Das Wahlsystem in der BRD Allgemeine Einführung

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Professor Dr. Rudolf Wendt
UNIVERSITÄT
Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht,
DES
Wirtschafts-, Finanz- und Steuerrecht
SAARLANDES
66123 Saarbrücken, Im Stadtwald
Tel.: 0681/302-2104, Fax: 0681/302-4779
Das Wahlsystem in der BRD
Allgemeine Einführung
Das Wahlsystem der BRD ist nicht strikt verfassungsrechtlich vorgegeben. Die konkrete
Ausgestaltung des Wahlsystems erfolgt durch einfaches Gesetz (Bundeswahlgesetz). Der
Gesetzgeber kann das Wahlsystem unter Beachtung der in Art. 38 Abs. 1 niedergelegten
Wahlrechtsgrundsätze (bzw. Grenzen) frei gestalten.
Für ein Wahlsystem kommen grundsätzlich zwei verschiedene Systeme in Betracht:
- Abgrenzung: (absolutes/relatives) Mehrheitswahl- oder Verhältniswahlrecht
Mehrheitswahl: wer die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt, gilt als gewählt; das
Wahlgebiet wird hierfür in Wahlkreise untergliedert
- Vorteil: eindeutige und klare Regelung
- Nachteil: kann dazu führen, dass im nationalen Gebiet vertretene Minderheiten nicht
oder zu stark vertreten werden
Verhältniswahl: die Anzahl der Abgeordneten richtet sich nach dem Verhältnis der für sie
abgegebenen Stimmen/ die Kandidaten stellen sich im gesamten Gebiet zur Wahl
In Deutschland: System der personalisierten Verhältniswahl – enthält Elemente der
Mehrheitswahl und der Verhältniswahl
Man differenziert bei der Wahl zum Dt. Bundestag zwischen:
• Erststimme
Das gesamte Gebiet ist in 299 Wahlkreise unterteilt, je Wahlkreis wird ein Abgeordneter
entsandt, der die Mehrheit der Stimmen erhält – Element der Mehrheitswahlrechts
• Zweitstimme
Reine Verhältniswahl; Listenwahl und Ermittlung von 598 Abgeordneten nach dem
Verfahren von Hare/Niemeyer abzgl. Der 299 Wahlkreisabgeordneten
Insgesamt somit 598 Sitze plus sog. Überhangmandate
Die bestehenden Wahlrechtsgrundsätze
Art. 38 Abs. 1 S.1 GG normiert für die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages
fünf Wahlrechtsgrundätze: Diese werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und
geheimer Wahl gewählt.
Damit werden aber nicht nur die Modalitäten der Wahl bestimmt. Es wird auch das
Demokratieprinzip des Art. 20 Abs.1, Abs. 2 GG näher ausgestaltet, da Art. 38 Abs.1 S.1 GG
zunächst voraussetzt, dass die Abgeordneten überhaupt vom Volk gewählt werden können.
Die fünf Wahlrechtsgrundsätze gelten als allgemeine Verfassungsprinzipien über den
Regelungsbereich des Art. 28 Abs.1 S.2 GG hinaus für alle Wahlen zu Volksvertretungen
sowie Volksentscheide (BVerfGE 60, 162 (167) m.w.N; str. aA Kunig Jura 1994, 554 (556)).
Professor Dr. Rudolf Wendt
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Es handelt sich bei Art. 38 Abs.1 S.1 GG nicht nur um ein objektive, sondern um
grundrechtsgleiche Rechte. Diese können, sofern es sich um politische Wahlen auf
Bundesebene handelt, mit der Verfassungsbeschwerde eingefordert werden (vgl. Art. 93
Abs.1 Nr.4a GG).
Zu beachten ist, dass sich nur Deutsche im Sinne von Art. 116 GG auf die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs.1 S.1 GG berufen können, da nur diese dem Begriff des Staatsvolkes
gemäß Art. 20 Abs.2 GG unterfallen.
Eine genauere Ausformung dieser Grundsätze erfolgt gemäß Art. 38 Abs.3 GG teilweise
durch das Bundeswahlgesetz (BWahlG).
Allgemeinheit
Definition
Allgemein ist eine Wahl, wenn alle deutschen Staatsbürger ohne Unterschied bezüglich
ihrer Rasse, Religion, ihres Geschlechts oder ihrer politischen Anschauung aktiv
(=wählen) oder passiv (sich wählen lassen) teilnehmen dürfen.
Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl bezieht sich auf das aktive und passive Wahlrecht.
Beides muss grundsätzlich allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen offen stehen. Die
Teilnahme an der Wahl darf nicht von besonderen, nicht von jedermann erfüllbaren
Voraussetzungen (z.B. Einkommen, Bildung, Höhe der entrichteten Steuern) abhängig
gemacht werden. Ferner gebietet dieser Grundsatz auch, dass der organisatorische Ablauf der
Wahl so ausge-staltet wird, dass die Teilnahme am Wahlakt allen Wahlberechtigten
ermöglicht wird.Mit diesem Grundsatz lässt sich auch die Zulässigkeit der Briefwahl (§§ 30,
36 BWahlG) rechtfertigen.
Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen
Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs.1 GG, auf welchen daher im Anwendungsbereich dieses
speziellen wahlrechtlichen Gleichheitssatzes nicht zurückgegriffen werden kann (BVerfGE
99, 1 (10)). Während Art. 3 Abs.1 GG eine Ungleichbehandlung verbietet, die nicht durch
sachgerechte Gründe gerechtfertigt ist, werden für eine Durchbrechung der Allgemeinheit der
Wahl zwingende Gründe verlangt (BVerfGE 36, 137 (141)). Als zulässig angesehen wurde
vom Bundesverfassungsgericht beispielsweise die Forderung eines bestimmten Wahlalters
(BVerfGE 36, 137 (142); 42, 312 (341)), der Sesshaftigkeit im Wahlgebiet (BVerfGE 58, 202
(205) m.w.N.), die Aberkennung der Wählbarkeit oder des Wahlrechts durch straf- oder
verfassungsrechtliches Urteil (BVerfGE 36, 137 (141)), sowie der Ausschluss von
Geisteskranken.
Auch sog. Auslandsdeutsche können gemäß § 12 Abs.2 BWahlG wählen.
Unmittelbarkeit
Definition
Eine Wahl ist unmittelbar, wenn die Stimmabgabe der Wahlberechtigten sich auf die zu
entsendenden Vertreter selbst ohne Zwischenschaltung von Wahlmännern bezieht.
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Die Unmittelbarkeit der Wahl ist als Verbot eines Wahlmännersystems zu verstehen.
Zwischen der Stimmabgabe des Wahlberechtigten und der Ermittlung der Abgeordneten darf
keine weitere Instanz zwischengeschaltet sein. Unzulässig wäre daher auch, lediglich Parteien
zur Wahl zu stellen, welche dann die Abgeordnetenwahl übernehmen würden.
Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl fordert ein Wahlverfahren, in dem der Wähler
vor dem Wahlakt erkennen kann, wer sich um ein Mandat bewirbt und wie sich die eigene
Stimmabgabe auf Erfolg oder Misserfolg des Bewerbers auswirken kann (BVerfGE 95, 335
(350); 97, 317 (326)). Nach einem Ausscheiden von Abgeordneten dürfen nur solche
Ersatzmänner nachfolgen, die bereits am Wahltag mitgewählt wurden (BVerfGE 97, 317
(323)). Eine Listenwahl ist zulässig mit den Wählern bekannten, im Voraus unabänderlich
festgelegten Bewerbern (BVerfGE 47, 253 (281)).
Freiheit
Definition
Der Grundsatz der freien Wahl besagt, dass die Entscheidung für eine bestimmte Partei
oder einen bestimmten Kandidaten frei von staatlichem, politischem oder
wirtschaftlichem Druck erfolgen muss.
Die Wahlfreiheit umfasst zunächst ein freies Vorschlagsrecht für alle Wahlberechtigten
(BVerfGE 89, 243 (251) m.w.N.). Vor allem aber wird die freie Stimmabgabe geschützt.
Der Wähler muss in einem freien, offenen Prozess zu seiner Entscheidung finden und diese
zum Ausdruck bringen können (BVerfGE 79, 161 (165)). Dies gilt auch für die
Kandidatenaufstellung in den Parteien.
Der Wähler muss gegen Zwang, Druck und alle ernstlich beeinträchtigenden Beeinflussungen
von staatlicher und nichtstaatlicher Seite geschützt werden (BVerfGE 66, 369 (380); vgl. auch
§ 108 Abs.1 S.1 StGB). Aus diesem Grunde dürfen auch in oder an Wahllokalen keine Wahlplakate angebracht werden, § 32 Abs.1 BWahlG. Ebenso ist die Veröffentlichung von
Hochrechnung vor dem Ende der Wahlzeit unzulässig,
§ 32 Abs.2 BWahlG.
Umstritten ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Wahlpflicht (für die
Verfassungsmäßigkeit bspw. Schmidt/Bleibtreu, 10. Aufl. ´04, Art. 38 Rn 20; dagegen z.B.
v. Münch/Kunig, 5. Aufl. ´01, Art. 38 Rn 39). In anderen europäischen Ländern gibt es unterschiedlich ausgeformte Wahlpflichten, so z.B. in Italien, Österreich und Belgien.
Gleichheit
Definition
Gleichheit der Wahl besagt, dass jedermann sein Wahlrecht in formal möglichst
gleicher Weise ausüben soll.
Hier ist zu unterscheiden zwischen der Zähl- und der Erfolgswertgleichheit.
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Die Gleichheit des Zählwertes besagt, dass jede Stimme bei der Zählung das gleiche Gewicht
haben muss. Jede Stimme darf nur einmal zählen („one man - one vote“). Das preußische
Drei-Klassen-Wahlrecht, das jedem Wahlberechtigten nach dem Umfang der Steuerzahlungen
zwischen einer und drei Stimmen verlieh, wäre daher grundgesetzwidrig.
Unter dem Prinzip der Erfolgswertgleichheit muss jede Stimme den gleichen Einfluss auf die
Zusammensetzung des Parlamentes haben.
Bei der reinen Mehrheitswahl wäre dies nicht der Fall, denn die auf den nicht gewählten
Kandidaten entfallenden Stimmen blieben bei der Zusammensetzung des Parlamentes
unberücksichtigt. Nach einer Auffassung soll das reine Mehrheitswahlrecht daher
verfassungsrechtlich unzulässig sein. Die hM und das BVerfG (BVerfGE 6, 84 (90)) sehen
dies anders. Die Ermächtigung des Art. 38 Abs.3 GG lasse erkennen, dass die Verfassung es
dem einfachen Gesetzgeber überlasse, sich für ein Wahlsystem zu entscheiden. Mache der
einfache Gesetzgeber von seiner Entscheidungsfreiheit Gebrauch und entscheide sich für ein
reines Mehrheitswahlsystem, so reduziere sich der Grundsatz der Gleichheit der Wahl sodann
auf die Gewährleistung des gleichen Zählwertes.
Abweichungen von diesen zwei Prinzipien sind nur in engen Grenzen zulässig und müssen
durch zwingende Gründe gerechtfertigt sein (BVerfGE 93, 373 (376); 95, 408 (418)).
Einen solchen zwingenden Grund stellt insbesondere die Funktionsfähigkeit des Parlaments
dar. Mit diesem Argument werden auch die sog. Sperrklauseln gerechtfertigt, die meist bei
5% ansetzen. Die bei Bundestagswahlen geltende 5%-Klausel besagt, dass bei der Verteilung
der Sitze im Bundestag grundsätzlich nur solche Parteien berücksichtigt werden, auf die mehr
als 5 % der abgegebenen Zweitstimmen im jeweiligen Wahlgebiet entfielen, § 7 Abs.6 S.1
BWahlG. Hierdurch soll parlamentarischer Parteizersplitterung wie zu Zeiten der Weimarer
Republik entgegengewirkt werden.
Auch müssen die Wahlkreise im Rahmen des Möglichen annähernd gleich groß bemessen
sein, da nur sich nur dann die Überhangmandate mit dem durch sie verursachten Verstoß
gegen die Erfolgswertgleichheit rechtfertigen lassen.
Das Gebot der Wahlgleichheit erstreckt sich auch auf das Wahlvorschlagsrecht, untersagt
jedoch nicht die Anforderung der Beibringung einer angemessenen Zahl an
Wählerunterschriften vor Aufnahme in die Wahllisten.
Ebenso ist das passive Wahlrecht erfasst, also Wählbarkeit und Annahme eines errungenen
Mandats. Alle Staatsbürger, auch parteilose Bewerber, müssen die gleichen Chancen haben,
Mitglied des Parlaments zu werden.
Geheime Wahl
Definition
Die Stimmabgabe ist geheim, wenn sie weder offen noch öffentlich, sondern vielmehr in
verschlossenem Umschlag und unter weiterer Sicherung der Geheimhaltung erfolgt.
Dieser Grundsatz besagt, dass jeder sein Wahlrecht so ausüben können muss, dass andere
Personen keine Kenntnis von seiner Wahlentscheidung erhalten. Er ist die wichtigste
institutionelle Sicherung der der Wahlfreiheit (BVerfGE 99, 1 (13)) und wird in § 33 BWahlG
genauer ausgeformt.Der Grundsatz der Geheimhaltung der Wahl verbietet jede offene oder
öffentliche Stimmabgabe, gleich, ob sie gezwungenermaßen oder freiwillig erfolgt. Erst
außerhalb der eigentlichen Wahlhandlung darf der Wähler seine Wahlentscheidung
preisgeben.
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Geschützt wird nicht nur die eigentliche Stimmabgabe, sondern auch die Vorbereitung der
Wahl, sodass z.B. übermäßig hohe Unterschriftserfordernisse bei Wahlvorschlägen ebenso
wie die Pflicht des Wählers, sein Verhältnis zu einer bestimmten Partei zu offenbaren, gegen
das Gebot der geheimen Wahl verstoßen können.Problematisch kann die Briefwahl sein, da
hier nicht wie in einem Wahllokal die Geheimheit der Wahl überwacht werden kann. Daher
wird verstärkt von den Möglichkeiten der §§ 8, 13, 61 bis 64 BWahlO Gebrauch gemacht und
es werden Sonderwahlbezirke gebildet und fahr-bare Wahllokale eingesetzt.
Die geheime Wahl wird durch § 107c StGB geschützt.
Literaturhinweise:
Kunig, Fragen zu den Wahlrechtsgrundsätzen, Jura 1994, 554
Lechleitner, Das Wahlsystem des Bundeswahlgesetzes, Jura 2002, 602
Erichsen, Die Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes, Jura 1983, 635
Dietlein, Examinatorium Staatsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 37ff
Saarheim:
http://www.saarheim.de/Faelle/wahlrecht-fall.htm
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