Gattungstheorie in der Populärmusikforschung

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Gattungstheorien in der
Popmusikforschung
Kategorien, Genres, Stile
Übersicht
Die Notwendigkeit von Kategorien
Welche Arten von Kategorien gibt es?
Kategorien in der Musik:
Genre
Stil
Zusammenfassung
Ohne geht nicht...
Das Denken und Sprechen über Musik
ist untrennbar mit Begriffen wie „Typ“,
„Stil“ oder „Genre“ verbunden.
Stets wird auf (mehr oder weniger
genaue) Taxonomien Bezug genommen.
Und warum...?
 In Kategorien fassen wir Objekte und
Geschehnisse aller Art, nach bestimmten
Kriterien zusammen.
 Sie helfen uns die Komplexität unserer
erlebten Welt zu reduzieren. > Kognitive Hilfe!
 Anders gesagt: Wir können nur mit und
aufgrund dieser Kategorien überhaupt denken!
Wie muss ich mir das vorstellen?
Perception
Empirical
cases
Cognitive
Type
Recognition
Cultural
cases
Nuclear Content
(nach Umberto Eco)
Kategorisieren - aber wie...?
Kategorisierung können sehr
unterschiedlich aufgebaut sein, je
nachdem, welchem Zweck sie dienen
sollen.
Die Große Frage:
Welche Art von Kategorisierung ist
überhaupt für Musik geeignet?
Wissenschaftliche Taxonomien
Sie ordnen Objekte wie in einem
Stammbaum hierarchisch.
Beispiel:
Spinnen sind Spinnentiere.
Spinnentiere sind Gliederfüßler.
Gliederfüßler sind Häutungstiere.
...
Wilde Kategorien (savage categories)
 Unsere Wahrnehmung funktioniert über diese
Art von Kategorisierung.
 Die Ordnung richtet sich nach der
Brauchbarkeit der Information und ihrer
Relevanz für unsere Überleben.
 Sie kann sich ständig ändern und neu
strukturieren.
 Beispiel: Spinnen sind Insekten.
Enzyklopädische Einträge
 Hier ist alles verfügbare Wissen über ein
Objekt zusammengetragen.
Es verbindet die wissenschaftliche Taxonomie
mit den persönlichen Kategorien der
Wahrnehmung und dem gesamten Wissen der
Gemeinschaft.
 Beispiel: Die Spinne ist ein Spinnentier, wird
im Volksmund allerdings auch als Insekt
bezeichnet.
Prototype
Kategorisierung anhand eines Beispiels
aus der Kategorie, das als besonders
„typisch“ gesehen wird.
Der Prototyp dient als Vorlage mit dem
alle zu kategorisierenden Objekte
verglichen werden.
Kategorisierung von Musik - wie?
Wissenschaftliche Taxonomien werden
in Spezialistenkreisen vielfach
verwendet.
Musiken
Musik
Genre
Musik
Genre Genre
Stil Stil Stil Stil
Musik
Genre
Musik
Kategorisierung von Musik - wie?
Der durchschnittliche Musikhörer
interessiert sich aber eventuell weniger
für hierarchische Strukturen, sondern
denkt vielleicht eher in Kategorien, die
völlig unabhängig sind.
R‘n‘B
Fahrstuhlmusik
Musik
Oper
Jazz
Kinderlieder
Kategorisierung von Musik - wie?
 Wir nehmen Musik einerseits als Ereignisse
einer bestimmten musikalischen Art wahr, als
auch als individuelle Ereignisse.
 Musik wird sowohl auf dem persönlichen Level
- dem cognitive type - erlebt, wie auch auf
sozialer Ebene - als nuclear content.
 Eine Kategorisierung von Musik muss beide
Aspekte verbinden.
Kategorisierung von Musik - wie?
Eine Lösung wäre allein eine
Kategorisierung, die wie
enzyklopädische Einträge alle Aspekte
der Musik berücksichtigt!
Genre - Eine Definition
»A genre is a kind of music, as it is
acknowledged by a community for any
reason or purpose or criteria.
i.e.
a set of musical events whose course is
governed by rules (of any kind) accepted
by a community.«
Genre - Ein historischer Rückblick
 Ursprüngliche Bedeutung nach Aristoteles:

„What is predicated according to the essence
of many which differ specifically.“
Genre fasst viele einzelne Dinge zusammen,
die sich jedoch untereinander spezifisch
unterscheiden.
(Beispiel: „Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier“)
Genre - Ein historischer Rückblick
Nach Aristoteles:
Die Funktion einer Sache definiert ihre
Genre.
Starke Verbindung zum Stil, da der Stil
der Funktion entsprechen sollte. (Bezug
vor allem auf künstlerisches Schaffen)
Genre in der Musik
»A set of musical events whose
course is governed by rules (of any
kind) accepted by a community.«
»Set«
 Das Genre setzt sich auch zahllosen
Elementen zusammen und kann auch „subsets“ oder „sub-genres“ beinhalten.
 Ein „sub-set“ kann ein Element mehrerer
Genres gleichzeitig sein.
 Ein musikalisches Ereignis kann daher auch
zur selben Zeit mehreren Genres angehören.
»Musical Event«
 „Any type of activity performed around any
type of event involving sound.“
 Diese sehr breite Definition von
musikalischem Ereignis ermöglicht es auch
Konstrukte die eher als „über-Genre“
verstanden werden könnten
zusammenzufassen (musikalische Systeme,
ethnologische Musik, oder auch
„terrestrische“ Musik oder „galaktische“
Musik).
»Course«
„Ablauf“ umfasst
die formalen Aspekten in der Aufführung
klassischer Musik genauso wie die
Reaktion der Fans bei einem Rock
Konzert oder die zeremoniellen DankSagungen nach der Uraufführung
zeitgenösischer Kunstmusik etc.
»Definite Rules«
Das Genre wird von klar bestimmten
Regeln begrenzt. Ohne sie wären
unendlich viele Variationen möglich und
die Grenzen blieben völlig unklar.
Es gibt verschiedene Arten von Regeln,
die ein Genre definieren.
Arten von Regeln
Formale und technische Regeln
Semiotische Regeln
Verhaltensregeln
Soziale und Ideologische Regeln
Ökonomische und juristische Regeln
Hyper-Regeln bzw. Ideologien
Formale und Technische Regeln
 Typische Form
 Typischer Stil
 Aufführungs-Techniken
 Instrumentale Besonderheiten
 Regeln zum Text/ Text-Musik-Verhältnis
 Notensysteme
 Das Können der Musiker
 Konzept der musikalischen Zeit
 Gewichtung der Wichtigkeit bestimmter Teile
Semiotische Regeln
 Unterschiedliche Kommunikations-Funktionen,
die bei verschiedenen Genres stärker betont
werden.
Beispiel:
emotionale - Filmmusik
imperative - Tanzmusik
phatische - Hintergrundmusik
meta-linguale - Avantgarde
poetische - Prog Rock, Chanson D‘Autore
Semiotische Regeln
(außerhalb der Musik)
„Spacing“ - Die räumlichen
Begebenheiten und Konventionen in
einem Genre weisen ebenfalls auf die
Bedeutung der Musik hin.
Gestisch-mimische Kodes
Regeln im Bezug auf Mode & Dress
Code
Verhaltensregeln
Konversationsregeln
Rituale
„Ernsthaftigkeit“ der Musiker
Soziale und Ideologische Regeln
Soziale Strukturen im Genre
Soziale Bedeutung des Genres eventuelle Verknüpfung von Genre und
sozialer Klasse oder Altersgruppen
Soziale und Ideologische Überzeugung
im Genre
Ökonomische und juristische
Regeln
Regeln die größtenteils schon zu
Gesetzen wurden (Urheberrecht etc)
Finanzielle Aussichten und Erwartungen
die sich mit einem Genre verknüpfen
„Hyper-Regeln“ bzw. Ideologien
So genannte „Hyper-Regeln“ setzen die
Hierarchie der einzelnen Regeln eines
Genres fest. Sie bilden eine Art Ideologie
eines Genres
»Community«
 Die Musik-Gemeinschaft umfasst mehr als nur
das „Publikum“ - keine Knüpfung an
physische Präsenz etc.
 Unterschiedliche Rollenverteilungen innerhalb
unterschiedlicher Genre
 Andere Fragen:
Mit welchem Nutzen formt sich die
Gemeinschaft? Gibt es Parallelen/
Verbindungen zur Gesellschaft?
»Codification«
 Ein neues Genre basiert stets auf den Regeln
eines älteren. Das neue Genre bildet sind
somit größtenteils durch den Verstoß gegen
„alte“ Regeln. Aus diesen Verstößen
entstehen durch „Codification“ die neuen
Regeln. Sie werden als Codes in das neue
Genre übernommen.
 „Codification“ stellt somit der Veränderung von
Genres in der Zeit dar.
Bewusstsein von »Codification«
 Man kann Codes lernen ohne sie analytisch
zu verstehen, aber Analytisches Verständnis
hilft dem Lernen.
 Es gibt „reicher“ und „ärmere“ musikalische
Codes.
 Je „reicher“ ein Code ist, desto mehr
Variationen ermöglicht er. - mögliche längere
„Herrschaft“ des Genres.
 Sind die Mitglieder der Gemeinschaft sich der
„Codification“ bewusst?
Genre - noch mal allgemein...
 Die Regeln, die ein Genre definieren können
sich sowohl auf musikalische, wie auch auf
außermusikalische Faktoren beziehen.
 Die Hierarchie der Regeln drückt sich in der
Ideologie des Genres aus.
 Das Konzept eines Genres kann
Kommunikation beschleunigen, genauso wie
beinahe völlig zum Erliegen bringen.
Stil - eine Definition
„A recurring arrangement of features in
musical events which is typical of a
individual (composer, performer), a
group of musicians, a genre, a place a
period of time.“
Das bedeutet...
 Stil kann sich sowohl auf die individuell Arbeit
als auch auf ein ganzes Genre oder einen
Zeitraum beziehen.
 Stil ist „die Art und Weise wie...“
 Es bezieht sich allein auf die musikalischen
Aspekte des Ereignisses (muss aber deshalb
keine Untergruppe von Genre sein)
 Es hat eine stärkere ästhetische Konnotation.
Der Unterschied zwischen
Stil und Genre
 „In the end, the difference between genre and
style remains in the wider scope of genre,
which accounts for „non-musical“ properties;
both genre and style can be articulated at
different levels, covering just the nuclear
content and basing on prototypes, (...) or
expanding over the molar content.“
 „Genre is closer to common musical
competence while style is closer to a more
elaborated musical competence“
Zusammengefasst...
 Kategorien wie Genre and Stil sind wichtig um
überhaupt mit der Informationsflut fertig zu
werden.
 Zur Definition eines Genres gehört sehr viel
mehr als nur ein Blick auf den musikalischen
Klang.
 Sowohl Genre als auch Stil entstehen sowohl
durch individuelle Kategorisierung von
Eindrücken, als auch auf sozialer oder
globaler Ebene.
Literatur
F. Fabbri: Browsing Music Spaces:
Categories And The Musical Mind
(1999).
F. Fabbri: A Theory Of Musical Genres:
Two Applications (1982).
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