Die Netzwerkforschung bietet viele anregende Ideen für die

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Netzwerke und Kommunikation: komplementäre Perspektiven?
Tagung an der Technischen Universität Hamburg-Harburg am 01./02. Oktober 2009
Call for Papers
Einige der interessanteren neuen Arbeiten auf dem Gebiet der Netzwerkanalyse beschäftigen
sich mit den Formen und Funktionen der Kommunikation.. Auch wenn sich darunter theoretisch fundierende und fundierte Arbeiten befinden (z.B. White 2008, Mische 2008), so bietet
ein Großteil doch keine angemessenen begrifflichen Reflexionen. Aus theoretischer Perspektive ist so z.B. die Anwendung netzwerkanalytischer Methoden auf Sprachbestände noch keine angemessene Berücksichtigung des Phänomens der Kommunikation in der Netzwerkforschung. Klärungsbedarf besteht vor allem auch hinsichtlich des Verhältnisses von Kommunikation und (stabiler) Relation: Wie können flüchtige Kommunikationsereignisse stabile soziale Beziehungen begründen, ausdifferenzieren und wieder auflösen? Um die theoretischen Defizite der Netzwerktheorien beheben zu können, bietet es sich hier an, soziologische Kommunikationstheorien hinzuzuziehen. Umgekehrt stellt sich auch die Frage, ob die theoretischen
Potenziale der Netzwerktheorien für soziologische Kommunikationstheorien bereits ausreichend nutzbar gemacht worden sind.
Die Konferenz macht es sich zur Aufgabe, die Potenziale der beiden Paradigmen für die
Theoriebildung und -verknüpfung sowie die Operationalisierung soziologischer Theorie auszuloten. Durch die Kombination der beiden Paradigmen ergeben sich interessante neue Perspektiven auf verschiedene theoretische Probleme:
So hat z.B. die eher strukturell inspirierte Netzwerkanalyse zumeist nur eingeschränkte Möglichkeiten, auf die Prozessualität sozialer Phänomene einzugehen (Gibson 2005: 1562). In einem Netzwerk dominiert in der Regel die Strukturperspektive, also die Frage danach, welche
Knoten welche Verbindungen miteinander unterhalten. Knoten sollen zwar relational bestimmt werden, aber ohne einen dynamischen Relationierungsbegriff kann auch hier nicht von
einer zufriedenstellenden Umsetzung einer relational argumentierenden Soziologie die Rede
sein (Emirbayer 1997). Viel zu selten wird sichtbar, dass diese Verbindungen einer kontinuierlichen Erneuerung bedürfen, die prozessual zu leisten ist. Hier kommt man mit kommunikationstheoretischen Überlegungen weiter, die Kommunikation zunächst einmal als ein Prozessgeschehen betrachten, dessen Eigenwerte ebenfalls erst durch Zurechnungen und Interpunktionen gewonnen werden können. Hier müssen dynamische Modelle von Netzwerken
und ein stärkeres Abstellen auf den Prozess der Vernetzung (des ständig vollzogenen Relationierens und Assoziierens; vgl. Latour 2007) ebenso genutzt werden wie die kulturalistischen,
phänomenologischen und kommunikationstheoretischen Erweiterungen der Netzwerkperspektive (White 2008, Mische 2008, Gibson 2005). Es geht darum, sowohl Netzwerkeffekte auf
ablaufende Interaktions- und Kommunikationsprozesse kenntlich zu machen, als auch darum
zu zeigen, wie diese scheinbar stabilen Relationen immer wieder neu durch Konstruktionsleistungen erzeugt und stabilisiert werden (müssen). Erst beide Perspektiven zusammen ermöglichen tiefer gehende Einblicke in soziale Phänomene, da eine rein strukturell betriebene Netzwerkforschung eine halbierte Version von Soziologie bleiben muss.
Prozessdynamiken der Kommunikation in den Blick nehmende Ansätze (Luhmann 1984;
Malsch 2005) hingegen haben sich bislang vor allem den Regeln der sequentiellen Verknüpfung von Kommunikationsereignissen zu Episoden sowie der Genese von Deutungsmustern
in Interaktionen gewidmet (Garfinkel 1967; Sacks 1992). Kaum diskutiert wurden die Auswirkungen von Parallelkommunikationen auf Prozesse der Sinngenese und Systembildung
(Hartig-Perschke 2009); und dies, obwohl Parallelität und Polykontexturalität typische Merkmale der Distanz- bzw. Massenkommunikation sind. Weiterhin gilt es in kommunikations-
theoretischer Perspektive zu klären, wie sich die Quervernetzung von unterschiedlichen Kommunikationsepisoden oder die medienüberschreitende Überlagerung und Verknüpfung von
Diskursen angemessen analysieren und beschreiben lassen: Wie tragen unterschiedliche Typen von Netzwerken („polykontexturale Adressen“ und „Kontaktnetzwerke“ „categorial domains“, „network domains“, „semantische Netze“ etc.) zur Abgleichung verschiedener Prozessgeschwindigkeiten der Kommunikation und zur inhaltlichen Angleichung und Verdichtung von Kommunikationszusammenhängen bei? Wie sorgen unterschiedliche Typen von
Netzwerken für die Angleichung von Sinnperspektiven und die Konsolidierung von sozialen
Identitäten und Institutionen? Die relationale Netzwerktheorie verspricht an diesem Punkt
nicht nur Abhilfe sondern auch Erkenntnisfortschritt, ist sie doch spezialisiert auf Parallelität,
Quervernetzung und die Analyse von „Abbrüchen“ und „Brücken“ (Schmitt 2009, Barnat
2008).
Die Verknüpfung von kommunikations- und netzwerktheoretischen Konzepten könnte helfen,
(1) Probleme der Grenzziehung zwischen und der strukturellen Kopplung von unterschiedlichen Kommunikationssystemen, (2) Fragen der verteilten Genese von Deutungsmustern, (3)
Probleme der sozialen Differenzierung und (4) Probleme der Ausprägung von sozialen Identitäten besser als bislang in den Griff zu bekommen. Gesucht werden Beiträge, die versuchen,
diese Probleme durch eine fruchtbare Kombination netzwerk- und kommunikationstheoretischer Modelle und Einsichten zu überwinden.
Abstracts für Beiträge in einem Umfang von 1-2 Seiten können bis zum 30.06.2009 per EMail gesendet werden an: Miriam Barnat ([email protected]), Rasco HartigPerschke ([email protected]) oder Marco Schmitt ([email protected]).
Literaturverzeichnis:
Barnat, Miriam (2008): Communicative Community Building. Aufsatz präsentiert auf der IR
9.0 2008 vom 16-18.10.08 in Kopenhagen. URL: http://aoir.org/?page_id=118
Emirbayer, Mustafa (1997): Manifesto for a Relational Sociology. In: American Journal of
Sociology 103:2, S. 281-317.
Gibson, David R. (2005): Taking Turns and Talking Ties: Networks and Conversational Interaction. In: American Journal of Sociology, 110:6, S. 1561-1597.
Hartig-Perschke, Rasco (2009): Anschluss und Emergenz. Betrachtungen zur Irreduzibilität
des Sozialen und zum Nachtragsmanagement der Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag für
Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH (im Erscheinen).
Latour, Bruno (2007): Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Suhrkamp: Frankfurt
am Main.
Malsch, Thomas (2005): Kommunikationsanschlüsse. Zur soziologischen Differenz zwischen realer und künstlicher Sozialität. VS Verlag: Wiesbaden.
Mische, Ann (2008): Partisan Publics: Communication and Contention among Brazilian
Youth Activist Networks. Princeton University Press: Princeton (NJ).
Schmitt, Marco (2009): Trennen und Verbinden. Soziologische Untersuchungen zur Theorie
des Gedächtnisses. VS Verlag: Wiesbaden. (Im Erscheinen)
White, Harrison C. (2008): Identity and Control. How Social Formations Emerge. 2nd Edition. Princeton University Press: Princeton (NJ).
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