Bioethik geht uns alle an, Teil 1 - Deutscher Katholikentag Ulm 2004

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Pressezentrum
Dokument 1917
Sperrfrist:
17.06.2004; 14:30 Uhr
Veranstaltung:
Bioethik geht uns alle an, Teil 1
Orientierungen aus christlicher und islamischer Sicht
Referent/in:
Fürst, Dr. Gebhard (Bischof)
Ort:
Messegelände Halle 1, Böfinger Str. 50 (Ulm)
Programm Seite:
83
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
gestatten Sie mir, dass ich in einigen Thesen versuche, die Haltung der christlichen Kirchen
möglichst kompakt in zehn Thesen vorzustellen. Hierbei muss ich allerdings einschränkend
vorwegschicken, dass es zwischen den christlichen Konfessionen teilweise Unterschiede
gibt, die ich an entsprechender Stelle markieren werde. Grundsätzlich geleitet werden
Christen aller Konfessionen dabei vom Glauben an Gott als den Schöpfer, Erlöser und
Vollender der Welt und des Menschen. Diese drei Facetten christlichen Gottesglaubens
spielen auch in der bioethischen Diskussion eine erhebliche Rolle.
1. "Wir sind besser als Gott", lautet die Überschrift eines Artikels im "SPIEGEL" zur
Forschung an embryonalen Stammzellen, eine Werbung für den "FOCUS" thematisiert die
Frage, ob es "Kinder aus einem Wunschkatalog" gibt. So wird die Problematik der
Genforschung und -technik häufig reißerisch-medial vermittelt. 1 Dahinter verbergen sich
jedoch grundlegende anthropologische wie ethische Fragestellungen.
Die Kirchen bejahen grundsätzlich die neuen Methoden der Biotechnik, sofern sie dem
(menschlichen) Leben dienen, sehen in ihnen aber auch ein großes Gefährdungspotenzial,
das in erster Linie aus dem Gebrauch resultiert, den der Mensch von ihnen macht. Die
Position der Kirchen ist in diesen Fragen durchaus nicht wissenschafts- oder
forschungsfeindlich, sondern lebensfreundlich. Sie befürworten daher die Gentechnik und
Biomedizin, wo sie die Würde des Menschen achtet und fördert; sie kann aber auch nicht
umhin, auf Gefahren und Folgen hinzuweisen, die sich hieraus ergeben. Genforschung und
Gentechnik können außerordentlich segensreich wirken, sie können aber auch zum Fluch
werden. Das geschieht, wenn sie offen oder insgeheim der Versuchung nachgeben, einen
Neuen Menschen produzieren zu wollen.
Für das christliche Verständnis des Menschen ist der Glaube an Gott den Schöpfer
wesentlich. Geschaffensein bedeutet aber mehr als nur produziert, mehr als nur gemacht
worden zu sein. Im Glauben an den Schöpfer erfährt sich der Mensch als ein Geschöpf unter
Geschöpfen (und insofern in einer fundamentalen Solidarität mit aller Kreatur), zugleich aber
als das zur Gottebenbildlichkeit erschaffene Geschöpf, was seine fundamentale
Menschenwürde begründet. Wird die menschliche Person durch das schöpferische Handeln
Gottes konstituiert, dann ist die menschliche Person, bevor sie irgend etwas - für sich oder
für andere - tun kann, ein unbedingter Selbstwert. Und das heißt: sie hat Würde. Sie hat eine
Würde, die nicht erst durch ihr eigenes Handeln konstituiert wird. Deshalb darf das Leben
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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des Menschen niemals kommerziell zur Disposition gestellt werden. Denn das Leben ist
mehr als ein biologisches Kapital, das sozialpolitischen Kosten/Nutzen-Erwägungen
unterliegt. Und deshalb ist unser Umgang mit dem ganz jungen Menschen, der noch gar
nichts für sich tun kann, und mit dem alten Menschen, der kaum noch etwas oder gar nichts
mehr für sich tun kann, geradezu das Kriterium für die Menschlichkeit unserer Gesellschaft.
2. Der Rückbesinnung auf den Schöpfungsglauben kommt in den Stellungnahmen der
Kirchen in Fragen der Bioethik eine grundlegende Bedeutung zu, insofern damit der Begriff
der Verantwortung durch die Relationen zum Schöpfer und zur geschaffenen Welt inhaltlich
charakterisiert werden kann. Praktizierte Verantwortung beinhaltet die Respektierung von
Grenzen menschlichen Verfügens. Das Recht, ein Mensch zu sein, wie es dem besonderen
„Status“ des Menschen als Ebenbild Gottes entspricht, beinhaltet eine fundamentale
uneingeschränkte Schutzwürdigkeit, die jedem zukommt, der lebt.
3. Diese Aussagen werden von den Kirchen ungeschmälert auf die Frage von Lebensbeginn,
Personalität und Schutzwürdigkeit zur Anwendung gebracht. In diesem Sinn vertreten die
Kirchen in ihren offiziellen Erklärungen eine gemeinsame Position, nämlich die des
Menschenwürdeschutzes, unter dem auch der menschliche Embryo von seiner Entstehung,
also der vollendeten Bildung eines neuen Genoms aus Ei- und Samenzelle, an steht. Aus
der Verschmelzungstheorie, also der Menschwerdung des Embryos mit dem Zeitpunkt der
Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, ergibt sich ein Recht auf Schutzwürdigkeit von
Anfang an: Ein Embryo hat bereits alle genetischen Informationen - dies ist der Beginn der
materiellen Leiblichkeit.
4. Da das Leben die Grundlage von Würde ist, schließt der Schutz der Würde den des
Lebens notwendig ein. Den theologischen Grund dafür, in jedem Menschen eine Person zu
sehen und anzuerkennen, sehen die Kirchen darin, dass sich personales Sein der
schöpferischen Kraft der Liebe Gottes verdankt, die allen geschöpflichen Beziehungen
voraus- und zugrunde liegt.
Forschungsfreiheit und der Wunsch nach Gesundheit gelten daher nicht unbedingt, sondern
nur, soweit die Würde eines anderen Menschen nicht tangiert wird. Wird also ein Embryo in
vitro zu Forschungszwecken erzeugt oder nach Diagnostik verworfen, dann wird er lediglich
als Mittel für andere Zwecke benutzt, sein Selbstzweck wird übergangen. So ist auch eine
Abwägung zwischen dem Lebensrecht des Embryos und den zu erwartenden Vorteilen aus
embryonenverbrauchender Forschung "zum Wohle" anderer per se nicht zulässig. Die
Formel ‚Embryonen müssen getötet werden, damit geborene Menschen überleben können’
ist nicht haltbar, auch wenn die Forschung an menschlichen Embryonen und embryonalen
Stammzellen mit immensen, bislang jedoch nicht eingelösten Heilsversprechen gerechtfertigt
wird. Kein Mensch hat das Recht, auf Kosten des Lebens eines anderen Menschen
Heilungsmöglichkeiten zu fordern.
Wenn menschliches Leben als Mittel zum Zweck betrachtet wird – so bei der
verbrauchenden Embryonenforschung –, dann wird den ”Schöpfern” eine besondere
Entscheidungsmacht zugewiesen, die ihre Kompetenz überschreitet. Die Gefahr der
Versachlichung und Verobjektivierung des menschlichen Lebens in den Händen der
Forschenden ist Grund genug für ethische Bedenken und äußerste Beschränkung auf
diesem Gebiet.
5. Ein fundamentaler Diskussionsbedarf zeigt sich dabei in der Verhältnisbestimmung von
Person und Natur, was besonders in der evangelischen Theologie und Ethik zu
unterschiedlichen Positionen führt. Denn die durch die Biomedizin eröffneten Erkenntnis- und
Eingriffsmöglichkeiten stellen nicht nur eine ethische Herausforderung dar, sondern auch
eine anthropologische und eine naturphilosophische. Zentrale Grundbegriffe menschlicher
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
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Selbstverständigung wie etwa „Sein“, „Leben“, „Empfinden“, Denken“ usw. sind in der
philosophischen und theologischen Tradition auf einem anderen naturphilosophischen
Hintergrund gebildet worden. Für viele ist daher eine Inkongruenz mit einer heutigen, im
Zeichen der Genomforschung stehenden Weltsicht unübersehbar geworden. Daher wird
man der biophilosophischen Kernfrage „Was ist Leben?“ und der Aufgabe einer
hermeneutischen Grundlegung eines praktisch-moralischen Lebensbegriffs nicht ausweichen
können.
6. Die moralische Legitimation für medizinische und biotechnologische Forschungstätigkeiten
resultiert aus Sicht zahlreicher Wissenschaftler aus der Erwartung, dass sich neue
Möglichkeiten sowohl der Krankheitsbekämpfung als auch des Erkennens und Beseitigens
genetisch bedingter Krankheiten ergeben könnten. Die Kirchen anerkennen, dass die
Gesundheit ein hohes Gut darstellt und das menschliche Leben als fundamentales
Rechtsgut zu schützen ist, warnen aber davor, dass auf die Biowissenschaften die
„Heilserwartungen“ eines Lebens ohne Krankheit und Leiden projiziert werden bzw. dass
diese von ihnen selbst erzeugt werden. Ein wesentliches Problem bezüglich
medizinethischer Fragen der Gentechnik liegt darin, dass sich in der modernen Gesellschaft
ein utopischer Gesundheitsbegriff entwickelt hat, so dass das Ziel medizinischen Handelns
die Herstellung eines Zustandes des Glücks und der Vollkommenheit” geworden ist.
Schmerz solle beseitigt, Krankheit ausgetilgt und der Tod bekämpft werden. Dies hat aber
zur Folge, dass Glück nicht mehr als Gnade, sondern als Recht verstanden wird. Die
religiöse Sehnsucht nach Heil schlägt um in die Forderung nach dem Recht auf Glück, auf
Leidfreiheit oder auf ein in jeder Hinsicht gesundes Kind. Die Leidensmöglichkeit und
Leidensfähigkeit des Menschen wird ausgeblendet, aus Sicht des christlichen Glaubens wird
die eschatologische Dimension menschlichen Lebens, die ihre Vollendung in der
endzeitlichen Hoffnung des christlichen Glaubens hat, ins Diesseits verlagert. Die
Überwindung des Todes oder das mögliche Hinausschieben wird zum Ziel medizinischtechnischen Handelns. Eine Gefahr ist dabei, dies möchte ich am Rand ausdrücklich
anmerken, dass die Beeinträchtigung des Wohlbefindens als eine Verhinderung von Glück
gesehen und dass, zugespitzt, einem Klima der Diskriminierung gegenüber Behinderten und
Kranken der Boden bereitet wird. Der christliche Glaube in seiner Ausrichtung auf Gott als
Vollender der Schöpfer bewahrt Menschen hier vor Machbarkeits- und Erlösungsphantasien,
die an wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Errungenschaften angehängt werden.
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7. Die christliche Ethik rät angesichts dieser Problematiken zu einer zurückhaltenden
Position. Ich möchte mit dem jüdischen Philosophen Hans Jonas für eine Ethik plädieren, die
anstehenden ethischen Fragen nachhaltig zu bedenken und Antworten zu finden, „bevor wir
uns auf eine Fahrt ins Unbekannte einlassen". Hans Jonas rät ganz konkret angesichts so
gewaltiger Dimensionen der Kategorie Verantwortung dazu, im Zweifelsfall, der heute der
Regelfall sei, folgende Grundregel anzuwenden: „in dubio pro malo – wenn im Zweifel, gib
der schlimmeren Prognose vor der besseren Gehör, denn die Einsätze sind zu groß
geworden für das Spiel.“ 3 Es spricht vieles dafür, die von Hans Jonas unter dem Oberbegriff
„Prinzip Verantwortung“ für solche Sonderfälle entwickelte „Heuristik der Furcht“ in dem
Sinne Platz greifen zu lassen, dass ungünstige Prognosen der Risiken und der Begleit- und
Nebenwirkungen zu beachten sind. Eine Verantwortungsethik verdient deshalb bei der
Bewertung von Konfliktsituationen der hier vorliegenden Art den Vorrang vor einer eher
pragmatischen Beurteilung, selbst wenn sie gegebenenfalls zu einer Verlangsamung des
medizinischen Fortschritts führen sollte.
Was wissenschaftlich und technisch versucht wird, gerade in der Medizin und Pharmazeutik,
muss jedoch dem Wohl des Menschen, auch dem Wohl der kommenden Generationen
nachgewiesenermaßen dienen. Nachgewiesen werden muss, warum etwas im Bereich der
Forschung und Anwendung getan wird, und nicht, warum es nicht getan werden soll. Die
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
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Position, dass es vielleicht einmal nutzen und vielleicht auch nicht schaden wird, reicht nicht
aus, wenn es um solche Probleme wie die anstehenden geht. In den Möglichkeiten der
Biotechnologien handelt es sich um eine qualitative und nicht nur um eine quantitative
Steigerung menschlicher Verfügungsmacht über menschliches Leben. Unsere
Verantwortung wird auf ein nie zuvor Gekanntes und auch ethisch früher nicht Bedachtes
ausgedehnt.
8. Gesundheit kann niemals jemand garantieren, auch nicht durch PID oder die Züchtung
von menschlichen Ersatzorganen. Letztlich sind und bleiben Menschen endliche Wesen:
Menschen, die in der Regel krank und alt werden und ausnahmslos sterben müssen. Das
christliche Verständnis des Menschen ist am leidenden und getöteten Jesus von Nazareth
orientiert und behauptet auch und gerade im Blick auf den durch die Kreuzigung entsetzlich
entstellten Christus, dass sich in ihm die Würde des Menschen zeigt. Auch und gerade der
Mensch in seiner Schwäche hat eine von Gott definitiv anerkannte Person ist und also
Würde. Aus juristischer Perspektive hat diesen Gesichtspunkt der frühere Präsident des
Bundesverfassungsgerichtes Ernst Benda deutlich zur Geltung gebracht und betont, dass
die Bedeutung der Menschenwürde sich gerade dann am deutlichsten zeigt, wenn man nicht
von der Vollkommenheit des Menschen, sondern von seiner Unvollkommenheit ausgeht.
„Was Menschenwürde wirklich bedeutet, zeigt sich... in den Strafanstalten, den Häusern der
Psychiatrie, den Asylanten- und Obdachlosenherbergen und in den Pflegeheimen.“ 4
Insofern führt uns der leidende Mensch auf die heute so kontrovers beschworene Würde des
Menschen zurück, die nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unantastbar
ist. Grundlegende ethische Normen wie das Prinzip der Menschenwürde und das
Tötungsverbot dienen in besonderer Weise dem Schutz derer, die ihre Ansprüche nicht
selbst geltend machen können, und ebenso dem Schutz all derer, die medizinisch gesehen
nicht mehr heilbar sind. Eine jede „Ethik des Heilens und der Bewahrung der Schöpfung“, die
einen solchen Namen verdient, ist diesen Normen ausnahmslos verpflichtet.
9. Weil aber Krankheit und Leiden immer zum irdischen Leben gehören, ist es notwendig,
dass jeder Einzelne wie auch die Gesellschaft als Ganze fähig bleiben, mit Krankheiten und
Leiden zu leben und den unheilbaren Menschen beizustehen. Dies ist nur möglich, wenn die
Würde aller menschlichen Lebewesen vom Beginn bis zum Tod uneingeschränkt geachtet
wird. Hinsichtlich der ethischen Beurteilung der biomedizinischen Anwendungsbereiche
gehen die Kirchen davon aus, dass die Würde menschlichen Lebens nicht auf den ihm
eigenen empirisch aufweisbaren körperlichen und seelisch-geistigen Qualitäten, sondern auf
der unbedingten Annahme allen Menschenlebens durch Gott beruht, dass sowohl das
ungeborene wie auch das behinderte Menschenleben nicht minder „wertvoll“ und nicht
minder zu schützen sind als das geborene und gesunde Leben.
10. Die Kirchen sehen diese Überzeugung durch die vorgeburtliche Diagnostik, die
Präimplantationsdiagnostik (PID) und durch „prädikative“ genetische Testverfahren
gefährdet, weil sie zu einem Urteil herausfordern, in dem zwischen „lebenswertem“ und
„lebensunwertem“ Leben unterschieden wird. Die somatische Gentherapie wird grundsätzlich
bejaht, jedoch werden Eingriffe in die Keimzellen auch als „therapeutische Maßnahmen“
abgelehnt, weil die Würde des Menschen es gebietet, dass ihm die individuellen genetischen
Anlagen nicht durch Eingriffe anderer zugeteilt und damit die Tore zur „Menschenzüchtung“
geöffnet werden.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Bethge, Philip u.a. (2001): "Wir sind besser als Gott". In: Der Spiegel: Operation Embryo. Wie weit
dürfen Genforscher und Mediziner gehen? 14. Mai, 240-254.
Eine doppelseitige Anzeige zeigt in Großformat ein Baby mit seiner Mutter. Der dazugehörige Slogan
lautet: "Die Augen vom Vater. – Das Kinn von der Mutter. – Der Rest aus dem Katalog? Gut, wenn
man die Fakten kennt." FOCUS. In: TV Movie vom 5.5. bis 18. 5. 2001, 268f.
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Vgl. DBK 69, 10f.
3
Hans Jonas, Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung, Frankfurt/M. 1985 ,
53.67.
4
Ernst Benda, Würde des Menschen - Würde des Lebens, Vortrag auf dem Deutschen
Evangelischen Kirchentag am 14. Juni 2001 in Frankfurt/M., unveröffentlicht.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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