billig-Lüge”:
- Manche Produkte, vor allem Aktionswaren, sind entweder untauglich oder
haben eine viel zu kurze Lebensdauer.
- Allen Discountern gemein ist ein unglaubliches Sparprogramm bei den
Personalkosten. Wenig Personal, unbezahlte Überstunden und schikanöse
Kontrollen sind für die meisten Mitarbeiter an der Tagesordnung.
- Textilien, Kaffee und viele andere Produkte werden unter teilweise sklavenartigen
Bedingungen zu Billigstlöhnen produziert. So bekommt eine Arbeiterin in
Indonesien für ein Paar 100-Euro-Turnschuhe ca. 40 Cent.
Es muss uns allen klar sein, dass dieser eklatante Unterschied in den Produktionsbedingungen und der Entlohnung nicht für immer aufrecht erhalten werden kann.
Je mehr die europäischen Staaten zu Tiefstlöhnen wie in Südostasien produzieren
lassen, umso mehr kommen die heimischen Arbeitnehmer in Bedrängnis. Nicht
umsonst klagen alle wichtigen und weniger wichtigen Institutionen seit Jahrzehnten
über zu hohe Lohnkosten. In nicht allzu weiter Zukunft werden die Menschen in
China, Indonesien, Thailand etc. ihren Anteil am weltweiten Wohlstand einfordern.
Und selbst dann werden sie noch zu Preisen produzieren, die für uns unmöglich
zu erreichen sind.
Der wahre Wert der Dinge Es ist also ein Umdenken gefragt. Wer an das Gute
im Menschen glaubt und das Gute auch will, muss etwas dafür tun. Die westlichen
Länder und nicht zuletzt auch Österreich brauchen wieder eine Elite, die sich an
ihre Bringschuld einer klaren gesellschaftlichen Orientierung erinnert. Schöpferische
Menschen mit Weitblick statt bürokratische Hardliner und Erbsenzähler. Und
schließlich liegt es vor allem an uns selbst, unsere Macht als Wähler und Verbraucher
auszuspielen. Wir müssen den Dingen wieder ihren wahren Wert beimessen und
auch bereit sein, dafür einen höheren Preis als bisher zu bezahlen. Es ist nur
vordergründig eine Frage der internationalen Politik, den Menschen ihre Arbeit
entsprechend ihrem Wert zu bezahlen. Es ist vor allem eine Frage, die uns selbst
betrifft. Nämlich dann, wenn wir vor der Entscheidung stehen, welche Produkte
wir kaufen und bei welchen wir uns weigern, das zu tun.
Weiterführende Literatur:
Kotteder, Franz: Die Billig-Lüge, Droemer Verlag, München 2005
Brand Eins: Wirtschaftsmagazin, Ausgabe Juni 2003, S. 18-25
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