PDF-Artikel - Printarchiv der absatzwirtschaft

Werbung
Schwerpunkt · medien auf neuen wegen
Geballte
Kraft
Seit die klassischen Einnahmequellen Vertrieb und Anzeigen unter Druck geraten sind,
werden Verlage auf anderen Feldern immer aktiver. Sie schmieden enge Allianzen mit Werbepartnern
und bauen ihre Produktpalette aus. Für Werbungtreibende ergeben sich dadurch neue
Spielarten jenseits von 1/1 4c. Währenddessen suchen die Medien nach einer gesunden Balance
zwischen Kerngeschäft, Markendehnung und redaktionellen Grenzen.
von Roland Karle
absatzwirtschaft · Seite 86
s18_preis_fuer_wachstum_RZ.indd 86
19.10.2005 1:47:38 Uhr
Schwerpunkt · medien auf neuen wegen
Wäre man einem Verleger traditionellen Zuschnitts vor, sagen wir mal,
zehn Jahren mit der Idee gekommen, für seine Leser eine Kundenkarte einzuführen – er hätte vermutlich irritiert den Kopf geschüttelt.
Warum sollte er so mühsam Geld verdienen, wenn in seinem gepflegten Garten gerade die Renditen sprießen?
Inzwischen geben „Mannheimer Morgen“, „Ruhr Nachrichten“,
„Darmstädter Echo“, „Lübecker Nachrichten“ und viele andere Zeitungen ihre eigenen Kundenkarten heraus. Es könnte ein DreiGewinner-Modell werden: Die Verlage stärken die Leserbindung,
die Abonnenten kaufen günstiger ein, und in den Partnergeschäften
steigt der Umsatz. Siehe da: Die Medienhäuser – und selbst Verleger
traditionellen Zuschnitts – kümmern sich jetzt auch um kleine frische
Pflänzchen, nachdem die Werbekrise ihre schönsten Blüten geknickt
hat. Eifrig graben die Verlage nach neuen Wurzeln, um endlich
wieder zu wachsen. Denn im klassischen Geschäft wird sich in den
kommenden Jahren nicht viel tun. Verlagsberater Karl-Heinz Behrens
sagt, was viele in der Branche fürchten: „Aus dem Anzeigengeschäft
kommt kein Wachstum mehr.“
Medien rüsten um · Die wichtigsten Erlössäulen – Vertrieb und
Anzeigen – wackeln. Tageszeitungen und die meisten Zeitschriften
sind froh, wenn sie ihre verkaufte Auflage halten. Und im Werbemarkt
zeichnet sich, netto gerechnet, allenfalls eine leichte Aufwärtstendenz
ab. Beispiel Zeitungen: Das Plus von ein Prozent im vergangenen Jahr
hat zwar eine Periode von drei verlustreichen Jahren beendet, doch
der erzielte Netto-Anzeigenumsatz von 4,5 Milliarden Euro liegt fast
ein Drittel unter dem Höchststand von 2000. Derzeit bewegt sich die
Zeitungswerbung monetär auf dem Stand des Jahres 1990. Nach einer
langen Phase des „Weiter so“ stellen die Verlage jetzt auf das ToyotaPrinzip um: „Nichts ist unmöglich“. Sie bringen Buch-, Musik- und
Hörbuch-Editionen heraus, kurbeln in Kooperation mit Unternehmen den Verkauf von Fahrrädern, PCs und Waschmaschinen an, sind
Makler von Strom- oder Versicherungsverträgen.
Klar, die klassische Anzeige gibt es immer noch, und sie wird auch
„die Königin der Werbung“ bleiben, wie nahezu jeder Verlagsmanager versichert. Tatsächlich werden die klassischen Medien gerade
umgerüstet zu Hybrid-Fahrzeugen: Anzeigen und Spots bleiben ihr
wichtigster Kraftstoff, doch sie werden künftig ohne andere Energiequellen nur mühsam vorwärts kommen.
Die erwähnte Kundenkarte ist ein Beispiel dafür, wie sich durch
neue Angebote die Türen zu Werbungtreibenden öffnen. „Unsere
Abonnenten können bei 550 Partnerfirmen verbilligt einkaufen“,
erklärt Ulrich Diehl, Zentraler Verkaufsleiter beim Darmstädter
Medienhaus Südhessen, und weist auf einen erwünschten Nebeneffekt hin: „Wir kommen dadurch mit vielen bestehenden und potenziellen Anzeigenkunden stärker ins Gespräch.“ Auf diese Weise rücken
frühere B- oder C-Kunden wieder ins Blickfeld, und der Kontakt zu
Neukunden fällt leichter.
„bild“-chefredakteur kai diekmann und „weltbild“-chef
carel halff machen gemeinsame sache: nach der volksbibel
bringen sie jetzt die comic-bibliothek unters volk.
Medien mit neuen Strategien · Die Strategie der Medienhäuser folgt zwei wesentlichen Richtungen: Zum einen wollen sie
ihr Kerngeschäft durch Innovationen beleben, zum anderen neue
Geschäftsfelder erobern. Davon können Werbungtreibende stärker
profitieren, als es auf den ersten Blick scheint. Denn der Spielraum
für Kommunikationsmaßnahmen jenseits von 1/1 4c wird dadurch
deutlich größer.
Gleichzeitig steigen die Erwartungen an klassische Werbung: Sie
soll heute öfter und deutlich stärker Verkaufsimpulse erzeugen als
früher. Einer Umfrage der Bauer Media Akademie zufolge gewinnen „Absatz“ (40 Prozent der Nennungen) sowie „Kundenbindung,
Markentreue, Wiederkaufsrate“ (81 Prozent) zunehmend an Bedeutung. Dagegen misst nur jeder dritte der befragten Mediaentscheider aus Unternehmen und Agenturen „Bekanntheit“ und weniger als
jeder zweite dem Werbeziel „Image“ künftig steigende Relevanz bei.
Kein Zufall also, dass die für absatzorientierte Werbung bevorzugten
Mediengattungen Zeitung (plus 8,5 Prozent) und Radio (plus 20,3
Prozent) im ersten Halbjahr 2005 kräftig zulegten, während die für
Imageanzeigen präferierten Zeitschriften um 3,7 Prozent gegenüber
den ersten sechs Monaten 2004 verloren.
absatzwirtschaft · Seite 87
s18_preis_fuer_wachstum_RZ.indd 87
21.10.2005 16:14:09 Uhr
Schwerpunkt · medien auf neuen wegen
Angesichts knapper gewordener Budgets achten Werbungtreibende penibel darauf, wofür sie Geld ausgeben. Hinzu kommt, dass
„die gefühlte Wirkung von Werbung aus Sicht vieler Kunden nachgelassen hat, obwohl es dafür keine wirklichen Belege gibt“, sagt
Adrian Weser, Leiter der Bauer Media Akademie. Drei von vier Mediaentscheider betonen, dass der Werbewirkungsnachweis für sie bei der
Auswahl eines Werbeträgers eine besondere Rolle spielt. Zeitschriften
müssen einen günstigen Tausend-Kontakt-Preis bieten (30 Prozent),
und beim Konditionenpoker werden Extra-Rabatte erwartet (40 Prozent), doch viel wichtiger werden in Zukunft redaktionelle Kooperationen, Programming und Advertorials (74 Prozent). „Werbungtreibende geben sich immer weniger mit der klassischen Anzeige
zufrieden. Sie suchen nach Mehrwert“, kommentiert Berater Behrens.
Die Signale sind unübersehbar, die Verlage gefordert. Bauer-Mann
Weser: „Sie tun gut daran, sich auf eine vermehrte Nachfrage nach
innovativen, vernetzten Werbeformen einzustellen.“
Crossmedia kommt geballt · Bei „Bild“ passiert das längst.
Die Boulevard-Marke exerziert vor, wie eine „Koalition der neuen
Möglichkeiten“ in der Medienbranche aussieht. Durch das Etikett
„Volks-Produkte“ erhalten Fahrräder, Notebooks, Staubsauger,
Spülmaschinen und Handys von Werbekunden einen redaktionellen
Stempel. Über die Verzahnung verschiedener Medien entsteht innerhalb kürzester Zeit enormer Werbedruck. Eine geballte CrossmediaKampagne über zehn Tage lässt sich laut Mediaexperten mit 600 000
bis 800 000 Euro veranschlagen. Dafür wird ein Paket geschnürt mit
mehreren Anzeigen und Tabloid-Beilagen in „Bild“, „Bild am Sonntag“ und anderen Titeln der Medienfamilie, Präsentation im Internet
(www.bild.t-online.de), Newsletter an 600 000 registrierte User, dazu
optional TV- und Radiospots.
DWS Investment, eine Konzerntochter der Deutschen Bank, hat
die Probe aufs Exempel gemacht. Mit
dem „Volks-Fonds“
und dem Slogan
„Vermögen für alle“
ging DWS mit „Bild“
eine Medienkooperation ein. Auf den
ersten Blick vielleicht überraschend,
doch „die ,Bild‘-Zeitung als Massenmedium mit 13 Millionen Lesern reprä- bauer-verlagsleiter ingo klinge
vermarktungskooperationen
sentiert eine relativ über
von medienhäusern und werbedemokratische Leser- kunden: „die zeitschriften stehen
struktur“, begründet hinter dem produktversprechen.“
familie clever hat gut lachen: in der neuen küche macht nicht
nur das kochen spaß, auch der preis stimmt. redaktionelle kooperationen wie „deutschlands cleverste produkte“ sind immer mehr
im kommen. den verlagen bringt’s umsatz, die werbekunden
hoffen auf absatz.
Michaela Luhmann, European Head of Marketing bei DWS, die Wahl
des Medienpartners. Passt also, denn die Demokratisierung des Fondssparens und der Marke DWS war ein Ziel der Kampagne. Schon die
Zwischenbilanz nach drei Wochen konnte sich sehen lassen: Die Mittelzuflüsse waren um 42 Prozent gestiegen, das Call-Center registrierte
2 000 Anrufe, 3 000-mal wurden Informationsunterlagen abgerufen,
120 000-mal auf die „Volks-Fonds“-Internet-Seite zugegriffen.
Die Größe eines Verlags ist nicht alles, macht das Paketeschnüren jedoch leichter. So wie bei der Aktion „Deutschlands cleverste
Produkte“: In sieben Programmzeitschriften des Bauer Verlags werden ausgewählte Angebote vorgestellt, die sich durch ein gutes PreisLeistungs-Verhältnis qualifizieren müssen. Die Marke „Deutschlands
cleverste Produkte“ gibt der Werbung für Waschmaschinen, Küchen,
Lexika, Krediten oder Handys ein besonderes Gütesiegel. „Die Zeitschriften stehen hinter dem Produktversprechen“, sagt Bauer-Verlagsleiter Ingo Klinge über diese Art der Vermarktung.
Einen Flop können weder Verlag noch Werbungtreibender riskieren. „Hier geht es um eine viel engere Kooperation als bei einer klassischen Anzeige“, so Klinge. Die Kunden erwarten bei einer Gesamtauflage von neun Millionen Exemplaren und einer Reichweite von
20 Millionen Lesern natürlich kräftige Absatzsteigerungen, zumal die
Aktion bei dreimaligem Erscheinen einen Brutto-Mediawert von rund
zwei Millionen Euro erreicht. Wie erfolgreich „Deutschlands cleverste
Produkte“ für die Kunden war, dazu lassen die Beteiligten nichts verlauten. Nur so viel: „Unsere Partner waren sehr zufrieden“, sagt Klinge.
Verlage verändern Strukturen · Eine sich verändernde
Vermarktung braucht veränderte Strukturen – Gruner + Jahr, Bauer
Verlag, Axel Springer & Co. haben das erkannt und gehandelt. „Die
Verlage stellen sich neu auf“, beobachtet Hendrik Flügge, Geschäfts-
absatzwirtschaft · Seite 88
s18_preis_fuer_wachstum_RZ.indd 88
19.10.2005 1:47:45 Uhr
Schwerpunkt · medien auf neuen wegen
„Die crossmediale Realität ist kein Selbstzweck zur besseren, weil vermeintlich
attraktiveren Vermarktung von Werbeplätzen. Wir haben es mit Konsumenten
zu tun, die aus einer steigenden Anzahl
an Kanälen und Angeboten absolut demokratisch das jeweils zu ihrer aktuell individuellen Situation Passende auswählen.
Und wenn wir das nicht in der geforderten Qualität auf einem anderen Kanal
bieten, dann spielt ein anderer auf dieser
Klaviatur. Dabei befinden wir uns, egal
ob Medien oder Werbungtreibende, alle
in ein und demselben Boot.“
Gruner+Jahr-Vorstand Bernd Buchholz beim Crossmedia Forum des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), August 2005
absatzwirtschaft · Seite 90
s18_preis_fuer_wachstum_RZ.indd 90
19.10.2005 1:47:45 Uhr
Schwerpunkt · medien auf neuen wegen
führer der Mediaagentur Pilot Group, Hamburg. Ihr Ziel: Sie wollen sich gegenüber
Werbungtreibenden nicht mehr nur als Verkäufer von Anzeigenraum, sondern als Partner
für umfassende Kommunikations- und Kooperationsmaßnahmen positionieren. Damit
sind sie auf dem richtigen Weg, findet Flügge:
„Der Markt fordert Plattformen für Kommunikationspakete.“
dend, die passenden Zielgruppenprofile zu
finden und darauf eine Crossmedia-Kampagne aufzubauen. Flügge: „Nicht jeder
Bauchladen eines Medienunternehmens ist
dazu geeignet.“
Markenkapital nicht gefährden ·
Bei Medienkooperationen, warnt BauerMedia-Akademie-Chef Weser, dürfe man
den Bogen nicht überspannen. „Sie sind kein
Ersatz für die klassische Formatanzeige, sonNeue Berufsbilder entstehen · Dabei gibt es noch reichlich Unterschiede. Etlidern eine Ergänzung.“ Der erfahrene Verche regionale Zeitungen beispielsweise haben
lagsmanager hält es nicht für sinnvoll, mehr
weser, chef der bauer media
die Möglichkeiten von Crossmedia längst adrian
als zehn bis 15 Prozent des Mediabudgets in
akademie: „medienkooperationen sind
redaktionelle Kooperationen und Advertorials
nicht ausgeschöpft. Ulrich Diehl vom „Darm- kein ersatz für die klassische formatzu investieren.
städter Echo“ weiß um die Anforderungen. anzeige.“
„Wir sind dabei, unsere verschiedenen AngeDie Medien ihrerseits müssen vorsichtig
bote – von der klassischen Anzeige über Online-Banner bis zu Echo- sein, um ihr größtes Kapital nicht zu gefährden: die Glaubwürdigkeit.
Card und Postdienstleistungen – im Verkauf noch enger zu verzah- Wenn Redaktion und Werbung vermischt werden oder auch nur dienen.“ Doch selbstin Klein- und mittleren Verlagen werden die Anzei- ser Eindruck entsteht, „wird das der Leser nicht verzeihen“, so Flügge.
genverkäufer von einst zu Multi-Medien-Vermarktern für die Zukunft Aktuelles Beispiel: Ein Nachrichtenmagazin kritisiert Schleichwerbung
weitergebildet.
und Programming. Im gleichen Heft erscheint eine Immobilien-Beilage,
Ifra, die weltweit führende Vereinigung der Zeitungsindustrie, kenntlich gemachte Partner sind eine Bausparkasse und ein Fertighaushat vier Verlagsfunktionen für das Crossmedia-Geschäft der Zukunft anbieter. Was denkt sich wohl der Leser, wenn er die redaktionellen Artiermittelt: Der Crossmedia-Werbeleiter koordiniert die multimedialen kel über die Vorteile von Bausparverträgen und Fertighäusern sieht?
Werbeaktivitäten und ist Ansprechpartner für die Werbekontakter.
Bei den umsatzstarken Nebengeschäften der Verlage von der
„Bild“-Bestseller-Bibliothek
Hinzu kommt der medienüberüber „Brigitte“-Hörbücher
greifend geschulte Werbeakquisi- Online und mobile Medien weiter
teur, der Fachwissen und Verkaufs- auf dem Vormarsch
bis zum „Zeit“-Lexikon“ stelgeschick vereint. Der Crossmedialen sich ähnliche Fragen. Dass
werbeziel
nennung 2005 in
nennung 2004
Kreativdirektor konzipiert und
zum Beispiel die „Süddeutin prozent
in prozent
produziert schlüssige Crossmesche Zeitung“ die Buch- und
online
70
66
dia-Werbepakete, während sich
CD-Reihe „SZ Diskothek“
mobile medien
62
48
redaktionell begleitet, kann
Crossmedia-Logistiker um die ter(handy, pda etc.)
min- und mediengerechte Herstelman als Service für den Leser
events
36
46
lung und Abwicklung der Kambetrachten – oder als verkaufsfördernde Maßnahme. Sicher
pagne kümmern.
direct mail
45
45
kein Fall für die Ethik-Komambient-media
31
36
Zukunftsformel „Klassik
mission, aber ein sensibles
zeitschriften
25
23
plus“ · Neue, insbesondere verThema. Je enger Medien und
free-tv
23
23
netzte Werbeformen erfordern
Werbungtreibende zusampay-tv
33
23
wesentlich mehr Aufwand für
menrücken, desto kritischer
plakat,
city-light20
18
Medien und Werbekunde als herwerden sie beäugt. Flügge:
poster
kömmliche. Doch der Trend ist
„Bei Medienkooperationen
tageszeitungen
10
9
nicht aufzuhalten. „Die Werbeoder Eigenvermarktung sollhörfunk
13
8
formel lautet schon heute und erst
ten sich Verlage im Zweifel
recht in Zukunft ,Klassik plus‘“, welche medien werden in
Quelle · Bauer Media Akademie nach dem Motto ,Weniger ist
mehr‘ richten.“
sagt Flügge. Dabei sei entschei- zukunft an bedeutung gewinnen?
absatzwirtschaft · Seite 92
s18_preis_fuer_wachstum_RZ.indd 92
19.10.2005 1:47:46 Uhr
Herunterladen