Klaus Koch

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Klaus Koch
Wahrheit und Toleranz „ ... anbeten im Geist und in der Wahrheit“
Predigt über Johannes 4,1-27 am 24.7.2005 in der Cantate-Kirche Duvenstedt
Jesus hat seine frommen Zeitgenossen wieder und wieder provoziert durch ein Verhalten,
dass sie als Frevel gegen die Religion und das Gesetz Gottes empfunden haben. So hat Jesus
sich nicht gescheut, am Sabbattag wirksam zu werden und Kranke zu heilen und seinen
Jüngern erlaubt, Ähren abzurupfen, obwohl nach jüdischer Auslegung der zehn Gebote jede
aktive Handlung am siebten Tag eine große Sünde ist. Oder Jesus hat die minutiöse
Unterscheidung zwischen Speisen und Getränken, die „koscher“ sind und allein zum Genuß
erlaubt sind, und anderen, die den Menschen unrein machen und verboten sind, - eine für
jeden Juden noch heute unerlässliche Vorschrift – für irrelevant und Widerspruch gegen
Gottes Schöpfung erklärt.
In dem eben verlesenen Text wird von einem Verhalten erzählt, dass fromme Juden
vielleicht noch mehr empört haben wird. Jesus begegnet einer Samariterin und nimmt das
Gespräch mit ihr auf, ja trinkt aus deren Wasserkrug. Ein echter Jude hätte damals keinen
freiwilligen Kontakt mit einem Samariter aufgenommen, ihm nicht die Hand gegeben, nicht
mit ihm gegessen oder getrunken. Wenn er von Galiläa im Norden nach Juda im Süden
gereist ist, hat er den direkten Weg über die Provinz Samaria und ihre Hauptstadt Sichem
vermieden und lieber einen weiten Umweg über das Ostjordanland gemacht, um solchen
Menschen nicht zu begegnen.
Wer waren die Samariter und warum waren die Juden so böse auf sie? Um das zu verstehen,
ist ein kleiner Ausflug in die Geschichte nötig. Der Name Samariter ist von der Stadt Samaria
abgeleitet, die seit etwa 900 v.Chr. die Hauptstadt eine Königreiches (Nord-)Israel gewesen
ist. Damals war es zu einer Reichsspaltung gekommen in dem Einheitsstaat über die 12
Stämme Israels, über die Könige wie David und Salomo regiert hatten. Nur der Süden blieb
als Königreich Juda dem Haus Davids treu. Die 10 nördlichen Stämme aber gründeten einen
eigenen Staat, der freilich 722 von der assyrischen Großmacht besiegt und als Provinz
Samaria annektiert wurde. Aus der israelitischen Volksgruppe wurden nun die Samariter. In
dieses im mittleren Palästina gelegenen Gebiet sind in den folgenden Jahrhunderten
Immigranten aus den östlichen Nachbarländern eingewandert und integriert worden. Der
südlich um Jerusalem verbliebene Reststaat Juda wurde erst 150 Jahre später von den
Babyloniern unterjocht und konnte danach seine Eigenart stärker bewahren als die ehemaligen
Brüder im Norden.
Die politische Spaltung zwischen Juda und Israel/Samaria hat sich nicht nur politisch bis in
die Zeit der römischen Besetzung, also die Zeit Jesu, aufrecht erhalten, sondern hat im Lauf
der Zeit auch zu einer wachsenden religiösen Sonderung geführt. Jede der beiden
Volksgruppen war überzeugt, allein das wahre Israel zu repräsentieren und das Erbe
Abrahams und Moses zu pflegen. Doch die Samariter haben allein die fünf Bücher Mose als
heilige Schrift anerkannt und den Berg Garizim bei Samaria, auf dem schon Mose Segen und
Fluch hatte verkünden lassen, als die einzige von Gott ausgewählte heilige Stätte für
Gottesdient und Opfer angesehen Nur die hier amtierenden Priester galten als die legitimen
Nachfahren das Aaron, des Bruders Moses. Die Judäer haben dagegen die Stadt Jerusalem mit
dem Berg Zion, wo schon Abraham Gott verehrt hatte, zum einzigen von Gott auserwählten
Heiligtum auf Erden erklärt. Ihnen reichten die fünf Bücher Mose nicht aus, sie haben die
Bücher zur heiligen Schrift hinzugefügt, die heute in der Lutherbibel als Lehrbücher und
Propheten eingereiht sind. Mit dem Unterschied im Blick auf den heiligen Ort und die heilige
Schrift haben sich dann im Lauf der Zeit zahlreiche theologische und rituelle
Sondermeinungen und –regelungen verbunden, bis hin z.B. zu der Art, wie das große
Jahresfest am Passatag zu feiern ist und zu welchem Zeitpunkt das geschehen muß. Die
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Abweichungen der Gegenseite wurden als schlimmer Aberglaube verurteilt. Zugleich wuchs
der Haß der einen Hälfte des alten Israel auf die andere immer mehr an. Das war die Situation,
die Jesus vorgefunden hat und unser Text ausdrucksvoll veranschaulicht.
Die Samariterin ist ungemein erstaunt, dass ein Judäer zu ihr redet. Sie spricht ihn gleich auf
den religiösen Zwist an. „Unsere Väter haben auf dem Berg Garizim angebetet (und wir tun
es jetzt wie sie), ihr aber sagt, Jerusalem sei (allein) die Stätte, wo man anbeten soll.“ Jesus
antwortet ihr so, dass es ihm gelingt, eine dritte Position über den Parteien einzunehmen, von
den jede einen Alleinvertretungsanspruch für den rechten Gottesglauben erhebt und
beansprucht, allein das Erbe der Religion Abrahams oder Moses zu bewahren. Was aber
Jesus sagt, läuft nicht auf einen faulen Kompromiß oder eine simple Verdrängung: „das ist
doch egal..“ hinaus. Das jüdische Gebot, jeden Kontakt mit diesen abgefallenen Leuten aus
Sichem zu unterlassen, hat ihn nicht gehindert, ohne jedes Bedenken seinen Weg durch das
Land der Samariter zu nehmen, sich an einem ihrer Brunnen niederzulassen; er lässt seine
Jünger das Essen bei ihnen einkaufen, trinkt aus einem Gefäß, das vorher eine Samariterin
benutzt hatte, und hat keine Scheu, sich mit ihr in ein ernsthaftes Gespräch einzulassen, und
das mit einer Frau! Noch dazu mit einer, die einen ziemlich anrüchigen Lebenswandel hinter
sich hatte. Jesus versucht nicht, sie zum Judentum zu bekehren. Doch er macht ihr klar, dass
es sich bei dem tiefen Riß zwischen Nord- und Südstämmen um eine zeitbedingte
Beschränktheit des religiösen Bewusstseins und der religiösen Praxis handelt. Das kann zwar
infolge einer den Menschen angeborenen Engstirnigkeit und nationalem Eigensinn nicht
einfach für irrelevant erklärt werden kann. Der Geist Gottes ist aber am Werk, solche
Absolutheitsansprüche zu überwinden:
„Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater
– den göttlichen Vater – anbeten werden im Geist und in der Wahrheit. Gott ist Geist, und die
ihn anbeten, ie müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“
Jesus zeigt der Frau und seinen Jüngern, die dabeistehen, was Toleranz zwischen
unterschiedlichen religiösen Überzeugungen bedeutet. Er weiß, dass die Samariter des festen
Glaubens sind, dass die Bücher des Mose nur von ihnen richtig ausgelegt werden. Er greift sie
nicht an: Ihr seid Ketzer, ihr seid Ungläubige, ihr verdreht die Wahrheit der Schrift! Dennoch
hält er an seinem eigenen Glauben fest: Ihr Samariter wisst nicht, was ihr anbetet; wir aber
wissen, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.“ Die Frau antwortet nicht:
jetzt werde ich eine Jüdin! Aber sie ist überwältig von der Freiheit des Geistes, die Jesus
erkennen lässt. Und so erkennt sie seine Person als außergewöhnlich an: Du mußt der Messias
sein. In Jesus kommt in der Tat das Heil von den Juden, denn er ist jüdischer Herkunft. Das
Bekenntnis zu seiner Botschaft bedeutet aber, dass man über das Judentum ebenso
hinausgewiesen wird wie über das Samaritertum.
Was aber bedeutet diese Erzählung von der Begegnung am Jakobsbrunnen für unsere
Gegenwart? Ich denke, was Jesus damals getan und geredet hat, liefert ein bedenkenswertes
Beispiel für den weltweiten Gegensatz, der sich heute zwischen Christen und Moslems,
zwischen Kirche und Islam aufgetan hat. Er kennzeichnet die religiöse Gegenwartslage
unserer europäischen oder auch amerikanischen Gesellschaft und wirkt sich bis in die
alltägliche Lebensführung aus, etwa was die Eheschließung betrifft oder den Sportunterricht
in der Schule oder das Tragen des Kopftuchs bei den Frauen. Dennoch wage ich zu
behaupten: Das Verhältnis zwischen den beiden großen Weltreligionen unserer Tage ähnelt in
vieler Hinsicht dem Verhältnis zwischen Juden und Samariter zur Zeit Jesus. Die harten
Auseinandersetzungen, die es gegenwärtig mit islamistischen Terroristen gibt, entspringen
zwar einer anderen Moral als die einer christlichen Ethik. Der abgrundtiefe Haß dieser
Fanatiker gegen den als christlich betrachteten Westen übertrifft die damalige Feindschaft
zwischen Juden und Samariter bei weitem. Auf die meisten Zeitgenossen wirkt deshalb der
Islam und seine heilige Schrift, der Qoran, fremdartig und zutiefst erschreckend, als das
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abschreckende Gegenbild zu Jesus Christus und der Botschaft der Bergpredigt. Die
Nachrichten im Fernsehen bestätigen das scheinbar jeden Abend aufs neue.
Dennoch nötigt uns die Toleranz, die Jesus damals gegen eine andersartige Religionsform
geübt hat, den Islam nicht zu verteufeln, sondern zu versuchen, ihn zu verstehen und sein
Verhältnis zu dem Gott, den wir Christen verehren, zu seinem Geist und seiner Wahrheit, und
womöglich den Dialog mit seinen Vertretern aufzunehmen, denn die überwiegende Mehrheit
der Moslem sind keine Terroristen.
Wer einmal den Qoran in einer guten Übersetzung zu lesen beginnt, wird bald gewahr, wie
sehr die biblischen Überlieferungen die Lehre Mohammeds geprägt, ja hervorgerufen haben.
In einer arabischen Umgebung, die damals noch durch eine polytheistische Vielfalt von
Göttern und Mythen gekennzeichnet war, unternimmt es dieser Prophet, den Glauben an den
einen und einzigen Gott, den schon Abraham erkannt und geglaubt hatte, bekannt zu machen
und zum Sieg zu führen. Denn dieser Urgrund aller Wirklichkeit ist „der Barmherzige und
Erbarmende“, wie es zu Beginn jeder der 150 Suren – das ist eine Art von prophetischen
Gebeten – zu hören ist. Wieder und wieder beruft sich Mohammed auf die Tora, das
alttestamentliche Gesetz, und das Evangelium, freilich fügt er hinzu, dass Juden wie Christen
ihre heilige Schrift nicht richtig verstanden haben. Mohammed argumentiert mit der
Schöpfung der Welt durch den göttlichen Willen, verweist auf Adam und Eva, Kain und Abel,
Abraham und Josef, Mose und Aaron, David und Salomo sowie die Profeten, auch auf Hiob
als beispielhafte Moslems. Am Ende der früheren Gottesoffenbarungen steht nach Johannes
dem Täufer Jesus, Sohn der Maria, als größter Profet der Vergangenheit. Jesus hat nach dem
Evangelium verheißen, dass ein Tröster nach ihm kommen wird, er ist mit Mohammed
erschienen, dem der Engel Gabriel die Suren des Koran eingegeben hat. Was noch aussteht,
ist das Ende der Welt mit einem Jüngsten Gericht über Gerechte und Ungerechte. Das alles
aber, was die biblischen Gestalten erlebten und verkündeten, ist geschehen, um die
allumfassende hintergründige Wirklichkeit des einen Gottes zu erfassen, den Mohammed
Allah nennt, ein Wort, das der hebräischen Bezeichnung äloah für Gott im Alten Testament
entspricht.
Mohammed weiß also über die biblischen Gestalten und Geschichten weit besser Bescheid
als die meisten Christen damals und heute. Und das, obwohl er vielleicht gar nicht lesen
konnte und das alles von Juden oder Christen gehört zu haben scheint, die durch Mekka
gereist kamen. Allerdings waren es wohl zumeist Juden, denn über die alttestamentlichen
Überlieferungen weiß er weit besser Bescheid als über die neutestamentlichen. Über die
Bergpredigt hat er anscheinend nichts vernommen oder es nicht für wichtig gehalten. Seine
Ethik richtet sich vor allem am Alten Testament auf, verurteilt deshalb nicht die Rache am
menschlichen Feind, obwohl er ihr Ausmaß einschränkt, und gebietet, das Schwert in die
Hand zu nehmen, wenn es gegen die Feinde des Glaubens geht.
Aufs Ganze gesehen gibt es also einen breiten Grundstock an Gemeinsamkeiten in Bibel
und Qoran. Das verbietet es, im Islam eine heidnische Religion zu sehen und seinem Glauben
jede Wahrheit abzusprechen. Daneben gibt es auch beträchtliche Unterschiede, die auf beiden
Seiten absolut genommen werden und zur Verdammung der andern Seite führen. Insofern ist
die Sachlage ähnlich wie die zwischen Juden und Samaritern zur Zeit Jesu.
Zahlreiche Moslems wohnen heute unter uns. Es ist anzunehmen, dass es in Zukunft noch
mehr sein werden. Wir verbieten es uns zwar nicht, zu Türken in das Restaurant zu gehen und
ihre Speise und ihren Wein zu genießen, aber wir halten es in der Regel für überflüssig, nach
ihrer Religion und ihrem Glauben zu fragen, und weisen im Geheimen diese Kultur weit von
uns und unsere Kultur. Wir sollten uns fragen, ob das Beispiel, das Jesus in dieser
Geschichte gibt, und nicht eines Besseren belehrt und uns auf eine Zukunft Ausschau halten
lässt, in der der Geist Gottes unsere beiden Religionen eine tiefere Wahrheit führt, als wir
heute zu ahnen in der Lage sind.
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Jesus will Toleranz, die dem natürlichen Menschen schwer fällt. Toleranz heißt nämlich
nicht, dass jede religiöse Meinung so viel wert ist wie eine andere. Toleranz heißt, mit dem
eigenen Denken auf den andern zugehen, ihn aus seiner Geschichte heraus zu begreifen, aber
nicht einfach gutzuheißen, was er tut und denkt. Zu christlicher Toleranz gegenüber dem
Islam gehört deshalb durchaus die Frage an einen Imam, warum er seine Gebetsrezitation
beginnt: „Im Namen Gottes, des barmherzigen und allerbarmenden“ und danach in seiner
Predigt die Hörer nicht zu entsprechender Barmherzigkeit aufrufen will, sondern zum heiligen
Krieg. Für Jesus ist Liebe nicht eine Privatangelegenheit Gottes, sondern eine Verpflichtung
für jeden Menschen, der um diesen Gott weiß. Echte Toleranz gedeiht nur dort, wo der eigene
Glaube und die Wahrheit nicht unter den Scheffel gestellt wird, und dennoch der Glaube des
andern respektiert und nach der gemeinsamen Grundlage und der gemeinsamen Zukunft
gesucht wird. Wir Christen haben allen Grund, gerade heute zu bekennen: Das Heil kommt
von dem Juden Jesus.
Gott gebe uns die Fähigkeit, ihn im Geist und in der Wahrheit anzubeten und damit unserer
Gesellschaft ein Zeichen zu geben.
Amen.
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