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NRZ
B u lleti N 1_2016
Nationales Referenzzentrum für Retroviren
Frankfurt am Main
I n s tit u t f ü r M edizini s c he V iro l ogie · Univer s ität s k l ini k u m F ran k f u rt a M M ain
Inhalt
Editorial
Therapie
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
 Die Behandlung der akuten
HIV-Infektion
Dr. med. Timo Wolf, Frankfurt a.M.
S. 2
 Aktuelle Fortschritte in der
antiretroviralen Therapie
Prof. Dr. med. Hans Jürgen Stellbrink,
Hamburg
S. 6
ich freue mich, Ihnen die erste Ausgabe des Frankfurter »Retroviren Bulletins« des Jahres 2016 vorzustellen. Im Fokus steht dieses Mal das Themengebiet der akuten HIVInfektion; von neuen Strategien der medikamentösen Prävention, über diagnostische
Herausforderungen, bis hin zum Ziel eines sehr frühen Therapiebeginns mit nebenwirkungsarmen Medikamentenkombinationen.
Der klinische fall ❯❯❯
 Die Diagnose einer akuten
HIV-Infektion
S. 5
Dr. med. Timo Wolf, Oberarzt in der Infektiologie des Frankfurter Universitäts-
klinikums, stellt in seinem Artikel die Besonderheiten und Langzeitchancen der frühen
Behandlung akut infizierter Patienten dar. Die HIV-Infektion in einem so frühen klini-
Prophylaxe

One pill a day keeps HIV (but not
the doctor) away – Die PrEP, ein neuer
Baustein in der HIV-Prävention
Dr. med. Annette Haberl
Frankfurt a.M.
S. 9
schen Stadium überhaupt zu vermuten, zu diagnostizieren und zu therapieren kann
dramatischen Einfluss auf den klinischen Verlauf und auch auf das weitere Übertragungsrisiko haben.
Prof. Dr. med. Hans Jürgen Stellbrink vom Infektionsmedizinischen Centrum in
Hamburg fasst für uns die studienbasierten Fortschritte der antiretroviralen Therapie
und entsprechender nationaler und internationaler Leitlinien der letzten zwei Jahre
zusammen. Auch hier wird der Aspekt des optimalen, zumeist frühstmöglichen Beginns
hervorgehoben. Angesichts der damit einhergehenden Vorverlagerung des Therapiebeginns rückt das Nebenwirkungsprofil der HAART noch mehr in den Vordergrund. Prof.
Stellbrink und Dr. med. Annette Haberl vom Frankfurter HIV-Center erörtern auch die
hochaktuelle Frage der HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Diese präventive Einnahme eines oder mehrerer HIV-Medikamente zur Infektionsvermeidung ist nach Studienergebnissen zumeist effektiv, muss aber sinnvoll in den Kontext anderer etablierter
Für den Inhalt der Artikel sind die Autoren
allein verantwortlich.
Ziel dieses Bulletins ist es, Ärzte, Gesundheitsbehörden und Patienten über aktuelle
wissenschaftliche und klinische Themen aus
dem Bereich der Retroviren zu informieren.
Zweimal im Jahr wird in kurzer Form der
aktuelle Forschungsstand zu verschiedenen
Themen wiedergegeben.
Für Verbesserungsvorschläge und Anregungen sind wir sehr dankbar.
Die Redaktion
Maßnahmen, individueller Risiken des und für den Patienten sowie länderspezifischer
Stadien der PrEP-Zulassung eingeordnet werden.
Nach meinem Wechsel von der Frankfurter Virologie an die Virologie des Maxvon-Pettenkofer-Instituts der Ludwig-Maximilians-Universität München wurde die
Leitung des NRZ für Retroviren durch das Robert-Koch-Institut satzungsgemäß neu
ausgeschrieben. In Kürze soll die Vergabe an einen neuen deutschen Standort bekanntgegeben werden. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei meinen
Kolleginnen und Kollegen des Instituts für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt a.M. für die hervorragende Zusammenarbeit in unserer Tätigkeit
als NRZ für Retroviren über die letzten dreieinhalb Jahre bedanken.
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Ihr Professor Oliver T. Keppler
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Therapie
Die Behandlung der akuten HIV-Infektion
Als akute HIV-Infektion bezeichnet man die früheste Erkrankungsphase unmittelbar nach der Akquisition des Virus bis zur
vollständigen Serokonversion. Unmittelbar daran schließt sich die frühe HIV-Infektion an. Diese Stadien werden nach der FiebigKlassifikation eingeteilt [1], s.a. Tabelle 1. Wenn bei einem Patienten bereits Virusmaterial (Antigen, Nukleinsäure) nachweisbar ist, aber noch keine Antikörper, bezeichnet man dies auch als hyperakute Infektionsphase. Obwohl die akute HIV-Infektion
schwieriger zu diagnostizieren ist, da der p24-Antigen-Test hier eine geringe Sensitivität aufweist [2] und die zur Diagnosestellung notwendige, direkte Nukleinsäure-Testung (NAT) nicht routinemäßig durchgeführt wird, kommt ihr in vielerlei Hinsicht eine
wichtige Bedeutung zu. Dies begründet sich vor allem auch in der für die frühe Infektionsphase charakteristische hohe Virusbeladung im Blut, in Genitalsekreten und der Analschleimhaut bei Abwesenheit von neutralisierenden Antikörpern, weswegen
von einer sehr hohen Infektiosität auszugehen ist. Es existieren sehr unterschiedliche Daten zum Einfluss der akuten HIVInfektion auf die Transmissionsraten, jedoch kann man davon ausgehen, dass ein erheblicher Anteil – bis zu 50 % der HIV-Neuinfektionen – auf Kontakte mit Personen mit akuter HIV-Infektion zurückzuführen sind [3].
Klinisches Bild der akuten HIV-Infektion
Die Symptome einer akuten HIV-Infektion
sind häufig von denen anderer akuter Viruserkrankungen schwer zu unterscheiden.
Zwischen 40 und 90 % der akuten HIV-Infektionen verlaufen symptomatisch [4, 5].
Im Angloamerikanischen Sprachgebrauch
hat sich für die Symptomatik der Ausdruck
flu- or mononucleosis-like illness etabliert,
womit die Ähnlichkeit zu einer Influenza
oder infektiösen Mononukleose herausgestellt wird. Häufig findet man eine generalisierte Lymphknotenvergrößerung, Fieber,
Durchfälle, vor allem aber ein stammbetontes, makulopapulöses Exanthem. Es bestehen auch häufig weitere Symptome wie
Nachtschweiß, Schleimhautulzera oder eine
Pharyngitis. Eine akute HIV-Infektion kann
auch gelegentlich mit dem klinischen Bild
einer sogenannten aseptischen Meningitis
einhergehen, die Patienten sind dann meist
schwerer erkrankt und benötigen stationäre Betreuung. Die Symptome sind aber insgesamt weder prädiktiv noch spezifisch für
die Diagnose der HIV-Erkrankung [6], und
leider führt das klinische Bild alleine in der
Praxis nicht dazu, dass die akute HIV-Infektion erkannt, bzw. nach einer HIV-Infektion
gesucht wird. Die Präsenz eines passenden
Exanthems sollte aber immer dazu führen,
dass eine entsprechende Testung durchgeführt wird. Ebenso das Vorhandensein anderer sexuell übertragbarer Infektionen, die
Einnahme einer Präexpositionsprophylaxe
(PreP), oder einer in der gründlichen Sexualanamnese erkennbaren Exposition.
Leider wird die akute HIV-Infektion noch
immer nicht häufig genug diagnostiziert. Bis
vor wenigen Jahren ist auch stets kontro-
vers diskutiert worden, ob eine akute HIVInfektion antiretroviral behandelt werden
sollte. Dies hat sich allerdings u.a. durch
Erkenntnisse in der Pathophysiologie der
Erkrankung geändert, die sich auch in entsprechenden Änderungen der Leitlinien niedergeschlagen haben [4, 7, 8].
Rationale für die Therapie
der akuten HIV-Infektion
Bei der Entscheidung zur Behandlung der
akuten HIV-Infektion sollte zwischen dem
Vorteil dieser akuten Intervention und den
möglichen Risiken abgewogen werden. Die
aktuellen Leitlinien zur HIV-Therapie empfehlen eine Therapie für alle Menschen mit
HIV, unabhängig vom Stadium der Infektion,
damit auch für den Fall einer akuten HIV-Infektion [4, 7, 8]. Zum Teil wird, wie in den USamerikanischen Leitlinien, die Behandlung
für asymptomatische Patienten nicht explizit
empfohlen. In den europäischen EACS-Leitlinien wiederum wird im Falle einer symptomatischen Akutinfektion eine Therapie mit
höherem Empfehlungsgrad eingeordnet.
Diese Empfehlungen tragen der Beobachtung Rechnung, dass die Zahl der bei der
Primärinfektion vorhandenen Symptome mit
einer langfristigen Mortalität korreliert [9].
Demnach würde eine Behandlung insbesondere für diese Patienten einen positiven
Effekt auf das Überleben haben. Darüber
hinaus wird eine frühe Intervention mit antiretroviralen Medikamenten eingesetzt, um
die Symptome abzuschwächen, da diese in
der Regel mit der Höhe der Viruslast korrelieren. Obwohl dieses Vorgehen in der Praxis angewandt wird, gibt es hierfür überraschend wenig Evidenz.
Verbesserung des Verlaufs
der klinischen Parameter
Die Durchführung von Studien ist aufgrund
der vorher genannten Problematik der Diagnostik und Identifikation von Patienten
mit einer akuten HIV-Infektion schwierig.
Vergleichende Studien zeigen oft Ungleichgewichte in den Therapiegruppen. Es existieren aber mittlerweile gute Daten, die nahelegen, dass z.B. eine frühe Behandlung
innerhalb der ersten vier Monate der Infektion signifikant bessere Ergebnisse bezüglich der CD4-Rekonstitution erzielt als eine
spätere Therapie [10]. Ebenso hat eine Arbeit gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit,
eine Normalisierung der CD4/CD8-Ratio zu
erreichen, größer ist [11]. In der ViscontiKohorte konnten 14 Patienten, die innerhalb
der ersten zehn Wochen nach Infektion für
ca. drei Jahre behandelt wurden, langfristig
auch ohne Therapie eine virale Suppression
aufrecht erhalten [12]. Interessanterweise
gibt es auch Hinweise, dass eine Behandlung im akuten Infektionsstadium die neuronale Schädigung gegenüber einer späteren Behandlung positiv beeinflussen kann
[13]. Diese Studien beziehen sich jedoch auf
Surrogatparameter und besitzen keine klinischen Endpunkte, wie dies in vielen Studien
für das Setting der überwiegend chronischen
Infektion der Fall ist. Darüber hinaus beziehen sich Daten wie aus der Visconti-Kohorte (auch der Primo-SHM, ACTG A 5217 oder
SPARTAC-Studie, die hier nicht diskutiert
werden können), auf temporär begrenzte
Therapien. Dieser experimentelle Ansatz einer Unterbrechung der bereits begonnenen
HIV-Therapie lässt sich außerhalb einer Studie allerdings wohl nicht rechtfertigen.
www.kgu.de/kliniken-institute-zentren/einrichtungen-des-klinikums/institute/zentrum-der-hygiene/medizinische-virologie/medizinische-virologie/
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2
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Behandlung der akuten HIV-Infektion,
virales Reservoir und Immunaktivierung
In einer aktuellen, sehr interessanten Fallbeschreibung eines Patienten aus einer
Präexpositionsprophylaxe(PrEP)-Studie zeigte sich trotz Ausschluss einer HIV-Infektion
zu Studienbeginn mit mehreren Tests, incl.
einer RNA-PCR, sieben Tage nach PrEP-Beginn mit Tenofovir/Emtricitabine eine akute HIV-Infektion mit 220 Kopien/ml. Serologische Tests waren negativ (Fiebig I), s.a.
Tabelle 1. Diese Konstellation wird von den
Autoren als »hyperakute« Infektion bezeichnet. Die initial positive Messung intrazellulärer DNA in CD4-Zellen konnte bei den Folgeuntersuchungen nicht bestätigt werden. Das
zeigt, hier konnte die Etablierung eines viralen Reservoirs durch die zufällige frühe antiretrovirale Intervention – soweit nachweisbar – verhindert werden [14]. Ähnlich dem
Fall des sog. Mississippi-Babys oder den Patienten aus der Visconti-Kohorte (die hier
nicht weiter diskutiert werden sollen) zeigte
sich hier ein möglicher Benefit in Bezug auf
die Größe des Reservoirs und initiale Immunkontrolle und damit eventuell die Verbesserung der Heilungschancen in zukünftigen
Ansätzen. Dieses Konzept ließ sich auch in
experimentellen sowie in weiteren klinischen
Studien zeigen [15, 16], jedoch wurde klar,
dass hier wirklich eine sehr frühe Intervention notwendig sein wird, also tatsächlich in
der »hyperakuten« Infektionsphase.
Über die Wirkung auf das virale Reservoir
hinaus wurden Vorteile der frühzeitigen Therapie für den Erhalt der HIV-spezifischen TZellfunktion [17] sowie für die Reversion der
Aktivierung und Apoptose von CD8-Zellen
und B-Lymphozyten beschrieben [18, 19].
Inwieweit diese Überlegungen tatsächlich klinische Vorteile für den Patienten bedeuten, sollte und wird in Studien, die zum
Teil weiter oben erwähnt wurden, geprüft
werden.
Zum einen besteht eventuell eine erhöhte Gefahr der Resistenzbildung, da die Patienten sich in einer Phase mit hoher Virusreplikation befinden und aus oben genannten Gründen die Therapie möglichst früh begonnen wurde, oft noch ohne vorliegendes
Ergebnis eines Resistenztests. Adhärenzprobleme, z.B. bei symptomatischen Patienten mit gastrointestinalen Symptomen,
könnten in besonderem Maße zur Resistenzentwicklung führen. Hierfür gibt es aber
keine Evidenz, kleinere Fallserien zeigen im
Gegenteil ein gutes Ansprechen [22].
Zum anderen könnte durch die längere
Therapiedauer bei frühem Behandlungsbeginn das Risiko von Langzeitnebenwirkungen
steigen, insbesondere metabolischer Art, die
Nierenfunktion und das Osteoporoserisiko
betreffend. Allerdings muss man davon ausgehen, dass bei den meisten Patienten bereits nach zwei bis sechs Jahren die CD4Zahl von 500/µl unterschritten wird [23], so
dass die Zeitersparnis einer späteren Therapie der akuten HIV-Infektion laut der aktuellen Leitlinien eher unbedeutend sein dürfte.
Insgesamt bestehen heute immer weniger Bedenken gegenüber einem sofortigen
Therapiebeginn im frühen Infektionsstadium.
Verringerung des Transmissionsrisikos
Die große Bedeutung der akuten HIV-Infektion für die Rate an Neuinfektionen wurde
bereits zuvor erwähnt. Aus einem treatment
as prevention -Ansatz heraus sollte also die
Behandlung in diesem Stadium besonders
wichtig sein. Außer den Daten, die die Reduktion der Infektionsraten durch den Einsatz antiretroviraler Therapien zeigen [20],
wurde der vermutete Effekt speziell für die
akute HIV-Infektion allerdings nicht mittels
Studien untersucht. Was hingegen untersucht wurde, ist die Kinetik der Reduktion
der Virusmenge in anderen Körperflüssigkeiten und Geweben. Interessanterweise
zeigte sich für Patienten in der akuten Infektionsphase eine rasche Reduktion der
Virusmenge in Sperma und Rektalflüssigkeit durch antiretrovirale Kombinationstherapien [21]. Insgesamt ist der treatment as
prevention -Ansatz einer der wesentlichen
Gründe, warum in den aktuellen Leitlinien
eine Therapie-Einleitung für ALLE HIV-Patienten empfohlen wird, also letztlich auch
für solche mit einer akuten Infektion [4, 7, 8].
Durchführung der Therapie
der akuten HIV-Infektion
Wenn die Entscheidung zur Therapie einer
akuten HIV-Infektion getroffen wurde, sollte
sich die Auswahl antiretroviraler Substanzen wie für jede Therapie am Resistenztest
orientieren. Zwar ist in Deutschland die Prävalenz von Primärresistenzen gering, Analysen in Kohorten primär Infizierter zeigen
Mögliche Risiken der Therapie
der akuten HIV-Infektion
Im Wesentlichen bleiben zwei Risiken einer
frühen Therapieeinleitung zu diskutieren:
Tabelle 1: Virologische HIV-Labormarker im Kontext einer primären HIV-Infektion (»Fiebig-Stadien«) [1],
unter Berücksichtigung von 4.-Generation-Screeningtests [21, 26].
HIV-2
Ergebnis
4.-Generation-Screeningtest*
Antikörperbasierter
(Antikörperanteil/p24-Antigenanteil)** Bestätigungstest
NAT
0
negativ (negativ/negativ)
negativ
negativ
I
negativ (negativ/negativ)
negativ
positiv
5 Tage (3 bis 8)
II
positiv (negativ/positiv)
negativ
positiv
5 Tage (4 bis 8)
III
positiv (positiv/positiv)
negativ
positiv
3 Tage (2 bis 5)
V
positiv (positiv/positiv
oder negativ)
positiv
(ohne p31-Nachweis)
positiv
70 Tage (40 bis 122)
VI
positiv (positiv/positiv
oder negativ)
positiv
positiv
ohne zeitliche Begrenzung
Fiebig-Stadium
durchschnittliche Dauer des jeweiligen Stadium des in Tagen (± 95 % CI)
11 Tage***
95 % CI = 95 % Konfidenzintervall
* Diese Spalte wurde angepasst an auf dem Markt befindliche 4.-Generation-Tests.
** Bei HIV-Screeningtests der 4. Generation lässt sich bei der Auswertung meist nicht differenzieren, welche Komponente (Antikörper- oder p24-Antigennachweis)
reaktiv ist (und damit das reaktive Testergebnis hervorgerufen hat).
*** Durchschnittlich dauert es ca. 11 Tage zwischen Infektionszeitpunkt und erstem (positiven) HIV-NAT-Nachweis [27], ca. 16 bis 18 Tage bis zum ersten
HIV-p24-Antigen-Nachweis und ca. 22 Tage bis zum ersten Nachweis HIV-spezifischer Antikörper [28].
3
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aber, dass komplexe Transmissions-Netzwerke mit globalen Übertragungs-Clustern
bestehen [24]. Oft wird das Ergebnis eines
Resistenztests zum Zeitpunkt des wünschenswerten Therapiestarts noch ausstehen. Hier bietet sich der Einsatz von Substanzen mit hoher Resistenzbarriere an, wie
geboosterte Proteaseinhibitoren, oder solche, für die übertragene Resistenzen noch
sehr selten sind, wie Integraseinhibitoren.
Letztere sind auch durch den vergleichsweise schnellen Viruslastabfall bei der Behandlung der akuten HIV-Infektion von Vorteil.
Eine Evidenz hierfür existiert allerdings nicht.
Häufig wird eine intensivierte Therapie in der frühen Infektionsphase diskutiert.
Jedoch ließ sich z.B. durch Einsatz von fünf
statt drei Substanzen kein eindeutiger Vorteil für Viruslastabfall, CD4-Anstieg sowie
provirale DNA-Konzentration zeigen [25].
scheinlichkeit an übertragenen Resistenzen
zu achten. Das theoretisch höhere Risiko von
Langzeitnebenwirkungen bei frühem Therapiebeginn muss zwar mit den Vorteilen abgewogen werden, es wird jedoch – wohl
aufgrund der mittlerweile in allen Leitlinien
empfohlenen, deutlich höheren CD4-Zahl
und der damit relativ geringen Einsparung
an Therapiezeit – einer frühzeitigen Therapie
nicht entgegenstehen.
Zusammenfassung
3 Brenner BG, Roger M, Routy JP et al. High rates of
forward transmission events after acute/early HIV
infection. J Infect Dis 2007; 195(7):951-9.
Die akute HIV-Infektion ist sowohl pathophysiologisch als auch bezüglich des Übertragungsrisikos eine bedeutsame Phase
der HIV-Erkrankung. Obschon die Mehrzahl
der Patienten Symptome aufweist, wird die
HIV-Infektion nicht ausreichend häufig diagnostiziert. In vielen aktuellen Leitlinien wird
ein Therapiebeginn für alle Patienten mit
HIV-Infektion empfohlen. Obwohl die akute
HIV-Infektion oft nicht explizit erwähnt wird,
ist sie doch mit eingeschlossen. Die Vorteile eines frühen Therapiebeginns liegen zum
einen in der Verringerung des Transmissionsrisikos. Andererseits gibt es Fallserien,
Einzelfallberichte und experimentelle Studien, die einen Vorteil in Bezug auf die Verhinderung der Etablierung eines viralen Reservoirs aufzeigen, was möglicherweise die
Chance für einen späteren, therapeutischen
Eradikationsansatz erhöht. Die gezeigte Verbesserung des Verlaufs der klinischen Parameter durch den Einsatz einer Therapie in
der akuten Infektion muss allerdings noch
– so wie die Wirkung auf das Reservoir – in
vergleichenden Studien geprüft werden. Aufgrund des Risikos einer möglichen Resistenzentwicklung sind auch bei der Therapie der
akuten HIV-Infektion Resistenztests einzuholen. Liegen diese noch nicht vor, ist auf den
Einsatz von Medikamenten mit ausreichend
hoher Resistenzbarriere und geringer Wahr-
Quellen
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HIV viremia and antibody seroconversion in plasma
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11 Seng R, Goujard C, Krastinova E et al. ANRS PRIMO
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on long-term recovery of CD4+ cell count and CD4+/
CD8+ ratio among patients on combination antiretroviral therapy. AIDS. 2015 Mar 13; 29(5):595-607.
Dr. med. Timo Wolf
Oberarzt, Zentrum der Inneren Medizin II
– Infektiologie und HIV-Therapie
Theodor-Stern-Kai 7, Haus 68
60590 Frankfurt a.M.
[email protected]
12 Saéz-Cirión A, Bacchus C, Hocqueoux L et al.
Post. treatment HIV-1 controllesr with a long-term
virological remission after the interruption of early
initiated antiretroviral therapy ANRS VISConti Study.
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22 Westeheimer E et al. A High Proportion of Persons Diagnosed With Acute HIV Achieve Viral Suppression. Abstract 1069, CROI 2015, February 23-26,
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23 Minga AK, Lewden C, Gabillard D et al. CD4 cell
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4
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Der klinische FalL ❯❯❯
Die Diagnose einer akuten HIV-Infektion
Fall (männlich, 40 Jahre)
HIV-1-IgG-Westernblot: grenzwertig,
1 Bande (p24/25)
•
•
•
•
•
•
HIV-1-RNA: 3.410.000 Kopien/ml
1.200
100.000
1.000
10.000
800
1.000
600
100
CD4-Zellen (Zellen/μl)
10
0
Abb. 1: HIV-1-Viruslast und CD4+-Zellzahl im Verlauf
CD4-Zellen abs.: 308/µl
CD4-Zellen proz.: 26,07 % Lymph
CD8-Zellen abs.: 387/µl
CD8-Zellen proz.: 32,82 % Lymph
4/8 Ratio: 0,79
Fazit
Therapiebeginn mit Truvada® und Tivicay® bei akutem retroviralem Syndrom
und bestätigter HIV-Infektion. Abbildung
1 zeigt den Verlauf von HIV-1-RNA und
CD4-Zellzahl des Patienten, Abbildung 2
den serologischen Verlauf (HIV-1-Immunoblot).
Dieser Fall zeigt eindrücklich, dass die
Diagnose der akuten HIV-Infektion
weiterhin eine Herausforderung ist
und die Anamnese einen zentralen
Bestandteil darstellt. Die frühzeitige
Behandlung der akuten HIV-Infektion
mit einem Regime, welches einen Integraseinhibitor beinhaltet, führte zu
einem exzellenten virologischen Ansprechen und zu einer Immunrekonstitution. Insbesondere konnte im
Verlauf eine persistierende CD8-ZellAktivierung und somit eine chronische
Inflammation erfolgreich verhindert
werden.
6 Wochen später:
HIV-1-RNA: positiv <20 Kopien/ml
CD4-Zellen abs.: 772/µl
CD4-Zellen proz.: 35,11 % Lymph
CD8-Zellen abs.: 617/µl
CD8-Zellen proz.: 28,05 % Lymph
4/8 Ratio: 1,3
15 Monate später:
•
•
200
1
Diagnose: akute HIV-Infektion
•
•
•
•
•
•
400
Viruslast (Gäq/ml)
19.04.16
•
1.000.000
12.01.16
HIV-1/2-Ak/Ag (Screening): positiv
(34.48 Idx.)
•
1.400
14.10.15
Initiale Blutentnahme: erhöhte
Transaminasen (GOT 71 U/I;
GPT 128 U/I)
10.000.000
21.07.15
•
CD4-Zellen/μl
30.04.15
Verdacht auf akutes retrovirales Syndrom oder eine Influenza?
HIV-1-RNA (Kopien/ml)
03.03.15
Der Patient stellte sich in unserer Notaufnahme mit seit zwei Tagen bestehenden Gliederschmerzen und hohem
Fieber (39,5° C) vor. Seine Mutter habe
seit letzter Woche eine »richtige« Grippe.
Geimpft sei er nicht. Des Weiteren: Kopfschmerzen, trockener Husten und Inappetenz. Auf Nachfrage berichtete der
Patient, dass er zuletzt vor drei Wochen
ungeschützten Geschlechtsverkehr mit
einem Mann hatte. Ein HIV-Test wurde
zuletzt vor zwei Jahren durchgeführt.
20.01.15
Verdacht auf Influenza
HIV-1-RNA: negativ (Nachweisgrenze
20 Kopien/ml)
HIV-1-Immunoblot: positiv, 8 Banden
Abb. 2: HIV-1-Immunoblot im Infektionsverlauf.
Links die Patientenprobe vom 20. Januar 2015,
in der Mitte die HIV-1-Positivkontrolle und
rechts die Patientenprobe vom 19. April 2016,
also 15 Monate später.
5
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Therapie
Aktuelle Fortschritte in der antiretroviralen Therapie
In der antiretroviralen Therapie (ART) hat es seit Anfang 2015 erhebliche Fortschritte gegeben. Diese beziehen sich auf den
optimalen Zeitpunkt des Therapiebeginns, die verfügbaren antiretroviralen Substanzen, ihre Anwendung und die Nutzung der
prophylaktischen Wirkung einer ART für die Verhinderung einer Infektionsübertragung.
Zeitpunkt des Therapiebeginns
Therapieleitlinien, die vor Verfügbarkeit der
Ergebnisse der START-Studie [1] verfasst
wurden, empfahlen einen ART-Beginn erst
bei CD4-Zellzahlen mehr oder weniger deutlich unterhalb der unteren Normgrenze
von ca. 500 Zellen/µl. Dies geschah aus der
Überlegung heraus, dass zum einen Kohortenstudien widersprüchliche Ergebnisse bezüglich einer Reduktion der Morbidität und
Mortalität im Rahmen eines früheren Therapiebeginns gezeigt hatten und zum anderen vermutet wurde, dass medikationsassoziierte Nebenwirkungen einen positiven
anitretroviralen Effekt überwiegen würden.
Mit den Ergebnissen der START-Studie, in
der 4.685 unvorbehandelte Patienten mit
über 500 CD4-Zellen/µl in den sofortigen
Beginn einer individualisierten ART oder einen späteren Therapiebeginn erst bei Unterschreiten einer CD4-Zellzahl von 350
bzw. klinischen Progression randomisiert
wurden, liegen jedoch jetzt eindeutige Hinweise auf einen insgesamt signifikant positiven Effekt einer Therapie bereits in diesem immunologisch frühen Stadium vor. Die
Endpunkte der Studie waren Tod, schweres AIDS-assoziiertes Ereignis (AIDS-definierende opportunistische Erkrankungen)
und schweres nicht-AIDS-assoziiertes Ereignis. Die Risikoreduktion bezüglich des
primären Endpunkts betrug 57 % (hazard
ratio (HR) 0,43; 95 % Konfidenzintervall (KI)
0,30 bis 0,62; p < 0,001). Wichtig ist, dass neben klassischen opportunistischen Folgeerkrankungen (Risikoreduktion 72 %; HR 0,28;
95 % KI 0,15 bis 0,50; p < 0,001) unter einer
frühen ART vermindert auch schwere, nichtklassisch HIV-assoziierte Folgeerkrankungen auftraten, auch wenn dieser Effekt
schwächer ausfiel (Risikoreduktion 39 %; HR
0,61; 95 % KI 0,38 bis 0,97; p < 0,04). Am häufigsten traten die üblichen, gelegentlich auch
bei hohen CD4-Zellzahlen beobachteten,
opportunistischen Erkrankungen auf (Tuberkulose, maligne Lymphome, Kaposi-Sarkom
und Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie).
Tatsächlich wurde auch in der Kontrollgruppe die Therapie bei 62 % der Patienten früher eingeleitet als beim Erreichen
des CD4-Zellzahl-Endpunkts von unter 350
Zellen/µl (im Median bei 408, IQR 319; 563).
Man kann also vermuten, dass der Effekt
noch stärker hätte ausfallen können, wäre
dieser Endpunkt bei allen Patienten der Kontrollgruppe abgewartet worden.
Die START-Studie wird auch jenseits
der drei Jahre mittlerer Beobachtungsdauer
fortgeführt, wobei allen Patienten des Kontrollarms eine Therapie angeboten wurde.
Auch wenn für die kleine Subgruppe
der Patienten mit einer Plasmavirämie unter 5.000 Kopien/ml oder einer CD4-Zellzahl
von über 800/µL der Unterschied sehr gering ausfiel und keine Signifikanz erreicht
wurde, haben internationale und nationale Therapieleitlinien übereinstimmend die
Empfehlung übernommen, jedem HIV-positiven Patienten eine Behandlung anzubieten. Dies schließt die Empfehlungen der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein, die
somit die Gesundheitssysteme der hauptsächlich betroffenen Länder zu erheblichen
Anstrengungen zwingen, eine Behandlung
allgemein verfügbar zu machen. Für die
Stärke dieser Empfehlung spielt in einigen
Leitlinien auch die Minderung der Infektiosität erfolgreich antiretroviral behandelter
Patienten eine Rolle. Manche Leitlinien führen eine gewisse Abstufung der Dringlichkeit der Therapieempfehlung ein. So empfehlen die EACS-Leitlinien (European AIDS
Clinical Society) die Therapie stärker für Patienten mit < 350 CD4-Zellen/µl [2], deutschösterreichische [3], italienische [4] und russische [5] Leitlinien ziehen die Grenze bei
500 CD4-Zellen, während die US-amerikanischen [6, 7], britischen [8], französischen
[9], spanischen [10] und die WHO-Leitlinien [11] keine Diffenzierung vornehmen, um
dem Wunsch mancher Patienten oder Behandler Rechnung zu tragen, bei vertretbarem Risiko eine Therapie erst dann einzuleiten, wenn die Bereitschaft zur dauerhaften
Durchführung besteht. Auch lässt sich die
Frage, ob Patienten mit einer exzellenten
eigenständigen Immunkontrolle der HIVReplikation (Elite Controller) trotz extrem
niedriger Plasmavirämie von einer Therapie
profitieren, aufgrund der START-Daten nicht
eindeutig beantworten (s.o.). Ein überwiegender Schaden durch die Therapie ist jedoch
auch für diese Gruppe nicht zu konstatieren.
Tabelle 1 zeigt eine Übersicht über die aktuellen deutsch-österreichischen Leitlinien,
Tabelle 2 eine Übersicht nationaler und internationaler Empfehlungen zum Therapiebeginn.
Bei einer Frühtherapie im Sinne der
START-Studie ist mit »früh« eine noch im
statistischen Normalbereich liegende CD4Zellzahl und nicht vorrangig die Infektionsdauer gemeint: Im Median war die HIV-Infektion bei Studieneinschluss ca. ein Jahr
Tabelle 1: Deutsch-Österreichische Therapie-Empfehlungen 2015
Therapiebeginn
Klinik
CD4 +-T-Lymphozyten ART
HIV-assoziierte Symptome und
Erkrankungen (CDC: C, B), HAND 1,
HIV-Nephropathie, Schwangerschaft 2
alle Werte
soll erfolgen
asymptomatische Patienten
(CDC: A)
< 500/ml
> 500/ml
soll erfolgen
sollte erfolgen
akutes retrovirales Syndrom mit
schwerer/lange dauernder Symptomatik
alle Werte
soll erfolgen
asymptomatische/gering symptomatische
Serokonversion
alle Werte
sollte erfolgen
1: HAND: HIV-associated Neurocognitive Disorder · 2: Siehe aktuelle Leitlinien zur HIV-Therapie in der
Schwangerschaft: 8 www.daignet.de/site-content/hiv-therapie/leitlinien-1
www.kgu.de/kliniken-institute-zentren/einrichtungen-des-klinikums/institute/zentrum-der-hygiene/medizinische-virologie/medizinische-virologie/
nationales-referenzzentrum-fuer-retroviren.html
final_RetrovirenBulletin_1-16.indd 6
6
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Tabelle 2: Nationale und internationale ART-Leitlinien: Empfehlungen zum Therapiebeginn, Stand 2016
CD4 +-Zellzahl (Zellen/µl)
AIDS oder
HIV-bedingte
Leitlinie
< 200 200 bis 350 350 bis 500 > 500
Symptome
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
empfohlen
empfohlen
Deutsch-Österreichische
Leitlinien 2015
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
empfohlen
GeSIDA/Spanischer
Nationalplan 2016
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
Französische HIV-
Expertengruppe 2014
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
Britische HIV-Vereinigung
BHIVA 2015
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
hochgradig
empfohlen
EACS-Leitlinien 2015
DHSS 2015
IAS-USA 2014
Italienische HIV-Leitlinien/
Arbeitsgruppe
Russische Leitlinien 2014
WHO-Leitlinien 2015
bekannt. Daher bleibt eine kleine Unsicherheit bezüglich der Notwendigkeit einer Therapie bereits in der Phase der HIV-Serokonversion. Für symptomatische Patienten ist
ein Vorteil der sofortigen Therapie mit hoher
Sicherheit anzunehmen. Ob dies ebenso für
Patienten mit asymptomatischer Serokonversion gilt, ist auch nach START nicht restlos
geklärt, erscheint aber klinisch plausibel (s.a.
S. 2, Beitrag Wolf).
Wahl der antiretroviralen Therapie
Mit der Vorverlagerung des Therapiebeginns und der damit erhöhten kumulativen Therapiedauer kommt einem günstigen
Nebenwirkungsprofil und die Adhärenz – also
die Befolgung der Einnahmeempfehlungen
– begünstigenden Eigenschaften der Kombination eine weiter steigende Bedeutung
zu. Die gute Verträglichkeit und Wirksamkeit
von Integraseinhibitoren, die Verfügbarkeit
von Koformulierungen von Dolutegravir und
Elvitegravir als Einzeltablettenregime (STR),
die relativ wenigen Arzneimittel-Interaktionen von Raltegravir und Dolutegravir und die
geringe Bedeutung der Einnahmemodalitäten, (z.B. diätetische Restriktionen), haben dazu geführt, dass Integraseinhibitoren in Leitlinien der westlichen Welt primär
empfohlen werden, in Spanien sogar ausschließlich. Im Gegensatz dazu empfehlen
die Leitlinien der WHO weiterhin Efavirenz
als Nicht-Nukleosidaler Reverser Transkriptase Hemmer (NNRTI) für die Erstlinientherapie. Dies gilt auch für Russland.
Mit der höheren Gesamtdauer der Therapie und dem zunehmenden mittleren Lebensalter von Patienten in der westlichen
Welt kommt auch Nebenwirkungen der Nukleosidanaloga-Zweierkombination, die nach
wie vor die Basis der empfohlenen Regime
darstellt, eine steigende Bedeutung zu. Verschlechterungen von Nierenfunktion (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate eGFR,
Tubulopathie) und Knochendichte sind die
Signatur-Toxizitäten von Tenofovir-Disoproxilfumarat (TDF). Für Abacavir fand sich in
vielen Kohortenstudien eine Assoziation mit
erhöhtem Risiko für Myokardinfarkte. Dies
hat zu einer Vielzahl von Studien geführt,
die Nukleosidanaloga-freie Kombinationen
in der Primär- oder Erhaltungstherapie untersuchen. In der Primärtherapie zeigte die
NEAT001-Studie (Phase 3, n = 805) [12] eine
Nichtunterlegenheit der Kombination von
Raltegravir und mit Ritonavir (r) geboostertem Darunavir (Darunavir/r) gegenüber TDF/
Emtrictabin (FTC) und Darunavir/r, wobei es
etwas häufiger zu virologischem Versagen
mit Resistenzentwicklung kam. In der Latte2-Studie (Phase 2, n = 309) [13] wurde nach
Suppression der Plasmavirämie durch eine
klassische Dreifach-Induktionstherapie eine
Erhaltungstherapie mit injizierbaren Präparationen von Cabotegravir und Rilpivirin
als Zweierkombination in 4- oder 8-wöchigen Intervallen erfolgreich fortgeführt. Eine
Initialtherapie mit Lopinavir und Lamivudin
als Zweierkombination war gegenüber zwei
Nukleosidanaloga und Lopinavir nicht unterlegen (GARDEL-Studie [14]). Allerdings
werden die in GARDEL verwendeten Kombinationen aus Toxizitätsgründen nicht mehr
für die Primärtherapie empfohlen.
Tenofovir-Alafenamid, kombiniert mit
Emtricitabin (TAF/FTC), weist bezüglich der
Nieren- und Knochentoxizität der Nukleosidanaloga-Basiskombination von TDF/FTC
Vorteile auf [15]. Es ist seit kurzem in
Deutschland für die freie Kombination und
in Fixkombinationen mit Elvitegravir/Cobicistat (EVG/c) und mit Rilpivirin verfügbar und könnte die Bedenken bezüglich der
Langzeittoxizität von Nukleosidanaloga in
klassischen Dreifachtherapien vermindern.
Die deutsch-österreichischen Leitlinien vom
Dezember 2015 führen TAF/FTC gleichwertig mit TDF/FTC auf, in Kombination mit
EVG/c aber als »empfohlen« gegenüber der
Alternative TDF/FTC.
Frühere Leitlinien empfahlen Efavirenz (EFV) vor allem wegen der guten Langzeitwirksamkeit für die Primärtherapie.
Dies gilt in den WHO- und den russischen
Empfehlungen noch heute, nicht zuletzt auch
wegen der relativ geringen Kosten. Efavirenz
stellt in den aktuellen europäischen und
US-amerikanischen Leitlinien, inklusive den
deutsch-österreichischen, übereinstimmend
nur noch eine Alternative dar. Es ist vor allem
wegen seiner ZNS-Nebenwirkungen mit höheren Abbruchraten abgelöst worden durch
die Integraseinhibitoren. Unter den NNRTI
wird mittlerweile auch in den deutsch-österreichischen Leitlinien nur noch Rilpivirin
für die Erstlinientherapie empfohlen, vor allem wegen seiner guten Verträglichkeit und
7
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Tabelle 3: Deutsch-Österreichische Empfehlungen 2015 zur Substanzwahl für die Initialtherapie
Kombinationspartner 1
Kombinationspartner 2
Nukleosid-/Nukleotidkombinationen
Integraseinhibitoren
empfo hlen :
empfo hlen :
Alt ern at ive :
Alt ern at ive :
Tenofovir 1/Emtricitabin (FTC)
Abacavir 2/Lamivudin
Tenovovir/Lamivudin
1: Tenofovir meint hier den Gebrauch
von Tenofovir-Disoproxilfumarat (TDF) oder
Tenofoviralafenamid (TAF).
2: Einsatz nach negativem Screening auf HLAB*5701, Einsatz mit Vorsicht bei Plasmavirämie
>100.000 Kopien/ml und hohem kardiovaskulärem Risiko (Framingham-Score > 20 %/10 Jahre).
3: Nicht bei HIV-RNA >100.000 Kopien/ml
(keine Zulassung).
4: Kein Einsatz bei Schwangerschaft
im ersten Trimenon.
/c
= Cobicistat ·
/r
= Ritonavir
Wirksamkeit bei einer Ausgangs-Plasmavirämie <100.000 Kopien/ml. Nevirapin wird
vor allem wegen Toxizität ausdrücklich nicht
mehr empfohlen.
Unter den Proteaseinhibitoren wird auf
der Basis der ACTG-A5257-Studienergebnisse [16] in den USA nur noch Darunavir/r
bzw. /c empfohlen. In den europäischen und
deutsch-österreichischen Leitlinien wurde
diese Studie inhaltlich anders gewichtet, da
der Nachteil von Atazanavir im Wesentlichen auf Therapieabbrüchen wegen Ikterus
beruhte. Daher wird Atazanavir weiterhin
empfohlen, während Lopinavir wegen Toxizität nur noch als Alternative aufgeführt
wird. Tabelle 3 gibt die aktuellen deutschösterreichischen Empfehlungen zur Substanzwahl für die Initialtherapie wieder.
Präexpositionsprophylaxe (PrEP)
Die protektiven Effekte antiretroviraler Substanzen sind auf mehreren Ebenen gleichsinnig zu beobachten: Bei der Verhinderung
der Mutter-Kind-Übertragung, der Postexpositionsprophylaxe und der drastischen
Reduktion der HIV-Transmission durch antiretroviral behandelte HIV-positive Patienten
mit <50 Kopien/ml supprimierter Plasmaviräme. Angesichts weiterhin sehr unbefriedigender Wirksamkeitsdaten von präventiven HIV-Vakzinen und der – gemessen
an den stabilen Neuinfektionsraten – begrenzten Effektivität klassischer Präventionsmaßnahmen wurde bereits in einigen
Vorläuferstudien die Wirksamkeit einer Chemoprophylaxe untersucht [17-20] (s.a. S. 9,
Beitrag Haberl).
In Frankreich ist die PrEP mit TDF/FTC
verfügbar, die Kosten werden erstattet. Weitere europäische Länder dürften folgen. Ob
Dolutegravir, Raltegravir
Elvitegravir/c (+ TAF/FTC)
Elvitegravir/c (+ TDF/FTC)
NNRTI
empfo hlen : Rilpivirin 3
duellen gesundheitlichen Benefits und zur
Minderung der HIV-Transmission muss eine
im Mittel noch frühere Diagnosestellung angestrebt werden.
Neben klassischen Präventionsmaßnahmen kann eine klug implementierte PrEP
ein wirksames Instrument zur Verhinderung
von Neuinfektionen sein. Es spricht viel dafür, sie für Personen mit hohem Risiko verfügbar zu machen, doch – um es mit den
Worten von Xavier Naidoo auszudrücken –
»dieser Weg wird kein leichter sein«.
Alt ern at ive : Efavirenz 4
Quellen
Proteaseinhibitoren
empfo hlen :
Atazanavir/r /c, Darunavir/r /c
Alt ern at ive : Lopinavir/r
es für die PrEP mit TDF/FTC in Deutschland
nach der in Kürze zu erwartenden europäischen Zulassung eine Übernahme der Kosten durch gesetzliche Krankenkassen geben
wird, ist unklar.
Ausblick
Eine HIV-Therapie ist heute prinzipiell für
praktisch jeden infizierten Patienten zu
empfehlen. Die CD4-Zellzahl verliert damit
ihren Charakter als entscheidender Trigger
des Therapiebeginns und gibt nur noch die
unmittelbare Dringlichkeit der Therapie vor.
Sie spielt weiterhin eine Rolle beim Monitoring der Immunrekonstitution.
Auch die Plasmavirämie ist zukünftig für die Indikation nur noch in Einzelfällen von Relevanz. Ihre Schlüsselfunktion
ist das Monitoring des Therapieeffekts. Die
Weiterentwicklung der Therapie hin zu einfacher einzunehmenden, weniger toxischen
Kombinationen macht einen Therapieerfolg
leichter und weniger belastend erreichbar.
Der therapeutische Standard ist diesbezüglich bereits heute sehr hoch.
Mehr und besser behandelte Patienten
können bewirken, dass chronisch infizierte
Patienten als Überträger der Infektion keine
Rolle mehr spielen. Zur Mehrung des indivi-
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Grindelallee 35
20146 Hamburg
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nationales-referenzzentrum-fuer-retroviren.html
final_RetrovirenBulletin_1-16.indd 8
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26.07.16 17:22
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Prophyl a xe
One pill a day keeps HIV (but not the doctor) away Die PrEP, ein neuer Baustein in der HIV-Prävention
Die HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP), also die präventive Einnahme eines HIVMedikamentes zur Vermeidung einer möglichen Infektion, ist aktuell das Topthema
internationaler und nationaler Kongresse und beschäftigt alle Akteure im HIV-Bereich. Dabei geht es nicht mehr um den
Nachweis der Effektivität, sondern vielmehr um eine sinnvolle Einordnung der PrEP in die bestehende Auswahl unterschiedlicher Präventionsmaßnahmen. In den USA wurde bereits 2012 das HIV-Medikament Truvada®, eine fixe Kombination
aus den Wirkstoffen Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) und Emtrictabin (FTD), zur oralen PrEP zugelassen. In Europa steht eine
entsprechende Zulassung noch aus. Der Hersteller GILEAD hat Anfang Februar 2016 für Truvada® einen Antrag auf Zulassungsänderung zur Anwendung als PrEP bei der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) gestellt. Am 22. Juli 2016 hat die EMA
eine entsprechende Zulassung empfohlen. Wie nach der zu erwartenden Zustimmung der EU-Kommission die PrEP bei uns in
Deutschland eingesetzt werden soll, ist aktuell Gegenstand der Diskussion.
Antiretrovirale Therapie (ART)
als Prävention – kein ganz neuer Ansatz
Antiretrovirale Medikamente haben seit vielen Jahren ihren Platz in der HIV-Prävention. So werden sie seit über zwanzig Jahren
erfolgreich in der Prävention der MutterKind-Übertragung eingesetzt. Hier greifen
die mütterliche Therapie – die durch plazentagängige antiretrovirale Substanzen auch
eine PrEP für das Kind ist – und die risikoadaptierte Postexpositionsprophylaxe (PEP)
des Neugeborenen synergistisch ineinander
[1]. Heute schaffen wir es durch die effektive antiretrovirale Behandlung der Schwangeren, die Rate der Mutter-Kind-Transmission, die ohne Intervention bei 20 bis 25 %
liegt, auf unter 1 % zu senken.
Therapie als Prävention ist inzwischen
als eine Möglichkeit zur Reduktion der Infektiosität in HIV-diskordanten Partnerschaften als auch auf Populationsebene
allgemein anerkannt. Die Risikoreduktion
durch den frühen Einsatz einer ART lag in
der Studie HPTN 052 bei 96 %. Die 2011 publizierte Studie gilt als Meilenstein und hat
das Schweizer EKAF-Statement zur Nichtinfektiosität von Menschen unter erfolgreicher ART vom Januar 2008 nachträglich wissenschaftlich untermauert [2].
Die Postexpositionsprophylaxe, die so
zeitnah wie möglich nach einem Risikokontakt erfolgen sollte, ist seit vielen Jahren
etabliert. In Deutschland gibt es für die PEP
sogar eine eigene Leitlinie [3].
9
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• Studien zur oralen PrEP bei Frauen
Antiretrovirale Therapie (ART) als Prävention
HIV-Exposition
Postexpositionsprophylaxe
PEP
Präexpositionsprophylaxe
PrEP
HIVZiel der antiretroviralen Prophylaxe:
Verhinderung einer HIV-Infektion vor oder nach einem Risikokontakt
HIV+
ART
Ziel der antiretroviralen Therapie:
dauerhafte Virussuppression und damit Senkung der Infektiosität
Abb.1: Präexpositionsprophylaxe (PrEP), Postexpositionsprophylaxe (PEP) und antiretrovirale
Therapie (ART) im Vergleich (HIV- = nicht HIV-infizierte Person, HIV+ = HIV-infizierte Person).
PrEP: Der Bedarf
Deutschland hat dank seiner erfolgreichen
HIV-Prävention eine der niedrigsten Neuinfektionsraten in Europa. Dennoch stagniert
die Zahl der HIV-Neuinfektionen bei 3.000
bis 3.500 pro Jahr [4]. Dies zeigt, dass ein Teil
der Menschen mit Infektionsrisiko nicht erreicht wird bzw. die Präventionsstrategien
nicht wie gewünscht greifen. Dies gilt, wenn
man die Verteilung der HIV-Neuinfektionen
betrachtet, insbesondere für die Gruppe der
Männer, die Sex mit Männern haben (MSM).
Hier könnte die PrEP zu einer Reduktion der
HIV-Neuinfektionen beitragen (Abb.1).
Die Studienlage
• Studien zur oralen PrEP bei Männern, die
Sex mit Männern haben (MSM)
In der 2010 publizierten iPrEx-Studie, in die
2.499 MSM und Transgender-Frauen eingeschlossen wurden, hatte Truvada® in der Intent-to-Treat-Analyse eine Schutzwirkung
von 44 %. Der präventive Effekt korrelierte
stark mit der Adhärenz der Studienteilnehmer und betrug bei 90 %iger Medikamenteneinnahme 73 % [5].
Zwei Studien bei MSM konnten im März
2015 die bislang besten Ergebnisse einer
oralen PrEP zeigen. In die englische PROUDStudie wurden 545 MSM mit hohem HIVInfektionsrisiko eingeschlossen und in zwei
Gruppen randomisiert. Gruppe 1 erhielt sofort Truvada® als tägliche PrEP, Gruppe 2
erst nach einem Jahr. Die Teilnehmer wussten, ob sie das Studienmedikament erhielten oder nicht. Bei allen wurden vierteljährlich ein HIV-Test sowie Untersuchungen auf
Lues, Gonorrhoe, Chlamydieninfektionen
und Hepatitis C durchgeführt. Nach einer
Zwischenanalyse im Oktober 2014 musste
allen Studienteilnehmern umgehend eine
PrEP angeboten werden. Grundlage dieser
Entscheidung des Steering-Komitees war
die Zahl der bis dahin dokumentierten HIVNeuinfektionen in beiden Studienarmen.
Während es in Gruppe 1 mit sofortiger PrEP
insgesamt drei HIV-Übertragungen gegeben
hatte, waren es in Gruppe 2 mit dem späteren PrEP-Beginn 19 Neuinfektionen. Dies
entspricht einer Neuinfektionsrate von 1,3 %
in Gruppe 1 und 8,9 % in Gruppe 2. Die sofortige PrEP hat also zu einer Risikoreduktion von 86 % in dieser Kohorte geführt. Die
Number Needed to Treat (NNT), also die Anzahl an Personen, die eine PrEP einnehmen
müssen, um eine HIV-Infektion zu verhindern, liegt bei 13 [6].
In der placebokontrollierten französischen IPERGAY-Studie wurde die PrEP on
demand untersucht, d.h. Truvada® sollte
nur anlässlich eines zu erwartenden Risikokontaktes eingenommen werden. Dosierungsschema: mindestens zwei, maximal
24 Stunden vor dem Kontakt zwei Tabletten
Truvada® sowie jeweils eine Tablette 24 und
48 Stunden nach einem Risikokontakt. Auch
die IPERGAY-Studie wurde vorzeitig abgebrochen, weil es nicht vertretbar war, den
Teilnehmern im Placeboarm weiterhin die
PrEP vorzuenthalten. Im Truvada®-Arm war
es zu zwei HIV-Neuinfektionen gekommen,
im Placebo-Arm zu 14. Dies entspricht einer
Neuinfektionsrate von 0,9 bzw. 6,6 % und einer Risikoreduktion durch die PrEP um 86 %.
Die NNT liegt bei 18 [7] (Abb.2).
Sowohl in der PROUD- als auch in der
IPERGAY-Studie hatte man nicht mit einer
derart hohen Neuinfektionsrate in der Gruppe der MSM gerechnet.
Studien zum Einsatz der Präexpositionsprophylaxe zeigen bei Frauen fast durchweg
schlechtere Ergebnisse als bei Männern.
Eine Übersicht über orale PrEP-Studien mit
Einschluss von Frauen zeigt Tabelle 1.
Sowohl in der Fem-PrEP- [8] als auch in
der VOICE-Studie [9] zeigt sich kein Schutzeffekt der PrEP. Ursächlich hierfür war die
schlechte Adhärenz (Einnahmetreue) der
Studienteilnehmerinnen, die durch ungenügende Wirkspiegel nachgewiesen werden
konnte. Hinsichtlich der Medikamentenspiegel einer oralen PrEP mit Truvada® zeigen Ergebnisse pharmakokinetischer Studien, dass
sich die Tenofovir-Spiegel im Gewebe des
Vaginaltrakts deutlich von denen im Rektum unterscheiden. Tenofovir reichert sich
10- bis 100-mal stärker im Rektum an [10].
Ob diese Unterschiede allerdings klinisch
bedeutsam sind, ist noch unklar.
• Vaginalringstudien
Vor dem Hintergrund der schlechten Ergebnisse der oralen PrEP in Fem-PrEP und
VOICE sowie in Anbetracht der Tatsache,
dass junge Frauen in den Hochprävalenzländern Afrikas die am stärksten betroffene Gruppe bei HIV-Neuinfektionen sind,
wurden Vaginalringe mit einem antiretroviralen Wirkstoff entwickelt. Die Ergebnisse
der Vaginalringstudien ASPIRE und THE
RING STUDY wurden im Februar 2016 auf
der Retroviruskonferenz (CROI) in Boston
vorgestellt. Beide Studien untersuchten die
Effektivität eines Dapivirin-haltigen Vaginalrings. Der NNRTI-Dapivirinring wurde von der
Firma Janssen entwickelt und dem International Partnership for Microbicides (IPM)
überlassen. In die ASPIRE Studie wurden
2.629 HIV-negative Frauen aus vier südafrikanischen Ländern eingeschlossen. Die
Studienteilnehmerinnen wurden 1:1 auf den
Dapivirin- bzw. einen Placeboring randomisiert. Das Follow-Up im Rahmen der Studie
betrug mindestens ein Jahr. Die Vaginalringe
sollten von den Studienteilnehmerinnnen
44%
86%
86%
iPrEx
n = 2.500
TDF/FTC
PROUD
n = 550
TDF/FTC
Ipergay
n = 400
TDF/FTC
Abb. 2: Die Schutzwirkung der Präexpositionsprophylaxe mit Truvada® in iPrEX, PROUD und
IPERGAY auf einen Blick.
www.kgu.de/kliniken-institute-zentren/einrichtungen-des-klinikums/institute/zentrum-der-hygiene/medizinische-virologie/medizinische-virologie/
nationales-referenzzentrum-fuer-retroviren.html
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ohne Unterbrechung getragen werden. Die
Frauen erhielten bei ihren vierwöchentlichen
Studienvisiten jeweils neue Ringe. Um die
Adhärenz der Studienteilnehmerinnen einschätzen zu können, wurden die benutzten
Vaginalringe pharmakokinetisch untersucht.
Nach einem Jahr zeigte der Vaginalring
eine Schutzwirkung von 27 %. Die Effektivität
korrelierte mit dem Alter der Studienteilnehmerinnen: Die Gruppe der 18- bis 21-Jährigen erreichte eine Effektivität von 27 %, die
der 22- bis 26-Jährigen 56 % und die der 27bis 45-Jährigen 51 %. Die Schutzwirkung war
wiederum abhängig von der Adhärenz der
Studienteilnehmerinnen, die durch Bestimmung der Medikamentenspiegel in den gebrauchten Vaginalringen und im Plasma untersucht wurde. Die jüngsten Frauen zeigten
dabei die geringsten Wirkstoffspiegel und
damit die schlechteste Adhärenz [11].
THE RING STUDY wurde wie ASPIRE in
afrikanischen Ländern durchgeführt. 1.959
Frauen wurden 2 :1 auf den Dapivirin- bzw.
einen Placebo-Vaginalring randomisiert. Der
Beobachtungszeitraum betrug zwei Jahre. Die Schutzwirkung des Dapivirin-Rings
lag in dieser Studie bei 31 %. Eine statistisch
signifikante Korrelation mit dem Alter der
Studienteilnehmerinnen und dem protektiven Effekt ließ sich in THE RING STUDY nicht
herstellen. Bei den unerwünschten Ereignissen gab es keinen signifikanten Unterschied
zwischen Verum- und Placeboarm. Auch
der Anteil der NNRTI-Mutationen bei den
Frauen, die im Verlauf der Studie eine HIVSerokonversion zeigten, unterschied sich
nicht deutlich. 18 % der Frauen im Dapivirinarm wiesen NNRTI-assoziierte Mutationen
auf, im Placeboarm waren es 16 %. [12]
Beide Vaginalringstudien werden im
Open-Label-Design weitergeführt, ASPIRE
unter dem Namen HOPE und THE RING
STUDY als DREAM-Study. IPM plant, für den
Dapivirin-Vaginalring die Zulassung zu beantragen, um Frauen in den HIV-Hochprävalenzländern Afrikas endlich eine Präventionsmethode anbieten zu können, über die
sie unabhängig vom Partner selbst bestimmen können.
Die Nebenwirkungen und Risiken
Insgesamt ist die Verträglichkeit einer oralen
PrEP mit Truvada® gut. Es kann bei Beginn
der Einnahme zu gastrointestinalen Nebenwirkungen, Kopfschmerzen oder Müdigkeit
kommen. Diese unerwünschten Wirkungen
sind aber in der Regel selbstlimitierend. Bei
weniger als einem Prozent von rund 5.500
PrEP-Studienteilnehmern wurde eine Reduktion der Nierenleistung festgestellt, die
in den meisten Fällen nach Absetzen von
Truvada® reversibel war. Dennoch sollte vor
Beginn einer PrEP mit Truvada® und auch
Tabelle 1: Effektivität oraler PrEP in Studien mit Frauenanteil adaptiert nach Thomson et al. JIAS 2015.
PrEP-Studie Studienpopulation Gesamteffektivität Effektivität bei Frauen
Partner PrEP
4.747 diskordante
Paare, darunter
1.785 HIV-negative
Frauen
75 % (55 bis 87 %)
für FTC/TDF
66 % (28 bis 84 %)
für FTC/TDF
67 % (44 bis 81 %)
für TDF
71 % (37 bis 87 %)
für TDF
TDF2
662 Männer und
557 Frauen
62 % (22 bis 83 %)
für TDF/FTC
49 % (-22 bis 81 %)
für FTC/TDF
Bangkok-
Tenofovir-Studie
2.413 IVDU, darunter
489 Frauen
49 % (10 bis 72 %)
für TDF
79 % (17 bis 97 %)
für TDF
Fem-PrEP
2.120 Frauen
6 % (-52 bis 41 %)
für FTC/TDF
6 % (-52 bis 41 %)
für FTC/TDF
VOICE
309 Frauen
mit oraler PrEP
-4 % (-49 bis 27 %)
für FTC/TDF
-4 % (-49 bis 27 %)
für FTC/TDF
-49 % (-129 bis 3 %)
für TDF
-49 % (-129 bis 3 %)
für TDF
während des Verlaufs regelmäßig der Kreatininspiegel im Blut bestimmt werden [13].
Kommt es unter der Einnahme einer
PrEP mit Truvada® zu einer HIV-Infektion,
besteht das Risiko der Resistenzentstehung. Bislang wurde nur eine geringe Rate
(<5 %) von Resistenzen in den oralen PrEPStudien mit Truvada® gefunden. Dies liegt
sicherlich auch an den engmaschig vorgesehenen HIV-Testungen im Studiendesign
[13]. Die gefundenen Mutationen sind die
K65R, die K70E und die M184V/I.
Als mögliche »Nebenwirkung« der oralen PrEP wird auch ein verändertes Sexualverhalten mit Zunahme risikoreicher Praktiken thematisiert. Auswertungen aus der
PROUD-Studie zeigen hier allerdings keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich
des Risikoverhaltens zwischen der Gruppe
mit sofortiger PrEP und der mit verzögertem
Beginn. Auch die Anzahl der sexuell übertragenen Infektionen (STIs) nahm in der Gruppe
mit sofortiger PrEP nicht signifikant zu [6].
Der Zugang
Momentan kann Truvada® mit der Indikation »HIV-Prävention« in Deutschland nur außerhalb der Zulassung, also Off-Label verordnet werden. Wenn die EU-Kommission
wie zu erwarten in Kürze der Zulassungsempfehlung der EMA folgt, wird der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheiden,
ob die Kosten für eine PrEP mit Truvada® in
Deutschland künftig von den Krankenkassen
übernommen werden. Sollte dies nicht der
Fall sein, kommen auf die Nutzer einer täglichen PrEP nach derzeitigem Stand monatliche Kosten von rund 820 Euro zu, ein Betrag,
den kaum jemand aufbringen kann. Deshalb fordert die Deutsche AIDS-Gesellschaft
(DAIG) in ihrer Stellungnahme zur HIV-Präexpositionsprophylaxe alle Akteure im Gesundheitssystem auf, an diesem Punkt zu Lösungen beizutragen, die den Zugang zur PrEP für
diejenigen, die sie benötigen, ermöglichen.
Die DAIG appelliert daher an die Herstellerfirma, an Kostenträger im Gesundheitssystem und Entscheidungsträger, einen Preis
für Truvada® (TDF/FTC) zu vereinbaren, der
der Akzeptanz und dem sinnvollen Einsatz
einer PrEP nicht im Wege steht [3]. Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) wirft in ihrem HIV-Report zur PrEP [14] die Frage auf, ob nicht die
Ständige Impfkommission am Robert-KochInstitut (STIKO) eine Bewertung/Empfehlung
zur PrEP abgeben könnte. Schließlich gebe
die STIKO ja auch Empfehlungen zu anderen
medikamentösen Prophylaxen. Eine positive
STIKO-Empfehlung wäre die Grundvoraussetzung für gesetzliche Kassen, die PrEP auf
freiwilliger Basis zur Gesunderhaltung ihrer
Versicherten zu übernehmen.
Wer immer die Kosten tragen wird, es
bleibt zunächst einmal die Frage zu klären,
bei wem eine PrEP überhaupt Sinn machen
könnte, also wie und wo die richtige Zielgruppe identifiziert werden kann. Die Hauptzielgruppe in Deutschland ist sicher die der
MSM, die ungeschützten Analverkehr mit
wechselnden Partnern praktizieren, analog
zum Studienkollektiv von PROUD und IPERGAY. Beratungsstellen, HIV-Schwerpunktzentren und Einrichtungen des öffentlichen
Gesundheitsdienstes sind bereits Anlaufstellen für Aufklärung und Beratung rund
um das Thema sexuelle Gesundheit, HIVTests und HIV-Postexpositionsprophylaxe
(PEP). Hier sollten auf jeden Fall auch die
Information und eine individuelle Beratung
zur PrEP verortet werden. Die Indikation
zur PrEP und das damit verbundene kon-
11
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tinuierliche medizinische Monitoring wird
nur von qualifizierten Ärztinnen und Ärzten
zu leisten sein. Dennoch ist die PrEP nicht
losgelöst als »rein medizinische Prävention« zu betrachten, sondern vielmehr einzubetten in die bewährten Methoden der
HIV/STI-Prävention. Da zur Zeit alle Akteure im HIV-Bereich gemeinsam an vernünftigen, alltagstauglichen Lösungen zur
Implementierung der PrEP in Deutschland
arbeiten, wird sie sicher auch bei uns bald
erfolgreich eingesetzt werden können.
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7 Molina JM, Capitant C, Spire B, Pialoux G, Cotte L,
Charreau I, Tremblay C, Le Gall JM, Cua E, Pasquet
Dr. med. Annette Haberl
HIV-Center
Universitätsklinium Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt a.M.
A, Raffi F, Pintado C, Chidiac C, Chas J, Charbonneau
P, Delaugerre C, Suzan-Monti M, Loze B, Fonsart
J, Peytavin G, Cheret A, Timsit J, Girard G, Lorente
N, Préau M, Rooney JF, Wainberg MA, Thompson
D, Rozenbaum W, Doré V, Marchand L, Simon MC,
Etien N, Aboulker JP, Meyer L, Delfraissy JF; ANRS
IPERGAY Study Group. On-Demand Preexposure
Prophylaxis in Men at High Risk for HIV-1 Infection.
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8 Van Damme L, Corneli A, Ahmed K, Agot K, Lombaard J, Kapiga S, Malahleha M, Owino F, Manongi
R, Onyango J, Temu L, Monedi MC, Mak‘Oketch P,
Makanda M, Reblin I, Makatu SE, Saylor L, Kiernan
H, Kirkendale S, Wong C, Grant R, Kashuba A, Nanda
K, Mandala J, Fransen K, Deese J, Crucitti T, Mastro
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prophylaxis for HIV infection among African women. N Engl J Med 2012; 367:411-22.
9 Marrazzo JM, Ramjee G, Richardson BA, Gomez
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Straten A, Noguchi L, Hendrix CW, Dai JY, Ganesh S,
Mkhize B, Taljaard M, Parikh UM, Piper J, Mâsse B,
Grossman C, Rooney J, Schwartz JL, Watts H, Marzinke MA, Hillier SL, McGowan IM, Chirenje ZM; VOICE
Study Team. Tenofovir-based preexposure prophylaxis for HIV infection among African women. N Engl
J Med. 2015; 372: 509-18.
10 Nakabiito C, van der Straten A, Noguchi L,
Hendrix CW, Dai JY, Ganesh S, Mkhize B, Taljaard M,
Parikh UM, Piper J, Mâsse B, Grossman C, Rooney J,
Schwartz JL, Watts H, Marzinke MA, Hillier SL,
McGowan IM, Chirenje ZM; VOICE Study Team.
Tenofovir-based preexposure prophylaxis for HIV
infection among African women. N Engl J Med
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11 Patterson KB, Prince HA, Kraft E, Jenkins AJ,
Shaheen NJ, Rooney JF, Cohen MS, Kashuba AD.
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12 Baeten JM, Palanee-Phillips T, Brown ER,
Schwartz K, Soto-Torres LE, Govender V, Mgodi
NM, Matovu Kiweewa F, Nair G, Mhlanga F, Siva S,
Bekker LG, Jeenarain N, Gaffoor Z, Martinson F, Makanani B, Pather A, Naidoo L, Husnik M, Richardson
BA, Parikh UM, Mellors JW, Marzinke MA, Hendrix
CW, van der Straten A, Ramjee G, Chirenje ZM,
Nakabiito C, Taha TE, Jones J, Mayo A, Scheckter R,
Berthiaume J, Livant E, Jacobson C, Ndase P, White
R, Patterson K, Germuga D, Galaska B, Bunge K,
Singh D, Szydlo DW, Montgomery ET, Mensch BS,
Torjesen K, Grossman CI, Chakhtoura N, Nel A,
Rosenberg Z, McGowan I, Hillier S; MTN-020–ASPIRE Study Team. Use of a Vaginal Ring Containing
Dapivirine for HIV-1 Prevention in Women. N Engl J
Med. 2016 Feb 22. [Epub ahead of print]
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CROI Boston 22-25 Feb 2016; Abstract 110LB
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to Know for Implementation. Top Antivir Med 2015;
23: 85-90.
15 Deutsche AIDS Hilfe; PrEP 2015: Wirksamkeit
und Verfügbarkeit; HIVreport 2015/2
Impressum
Herausgeber:
Nationales Referenzzentrum für Retroviren
Institut für Medizinische Virologie
Universitätsklinikum Frankfurt am Main
Leitung:
Prof. Dr. med. Oliver T. Keppler
FA für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und
Infektionsepidemiologie
Koordinator Diagnostik:
PD Dr. phil. nat. Martin Stürmer
Koordinator Öffentlichkeitsarbeit:
Prof. Dr. rer. med. Holger F. Rabenau
Koordinator Retroviren Bulletin:
Prof. Dr. med. vet. Annemarie Berger
Kontakt:
Paul-Ehrlich-Str. 40 · 60596 Frankfurt a.M.
Tel.: + 49 69 / 63 01 - 52 19
Fax: + 49 69 / 63 01 - 64 77
[email protected]
8 www.kgu.de/kliniken-institute-zentren/
einrichtungen-des-klinikums/institute/zentrumder-hygiene/medizinische-virologie/medizinische-virologie/nationales-referenzzentrumfuer-retroviren.html
Grafische Gestaltung:
www.grafikstudio-hoffmann.de
Druck: www.mucm.com
Wir danken
dem Robert-Koch-Institut, das die Arbeit des
Nationalen Referenzzentrums für Retroviren
fördert,
sowie folgenden Firmen für ihre freundliche
Unterstützung:
Abbott
Cepheid
Gilead
Qiagen
Roche
Siemens
Viiv Healthcare
[email protected]
12
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