Fakten - Borris | Hennecke | Kneisel

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TTIP: Zur Diskussion über die Streiterledigung durch internationale Schiedsgerichte
Die öffentliche Kritik an der geplanten Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft
zwischen der Europäischen Union und den USA (TTIP) wächst. Die Kritik richtet sich dabei nicht
nur gegen Hormonfleisch und Chlorhühner, sondern zunehmend auch gegen den im TTIP
vorgesehenen Investitionsschutz und die Streiterledigung durch unabhängige internationale
Schiedsgerichte.
Die öffentliche Diskussion ist geprägt von Fehlvorstellungen und Missverständnissen über die
Funktion und den Nutzen internationaler Schiedsgerichte. Wird die sachlich weitgehend
unbegründete Kritik im politischen Willensbildungsprozess nicht hinterfragt, besteht die Gefahr,
dass damit das gesamte System des Investitionsschutzes, der vor allem auch deutschen
Investoren im Ausland hilft, aufs Spiel gesetzt wird.
1.
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Kritik:
Private, demokratisch nicht legitimierte Schiedsgerichte
Regulierungsfreiheit ein, z.B. in Bezug auf Umweltstandards.
schränken
Staaten
in
ihrer
Fakten:
Schiedsgerichte schränken die Regulierungsfreiheit von Staaten nicht ein. Ihre Entscheidungsbefugnis ist in aller Regel auf die Frage begrenzt, ob aufgrund der Verletzung eines
Investitionsschutzvertrages dem ausländischen Investor ein Schadensersatz- oder
Entschädigungsanspruch zusteht.
2.
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Kritik:
Allein die Drohung mit Entschädigungsansprüchen veranlasst Staaten dazu, Regulierungsmaßnahmen zu unterlassen (sog. „regulatory chill“).
Fakten:
Diese Kritik kann in einem Rechtsstaat kein Argument sein. Auch der Staat ist an Recht und
Gesetz gebunden. Ein Staat verhält sich richtig, wenn er darauf bedacht ist, Rechtsverletzungen und daraus resultierende Entschädigungsansprüche zu vermeiden.
Die abschreckende Wirkung von Schadensersatzandrohungen besteht im Übrigen unabhängig
davon, ob Ansprüche vor staatlichen Gerichten oder Schiedsgerichten geltend gemacht
werden.
Dies zeigen anschaulich die Verfassungsbeschwerden von E.ON und RWE zur Vorbereitung
von Schadensersatzklagen wegen des Atomausstiegs. Aus dem gleichen Grund verfolgt auch
der (staatliche) schwedische Energiekonzern Vattenfall Schadensersatzansprüche in einem
Investitionsschiedsverfahren. Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe ist der deutsche
Staat in beiden Fällen ausgesetzt.
25
3.
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Kritik:
Investitionsschiedsgerichte sind nicht neutral; sie begünstigen einseitig den privaten Investor.
Fakten:
Von den bisher 274 abgeschlossenen Investitionsschiedsverfahren wurden nur 31% zugunsten
der klagenden Investoren gegenüber 43% zugunsten der beklagten Staaten entschieden. In
26% der Verfahren wurde eine Einigung zwischen den Parteien erzielt (Quelle: UNCTAD, World
Investment Report 2014 – Investing in the SGDs: An Action Plan, S. 126).
Auf die Zusammensetzung des Schiedsgerichts haben Staat und privater Investor gleichen
Einfluss. In vielen Fällen übernehmen international anerkannte und renommierte ehemalige
Richter an höchsten Staatsgerichten oder Professoren den Vorsitz. Es ist weder plausibel noch
belegbar, dass in dieser Weise zusammengesetzte Schiedsgerichte Investoren einseitig
bevorzugen.
4.
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Kritik:
TTIP und das Handelsabkommen zwischen Kanada und der Europäischen Union (CETA)
werden zwischen Rechtsstaaten geschlossen, deren nationale staatliche Gerichte einen
ausreichenden Rechtsschutz bieten. Hier besteht kein Bedarf für die Streiterledigung durch
unabhängige internationale Schiedsgerichte.
Fakten:
Rechtsstaatliche Standards werden auch in Staaten, die sich selbst als Rechtsstaaten
verstehen, nicht einheitlich umgesetzt. Beispiel: Selbst unter den Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union variiert die durchschnittliche Dauer von staatlichen Gerichtsverfahren
erheblich. In einigen EU-Staaten sind Verfahrensdauern von 10 Jahren und mehr nicht selten.
Hinzu kommt die bei Investoren verbreitete Besorgnis, dass die staatlichen Gerichte des
Investitionsgastlandes letztlich doch nicht ganz unbefangen sind, wenn es um Ansprüche
gegen das eigene Land geht.
Deshalb bestehen auch nach wie vor mit den neuen Beitrittsstaaten im Osten der EU zahlreiche
Investitionsschutzverträge. Es wird kanadischen oder US-amerikanischen Verhandlungsführern
schwer vermittelbar sein, dass sich ihre Investoren bei einem Engagement in diesen Ländern
auf das dortige staatliche Gerichtssystem verlassen sollen, während etwa ein deutscher
Investor die Option hat, seine Ansprüche vor einem internationalen Schiedsgericht geltend zu
machen.
Die Möglichkeit, bei Investitionsstreitigkeiten ein Schiedsgericht anzurufen, besteht im Übrigen
auch im Verhältnis zwischen den USA und Kanada, die im Rahmen des North American Free
Trade Agreements (NAFTA) Investitionsschutz vereinbart haben.
35
5.
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Kritik:
Investitionsschiedsverfahren entsprechen nicht rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen.
Fakten:
Schiedsverfahren entsprechen rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen. Die Gewährung
rechtlichen Gehörs ist eines der zentralen Prinzipien auch in Schiedsverfahren. Im Falle der
Verletzung dieses Prinzips kann die Aufhebung eines Schiedsspruchs bei einem nationalen
staatlichen Gericht oder bei einem ICSID Annulment Committee beantragt werden.
Richtig ist, dass es in Investitionsschiedsverfahren keine Berufungsinstanz gibt. Das verlangen
die Rechtsschutzgarantien des deutschen Grundgesetzes aber auch nicht. Der Anspruch auf
rechtliches Gehör eröffnet keinen Instanzenzug. Auch der allgemeine Justizgewährungsanspruch sichert nur den Zugang zu einem nationalen staatlichen Gericht. Ein Recht auf
mehrere Instanzen gibt es nicht.
Bei der Frage, ob in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit eine Berufungsinstanz zur Verfügung
gestellt werden sollte, sind Kosten und Nutzen eines Berufungsverfahrens abzuwägen.
6.
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Kritik:
Investitionsschiedsverfahren sind intransparent und finden abseits der Öffentlichkeit statt.
Fakten:
Dieser Kritik ist in den vergangenen Jahren umfassend Rechnung getragen worden.
Investitionsschiedsverfahren sind mittlerweile nicht weniger transparent als Verfahren vor
deutschen staatlichen Gerichten. Im Gegenteil:
Nach den UNCITRAL Rules on Transparency vom 1. April 2014 müssen der gesamte
Schiedsspruch sowie alle verfahrensrelevanten Dokumente – d.h. Schriftsätze der Parteien,
schriftliche Beweismittel, Verhandlungsprotokolle und Beschlüsse – veröffentlicht werden (Art. 3
I, II UNCITRAL Rules on Transparency).
Auch nach den ICSID Arbitration Rules werden Schiedssprüche mindestens auszugsweise
veröffentlicht (Art. 48 (4) ICSID Arbitration Rules). In aller Regel erfolgt eine vollständige
Veröffentlichung (siehe https://icsid.worldbank. org.). Überdies finden sich auf der Webseite des
ICSID häufig auch die vollständigen Schriftsätze der Parteien. Die mündliche Verhandlung in
einem Investitionsschiedsverfahren ist öffentlich, soweit keine der Parteien widerspricht (Art. 32
II ICSID Arbitration Rules).
Demgegenüber erhält in einem deutschen staatlichen Gerichtsverfahren die unbeteiligte
Öffentlichkeit keine Akteneinsicht, d.h. Schriftsätze der Parteien sind für die Öffentlichkeit nicht
zugänglich. Das Gericht kann überdies die Öffentlichkeit von mündlichen Verhandlungen
ausschließen, wenn es um den Schutz der öffentlichen Ordnung oder privater Geschäftsgeheimnisse geht (§§ 171b und 172 GVG). Ton- und Filmaufnahmen sind in mündlichen
Verhandlungen grundsätzlich nicht gestattet (§ 169 Abs. 2 GVG); ein Verbot, das die
Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nicht kennt.
Wieviel „Öffentlichkeit“ einer unbeeinflussten Rechtsprechung nützt oder auch schadet, ist eine
Frage, die sich für die staatlichen Gerichte ebenso stellt wie für Schiedsgerichte.
45
7.
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Kritik:
Investitionsschiedsverfahren nutzen vor allem klagefreudigen US-Investoren.
Fakten:
Bis Ende 2013 wurden insgesamt 568 Investitionsschiedsverfahren registriert. Hiervon wurden
nur 22% durch US-Investoren initiiert. Mit 53% wurde der Großteil der Fälle durch EU-Investoren
anhängig gemacht; von den insgesamt 299 Fällen wurden 39 Verfahren von deutschen
Investoren geführt (Quelle: UNCTAD, IIA Issues Note No. 1, April 2014, S. 7-8).
Für ausländische Investoren sind Schiedsverfahren in aller Regel nur die ultima ratio, weil sie an
langfristigen Investitionen in einem freundschaftlichen Investitionsklima im Gaststaat interessiert
sind.
8.
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Kritik:
Investitionsschiedsverfahren belasten Staaten mit hohen Verfahrenskosten. Es gibt überdies
keine einheitliche Entscheidungspraxis internationaler Schiedsgerichte im Hinblick auf die
Verteilung der Kosten zwischen den Parteien.
Fakten:
Die Kritik an der uneinheitlichen Entscheidungspraxis zur Verteilung der Verfahrenskosten wird
weithin als begründet angesehen. Ein Problem stellt hierbei dar, dass die Rechtskulturen
Kontinentaleuropas und der USA in diesem Punkt grundlegend voneinander abweichen:
Während in Kontinentaleuropa die unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens trägt, hat in
den USA grundsätzlich jede Partei ihre Kosten selbst zu tragen. Internationale Schiedsgerichte
ziehen vor diesem Hintergrund oft Kompromisslösungen in Betracht.
Dass die Kosten für die Führung solcher Verfahren vor den staatlichen Gerichten signifikant
niedriger sind als vor Schiedsgerichten, ist kaum zu erwarten; schon gar nicht, wenn der
Instanzenzug vor den staatlichen Gerichten ausgeschöpft wird. Die Kosten einer
Verfahrensführung vor den deutschen Gerichten sollten dabei nicht allein als Maßstab
herangezogen werden. Ein deutscher Investor in den USA müsste seine Ansprüche vor den
US-amerikanischen Gerichten geltend machen. Die Prozessführung vor US-amerikanischen
Gerichten ist aber sehr teuer. Außerdem hat der Investor selbst im Fall des Obsiegens keinen
Anspruch auf Erstattung seiner Verfahrenskosten.
55
9.
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Kritik:
Investitionsschiedsgerichte entscheiden nicht einheitlich.
Fakten:
Es trifft zu, dass internationale Schiedsgerichte Rechtsfragen nicht immer einheitlich entscheiden. Eine international konsistente Rechtsprechung wäre aber auch bei einer Übertragung
der Entscheidungskompetenz auf die staatlichen Gerichte nicht zu erwarten, denn die
staatlichen Gerichte eines Staates sind nicht an die Entscheidungspraxis der Gerichte eines
anderen Staates gebunden. Es fehlt an einer supranationalen Instanz, die auf internationaler
Ebene für eine einheitliche Rechtsprechung sorgen kann.
Fazit
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Deutschland gilt als Pionier bei der Entwicklung und dem Abschluss von Investitionsschutzverträgen. Sie schaffen mehr Rechtssicherheit für Investitionen im Ausland. Rechtssicherheit ist
ein Standortfaktor. Fehlende Rechtssicherheit ist ein Risikofaktor, den Investoren einkalkulieren
müssen. Durch 130 Investitionsschutzverträge ist der Schutz deutscher Investoren im Ausland
besonders weitgehend gewährleistet.
Die gegen die Streitbeilegung durch internationale Schiedsgerichte vorgetragene Kritik geht
ganz überwiegend fehl: Schiedsgerichte legen Investitionsschutzverträge nur aus, sie gestalten
sie nicht. Es gibt keinen Beleg, dass sie dies nicht in aller Regel de lege artis tun. Die
Behauptung einer Voreingenommenheit von Schiedsgerichten zu Gunsten von Investoren ist
nicht plausibel und wird durch die tatsächliche Entscheidungspraxis widerlegt.
Borris Hennecke Kneisel PartmbB Rechtsanwälte ist eine in Köln ansässige, international tätige
Anwaltskanzlei, die sich auf die gerichtliche und außergerichtliche Beilegung komplexer
wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten spezialisiert hat.
Kontakt
Dr. Christian Borris, LL.M.
Rudolf Hennecke
Dr. Sebastian Kneisel
Borris Hennecke Kneisel
Im Zollhafen 6
50678 Köln
T +49 221 716 13 000
F +49 221 716 13 009
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