ZUMINDEST THEORETISCH HANS

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»SIMPLE IS NOT EASY!«
DUKE ELLINGTON
Das ist mein Lieblingszitat zu vielen Dingen. Aber auf kaum eine Sache trifft dieser Spruch so
gut zu wie auf das neue Buch von Hans-Peter Manser. Kann man das »Drumherum« von
Musik besser erklären … ?
MMag. Gottfried Zawichowski, Musikvermittler
HANS-PETER MANSER
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»DER SCHLÜSSEL ZUM GEHEIMNIS EINES JEDEN GROSSEN KÜNSTLERS IST,
DASS ER UNERGRÜNDLICHERWEISE ALL SEINE KRAFT UND SEIN LEBEN
HERGIBT, NUR UM ZU ERREICHEN, DASS EINE NOTE DER ANDEREN MIT
ZUMINDEST THEORETISCH
NOTWENDIGKEIT FOLGT, … UND UNS DAS GEFÜHL GIBT, DASS ETWAS IN
DIESER WELT RICHTIG IST.«
LEONARD BERNSTEIN
Das vorliegende Buch von Hans-Peter Manser vollbringt etwas unglaublich Schwieriges und
Wichtiges: jungen Menschen den Schlüssel zur Ordnung in der Musik in die Hand zu geben.
Ansprechend, originell, humorvoll aber gleichermaßen fundiert und durchaus mit Tiefgang
werden die Grundlagen jenes Verstehens und Wissens entwickelt, welches uns das Gefühl gibt,
dass die Dinge in der Musik »richtig« sind … und damit die Welt!
ao. Univ.-Prof. Mag. Johannes Kretz, Komponist
MUSIKKUNDE FÜR KINDER, EINSTEIGER & NEUGIERIGE
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»Musik sollte im Allgemeinen so leicht verständlich sein wie Mozart, Schubert,
Haydn, Mahler, Schönberg, Monk, Webern, Cage, Ravel, Boulez, Basie oder Bach etc.
Sie sollte langsam & schnell, leise & laut, tief & hoch, schwer & leicht, lustig & traurig sein.
Sie sollte frei schweben & fahren und fliegen zugleich.«
Werner Pirchner (1940–2001)
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HANS-PETER MANSER
DAS IST MUSIK
ZUMINDEST THEORETISCH
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DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
INHALTSVERZEICHNIS
ZWEI FRAGEN ZU BEGINN
8 WAS IST MUSIK ?
9 WOZU BRAUCHEN WIR
MUSIKTHEORIE ?
DAS NOTENSYSTEM
DAS TONSYSTEM
50 EINLEITUNG
52 TONSYSTEME : LEGO-BAUKÄSTEN
DER MUSIK
53 DIE ZWÖLF HALBTONSCHRITTE
54 TONLEITER – WAS IST DAS ?
14 WIE KAM ES EIGENTLICH ZU
UNSEREN NOTEN ?
19 LINIEN UND SCHLÜSSEL –
DAS KOORDINATENSYSTEM
DER MUSIK
19 DIE LINIEN
20 DIE NOTENSCHLÜSSEL
27 NOTENNAMEN QUER DURCH DIE
OKTAVLANDSCHAFT
28 DAS # MIT DEM B :
56 DIE GLORREICHEN 7 : HEPTATONIK
57 DER TETRACHORD
59 UNSER DUR – EIN STÜCK KULTUR
60 TONLEITER VS. TONART
61 DUR MAL ZWÖLF : DER QUINTENZIRKEL
68 DIE VORZEICHEN
69 DIE FARBEN DER DUR-TONARTEN
74 MODI – KIRCHENTONLEITERN
77 KIRCHENTONLEITERN TRANSPONIERT
78 WIE KLINGEN KIRCHENTONARTEN ?
DIE VERSETZUNGSZEICHEN
30 DIE ENHARMONISCHE VERWECHSLUNG
31 VERSETZUNGSZEICHEN 2.0 :
DOPPELKREUZ UND DOPPEL-B
33 DAS AUFLÖSUNGSZEICHEN
80 MOLL ? TOLL !
81 DIE DUR-MOLL-PARALLELE
83 GLEICHNAMIGE MOLL-TONLEITERN
85 DIE SACHE MIT DEM LEITTON :
HARMONISCHES MOLL
34 ÜBER KURZ ODER LANG –
DIE NOTENWERTE
36 DER HALTEBOGEN
88 WIDER DEM HIATUS :
HEXACHORDE & MELODISCHES MOLL
91 DIE FARBEN DER MOLL-TONARTEN
37 PUNKTIERUNGEN
39 TRIOLEN – ZÄHL ZWEI, SPIEL DREI !
42 DUOLEN, QUARTOLEN, QUINTOLEN
45 EIN KURZER AUSFLUG IN DIE KUNST DER
SCHÖNEN NOTENSCHRIFT
95 ES WIRD NOCH BUNTER :
WEITERE TONLEITERN
95 DIE PENTATONISCHE TONLEITER
97 DIE BLUES-TONLEITER
98 CHROMATIK
100 DIE ZIGEUNERTONLEITERN
103 VON A NACH B : DIE INTERVALLE
103 REIN, GROSS, KLEIN : DIE BASICS
107 TRICKS & HILFEN ZUR BESTIMMUNG
112 INTERVALLE HÖREN UND SINGEN
114 INTERVALLE 2.0 :
VERMINDERT, ÜBERMÄSSIG, ENHARMONIK
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118 LET’S DO IT TOGETHER !
DIE AKKORDE
118 DREI-, VIER-, FÜNF- & MEHRKLÄNGE
119 DER DUR-DREIKLANG
121 DER MOLL-DREIKLANG
122 VERMINDERT/ÜBERMÄSSIG
124 DIE UMKEHRUNGEN
125 AKKORDSCHREIBWEISEN
133 DER DOMINANTSEPTAKKORD
139 DIE KADENZ
140 TONIKA, DOMINANTE & SUBDOMINANTE
141 DIE DUR-KADENZ
DIE MELODIE
190 WAS IST EINE MELODIE –
UND WAS NICHT ?
191 FORM FOLLOWS FUNCTION :
DAS SOGGETTO
193 WENIGER IST MEHR : DER TONVORRAT
194 DIE FORM
200 DAS MOTIV
204 INTERPRETATION – PHRASIERUNG
206 INTERPRETATIONSHILFEN :
DIE VORTRAGSBEZEICHNUNGEN
146 DIE MOLL-KADENZ
WOMIT WIR MUSIK MACHEN
METRUM, TAKT & RHYTHMUS
212 UNSERE STIMME – UNSER KÖRPER
152 DAS METRUM
153 TEMPOBEZEICHNUNGEN
213 DIE STIMMLAGEN
214 DER CHOR
215 GESANGSTECHNIKEN
159 DER TAKT
161 DER (UN)SINN VON TAKTEN ODER
A TRIBUTE TO OSKAR WERNER
162 DIE TAKTARTEN
218 DIE MUSIKINSTRUMENTE
219 IDIOPHONE
225 MEMBRANOPHONE
231 CHORDOPHONE
170 DER RHYTHMUS
171 EXAKTHEIT :
NOTENWERTE UND WITTGENSTEINS LEITER
242 AEROPHONE
259 ELEKTROPHONE
264 SPIELTECHNIKEN
174 DER RHYTHMUS MACHT DIE MUSIK !
175 VARIATIO DELECTAT – BETONUNGEN
176 BRAIN FOOD
177 DIE SYNKOPE
179 RAGTIME
180 FUNK
182 GEGENEINANDER ? MITEINANDER !
184 DIE HEMIOLE
186 RHYTHMISCHE VARIATION
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DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
ZWEI FRAGEN
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ZWEI FRAGEN ZU BEGINN
zwei Fragen zu Beginn
ZU BEGINN
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DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
WAS IST MUSIK?
Wenn wir das Radio einschalten oder den mp3-Player aufdrehen, dann
hören wir Musik. Toller Klang, fetter Bass, heiße Melodien, ein grooviger
Rhythmus. Auch wenn die Eltern sagen »Schalt ab, das ist doch keine Musik,
was du da hörst !«, wissen wir ganz klar, das ist Musik, und was für eine !
Wenn das Geschwisterchen im Nebenzimmer übt, dann hören wir vielleicht
eher ein Kratzen oder Quietschen, aber noch keinesfalls Musik. Stimmt doch,
oder ? Wir haben also ganz genaue Vorstellungen davon, was Musik ist.
Zu Weihnachten, zu Hause oder in der Schule singen wir Lieder, ein Symphonieorchester gibt ein Konzert, die Blaskapelle spielt Märsche, in der Oper
singen Opernsänger um ihr Leben, eine Rockband performt auf der Bühne
wie nicht gescheit, ein Gospelchor singt Spirituals usw. All das ist Musik.
Was aber ist keine Musik ? Gut, der Bruder und die Schwester, die gerade
angefangen haben, ein Instrument zu lernen, und es über ein Kratzen oder
Quietschen noch nicht hinaus geschafft haben, das hatten wir schon. Aber :
Ist das Zwitschern der Vögel Musik ? Oder der Donner ? Die einen sagen ja,
das sei die Musik Gottes, die anderen sagen nein, nur Menschen machen
Musik. Ist es dann Musik, wenn ich niesen muss oder wenn ich die Klo spülung betätige ? Nein, eh nicht, denn (solche) Geräusche sind keine Musik.
Man könnte also sagen, Musik hat mit Tönen zu tun, mit Melodien, mit
et was, das man singen kann. Da würde aber jeder Schlagwerker einwenden :
»Das kann nicht stimmen ! Ich lerne auch ein ›Musik‹-Instrument.« Und das,
obwohl ein Schlagzeug genau genommen nur Geräusche macht. Sind Geräusche jetzt doch Musik ? So kommen wir nicht wirklich weiter.
Musik kann alles sein : Geräusche, Töne, ein Knallen, eine Symphonie, ein
gewaltiges Schlagzeugsolo, Klingeltöne, Buschtrommeln, Klospülungen usw.
Der Unterschied, ob etwas Musik ist oder nicht, liegt nicht darin, was man
8
ZWEI FRAGEN ZU BEGINN
hört, sondern ob das Gehörte organisiert ist – also ob jemand ganz bewusst
all diese Geräusche und Töne zusammenstellt, indem er etwas komponiert,
improvisiert, etwas von Noten spielt oder das Ganze im Computer programmiert und damit entscheidet : was, wann, wie laut, wie hoch etc. – oder eben
ob es Zufall ist.
 Musik ist organisierter Klang.
Und die Musiktheorie erzählt, welche Möglichkeiten es dafür gibt.
So weit, so gut. Vielleicht denkst du dir jetzt, uuh !, Organisation klingt so
spannend wie Zimmer aufräumen. Wozu brauche ich das ? Dass das Zimmer
tadellos ausschaut, interessiert gerade mal die Mama. Ich fühle mich auch in
der Unordnung wohl. Und »Theorie« erst ! Das ist sicher verstaubt bis zum
Gehtnichtmehr. Deshalb müssen wir folgende Frage unbedingt klären :
WOZU BRAUCHEN WIR
MUSIKTHEORIE?
Du kannst sicher schon lesen, oder ? Blöde Frage, klar, sonst wärst du ja nicht
bis hierher gekommen. Wenn man aber nicht lesen kann, dann ist ein Buch
lediglich ein Stapel Zettel, der mit irgendwelchen Strichen und Punkten
bedruckt ist. Erst wenn man die Organisation dieser Striche und Punkte
kennt – das ist ein A, das ist ein F usw. –, erst dann kann man lesen, was darin
steht. Und womöglich kommt man darauf : »Wow ! Das ist eine spannende
oder interessante oder lustige Geschichte. Zum Glück kann ich lesen und
damit den Sinn der Geschichte verstehen. Und ich kann meinen Freunden
oder meinen Eltern von der Geschichte erzählen.«
9
DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
Sind dir im vorigen Beispiel die drei Achtelnoten mit der Ziffer »3« darunter
aufgefallen ? Das ist eine Triole.
Normalerweise spielen wir zwei Achtelnoten im Zeitraum einer Viertelnote
oder zwei Viertelnoten im Zeitraum einer Halben Note. Wenn wir aber eine
Triole spielen (drei Noten mit einer »3« darüber oder darunter), spielen wir
drei Noten im Zeitraum von zwei. Wenn wir z. B. eine Vierteltriole haben,
spielen wir drei Viertelnoten im Zeitraum einer Halben Note.
 Mit Triolen teilen wir Noten in drei gleich lange Notenwerte auf.
Hier ein paar Notenbeispiele – in der Mitte die Teilung durch 2, unten die
Teilung durch 3.
Es gibt natürlich Triolen für alle anderen Notenwerte auch : Ganze Triolen,
Zweiunddreißigsteltriolen, Sechzehnteltriolen. Aber das Prinzip ist immer
dasselbe : zähl 2, spiel 3 !
Ein großer Komponist, den das Spiel mit dem Verhältnis
2 :3 immer begleitet hat, ist Anton Bruckner (1824–1896).
Kaum ein Symphoniesatz kommt ohne diese Bausteine
aus. Hör dir den berühmten Anfang des dritten Satzes
seiner 4. Symphonie in Es-Dur »Die Romantische« an.
Welch unbändige Kraft, welch Schwung und Energie
geht da los, wenn Bruckner in Hörnern und Trompeten
diese Notenwerte gegen- und übereinandersetzt :
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DAS NOTENSYSTEM
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DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
EINLEITUNG
Kannst du dich noch an die Definition von Musik erinnern ?
Musik ist organisierter Klang.
Bis jetzt haben wir uns mit der Notenschrift beschäftigt, um überhaupt
einmal anfangen zu können, ordentlich über Musik zu reden, denn ohne
Notenschrift geht das nicht gut. Doch jetzt dringen wir langsam zu den
Geheimnissen der Klangorganisation vor, zu den Prinzipien der Musik.
In diesem Sinne : Anschnallen, festhalten, ab die Post !
Du hast sicherlich schon Musik aus dem arabischen Raum oder Jazzmusik
gehört, vielleicht auch jüdische Volksmusik oder spanische Folklore. Wenn
wir einen Film wie »Slumdog Millionaire« ansehen, wenn wir in einem
Chinarestaurant essen, auf ein gutes Rockkonzert gehen oder in der Türkei
im Urlaub sind, hören wir Musik, die völlig anders klingt als unsere eigenen
Lieder. Woran kann das liegen ? Klar, man könnte sagen, überall werden
andere Instrumente verwendet. Im arabischen Raum der Ud, der Kanoun
oder die Rababa, in China die Erhu, die HuLuSi oder die GuQin und so
weiter. Man könnte auch sagen, die Melodien sind eben anders – schön, dass
es so ist !
Natürlich ist es schön, dass es so ist. Wir wollen aber der Frage auf den Grund
gehen, warum das so ist. Wir könnten afrikanische Musik auf unseren
Instrumenten spielen, es würde dennoch afrikanisch klingen, ebenso wie
ungarische oder schottische Volksmusik immer ungarisch und schottisch
klingt, egal womit man sie spielt. Dasselbe gilt für den Blues, den Fado, den
Flamenco und so weiter. Es muss also etwas anderes als das Instrumentarium
sein.
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DAS TONSYSTEM
Probieren wir es mit der Melodie. Spiele einmal folgende Takte :
Das könnte gut und gern die Melodie eines Marsches sein oder eines Wanderliedes. Oder vielleicht stammt es aus einer Operette ? Wer weiß. Jedenfalls
klingt alles sehr vertraut.
Wir ändern zwei Töne : Das D erniedrigen wir um einen Halbton zum Des,
das A erniedrigen wir ebenfalls zum As. Nun hören wir uns an, was rauskommt :
Klingt es jetzt immer noch nach einem Marsch, einem Wanderlied oder einer
Operetten-Nummer ? Ganz sicher nicht. Jetzt klingt es viel exotischer, findest
du nicht auch ? Und das nur, weil wir zwei Töne geändert haben, nicht mehr
und nicht weniger.* Es liegt also irgendwie doch an der Melodie, warum
etwas ganz anders klingt als unsere Musik. Genauer gesagt liegt es an den
Tönen, und in welchem Abstand sie zueinander stehen.
Was da alles dahinter steckt, erfährst du, wenn wir uns mit unserem Tonsystem beschäftigen.
*
Hier muss Fairness walten : Bei obigem Beispiel handelt es sich um das hebräische Volkslied »Hava
Nagila«. Das zweite Notenbeispiel ist das Original, das erste die Bearbeitung. Es wurden also die Töne
Des und As nach D und A verschoben – nicht umgekehrt …
51
DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
MOLL? TOLL!
Wenn du dir die Prinzipien von Tonleitern und Tonarten anhand der DurTonleiter verinnerlicht hast, können wir jetzt ohne Weiteres zu den MollTonleitern weitergehen. Es ist ein neues, interessantes Gebiet, das aber
größtenteils den gleichen Regeln folgt wie die Dur-Tonleiter – und somit
sicher kein Problem für dich darstellt.
Im Laufe der Zeit sind die Kirchentonleitern dorisch, phrygisch, lydisch und
mixolydisch mehr und mehr in den Hintergrund getreten, bis sie schlussendlich im 17. Jahrhundert, also in der Barock-Zeit, vom Dur-Moll-System abgelöst wurden.
Den ionischen Modus nennen wir heute »Dur«, was vom lateinischen Wort
durum »hart« stammt. Den äolischen Modus nennen wir heute »Moll«, was
vom lateinischen Wort mollum »weich« stammt. Diese Bezeichnungen sind
natürlich genauso eine Verkürzung wie die Unterscheidung, die wir zuallererst lernen : »Dur ist lustig, Moll ist traurig.« Denn niemand kann allen Ernstes
behaupten, »Der Ritt der Walküren« aus Richard Wagners (1813–1883) Oper
Die Walküre WWV 86 B, der in h-Moll steht, sei in irgendeiner Weise weich
oder traurig, ebensowenig wie das berühmte C-Dur-Präludium BWV 846 aus
dem Wohltemperierten Klavier von Johann Sebastian Bach auch nur eine
Sekunde lang hart oder lustig klinge. So wie die Dur-Tonleitern einen breiten,
vielfältigen Bereich darstellen, bilden auch die Moll-Tonleitern einen großen
Kosmos an Farben und Möglichkeiten.
Die beiden Tonleitern Dur und Moll sind eng aneinander gekoppelt, da sie –
als Kirchentonarten – aus derselben Stammtonreihe gebildet werden können.
Du weißt ja, dass der äolische Modus auf der VI. Stufe des ionischen Modus
aufbaut. Oder anders gesagt : Die Moll-Tonleiter baut auf der VI. Stufe einer
Dur-Tonleiter auf. Das schauen wir uns jetzt genauer an.
80
DAS TONSYSTEM
DIE DUR-MOLL-PARALLELE
An folgendem Notenbeispiel siehst du zusammengefasst Dur und Moll
nebeneinander :
Folgende Sachen sind dabei wichtig:
p Dur und Moll sind heptatonische (siebentönige) Tonleitern.
p Parallele Dur- und Moll-Tonleitern verwenden dieselben Stammtöne, aller-
dings unterschiedliche Grundtöne.
p Der Grundton von Moll ist die VI. Stufe von Dur, bzw. Moll beginnt
1 ½ Ganztonschritte unter dem Grundton der parallelen Dur-Tonleiter.
(Das ist eine kleine Terz tiefer. Falls das neu ist, lies im Kapitel »Von A nach B :
die Intervalle« nach und komme dann wieder her !)
p Damit liegen bei Moll die Halbtonschritte bei 2–3 und 5–6.
p Äolisch/Moll hat keinen Leitton, denn zwischen 7–8 ist ein Ganztonschritt.
(Der Leitton liegt aber per definitionem immer einen Halbtonschritt
unter dem Grundton.)
p Wir schreiben Großbuchstaben für Dur (»C-Dur«) und Kleinbuchstaben für
Moll (»a-Moll«).
 Parallele Tonleitern benutzen den gleichen Tonvorrat. Sie haben die
gleichen Vorzeichen aber unterschiedliche Grundtöne.
C-Dur und a-Moll sind parallel, denn beide haben keine Vorzeichen. So wie
es zwölf Dur-Tonleitern gibt, können wir auch zwölf Moll-Tonleitern bilden.
Auf der folgenden Seite findest du links die Dur-Tonleitern und rechts dazu
die jeweils parallelen Moll-Tonleitern :
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DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
Und wenn man das als Komponist wollte, benutzte man meist folgenden
Trick : Wenn man nach oben spielte und den Leitton (also die erhöhte VII.
Stufe) hören, aber den Hiatus vermeiden wollte, erhöhte man einfach auch
die VI. Stufe um einen Halbton. Voilá : melodisches Moll.
Am Beispiel d-Moll sei das kurz erklärt :
Normalerweise treten diese drei Formen der Moll-Tonleiter nie getrennt auf,
sondern wechseln sich laufend ab. Manchmal braucht man einen Leitton,
dann wird er geschrieben, manchmal braucht man auch die erhöhte VI. Stufe,
dann wird auch sie geschrieben. Gelegentlich, vor allem bei abwärts gehenden
Melodieverläufen braucht man weder den Leitton noch die erhöhte VI. Stufe.
Es ist also immer ein Mischmasch.
Wenn wir streng modal musizierten, kämen wir mit der äolischen Moll-Tonleiter aus. Da wir aber ein Dur-Moll-System haben, das in seiner Wirkung
und Logik stark auf dem Leitton aufbaut, müssen wir gerade bei Tonleitern,
die keinen eingebauten Leitton haben, manchmal herumtricksen.
»Herumtricksen« ist natürlich das komplett falsche Wort, wenn man sich
anhört und ansieht, wie kunstvoll und elegant große Komponisten zwischen
Dur und Moll herumwandern, in andere Tonarten ausweichen, wie schön
und intelligent jede einzelne musikalische Linie verläuft. Da sind wir mit
unseren Begriffen »harmonisch«, »melodisch« etc. weit entfernt von der
Realität der Kunst. Aber wir haben dadurch Werkzeuge, uns diesen wunderbaren Musikstücken zu nähern, sie zu lesen und einen Hauch Ahnung zu
kriegen, wieviel Können, Kreativität und Klugheit in vielen Werken der
Musik steckt.
90
DAS TONSYSTEM
Ein wenig Ahnung davon erhält man,
wenn man sich eines der berühmtesten
und schönsten Musikstücke des 20. Jhdts
ansieht : »Yesterday« von den Beatles. Hier
erkennst du gut, wie elegant und gekonnt zwischen Dur und Moll gewechselt, wie im zweiten Takt die melodische d-Moll-Tonleiter eingesetzt wird –
und vor allem, welch wunderbare Wirkung sie in dieser Melodie erzeugt :
DIE FARBEN DER MOLL-TONARTEN
Wie schon angedeutet, sind die Begriffe »weich« und »traurig« nur ein –
wie soll ich sagen – Anfang, um sich dem Universum der Moll-Tonarten zu
nähern. Ähnlich wie bei den Dur-Tonarten haben auch die Moll-Geschwister
unterschiedlichste Farben und Möglichkeiten. Sensible Komponisten wussten das und haben die jeweils beste Tonart für ihre Vorhaben ausgewählt.
Hier also die wichtigsten Moll-Tonarten mit ihren Farben und Symbolwirkungen :
91
DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
TONIKA, DOMINANTE & SUBDOMINANTE
TONIKA
Die I. Stufe einer Tonleiter bezeichnen wir als Tonika (abgekürzt »T«).
Dieser Begriff wurde vom großen französischen Komponisten Jean-Philippe
Rameau (1683–1764) geprägt, nämlich genau zu der Zeit, als das Musizieren in
Kirchentonarten von jenem im Dur-Moll-System abgelöst wurde. Er bezeichnete den Grundton-Dreiklang als l’accord tonique (Das heißt nichts anderes
als »Akkord des Grundtons«.), daher der Name »Tonika«.
Die Tonika ist der ruhende Pol, das tonale Zentrum, in dem sich alle harmo nischen Spannungen, die auf den anderen Stufen herrschen, auflösen : das
Zuhause einer Tonart. 99,9 % aller Musikstücke enden auf der Tonika. Solange
die Tonika nicht erklingt, ist es noch nicht aus. Es ist noch zu viel Spannung
in der Luft.
DOMINANTE
Die Dominante (abgekürzt »D«), vom Lateinischen dominans »herrschend«,
ist der Name der V. Stufe einer Tonleiter. Warum ist sie der »herrschende«
Dreiklang ? Warum nicht die Tonika, der Grundton-Dreiklang ? Du kennst
die Antwort bereits : Der Vierklang auf der V. Stufe ist der im vorigen
Abschnitt beschriebene Dominantseptakkord, ein Dur-Dreiklang mit hinzugefügter kleiner Septime, D⁷.
Der D⁷-Akkord definiert die Tonart, da er glasklar auf die Tonika hinweist.
Das ist der Grund, warum die Dominante der »beherrschende« Dreiklang ist.
Denn überall, wo der D⁷-Akkord auftritt, weiß man, wo die Tonika ist. Der
bloße Dreiklang allerdings, von dem wir hier sprechen, besitzt diese Fähigkeit
nicht so ganz, darf sich aber dennoch Dominante nennen.
140
DAS TONSYSTEM
SUBDOMINANTE
So wie die Dominante eine reine Quint oberhalb der Tonika angesiedelt ist, so
liegt die Subdominante (abgekürzt »S«) eine reine Quint unterhalb der Tonika
(sub : diese lateinische Vorsilbe bedeutet »unter«). Der Akkord heißt also
»Unterdominante«. Wenn wir vom Grundton nach unten zählen, 8–7–6–5–4,
ist die IV. Stufe einer Tonleiter die Quint unterhalb des Grundtons und damit
die Subdominante.
Anders als die Dominante steht die Subdominante nicht in so großer Spannung zur Tonika. Nach der Subdominante können unterschiedliche Akkorde
folgen, ohne dass wir es als falsch oder überraschend empfinden.
Einschub : Im Handumdrehen haben wir uns ein wenig mit der Funktions-
schreibweise auseinandergesetzt. Sie ist eine Akkordschreibweise, welche die
Funktion, also die »Aufgabe« des jeweiligen Akkords innerhalb einer Tonart
definiert. Tonika, Subdominante und Dominante sind drei solcher Funktionen. Mit der Funktionsschreibweise kann man vor allem die Musik von
Barock bis Romantik gut analysieren und zeigen, wie das Spiel von Spannung
und Entspannung zwischen Akkorden funktioniert und in welche Richtung
sich die Musik bewegt.
DIE DUR-KADENZ
Jetzt aber zurück zu unserer Kadenz : Aus den Stufen I, IV und V bilden wir
seit dem 18. Jahrhundert die vollständige Kadenz. Sie funktioniert so : Wir
spielen zuerst die Tonika, dann wechseln wir auf Subdominante, also auf die
Unterquint, dann zur Dominante, der Oberquint, und beschließen wieder
141
DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
Sieh mal, wie sensibel und punktgenau Joplin die Betonungen verschiebt und
wie sich dadurch der Charakter der Musik radikal verändert, wie diese Musik
charmant, überraschend und geistreich wird :
Die vorgezogenen Noten – nur drei Stück – geben dieser Musik Esprit, Leichtigkeit und Sentimentalität. All das würde ihr ohne die Verschiebung der Akzente
fehlen. Du siehst : Es braucht Gespür und Geschmack, um an der richtigen
Stelle das Richtige zu komponieren. Zuviele Synkopen würden das Stück zu
einer Parodie verkommen lassen und damit wieder langweilig wirken.
FUNK
Eine besondere Art, mit synkopierten Rhythmen, ja
mit Rhythmus überhaupt zu arbeiten, ist der Funk. Das
ist eine Musikgattung, die sich in den 1960er Jahren
entwickelt hat. Sie lebt von diesen vorgezogenen
Akzenten und starken Beats. Das schauen wir uns jetzt
an einem kurzen Ausschnitt aus »Celebration« von Kool & The Gang an.
Links die gerade Variante des harmonischen Patterns, rechts die synkopierte,
originale Variante. Auch hier bemerkst du sofort den Unterschied …
180
METRUM, TAKT & RHYTHMUS
Das rechte Beispiel klingt schon nicht schlecht. Damit das aber richtig fährt –
es ist ja immerhin Musik von Kool & The Gang – spielt das Schlagzeug auf
den Hauptnoten (1, 2, 3, 4) starke Akzente, wodurch die Synkopierung noch
besser hervorkommt.
Doch das ist für Weltklasse-Funk noch bei Weitem nicht alles . Diese Musik
muss noch mehr zum Kochen gebracht werden ! Also kommen Hi-Hat und
Crash-Becken dazu, die das Metrum durch Achtelnoten beschleunigen :
Wenn du jetzt glaubst, das war’s, dann hast du dich getäuscht. Richtig funky
wird es jetzt durch die E-Gitarre, die in Sechzehntel-Unterteilungen noch
mehr rhythmischen Druck aufbaut und ihrerseits weitere unerwartete
Akzente in den Beat einstreut, während der E-Bass die letzten Löcher füllt .
Voilá, fertig ist unser »Celebration«-Pattern ! Hier ist alles beisammen : Synkopen, harte Beats, nervöse Gitarren-Sechzehntel. Alles gleichzeitig. Und
doch ist es nicht zuviel, sondern genau so viel, dass es groovt und rockt :
181
DAS IST MUSIK ZUMINDEST THEORETISCH
Schlägeln reicht von ganz weichen Flanellköpfen über Köpfe mit Filz-, Stoffund Korkbespannungen bis hin zu harten Leder- oder reinen Holzköpfen.
SCHLAGZEUG IN DER KLASSISCHEN MUSIK :
Hier kannst du eine kleine Auswahl an Werken finden, in denen Schlaginstrumente eine prominente Rolle spielen. Höre sie dir doch bei Gelegenheit
einmal an !
p Also sprach Zarathustra op. 30 von Richard Strauss
p Symphonie in G-Dur »Paukenschlag« Hob. I/94 von Joseph Haydn
p 9. Symphonie in d-Moll op. 125 von Ludwig van Beethoven
p Le Sacre du Printemps von Igor Strawinski
p Die Entführung aus dem Serail KV 384 von Wolfgang Amadeus Mozart
p Carmina Burana von Carl Orff (1895–1982)
p L’Heure espagnole von Maurice Ravel
p Turangalîla-Symphonie von Olivier Messiaen (1908–1992)
p West Side Story von Leonard Bernstein
p On the Waterfront von Leonard Bernstein
p Soirée Tyrolienne PWV 16 von Werner Pirchner
p Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta Sz 106 von Béla Bartók
p Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug Sz 110 von Béla Bartók
p Die Nase op. 15 von Dmitri Schostakowitsch
p Drumming von Steve Reich
p Music For Mallet Instruments, Voices and Piano von Steve Reich
p Persephassa von Iannis Xenakis (1922–2001)
p Konzert für Schlagzeug und Orchester op. 109 von Darius Milhaud
p Concerto Fantasy for two Timpanists and Orchestra von Philip Glass (*1937)
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WOMIT WIR MUSIK MACHEN
CHORDOPHONE
Als Chordophone (Das lateinische Wort corda bedeutet »Saite«.) bezeichnen
wir die Gruppe der Saiteninstrumente. Diese Gruppe umfasst alle Instrumente, die nach folgendem Prinzip funktionieren : Eine oder mehrere Saiten
werden in Schwingung versetzt. Diese Schwingungen übertragen sich an
einen Resonanzkörper. Dadurch wird der Klang verstärkt und gut hörbar.
Saiteninstrumente kennen wir seit mindestens 15 000 Jahren. Die älteste
Bauform ist der Musikbogen, welcher bis heute gespielt wird. Dieses Instrument unterscheidet sich äußerlich nicht sehr von einem Jagdbogen, denn der
Musikbogen kann auch zur Jagd verwendet werden. Wird aber einmal nicht
gejagt, steckt man sich diesen Bogen in den Mund und zupfte an der Saite.
Der Mund dient dabei als Resonanzraum und verstärkt den Klang.
Das grundsätzliche Prinzip der Chordophone ist also ganz simpel : Die
Schwingungen einer Saite werden durch einen Resonanzraum verstärkt. So
funktionieren alle Saiteninstrumente. Die Frage ist nur, wie die Saite zum
Schwingen gebracht wird. Dafür haben wir drei Möglichkeiten :
p zupfen
p streichen
p anschlagen
Nach diesen drei Arten teilen wir unsere Saiteninstrumente ein.
ZUPFINSTRUMENTE
Die Gruppe der Zupfinstrumente hat bereits eine große Geschichte hinter
sich. Schon die antiken Hochkulturen kannten diese Instrumente. Apolls
Kithara, die Lyra des Hermes, die Harfe König Davids oder Troubadix’ Leier
zeugen von einer großen Geschichte und Vielfalt dieser Instrumentengruppe.
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