Fishing for Voters

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Fishing for Voters1
Neues Unions-Versorgungspapier, SPD-Konzept, Röslers Schweigen
Gesundheitspolitik ist längst nicht mehr nur ein Nischenthema, für das sich allenfalls
Funktionäre aus dem Gesundheitswesen, Wissenschaftler und Fachjournalisten interessieren.
Während Gesundheitspolitik früher von Arbeits- oder Sozialministern quasi nebenher
betrieben wurde, gehört sie heute zu den zentralen Politikfeldern. Geht man mit den richtigen
gesundheitspolitischen Themen an die Öffentlichkeit, lässt sich sogar die politische
Stimmung im Land ein wenig beeinflussen.
Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, weiß das.
Und er weiß auch, dass es mitunter die vermeintlichen Randthemen sind, mit denen sich aber
vortrefflich Stimmung machen lässt.
Beispiel Vierbettzimmerdebatte:
Kurz
vor
Weihnachten sorgte Spahn mit einem Vorschlag für Schlagzeilen, in den Kliniken endlich
Zweibettzimmer für alle Patienten zu schaffen, statt gesetzlich Krankenversicherte dicht an
dicht in Vierbettzimmern unterzubringen. Bei den Patienten konnte er damit punkten.
Wenige Wochen später wurde klar, dass Spahn mit seinem Vorstoß nur einen Aspekt eines
sogenannten Versorgungspapiers vorweggenommen hatte, das im Januar von der AGGesundheit der Union beraten wurde. Das Papier enthält eine Reihe von Forderungen mit
politischer Sprengkraft. In 14 Vorschlägen „für eine Reform der medizinischen Versorgung
in Deutschland“ gab Spahn einen ersten, zur Diskussion stehenden, Fahrplan für das
anstehende Versorgungsgesetz vor (vgl. gid 40 vom 20. Januar 2011). Neben Reformskizzen
für die Neuregelung der ärztlichen Bedarfsplanung enthält diese „Januar“-Papier unter
anderem auch Vorschläge zur Weiterentwicklung der vertragsärztlichen Honorare, zur
Neuregelung von Medizinischen Versorgungszentren und zur weiteren Ausgestaltung des
Paragraphen 116b SGB V. Alle diese Vorhaben sind versorgungspolitisch bedeutend, aber
viel zu kompliziert, um damit in der breiten Öffentlichkeit Akzente setzen zu können. Spahn
lenkte den Blick deshalb auf das populäre Randthema Vierbettzimmer.
Doch damit nicht genug. Weil das Versorgungspapier vom Januar bislang eher einer
Ideenskizze als einer substantiellen Reformblaupause glich, galt es, einzelne Vorschläge zu
spezifizieren. Spahn blieb sich treu und unterfütterte zunächst seine Forderungen nach
Zweibettzimmern für alle mit Inhalten. In einer „Konkretisierung des Punkts XI. des
Versorgungspapiers“ schlug Spahn am 2. Februar zwei Sanktionsvarianten vor, um für mehr
1
Quelle: Gesundheitspolitischer Informationsdienst (gid), Ausgabe Nr. 1, 16. Jg.; Nachdruck mit freundlicher
Genehmigung der Redaktion.
Zweibettzimmer in Kliniken zu sorgen: Ein Vorschlag besagt, die Zuzahlung der Patienten
von zehn Euro pro Tag entfallen zu lassen, wenn diese mit mehr als einem weiteren Patienten
in einem Zimmer untergebracht werden. Bei einer Aufenthaltsdauer von durchschnittlich
sieben Tagen und einem durchschnittlichen Fallwert von 2.900 Euro würde die Vergütung des
Krankenhauses um etwa zwei Prozent reduziert. Ein zweiter Vorschlag sieht vor, dass
Krankenhäuser, die Patienten in Zimmern mit mehr als zwei Betten unterbringen, einen
Abschlag auf die Vergütung erhalten. „Demnach erhielte das Krankenhaus pro Tag, an dem
ein Patient mit mehr als einem weiteren Mitpatienten das Zimmer teilen muss, einen Abschlag
von z.B. ebenfalls zehn Euro pro Tag, maximal 280 Euro pro stationärem Aufenthalt“, heißt
es in dem Papier.
Spahn konkretisierte zudem Pläne, durch neue Regelungen im SGB V die Wartezeiten auf
Facharzttermine zu reduzieren. Auch das sollte bei den gesetzlich Versicherten gut
ankommen. Zwar heißt es dazu in dem Papier: „Eine praktikable Detailregelung läßt sich
bundesgesetzlich einheitlich sinnvoll kaum erfassen.“ Doch soll der Bund nach diesem Papier
die Voraussetzungen für solche Detailregelungen schaffen. Der Gesundheitspolitiker schlug
vor, im SGB V vorzugeben, dass die Krankenkassen für ihre Versicherten ein
Terminmanagement anbieten müssen. Entsprechende Vereinbarungen inklusive möglicher
Sanktionen könnten sie mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und Verbünden von
Leistungserbringern schließen.
Spahn hatte mit seinem 14-Punkte-Papier nicht nur den gelben Koalitionspartner verärgert,
der zusehen musste, wie die Union noch vor ausführlichen Gesprächen mit dem
Koalitionspartner und trotz eines gelb geführten Gesundheitsministeriums die Inhalte des
neuen Reformgesetzes medial besetzte. Der CSU wurde es mit der ambitionierten
„Konkretisierung“ denn auch zu bunt, so dass Spahns CSU-Kollege, der arbeits- sozial- und
familienpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Max
Straubinger, über ein bundesweites Medium sein deutliches Missbehagen über die
krankenhauspolitischen (Ab-)Wege Spahns kundtat.
Auch in den Ländern konnte diese „Konkretisierung“ nur auf interne Kritik stoßen, denn dort
erfährt man den Unmut der Krankenhäuser noch unmittelbarer als im Polit-Moloch Berlin.
Viele Krankenhäuser fürchten mit derart apodiktischen Regelungen so genannte
„Belegungsschwankungen“ in Spitzen-Zeiten nicht mehr ausgleichen zu können. Auch ein
Einnahmeproblem sehen sie bei Wegfall der Wahlleistung „Zwei-Bett-Zimmer“, denn im
Zeitalter von internetfähigen Laptops und Mobiltelefonen spielt eine Zimmerausstattung mit
Telefon und Fernseher als „Luxusmerkmal“ für PKV-Zusatzversicherte praktisch keine Rolle
mehr.
Mit „Bearbeitungsstand vom 10. Februar“ liegt nun eine neue Fassung des Spahn´schen
14-Punkte-Papier vor. Wenige Sätze sind gestrichen, einige wenige Passagen eingefügt, eine
Überschrift neu gewählt. Es trägt weiterhin den Titel „Das Angebot vom Bedarf des Patienten
her gestalten – 14 Vorschläge für eine Reform der medizinischen Versorgung in
Deutschland“. Das Papier endet aber abrupt nach Punkt zehn. Danach folgt der Hinweis,
dass dieses Dokument eine Zusammenführung und Diskussionsgrundlage der bisherigen
Vorstellungen der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu einem
Versorgungsgesetz bilden soll - dieser Hinweis befindet sich in der Erstfassung noch am
Anfang.
Nicht mehr dabei ist derzeit – besagter brisanter Punkt XI. zu Vierbettzimmern und
Terminvergabe sowie Vorschläge für Regelungen zu Schönheitsoperationen (XII.), zur
zahnärztlichen Versorgung (XIII.) sowie „XIV. Das Verhältnis von Kollektiv- und
Selektivvertrag“. Wahrscheinlich sollen nicht alle diese Punkte entfallen, aber zunächst
einmal will sich das neue Papier wohl auf sichererem Terrain bewegen. Einen hässlichen
Bruder-Zwist innerhalb der Union werden die Schwesterparteien im Moment tunlichst
vermeiden. Schließlich werfen die Landtagswahlen ihre Schatten voraus.
Wen wundert es da noch, wenn im Vorspann des modifizierten Versorgungs-Papiers der
Union zwei Passagen eingefügt sind, die insbesondere vulnerable Punkte der Ärzteschaft
heilend aufnehmen:
„Leitidee unserer Überlegungen und Vorschläge ist die Verbesserung bzw. der Erhalt der
freiheitlichen Ausübung des Arztberufes und der Diagnose- und Therapiefreiheit. Die
gesetzlichen Vorgaben müssen daraufhin überprüft werden, wo es ein zuviel an Bürokratie,
Standardisierung,
Richtlinien,
Richtgrößen,
Vorgaben
zu
Mindestmengen,
Qualitätssicherungsvorschriften, Budgets, Bedarfsplanung und andere Vorschriften gibt.“
„Der Arzt muss den Kopf frei haben. Nur dann kann er sich auf seinen Patienten einlassen.
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient braucht den ganzen Arzt. Die nach wie vor hohe
Verantwortung bei der Ausübung dieses Berufs braucht die Freiheit. Schließlich tragen am
Ende Patient und Arzt persönlich die Konsequenzen und nicht die Leitlinie, die
Dokumentation oder der Gesetzgeber. Leitlinien und Dokumentation müssen daher auf ein
vernünftiges, die Heilkunst nicht einengendes Maß beschränkt werden. Der freie Beruf des
Arztes muss wieder ermöglicht und geschützt werden.“
Eine Zielrichtung dieser emphatischen Formulierungen scheint eindeutig: Konnte die FDP bei
der vergangenen Bundestagswahl im Gesundheitsbereich, insbesondere bei der Ärzteschaft,
eine überaus reiche Ernte in ihre Scheune fahren, scheinen Spahn und sein Gefolge fest
entschlossen, der großen Zahl der Enttäuschten eine neue Heimat geben zu wollen. Die
obigen Aufzählungen sind dazu geeignet in ihrer Inkonkretheit ein Feuerwerk an positiven
Assoziationen bei den angesprochenen Gruppen auszulösen.
Der den Krankenhäusern zugeneigte Passus eines Promotens des § 116b SGB V in
unterversorgten Regionen ist in dem neuen Versorgungspapier noch erhalten, allerdings hat
man
die
krankenhausfreundliche
Bevorzugung
der
Institutsermächtigung
vor
Einzelermächtigungen gestrichen. Im II. Punkt, der „Einheitliche Rahmenbedingungen und
Vergütungen
an
der
Sektorengrenze“
behandelt,
wird
die
Unabdingbarkeit
niedergelassener Fachärzte bei der flächendeckenden fachärztlichen Versorgung besonders
hervorgehoben. „Die Angebote der niedergelassenen Ärzte und Krankenhäuser ergänzen sich,
von „Doppelstrukturen“ zu reden, führt an der Realität vorbei.“ Bei geltenden
Mindestmengen soll laut dem modifizierten Vorschlag die Beaufsichtigung eines Arztes bei
Operationen im Rahmen von Aus- und Weiterbildung Berücksichtigung finden. Vielleicht
aufgrund einer aktuellen Entscheidung im einstweiligen Anordnungsverfahren des
Landessozialgerichts
Berlin-Brandenburg bzlg.
Mindestbehandlungsfallzahlen
in
der
Behandlung von Früh- und Neugeborenen spricht das Papier davon, dass „Mindestmengen
nur in den Bereichen als Qualitätsindikator gewählt werden sollen, in denen die entsprechen
Korrelation von Menge und Qualität wissenschaftlich belegt ist“.
Punkt III im modifizierten Versorgungspapier, ist schon durch die Wahl der neuen
Überschrift „Bessere Steuerung der Versorgung“ „ärzteschaftsfreundlicher“ geworden. Die
vormalige Überschrift lautete „III. Abbau von Überversorgung und Fehlsteuerung“. Dort gibt
es nun den spektakulären Vorschlag, dass „Zulassungen für unterversorgte Gebiete mit
dem Versprechen verbunden werden können, nach einer Zeit von mindestens fünf Jahren in
einen eigentlich gesperrten Bezirk wechseln zu können“. Damit sei die Entscheidung zur
Niederlassung in einer unterversorgten Region nicht wie bisher eine unabänderliche
Lebensentscheidung (Anm.: Hervorhebung durch die Redaktion). Das dürfte die
Krankenkassen garnicht erfreuen.
Die SPD hat durch Spahns Mediendominanz die Nerven verloren. Sie hat versucht, nicht
durch Auseinandersetzung, sondern durch noch spektakulärere Themenbesetzung die
Union gleichsam vom Aufmerksamkeits-Feld zu stoßen. Fast zu spät ist ihr aufgefallen, dass
die Vorschläge landespolitisch kontraproduktiv sein könnten. Deshalb wurde der von ihr
zum Versorgungsgesetz entworfene und mehrfach modifizierte Gegenvorschlag eines
„Qualitätsverbesserungsgesetzes“ bislang immer noch nicht von ihrer Arbeitsgruppe
Gesundheit beschlossen und nach Bekanntwerden mancher Vorschläge öffentlich schon
entsprechend zurückgerudert. Um das Spahn-Papier zu toppen, sollte beispielsweise eine
unangemessene Wartezeit eines GKV-Patienten auf einen ambulanten Arzttermin eine
Geldbuße bis zu 25.000 Euro nach sich ziehen können. Und als ob der SPD gerade derzeit
auf die Länder verzichten könnte, wurden mutig Entgeltabschläge für die über zwei Betten
hinausgehende Mehrbettzimmerversorgung in Krankenhäusern vorgeschlagen sowie in einem
jüngeren Entwurf zusätzlich eine „sichere Rechtsgrundlage“ für vom Gemeinsamen
Bundesausschuß beschlossenen Mindestmengen für die Versorgung von untergewichtigen
Früh- und Neugeborenen formuliert. Die SPD-Führung, die Gesundheitspolitik zum
Wahlkampfthema erhoben hat, konnte, im Gegensatz zu den Fachgenossen, wohl auch die
Brisanz nicht erkennen. Erstaunlich ist der Faux Pas trotzdem, sind doch ehemalige
Fahrensleute von Ulla Schmidt, nämlich Franz Knieps, damals Abteilungsleiter
Krankenversicherung im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie der ehemalige
Leiter für Grundsatzfragen im BMG, Ulrich Tilly, offizielle Berater der SPD-Führung.
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler, der derzeit sehr aktiv ist, könnte sich entspannt
zurücklehnen und zuschauen, wie schwarz-rot sich an dieser Stelle verkämpft. Sowohl Rösler
als auch die Grünen geben sich bezüglich des Versorgungsgesetzes auf Bundesebene seltsam
wortkarg. Beide werden nicht in den argumentativen Strudel hineingezogen werden wollen,
dem sich Union oder SPD damit gegebenenfalls bei den Landtagswahlen aussetzen. Das
BMG sucht lieber direkten Kontakt mit den Ländern.
Rösler könnte auch auf die Idee kommen, Jens Spahn mit seinem Versorgungspapier
auflaufen zu lassen, sozusagen aus der Not des Zu-Spät-Aufschlagenden eine Tugend des
Bewußt-Reflektiert-Abwartenden machen. Er steckt aber auch in einem Dilemma, das
übrigens nicht zuletzt auch Merkels Kalkül gewesen sein wird, als sie der FDP dieses
schwierige Ressort überließ: Bundespolitisch Negatives könnte in erster Linie seinem Haus
und vor allem der FDP angelastet werden. Auffällig ist auch das beredte Schweigen von
Angela Merkel, die sich zu Ulla Schmidts Zeiten, immer wieder offensiv solidarisch mit
ihrer SPD-Ministerin zeigte und mit unerbittlicher Härte die oftmals rebellierenden
Gesundheitspolitiker ihrer eigenen Fraktion in Schmidts Politik hineinzwängen ließ. Eines hat
der jetzige Gesundheitsminister offensichtlich internalisiert: Noch einmal wird er sich nicht,
wenn er es irgend vermeiden kann, in eine für ihn schädliche Politik hineindrängen lassen.
Auch der Verweis auf den Koalitionsvertrag dürfte bei Rösler nicht mehr zu einem für ihn
abträglichen Handlungszwang führen.
Die Union muss darauf achten, dass aus dem Zündeln kein unbeherrschbares Feuer wird. Die
Umschmeichelten werden die versprochenen Pfründe einfordern. Röslers öffentliches
Schweigen dürfte auch ein Indiz dafür sein, dass er sich bei dem bunten Strauß der UnionsVorschläge nicht auf die Rolle eines Nein-Sagers festlegen lassen wird, dem dann nur noch
zukommt, auszuwählen, welche Blume eingepflanzt werden darf und ergo, welche vernichtet
werden sollte.
Allerspätestens vor der Bundestagswahl werden die Verbände und Vereinigungen das
„outcome“ dieser Regierung diskutieren. Und es mag zwar der alte Politiker-Leitsatz gelten,
dass einen das Geschwätz von gestern herzlich wenig kümmert, doch die Beteiligten haben
ein Elefanten-Gedächtnis, weil sie die Auswirkungen gesundheitspolitischer Regelungen
konkret spüren und in Begründungszwang gegenüber ihrer jeweiligen „Klientel“ geraten. Für
das Gemeinwohl wäre es allemal besser, wenn die Regierungsparteien versuchten, konstruktiv
zusammenzuarbeiten. Doch schon an der Novellierung der Hartz-IV-Gesetze zeigt sich
derzeit, dass im Rahmen sich wandelnder Mehrheitsverhältnisse via Bundesrat die Konturen
von Regierung und Opposition verschwimmen.
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