Leerer Magen und kaputte Häuser

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Leerer Magen und kaputte Häuser - Alltag in Soest 1945 bis 1948
Nach einem Bombenangriff 1944 – im Hintergrund St. Patrokli
Lilia Keksel
Während am 7. März 1945 am Rhein die Amerikaner die Brücke von Remagen eroberten und die
Russen in Richtung Oder vorstießen, um den Angriff auf Berlin vorzubereiten, erlebte Soest einen
der schwersten Luftangriffe des Zweiten Weltkrieges. 144 Bomber warfen 381 Tonnen Bomben ab.
Die schon stark zerstörte Innenstadt wurde noch weiter verwüstet. Der Wohnungsmangel, der schon
vor dem Krieg bestand, wuchs noch weiter an. Das Leben in halb zerstörten Häusern und Provisorien
stellte die Soester auf eine harte Probe - auch nach der Besetzung der Stadt durch die Amerikaner
am 6. April 1945. Neue Wohnungen durch Reparaturen oder Neubauten zu schaffen, erschien
zunächst eine unlösbare Aufgabe zu sein. Ebenso war die Versorgung der Bevölkerung mit
Lebensmitteln, Bekleidung und Gebrauchsgütern sehr schwierig, sodass das Leben in der
„Zusammenbruchsgesellschaft" für alle Soester recht mühsam war.
Wohnungsnot
Bei uns im Hause wurde es am Ende doch recht voll. Wir waren 20 Personen und haben
auf Tischen und Bänken geschlafen. Die Türen durften nicht verschlossen werden, wenn
sie noch ein heiles Schloss hatten. An der Straßenseite hing ein gelber Zettel, auf dem
genau stand, wer in der Wohnung lebte, mit Geburtsdatum, Herkunftsort und
Familienstand. Wir sind mehrmals von den Amerikanern kontrolliert worden, ob wir einen
Soldaten in der Wohnung versteckt hätten oder nicht. Dabei mussten sich alle in Reih und
Glied aufstellen, während die Wohnung durchsucht und ihre Namen verlesen wurden.
Anne Marie Jahn, geb. 24. 3.1907 über die Monate April und Mai 1945 in Soest
durch Bombentreffer
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Am 31.12.1941 gab es in Soest 3203 Wohnhäuser.
Davon wurden durch Kriegsereignisse 1438 zerstört. Im Dezember 1947 waren nur noch 1765
Häuser übrig geblieben. Sie waren aber zum Teil stark beschädigt und deshalb vorübergehend
unbewohnbar oder nur teilweise als Unterkunft nutzbar. Nur 40% des Wohnraumes in Soest waren
im Frühjahr 1945 in einem brauchbaren Zustand. Schon während des Krieges - von Dezember 1944
bis zu Mai 1945 - mussten deshalb 1595 Familien innerhalb der Stadt umquartiert werden. Weitere
Familien suchten außerhalb der Stadt Unterkunft bei Verwandten und Freunden.
und durch Beschlagnahmungen seitens der Besatzungstruppen
Die Wohnungsnot verschärfte sich dadurch, dass Amerikaner, Engländer und Belgier Wohnungen
beschlagnahmten um Mitglieder der Besatzungstruppen und ihre Familien unterzubringen. In den
ersten drei Nachkriegsjahren wurden Soester Bürgern 223 Wohnungen mit 957 Räumen und einem
Flächenraum von 15947 qm weggenommen. Die Bewohner der beschlagnahmten Häuser mussten
meist innerhalb einer Stunde ihre Wohnungen verlassen. Sie konnten oft nicht einmal das
Notwendigste mitnehmen, viele von ihnen standen dann vor dem Nichts. Weil die Besatzungstruppen
verhindern wollten, dass durch solche Aktionen die Überbelegung von Wohnraum weiter stieg,
musste das Wohnungsamt der Stadt politisch belastete oder nicht berufsgebundene Familien in
weniger belastete Kreise umsiedeln. Betroffen waren dann allerdings nur 36 Personen. Sie wurden im
Kreis Wiedenbrück (östlich von Soest) untergebracht. Der Widerstand der Bevölkerung gegen solche
Maßnahmen war allerdings groß.
Vorher wohnten wir in der Osthofenstraße, bis die Luftangriffe alles dem Erdboden gleich
gemacht haben. Später sind wir dann in die kleine Osthofe 34/36 umgezogen. Wir haben
mit drei Familien dort gewohnt. Man kann es heute wohl kaum nachfühlen, was es heißt,
mit zehn Menschen in einer Dreizimmerwohnung zu wohnen. Doch blieb uns damals keine
andere Wahl. Außerdem mussten wir uns erst einmal heile Dachpfannen organisieren, die
wir aus den Trümmern geborgen haben, um das Dach von unserem Haus zu decken.
Ingeborg Schwartze, geb. 1928
Trümmer in der Wiesenstraße – im Hintergrund die Hohnekirche
Zerstörung in der Thomästraße
Chor der Petrikirche nach Bombenangriffen
Zerstörungen nach Bombenangriffen auf dem Petrikirchplatz
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