3 Biopolitik - Autoritäre Regime

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BIOPOLITIK
Kurze Phase der Prosperität und
Weltwirtschaftskrise
• kein ‘lender of last resort’ wie vor 1914 (= Bank of
England) oder nach 1945 (IWF, Weltbank, USA)
• Kurzfristige Anleihen in den USA
• Zu hohe Investitionen im Agrarbereich
(insbesondere Osteuropa, USA) in Verbindung mit
fallenden Erzeugerpreisen
• Börsenkrach Oktober 1929 (classic bubble)
• Mangelnde Kredite reduzieren Investitionen und
Verbrauch
• Niedrige Nachfrage trifft Agrarproduzenten und
Rohstofflieferanten. Folge: Preise kollabieren und
Nachfrage nach Fertigwaren bricht zusammen
• Einstellung von Zahlungsverpflichtungen
Das “Hausbuch für die deutsche Familie” (1934)
• Zehn Gebote zur Partnerwahl
1. Denke daran, dass du ein Deutscher bist
2. Wenn du von reinem Blut bist, bleibe nicht unverheiratet
3. Halte deinen Körper gesund
4. Halte Geist und Seele rein
5. Wähle eine Frau von deutschem oder nordischem Blut
6. Bevor du dich bindest, forsche nach den Ahnen deiner
Partnerin
7. Gesundheit ist die Voraussetzung für Schönheit
8. Heirate nur aus Liebe
9. Suche nicht eine Gespielin, sondern einen Ehepartner
10. Hoffe auf soviel Kinder wie möglich
Der Staat und das Privatleben
• Staat versucht, Bevölkerungsverluste
auszugleichen
• Menschen werden aufgefordert, mehr Kinder zu
bekommen
• Abtreibung und Verhütungsmittel werden
eingeschränkt, verboten und kriminalisiert
• Verbesserungen urbaner Lebenswelten
• Gewährleistung von Qualität und Quantität der
Menschen wird Aufgabe des social engineering
Wahrgenommene Probleme
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Jugendkriminalität
Promiskuität und Homosexualität
Die “social problem”-group
Die “zerstörten Männer”
Millionen selbständiger Frauen
Wie kann Mann Frauen zu
Müttern machen?
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Männer-dominierte Gewerkschaften und
der Staat diskriminieren Frauen
Verbot des Verkaufs von
Verhütungsmitteln (Deutschland 1920;
Frankreich 1920; Belgien 1923; Italien
1926)
Großbritannien: Schwangerschaftsabbruch
kann mit lebenslanger Haft bestraft werden
(1929)
Schule: Kurse für “Säuglingslehre”,
“Hauswirtschaft”, “infant management” und
“home economics”
Begrenzte staatliche finanzielle Anreize
Gesundheit der Familie und urbane Lebensbedingungen
• Planung europäischer Städte
• Parks und Grünanlagen
• Bau öffentlicher Schwimmbänder und
Spielplätze
Vision: Le Corbusier
Downtown Paris 1925
Realitäten
• Legende: öffentliches Schwimmbad, England (1934); Das
Bauhaus (1928); Kölner Grüngürtel (1923); Die ‘Frankfurter
Küche” (1930)
Social engineering in Aktion:
Die Niederlande (1927)
• “Ausgewählte Familien werden für eine bestimmte Zeit
in Wohnkomplexen einquartiert, um sie zu rehabilitieren
und aus ihnen saubere, ordentliche, verläßliche und
friedliche Familien zu machen. Der Erziehung dieser
Familien im ordnungsgemäßen Gebrauch ihrer
Wohnungen wird sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet,
ebenso wie der Bewußtmachung ihres Fehlverhaltens.
Wenn eine Familie bewiesen hat, dass sie eine normale
Familie geworden ist, dann wird ihr eine ordentliche
kommunale Wohnung zur Verfügung gestellt. Wenn die
Familie aber bewiesen hat, dass sie unheilbar ist, dann
wird sie rausgeworfen.”
Eugenische Bewegung
• Gründer der Wissenschaft der Eugenik:
Francis Galton (Hereditary Genius,
London 1883, p.24): „the science of
improving stock, which takes cognisance
of all influences that tend in however
remote degree to give the more suitable
races or strans of blood a better chance
of prevainling speedily over the less
suitable“.
• Eugeniker finden sich rechts und links im
politischen Spektrum, insbesondere
unter Sozialwissenschaftlern,
Sozialarbeitern und Beamten
Eugenische Maßnahmen
• “negative” Eugenik: Unterdrückung der
Reproduktionsfähigkeit der “social problem
group”. Lösung: Institutionalisierung,
Sterilisierung
• “positive” Eugenik: Steueranreize
insbesondere für Mittelschicht- und
Akademikerfamilien. Ziel: mehr “wertvolle”
Kinder
Der Fall Archie Leach (Cary Grant) und seine Mutter
Eugenik und Weltwirtschaftskrise
• Wirtschaftskrise macht
Sterilisierung noch attraktiver –
eugenisch motivierte Gesetze in
Schweden (1935), Norwegen,
Schweiz, Finnland, Estland,
USA (1908), Deutschland
(1933)
• In Deutschland werden bis 1937
über 100.000 Menschen
zwangssterilisiert
• Nach 1939: Übergang von der
Eugenik in die Euthanasie
Eugenik im Klassenzimmer
• “Der Bau eines Irrenhauses kostet 6
Millionen Reichsmark. Wieviele Häuser zu
je 15.000 RM könnten für diese Summe
gebaut werden?”
Diskreditierung der Eugenik als Wissenschaft:
Genetik und Anthropologie
• “Our German neighbours have ascribed to themselves a teutonic
type that is fair, long-headed, tall and virile. Let us make a
composite picture of the typical Teuton from the most prominent
exponents of this view. Let him be as blond as Hitler, as
dolichlcephalic [long head] as Rosenberg, as tall as Goebbels, as
slender as Goering and as manly as Streicher. How much would
this resemble the German ideal?”
(Julian Huxley, biologist and eugenicist)
Zusammenfassung
• Suche nach Ordnung durch Staaten und
Individuen auf der privaten, öffentlichen
und internationalen Ebene
• Suche nach Sicherheit und Ordnung wird
reflektiert in der Diplomatie und in der
Biopolitik der Zeit
Ideologien und Systeme (1917-1939)
Überblick
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•
•
Krise der Demokratie
Erfolgreiche Demokratien
Marxismus und Leninismus
Russische Revolution
Faschismus in Europa
Die Krise der Demokratie
• Instabile Regierungen, zahlreiche Parteien
und divergierende Interessen
• Entscheidende politische Diskurse finden
innerhalb des rechten Spektrums statt
• Traditionelle politische Kultur: Liberalismus
Grossbritannien
• Wahlsystem: Mehrheitswahlrecht
• Vom Drei-Parteien-System (Liberals,
Conservatives, Labour) zum Zwei-ParteienSystem (Conservatives und Labour)
• Keine einschneidende Wirtschaftskrise Anfang
der 1920er – seit Kriegsende hohe
Arbeitslosigkeit und schleppende wirtschaftliche
Entwicklung
Grossbritannien und die
Wirtschaftskrise nach 1929
• Besseres Krisenmanagement
(insbesondere durch unabhängige Bank of
England)
• Empire
• Politische Kultur
Frankreich
• Fragmentiertes politisches Spektrum
• Späte Einsetzen der Depression stellt sich
als Segen heraus: abschreckendes
Beispiel Deutschland
• Politische Kultur: Koalitionsfähigkeit der
großen Parteien
• Dennoch: Vertrauensverlust in Demokratie
Niederlande
• Korporatismus (enge Kooperation
zwischen Staat, Wirtschaft und
Gewerkschaften)
• Milieus – segmentierte Zivilgesellschaft –
verhindert Aufstieg radikaler Gruppen
Skandinavien
• Niedergang des Liberalismus und Aufstieg
der Sozialdemokratie
• Bündnis von Sozialdemokraten und
Bauern
• Staatliche Wirtschaftspolitik und Aufbau
des Sozialstaats neutralisiert
Unzufriedenheit während der
Wirtschaftskrise
Ost- und Südeuropa:
Charakteristika
• Fragmentiertes politisches Spektrum und nichtdemokratische politische Traditionen
• Starkes Bevölkerungswachstum und
Abhängigkeit von Agrarwirtschaft begünstigt
autoritäre Herrschaft
• Nation building in Osteuropa wird begleitet durch
ethnische und klassenspezifische
Auseinandersetzungen
Autoritäre Regime
• Ungarn (1919-45)
• Polen (1926-39)
• Jugoslawien (192944)
• Griechenland (193645)
• Rumänien
(1930/1938-44)
• Bulgarien (1934-44)
• Spanien (1923-30;
Bürgerkrieg 1936-39,
1939-75)
• Portugal (1926-74)
Gemeinsamkeiten autoritärer Regime
• Traditionalistisch-konservative Regimes
• Monarchisch oder pseudo-monarchisch
• Enge Verbindung von Kirche und Staat und
große Bedeutung von Religion in der
Gesellschaft
• Einige weisen faschistische Elemente auf, aber:
soziopolitische Vision zielt auf Realisierung einer
vormodernen Vergangenheit
Marxismus
• Identifizierung historischer Gesetzmäßigkeiten:
historische Prozesse verlaufen als dialektische Konflikte
zwischen antagonistischen Klassen, die über je
unterschiedliche Kontrolle über Produktionsmittel
verfügen.
• √: www.marxists.org
Marxistische Dialektik
• Feudalismus produziert Bourgeoisie
• Bourgeoisie ist verärgert über Mangel an Privilegien und
zettelt Revolution an
• Bürgerlicher Staat schützt Klasseninteressen der Kapitalisten
und fördert die Entstehung einer großen Klasse unterdrückter
Arbeiter
• Dynamik des Kapitalismus führt zu immer schlechteren
Arbeitsbedingungen, zu Massenarmut und zur Entstehung
einer sozialistischen Bewegung
• Sozialistische Bewegung macht Revolution und beseitigt
Kapitalismus
• Die Arbeiter übernehmen die Kontrolle über die
Produktionsmittel und schaffen eine klassenlose Gesellschaft
(Kommunismus), in der der Staat nicht länger
Klasseninteressen durchsetzen muss.
• „Volksregierung“ wird ersetzt durch eine „Verwaltung der
Dinge“
Leninismus: Gebrauchsanweisung für Revolutionäre
• Theoretischer Beitrag: die revolutionäre Partei
ist „Speerspitze“ der Arbeiterklasse und ihrer
Bewegung
• Einmal identifizierte Phänomene sind objektive
Wahrheit (= Gemeinschaft der Gläubigen)
• Demokratischer Zentralismus
• Problem: keine allgemeine Krise des
Kapitalismus
• Lösung: Konflikte zwischen imperialen
Mächten produzieren Kriege (bspw. Erster
Weltkrieg). Kriege produzieren Revolutionen.
Der Zusammenbruch des Imperialismus führt
zum Zusammenbruch des Kapitalismus
Die Russische Revolution 1917
Demonstration in Petrograd Februar 1917
• Intention: Beginn der
Weltrevolution
• Sehr günstige Bedingungen in
Russland – 1917 ist das Land
reif für eine Revolution
• März 1917: Nikolaus II dankt ab
– Proklamation der Republik
Bedingungen in Russland 1917
• Traditionelles Agrarimperium
• Keine bedeutende Mittelschaft (Größe oder
Einfluss)
• Allgemeines Bedürfnis nach Frieden
• Lenins Bolschewisten: Wir bringen Frieden, Brot
und Land
• Kollaps des liberalen Regimes und weitgehend
unblutige Machtübernahme der Bolschewisten
im November 1917
Sieg der Kommunistischen Revolution
• Friedensvertrag von BrestLitowsk (März 1918):
Abtrennung von Finnland,
baltische Staaten, Ukraine,
Transkaukasien. Dafür: Frieden
und Atempause vor Beginn der
Weltrevolution
• Überlegene Parteiorganisation
(1920: mehr als 600.000
Mitglieder)
• Loyalität der Bauern
• Uneinigkeit und Inkompetenz
der monarchistischen „Weißen“
– sie machen sich die Bauern
zu Feinden
Globale Bedeutung
• 30-40 Jahre später: ein Drittel der
Weltbevölkerung wird beherrscht von
kommunistischen Regimes
• Woodrow Wilsons 14 Punkte: Blaupause einer
liberal-marktwirtschaftlichen Weltordnung
• Aufstände unter dem Banner des Kommunismus
in verschiedenen Armeen (Deutschland,
Österreich-Ungarn)
• Proklamation kurzlebiger kommunistischer
Republiken (Bayern, Ungarn)
Lenins strategischer Fehler
• Lenin versteht kommunistische Parteien
als globale task forces der Revolution
• Kommunistische Parteien entwickeln sich
nicht zu Massenbewegungen (Ausnahme:
China)
Josef Stalin (1879-1953)
• Reißt nach Lenins Tod 1924
allmählich Führung von Partei und
Staat an sich
• Hinwendung zur Planwirtschaft
• 1929: erster Fünf-Jahres-Plan Folgen:
– a) forcierter Aufbau einer
Rüstungsindustrie;
– b) Industrialisierung jenseits des
Ural;
– c) Landwirtschaft: Verstaatlichung
Ergebnisse von Stalins kommunistischer
„Modernisierung von oben“
• Verteidigungshaushalt steigt von 3.6% über 19% (1933)
auf 25% (1939) des BSP
• Verstaatlichung (euphemistisch: Kollektivierung) wird auf
brutale Weise durchgesetzt. Millionen Bauern mit mehr
Land sterben. Ab 1932 Hungersnot, die erst Ende der
dreißiger Jahre überwunden wird. Seit den 1960er
Jahren wiederum eklatante Nahrungsmittelengpässe.
• Allgemeine Militarisierung der Gesellschaft.
• “Säuberungen” innerhalb der Partei
• Gulag in Sibirien: bis 1941 zwei Millionen politische
Gefangene, 900.000 getötete Oppositionelle.
Megamörder des 20. Jahrhunderts
(in Millionen Ermordete) √: http://www.hawaii.edu/powerkills/MEGA.HTM
Regime
Zeit
Gesamt
UdSSR
1917-87
61.911
China (PRC)
1949-87
35.263
Deutschland
1933-45
20.946
China (KMT)
1928-45
10.075
Japan
1936-45
5.964
China (Mao)
1923-49
3.466
Kambodscha
1975-79
2.035
Türkei
1909-18
1.883
Vietnam
1945-87
1.670
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