Welche Werte halten Sie hoch?

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sonntag
TIROLER
Kirchenzeitung der Diözese Innsbruck
Vom Aufgang der Sonne bis
zum Untergang sei der Name
des Herrn gelobt.
PSALM 113
19. September 2013 I Nr. 38 I Zum 25. Sonntag im Jahreskreis I € 1 I Tel. 0512/2230-2212
ROSENKRANZ
Welche Werte
halten Sie hoch?
Mehr zur Nationalratswahl auf den Seiten 3-5, 20.
A
ltmodisch? Frauen tragen
eine Statue der Gottesmutter. Sie zeigen, welche Werte sie
hoch halten. Bei der Prozession in Erinnerung an die heilige Notburga sind vergangenen
Sonntag hunderte Gläubige so
über die Wiesen des Achentales gezogen. Und in Österreich?
Eine Frage, die sich am Tag der
Nationalratswahl stellt. Welche
Werte zählen in unserem Land?
Wer soll das Sagen haben?
Der Tiroler Sonntag hat Kriterien gesammelt, die für eine Wahl
entscheidend sein können. GR
2 Meinung
KOMMENTAR
19. September 2013
Danke, Franziskus
Umgeben von
Kunststoff
Immer wieder gibt es deshalb
Menschen, die versuchen,
ohne Plastik im Alltag auszukommen. Das kann man sich
nur schwer vorstellen, wenn
man sich überlegt, wo der Stoff
überall eingesetzt wird. Er ist ja
aus unserem Leben nicht mehr
wegzudenken. Um so ein Experiment durchzuführen, heißt es
zunächst, alle Gegenstände aus
Plastik zu notieren und sich
zu überlegen, wie sie ersetzt
werden könnten mit anderen Materialien. Anstatt eines
Plastikkochlöffels oder eines
-spielzeugs könnten entsprechende Gegenstände aus Holz
verwendet werden. Bei Kleidung und Schuhen kann man
auf Baumwolle und Leder zurückgreifen. Anstatt Plastikflaschen nimmt man in Zukunft
Glasflaschen, beim Einkaufen
ein Papiersackerl. Dazu ist Bewusstseinsveränderung nötig.
Immer noch. Einen Versuch
wäre es vielleicht dennoch einmal wert. Um die Umwelt zu
schonen. Richtiges Recyceln,
damit Kunststoffabfälle wiederverwertet werden können, ist
natürlich auch ein guter Weg.
SUSANNE HUBER
Das war ein gutes erstes halbes Jahr, seit aus
dem hierzulande den meisten unbekannten
Jorge Mario Bergoglio Papst Franziskus geworden ist. Eine kaum mehr erhoffte Offenheit ist in die Kirche eingekehrt. Auch wenn
sich Franziskus – wie Kardinal Kurt Koch
meinte – in seinen theologischen Aussagen
von seinem Vorgänger gar nicht so sehr
unterscheidet, so entstand doch eines neues,
hoffnungsvolles Klima. So empfinden es viele: Nicht die Kommandobrücke ist der Platz,
von dem aus er agiert, sondern die Mitte
des Volkes. Wenn sein neuer Staatssekretär
Pietro Parolin das Zölibatsgesetz nicht als
Tabu betrachtet, sondern vom Priestermangel als einem Problem spricht, das Lösungen
braucht, so ist damit ein Damm gebrochen.
Es ist gut, wenn Christinnen und Christen
sich mit ihren Sorgen zu Wort melden.
Die Welt mit ihren gewaltigen Spannungen
braucht Christen, denen mehr am Wohl
der Menschen gelegen ist, als dass sie sich
von der Angst um eine Verletzung der
Kirchendisziplin leiten lassen. Zugunsten
des Nächsten darf man viel riskieren.
Mit der Öffnung allein ist nur eine Tür aufgestoßen – durch die man auch gehen muss.
Was hilft eine offene Kirche, wenn die Menschen ihre Herzen verschlossen halten?
MATTHÄUS FELLINGER
REDAKTEUR
MATTHAEUS.FELLINGER@
KIRCHENZEITUNG.AT
KOPF DER WOCHE: KLAUS SAMBOR, RUNDER TISCH GRUNDEINKOMMEN
Für ein sozialeres Europa
Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist
„ein Menschenrecht“, sagt Klaus Sambor.
Seit vielen Jahren macht sich der Attac-Mitarbeiter für ein sozialeres Europa stark und
koordiniert die Europäische Bürgerinitiative
„Bedingungsloses Grundeinkommen“.
SUSANNE HUBER
KLAUS SAMBOR
T-Shirts, Turnschuhe, FlipFlops, Teigschüsseln, Wasserkocher, Kugelschreiber,
Getränkeflaschen, Zahnbürste,
Duschgel, Schnuller, Luftmatratze, Handy, Auto, et cetera,
et cetera. All diese Produkte haben eines gemeinsam: sie sind
oder bestehen zu einem mehr
oder weniger großen Anteil aus
Plastik. Der Dokumentarfilm
„Plastic Planet“ des österreichischen Regisseurs Werner Boote,
der bereits 2009 in die Kinos
kam, wurde erst unlängst wieder im Fernsehen ausgestrahlt
und hat daran erinnert, wie
stark verbreitet Plastik bzw.
Kunststoff weltweit ist und
welche Gefahren sich dahinter
verbergen, betrachtet man
alleine die enormen Mengen
an anfallendem Plastikmüll.
Tiroler Sonntag
Es ist viel zu tun in diesen Tagen. In der Internationalen Woche des Grundeinkommens
(16.–22. 9.) wird auch in ganz Österreich bei
verschiedenen Veranstaltungen für das bedingungslose Grundeinkommen geworben. „Es
handelt sich um ein existenzsicherndes Einkommen für alle Menschen; dafür ist es nicht
notwendig, einer Erwerbsarbeit nachzuge„Das bedingungslose
Grundeinkommen
ist ein wesentlicher
Baustein zur Änderung
der Gesellschaft. Es führt
dazu, dass die Menschen
frei werden zum Denken
und zum Handeln.“
KLAUS
SAMBOR
hen, denn der Mensch hat generell ein Recht
auf ein Leben in Würde und Sicherheit“, so
Klaus Sambor. Zentrales Thema in dieser Woche ist die Bürgerinitiative „Bedingungsloses
Grundeinkommen“, für die insgesamt eine
Million Unterschriften gesammelt werden. Bereits im Vorfeld hat der Attac-Mitarbeiter mit
viel Enthusiasmus zwischen all den Gruppierungen, die für ein bedingungsloses Grundeinkommen eintreten (darunter die Katholische
Sozialakademie Österreichs), Koordinationsarbeit geleistet. „Wir wollen, dass diese EU-Bürgerinitiative in Schwung kommt.“
Gesellschaftspolitik. Bis zu seiner Pensionierung vor 11 Jahren war Klaus Sambor im
Forschungsbereich der Telekom Austria voll
eingespannt. Sein Leben war zum Großteil bestimmt von Technik. Als Pensionist hat er sich
eines Tages auf Anregung seiner Frau mit den
Inhalten des G-8-Gipfels und des gleichzeitig dazu stattfindenden Alternativgipfels beschäftigt. „Ich hab die Papiere verglichen und
war überzeugt, dass das, was auf der Welt geschieht, ein Wahnsinn ist“, so der 76-Jährige.
Das gesellschaftspolitische Interesse war geweckt. Gemeinsam mit seiner Frau hat er zunächst begonnen bei ESD zu arbeiten, einer
Organisation im Bereich europäische nachhaltige Entwicklung. Seit 2004 ist er bei Attac Österreich u. a. für die Inhaltsgruppe Grundeinkommen verantwortlich. (Siehe Seite 12)
Tiroler Sonntag
Im Gespräch 3
19. September 2013
REUTERS
Fernbleiben von der Wahl schiebt die Verantwortung auf andere ab, meint Univ.-Prof. Wolfgang Palaver.
Grundforderung Geschwisterlichkeit
Aus der Sicht der katholischen Soziallehre
drängt sich angesichts der kommenden
Nationalratswahl vor allem die Bedeutung
des allgemeinen Wahlrechts auf. Mit der
Ausübung dieses Rechts beteiligen wir
uns an der politischen Gestaltung unserer
Gesellschaft. Passives Fernbleiben schiebt
dagegen die Verantwortung auf andere ab.
WOLFGANG PALAVER
Konkrete Wahlempfehlungen verlautbart die
katholische Kirche heute keine mehr. Diese
offenere Haltung zu den politischen Parteien gehört zu den positiven Errungenschaften
einer Kirche, die sich nach dem Konzil zunehmend aus ihrer Verklammerung mit dem
Staat oder bestimmten politischen Parteien
befreit hat.
Wichtige Grundhaltungen. Die Kirche
setzt sich aber für wichtige Grundhaltungen
im Bereich der Politik ein. Besonders betont
sie heute die Geschwisterlichkeit (früher Brüderlichkeit), die neben Freiheit und Gleichheit zu den drei Grundforderungen moderner
Demokratie zählt, aber bisher noch zu sehr
im Schatten der beiden anderen stand. Papst
Franziskus hat sie ins Zentrum seiner Botschaft für den kommenden Weltfriedenstag
gestellt: „Geschwisterlichkeit: Grundlage und
Weg für den Frieden“. In seiner Vorankündigung verweist er auf die Armen und Bedürftigen, die oft nur als Hindernisse und nicht als
Geschwister gesehen werden, um mit ihnen
unsere Güter zu teilen. Die Haltung der Geschwisterlichkeit umfasst alle Menschen. An
die Stelle der globalen Gleichgültigkeit soll
nach Papst Franziskus die „Globalisierung
der Geschwisterlichkeit“ treten. Dieses Prinzip betreffe alle Lebensbereiche, insbesondere auch die Politik.
Einheit zwischen allen Menschen. Die
von Gott geschenkte Gabe der Geschwisterlichkeit überschreitet herkömmliche Formen
von politischer Solidarität. Sie beschränkt
sich nicht auf die Sorge um die eigene Gruppe oder die eigene Interessensgemeinschaft.
Auch eine bloße Beschränkung auf „Österreicher“ widerspricht ihr. Geschwisterlichkeit
zielt auf die Stärkung der Einheit zwischen
allen Menschen und auf die Sorge für jene
Menschen, die am notwendigsten unsere Hilfe brauchen.
Welche konkreten politischen Folgerungen
lassen sich für die Geschwisterlichkeit nennen? Geschwisterlichkeit kann sich z. B. darin
zeigen, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund an wählbarer Stelle gereiht sind,
damit sie am politischen Leben teilnehmen
können. Auch die Solidarität mit Asylsuchenden gehört zur gelebten Geschwisterlichkeit.
Sie übersteigt die Grenzen Österreichs und
zielt auf ein solidarisches Europa, ohne aber
an dessen Grenzen Halt zu machen.
Gerade am Rande Europas stoßen wir nämlich wiederum auf die schrecklichen Folgen
jener globalen Gleichgültigkeit, vor der der
Papst vor kurzem auf der durch ihre Flüchtlingsdramen bekannt gewordenen Insel Lampedusa warnte.
Univ.-Prof. Dr.
Wolfgang Palaver
ist Sozialethiker und
Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck PRIVAT
Die Geschwisterlichkeit stärken. Alle politischen Parteien sind heute dazu aufgerufen, die Geschwisterlichkeit in unserer Welt
zu stärken. Damit sie dazu aber die Kraft haben, brauchen sie geschwisterliche Menschen
als Mitglieder und Wähler. Ich wünsche mir
kirchliche Gemeinden und Gemeinschaften,
die der Politik hier vorbildhaft voraus gehen.
Keine Politik der Gönner
Es ist auffällig, dass viele Gesetze in der Weise konzipiert sind, dass durch verschiedene
Klauseln die Rechte für bestimmte Gruppierungen (z. B. Migrant/innen) nicht zum Tragen kommen. Für mich stellt sich die Frage, wo und wie weit werden Angehörige von
Minderheiten bei Gesetzesentwürfen, Programmen etc., die sie betreffen, einbezogen.
– Durften sie auch mitarbeiten, gerade dann,
wenn ihre Wünsche und Anliegen nicht jenen der Mehrheitsbevölkerung entsprechen
oder werden manche geködert, um ein „gutes“ Bild zu machen? Immer wieder gibt es
Mängel bei der Umsetzung, Durchführung
und Kontrolle (wie z. B. beim Anti-Diskriminierungsgesetz). Ich wünsche mir, dass Minderheiten ernster genommen werden in der
Mitbestimmung und in ihrer Kritik – nicht
nur auf dem Papier, sondern auch im Tun.
DOMINIK
TOPLEK,
DIÖZESANJUGENDSEELSORGER,
FELDKIRCH
Was will die Jugend?
Ich frage mich, welche Themen
bzw. welche Fragen Jugendliche
haben, die der Wahlkampf noch
nicht diskutiert hat. Und stelle
mit Erschrecken fest, dass auch
ich kaum etwas von der Jugend
und ihren politischen Anliegen
weiß. Warum ist das so? Ich hege
den Verdacht, dass Jugendliche
wenig bis gar nicht gefragt werden, sondern es wird von den
Parteien vermutet, was sie für ihr
Wohl in der Zukunft brauchen
könnten.
In Zukunft sollte es keine Politik
der Gönner geben,
sondern eine Politik, deren ernsthaftes Anliegen es ist,
„Minderheiten“ –
viele sind Randgruppen – in die Mitte zu holen. Für sie
MONIKA SCHEWEK,
Sprachrohr zu sein
REFERENTIN FÜR ROMAist wichtig, jedoch
PASTORAL, EISENSTADT
nicht, um sie in „Formen“ zu pressen, wie wir es uns wünschen.
Großes Beispiel ist Papst Franziskus, der dort
hingeht und hinsieht, wo längst schon alle
wegsehen, der aufmerksam macht, dass es
um die Würde und den Wert jedes Menschen
geht. Papst Franziskus, der versucht zu leben,
was er predigt. – Das wünsche ich mir auch
von unseren Politiker/innen.
Und ich lese von der guten Idee,
„Demokratie 2.0“ zu entwickeln,
eine interaktive Plattform, welche es der Politik ermöglicht,
über die Interessen der Jugendlichen ins Gespräch zu kommen.
Wonach orientiert sich ein
16-Jähriger, der zur Wahl gehen
möchte? Wälzt er sich durch die
Programme der Parteien und
schaut, wo er mit seinen Fragen vorkommt? Ich befürchte,
er wird in An- oder Ablehnung
zu seinen Eltern die Wahl treffen, nur wenige machen sich die
Mühe, sich Klarheit zu verschaffen. Einige Jugendliche haben
Glück, gute Lehrer zu haben, die
helfen, sich eine Meinung bilden
zu können. Ich vermisse gute Begleiter der Jugendlichen, die verständlich und mit viel Wissen
die Vorgänge und Themen der
Politik vor Augen führen. Politik
sollte für entsprechende Politikexperten sorgen.
Wandel und Verlässlichkeit
Vor einiger Zeit habe ich von Mag. Rudolf Schipfer vom
Österreichischen Institut für Familienforschung den ungewöhnlichen Begriff „Dislocierte Bohnenstangenfamilie“
gehört. Bohnenstangen stützen rankende Pflanzen. Familien wachsen heute oft 4 bis 5 Generationen in die Länge.
In einer Generation gibt es aber im Gegensatz zu früher
viel weniger Personen. Es gibt weniger Geschwister, Onkel
und Tanten, Cousinen und Cousins, mit
denen mehr oder weniger eng zusammengelebt wird.
Heute wohnen viele Menschen allein oder in vielfältigen
Teilfamilien an verschiedenen Orten.
Zur Wahl:
Was ist im Wahlkampf offen geblieben?
Wofür sollen sich die Parteien öffnen?
Das fragten wir Vertreter/innen aus den
Diözesen Eisenstadt, Feldkirch, Linz und
Innsbruck (Kirchenzeitung-Kooperation).
ERNST GANSINGER
Was kostet der Mensch?
Bisweilen scheint es, dass sich
das Werbelogo „kost' fast nix!“
auch auf den Menschen bezieht.
Dabei wird vergessen, dass der
arbeitende Mensch auch letztes und höchstes Ziel der Wirtschaft ist. Das christliche Gottes- und Menschenbild gibt uns
zu bedenken, dass Forderungen
nach wirtschaftlichem Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und Flexibilisierung der Arbeitszeit ohne Blick auf den
Menschen zur gesellschaftlichen Farce werden. König David betet im Psalm 8: „Was ist
der Mensch, dass du an ihn
denkst, des Menschen Kind, dass
du dich seiner annimmst?“ Der
Psalmist beantwortet diese Frage ermutigend: „Du hast ihn nur
wenig geringer gemacht als Gott,
hast ihn mit Herrlichkeit und
Ehre gekrönt.“
PAUL F.
RÖTTIG,
DIAKON,
UNIV.-LEHRER UND
PERSONALBERATER
Wirtschaftliches Wachstum,
das den arbeitenden Menschen
nicht wachsen lässt, Schaffung
von Arbeitsplätzen, die den
Menschen zum entseelten Roboter machen, und Flexibilisierung
der Arbeitszeit, die den Flexibilisierungswunsch des „Brotverdieners“ missachtet, verletzt den
Willen Gottes, sein geliebtes Geschöpf „Mensch“ für die Welt
verantwortlich zu machen, über
die er ihn als Herrscher eingesetzt hat. Der Mensch als Gottes
Ebenbild ist unbezahlbar. Auch
in Vorwahlzeiten.
Familie ist sinnstiftender und verlässlicher Lebensraum
mit gegenseitiger Fürsorge. Kinder, Frauen und Männer
haben Bedürfnis nach Beziehung, Bindung, Sicherheit,
Autonomie, Selbstverantwortung und Wachstum. Das
heil(ig)e Familienbild Vater, Mutter, Kind entspricht
kaum der Wirklichkeit. Welche Parteien setzen abseits
dieses idealisierten Familienbildes wirksame Maßnahmen, die Benachteiligung von Kindern und Frauen zu
verbessern und Ungerechtigkeiten in der Verteilung
von Einkommen und unbezahlter Arbeit zu beseitigen? Es braucht unterstützende Rahmenbedingungen,
ökonomische, soziale und zeitliche Ressourcen, damit
Menschen in unterschiedlichen Familienformen als
verlässliche Gemeinschaft leben können.
DIPL.-PÄD. ERIKA KIRCHWEGER, VORSITZENDE
DER KATH. FRAUENBEWEGUNG IN OÖ
Tiroler Sonntag
Thema 5
19. September 2013
Vieles offen
Die unsichtbare Partei
Die Parteien suchen Mehrheiten. Die findet man naturgemäß in den Mittelschichten. Denn die Reichen
können ihre Interessen recht gut selbst vertreten oder
gründen eine eigene Partei. So locken die Plakate mit
Erfolgen und allerlei Versprechungen.
„Wahltag ist Zahltag“, hört man oft, und so dienen
immer mehr Parteien als Sammelbecken des Protestes der Wähler gegen „die da oben“, die doch die Verwalter jener Macht sein sollen, die vom Volk ausgeht.
Macht ist aber auch Verantwortung. Und so tragen wir
alle, über das Kreuzchen bei der Wahl hinaus, Verantwortung für unsere Gesellschaft
und jene Menschen, die am unteren Rand
dieser Gesellschaft stehen. Niemand hat auf
der Agenda seines Lebens „Armut“ als Ziel
stehen. Auf den Wahlplakaten sind diese
Menschen, deren Alltag aus der Suche nach
Arbeit, leistbarem Wohnraum und Menschenwürde besteht, unsichtbar. Lösungen für ihre Probleme sind im Wahlkampf
kaum ein Thema. Dennoch werden diese
MAG. (FH) ALEXANDRA
Themen die Zukunft entscheidend prägen.
RIEGLER-KLINGER,
Die Nächstenliebe richtet sich auf die ganze
GESCHÄFTSFÜHRERIN
Schöpfung und ist unser aller Auftrag. Auch
CARITAS FÜR MENSCHEN
über alle Wahltage hinaus.
IN NOT, OÖ
Verantwortung übernehmen?
Tragen wir als Wähler/innen auch Verantwortung für
die Armen in der Welt? Ist es wurscht, wenn Frauen bei
der Geburt sterben, wenn Menschen um Wasser betteln müssen, wenn Kinder verhungern? Ist Ihnen die
Verbesserung der Lebensbedingungen in den ärmsten
Ländern auch ein Anliegen, wenn Sie Ihre Stimme zur
Nationalratswahl abgeben? Ist grenzenlose Nächstenliebe auch in der Wahlkabine ein Thema? Für globale
Armutsbekämpfung, humanitäre Hilfe und nachhaltige Entwicklung ist ausreichende Finanzierung Grundvoraussetzung. Die internationale Zielvorgabe liegt bei
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE). Österreich zählt hier zu den europäischen Schlusslichtern.
Die Ideen zur Umsetzung der 0,7-Prozent-Vorgabe blieben bislang aus, die Regierung kürzte Entwicklungsgelder. In den Wahlprogrammen
findet man allerdings von SPÖ und ÖVP ein
klares Bekenntnis, 0,7 Prozent des BNE für
Entwicklungszusammenarbeit zu verwenden (2012 waren es 0,28 Prozent). Konkrete
Umsetzungspläne legen nur DIE GRÜNEN
vor. – Will ich mit meiner Stimme globale
Verantwortung übernehmen?
ANDRÄ STIGGER, LEITER
WELTHAUS INNSBRUCK
X Zusammenschau der Wahlprogramme zum
Thema EZA: www.koo.at
DR. JUSSUF WINDISCHER,
INNSBRUCK, GENERALSEKRETÄR
PAX CHRISTI ÖSTERREICH
DR. MICHAEL WILLAM, ETHIKCENTER, KATHOLISCHE KIRCHE
VORARLBERG
Frieden ernst nehmen
Die Scheuklappen
öffnen
Abschreckend, wenn sich Politiker respektlos in Duellen untergriffig verhalten, wenn sie sehr
viel versprechen und sich dem
Wähler anbiedern. Abschreckend, wenn der Ton aggressiv
wird, wenn Slogans gedroschen
werden oder wenn christliche
Grundwerte pervertiert werden.
Wohltuend und offen, wenn
man merkt, dass Politiker/innen und Parteien das Grundanliegen des „Friedens“ ernst nehmen. Es geht um unsere Zukunft:
Wie äußert sich eine Partei zur
Außen-und Friedenspolitik, wie
engagieren sich unsere politischen Vertreter/innen, wenn es
um nukleare und konventionelle
Abrüstung geht? Wünschen wir
uns nicht alle, dass die ökonomischen Interessen dem Friedensinteresse hintangestellt werden,
dass Menschenrechte wichtiger
sind als gute Geschäfte? Parteien
sollen sich klar zu den Friedensdiensten äußern und diese auch
ernsthaft fördern.
Oder schwimmen wir im Strom
von NATO oder der Außenpolitik
von großen Nationen und vergessen dabei die Kraft des neutralen
Österreichs. Österreich hat keine
Atomkraftwerke. Nach Fukushima sind viele froh darüber. Offen
wären wir für eine Politik, die
sich für ein nuklearfreies Europa
einsetzt, für ein Europa ohne nukleare Bedrohungen – egal woher
sie kommt.
Welche Partei empört sich,
wenn, statt der angestrebten (vorgegebenen) 0,7% nur mehr 0,3%
an öffentlichen Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit ausgegeben werden? Viele Österreicher/innen schämen sich, wenn
sich das reiche Österreich immer
mehr aus der internationalen Solidarität zurückzieht!
Österreich wählt einen neuen
Nationalrat. Steuersystem, Wirtschaft, Bildung und die Sicherung der Pensionen zählen zu
den zentralen Themen, die häufig angesprochen werden.
Vergeblich wartet man als interessierter Wähler darauf, dass in
einem der reichsten Länder der
Welt der Blick über den eigenen
Tellerrand gewagt wird. Vergeblich ist die Suche nach Themen
wie z. B. der globalen Solidarität
oder der Verantwortung für die
Schöpfung. Wir kreisen um innenpolitische Streitigkeiten und
vergessen dabei gänzlich, dass
eine Milliarde Menschen an
Hunger leidet. Kein Parteienvertreter bringt das Thema auf die
Tagesordnung, dass wir in Österreich durch unser Konsumverhalten und unseren Lebensstil auf Kosten von Millionen
von Menschen im Süden leben.
Es besteht die Vermutung, dass
sich mit diesem Thema keine
Wahl gewinnen lässt. Ist dies
wirklich der Fall? Denken denn
wirklich die meisten Österreicherinnen und Österreicher nur
an sich selbst und an ihr eigenes Hemd? Wo werden wir landen, wenn die Scheuklappen
sich immer weiter schließen, die
„Festung Österreich“ weiter ausgebaut wird und wir ökologisch
weiter nach dem Motto: „Nach
uns die Sintflut“ leben?
Wie wohltuend wäre eine Partei, welche diese Themen mit
im Blick hätte: Beitrag Österreichs für die Friedensarbeit in
Krisengebieten, aktive Solidarität mit den Ärmsten der Armen
im Süden, Verantwortung für
die Schöpfung für mehr globale
Klimagerechtigkeit.
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