Noch am Beginn - Ruprechtskirche

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| Dialog auf Augenhöhe |
DIE FURCHE • 43 | 22. Oktober 2015
3
DAS THEMA DER WOCHE
Wien, Stadttempel
„
Der Kardinal in der
Synagoge: Ein derartiges Bild war vor
1965 undenkbar.
Heute ist es eine interreligiöse Selbstverständlichkeit
(Kardinal Schönborn mit Oberrabbiner Eisenberg).
… darf man die Juden nicht
als von Gott verworfen oder
verflucht darstellen, als ob dies
aus der Heiligen Schrift zu
folgern ist. (Nostra Aetate 4)
“
Dialog auf
Augenhöhe
Foto: Ruprecht / Kathbild
Am 28. Oktober jährt sich die Promulgation
der Erklärung „Nostra Aetate“ zum 50. Mal.
Das Dokument des II. Vatikanums stellt
einen Meilenstein einer neuen Sicht der
katholischen Kirche auf die Religionen und
dabei insbesondere aufs Judentum dar.
Dennoch ist dies erst ein erster Schritt in eine „interreligiöse Zukunft). (Vgl. dazu auch
die Kolumne „Glaubensfrage“ auf Seite 15.)
Redaktion: Otto Friedrich
„Nostra Aetate“ markiert die katholische Kehrtwendung im Verhältnis zum
Judentum. Dennoch bleibt zwischen Christen und Juden noch viel zu tun.
| Von Otto Friedrich
B
ei der Karfreitagsliturgie 1963 in
Rom deklamierte der Diakon die
Fürbitte für die Juden „Orems et
pro perfides Judaeis … – Lasst uns
auch beten für die treulosen Juden …“. Der dem Gottesdienst vorstehende
Papst Johannes XXIII. unterbrach die Feier,
denn er hatte bereits 1959 das „treulos“ aus
der Fürbitte entfernen lassen – der Diakon
musste das Ganze noch einmal rezitieren.
Diese Episode illustriert gut, wie schwer
es auch für einen Papst war, eine neue Sicht
aufs Judentum durchzusetzen. Die Karfreitagsfürbitte kann als ein besonders für sich
sprechendes Beispiel für die fast zwei Jahrtausende währende Theologie der Verachtung der Kirche gegenüber dem Judentum
gelten. Denn auch nach der Entschärfung
durch Johannes XXIII. hieß es in der Fürbitte noch, dass „Gott wegnehme den Schleier
von ihren Herzen“, und: „Gott, du schließest
sogar die treulosen Juden von deiner Erbarmung nicht aus; erhöre unsere Gebete, die
wir ob der Verblendung jenes Volkes vor
dich bringen.“
Und erst fünf Jahre zuvor war ein besonders „perfider“ Zusatz aus den liturgischen
Anweisungen des römischen Messbuchs
entfernt worden, die – im Gegensatz zu den
anderen Fürbitten – beim Gebet für die Juden das Niederknien untersagte: „Hier unterlässt der Diakon die Aufforderung zur
Kniebeugung, um nicht das Andenken an
die Schmach zu erneuern, mit der die Juden
um diese Stunde den Heiland durch Kniebeugungen verhöhnten.“
Noch am Beginn
EINES WEGES
wichtige Vorarbeiten, auf katholischer Seite
waren das Kardinal Augustin Bea, der Leiter
des damals neuen Einheitssekretariats und
Prälat Johannes Österreicher, ein aus Wien
stammender Priester, der wegen seiner jüdischen Herkunft in die USA emigriert war.
Doch der Widerstand gegen eine Judenerklärung war groß: Zum einen – man kennt
Ähnliches von den derzeitigen Aktivitäten
des konservativen Kirchenlagers … – gab es
große Vorbehalte, der antijüdischen „Tradition“ abzuschwören, denn Tradition wurde
auch hier als eine Säule des katholischen
Christentums gesehen. Zum anderen ging
es um Politik: Insbesondere die Bischöfe aus
den arabischen Ländern fürchteten negative Konsequenzen ihrer sich im Konflikt mit
Israel befindlichen Regimes wenn das Zweite Vatikanum sich zur „Judenfrage“ äußern
sollte. Teilweise gab es auch unverhohlene Drohungen – etwa des damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser.
So wurde von einem Judenkapitel, das
zunächst im Ökumene-Dekret des Kon-
Wien, Ruprechtskirche
Auf Wiens ältester Kirche prangt zurzeit jener Text aus
„Nostra Aetate“, der jede Diskriminierung ablehnt.
Noch lang nicht alles eitel Wonne
„
Die Kirche beklagt alle ‚Verfolgungen und
Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu
irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen
die Juden gerichtet haben.‘ (Nostra Aetatae 4)
Ein äußerst schwieriger Prozess
Das alles galt 1955 immer noch, erst mit
der Konzilserklärung Nostra Aetate, die am
28. Oktober 1965 promulgiert wurde, geschah die 180-Grad-Kehrtwendung der katholischen Kirche in ihrem Verhältnis zum
Judentum (© Philipp Cunningahm, siehe
das Interview umseitig).
Aber auch die Kehrtwendung war ein äußerst schwieriger Prozess. Zwar hatte Johannes XXII. während des Krieges als Nuntius in Istanbul Freundschaft mit Juden
geschlossen und eine nicht mehr ablehnende Sicht aufs Judentum entwickelt. Und in
der Vorbereitung des Konzils kam auch bald
die Frage nach einer Neubestimmung des
Verhältnisses zum Judentum auf, der französische Historiker Jules Isaac und der aus
Europa emigrierte Gelehrte Abraham Joshua Heschel leisteten von jüdischer Seite her
zils stehen sollte, Abstand genommen. Es
ist nicht zuletzt der Diplomatie des Wiener
Kardinals Franz König zu verdanken, dass
ein eigenes Dokument über die nichtchristlichen Religionen angedacht und dann auch
beschlossen wurde: Nostra Aetate ist zwar
das kürzeste Dokument des Konzils, aber
es revolutionierte den kirchlichen Zugang
zu den Religionen insgesamt – und eben besonders zum Judentum, wobei dies ob der
genannten politischen Implikationen im
vierten Kapitel des Dokuments ein wenig
„versteckt“ wurde. In diesem vierten Kapitel der Erklärung heißt es, dass die Berufung Israels, des „Stammes Abrahams“,
unwiderruflich sei. Im Bewusstsein des
„mit den Juden gemeinsamen Erbes“ beklagt die Kirche „alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und
von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben.“
Nostra Aetate ist eines der Konzilsdokumente, das die Lefebvrianer völlig ablehnen.
Zumindest auf der intellektuellen Ebene begann sich die katholische „Umkehr“ bald bemerkbar zu machen – die Karfreitagsfürbitte
wurde völlig neu formuliert (vgl. die kursorische Darstellung auf Seite 4/5 oben), es entstanden christliche-jüdische Dialog-Institutionen, und die Päpste Johannes Paul II. (der
die Juden „unsere älteren Brüder“ nannte),
Benedikt XVI. und Franziskus engagier(t)en
sich weithin sichtbar fürs Judentum.
Von jüdischer Seite kam der Respons viel
zaghafter und später – am klarsten ist die
Erklärung von namhaften Theologen und
Rabbinern „Dabru emet – Sagt die Wahrheit“ aus 2000, in der diese jüdischen Stimmen ihre Glaubensgeschwister darauf hinweisen, wie viel sich bei den Christen in den
letzten 50 Jahren getan hat.
Zumindest die Begegnung ist unkompliziert geworden – wenn der Wiener Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg dieser Tage meinte, nach Nostra Aetate sei ein „Dialog
auf Augenhöhe“ möglich geworden, so zeugt
dies davon. Das ist auch in der theologischen
Reflexion in vielen Bereichen der Fall, wenn
es auch nicht überall angekommen ist, wie
in dem von Reinhold Boschki und Josef
Wohlmut herausgebrachten Sammelband
„Nostra Aetate 4“ nachzulesen ist, in dem
das für verschiedene theologische Fächer
und Zugänge beleuchtet wird.
“
Aber im katholisch-jüdischen Verhältnis
ist noch lang nicht alles eitel Wonne, wie
2008 die Auseinandersetzungen um die
neue Karfreitagsfürbitte für den vorkonziliaren Ritus zeigen, den Benedikt XVI. wieder zugelassen hatte, um den Traditionalisten entgegenzukommen, und für den er
statt der antijüdischen Karfreitagsfürbitte
eine neue formulierte. Diese wurde von jüdischer Seite als „Missionierungsversuch“
aufgefasst, den die jüdische Seite am Gespräch kategorisch ablehnt.
Es gibt auch massive katholische Kritik
an Nostra Aetate und einem bis heute virulenten Schweigen der Christen zum Antisemitismus, etwa im neuen Buch von Maximilian Gottschlich „Unerlöste Schatten“ (vgl.
Seite 5 dieser FURCHE).
Unterm Strich kann Nostra Aetate dennoch als Beginn eines neuen Wegs der katholischen Kirche in Bezug auf das Judentum angesehen werden. Dessen Ende ist
noch lange nicht absehbar.
Obwohl die Beziehungen der Christen
zu den Juden einzigartig sind (oder sein
sollten), so hat gerade Nostra Aetate auch
und gerade die Religionen an sich im Blick.
Im Schlussabsatz der Erklärung heißt es:
„Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe,
seines Standes oder seiner Religion willen,
weil dies dem Geist Christi widerspricht.“
Dieser Satz prangt zurzeit weithin sichtbar
an der Wiener Ruprechtskirche (Bild links)
– als kirchliches Statement gerade für die
aktuelle gesellschaftliche und politische
Auseinandersetzung.
Nostra Aetate 4
Wendepunkt im Verhältnis von Kirche und Judentum –
bleibende Herausforderung für die Theologie.
Hg. Reinhold Boschki, Josef Wohlmuth,
Schöningh 2015.
258 Seiten, kartoniert, € 36,90
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