PowerPoint-Präsentation - sozial-politik

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Sozialstruktur u. Soziale Ungleichheit I:
Auflösung von Klassen- u. Schichtstrukturen
und Individualisierung u. Pluralisierung sozialer Milieus?
Prof. Dr. Günter Roth
1
Übersicht
 Was ist soziale Ungleichheit?
 Theoretische Konzepte sozialer Ungleichheit
 Struktur sozialer Felder (Modifikation der Klassentheorie) (s. Sitzung
zur Theorie v. Bourdieu)
 These der Auflösung von Klassen, Individualisierung u.
Pluralisierung (Beck)
 Konzept sozialer Milieus (Vester u. SINUS)
 Anwendung für das Sozialmanagement (z.B. Sozialraumanalyse)
Prof. Dr. Günter Roth
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Was bedeutet ‚Soziale Ungleichheit‘? I
 Soziale Ungleichheit wird von sozialen Unterschieden
(Andersartigkeit bei relativer sozialer Gleichstellung)
unterschieden, nicht alle sozialen Unterschiede sind relevant im
Sinne von ‚Ungleichheit‘
 Soziale Ungleichheit begründen solche Unterschiede, die eine
gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen und sich positiv oder negativ
auf die objektiven und subjektiv wahrgenommenen und
wahrnehmbaren Handlungs- oder Lebensmöglichkeiten der
Betroffenen auswirken
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Was bedeutet soziale Ungleichheit? II
 1) Ungleichheit wertvoller
 2) nicht absolut gleicher (widersprechend einer allgemeinen
Gleichheitsnorm)
 3) systematisch verteilter (überpersönliche Reproduktion,
Verteilungsmechanismus, nicht individuell oder zufällig)
 4) vorteilhafter und nachteiliger Lebensbedingungen von
Menschen(z.B. materielle Güter, Titel, Bildung, Arbeit), die ihnen
aufgrund ihrer Position in gesellschaftlichen Beziehungsgefügen
zukommen (vgl. Hradil, 1999, Soziale Ungleichheit)
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Was bedeutet soziale Ungleichheit? III
 Soziale Ungleichheit liegt dort vor,
 wo die Möglichkeiten des Zugangs zu allgemein verfügbaren und
erstrebenswerten sozialen Gütern
 oder zu sozialen Positionen, die mit ungleicher Macht- oder
Interaktionsmöglichkeiten ausgestattet sind,
 dauerhafte Einschränkungen erfahren und dadurch die
Lebenschancen der betroffenen Individuen, Gruppen und
Gesellschaften beeinträchtigt oder begünstigt werden (vgl. Kreckel,
1992, Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit, S. 17)
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Soziale Ungleichheit: Fragestellungen
 Legitimation
 Notwendigkeit der normativen Beurteilung sozialer Ungleichheit
 Ursachen u. Mechanismen
 Determinanten u. Dimensionen: Macht, Ökonomie, Beruf, Bildung,
Status, Prestige o. Zuschreibungen, Funktionen
 Wirkungen
 Einfluss der Ungleichheit auf die Lebensverhältnisse, Einstellungen,
Verhalten u.s.w.
 Vorkommen und Struktur
 Relativ stabil, regelmäßig, überpersönliche Differenzierung der
Gesellschaft in Blöcke, Figurationen, Schichten, Klassen, Milieus
etc.
Prof. Dr. Günter Roth
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Was ist ‚Sozialstruktur‘?

Sozialstruktur als Muster sozialer Beziehungen, Positionen und Mengen von
Individuen, das relativ losgelöst von individuellen Interpretationen, Interessen,
Werthaltungen etc. funktioniert (‚soziale Tatsachen‘)

Sozialstruktur als Grundgerüst der sozialen Organisation einer Population mit
Positionen (‚Status‘) als anerkannte Plätze im Feld sozialer Beziehungen, die in
der Regel mit typischen Einstellungen und Verhaltenserwartungen (Rollen)
oder Dispositionen (Habitus) verbunden sind

Es ist eine Wechselwirkung zwischen der Sozialstruktur (Bedingungen der
Möglichkeiten) und den sozialen Handlungen, Interpretationen, Werten etc. der
Individuen anzunehmen

Soziale Positionen sind Gegenstand ständiger Auseinandersetzungen und
Kämpfe und also in ständiger Entwicklung oder dynamisch
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Was ist ein Stand?
 Hierarchisch geprägte Figuration
 Angehörige sind hinsichtlich ihrer Herkunft oder Berufs, ihrer
Rechte und Pflichten sowie ihrer gesamten Lebensumstände
strengen sozialen Regeln und Zwängen unterworfen (z.B.
Standesethos, Verhaltensregeln, Privilegien)
 Stände reproduzieren sich durch Abstammung und Tradition
sowie Normen u. Werte (z.B. Mittelalter mit Klerus, Adel); sie
erscheinen nach außen homogen
 Ständische Zugehörigkeit zeigt eine enorme Dauerhaftigkeit (z.B.
verarmte Adlige)
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Was ist eine soziale Klasse?
 eine Figuration, deren Mitglieder einerseits durch eine bestimmte
ähnliche ökonomische Lage
 andererseits durch ein spezifisches Zusammengehörigkeitsgefühl
und einheitliches ideologisches Bewusstsein geprägt sind
 Bourgeoisie als Besitzer von Kapital oder Produktionsmittel und
Proletariat als Lohnabhängige
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Was ist soziale Schichtung?

Dimension der Gesellschaftsstruktur mit ungleicher Verteilung von
Ressourcen, Lebenschancen und Statuspositionen

Gruppe von Personen, die eine ähnliche Position in dieser Struktur einnehmen,
relativ unabhängig von ihren individuellen Merkmalen.

Die Statuspositionen können auf verschiedenen sozialen Merkmalen beruhen,
z.B. Vermögen, Prestige, Macht, soziale Beziehungen, Beruf

Geschlossene Schichten: kaum Übergang (Auf- und Abstieg) zwischen
verschiedenen sozialen Schichten möglich (z.B. Kasten in Indien); typisch für
‚vormoderne‘ oder traditionale, religiös geprägte Gesellschaften

Offene Schichtung: Geringe Statusdifferenzen; relativ leichte
Statusveränderungen u. große Mobilität; typisch für moderne funktional
differenzierte Gesellschaften
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Ungleichheit i.d. funktional differenzierten Gesellschaft

Offene Schichtung bei relativ geringer Ungleichheit, relativ leichte
Veränderung von Statuspositionen möglich (Anspruch u. Mythos i.d. USA)

Ungleichheit nur infolge funktionaler Differenzierung und daraus entstehende
soziale Ungleichheit ist offen, funktional und effizient, weil Koordination,
differenzierte Handlungen und Lebensstile möglich werden und Anreize
entstehen, best. Aufgaben zu übernehmen, in Ausbildung zu investieren etc.


Erworbener statt zugeschriebener (askriptiver) Status

Gleichheit besteht in funktional differenzierten Gesellschaften formal (vor dem
Gesetz) und als Anspruch auf Chancengleichheit nicht im Hinblick auf
Ergebnisse (aber: Anspruch auf statistische Normalverteilung)
Soziale Mobilität nimmt in funktional differenzierten Gesellschaften zu und ist
v.a. in sozialen Umbrüchen groß (z.B. bei Kriegen, neuen Techniken)
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Haben wir eine Klassen o. ‚Mittelschichtsgesellschaft‘?

Die meisten Menschen (ca. 80-90%) fühlen sich in Deutschland der
Mittelschicht zugehörig

Nicht alle der ‚objektiv‘ armen Bevölkerung fühlen sich auch so, viele
empfinden die Klassifikation als ‚Arme‘ o. Unterschicht als diskriminierend
(vgl. Barlösius, Kämpfe um soziale Ungleichheit, 2004: 15)

Die Selbst- u. Fremdwahrnehmung der Menschen hinsichtlich sozialer
Ungleichheit steht in krassem Gegensatz zu ‚objektiven‘ Befunden der
Einkommens- oder Vermögensverteilung, der Bildung etc.

Auch von Sozialwissenschaftlern wird die Auflösung der Klassengesellschaft
(Geiger) u. die These der ‚nivellierten Mittelstandsgesellschaft‘ (Schelsky),
‚Erlebnisgesellschaft‘ (Schulze) oder der ‚Individualisierung‘ oder
‚Pluralisierung‘ i.d. ‚Risikogesellschaft‘ (Beck) behauptet
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These der Auflösung von Klassen und
die gesellschaftliche Individualisierung (Beck)
 Durch Niveauverschiebungen (Wohlfahrtsaufschwung,
Bildungsexpansion usw.) werden subkulturelle Klassenidentitäten
weggeschmolzen, ‚ständisch‘ eingefärbte Klassenlagen
enttraditionalisiert und
 Prozesse einer Diversifizierung und Individualisierung von
Lebenslagen und Lebenswegen ausgelöst
 Diese unterlaufen das Hierarchiemodell sozialer Klassen und
Schichten und stellen es in seinem Realitätsgehalt in Frage (Beck,
1983, Jenseits von Stand u. Klasse, S. 36)
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These der Auflösung der Klassengesellschaft (Beck)
 Mit der Individualisierung und Pluralisierung sozialer Risiken in
der ‚Risikogesellschaft‘ hat sich die Ungleichheits- oder
Klassenfrage ‚verkrümelt‘
 Relativ konstant geblieben sind in der Entwicklung der
Bundesrepublik die Verteilungsrelationen sozialer Ungleichheit,
geändert haben sich gleichzeitig [...] ziemlich drastisch, die
Lebensbedingungen der Menschen.
 Möglich wurde dies u. a. durch Verschiebungen im Niveau
(insbesondere von Einkommen und Bildung [...], die [...] nie
systematisch als eine wesentliche eigenständige sozialstrukturelle
Entwicklung in der Bundesrepublik begriffen und ausgearbeitet
wurden. (Beck 1983)
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Drei Dimensionen der Individualisierung
 Freisetzungsdimension

Herauslösung aus traditionellen Sozialformen, Herrschafts- und
Versorgungsbeziehungen
 Entzauberung

Verlust traditioneller Sicherheiten und Überzeugungen des Handelns,
Glaubens und der Normen
 Kontrolle und Reintegration


Die Individuen werden zum Akteur ihrer marktvermittelten
Existenzsicherung u. ihrer Biographieplanung, die gleichzeitig
institutionalisiert und standardisiert (durch Markt, Bildung, Recht etc.) u.
damit politisch gestaltbar sind
Neue flexible, spontane u. innovative oder ‚alternative‘ Formen der
sozialen Integration u. Kollektivorganisation unter dem Zwang zum
individuellen ‚Planungsbüro‘, Selbsthilfeaktionen, direkte Aktionen etc.
(vgl. Beck, 1986, Risikogesellschaft, S. 205 ff.)
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Formen, Ursachen u. Folgen der Individualisierung I

Durch Mobilität (soziale und geographische) haben sich die Lebenswege aus
dem Herkunftsmilieu herausgelöst, durcheinandergewirbelt und
‚individualisiert‘

Absicherung u. Verrechtlichung v. Arbeitsbeziehungen u. Lohnarbeitsrisiken,
d.h. sozialstaatliche Leistungen bewirken einen Abbau von Klassensolidarität
und Individualisierung

Wandel im Beschäftigungssystem, v.a. Ausbau der Dienstleistungen mit dem
‚Aufstieg‘ von Arbeitern, Differenzierung v. Bildungsabschlüssen u.
betrieblicher Hierarchien

Ausweitung von Konkurrenzbeziehungen u.a. durch Bildung u. Herauslösung
aus traditionellen Verbindungen als Stand, Klasse, Schicht (weitere Medien:
Recht u. Geld) (Beck, U. 1983, Jenseits von Stand und Klasse, 36 ff.)
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Formen, Ursachen u. Folgen der Individualisierung II

Auflösung der Homogenität von Siedlungsstrukturen, Zunahme von Distanz,
Enttraditionalisierung, Entsolidarisierung, aber auch Wahlmöglichkeiten (z.B.
beim Wohnen)

Einbezug weiter Kreise in die Erwerbsarbeit, langfristiger Rückgang von
Selbständigen u. nicht Arbeitenden, aber auch: Rückgang der
Erwerbsarbeitszeit als Teil der Lebenszeit

Die Menschen werden in historischen Kontinuitätsbrüchen aus traditionellen
Bindungen und Versorgungsbezügen herausgelöst und auf sich selbst und ihr
individuelles ‚Arbeitsmarktschicksal‘ mit allen Risiken, Chancen und
Widersprüchen verwiesen

Diese Individualisierungsschübe führen zur Auflösung ungleichheitsrelevanter (‚ständisch‘ gefärbter, ‚klassenstruktureller‘), lebensweltlicher
Gemeinsamkeiten (vgl. Beck, U. 1983, Jenseits von Stand und Klasse, S. 39 ff.)
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Individualisierung als neue Form der Vergesellschaftung I
 Individualisierung als ein [...] widersprüchlicher Prozess der
Vergesellschaftung:
 Diese vollzieht sich unter den Bedingungen des
wohlfahrtsstaatlich organisierten Arbeitsmarktes, ist in diesem
Sinne also Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse und führt
ihrerseits hinein in einen bestimmten konfliktreichen Modus der
Vergesellschaftung,
 nämlich in eine kollektiv individualisierte Existenzweise, die sich
allerdings der Kollektivität und Standardisierung ihrer
Existenzweise nicht ohne weiteres bewusst werden kann (vgl.
Beck 1983, Jenseits von Stand und Klasse, S. 42 f.)
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Individualisierung als neue Vergesellschaftung II

»Individualisierung« meint […] nicht Atomisierung, Vereinzelung, nicht
Beziehungslosigkeit des freischwebenden Individuums, auch nicht
Individuation, Emanzipation, Autonomie [...]

Sondern: Erstens die Auflösung, zweitens die Ablösung
industriegesellschaftlicher Lebensformen (Klasse, Schicht, Geschlechterrolle,
Familie) durch solche, in denen die Individuen ihre Biographie selbst
herstellen, inszenieren, zusammenschustern müssen (Beck, Vom
Verschwinden der Solidarität, 1993).

Durch Individualisierung muss der einzelne lernen, sich selbst als
Handlungszentrum, als Planungsbüro in bezug auf seinen Lebenslauf,
Fähigkeiten, Orientierungen, Partnerschaften usw. zu begreifen (Beck 1983: 59)

Daraus folgen wachsende Ansprüche der Rationalisierung u. Optimierung der
Lebensführung, Zeit, Selbstverwirklichung etc.
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Individualisierung und ‚Resozialisierung‘? I




Gerade das Sich-Verschärfen und Bewusstwerden dieser
Widersprüchlichkeit kann zur Entstehung neuer soziokultureller
Gemeinsamkeiten führen
Entweder entlang sich verschärfender sozialer Risiken (Arbeitslosigkeit)
u. der Bildung nichttraditionaler Solidarität unabhängig von
Klassenlagen
Oder Individualisierung u. Erwartungen an persönliche Entfaltung führt
zur Herausbildung von Alternativ- u. Jugendsubkulturen, Pluralisierung
von Lebensstilen, mit neuen Ehe- u. Familienformen, Wohnformen
Protestformen, Bündnissen etc.
Damit schlagen gesellschaftliche Problemlagen in psychische
Dispositionen um, in persönliches Ungenügen, Schuldgefühle, Ängste,
psychische Konflikte u. Neurosen [...] gesellschaftliche Krisen
erscheinen als individuelle und psychische (Beck 1983: 59 f.)
Prof. Dr. Günter Roth
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Individualisierung und ‚Resozialisierung‘? II
 Die entstehende soziale Isolation scheint zu ihrer Überwindung
der eigentümlichen Konkretheit von Naturkategorien zu bedürfen,
 was daran deutlich wird, dass sich Gruppenbildung lebensweltlich
immer weniger an ‚erworbenen Lagen‘ (Bildungsstufen,
Einkommen etc.) festmachen,
 sehr wohl dagegen an askriptiven Merkmalen von Personen, die
nach wie vor mit offensichtlichen Benachteiligungen verbunden
sind:
 Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Behinderungen (vgl. Beck
1983: 69)
Prof. Dr. Günter Roth
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Paradoxien der Individualisierung oder: ‚riskante Freiheit‘

Die Lebensbedingungen der Menschen werden ihnen zugerechnet und dies in
einer Welt, die sich fast vollständig dem Zugriff der Menschen verschließt.

So wird ‚das eigene Leben‘ zur biographischen Lösung systemischer
Widersprüche oder die Individualisierung birgt ‚riskante Freiheiten‘

Die ‚Krise der Repräsentation‘ spiegelt sich als Krise des Individuums, der
Überlastung der Familie, des Privaten etc., u.a. weil die normative Entlastung
durch Institutionen verloren geht, was sich z.B. als ständiger Kampf um
Lebensstile, Beziehungen, Erziehung, Konsum, Werte etc. ausdrückt.

Im Zeitalter der Individualisierung ist der Zwang zum Normbruch allgemein,
gleichsam zur paradoxen Norm geworden (Beck, Das Zeitalter des eigenen
Lebens, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2001, B29, S. 3, Hervorh. i. Orig.)
Prof. Dr. Günter Roth
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Differenzierung sozialer Milieus (Vester) I

Das Feld der Kräfte (Bourdieu) ist nicht strukturlos, sondern nach Milieus
gegliedert.

Milieu
 soziale Gruppen, die aufgrund gemeinsamer Beziehungen einen Korpus
moralischer Regeln (Durkheim) entwickeln, die sich zu Traditionen der Mentalität
mit einem spezifischen Habitus verfestigen
 sich selbst reproduzierende Beziehungszusammenhänge als Teile größerer
Milieukonstellationen passen sich neuen ökonomisch-politischen Bedingungen an

Die großen Mentalitätstraditionen, in denen diese Milieus stehen, haben sich
nicht spurlos aufgelöst, sondern in neue moderne Zweige aufgefächert

Erodiert sind nicht die Milieus sondern die Hegemonien von Institutionen, v.a.
Parteien in den gesellschaftspolitischen Lagern als Krise der Repräsentation
(‚Politikverdrossenheit‘: 1980 ca. 10%, seit 1989 ca. 60%) Vester 2001: 136
Prof. Dr. Günter Roth
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Differenzierung sozialer Milieus (Vester) II

Vertikale Achse ‚oben u. unten‘
 Machtachse mit sozialer Lage in Schichten auf der Basis von Vermögen, Beruf,
Bildung u. Alter (Machtachse)
 Grenze der Distinktion (oben) und Grenze der Respektabilität u. Statussicherheit
(unten)

Horizontale Achse
 Arbeitsteilung, Einstellungen, Werte, Lebensstil
 Avantgarde, Selbstbestimmung, Hedonismus vs. Autoritätsbindung u. Tradition

Wanderungen zwischen den horizontalen Polen der Wertorientierung sind
häufiger als zwischen den vertikalen

Entwicklung der Arbeitsteilung mit veränderten Tätigkeiten und Ansprüchen in
der Dienstleistungsgesellschaft (Wandel zum kult. Kapital)
Prof. Dr. Günter Roth
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Sozialer Raum n. Vester et al. 2001
Differenzierungsachse
Avantgardistisch
jugendkulturelle Avantgarde
Herrschaftsachse
Bildungsbürger
Autoritär
Ökon./Staatl. Elite
respektable Volksmilieus:
Tradition d. Facharbeit,
prakt. Intelligenz
respektable Volksmilieus:
ständisch-kleinbürgerliche
Tradition
benachteiligte Volksmilieus, gering Qualifizierte
Prof. Dr. Günter Roth
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Tradition sozialer Milieus in Deutschland

Obere Milieus (22-26%)
 Tradition v. Macht u. Besitz, Akademische u. technische Funktionseliten, Grenze
der Distinktion (kultiviert vs. ungebildet, fein-grob, anspruchsvoll-leicht etc.)

Respektable Volks- u. Arbeitnehmermilieus (64-69%)
 Tradition der Arbeiter, ständisch-kleinbürgerliche Tradition, beständige, gesicherte,
anerkannte Position in Abgrenzung nach unten, Tradition der Betonung v. Leistung
u. Pflicht

Tradition der Benachteiligten Volks- u. Arbeitnehmermilieus (8-13%)
 Habitus der Notwendigkeit u. der Traditionslosen, Resignierten etc.

Diese Großgruppen blieben erstaunlich stabil in der Größe u. mit
geringen vertikalen Wanderungen (Vester 2001: 146 ff.)
Prof. Dr. Günter Roth
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Soziale Milieus nach Sinus (2004)
Prof. Dr. Günter Roth
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Soziale Milieus nach Sinus (2004)
Quelle: www.sociovision.de
Prof. Dr. Günter Roth
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Soziale Milieus, Prekarität u. Verdrossenheit I
 Zunehmende Prekarität und Diskontinuität von Lebensläufen
 Ausweitung der Prekarität von Berufspositionen u. Soziallagen
 Prekarität betrifft heute mehr als 25% der Bevölkerung (jeder 2.
Beschäftigte war schon einmal arbeitslos), also ‚Wohlstand auf
Widerruf‘
 Mind. ca. 10 Prozent der Bevölkerung befindet sich in Dauerarmut
und tendenzieller Exklusion mit Segregationstendenzen in den
Städten (Schulen, Wohnen etc.)
 Je nach Soziallage u. Habitus sowie Normen, Werten u.
Erwartungen folgen unterschiedliche Bewältigungsstrategien (vgl.
Vester 2001: 159)
Prof. Dr. Günter Roth
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Soziale Milieus, Prekarität u. Verdrossenheit
 Verdrossenheit v.a. mit den Leistungen des politischen Systems
steigt (heute ca. 60-70% der Bevölkerung)
 Verdrossenheit v.a. bei den eher in prekärer Situation Befindlichen
(Arbeitslose, Ostdeutsche, einfache u. ungelernte Arbeiter, aber
auch Facharbeiter u. von Arbeitslosigkeit Bedrohten sowie Frauen)
 27% der Bevölkerung befindet sich im ‚enttäuscht-autoritären‘
Lager (Vester 2001: 169 ff.), Milieus mit geringer u. unmoderner
Ausbildung u. schwachen sozialen Netzen, Ältere u. Jugendliche,
Arbeitslose
 Aber auch Zunahme von politischem Interesse u. ca. 30% sind
ehrenamtlich aktiv (positiv korreliert mit Bildung)
Prof. Dr. Günter Roth
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Analyse der Sozialstruktur i.d. Praxis
 Sozialplanung, Sozialraumanalyse, strategisches Management

Analyse sozialer Milieus bezogen auf einzelne Wohngebiete oder in einem Stadtteil als
Basis für die kommunale Sozialplanung oder soziale Dienste


Analyse von Zielgruppen u. Arbeitsbelastung sozialer Dienste
vgl. Geiling am Bsp. Hannover, http://www.agis.uni-hannover.de/
 Perspektiven


Kombination von Struktur- und Individualdaten, qualitative u. quantitative Daten


Analyse ‚Sozialer Kompetenz‘ (siehe Ullrich & Ullrich 1976)

Messung der Effizienz ‚sozialer Intervention‘ und sozialer Dienste
Analyse und Messung ‚sozialen Kapitals‘ und sozialer Kohäsion etc. mit Hinweisen zur
Aktivierung von ‚Sozialkapital‘
Ansätze zur Veränderung sozialer Räume und ‚sozialer Kompetenz‘ durch Erziehungs- und
Bildungsprogramme, Gemeinwesenarbeit etc.
Prof. Dr. Günter Roth
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Sozialraumanalyse: Grundlegende Daten







Einkommen u. Vermögen
Beruf u. Erwerbsverhalten
Wirtschaftsformen
Architektur u. Wohnformen (u.a.:
Boden- u. Mietpreise)


Raumnutzung

Bevölkerung (Alter, Geschlecht,
Dichte, Zu- und Wegzug)


Soziale Infrastruktur, öffentliche
Versorgung u. Institutionen
Gesundheit u. Lebensstile
Bildung, kulturelles Kapital
Haushalts- u. Familienformen
Soziale Netzwerke, Vereine u.
soziale Aktivitäten (soziales Kapital
u. soziale Kohäsion)
 Politische Beteiligung
 Devianz (z.B. Müll, ‚Herumlungern‘,
‚Verwahrlosung‘, Sucht u. ‚Gangs‘)



Delinquenz (z.B. Gewaltdelikte)
Einstellungen, Lebensstile, Habitus
Prestige, diskursive Macht
Religion u. Ethnien
Alle Daten müssen relational in einem Machtfeld konzipiert werden!
Prof. Dr. Günter Roth
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Bsp.: Sozialraumanalyse Hannover-Vahrenheide
Heinzelmann 2001, agis
Prof. Dr. Günter Quelle:
Roth
33 info 12
Literatur












Barlösius, E. (2004): Kämpfe um soziale Ungleichheit: Machttheoretische Perspektiven, Wiesbaden: VS-Verl,
S. 116-185.
Beck, U. (1983): Jenseits von Stand und Klasse: Soziale Ungleichheiten, gesellschaftliche
Individualisierungsprozesse und die Entstehung neuer sozialer Formationen und Identitäten, in: Kreckel, R.
(Hg.): Soziale Ungleichheiten, Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen: Schwartz, S. 35-74.
Beck, U. (1986): Risikogesellschaft, Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Beck, U: (2001): Das Zeitalter des eigenen Lebens, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B29.
Bock-Rosenthal, E. (2004): Soziale Ungleichheiten, in: Biermann, B. u.a. (Hg.): Soziologie – Studienbuch für
soziale Berufe (4. Aufl.), UTB, Stuttgart, S. 208-260.
Bourdieu, P. (1983): Ökonomisches Kapital, Kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, R. (Hg.): Soziale
Ungleichheiten, Soziale Welt, Sonderband 2, Göttingen: Schwartz, S. 183-198.
Bourdieu, P. (1985): Sozialer Raum und ‚Klassen’. Lecon sur la lecon, Suhrkamp, Frankfurt/M, S. 9-46.
Bourdieu, P. (1998): Sozialer Raum, symbolischer Raum, in: ders. Praktische Vernunft: Zur Theorie des
Handelns, Frankfurt/M., S. 13-32.
Geissler, R. (2002): Die Sozialstruktur Deutschlands, Westdeutscher Verlag, Wiesbaden, S. 110-144.
Hradil, S. (2004): Die Sozialstruktur Deutschlands im internationalen Vergleich, Wiesbaden: VS-Verlag, S.
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Statistisches Bundesamt (Hg.) (2004): Datenreport 2004, Wiesbaden.
Vester, M. u.a. (2001): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel – Zwischen Integration und
Ausgrenzung, Suhrkamp, Frankfurt/M., S. 23-64.
Prof. Dr. Günter Roth
34
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