Kapitel 3 Komplexe Zahlen

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Kapitel 3
Komplexe Zahlen
Komplexe Zahlen gehören mit zu den nützlichsten Abstraktionen der Mathematik. Obwohl sie zunächst nur als Erweiterung des reellen Zahlenkörpers eingeführt wurden, um Gleichungen der Form x2 +a = 0 mit a > 0 zu lösen, zeigte
sich bald, dass ihre Erweiterung auf komplexe Funktionen vielfache Anwendung in der Integrationstheorie, Potentialtheorie, Elektrodynamik, Quantenmechanik, usw. fand. Die allgemeine Lösung einer quadratischen Gleichung der
Form
az 2 + bz + c = 0
(3.0.1)
wobei a 6= 0, b und c reell sind, liefert uns einen unmittelbaren Zugang zu den
komplexen Zahlen. Nun dividieren wir die obige Gleichung durch die Formvariable a und ergänzen die erhaltene Gleichung durch die quadratische Ergän
b 2
zung 2a
. Somit erhalten wir folgenden Ausdruck
b
⇒ z2 + z +
a
b
2a
2
=
b
2a
2
−
c
a
Nach Ausklammern des linken Terms mittels binomischer Formel ergibt sich
b 2 b2 − 4ac
z+
=
2a
4a2
Das anschließende Ziehen der entsprechenden Quadratwurzel bringt die gesuchte formale Lösung der Ausgangsgleichung zum Vorschein und stellt sich
dar als
√
b2 − 4ac
b
z=− ±
2a
2a
wobei der Ausdruck D = b2 − 4ac Diskriminante genannt wird. Dies bedeutet, die Menge der Werte für die Unbekannte z, welche die Gleichung erfüllen,
besteht aus einer reellen Zahl, wenn D = 0, oder aus einem Paar von zwei reellen Zahlen, wenn D > 0 ist. Wenn allerdings die Diskriminante negativ wird,
können wir im Raum der uns bisher bekannten reellen Zahlen keine Lösung
finden. Daher ist es notwendig, wie oben angemerkt wurde, diesen Zahlenraum zu erweitern. Infolgedessen definiert man sich eine neue Art von Zahlen,
116
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
117
deren Quadrat einer negativen Zahl entspricht und nennt sie imaginäre Einheit, welche folgendermaßen definiert ist:
i2 ≡ −1
Die Lösungen der Gleichung z 2 + 1 = 0 lauten damit unter Verwendung der
imaginären Einheit i wie folgt:
⇒ z1,2 = ±i
Hier zeigt sich eindeutig warum der Zahlenbereich von R → C erweitert werden muss, da der Gleichung z 2 + 1 = 0 rein imaginäre Lösungen genügen,
und wir es somit mit einer so genannten fehlenden algebraischen Abgeschlossenheit von R zu tun haben. Allgemeiner: Ist P ein reelles Polynom, so muss
P (x) = 0 nicht stets eine Lösung x ∈ R besitzen. Auf ähnliche Zahlen stoßen
wir beim formalen Lösen der Gleichung z 2 + 9 = 0:
√
⇒ z1,2 = ± −9 = ±3i
Unter einer imaginären Zahl ki versteht man das formale Produkt aus der reellen Zahl k 6= 0 mit der imaginären Einheit i. An dieser Stelle sollte angemerkt
√
werden, dass die imaginäre Einheit in gewissem Sinne als die Wurzel −1
betrachtet werden kann. Diese Form der Darstellung sollte aber generell vermieden werden, um Mißverständnisse der Form
p
√
√
√
−1 · −1 = (−1) · (−1) = 1 = 1
vorzubeugen. Stattdessen bevorzugen wir die obige Definition i2 = −1. Da bei
quadratischen Gleichungen, wie z.B.
z 2 − 4z + 13 = 0
auch häufig formale Lösungen in der Form einer algebraischen Summe aus
einer reellen Zahl und einer imaginären Zahl
⇒ z1,2 = 2 ± 3i
auftreten, werden Zahlen dieser Art als komplexe Zahlen bezeichnet. Eine
komplexe Zahl z∈ C hat damit die Darstellung
z = x + iy
wobei C = {z |z = x + iy; x, y ∈ R } die Menge der komplexen Zahlen darstellt. Man versteht darunter die formale Summe aus einer reellen Zahl x
und einer imaginären Zahl iy. Diese Darstellungsform ist auch als Normalform, algebraische- oder kartesische Form bekannt. Die reellen Bestandteile
x = Re(z) und y = Im(z) der komplexen Zahl z werden auch als Realteil und
Imaginärteil bezeichnet. Somit sind zwei komplexe Zahlen nur dann gleich,
wenn sie in Real- und Imaginärteil übereinstimmen, d.h.
a + bi = c + di
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
118
genau dann, wenn a = c und b = d ist. Überdies sei erwähnt, dass ein Paar
von komplexen Zahlen, die sich nur durch das Vorzeichen des Imaginärteils
voneinander unterscheiden, als komplex konjugiert bezeichnet werden. Die
dazu entsprechende Operation heißt komplex konjugieren und entspricht eben
der Umkehr des Vorzeichens des Imaginärteils der komplexen Zahl. Somit ist
die zu z = x+iy komplex konjugierte Zahl z̄ = x−iy. Wie wir in den nachfolgenden Ausführungen sehen werden, entspricht diese Operation einer Spiegelung
an der reellen Achse in der Gauß’schen Zahlenebene, die wir nun eingehender
behandeln wollen.
3.1
3.1.1
Gauß’sche Zahlenebene
Algebraische oder kartesische Darstellung
Wir haben gesehen, dass man zwei reelle Zahlen benötigt um eine komplexe Zahl darzustellen. Entsprechend benötigt man für die graphische Darstellung die zweidimensionale Ebene, wobei die x-Achse als reelle Achse und
die y-Achse als imaginäre Achse gewählt wird. Die aufgespannte Ebene wird
in diesem Zusammenhang als komplexe Ebene, Gauß’sche Ebene oder Arganddiagramm bezeichnet. Fasst man nun den Real- und Imaginärteil einer
komplexen Zahl z = x + iy als kartesische Koordinaten eines Punktes P der
(x, y)-Ebene auf, so lässt sich jeder komplexen Zahl genau ein Bildpunkt P (z)
zuordnen und umgekehrt, d.h.
x
z = x + iy ←→ P (z) =
y
Dabei handelt es sich somit um eine bildliche Darstellung einer komplexen
Zahl z, was in der nachfolgenden Abbildung eindeutig zu erkennen ist. Die
komplexe Zahl stellt sich somit als Zeiger in der komplexen Ebene dar, der
vom Koordinatenursprung aus zum Bildpunkt P (z) gerichtet ist.
Abbildung 3.1.1: Darstellung der komplexen Zahl in der komplexen Ebene Zeigerdarstellung
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
119
Es sollte notiert werden, dass die geometrische Darstellung der komplexen Zahl, welche wir als Zeigerdarstellung bezeichnen wollen, nicht mit einem
Vektor in Verbindung gebracht werden kann, da Vektoren und Zeiger teilweise
unterschiedlichen Rechengesetzen unterliegen. So unterscheiden sich Zeiger
und Vektor in der Multiplikation (z.B. äußeres und inneres Produkt). Wie wir
in den nachfolgenden Kapiteln erfahren werden ist ein Vektor eine gerichtete
Größe, wobei ein Zeiger lediglich zur Darstellung einer komplexen Zahl dient.
Es ist demnach auch unschwer zu erkennen, dass die Bildpunkte der reellen
Zahlen auf der horizontalen oder reellen Achse liegen, wobei die imaginären
Zahlen auf der vertikalen oder imaginären Achse liegen. Der obigen Abbildung ist auch
p zu entnehmen, dass man unter dem Betrag einer komplexen
Zahl |z| = x2 + y 2 ≥ 0 die Länge des zugehörigen Zeiger versteht und eine
Abstandsgröße definiert, was direkt aus der Anwendung des Pythagoräischen
Satzes folgt.
3.1.2
Trigonometrische Darstellung
Im Zuge des obigen Abschnittes wurde für die Darstellung einer komplexen
in der dazugehörigen Gauß’schen Ebene kartesische Koordinaten verwendet.
Genauso könnte man auch Polarkoordinaten r und ϕ wählen, wobei 0 ≤ r < ∞
den Abstand des Punktes zum Ursprung und 0 ≤ ϕ < 2π den Winkel oder
Phase von z darstellt.
Abbildung 3.1.2: Trigonometrische Form einer komplexen Zahl
Wie in Abbildung 3.1.2 zu sehen ist, kann man bei der Bestimmung des
Winkels von der positiven x-Achse weg beliebig oft im oder gegen den Uhrzeigersinn um den Ursprung kreisen, bevor man den Winkel festlegt. Man trifft
daher die Konvention, den Winkelwert im Bereich 0 ≤ ϕ < 2π anzugeben und
als Hauptwert oder Hauptwinkel zu bezeichnen.
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
120
Durch die Einführung der entsprechenden Polarkoordinaten
x = r · cos(ϕ)
y = r · sin(ϕ)
lässt sich die komplexe Zahl z aus der kartesischen Form, z = x + iy, in die
sogenannte Polar- oder trigonometrische Form
⇒ z = r (cos(ϕ) + i sin(ϕ))
p
überführen, wobei r = |z| =
x2 + y 2 und ϕ = arctan xy , wobei x 6= 0.
Daraus ist ebenfalls ersichtlich, dass die zu z = r (cos(ϕ) + i sin(ϕ)) komplex
konjugierte z̄ die Gestalt z̄ = r (cos(ϕ) − i sin(ϕ)) annimmt. Der Winkel ϕ wird
auch als Argument der komplexen
Zahl z bezeichnet, wodurch sich die übliche
y
Schreibweise ϕ = arctan x = arg (z) ergibt. Um mögliche Mißverständnisse
vorzubeugen betrachten wir folgendes Beispiel.
Bsp.: Gesucht sei die trigonometrische Form der komplexen Zahl
z = −1 − i
Um eine polare Darstellung dieser komplexen Zahl zu berechnen müssen
wir den Radius bzw. den Betrag von z, welcher auch oft als Modul von z
bezeichnet wird und das Argument von z bestimmen. Das Modul kann direkt durchpentsprechendes Einsetzen
der Werte x = −1 und y = −1 zu
√
r = |z| = (−1)2 + (−1)2 = 2 bestimmt werden. Die Berechnung des Arguments liefert zunächst nach sturem Einsetzen der entsprechenden Werte:
y
⇒ tan (ϕ) = = 1 → ϕ = arctan (1)
x
Hier aber sollte man Achtung walten lassen, da tan (ϕ) = 1 beliebig viele Lösungen
π
ϕ = + nπ
4
besitzt, wobei n = 0, ±1, ±2, ±3, .... Demnach ist die genaue Lage des Zeigers bzw. der komplexen Zahl in der Gauß’schen Ebene erforderlich, um das
Argument bzw. den Hauptwert ϕ, welcher zur komplexen Zahl z = −1 − i in
Verbindung steht, in korrekter Weise zu bestimmen. Aus Abbildung 3.1.2 ist zu
erkennen, dass die komplexe Zahl z = −1 − i im dritten Quadranten liegt. Da
wir nun in den vorherigen Ausführungen die Konvention getroffen haben, den
Winkelbereich im Bereich 0 ≤ ϕ < 2π anzugeben, wobei von der positiven xAchse aus im Gegenuhrzeigersinn gerechnet wird, ergibt sich schlussendlich
das Argument zu ϕ = 5π
4 und es gilt


⇒ z = −1 − i =
√ 
5π
5π 


2 cos( ) +i sin( ) = −1 − i
| {z4 } | {z4 }
√
−1/ 2
|
{z
√
−1/ 2
trigonometrische Darstellung
}
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
3.1.3
121
Exponentialform
Wie der Name schon verrät, kann eine komplexe Zahl z auch mit Hilfe der Exponentialfunktion, die als Basis die Eulersche Zahl e besitzt, dargestellt werden. Die Zahl e kann unter anderem durch Grenzwertbildung definiert werden.
Eine bekannte Form der Darstellung lautet:
1 n
e = lim 1 +
n→∞
n
Wir werden in den nachfolgenden Ausführungen die Darstellung einer komplexen Zahl z in Polarform überführen in eine Darstellung, die als Exponentialform
bekannt ist, welche sich später besonders vorteilhaft bei der Ausführung der
Rechenoperationen Multiplikation und Division von komplexen Zahlen erweisen wird. Dazu bilden wir die MacLaurin’sche Reihe, welche im Kapitel über
gewöhnliche Differentialgleichungen mehrmals Verwendung fand und daher
nicht mehr explizit berechnet wird, von exp(x), wobei x formal durch iϕ ersetzt
wird, und verwenden die bekannte Beziehung i2 = −1.
2
3
4
5
(iϕ)
(iϕ)
(iϕ)
(iϕ)
exp(iϕ) =
1 + (iϕ)
1! + 2! + 3! + 4! + 5! + ...
2
3
4
5
ϕ
ϕ
= 1 + iϕ − ϕ2! −i ϕ3! +
4! + i3 5! − ...
2
4
ϕ
ϕ
ϕ
ϕ5
=
1−
+
− +... +i ϕ −
+
− +...
2!
4!
3!
5!
|
{z
} |
{z
}
cos(ϕ)
=
sin(ϕ)
cos(ϕ) + i sin(ϕ)
Die in den Klammern stehenden Potenzreihen sind nämlich die MacLaurin’schen
Reihen von cos(ϕ) und sin(ϕ). Der Beweis kann hiermit algebraisch vollzogen werden. Geometrisch betrachtet ist demnach exp(iϕ) ein Punkt des Einheitskreises und cos(ϕ) bzw. sin(ϕ) sind die Projektionen dieses Punktes auf
die reelle bzw. imaginäre Achse. Das Argument ϕ kann man als orientierte
Länge des Bogens exp(it) mit 0 ≤ t ≤ ϕ (bzw. 0 ≥ t ≥ ϕ, falls ϕ negativ ist) deuten. Damit kann die Polardarstellung einer komplexen Zahl, z =
r (cos(ϕ) + i sin(ϕ)), mit Hilfe der Euler’schen Formel, exp(iϕ) = cos(ϕ) +
i sin(ϕ), in eine Exponentialform gebracht werden, die sich folgendermaßen
repräsentiert:
⇒ z = r · exp(iϕ)
Daraus können unmittelbar mittels Linearkombination von exp(iϕ) = cos(ϕ) +
i sin(ϕ) und exp(−iϕ) = cos(ϕ) − i sin(ϕ) Ausdrücke für die Winkelfunktionen
gefunden werden:
exp(iϕ) + exp(−iϕ)
2
exp(iϕ) − exp(−iϕ)
⇒ exp(iϕ) − exp(−iϕ) = 2i sin(ϕ) ⇒ sin(ϕ) =
2i
Dabei muss der Funktionswert nicht unbedingt komplex sein, selbst wenn das
Argument komplex ist. Die Verallgemeinerung auf komplexe Argumente ergibt:
⇒ exp(iϕ) + exp(−iϕ) = 2 cos(ϕ) ⇒ cos(ϕ) =
cos(z) =
exp(iz) + exp(−iz)
2
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
122
exp(iz) − exp(−iz)
2i
wobei die dazugehörigen trigonometrischen Funktionen durch
sin(z) =
⇒ tan(z) =
⇒ sec(z) =
sin(z)
cos(z)
1
cos(z)
; cot(z) =
; csc(z) =
(3.1.1)
cos(z)
sin(z)
1
sin(z)
definiert werden. Die letzten beiden Funktionen werden Sekans und Kosekans
genannt. Für rein imaginäre Argumente, d.h. ϕ → iy, können die Winkelfunktionen mit den Definitionen der hyperbolischen Winkelfunktionen in Beziehung
gebracht werden.
⇒ cos(iy) =
exp(y) + exp(−y)
= cosh(y)
2
exp(y) − exp(−y)
= i sinh(y)
2
Auch die Hyperbelfunktionen können auf komplexe Argumente verallgemeinert
werden und stellen sich dar als
⇒ sin(iy) = i
cosh(z) =
exp(z) + exp(−z)
2
sinh(z) =
exp(z) − exp(−z)
2
sinh(z)
⇒ tanh(z) = cosh(z)
1
⇒ sech(z) = cosh(z)
; coth(z) =
; csch(z) =
cosh(z)
sinh(z)
1
sinh(z)
An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass im Reellen die Zusammenhänge zwischen elementaren Funktionen, wie Exponentialfunktionen, trigonometrischen Funktionen und Hyperbelfunktionen fehlen. Im Komplexen wird somit
alles wunderbar einfach, auch wenn man auf die Beschränktheit der trigonometrischen Funktionen verzichten muss. Im Gegensatz zur reellen e-Funktion
ist die in der Euler’schen Formel auftretende komplexe Exponentialfunktion periodisch mit der Periode 2πi. Dies kann unter Verwendung der wohl bekannten
Additionstheoreme
sin (x1 + x2 ) = sin (x1 ) cos (x2 ) + cos (x1 ) sin (x2 )
cos (x1 + x2 ) = cos (x1 ) cos (x2 ) − sin (x1 ) sin (x2 )
einfach gezeigt werden.
exp(iϕ + i2nπ) =
=
exp [i (ϕ + 2nπ)]
cos (ϕ + 2nπ) +i sin (ϕ + 2nπ)

= cos (ϕ) cos (2nπ) − sin (ϕ) sin (2nπ) +i sin (ϕ) cos (2nπ) + cos (ϕ) sin (2nπ)
| {z }
| {z }
| {z }
| {z }
=
=
=1
=0
cos (ϕ) + i sin (ϕ)
exp(iϕ)
=1
=0
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
123
für n ∈ Z. Abschließend sollte noch angemerkt werden, dass die zu z =
r · exp(iϕ) komplex konjugierte Zahl z̄ mit z̄ = r · exp(−iϕ) angegeben wird.
Bsp.: Gesucht sei die Exponentialform der komplexen Zahl
z =1+i
Zu Beginn führen wir nun √
die vorliegende
√ kartesische Form in die Polarform
2
2
über, wobei sich r = |z| = 1 + 1 = 2 ergibt. Da nun z im ersten Quadranten liegt, kann das Argument ϕ auf triviale Weise bestimmt werden und ergibt
sich zu
π
1
=
⇒ ϕ = arctan
1
4
Nun steht einer Darstellung in Exponentialform nichts mehr im Wege. Nach
Anwendung der Euler’schen Formel kann diese in der Form


z =1+i=
π π  √
√ 
π


2 cos
+ i sin
 = 2 exp(i )
4 {z
4 }
4
|
(3.1.2)
exp(i π4 )
gebracht werden.
3.2
Komplexe Rechnung
Durch geeignete Kombinationen von z und z̄ kann der Realteil-, Imaginärteil
und der Betrag von z dargestellt werden. Zunächst betrachten wir das Produkt
⇒ z z̄ = (x + iy) · (x − iy) = x2 + y 2 = r2
√
Daraus folgt unmittelbar, dass r = |z| = z z̄. Der Realteil von z kann durch
die Kombination
⇒ z + z̄ = x + iy + x − iy = 2x = 2Re(z)
z + z̄
2
dargestellt werden. Der Imaginärteil ergibt sich direkt aus der Differenz zwischen z und der dazu komplex konjugierten Zahl z̄ zu
⇒ Re(z) =
⇒ z − z̄ = x + iy − x + iy = 2iy = 2iIm(z)
z − z̄
2i
Da zu Beginn dieses Kapitels erwähnt wurde, dass der reelle Zahlenkörper
zum Auffinden aller Lösungen einer quadratischen Gleichung erweitert werden musste, stellen die reellen Zahlen einen Spezialfall der komplexen Zahlen
dar und folglich ist R ⊂ C. Die Rechenregeln müssen demnach so definiert
⇒ Im(z) =
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
124
werden, dass die Rechenregeln für komplexe Zahlen im Reellen mit den bereits bestehenden Rechenregeln für reelle Zahlen übereinstimmen. Da sich
aber kein Anordnungsaxiom für komplexe Zahlen definieren lässt, haben Ungleichungen, wie z.B. z1 < z2 für komplexe Zahlen z1 und z2 keinen Sinn.
Im Folgenden werden die vier Grundrechnungsarten für komplexe Zahlen vorausgesetzt und dabei auf deren geometrische Deutung gänzlich verzichtet, da
dies zum Grundbestandteil der Schulmathematik zählt und wohl den Großteil
der Leser langweilen würde. Wir wollen uns daher in diesem Abschnitt lediglich
mit dem Potenzieren, Radizieren komplexer Zahlen und den Umkehrfunktionen auseinandersetzen, um nachfolgend für die Funktionentheorie gewappnet
zu sein.
3.2.1
Potenzieren
Betrachten wir dazu zwei komplexe Zahlen z1 = r1 · exp(iϕ1 ) und z2 = r2 ·
exp(iϕ2 ) in Exponentialdarstellung. Das Produkt dieser beiden komplexen Zahlen lässt sich angeben als
z1 z2 = r1 r2 exp [i (ϕ1 + ϕ2 )] = r1 r2 [cos (ϕ1 + ϕ2 ) + i sin (ϕ1 + ϕ2 )]
Die Verallgemeinerung dessen führt auf
z1 z2 · · · zn =
r1 r2 · · · rn exp [i (ϕ1 + ϕ2 + ... + ϕn )]
= r1 r2 · · · rn [cos (ϕ1 + ϕ2 + ... + ϕn ) + i sin (ϕ1 + ϕ2 + ... + ϕn )]
wobei n ∈ N. Falls nun z1 = z2 = ... = zn , so kann obiger Ausdruck folgendermaßen dargestellt werden
z n = [r · exp(iϕ)]n = rn exp(inϕ) = rn [cos (nϕ) + i sin (nϕ)]
(3.2.1)
woraus durch Vergleich mit z n = rn [cos (ϕ) + i sin (ϕ)]n die Formel von Moivre folgt
[cos (ϕ) + i sin (ϕ)]n = cos (nϕ) + i sin (nϕ)
Demnach kann jede komplexe Zahl z nach der Formal von Moivre mit Gleichung 3.2.1 potenziert werden.
Bsp.: Finden Sie die 8. Potenz von z = 1 + i.
Zu Beginn müssen wir z in Polar- oder Exponentialform bringen. Da wir dies
glücklicherweise schon durchgeführt haben und sich z = 1 + i mit
π π i √
√ h
π
z = 1 + i = 2 cos
+ i sin
= 2 exp(i )
4
4
4
√
darstellen lässt, wobei r = 2 und ϕ = π4 . Nach dem Satz von Moivre kann
nun die 8. Potenz von z = 1 + i folgendermaßen angegeben werden:


√ 8
π
z 8 = (1 + i)8 =
2 exp(i8 ) = 16 exp(i2π) = 16 cos (2π) +i sin (2π) = 16
| {z } | {z }
4
=1
=0
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
3.2.2
125
Radizieren
Mit Hilfe der Formel von Moivre ist nun die Evaluierung der n-ten Wurzel einer komplexen Zahl ziemlich einfach zu berechnen. Die Zahlen w, welche die
Gleichung z = wn oder z 1/n = w lösen, nennt man die n-ten Wurzeln von z.
Falls nun z = r (cos(ϕ) + i sin(ϕ)) = r exp(iϕ), dann ist die komplexe Zahl
√
√ ϕ
ϕ
ϕ w0 = n r exp(i ) = n r cos( ) + i sin( )
n
n
n
auf jeden Fall die n-te Wurzel von z, da w0n = z ist. Hierbei wurde aber auf die
Mehrwertigkeit des Arguments, d.h.
⇒ exp(iϕ + i2kπ) = exp(iϕ)
für k ∈ Z keine Rücksicht genommen, welche zu verschiedenen Wurzeln führt,
und in der obigen Ableitung erst berücksichtigt werden muss. Wenn man alle
Werte von n betrachtet und beachtet, dass die Winkelfunktionen selbst wieder
periodisch in ihrem Argument sind, so findet man n verschiedene Wurzeln.
Daher ergibt sich das allgemeine Bildungsgesetz für die Berechnung der nten Wurzel zu
wk = r1 exp(iϕ1 ) = r1 (cos(ϕ1 ) + i sin(ϕ1 ))
(3.2.2)
√
für k = 0, 1, 2, ..., (n − 1), wobei ϕ1 = ϕ+2kπ
und r1 = n r. Jeder dieser n
n
Zahlen wk genügt somit
wkn = r1n exp(iϕ1 ) = r1 (cos(ϕ1 ) + i sin(ϕ1 ))
Andere Zahlen w ∈ C mit z = wn kann es nicht geben. Wie wir am anschließenden Beispiel sehen werden, liegen die n Wurzeln einer komplexen Zahl
immer auf den Eckpunkten eines in einem Kreis mit Radius r1 eingeschriebenen regelmäßigen Polygons mit n Seiten.
Bsp.: Betrachten wir dazu das Beispiel
√
3
z mit z = 8.
Zunächst bringen wir z = 8 in Polarform. Da nun x = 8 und y = 0 ergibt
sich r = 8 und ϕ = 0. Nach Gleichung 3.2.2 erhalten wir für die gesuchten
Wurzeln


√
√

0 + 2kπ
0 + 2kπ
2kπ
2kπ 
3
3
8 = 8 cos(
) + i sin(
)
) + i sin(
) = |{z}
2 
cos(


3
3
3
3
|{z}
|{z}
=r1
=ϕ1
=ϕ1
für n ∈ Z. Gehen
wir nun schrittweise vor und suchen die entsprechenden
√
Wurzeln zu 3 8. Vorerst fertigen wir uns eine kleine Tabelle an, um die Argumente ϕ1 mit den korrespondierenden Wurzeln wk zu bestimmen.
k
k
k
k
=0
=1
=2
=3
→
→
→
→
ϕ1
ϕ1
ϕ1
ϕ1
= 0o
= 120o
= 240o
= 360o
→
→
→
→
w1
w2
w3
w4
=
2 (cos(0o ) + i sin(0o ))
= 2 (cos(120o ) + i sin(120o ))
= 2 (cos(240o ) + i sin(240o ))
= 2 (cos(360o ) + i sin(360o ))
=
2 √
= −1 + i√3
= −1 − i 3
=
2
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
126
Wie unschwer in Abbildung 3.2.1 zu erkennen ist, entspricht der Fall k = 3 einer kompletten Umdrehung des komplexen Zeigers in der Gauß’schen Ebene
und entspricht demnach dem Fall k = 0.
Abbildung 3.2.1: Die Lage der Wurzeln von
r1 = 2 für k = 0 bis k = 2
√
3
8 am Einheitskreis mit Radius
Wie oben gezeigt wurde, hängt k mit der Anzahl der Wurzeln zusammen
und daher hätte der Fall k = 3 bei der Suche nach der dritten Wurzel von 8
nicht explizit angegeben werden müssen. Dies sollte lediglich zum besseren
Verständnis dienen. Die Berücksichtigung weiterer Vielfache von 2π führt demnach zu keinen weiteren Lösungen. Die Lösungsmenge besteht somit aus zwei
verschiedenen komplexen Lösungen, w2 und w3 , und einer reellen Lösung w1 .
3.2.3
Natürlicher Logarithmus
Wie wir gesehen haben, stellen die Wurzeln Umkehrfunktionen der Potenzen
dar und sind mehrdeutig. Die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion ist der
natürliche Logarithmus und kann bei der Verallgemeinerung auf komplexe Argumente vieldeutig werden. Wie wir wissen ist jede von Null verschiedene
komplexe Zahl z in der Exponentialform
z = r exp(iϕ + i2kπ)
für k ∈ Z darstellbar. Unter ihrem natürlichen Logarithmus verstehen wir die
unendlich vielen komplexen Zahlen, wenn wir die obige Gleichung logarithmieren:
⇒ ln(z) = ln (r exp(iϕ + i2kπ)) = ln(r) + ln(exp(i (ϕ + 2kπ)))
(3.2.3)
KAPITEL 3. KOMPLEXE ZAHLEN
127
Im Bereich der reellen Zahlen wird der natürliche Logarithmus einer positiven
Zahl a als derjenige Exponent erklärt, mit dem die Basiszahl e potenziert werden muss, um die Zahl a zu erhalten, d.h.
a = exp(x) ⇔ x = ln(a)
Wenn wir nun diesen Begriff sinngemäß auf den komplexen Bereich übertragen, so kann Gleichung 3.2.3 in die Form
⇒ ln(z) = ln(r) + i(ϕ + 2kπ) = ln(r) + iϕ +i2kπ
| {z }
Hauptwert
gebracht werden, wobei man für k = 0 den Hauptwert erhält. Der Realteil des
Hauptwertes ist der natürliche Logarithmus des Betrages von r, sein Imaginärteil das Argument ϕ. Alle übrigen Werte, auch Nebenwerte genannt, ergeben
sich aus der Addition ganzzahliger Vielfache von 2ki zum Hauptwert. Hierbei
ist anzumerken, dass ln(z) für jede komplexe Zahl z 6= 0 und daher auch für
negative reelle Zahlen erklärt werden kann.
Bsp.: Natürlicher Logarithmus einer negativen reellen Zahl. Gesucht sei ln(z)
mit z = −1.
Zu Beginn bringen wir die kartesische Form in die Exponentialform. Dazu
benötigen wir die Kenntnis von r und ϕ. Da die komplexe Zahl auf der negativen reellen Achse liegt ist unmittelbar das Argument zu ϕ = π zu entnehmen. Der
p Radius bzw. der Betrag der komplexen Zahl z ergibt sich zu
r = |z| = (−1)2 = 1. Somit wurden alle Bestandteile für die Darstellung
von z in Exponentialform gefunden.
⇒ z = 1 · exp(iπ + i2kπ)
In analoger Weise zur vorherigen Berechnung ziehen wir nun den Logarithmus.
⇒ ln(z) = ln(1) +iπ + i2kπ = ±iπ, ±i3π, ±i5π, ...
| {z }
=0
Der Hauptwert von ln(z) ergibt sich nun zu iπ.
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