Nr. 7 (Mär - Mai 2013)

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Das Journal
Nr. 07 // März, April, Mai 2013
Die Staatstheater Stuttgart // März, April, Mai 2013 // Nr. 07
Das Journal
Inhalt
Vorwort
Das Journal
März / April / Mai 2013
Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
liebes Publikum der Staatstheater Stuttgart!
Ballett auf Reisen, um vier Vorstellungen im Moskauer BolschoiTheater zu geben. Zu Gast am Schauspiel Stuttgart ist demnächst wieder Corinna Harfouch. Gemeinsam mit ihrer Schwester Catherine Stoyan wird sie in Was geschah mit Baby Jane?
zu sehen sein. Der scheidende Schauspielintendant Hasko
Weber präsentiert seine Abschieds-Inszenierung: die Uraufführung von Sibylle Bergs Angst reist mit. Und vier junge Regisseure begeben sich auf die theatrale Suche nach dem Glück.
Der Tänzer Arman Zazyan in der Maske des Bunka Kaikan-Theaters
in Tokyo während der Japan/Korea-Tour des Stuttgarter Balletts im
Jahr 2012. Foto: Roman Novitzky
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und viele
spannende Theatererlebnisse im Frühjahr 2013!
Die Staatstheater Stuttgart
01. Nicht ohne unsere Justitiarin!
// SEITE 5
Verena Beurle-Bernardić kümmert sich um Rechtsfragen
02. Was geschah mit Baby Jane ?
// SEITE 8
Wieder gemeinsam auf der Bühne: Corinna Harfouch und Catherine Stoyan
03. Susanne Gschwender
// SEITE 10
Die Bühnenbildnerin der Oper Stuttgart im Gespräch
04. Uraufführung des Balletts Krabat
// SEITE 12
Der Choreograph Demis Volpi und sein Team im Gespräch
05. Ana Durlovski
// SEITE 14
Die Sopranistin des Stuttgarter Sängerensembles im Portrait
06. Das ist Glück
// SEITE 16
Die vier jungen Regisseure von Dea Lohers »Magazin des Glücks« im Portrait
07. Atemberaubende Hingabe
// SEITE 18
Der neue Ballettabend »Meisterwerke«
08. Angst reist mit
// SEITE 20
Uraufführung des neusten Stücks von Sibylle Berg
09. Engelslieder und Zauberflöten
// SEITE 22
Der Musiktheaterpädagoge Christoph Sökler bei der Arbeit
10. Gastspielreise nach Moskau
// SEITE 24
Das Stuttgarter Ballett gastiert am legendären Bolschoi-Theater
Foto: Jasha Bhadra
wieder einmal möchten wir Ihnen die Gelegenheit bieten, hinter die Kulissen der Staatstheater Stuttgart zu schauen. Hätten
Sie gewusst, dass ohne die Arbeit unserer Justitiarin Verena
Beuerle-Bernardić wohl kaum eine Aufführung zustande kommen würde? Wir stellen sie Ihnen vor. Außerdem lernen Sie
die mehrfach ausgezeichnete Sängerin des Stuttgarter Opernensembles Ana Durlovski, demnächst zu sehen als Zerbinetta
in Strauss’ Ariadne auf Naxos, sowie die Bühnenbildnerin
Susanne Gschwender, die derzeit die Räume für Rossinis
Cenerentola entwickelt, näher kennen. Der Choreograph Demis
Volpi berichtet gemeinsam mit seinem Team von der Entstehung
seines brandneuen Handlungsballetts Krabat, das im März
uraufgeführt wird. Einige Wochen später geht das Stuttgarter
Plus 10 Fragen an …
// SEITE 26
Hannes Hartmann, Ausstattungsleiter & Bühnenbildner am Schauspiel
Karten und Informationen 0711.20 20 90 // www.staatstheater-stuttgart.de
01. Die Anwältin
01.
Verena Beurle-Bernardić kümmert sich um Rechtsfragen
Nicht ohne
unsere Justitiarin!
Foto: Martin Sigmund
Sie wirkt zwar dahinter, aber ohne sie passiert vor den Kulissen
nicht viel: VERENA BEURLE-BERNARDIĆ ist bei den
Württembergischen Staatstheatern Stuttgart für Urheberrechte,
Medien und Gastspiele zuständig.
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Das Journal März/April/Mai 2013
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01.
Ihre Größe spricht im wahrsten Sinne des Wortes Bände.
Die Rede ist von der Akte, die für Lulu. Eine Monstretragödie angelegt wurde, jenes Handlungsballett, das der einstige
Hauschoreograph des Stuttgarter Balletts, Christian Spuck,
für die Compagnie im Jahr 2003 schuf. Verena Beurle-Bernardić hat sie auf dem Tisch ihres Büros im Opernhaus ausgebreitet, um einen Einblick in einen Bereich zu geben, der zu
den wichtigsten im Theaterbetrieb gehört. Hinter den Kulissen ablaufend, wird er nach außen indes nie sichtbar. Dabei
kommt ohne den Einsatz der studierten Juristin mit Zusatzabschluss in Kulturmanagement kein Werk auf die Bühnen der
Stuttgarter Staatstheater: Beurle-Bernardić ist in dem Dreispartenhaus als Justitiarin tätig, ihr Arbeitsbereich umfasst
Urheberrechte, Medien und Gastspiele. Für alle drei Sparten
– Oper, Schauspiel und Ballett – klärt sie die Rechte in Sachen Musik, Theaterstücke, Texte, Kulissen, Fotos, Filme und
Persönlichkeit. Die Gebühren der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte
(GEMA) laufen über ihren Tisch, genauso wie die Verträge von
Gastspielen und Kooperationen. »In Lulu hat Christian Spuck
viele unterschiedliche Kompositionen verwendet, wir mussten also zahlreiche Urheber anfragen«, erinnert sich BeurleBernardić, während sie in der Akte blättert und auf die damaligen Verträge zeigt. Da seien Kompositionen von Alban Berg
und Arnold Schönberg dabei gewesen, aber auch Stücke von
Dmitri Schostakowitsch oder gar Nina Simones »Wild is the
Wind«, das von einer Tänzerin gesungen wurde.
Die Rechte der Persönlichkeit
Wäre diese gefilmt worden, wäre eine weitere Dimension
ins Spiel gekommen, die der Persönlichkeitsrechte, die jeder
Mensch hat, und die besonderen Rechte der Darsteller, die so
genannten Leistungsschutzrechte. Diese werden etwa verletzt, wenn Zuschauer im Theater heimlich mit Smartphones
filmen. So ist es zwingend, dass Kunstschaffende Film- oder
Hörfunkaufnahmen sowie dem Abdruck ihrer Fotos zustimmen, die im Programmheft oder in sonstigen Medien einschließlich Internet erscheinen. Beurle-Bernardić beschreibt
dies anhand der Oper Don Giovanni, die im Sommer 2012 in
Stuttgart Premiere feierte. »In der berühmten ›Registerarie‹
des Leporello, der Szene, in der Leporello alle Liebschaften
Don Giovannis aufzählt, werden in Andrea Moses’ Inszenierung zahlreiche Frauenporträts projiziert – und jede einzelne
dieser Damen musste ihrer Präsentation in der Öffentlichkeit
zustimmen, zumal die Aufführung auch vom SWR gedreht
wurde.«
Das war auch der Fall, als eine Sängerin zunächst einer Radioaufzeichnung zugestimmt hatte, dann aber mit ihrem Auftritt
unzufrieden war und hinterher ihre Zustimmung zur Aussendung verweigern wollte. »So verständlich dies ist, aber das
geht nicht, wenn man vorher mit dem Sender die Ausstrahlung vereinbart hat. Wir freuen uns ja auch über eine Berichterstattung.«
Die Aufführungsrechte hole man sich in der Regel nur für
eine Spielzeit ein, erläutert Beurle-Bernardić. Bei einer Wiederaufnahme müssten erneut alle angefragt werden, insbesondere jene, die die Urheberrechte besäßen. Das können
Nachfahren der Komponisten oder Schriftsteller sein, sehr
häufig sind das aber Verlage. Mitunter gibt es gleich mehrere für ein Stück, wie bei Krabat. Das berühmte Jugendbuch,
das Otfried Preußler im Jahr 1971 verfasste, wird vom Choreographen Demis Volpi als Ballett umgesetzt. »Wir fragten
zunächst beim Buchverlag an, um dann zu erfahren, dass es
noch einen anderen Verlag gab, der für die szenische Umsetzung des Stückes zuständig ist«, so Beurle-Bernardić. Werden
dann noch musikalische Werke verwendet, deren Komponist
jenseits des großen Teichs lebt und dort seinen Musikverlag
hat, wie z.B. der US-Amerikaner Philip Glass, muss zunächst
recherchiert werden, ob der Rechteinhaber in Deutschland
oder Europa eine Vertretung hat. »Wenn nicht, heißt es, mit
den USA Kontakt aufnehmen, was kompliziert sein kann, weil
das Recht dort anders funktioniert.« Auch sei die Bezahlung
eine andere.
Grenzen der Vergütung
In Deutschland haben die Verantwortlichen des Deutschen
Bühnenvereins mit jenen der Verlage Vorgaben ausgehandelt, die in einer Regelsammlung zum Bühnen- und Musik-
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01.
recht niedergelegt ist. Beurle-Bernardić zückt eine schwarz
eingefasste Blattsammlung und schmunzelt: »Die Leib- und
Magenlektüre für Justitiare an Theatern.« Und gemäß dieser Lektüre liegt die Urhebervergütung pro verkaufter Karte
in den Sparten Oper und Ballett üblicherweise bei 3,24 Euro,
im Schauspiel sind es 1,92 Euro. Dabei gibt es Unter- und
Obergrenzen der Vergütung, diese liegen zwischen 13 und
17 Prozent der Roheinnahmen einer Vorstellung. Für kleine
Spielstätten gilt eine Sonderregelung. Diese garantiert den
Autoren und Komponisten Pauschalen zwischen 200 und 300
Euro. Mit den Choreographen, die nur in Ausnahmefällen von
Verlagen vertreten werden, wird gesondert verhandelt.
Der Wille der Erben
Meist lasse sich mit den Verlagen gut zusammenarbeiten, betont die Juristin. Auch mit den Nachkommen, obschon diese
nicht selten mit Argusaugen die Kreationen ihrer Vorfahren
bewachten. Gerade auch, wenn ein Regisseur oder eine Regisseurin eine neue Version eines Stückes zeigen wolle. So darf
nach dem Willen der Erben die Dreigroschenoper von Bertold
Brecht nur mit der dazugehörigen Musik von Kurt Weill aufgeführt werden. Die Nachfahren Béla Bartóks nehmen ebenso
genau unter die Lupe, was zur Musik ihres Ahns vertanzt wird.
Und die Erben Richard Strauss’ wiederum haben gänzlich verboten, Kompositionen ihres Vorfahren in Tanz umzusetzen –
sie dürfen nur als Opern oder orchestral aufgeführt werden.
»Daher ließ der australische Choreograph Graeme Murphy
vor Jahren sein vom Rosenkavalier inspiriertes Ballett Die Silberne Rose gänzlich ohne Originalmusik aufführen«, erinnert
sich Beurle-Bernardić. Und derlei könnte bis zum Jahr 2019
vorkommen, dem 70. Todestag von Richard Strauss. »Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod eines Künstlers. Ab
da sind auch die Erben außen vor, dann ist ein Werk historisch
und gemeinfrei. Es kann also verwendet werden, ohne dass
mit jemandem über Lizenzen verhandelt werden muss. Das
gilt z.B. für Stücke von Shakespeare und Goethe oder Kompositionen von Mozart oder Bach.« Deren Werke seien Allgemeingut und könnten daher verändert, bearbeitet und übersetzt werden, wie es beliebe.
Bei Stücken indes, die noch nicht den Status der Gemeinfreiheit erlangt haben, müssen Änderungen mit den Nachfahren
beziehungsweise den Autoren abgesprochen werden. Das gelte auch für Auftragswerke. »Kürzungen, also die so genannten
Strichfassungen sind zulässig. Anders ist es bei gravierenden
Änderungen, wenn beispielsweise Fremdtexte in das Original
einfügt werden oder man sehr frei mit dem Text umgeht, wie
das der auch bei uns inszenierende Regisseur Volker Lösch
gerne macht.«
Als dieser etwa im vergangenen Jahr Albert Camus’ Revoltenstück Die Gerechten in die Jetztzeit versetzte, das Publikum, die Stuttgart 21-Debatte und gesellschaftliche Fragen wie Altersarmut oder Einkommensmillionäre einbezog,
mussten dem die Camus-Erben zustimmen. Die reisten denn
auch eigens etwas skeptisch aus Frankreich an, um das Maß
der Verfremdung zu begutachten. Doch die politische Aktualität der Inszenierung gefiel ihnen letztendlich. »Sie sahen,
dass die angesprochenen Themen und Camus’ Text gut zusammen gingen«, so Beurle-Bernardić. »Manchmal einigt
man sich auch darauf, dass an unserem Haus eine Fassung
entsteht, die dann beispielsweise als Stuttgarter Fassung angekündigt wird.«
Stuttgarter Versionen
So geschehen bei Dancer in the Dark. Die Koproduktion des
Stuttgarter Schauspiels und des Balletts – unter der Regie
von Christian Brey mit Choreographien von Marco Goecke
und Louis Stiens – feierte vergangenen November im NORD
Premiere. Eine äußerst interessante Konstellation, sinniert die
Urheberrechtsexpertin. »Ursprünglich basiert alles auf dem
Film von Lars von Trier und dessen Drehbuch, für das dann der
amerikanische Autor Patrick Ellsworth die Rechte für ein Bühnenstück erwarb. Wir wollten wiederum von Ellsworth ausgehend unsere Fassung mit Tanz und Theater machen.« Und
dazu habe zwangsläufig viel Text gestrichen werden müssen,
worüber Rechteinhaber Ellsworth anfangs nicht so glücklich
gewesen sei. Als er sich dann allerdings mit Regisseur und
Choreographen austauschte, involviert wurde und schließlich auch die Proben sah, habe ihm Fassung wie Umsetzung
gefallen. »Wir haben uns inhaltlich einigen können, nun gilt
das Werk als ›Stuttgart version‹ von Dancer in the Dark.« Dass
nicht die Filmmusik von Björk erklingen würde, war indes von
Anfang an klar: die Isländerin hat die Rechte auf von Triers
Streifen beschränkt.
Kein Freibrief für Zitate
Ein Spezialfall sei denn auch das Thema Zitate, weiß BeurleBernardić, ob nun in Stücken oder Programmheften, im Internet oder in Magazinen. »Da geistert immer noch die Meinung herum, dass man ein bis drei Sätze frei zitieren kann.
Das stimmt so nicht: Es gibt keinen Freibrief für Zitate.« Das
erfuhr man bei der Oper Frankfurt bitter: Die Zuständigen bekamen von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine dicke
Rechnung, weil sie längere Passagen aus Rezensionen auf
ihre Homepage gestellt hatten. Es sei immer besser, alles ›en
détail‹ abzuklären, rät Beurle-Bernardić. Doch selbst bei bester Absicherung kann etwas passieren. So klagte etwa ein Autor, dass ein Stuttgarter Handlungsballett auf seinem Roman
beruhe. Der Choreograph erklärte indes, er habe sich vom
Buch nur inspirieren lassen, es indes frei verwendet. »Hier
sind die Grenzen fließend: Was ist Inspiration, ab wann ist es
eine exakte Umsetzung? Das Landgericht folgte dem Kläger
nicht in dem Punkt, dass das Buch vertanzt wurde – damit war
es keine Urheberrechtsverletzung.« Das sei aber ein Einzelfall
gewesen in den 13 Jahren, in denen sie bei den Staatstheatern
arbeite, so Verena Beurle-Bernardić. Und das tut sie nach wie
vor mit Begeisterung: »Diese Position ist eine tolle Berufsnische für Juristen, in der es nie langweilig wird.«
Petra Mostbacher-Dix
Großes Bild Verena Beurle-Bernardić in ihrem Büro (Foto: Martin Sigmund)
Bild links Aufführungsakten zu Irgendwie Anders, dem Intergenerationenprojekt der Jungen Oper (Dezember 2012), und der Schauspielproduktion Das
Leben ein Traum von Pedro Calderón de la Barca in einer Bearbeitung von
Soeren Voima, die am 21. Februar 2013 zur Premiere kam (Foto: Matthias
Dreher)
Bilder oben Szene aus Die Gerechten / Occupy nach Albert Camus (Regie: Volker Lösch), auf dem Bild Jan Jaroszek und Stuttgarter Publikum (Foto: Sonja
Rothweiler); Alicia Amatriain als Lulu in Christian Spucks gleichnamigem
Ballett (Foto: Stuttgarter Ballett); Rebecca von Lipinski (Donna Elvira) und
André Morsch (Leporello) in Don Giovanni (Foto: A.T. Schaefer)
Das Journal März /April /Mai 2013
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02. Was geschah mit Baby Jane ?
02.
Familienbande
Schwestern im Leben und auf der Bühne:
CORINNA HARFOUCH und CATHERINE STOYAN spielen
nach sieben Jahren wieder gemeinsam in Stuttgart
Die Schwestern Corinna Harfouch und Catherine Stoyan waren dem Schauspiel Stuttgart in den vergangenen acht Spielzeiten eng verbunden. Gemeinsam auf der Bühne standen sie
hier aber nur einmal, und zwar in der Don Quixote-Bearbeitung Herr Ritter von der traurigen Gestalt (2006). Nun sind
beide in Was geschah mit Baby Jane? erneut zusammen zu
erleben. Am Ende der ersten Probenwoche trafen sich Corinna
Harfouch und Catherine Stoyan mit dem Regisseur Christian
Weise und dem Dramaturgen Christian Holtzhauer und sprachen über die Unterschiede zwischen Spiel und Leben, Konkurrenz und Erfolg und ihre Arbeit am Schauspiel Stuttgart.
Christian Holtzhauer: In Was geschah mit Baby Jane?
spielt ihr zwei Schwestern, die – wie ihr – Schauspielerinnen
sind. Die eine war ein großer Filmstar, die andere ein Kinderstar, der im Filmgeschäft nie Fuß fassen konnte. Ein tragischer
Unfall hat beider Karrieren abrupt beendet. Seit vielen Jahren
leben die Schwestern zurückgezogen in einem alten Haus,
sind aufeinander angewiesen, hassen sich aber zutiefst.
Nun wurde dieser Stoff zwar zuerst als Roman veröffentlicht,
aber bekannter ist die Verfilmung mit Joan Crawford und Bette Davis. In unserer Inszenierung überlagern sich also gleich
mehrere Ebenen, die nicht leicht voneinander zu trennen sind:
Zwei Schwestern, die zugleich Schauspielerinnen sind, spielen zwei Schauspielerinnen, die zugleich Schwestern sind
(bzw. spielen die Schauspielerinnen, die die Schwestern spielen). Ist es nun leichter oder schwerer, die Figuren zu entwickeln, wenn man tatsächlich verwandt ist? Und welche Rolle
spielt der Film dabei?
Schwestern im Film ist ja nicht wie unsere. Wir können also
ganz frei damit spielen.
Allerdings gibt es schon hier und da Einblicke in eine Realität,
die etwas mit uns zu tun hat. Wir haben als Schwestern keine
ausgeprägte Streitkultur. Es bereitet daher große Lust, im Rahmen der Rolle mal so richtig aneinander geraten zu können.
Christian Weise: Obwohl es uns nicht darum geht, die Geschichte der Schwestern Harfouch und Stoyan zu erzählen,
sind Blanche und Jane, also die beiden Schwestern aus der
Geschichte, auf den Proben auf eine gewisse Weise sofort da.
Das war sogar regelrecht erschreckend, dass man die Figuren
gar nicht erst anfüttern musste, sondern sie gleich von der
ersten Probe an voll »Fleisch« waren. Zugleich empfand ich es
als sehr beglückend, weil wir sofort aus dem Vollen schöpfen
konnten.
„Es gibt hier und da
Einblicke in eine
Realität, die etwas mit
uns zu tun hat.“
Corinna Harfouch
Holtzhauer: Zwischen allen Geschwistern gibt es hin und
wieder Konkurrenz. Bei den Schwestern unserer Vorlage zerstört diese Konkurrenz beider Leben; der Film zeigt sozusagen
die Schattenseiten des Erfolgs. Aber was bedeutet Erfolg denn
eigentlich?
Maske draufzudrücken, sondern die Masken gerade wegzulassen. Die Kunst des Schauspielens besteht für mich gerade
darin, nicht mehr zu spielen. Oder zumindest immer weniger
zu spielen, durchlässiger zu werden.
Holtzhauer: Seht ihr euch eigentlich eure alten Filme an,
wie Blanche in unserem Stück?
Harfouch: Nein. Was vorbei ist, ist vorbei. Es geht mir immer um den Moment, ums Jetzt, um diese ungeheure Verdichtung an Energie, an Kraft. Beim Filmdrehen ist dieses
»Jetzt« allerdings deutlich weniger ausgeprägt als beim Theaterspielen.
Weise: Ich bin da anders. Ich nehme immer alles auf, damit
ich mir das später im Altersheim anschauen kann. Ich glaube
auch nicht, dass ich mit dem Wunsch, das festzuhalten, was
ich gemacht habe, allein dastehe. Ganz im Gegenteil. Das will
doch jeder, etwas hinterlassen, sei es ein Erbe oder so etwas
wie Ruhm. Es gibt doch diese unglaubliche Sucht nach Erfolg,
von der ja auch unser Stück handelt. Die Leute wollen vorkommen.
„Es geht mir immer
um den Moment, ums Jetzt,
um diese ungeheure
Verdichtung an Energie.“
Corinna Harfouch
Catherine Stoyan: Wir spielen ja den Film nicht einfach
nach, sondern gehen – wie in jeder anderen Produktion auch
– von einem Textbuch aus. Bette Davis, die im Film die Jane
spielt, war natürlich eine großartige Schauspielerin, aber was
sie in diesem Film spielt, hat nichts mit mir zu tun. Das kann
gar nichts mit mir zu tun haben, denn ich muss ja meine eigene Sicht auf die Figur entwickeln. Ich habe mir den Film daher
nur ein einziges Mal angesehen und ihn dann sofort wieder
vergessen. Der Weg kann nur sein, auf meine eigene Kreativität zu vertrauen. Ich bewundere Schauspieler, die einfach so
jemanden nachspielen können. Ich kann das nicht. Wenn ich
eine Rolle spiele, dann muss ich das, was ich dafür brauche,
aus mir selbst schöpfen.
Was mich aber tatsächlich viel mehr beschäftigt hat war die
Frage, wie wir als Schwestern bei den Proben einen Zugang
zu den verfeindeten Schwestern unserer Geschichte finden
würden. Davor hatte ich sogar ein bisschen Angst. Aber auch
das ist schließlich eine ganz normale schauspielerische Aufgabe. Denn wenn ich mit einer anderen Schauspielerin als
meiner Schwester proben würde, müsste ich mir die Rolle ja
trotzdem erst einmal erarbeiten, und dafür würde ich auch
aus meiner eigenen Erfahrung schöpfen, also aus der Erfahrung mit Corinna.
„Was mich aber tatsächlich
beschäftigt hat war die
Frage, wie wir als
Schwestern bei den
Proben einen Zugang zu
den verfeindeten
Schwestern unserer
Geschichte finden würden.“
Catherine Stoyan
Corinna Harfouch: Es gibt aber Momente während unserer
Proben, in denen ich stärker berührt bin als bei anderen Proben, weil wir uns natürlich nah sind. Catherine verschwindet
ja nicht hinter ihrer Rolle wie hinter einer Folie. Wenn wir die
Szenen miteinander probieren, sehe ich nicht nur die Figur,
sondern immer auch meine Schwester. Das wäre bei einer
anderen Schauspielerin nicht so. Trotzdem arbeiten wir hier
nicht unsere Beziehung auf, denn die Beziehung der beiden
8
Stoyan: Ich frage mich ja manchmal, ob mit mir etwas
nicht stimmt, aber ich hab das einfach nicht, dieses Konkurrenzdenken. Erfolg heißt für mich, in einer konkreten Produktion das zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Das geht
auch gar nicht anders, denn für mich ist es normal, dass ich
nicht weiß, was ich als nächstes mache.
Harfouch: Erfolg gibt mir auf einer äußeren Ebene Sicherheit und einen gewissen Schutz; er hilft auch in bestimmten
Alltagssituationen. In anderen kann er sich aber auch nachteilig auswirken. Vor allem aber ist es für mich Arbeit, wenn
ich einen Film drehe oder in einem Theaterstück spiele. Und
um diese Arbeit gut zu machen, kann ich zwar auf meiner Erfahrung aufbauen, nicht aber auf dem Erfolg. Eigentlich beginnt man bei jedem Projekt wieder bei Null.
Und ich hatte einfach ganz viel Glück, weil ich ganz früh in
meiner Karriere auf Leute getroffen bin, die mich stark machen
wollten. Ich durfte wachsen, ohne dass mich jemand fertig
machen wollte, und irgendwann war die Bühne mein Zuhause.
„Erfolg heißt für mich, in
einer konkreten Produktion
das zu schaffen, was ich
mir vorgenommen habe.“
Catherine Stoyan
Holtzhauer: Im Fall der Schwestern Jane und Blanche waren die Filmstudios ihr Zuhause bzw. ihr Leben, aus dem sie
durch diesen mysteriösen Unfall gerissen wurden. Aber kann
man überhaupt aufhören Schauspielerin zu sein? Denkt ihr
manchmal ans Aufhören?
Stoyan: (lacht) Immer wieder.
Harfouch: (lacht ebenfalls) Eigentlich ständig. Aber man
hört tatsächlich nicht einfach auf, Schauspielerin zu sein. Dieser Beruf ist das Leben, wobei in diesem Leben natürlich noch
viel mehr stattfindet, als nur auf der Probebühne zu sitzen.
Auf eine gewisse Art und Weise ist das Spielen sogar eine Art
Überlebenstechnik: Wir alle spielen doch in allen möglichen
Situationen unseres Lebens Rollen, tragen Masken. Je zersplitterter unsere Leben sind, umso mehr Masken tragen wir. Es
geht für mich auf der Bühne aber nicht darum, sich noch eine
Holtzhauer: Wir nähern uns mit gewaltigen Schritten
dem Ende der achtjährigen Intendanz von Hasko Weber am
Schauspiel Stuttgart. Ihr habt in unserer ersten Spielzeit gemeinsam im Kammertheater auf der Bühne gestanden. Du,
Catherine, hast anschließend viele Rollen in Stuttgart gespielt, zuletzt die Dorine im Tartuffe, während du, Corinna,
mit eigenen Projekten hier zu sehen warst, und natürlich als
der Teufel in Meister und Margarita. Zum (vielleicht) letzten
Mal in Stuttgart spielt ihr nun wieder gemeinsam in einer Inszenierung – und wieder führt Christian Weise Regie. Was bedeutet euch die Stuttgarter Zeit?
Harfouch: Ich habe mich hier – sowohl in der Stadt als auch
im Theater – unglaublich gut empfangen gefühlt. Ich hatte
hier Möglichkeiten, die ich nirgendwo anders bekommen hätte, und konnte viele verschiedene Sachen ausprobieren. Und
dafür bin ich sehr dankbar.
Stoyan: Das geht mir ganz genauso.
Weise: Ich habe hier eine wunderbare Zeit gehabt. Ich habe
mit befreundeten Mitstreitern gemeinsame Arbeiten realisieren können und neue Mitstreiter kennengelernt, mit denen
ich nun unbedingt weiterarbeiten will. Und durch die vielen
Formate, die wir entwickelt haben, etwa Viva la Mittwoch in
der Interimsspielstätte in der Türlenstraße, haben wir Kontakt
zu vielen Menschen in der Stadt bekommen, die man im normalen Theateralltag nie kennenlernen würde. Es wurde dadurch eine wahnsinnig intensive Zeit.
Was geschah mit Baby Jane?
frei nach dem Roman von Henry Farrell
Regie: Christian Weise, Bühne: Volker Hintermeier,
Kostüme: Andy Besuch, Musik: Jens Dohle, Dramaturgie:
Christian Holtzhauer, Mit: Dorothea Arnold, Benjamin
Grüter, Corinna Harfouch, Jan Jaroszek, Jan Krauter,
Katharina Ortmayr, Nora Quest, Sebastian Röhrle,
Michael Stiller, Catherine Stoyan, Anna Windmüller
sowie Jens Dohle und Falk Effenberger
Premiere: 02. März 2013 // 20:00 Uhr // Kammertheater
Catherine Stoyan und Corinna Harfouch
auf der Probebühne von Was geschah mit
Baby Jane? (Foto: Christian Kleiner)
Das Journal März /April /Mai 2013
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03. Susanne Gschwender
03.
Die Bühnenbildnerin der Oper Stuttgart im Gespräch
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g
r
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b
s
Gral sümpfe
Frosch
Seit der Spielzeit 1999/2000 ist die Architektin
Susanne Gschwender an der Oper Stuttgart
für die künstlerische Produktionsleitung im
Bereich Bühnenbild verantwortlich.
Zwei ihrer Arbeiten sind demnächst wieder
in Stuttgart zu sehen: Parsifal und Platée.
Mit Dramaturg Patrick Hahn spricht sie über
die Herausforderungen ihres Berufes.
Patrick Hahn: Opern spielen oft an merkwürdigen Orten
und zu merkwürdigen Zeiten. Mal im alten Ägypten, mit Babyloniern und Hebräern, mal im Mittelalter mit Gralsburgen,
dann wieder in einer nicht definierten Antike in Froschsümpfen und an anderen kuriosen Orten. Was ist schwieriger, diese
Schauplätze auf die Bühne zu hieven oder neue Übersetzungen dafür zu finden?
Susanne Gschwender: Entscheidend ist doch eher: Was
ist künstlerisch interessant? Recherche ist in jedem Fall
wichtig: Wie hat der Ort, der gezeigt werden soll, zur Zeit der
Handlung des Stückes ausgesehen? Man sollte auch wissen,
wie eine Theaterbühne zur Zeit der Entstehung eines Stückes
funktioniert hat, welche Möglichkeiten sie geboten hat – und
was zur damaligen Zeit dann die bühnengemäße Darstellung
eines Ortes bedeutet hat (häufig etwas anderes als heute).
Aber ein historisierendes Erscheinungsbild ist lediglich eine
von vielen möglichen Annäherungsweisen. Für mich geht es
vor allem darum, eine heute relevante Idee des jeweiligen Stückes mit dem Bühnenbild zu unterstützen.
PH: Dennoch erfährt man von vielen Zuschauern immer
wieder den Wunsch, »Historienfilme« mit einer vermeintlich
authentischen Kulisse zu sehen. Kann die Bühne das einfach
nur schlechter als der Film?
SG: Film ist ein ganz anderes Medium. Mit allen Vor- und
Nachteilen. Ein ganz pragmatischer Nachteil ist, dass ein
Bühnenvorgang reproduzierbar sein muss, jeden Abend aufs
Neue, während einer Probe vielleicht mehrfach. Man kann
nicht so einfach 100 Stühle zertrümmern oder Hochhäuser in
die Luft jagen – auch wenn es lustig wäre. Zudem hat man mit
dem Schnitt im Film die Möglichkeit ein Geschehen anders zu
fokussieren. Ein Bühnenbild ist dagegen immer präsent und
muss durchgehend in jeder Situation funktionieren. Einer der
großen Vorteile des Theaters ist, dass man den Zuschauer direkt erreicht. Der Zuschauer ist faktisch im gleichen Raum wie
die Darsteller.
„Now I’ve got the concept!“
PH: Diese Nähe zwischen Darstellern und Publikum hast Du
auch in Deinen letzten Bühnenbildern betont – ob bei Hanjo,
einer Inszenierung, die bei der Ruhrtriennale Premiere gefeiert hat und nun in Berlin zu sehen sein wird, oder in den Stuttgarter Produktionen Triumph von Zeit und Enttäuschung und
Platée. Oft ragt das Bühnenbild bis in den Zuschauerbereich
hinein oder es gibt wenigstens einen Steg, der den Darstellern
»über die Rampe« hilft.
SG: Alle diese Produktionen sind in Zusammenarbeit mit
dem Regisseur Calixto Bieito entstanden. Ihn interessiert eine
starke Interaktion mit dem Zuschauer. Es weckt ganz unterschiedliche Emotionen, je nachdem ob man einen Menschen
neben sich singen hört oder über die Distanz eines Orchestergrabens hinweg.
PH: Aber auch im übertragenen Sinne muss ein Bühnenbild eine Brücke zum Publikum schlagen: es ist oft der erste
Eindruck, den ein Zuschauer von einer Inszenierung empfängt. Wann ist ein Bühnenbild in Deinen Augen gelungen?
SG: Wenn es die Idee, die man im Team gefunden hat, in
einem starken Bild komprimiert. Eines der schönsten Komplimente habe ich nach der Technischen Einrichtung von Parsifal bekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Ensemble
auf der Probebühne gearbeitet und nach der ersten Probe in
der Originaldekoration sagte einer der Sänger: »Now I’ve got
the concept!«. Für die Hauptdarstellerin in Hanjo war das Bühnenbild eine heftige körperliche Herausforderung: Sie bewegte sich barfuss und kniend auf echtem Schotter und Eisenbahnschienen. Aber für sie war das Agieren mit diesen rauen
Materialien wichtig für die Konzentration auf ihre Rolle. Natürlich ist es ein großes Vergnügen starke Bilder zu schaffen,
aber die Themen, um die es geht, und die Darsteller sollten
immer im Mittelpunkt bleiben. Die Bilder dürfen kein Selbstzweck sein.
Die Brücke
zum Zuschauer
PH: Wenn die Materialien von solcher Bedeutung sind – wo
bleibt denn dann die Illusion? Man kann doch nicht unbegrenzt
Matthias Hölle (Titurel), Heinz Göhrig (1. Gralsritter), Staatsopernchor
Stuttgart in Parsifal. Foto: Martin Sigmund
10
Inszenierungsfoto zur Premiere von Platée am 1. Juli 2012 mit Cyril Auvity (Mercure), Rebecca von Lipinski (Thalie), André Morsch (Cithéron), Ana Durlovski (La Folie), Andreas Wolf (Jupiter), Sophie Marilley (Juno), Shigeo
Ishino (Momus), Thomas Walker (Platée). Foto: A.T. Schaefer
Stahlbeton auf die Bühne stellen und staubige Materialien wie
Sand sind für Sänger beim Singen doch recht ungesund, oder?
SG: Tatsächlich kann man aus den verschiedensten Gründen nicht immer Echt-Material verwenden. Es war riskant,
aber bei Parsifal ist es geglückt, Beton so zu imitieren, dass
er echt wirkt. Was vor allem damit zu tun hat, dass die Werkstätten hier ganz wunderbar sind. Doch auch wenn ich »reale«
Materialien benutze, bedeutet dies noch nicht, dass ich diese
so verwende, wie »im wirklichen Leben«. Spannend ist, wenn
eine Umwertung stattfindet. Man muss den Grat finden zwischen Illusion und ...
des Abends verwandelt. Ein Einheitsraum kann viel mehr
sein als nur ein Raum. Die Definition des Raumes erfolgt auch
sehr stark über die Menschen, die sich in ihm bewegen und
ihn »in Besitz« nehmen. Nachdem Gurnemanz singt: »zum
Raum wird hier die Zeit«, füllt sich während der großartigen
Verwandlungsmusik die Bühne mit dem Herrenchor, der aus
Luken in die Endzeitwelt aufsteigt. Um sie geht es in diesem
Moment.
PH: ... Wahrhaftigkeit?
SG: Wahrhaftigkeit klingt so pathetisch. Aber man spürt,
dass die Echtheit des Materials den Darstellern oft hilft. Keine
hohle Wand, sondern Steine, an denen man sich »abarbeiten«
muss ... Wenn sich die Darsteller im Parsifal Teile aus der Brücke herausreißen, hört man auch im Zuschauerraum, dass es
echtes Metall ist.
Derzeit arbeitet Susanne Gschwender am Bühnenbild
für die Neuinszenierung von La Cenerentola
(Regie: Andrea Moses, Premiere am 30.06.2013).
Parsifal
von Richard Wagner
PH: Auch Bühnenbilder machen Musik.
Regie: Calixto Bieito; Musikalische Leitung: Sylvain
Cambreling
SG: Was die meisten Dirigenten nicht so gerne hören ...
PH: Deine letzten Bühnenbilder, die Du mit Calixto Bieito
entwickelt hast, haben einen geradezu installativen Charakter. Viele Werke sehen jedoch eigentlich viele Szenenwechsel, viele Verwandlungen vor. Früher hat man in so einem
Fall einen anderen Prospekt eingehängt und hat die Handlung dadurch an einen anderen Ort verlegt. Doch heute gibt
es auf den Bühnen einen regelrechten Trend zu sogenannten
»Durchstehern« ...
SG: Gut gesetzte Verwandlungen können eine schöne Dynamik in die Inszenierung bringen. Für mich ist es aber vor
allem spannend, wenn die ganze Welt, die man zeigen möchte, bereits im Raum vorhanden ist und dieser sich im Laufe
Das Journal März /April /Mai 2013
SG: In dieser Hinsicht bin ich ziemlich altmodisch. Am
Computer kann zu viel verfälscht werden und zudem sind
mir die computergenerierten Bilder zu unsinnlich. Manche
Proportionen kann ich mir nur über das Modell klar machen.
Zum Beispiel steigt die Landschaft in Parsifal – was keiner
vermuten würde – an der höchsten Stelle drei Meter über
Bühnenniveau an. Die Brücke ist gegenläufig dazu gebaut,
was dem Gesamtraum optisch viel mehr Tiefe gibt, als es real
im Bühnenhaus möglich wäre. Darüber hinaus bereiten viele
Regisseure mit dem Modell ihre Arbeit vor, und auch für die
Werkstätten ist es bedeutend anschaulicher, wenn sie beim
Bauen ein Modell haben. Schließlich lässt sich selbst die technische Realisierbarkeit bis zu einem gewissen Grad am Modell
abschätzen. Was im Modell kompliziert zu bauen ist, ist meist
auch für die Technik schwer umsetzbar. Pappe lässt sich doch
irgendwie zwingen. Alles andere nicht.
Wiederaufnahme: 01. April 2013 // 17:00 Uhr // Opernhaus
April 2013: 14.04. // 21.04. // 28.04.
Mai 2013: 05.05. // 09.05. // 12.05.
Susanne Gschwender bei der Bauprobe. Foto: Moritz Lobeck
PH: Wenn man in Dein Atelier kommt, oberhalb des Malsaals, wo meistens noch Licht brennt, auch wenn das Theater schon lange schlafen gegangen ist, findet man auf einem
großen Arbeitstisch immer mindestens ein Modell in Arbeit:
sämtliche Bühnenbilder, die in den Werkstätten gebaut werden, entstehen zunächst hier an Deinem Tisch in Miniaturform. Ist diese Vorgehensweise nicht anachronistisch? Kann
man das heute nicht viel besser im Computer machen?
Platée
von Jean-Philippe Rameau
Im Repertoire ab 04. Juni 2013
sowie weitere Vorstellungen im Juni und Juli 2013
11
00. Titel Krabat
04. Uraufführung:
04.
Blindtext
für Untertitel
Ein Ballett von
Demis Volpi
nach Otfried Preußler
Zauberei, Verlockungen der
Macht und die Kraft der Liebe
Ab März steht ein brandneues Handlungsballett auf dem Spielplan des Stuttgarter Balletts.
Der junge deutsch-argentinische Choreograph DEMIS VOLPI lässt gemeinsam mit
Kostüm- und Bühnenbildnerin KATHARINA SCHLIPF, Dramaturgin VIVIEN ARNOLD und
Dirigent JAMES TUGGLE Otfried Preußlers preisgekrönten Jugendroman Krabat
auf der Ballettbühne lebendig werden. Kristina Scharmacher vom Stuttgarter Ballett
hat mit Demis Volpi und seinem Team gesprochen.
Kristina Scharmacher: Wie entstand die Idee zu diesem
Ballett?
Demis Volpi: Reid Anderson hat mich gebeten, ein Ballett
zu schaffen, das nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche ansprechen soll. Ich habe dann versucht mich zu
erinnern, welche Geschichten mich selbst als Kind und Jugendlicher interessiert haben, habe viel gelesen. Dabei habe
ich übrigens festgestellt, dass die meisten für junge Menschen gedachten Stoffe viel grausamer sind, als Geschichten für Erwachsene – aber es kommt auf die Verpackung an!
Ich habe mich schließlich für Otfried Preußlers Jugendroman Krabat als Vorlage für mein Ballett entschieden.
KS: Warum ausgerechnet Krabat?
Demis Volpi: Ich finde es sehr wichtig, diese Geschich-
te am Leben zu erhalten. Sie ist aktuell und universell. Es
geht ja im Prinzip um einen Jungen, der sich in die falsche
Gesellschaft begibt und dort zunächst den Verlockungen
der Macht erliegt. Als er realisiert, was ihm geschieht, ist
es schon fast zu spät. Aber durch die Kraft der Liebe kann
er sich und seine Mitmenschen retten. Außerdem finde ich
natürlich das Element der Zauberei unheimlich spannend,
das hat mich schon immer fasziniert. Krabat ist eine tolle
Chance, dieses Interesse mit dem Tanz zu verbinden.
„Ich finde es sehr wichtig, diese
Geschichte am Leben zu erhalten.
Sie ist aktuell und universell.“
Demis Volpi
KS: Wie wird aus einem Buch ein Ballett?
Vivien Arnold: Indem man das Buch Kapitel für Kapitel
durchgeht und sich im Hinblick auf die Vision des Choreographen fragt: Welche Szenen und Charaktere sind unverzichtbar, welche überflüssig? Welche Szenen haben Bühnen- bzw. Tanzpotential? Bei einigen Passagen des Buches
scheint es auf den ersten Blick unmöglich, sie in Tanz umzusetzen. Dann sucht man nach Bildern und Motiven, die
das Geschriebene im Tanz darstellen können. So entsteht
nach und nach das Libretto: Akt für Akt, Szene für Szene.
Wir haben versucht, die Essenz der Geschichte so klar wie
möglich herauszuarbeiten, indem wir immer stärker reduziert haben. Letztendlich ist die Entwicklung dieses Balletts vor allem geprägt durch eine sehr enge Teamarbeit.
Choreographie, Dramaturgie, Ausstattung und Musik: Alles
wurde im Team besprochen und entwickelt, alles hängt
voneinander ab und greift ineinander.
KS: Demis, verändert sich Ihre Herangehensweise an ein
Stück, wenn Sie für Jugendliche arbeiten?
Demis Volpi: Ja und nein. Ich suche natürlich nach einer
Art der Darstellung, die für junge Menschen leicht nachvollziehbar ist. Preußler arbeitet in seinem Roman ja mit unterschiedlichen Zeitebenen, Rückblenden, Traum und Wirklichkeit, und wir versuchen, das möglichst übersichtlich zu
zeigen. Andererseits darf man die jungen Zuschauer nicht
unterschätzen. Als ich für die John Cranko Schule Der Karneval der Tiere choreographiert habe, fragte ein Mädchen
aus dem Publikum: »Warum ist das Känguru so bunt?« Ein
Junge antwortete: »Das ist doch Fantasie!« Kinder sind sich
also durchaus des Unterschiedes zwischen Realität und
Bühne bewusst und kommen mit einer gewissen Abstraktion gut zurecht.
„Choreographie, Dramaturgie,
Ausstattung und Musik –
alles hängt voneinander ab und
greift ineinander.“
Vivien Arnold
KS: Als Sie mit den Proben im Ballettsaal begonnen haben, war da schon die komplette Choreographie in Ihrem
Kopf?
Demis Volpi: Nein, ich finde es spannender, alles gemeinsam mit den Tänzern zu entwickeln. Wenn ich mit einer
neuen Passage beginne, spreche ich mit den Tänzern zunächst über die jeweilige Szene, spiele Ihnen die Musik vor.
Sie sollen genauso viel über das Stück wissen, wie ich. Ich
schaffe Raum, um zusammenzuarbeiten, damit die Tänzer
Impulse und Ideen geben können.
KS: Katharina, der Roman spielt zur Zeit des Großen Nor-
dischen Krieges zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Lehnt sich
Ihre Ausstattung an diese Zeit an?
Katharina Schlipf: Nicht direkt, wir haben stark abstrahiert. Man wird die Mühle, in der sich alles abspielt, erkennen, aber ich stelle sie nicht eins zu eins dar. Wie das funktioniert, soll noch bis zur Premiere ein Geheimnis bleiben,
damit möchten wir das Publikum überraschen. Wichtig war
mir vor allem, die richtige Stimmung zu vermitteln, dabei
haben mir natürlich auch unsere Mühlen-Besichtigungen
sehr geholfen.
„Es ist spannend, die ganze Welt,
die Otfried Preußler in
seinem Roman entwirft,
in einem Raum darzustellen.“
Katharina Schlipf
KS: Was hat Sie besonders an der Arbeit an Krabat ge-
reizt?
Katharina Schlipf: Es ist sehr spannend, die ganze Welt,
die Otfried Preußler in seinem Roman entwirft, in einem
Raum darzustellen. Für Krabat ist dieser Raum ja einerseits ein Gefängnis, wird aber andererseits später auch zu
einem Ort der Befreiung. Für diese Gegensätze Lösungen
zu finden, war sehr faszinierend. Ein Ballett auszustatten,
birgt außerdem verglichen mit Oper und Schauspiel besondere Herausforderungen. Zum Beispiel muss jedes Kostüm
mehrfach vorhanden sein und man kann viel weniger mit
Requisiten arbeiten.
Dramaturgin Vivien Arnold, Choreograph Demis Volpi, Kostüm- und
Bühnenbildnerin Katharina Schlipf und Dirigent James Tuggle.
Foto: Roman Novitzky
Katharina Schlipf: Die Bühnenbilder und Kostüme werden komplett in den Werkstätten der Staatstheater angefertigt. Viele Abteilungen arbeiten daran mit, von der
Schreinerei bis zur Schneiderei.
KS: James, wie muss man sich die Entstehung einer musikalischen Grundlage für ein neues Ballett vorstellen?
James Tuggle: Welche Musik man für ein Ballett auswählt, hängt natürlich sehr stark von der Inszenierung und
vom Libretto ab. Zunächst muss man wissen, was in jeder
Szene genau erzählt wird, wann die Handlung sich abspielt
und welche Atmosphäre kreiert werden soll. Uns war es
außerdem wichtig, dass die Musik noch nicht zu häufig in
Balletten verwendet worden ist. Es wird natürlich immer
schwieriger, etwas Neues zu finden. Wir haben uns deshalb
nicht für Tonsetzer der Klassik, sondern des 20. bzw. 21.
Jahrhunderts entschieden.
KS: Welche Komponisten haben Sie dann ausgewählt?
Und warum?
James Tuggle: Nachdem wir zunächst sehr viele Komponisten zur Auswahl hatten, haben wir uns entschlossen, uns
auf drei von ihnen zu reduzieren. Mit ihren unterschiedlichen Stilen können wir die verschiedenen Stimmungen
Krabats wunderbar zum Ausdruck bringen: Pe-teris Vasks
Musik ist frisch und eingängig, Krzysztof Pendereckis Klänge sind sehr avantgardistisch und stark emotional, Philip
Glass wird für das Magische stehen.
„Gerade junge Menschen
sind ja offen für ungewöhnliche
Hörerlebnisse.“
James Tuggle
KS: Und wie wird die spezielle Atmosphäre der Mühle in
der Musik vermittelt?
Vivien Arnold: Im Rahmen der Recherchearbeiten haben wir verschiedene Mühlen besucht. Bei einer unserer
Besichtigungen hat der Müller angeboten, die Mühle, die
eigentlich gerade nicht in Betrieb war, anzuschalten. Die
Klänge, die durch die Mühle erzeugt wurden, waren fantastisch, wie Musik! Uns war sofort klar, dass wir diese Eindrücke in Krabat integrieren müssen.
James Tuggle: Unsere Tontechniker haben die Geräusche
der Mühle aufgezeichnet und daraus ist das akustische
Leitmotiv des Balletts entstanden. Die Klänge sind wunderschön, aber auch grausam und manchmal schmerzen sie
beinahe. Gerade junge Menschen sind ja sehr offen für solche ungewöhnlichen Hörerlebnisse.
Krabat
Ballett von Demis Volpi nach Otfried Preußler
- teris Vasks,
Choreographie: Demis Volpi; Musik: Pe
Philip Glass, Krzysztof Penderecki u.a.; Bühnenbild
und Kostüme: Katharina Schlipf; Libretto und Dramaturgie: Vivien Arnold; Licht: Bonnie Beecher; Musikalische Leitung: James Tuggle; Staatsorchester Stuttgart; Solisten und Corps de ballet
Uraufführung: 22. März 2013 // 19:00 // Opernhaus
Weitere Vorstellungen: 29.03. // 31.03. (nm/abd) //
03.04. // 06.04. // 31.05. // 03.06. // 06.06. // 24.06. //
06.07. (Ballett im Park) // 07.07.2013
KS: Wie funktioniert die Umsetzung Ihrer Entwürfe rein
praktisch?
Marijn Rademaker als Meister und David Moore als Krabat
(Foto: Stuttgarter Ballett)
12
Das Journal März /April /Mai 2013
13
05. Ana Durlovski
05.
Die Sopranistin des Stuttgarter Sängerensembles im Portrait
Mit 21 Jahren sang sie bereits Lucia di Lammermoor in Donizettis gleichnamiger Oper
in ihrer Heimatstadt Skopje – die gleiche Partie, mit der sie hier in Stuttgart vor
drei Jahren bekannt wurde. Seither hat sich Ana Durlovski durch ihr Rollenportrait der
Amina in Die Nachtwandlerin und der Doppelpartie Amour und La Folie in Platée
unaufhaltsam in die Herzen des Stuttgarter Publikums gesungen.
»In meinem Leben sind viele Sachen passiert, die ich nicht erklären kann« – so antwortet Ana Durlovski auf die Frage, wie
es kam, dass sie, Tochter zweier Tiermediziner, aufgewachsen im mazedonischen Skopje, heute gefeierte Solistin und
von allen geschätztes, ja, geliebtes Ensemblemitglied an der
Oper Stuttgart ist. Hört man ihr zu, erlebt man sie, sowohl auf
der Bühne als auch jenseits davon, scheint dieser Weg jedoch
nicht nur Zufällen geschuldet, auch nicht allein ihrer großen
Begabung und unablässigen Arbeit, sondern nicht zuletzt einer bewundernswert glücklichen Einstellung zum Leben.
Stehplatz in der
Wiener Staatsoper
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Foto: Martin Sigmund
Ein Zufall allerdings war es, dass sie bereits in jungen Jahren
einmal in der Oper war und Carmen gesehen hat. Sie erinnert
sich, wie sie im Kindergarten versucht hat, die Carmen zu singen, – »ein Wunsch, den ich bis zum heutigen Tag habe«, lacht
sie. Musiklehrerin wollte sie werden, als sie sich später dann
für einen Beruf entscheiden musste. Bei der Aufnahmeprüfung entdeckten die Dozenten jedoch ihre Stimme und rieten
ihr, stattdessen Sologesang zu studieren, »ich wusste damals
nicht, dass man die Stimme auch ausbilden kann«. Mit 21
Jahren bereits hatte sie ihr Debüt als Lucia in Donizettis Lucia
di Lammermoor an der Oper in Skopje. »Heute«, erzählt sie,
»habe ich Angst, wenn ich daran denke. Aber damals habe ich
einfach ›ja‹ gesagt, ich wusste ja überhaupt nicht, was das bedeutet. Gott sei Dank ist alles gut gegangen!« Es war ein großer Erfolg – wie sich jeder vorstellen kann, der Ana Durlovski
dann bei ihrem Stuttgarter Debüt als Lucia erlebt hat.
Wenig später kamen sie und ihr Mann, ebenfalls ein Sänger,
über die Teilnahme am Belvedere-Wettbewerb nach Wien –
und da sich die politische Situation in Mazedonien als Teil des
ehemaligen Jugoslawien zuspitzte, blieben sie dort, für ganze
vier Jahre. Ab und zu sangen sie irgendwo, Ana Durlovski war
für zwei Jahre im Chor in St. Pölten. »Es war eine schwere,
aber auch eine schöne Zeit. Man lernte den Wert der Dinge
schätzen«, erinnert sich Ana Durlovski heute an diese nicht
sehr üppigen Jahre. »Wenn man sich etwas Kleines leistete,
eine Brezel, eine Tüte heiße Maroni, war es eine große Freude.
Und wenn man nach langem Anstehen eine Stehplatzkarte an
der Staatsoper bekam, dann hatte man wirklich gekämpft für
diesen Abend.« Das erste, was sie in der Oper in Wien sah, war
Donizettis Lucia di Lammermoor mit Edita Gruberova in der
Titelpartie. »Was will ich in dieser Welt?« erinnert sie sich an
die Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen, als sie die große Sängerin hörte, die sie bislang nur von Aufnahmen kannte,
und nicht glauben konnte, dass es möglich war, auch live mit
solcher Perfektion zu singen. »Also«, lacht sie heute, »habe ich
mich entschlossen, mehr zu arbeiten.«
„Das ist nun mein erstes und
letztes Mal auf dieser Bühne und
ich genieße das jetzt!“
Einige Jahre später, sie lebte wieder in Mazedonien, erhielt sie
selbst eine Einladung, auf der Bühne der Wiener Staatsoper
zu singen: ein Vorsingen, organisiert von einem Stipendienprogramm. Sie war gerade noch einkaufen in Wien, als sie einen Anruf erhielt, dass der Vorsingtermin vorgezogen wurde.
Abgehetzt kam sie in der Oper an und auf ihre Frage nach einer
Möglichkeit zum Einsingen hieß es nur, wenn sie singen wolle,
dann jetzt. »Ich habe gezittert, als ich auf der Bühne stand.
Dieses Haus, dieser Blick nach oben. Dann dachte ich: O.K.,
das ist jetzt mein erstes und letztes Mal auf dieser Bühne und
ich genieße das jetzt!« Doch es blieb nicht bei diesem einen
Mal, sie wurde engagiert und sang die Königin der Nacht an der
Wiener Staatsoper. Ein weiteres Vorsingen wenig später brachte ihr zur Spielzeit 2006/07 ein festes Engagement am Theater
Mainz. Für ihr Engagement an der Oper Stuttgart brauchte sie
nicht vorzusingen. 2009 übernahm sie in der Neuproduktion
von Donizettis Lucia di Lammermoor kurzfristig die Titelpartie und zog in der Rolle dieser bis zum Wahnsinn liebenden
jungen Frau bei jeder Vorstellung aufs Neue das Publikum in
ihren Bann. Seit der Spielzeit 2011/12 ist Ana Durlovski nun
festes Ensemblemitglied an der Oper Stuttgart. »Ich habe solches Glück gehabt, dass ich nicht mehr Vorsingen durchstehen
14
2012 mit dem deutschen Theaterpreis DER FAUST als beste
Sängerdarstellerin im Musiktheater ausgezeichnet.
Aber es ist nicht nur Arbeit, sondern auch Vergnügen, sich
so tief auf die Charaktere der Bühnenrollen einzulassen, man
erhält die Möglichkeit, so Ana Durlovski, unterschiedlichste
Gefühle auszuleben. Die Bosheit etwa, mit der Morgana ihrer
gebrochenen Schwester Alcina begegnet – »nun wünsche ich
mir, auch einmal eine böse Rolle zu bekommen!«
Dieser Wunsch wird sich in Stuttgart zumindest in nächster
Zeit wohl nicht erfüllen. Denn nach Morgana und Amina, als
die sie ab dem 13. April 2013 wieder in Stuttgart zu erleben ist,
wird sie in dieser Spielzeit ab dem 20. Mai 2013 die Zerbinetta
in der Neuinszenierung von Strauss’ Ariadne auf Naxos übernehmen – ein Rollendebüt. Und während sie nach Schwester
Constance und Amour/La Folie in Platée am Singen auf Französisch Gefallen gefunden hat – »zunächst musste ich viel denken, viel arbeiten, Kiefer und Zunge ganz anders einstellen« –,
ist es Zeichen ihres Perfektionsdranges, dass ihr der Gedanke
an Zerbinetta, trotz ihrer guten Deutschkenntnisse, wegen der
Aussprache noch »total Angst« macht. Zugleich jedoch liebt
sie die Musik Richard Strauss’, die sie erst hier in Deutschland
richtig kennen gelernt hat, so sehr, dass sie ihre Tochter nach
ihrer ersten Strauss-Rolle – Sophie – genannt hat.
Das Journal März /April /Mai 2013
Ana Durlovski in Die Nachtwandlerin und in Platée
(Fotos: A.T. Schaefer)
musste, denn da singe ich am allerschlechtesten, man ist
belastet mit anderen Gedanken, steht unter großem Druck.«
Eine ganz andere Situation als in einer Vorstellung am Abend
auf der Bühne. Da lebt sie in ihrer Rolle, ist ganz da, ohne jeden
anderen Gedanken. Allerdings, so schränkt sie ein, »ist es
schwierig, etwas zu spielen, wenn man es nicht versteht.«
Hier liegt wohl ein Geheimnis von Ana Durlovskis Bühnenpräsenz, der Intensität ihres Gesangs und ihres Spiels, mit der sie
jede Rolle, die sie verkörpert, zu einem Zentrum des Abends
werden lässt, zu einer Figur, die einen auch lange nach dem
letzten Vorhang noch begleitet. Denn dieses Verstehen ist
Voraussetzung für die Hingabe, mit der Ana Durlovski sich in
diese Figuren hineinbegibt, eine Hingabe, die in ihrer unaufwändigen Selbstverständlichkeit zutiefst berührt. Eine Hingabe, die jedoch nie zur Selbstaufgabe wird, sondern die Kraft
und den Willen von Ana Durlovskis ganzer Person mit sich
trägt, eine Kraft und ein Wille, welche die Figur – sei es Lucia di
Lammermoor, die nachtwandelnde Amina, Alcinas Schwester
Morgana, die lebenslustige und todessehnsüchtige Schwester
Constance aus den Gesprächen der Karmeliterinnen oder
aber Amour / La Folie aus Platée – von innen heraus mit Leben
füllt. Sich in dieser Weise auf so verschiedene Rollencharaktere, so verschiedene Geschichten einzulassen, braucht darüberhinaus eine vorurteilsfreie Offenheit, eine Durchlässigkeit
und positive Neugierde, die Ana Durlovski auch jenseits der
Bühne auszeichnet. Und so begibt sie sich in den Prozess der
Inszenierung hinein. Etwa bei Amina in Die Nachtwandlerin:
»Ich hätte nie gedacht, dass diese Figur sich so entwickelt. Als
wir beim Finale des 1. Aktes angekommen waren, war klar: Sie
kann nicht mehr zurück, es kann kein Happy End mehr geben.«
Eine solche Auseinandersetzung mit einer Rolle geht mitunter ganz schön unter die Haut: »Ich war so traurig für Amina,
noch nie war ich so traurig um die Persönlichkeit einer Rolle.«
Dass sich diese innige Beschäftigung mit der Figur auch dem
Publikum mitteilt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie für
ihre Verkörperung der Amina gleich zwei der wichtigsten Auszeichnungen der deutschen Opernlandschaft erhielt: in der
Umfrage der Zeitschrift »Opernwelt« wurde sie zur »Nachwuchssängerin des Jahres« 2012 gewählt und im November
Die eindringliche Lebendigkeit der von Ana Durlovski verkörperten Figuren lässt sich jedoch nicht allein aus dem Szenischen erklären, sondern viel mehr noch aus dem unmittelbaren Ineinandergreifen von Darstellung und Gesang. Das
Verstehen einer Figur und die Hingabe an ihre jeweilige Verfasstheit hört bei Ana Durlovski so auch bei der musikalischen
Ausgestaltung einer Partie nicht auf: »Eine Koloratur muss für
mich immer eine Bedeutung haben. Ich muss erst wissen: Wie
ist die Regie, wer bin ich – und dann kommen die Verzierungen, so, dass sie dazu passen.« Das Staunen über die scheinbar unendliche Virtuosität und Beweglichkeit ihrer Stimme
wird so auch in den stupendesten Momenten immer überlagert von der zu Herzen gehenden emotionalen Kraft, die ihr
Gesang im Dienste der jeweiligen Figur vermittelt. Mit ihrer
Stimme zieht Ana Durlovski das Publikum gleichsam auf die
Bühne und auch das leiseste Piano erhält eine Intensität, die
es mühelos jeden Platz im Saal erreichen lässt. Dabei täuscht
die Zartheit ihrer Stimme nie hinweg über ihre Kraft, so wenig wie die Zerbrechlichkeit der meisten Figuren, denen sie sie
leiht, ihrer Eindringlichkeit entgegensteht.
Ferien in der Oper
Seit mehreren Jahren lebt Ana Durlovski nun in Deutschland,
hat jedoch nach wie vor engen Kontakt nach Mazedonien. So
oft es geht, singen sie und ihr Mann an der mazedonischen
Oper in Skopje und den Sommer verbringt sie mit ihrer Familie
immer dort. »Das Obst und Gemüse von den Feldern schmeckt
so gut. Überhaupt ist man in einer anderen Welt, einem ganz
anderen Lebensstil. Ich freue mich immer über den Wechsel
– aber dann auch wieder über den zurück nach Deutschland.«
Ihre Familie, das sind neben ihrem Mann ihre drei Kinder im
Vorschulalter, darunter ein zweijähriges Zwillingspaar – vielleicht auch das ein Grund, weshalb Ana Durlovski den Katastrophen des Alltags mit trainierten Nerven gegenübersteht.
»Außerdem«, erzählt sie, »habe ich einen Defekt: immer wenn
es ganz schlimm wird, muss ich lachen.«
Ihren Beruf weiß sie, seit sie Kinder hat, jedenfalls nur noch
mehr zu schätzen: »Wenn ich in der Oper bin, habe ich Ferien!«
Angela Beuerle
Ariadne auf Naxos
von Richard Strauss
Regie: Jossi Wieler und Sergio Morabito; Musikalische
Leitung: Michael Schønwandt
Premiere: 20. Mai 2013 // 18:00 Uhr // Opernhaus
Mai 2013: 20.05. // 24.05. // 28.05.2013
Juni 2013: 09.06. // 12.06. // 15.06. // 22.06. // 29.06.2013
15
06. Magazin des Glücks
06.
Theatertexte von Dea Loher im NORD
Das ist Glück
In Stuttgart werden unter diesem Titel vier
junge Regisseure ihr Regieglück an Texten
der Autorin erproben – zwei aus der Sammlung Magazin des Glücks: Licht und Hände,
zwei aus dem übrigen Stückerepertoire der
Autorin: Blaubart – Hoffnung der Frauen und
Manhattan Medea. Alle diese Texte verbindet
die lakonisch poetische Sprache, ein grimmiger schwarzer Humor und die trotzige Hoffnung, dass irgendwo vielleicht ein Glück doch
noch zu finden ist.
Es inszenieren zwei junge Regieassistentinnen des Schauspiel Stuttgart: Anna Drescher
und Sarah Schmid. Zu ihnen gesellen sich zwei
junge Regisseure: Jan Koslowski, Regieabsolvent der Theaterakademie Ludwigsburg und
Sebastian Martin.
Sebastian Martin
Der Regisseur im Gespräch mit Annabelle Leschke, die an der Akademie für Darstellende
Kunst in Ludwigsburg Dramaturgie studiert
und bei der Produktion »Hände« als Dramaturgin tätig ist.
Annabelle Leschke: Wie bist du zum Theater gekommen?
Sebastian Martin: Ich bin 1976 in Leverkusen geboren und aufgewachsen und bin über
den üblichen Weg zum Theater gekommen:
Erst mal übers Gymnasium in der TheaterAG. Aus der AG hat sich dann eine freie Gruppe entwickelt, das Junge Theater Leverkusen,
und da hab ich damals begonnen zu spielen.
Parallel dazu habe ich nach dem Zivildienst
angefangen, Philosophie und Germanistik in Köln zu studieren und hab das dann
abgebrochen, als ich an der »Ernst Busch«Hochschule angenommen wurde für Regie.
Nebenbei hab ich früher auch noch viel Musik gemacht.
AL: Welche Musik machst du?
SM: Ich spiele E-Bass, u.a. in einer Expe-
rimentalband mit zwei Bässen und einem
Schlagzeug. Ich hatte immer eine Liebe
DEA LOHER ist eine der wichtigsten Dramatikerinnen ihrer
Generation. Unter dem Titel Magazin des Glücks, den
sie Horváth – einem ihrer literarischen Vorbilder – entlehnte,
versammelt sie eine Reihe von unheimlichen
Geschichten von Glückssuchern, die allesamt scheitern.
zum Krach, eine zur Struktur und eine zum
Quatsch. Und zwischen den drei Polen bewegt
sich das heute noch.
AL: Das Stück Hände erzählt von zwei Paaren, die ihr Glück von dem Verlust der Hände
der Ehemänner abhängig machen. Was fasziniert dich daran?
SM: Für die beiden Ehepaare entwickelt sich ein Glücksversprechen, also die
Handtransplantationen der Männer, zu einem Alptraum. Der fremde, angenähte Körperteil stört die Beziehung der Paare, z.B.
sieht sich eine der Frauen vom Geist des
Vorbesitzers verfolgt. Die Berührungen ihres
Mannes werden für sie zu den Berührungen
eines Verstorbenen. Dem neuen Körperteil
wird ein Eigenleben zugestanden, das die
körperliche Integrität der Figuren in Frage
stellt. Und je mehr dieses dann zerfällt, tritt
die eigentliche Zerrüttung der Paare hervor.
Ich besitze ein hämisches Interesse an solchen beschädigten Figuren, weil ihre Verwundungen überhöhte Abbildungen unserer
eigenen zwischenmenschlichen Unzulänglichkeiten sind. Als Regisseur macht es mir
Spaß, in diesen Wunden zu bohren. Ich denke, der Zweck von Theaterfiguren liegt zum
größten Teil darin, entweder auf die klügste,
oder auf die haarsträubendste Weise so viele
Fehler wie möglich zu machen, um dann unglücklich zu sterben. Wir Zuschauer wohnen
dem bei, und nach der Vorstellung ist es uns
dann überlassen, ob wir dieselben Fehler machen wollen, oder nicht.
SM: Also mich interessieren kaputte, zwischenmenschliche Beziehungen und gesellschaftliche Stillstände. So finden die Figuren
von Dea Loher nicht zueinander und reden
aneinander vorbei. Dieses Auf-der-StelleTreten, da liegt ein Witz drin und das hat eine
gesellschaftliche Relevanz. Es gibt keine Visionen mehr, sondern nur noch Modelle.
Sarah Schmid
Beate Seidel, Dramaturgin des Schauspiel
Stuttgart im Interview mit der Regisseurin
Beate Seidel: Manhattan Medea ist deine
erste Regiearbeit. Warum hast du dich innerhalb unseres Dea-Loher-Projekts gerade für
diesen Text entschieden?
Sarah Schmid: Mir gefällt, wie Dea Loher
mit dem antiken, vielfach rezipierten Stoff
umgeht. In Anlehnung an ihre eigene Biografie verlagert sie die gescheiterte Liebesgeschichte von Medea und Jason aus dem
antiken Griechenland ins Amerika des 20.
Jahrhunderts, angereichert mit Figuren, die
bei Euripides keine Entsprechung finden, wie
der Transvestit Deaf Daisy und der als Türsteher seinen Lebensunterhalt bestreitende Maler Velázquez. Der Bezug zur bildenden Kunst
ist mir wichtig.
BS: Worin besteht für dich der entscheidende Unterschied zwischen der Tragödie des
Euripides und Dea Lohers Adaption?
AL: Mir gefällt der Satz »In den Wunden
bohren«. Suchst du dir die Stücke danach aus?
SS: Ein wesentlicher Unterschied besteht
für mich darin, dass die Geschichte von Medea und Jason bei Loher exemplarisch für
das Scheitern einer Liebesbeziehung zu stehen scheint, während Euripides explizit das
Schicksal der mythologischen Figur in den
Blick nimmt. Auch das Motiv des Kindermords scheint bei Loher – deren Medea nur
ein Kind hat, nicht wie im Original zwei – eine
Metapher für die irreversible Zerstörung der
Verbindung des einstigen Liebespaars zu
sein. Ein anderer, vielleicht sogar der markanteste Unterschied liegt für mich in der
Ebenenvielfalt der Loherschen Adaption. Vor
dem Hintergrund der mythologischen Handlung eröffnet Loher mit Verweis auf die Malerei einen philosophischen Diskurs über Sein
und Schein, das Verhältnis von Original und
Kopie und den Aspekt der Verwandlung. Sie
stellt damit die Unantastbarkeit eines Mythos infrage und befreit sich von diesem.
BS: Bei Euripides, aber auch bei Loher ist
Medea eine Außenseiterin, die zur Mörderin
wird. Wie definiert sich für dich das Außenseitertum der Figur?
SS: Medea, die aus Liebe zu einem Mann
die eigene Familie verraten und Menschenleben auf dem Gewissen hat – darunter ihren
eigenen Bruder – hat keine Existenzberechtigung in einer Gesellschaft, die diese Taten
nicht einordnen kann. Medea befindet sich
bei Loher am Rand der Gesellschaft, zusammen mit gescheiterten Künstlern und Transvestiten, die gesellschaftlichen Normen genauso wenig entsprechen, wie die spätere
Kindsmörderin.
BS: In dem von Loher entworfenen Setting
scheint eine Art Medea-Film zu entstehen.
Loher spielt mit Bildern, die man aus dem
Kino kennt. Wie näherst du dich solchen Versatzstücken und Zitaten an?
SS: Lohers Drama gleicht in gewisser Weise einem David-Lynch-Film. Die Geschichte
folgt keiner stringent durcherzählten Hand-
lung, sondern setzt sich – analog zur Malerei
und zum Film – aus einzelnen szenischen Bildern zusammen, die auf verschiedenen Realitätsebenen operieren. Damit wirft Loher die
Frage nach Raum und Zeit, Wahrnehmung
und Perspektive auf. Unter Rückgriff auf vorgefundenes Material (Euripides, Velázquez,
Picasso) entwirft sie in Manhattan Medea
eine Art Collage des Mythos. Dieser CollageCharakter interessiert mich besonders.
Jan Koslowski
Jan Koslowski bringt Dea Lohers Kurzdrama
Licht aus dem Dramenzyklus Magazin des
Glücks im Spiegel von Hannelore Kohls Biografie auf die Bühne. Koslowski wurde 1987 in
Rostock geboren und wuchs in Berlin auf. Seit
2007 ist er Mitglied des Jugendtheaters P14
der Volksbühne Berlin am Rosa-LuxemburgPlatz. Es folgten Regiehospitanzen bei René
Pollesch und erste eigene Arbeiten im Rahmen von P14. Seine Inszenierungen wurden
beim ›Theatertreffen der Jugend‹ sowie beim
›Bundestreffen der Jugendclubs an Theatern‹
gezeigt. Er studierte Theaterregie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg und belegt aktuell die Masterclass an
der Zürcher Hochschule der Künste.
Das Interview führte Otto A. Thoß. Er studiert Dramaturgie an der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg und ist bei
der Produktion »Licht / Hannelore / Cool« als
Dramaturg tätig.
Otto A. Thoß: Was ist für dich Theater?
Jan Koslowski: Das Schöne an Theater ist,
dass man diese Frage hoffentlich nie beantworten kann.
den Abend entwickeln. Wenn ich Musik höre,
weiß ich, wie der Abend aussehen wird. Zunächst muss ich mich natürlich für ein Thema
entscheiden, den Text untersuchen, verstehen und für mich selbst dechiffrieren. Und
natürlich meine Phantasie arbeiten lassen,
also schauen, ob mir ein Szenario in den Sinn
kommt. Ich fange meistens an mit Recherche:
ich suche und lese andere Literatur, die mich
inspiriert oder die thematisch nützlich ist. Ich
muss einen Bezug für mich finden, das kann
auch ein bestimmtes Gefühl sein oder eine
Ahnung davon. Konkreter wird es dann in der
Zusammenarbeit mit Bühne und Kostüm:
Welche Aspekte lassen sich visuell ausdrücken, wie ist die Stimmung des Abends, wie
lassen sich die Inhalte darstellen? Gleichzeitig stelle ich das Ensemble zusammen: mit
wem diskutiere ich gerne, wer wäre inhaltlich
eine Bereicherung.
OT: Was interessiert dich an Dea Lohers
Text Licht ?
JK: Der Text funktioniert für mich wie ein
Libretto, und er ist eigentlich sehr undramatisch, besitzt aber eine gewisse Mystik, wie
der letzte Akt eines großen Opernabends, das
mag ich sehr.
OT: Welche Rolle spielt Hannelore Kohl
dabei?
JK: Man ist da ja nicht frei von kitschigen
Gedanken über diese allein gelassene Frau,
ohne Mann, ohne ihre Kinder, wie so ein Auslaufmodell in den letzten Atemzügen. Ihr
Lebensmodell zu betrachten, finde ich sehr
spannend, auch die Ideale dieser Nachkriegsgeneration und die verschiedenen Ideologien,
in denen sie sich zurecht finden musste. Ihr
Ausstieg aus der Gesellschaft, ihre Funktion in
der Öffentlichkeit, das gibt viel Material.
OT: Was bedeutet es für Dich, Regie zu füh-
ren?
JK: Man sollte in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen und man ist verantwortlich
für alles und jeden. Ein bisschen ist Regie führen wie Tetris spielen: wenn alles passt, ist es
auch schon wieder vorbei. Und: Regie führen
bedeutet jede Menge fun.
OT: Wie bereitest du dich auf die Probenzeit
für eine Produktion vor?
JK: Ganz klassisch: Viel lesen, gucken, analysieren, Musik hören und dabei ein Gefühl für
Anna Drescher
Patent, schnell, und obendrein noch klug, war
sie die Regieassistentin, die sich alle wünschen, doch nun ist endlich der Zeitpunkt gekommen, diese Qualitäten ganz für die eigenen Ziele einzusetzen. Und eigene Ziele, die
hat sie, da ist sie nicht zurückhaltend und weiß
auch, dass man sich das in dieser Branche
nicht leisten kann: Anna Drescher, Schweizerin und Deutsche, noch keine Dreißig. Andere
wählen das Theater, weil sie schon immer einen Hang zum Chaotischen hatten; für Anna
Drescher war es eher das Gegengewicht zu
ihrer behüteten Kindheit. Kultur war ihr bereits an der Wiege gesungen, das schon: ihre
Familie ist eine Musikerfamilie, der Vater leitet in Basel eine renommierte Hochschule für
Alte Musik, Anna spielte mit vier Geige und
ging mit diesem Hauptfach ins Abitur. Mit
der Geige aufzuhören, beim Jugendclub im
Theater einzusteigen, bedeutete eine kleine
Revolution: den Schritt heraus in eine eigene
Welt, die auch ein bisschen »cooler« schien
als die elterliche. Denn in der Schule fühlte sie
sich nie ganz zugehörig, statt Lieblingsbands
kannte sie klassische Musik, nicht mal einen
Fernseher hatten sie zuhause – Besonderheiten, die sie aus der Distanz neu zu schätzen
lernte. Der Theaterpädagoge vom Jugendclub
entzündete ihre theatrale Leidenschaft und
legte den Grundstein für ihr Studium der Kulturwissenschaften und Ästhetischen Praxis in
Hildesheim. Anna ließ sich in Gesang ausbilden, was ihr mehr lag als die Geige und mehr
mit Theater zu tun hat. Überhaupt: auf der
Grenzlinie zwischen Musik und Theater bewegt sie sich schon immer, spricht von ihrer
»Hassliebe zur Oper«. Nur wenn die Stimme
bewusst als erzählerisches Mittel verwendet
wird, lässt sie sie gelten. Herbert Wernicke
war ein großes Vorbild, ein Kantatenabend
Magazin des Glücks
von Dea Lohrer
von ihm rührte sie zu Tränen wie nichts vorher
oder nachher auf einer Bühne.
Im Schauspiel interessieren sie ganz andere Qualitäten: eine starke Formalisierung und
Überhöhung einerseits: diese hohe Künstlichkeit wie häufig in Andreas Kriegenburgs
Inszenierungen – oder andererseits eine Art
»Non-Acting« wie bei Pollesch: wenn die
Schauspieler eher als Textträger fungieren.
In Hildesheim, wo alle Prozesse viel kollektiver verlaufen als in der Theaterpraxis, lernte
sie vor allem eines: dass sie nicht gut im Kollektiv arbeitet. Sehr gern hingegen und frühzeitig im Team, bei den Vorarbeiten für eine
Inszenierung, doch ab dem Probenbeginn
weiß sie die Befugnis zu schätzen, im Zweifel
selber zu entscheiden. Noch in ihrer Studienzeit stemmte sie mit großem Erfolg allein ein
Hamlet-Projekt mit Psychiatrieerfahrenen.
Vor Dea Lohers Texten hat sie Respekt: die
soziale Härte, die Düsterkeit dieser Autorin
kontrastieren mit der hellen Welt, aus der sie
selber stammt. Doch Blaubart übte auf Anhieb einen unwiderstehlichen Sog auf sie aus.
»Ich kenne niemanden, der so konsequent
und so hartnäckig mit sich selber ist«, sagt
Annas beste Freundin über sie, und während
sie das erzählt, ziehen sich ihre aparten Augen ein wenig zusammen, und die ungeheure Energie wird spürbar, die in dieser zierlichen Person steckt.
Kekke Schmidt
Blaubart – Hoffnung der Frauen Regie:
Anna Drescher, Bühne und Kostüme:
Hudda Chukri, Musik: Murat Parlak, Dramaturgie: Kekke Schmidt, Mit: Lisa Bitter,
Benjamin Grüter, Anna Windmüller
Licht / Hannelore / Cool Regie: Jan
Koslowksi, Bühne: Chasper Bertschinger,
Kostüme: Nina Kroschinske, Dramaturgie: Otto A. Thoß, Mit: Sarah Horak*,
Jan Jaroszek, Nora Quest**, Fridolin Y.
Sandmeyer
Hände Regie: Sebastian Martin, Bühne
und Kostüme: Katja Fritzsche, Dramaturgie: Annabelle Leschke, Mit: Boris Koneczny, Markus Lerch, Sarah Sophia Meyer,
Nadja Stübiger, Toni Jessen
Manhattan Medea Regie: Sarah Schmid,
Bühne: Caroline Sexauer, Kostüme:
Irmela Schwengler, Dramaturgie:
Beate Seidel, Mit: Dorothea Arnold, Toni
Jessen, Boris Koneczny, Michael Stiller,
Bijan Zamani
Premiere: 13. April 2013 // 20:00 Uhr //
NORD
Premiere: 14. April 2013 // 18:00 Uhr //
NORD
Außerdem liest an diesem Wochenende
Dea Loher aus ihrem ersten Roman
»Bugatti taucht auf« (Sonntag, 14. April
2013, 16:00 Uhr, Foyer NORD)
Anna Drescher, fotografiert von Jan Koslowski
Sarah Schmid, fotografiert von Sebastian Martin
Jan Koslowski, fotografiert von Anna Drescher
Sebastian Martin, fotografiert von Sarah Schmid
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Das Journal März /April /Mai 2013
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07. Ballettabend: MEISTERWERKE
Choreographien von George Balanchine, Jerome Robbins und Glen Tetley
Atemberaubende
Hingabe
Der Ballettabend MEISTERWERKE
vereint drei Choreographien von
herausragender Bedeutung. Die Stücke,
die das Ballett des 20. Jahrhunderts
maßgeblich beeinflusst haben,
sind eine schöne Herausforderung für die
Tänzer – auch für den Ersten Solisten
ALEXANDER ZAITSEV, einem Experten
für Tetley-Choreographien.
Eine Arbeit von George Balanchine darf natürlich nicht
fehlen im Rahmen dieses Programms. Mit seinem Die
Vier Temperamente, entstanden 1946 für die gerade
von ihm und Lincoln Kirstein gegründete Ballet Society, zeigt das Stuttgarter Ballett ein Schlüsselwerk
dieses so bedeutenden Choreographen. Zwei Jahre
später ging aus der Ballet Society das berühmte New
York City Ballet hervor, für das Jerome Robbins 1969
sein Dances at a Gathering, diese Hymne an den Tanz,
schuf. Die Deutsche Erstaufführung fand 2002 beim
Stuttgarter Ballett statt, eine große Ehre für die Compagnie. Mit der Aufführung des dritten Werkes des
Abends verneigt sich das Stuttgarter Ballett vor einer
der größten Kompositionen des 20. Jahrhunderts: Le
Sacre du Printemps. Die Komposition, die im Frühjahr
2013 genau 100 Jahre alt wird, bildet das eigentliche
Herzstück von MEISTERWERKE.
Heftige Dissonanzen und eine wilde
Choreographie führten vor 100 Jahren
zu einem Theaterskandal
Die Uraufführung von Igor Strawinskys neuester Komposition Le Sacre du Printemps führte am Abend des
29. Mai 1913 in Paris zu einem handfesten Theaterskandal. Die heftigen Rhythmen, die zahlreichen Dissonanzen der Musik sowie die wilde Choreographie
von Waslaw Nijinsky widersprachen völlig den Hörund Sehgewohnheiten der Premierengäste. Ein Teil
des Publikums war empört, ein anderer Teil war sich
durchaus der bahnbrechenden Bedeutung des Werkes bewusst. Das Ergebnis waren riesige Tumulte im
Théâtre des Champs-Élysées, die Zuschauer verließen
die Vorstellung, riefen »Bravo« oder tobten, es kam sogar zu Handgreiflichkeiten. Das aufbrausende Klanggewitter und die entfesselten Bewegungen waren für
das noble Pariser Publikum, das mit den schmeichelnden Melodien und der zarten, ätherischen Tanzsprache der Romantik aufgewachsen war, höchst schockierend. Plötzlich stand die Moderne vor der Tür. Ein
ganzes Jahrhundert ist das nun her und noch immer hat
Strawinskys Musik kein bisschen ihrer Wucht und ekstatischen Schönheit verloren. Sie diente als Grundlage
zahlreicher Choreographien, etwa von Maurice Béjart,
Kenneth MacMillan oder Pina Bausch.
Eine der international bedeutendsten Umsetzungen ist die Interpretation Glen Tetleys, der von 1974 bis
1976 das Stuttgarter Ballett leitete. Es ist nur zu passend, dass dieser Visionär sich der bahnbrechenden
Musik Strawinskys annahm.
Der Erste Solist Alexander Zaitsev
hat eine ganz besondere Beziehung zu den
Choreographien Tetleys
Seit 1976 befindet sich Glen Tetleys Le Sacre du Printemps im Repertoire der Compagnie, zahlreiche Tänzer haben sich der Titelrolle des Frühlingsopfers seither angenommen. Unter den Interpreten der jüngeren
Generation hat sich besonders einer hervorgetan:
Alexander Zaitsev. Der Erste Solist des Stuttgarter Balletts hat eine ganz besondere Beziehung zu den Werken Tetleys, scheinen sie doch wie auf seinen Körper
Auch im Rahmen von MEISTERWERKE zu sehen: Jerome
Robbins’ Dances at a Gathering, hier mit Alicia Amatriain.
Foto: Stuttgarter Ballett
und seine Fähigkeiten zugeschnitten zu sein. »Die
Hauptrolle ist ungeheuer anstrengend, fast beängstigend in ihrer Körperlichkeit und die Hingabe, die Alexander Zaitsev zeigte, war atemberaubend – er ist ein
ausgezeichneter, ausdrucksstarker junger Künstler mit
unglaublicher Ausdauer«, lobte die Dancing Times aus
London Zaitsevs Sacre-Interpretation im Rahmen der
Gala zu Glen Tetleys 80. Geburtstag im Jahr 2006.
Dass Zaitsev sich in der erdverbundenen, ausdrucksstarken Bewegungssprache dieses Choreographen so
zuhause fühlt, ist für einen Tänzer seiner Herkunft
nicht selbstverständlich. Geboren in Moskau, erhielt er
seine Ausbildung zum Balletttänzer an der berühmten
Akademie des Bolschoi-Balletts in seiner Heimatstadt.
1992 machte er seinen Abschluss und erhielt im selben Jahr sein erstes Engagement beim Bolschoi-Ballett unter der Leitung von Juri Grigorowitsch. Drei Jahre später wechselte er für eine Spielzeit an das Ballett
der Dresdner Semperoper bevor er 1996 Mitglied des
Stuttgarter Balletts wurde. Nach dem absolut klassischen Repertoire des russischen Balletts eröffneten
sich ihm hier ganz neue Möglichkeiten. »Noch etwas
anderes als den klassischen Tanz kennenzulernen
und mein Repertoire zu erweitern, das war vielleicht
mit ein Grund, in den Westen zu gehen; anfangs hat
es mich schon sehr überrascht zu sehen, was es noch
alles an Tanz gibt«, sagt Zaitsev. Den ersten Kontakt
zum zeitgenössischen Tanz gab es dann auch gleich in
der ersten Spielzeit: Mit dem Solo Notations von Uwe
Scholz interpretierte er eine der wohl wichtigsten Partien seiner Karriere. Er lasse das Stück scheinbar aus
dem Körper heraus explodieren, schrieb Udo Klebes
vom Neuen Merker aus Wien später.
Pierrot Lunaire ans Royal Ballet in London, wo Zaitsev
als Gast einen triumphalen Erfolg feiern sollte.
»Er ist ein Guru des Tanzes. Wenn man einmal mit
ihm gearbeitet, seine Botschaft verstanden und begriffen hat, wohin er einen mit seinen Lehren führt,
ist nichts mehr wie vorher. Weder man selbst noch die
Compagnie, für die man arbeitet«, sagte Ballettintendant Reid Anderson über Glen Tetley und dieselbe Erfahrung machte auch Alexander Zaitsev. So ebnete ihm
seine Auseinandersetzung mit den Werken Tetleys den
Weg zum gefragten Tänzer moderner Choreographien.
Zahlreiche zeitgenössische Choreographen kreierten
fortan für ihn, so etwa Wayne McGregor in EDEN/EDEN
und Yantra oder zuletzt Marco Goecke in Black Breath.
Seine großen schauspielerischen Fähigkeiten durfte
Zaitsev in Christian Spucks Der Sandmann zur Schau
stellen. Spuck, damals Hauschoreograph des Stuttgarter
Balletts und mittlerweile Ballettdirektor in Zürich, schuf
für ihn im Jahr 2006 die tragende Rolle des Nathanael
in seinem abendfüllenden Handlungsballett nach dem
gleichnamigen Schauerroman von E.T.A. Hoffmann.
»Dabei als Nathanael stets im Mittelpunkt: Alexander
Zaitsev. Ihn hat man in Stuttgart darstellerisch selten
so expressiv gesehen. Einfühlsam drückt er in Körpersprache, Gestik und Mimik die Zerrissenheit seiner
Figur aus«, freute sich die Stuttgarter Zeitung – ebenso wie Reid Anderson. Er beförderte Zaitsev kurze Zeit
später zum Ersten Solisten.
So groß Alexander Zaitsevs Repertoire zeitgenössischer Choreographien mittlerweile auch sein mag –
mit Begeisterung und unerschöpflichem Enthusiasmus
widmet er sich immer wieder den Stücken Glen Tetleys.
Auch im Rahmen des Ballettabends MEISTERWERKE
wird er wieder in Le Sacre du Printemps zu sehen sein.
Kristina Scharmacher
Ballettabend: MEISTERWERKE
Die Vier Temperamente
Choreographie: George Balanchine, Musik: Paul
Hindemith; Kostüme nach Kurt Seligmann; Uraufführung: 20. November 1946, Ballet Society, New
York; Erstaufführung beim Stuttgarter Ballett:
5. Dezember 1996
Dances at a Gathering
Choreographie: Jerome Robbins; Musik: Frédéric
Chopin; Kostüme: Joe Eula; Licht: Jennifer Tipton;
Uraufführung: 8. Mai 1969, New York City Ballet;
Deutsche Erstaufführung beim Stuttgarter
Ballett: 29. November 2002
Le Sacre du Printemps
Choreographie: Glen Tetley / © Glen Tetley Legacy;
Musik: Igor Strawinsky; Bühnenbild und Kostüme:
Nadine Baylis; Uraufführung: 18. April 1974,
Bayerische Staatsoper; Erstaufführung beim
Stuttgarter Ballett: 14. April 1976
Musikalische Leitung: Sian Edwards
Premiere: 20. April 2013 // 19:00 Uhr // Opernhaus
Weitere Vorstellungen im Opernhaus: 24.04. //
18.05. // 19.05. // 23.05. // 25.05. // 29.05. // 13.06. //
16.06. (nm/abd) // 21.06.2013
Es war aber vor allem die Zusammenarbeit mit dem
aus dem amerikanischen Modern Dance kommenden
Glen Tetley, die Alexander Zaitsev neben einer Koryphäe der klassisch-russischen Schule auch zu einem
Experten für zeitgenössischen Tanz werden ließ. Nach
und nach machte er sich sämtliche Tetley-Stücke des
Stuttgarter Repertoires zu eigen, erarbeitete die expressive Bewegungssprache, die die Tänzer bis an ihre physischen Grenzen treibt, gemeinsam mit ihrem Schöpfer.
Dieser empfahl den jungen Russen dann auch für sein
Alexander Zaitsev in Glen Tetleys Le Sacre du Printemps. Foto: Stuttgarter Ballett
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Das Journal März /April /Mai 2013
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08. Angst reist mit
08.
Uraufführung
„Das ist nicht mehr
verrückte Zukunft,
das ist das normale Leben.“
JB: Was für Bilder wird es konkret geben? Im Stück wird
von Geiselnahme gesprochen, von Tsunamis, also da gibt
es viele Bilder, die man im Fernsehen gesehen hat. Was
sieht man für Bilder hinter der Oberfläche? Was für eine
Bildwelt soll entstehen?
HM: Naja, das war heute der erste Probentag. Ich habe
da natürlich Vorstellungen, aber konkret weiß ich das noch
nicht. Sibylle Berg ist eine sehr dankbare Autorin für eine
Videokünstlerin, weil ihre Texte so weite Assoziationsräume in einem eröffnen. Im Text sind immer wieder mehrere
Richtungen, die vorangetrieben werden.
Jörg Bochow: Sibylle Berg, Angst reist mit hast du ein
Reise-Oper-Epos genannt. Was verbindet dich mit dem
Thema Reise? Reist du persönlich auch viel – ist es etwas,
was dich beschäftigt?
Sibylle Berg: Eher immer weniger und eher immer zu
nahegelegenen Destinationen und eigentlich nur noch an
Orte, wo die Menschen gleich viel oder mehr Geld haben
als ich.
JB: Ist das auch für die Kostümbildner dankbar, mit dieser Art von Text umzugehen? Es gibt einerseits Figuren,
aber trotzdem lösen sich die Texte ja auch immer von den
Figuren. Wie macht man das mit dem Kostüm? Oder muss
man da immer ganz konkret und figürlich werden?
Anette Hachmann: Mir geht es auch so, dass der Text
auf jeden Fall viel Fantasie freisetzt und man erst einmal
viele Möglichkeiten hat, zum Beispiel auch Unterweltkreaturen zu erfinden. Das macht schon erst einmal Spaß, sich
zu überlegen, wie die dann aussehen. Bei den anderen Figuren muss man in der Probenzeit einiges ausprobieren,
wie man die konkret kriegt. Also, ich würde jetzt ungern
sagen, von vorneherein, die sehen so und so aus, sondern
lieber mit den Schauspielern gemeinsam sehen, wie sich
so eine Figur entwickelt oder herauskristallisiert.
JB: Weil du schlechte Erfahrungen gemacht hast?
SB: Weil ich früher dieses Reisen gar nicht groß hinter-
fragt habe, wie das wahrscheinlich viele tun, weil ich als
Ossi das Gefühl hatte, ich muss die Welt besichtigen und
Kriege verstehen und Elend verstehen und dann irgendwann anfing, mich zu sehen: ich war immer der beobachtende, weise, wohlhabende Mensch, der irgendwas anguckt. Und das kann ich nicht mehr so gut.
JB: Aber dreht sich das jetzt nicht auch um? Es kommen
ja immer mehr Touristen aus Asien und Russland auch zu
uns.
SB: Das steht als nächstes an. Aber so weit sind wir noch
nicht, das kommt dann mal. Das wird sehr lustig, wenn die
von frierenden Berlin-Mitte-Bewohnern Fotos machen.
JB: Angst reist mit heißt das Stück – ist Angst auch ein
Thema für euch oder wie übersetze ich das in Bilder, ins
Kostüm?
AH: Angst ist, glaube ich, generell ein Thema für alle
Menschen.
JB: Du hast im Stück viele solche Beschreibungen, »frierende Bewohner«. Siehst du so die Zukunft?
SB: Hier geht es ja nicht um Zukunft, sondern das gibt es
ja jetzt schon in deutschen Städten. Menschen, die entmietet werden sollen, wo die Heizung abgedreht wird. Das ist
nicht mehr verrückte Zukunft, das ist ja das normale Leben.
JB: Empfindet ihr das auch so? Im Stück wird von den
Journalisten gesprochen, die von Minijob zu Minijob gehen.
Heta Multanen: Das ist durchaus was, womit wir uns
identifizieren können und was uns bekannt vorkommt, diese Lebenssituation, so wie die Beschreibung im Stück ist.
Ich sehe jedoch, dass in Sibylles Stücken alles auch wieder
relativiert wird. Es ist eine Möglichkeit, wie man die Zukunft deuten kann oder etwas, womit wir uns identifizieren
können, aber im nächsten Abschnitt wird es relativiert und
auch anders beschrieben.
JB: Du wirst Bilder für die Aufführung machen, Videoprojektionen. Wie bist du überhaupt dazu gekommen? Wie
wird man Videokünstler fürs Theater?
HM: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es gar nicht.
Eigentlich bin ich von der Ausbildung her Fotografin, ich
komme von der bildenden Kunst und bin dann zufällig
nach meinem Studium beim Theater gelandet. Ich bin Autodidakt. Ich habe keine Ausbildung für Video und Theater.
Aber ich glaube, das gibt es in dem Sinne auch nicht. Es ist
ein vollkommen anderes Feld, als wenn man jetzt Film studieren würde oder Bühnenbild. Eine eigene Welt, wie man
einen Raum mit Bildern schafft – mit dem Schauspieler
zusammen, was auch eine andere Dramaturgie verfolgt,
andere technische Prozesse als beim klassischen Video
oder Film.
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Heta Multanen, Sibylle Berg und Anette Hachmann
JB: Es gibt auch angstfreie Menschen.
SB: Kenne ich nicht, vielleicht irgendwelche Bungeejum-
per.
AH: Meine Schwester ist Psychologin und sie sagt, es
gibt Ängste vor allem. Es gibt Menschen, die haben zum
Beispiel Knopfängste. Also insofern glaube ich nicht, dass
es angstfreie Menschen gibt. Ich habe auch meine Ängste. Mit der Erfindung einer Art ›Unterwelt‹, gestalten wir
etwas, das diese Ängste transportiert. Da hat man im
Theater vielleicht andere Mittel als im Film. Da ist so eine
diffuse Erscheinung oder eine Skurrilität interessanter, als
wenn man das in einer Großaufnahme im Film sieht. Aber
wir werden ja wahrscheinlich mit Heta zusammen auch
im Film dazu eine andere Ebene erschaffen und dafür
dann andere Kostüme entwickeln.
JB: Die Texte von Sibylle arbeiten ja immer mit Überspitzungen. Deckt sich dies auch auf den Kostüm- oder Bildebenen? Sind diese auch komisch, grotesk, zugespitzt?
SB: Komisch nicht im Sinne von Karneval, vielleicht sind
sie eher merkwürdig, rätselhaft, seltsam.
JB: Es gibt drei Ebenen im Stück. Es gibt die Animateure,
es gibt Touristen, dann gibt es einen Chor, die Unterweltwesen. Warum diese überreale Ebene?
SB: Ich weiß nie genau, was ist Realität? Da sind ja noch
viele Schichten darüber und darunter. Für jeden ist Realität etwas anderes. Meistens schreibe ich ja – egal ob in
Stücken oder Büchern – sehr naturalistisch, sagen wir mal
so: es ist einfach das, was stattfindet, was meine Realität
ausmacht. Was ich wahrnehme von anderen. Und ich finde dann diese kurze Störung sehr schön, wo man als Leser
oder Betrachter kurz denken kann, muss das so sein? Ist
das meine Einbildung? Das mag ich ganz gerne. Also ich
mag auch absurdes Zeug gern oder dass man einen scheinbar ernsten Rahmen, wie eine Trauerfeier, sprengt mit
verkleideten Figuren, die durchs Bild laufen. Weil ich mich
immer wieder dabei ertappe, wie ich mich zu ernst nehme.
Und dann kurz dran denke, wie ich später mal in der Grube
liege und dann relativiert sich das alles sehr schnell wieder.
JB: Was ist der Unterschied für dich beim Schreiben von
Romanen und beim Arbeiten für die Bühne?
SB: Es gibt da drei Ebenen. Es gibt wirklich Gebrauchstexte. Das sind so Texte für Zeitungen – Gebrauchstexte,
die man eben schnell mal schreibt, am besten, wenn man
wütend ist. Bücher sind eine ganz andere Art und haben
eine ganz andere Ich-Bezogenheit. Bücher schreibe ich nie
für irgendwelche Leser, sondern die schreibe ich eigentlich
nur einer Perfektionssucht folgend. Das mache ich nur, damit mir endlich das perfekte Buch gelingt. Theaterstücke:
dadurch, dass ich das jetzt über 10 Jahre betreibe und sehr
viele Proben mit verfolgt habe – weiß ich, dass der Text ein
Baustein von vielen ist. Ich schreibe nie einen Text, um
mich an den Worten zu berauschen, sondern denke immer,
da sind Menschen, die müssen die sprechen. Da müssen
Bilder dazu, alles auf einer gleichwertigen Ebene. Theater
ist für mich viel mehr Unterhaltung als Literatur. Da gehen Menschen nach ihrer Arbeit für zwei Stunden in ein
Theater und ich habe die Pflicht, sie nicht zu langweilen.
Wenn ich den Menschen noch irgendwas mitgeben kann,
dass sie noch eine Minute über etwas nachdenken, ist das
ein toller Zusatz. Mir geht es nicht um die Erziehung des
Menschen, sondern darum, Menschen zu unterhalten.
Angst reist mit
Ein Reiseoperepos in diversen Aufzügen
von Sibylle Berg
Regie: Hasko Weber, Co-Regie: Sibylle Berg, Video und
Raumgestaltung: Heta Multanen, Kostüme: Anette
Hachmann, Komposition & musikalische Einrichtung:
Sven Helbig, Chorleitung: Johannes Knecht, Dramaturgie: Jörg Bochow, Mit: Marco Albrecht, Jonas Fürstenau,
Marietta Meguid, Christian Schmidt, Jens Winterstein,
Minna Wündrich sowie Sängerinnen aus dem Extrachor der Staatstheater Stuttgart
Fotos: Schauspiel Stuttgart
Der Dramaturg Jörg Bochow im Gespräch
mit der Autorin Sibylle Berg, der Videokünstlerin Heta Multanen und der
Ausstatterin Anette Hachmann über
Angst reist mit. Das neueste Stück von
Sibylle Berg ist als Auftragsarbeit für das
Schauspiel Stuttgart entstanden.
Premiere: 23. März 2013 // 19:30 Uhr // NORD / Große
Bühne
Das Journal März /April /Mai 2013
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09. Junge Oper
09.
Der Musiktheaterpädagoge Christoph Sökler bei der Arbeit
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mit Trommeln und eine Wasserwand mit Klangstäben haben
sie selbst komponiert und choreografiert. Hier müssen die
Helden durch. Hakki nimmt die Querflöte, Andreas Noack hat
ihm etwas Spieltechnik beigebracht, doch die Feuersbrunst
gerät außer Rand und Band. »He Leute, macht Platz hier!«
Gelächter, Geschubse. Zum Glück ist erst Probe. Doch eines
ist klar für Hakki: Es ist die Macht seiner Melodie, die ihm den
Mut verleihen wird, durch Feuer und Wasser zu gehen.
Später trifft Christoph Sökler den Komponisten Jan Kopp
und den Musiklehrer Alexander Burda, bespricht mit ihnen
Details für den anstehenden Kompositionsworkshop mit der
Klasse 11 vom Heidehofgymnasium Stuttgart. Die Schüler haben bereits eine Probe mit dem Staatsorchester besucht und
sich mit dem Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling unterhalten. Nun werden sie eigene Trauermusik schreiben, welche Musiker des Staatsorchesters vor dem 7. Sinfoniekonzert
im Juli spielen werden. Inzwischen ist es Abend, zwölf Lehrerinnen und Lehrer präsentieren ihre Pläne und Ideen für die
Kinderdebatte zum Thema »Zeit« am 3. März im Opernhaus.
Drittklässler wollen eine Zeitmaschine erfinden, Fünftklässler
Zeit sammeln und verschenken, Achtklässler mit Tanz und
Klängen den alles beherrschenden Stress sichtbar machen.
Zusammen mit den Dramaturgen Barbara Tacchini und Koen
Bollen wird ausgewertet und geplant. Ob die Versammlung
die Welt verändern wird, wie es einst in Michael Endes Roman
die Kinder um Momo und Gigi vorhatten? In den nächsten Wochen wird Christoph Sökler in jeder Klasse einmal zu Gast sein
und die Beiträge coachen.
Oper – ein Remix von
Theater und Gesang
Noch ist der lange Tag nicht zu Ende. Im Büro wartet Organisationskram. Musiktheaterpädagogik ist ein Beruf, der einen
in vielerlei Hinsicht fordert und den man bezeichnenderweise in Deutschland noch an keiner Hochschule einfach so lernen kann. Seit die Opernhäuser in Deutschland in den 90er
Jahren – und damit viel später als die Schauspielhäuser –
erkannten, dass für den Nachwuchs etwas getan werden
musste, leisten die Musiktheaterpädagogen wichtige Arbeit,
nicht nur um Opernfans der Zukunft heranzuziehen, sondern
auch in sozialpädagogischer Hinsicht. Die Oper Stuttgart trug
mit der Gründung der Jungen Oper im Jahr 1995 von Anfang
an maßgeblich zur Entwicklung von Methoden und zur Schaffung eines Repertoires sowie neuen Ansätzen von Jugendopern bei. Bestand die Junge Oper damals aus einem einzigen Musiktheaterpädagogen, so bietet sie nun schon seit
Jahren jährlich mindestens zwei eigene Opernproduktionen
für junges Publikum an. Christoph Sökler ist glücklich, seine
Arbeit in einem Opernhaus tun zu dürfen, in dem Künstler
und Werkstätten sie in gleicher Weise mittragen. Und wenn
mitten in einer Vorstellung von Schaf, wie in der Jungen Oper
kürzlich geschehen, plötzlich zweihundert Kinder leise und
zart das Lied des Engels mitsingen, so dass die Sängerin erstaunt und gerührt hochblickt, oder wenn Hakki liebevoll und
ehrfürchtig seine Flöte anschaut, bevor er zum Spielen ansetzt, ist er sich sicher: »Alle Anstrengung hat sich gelohnt
– die Oper lebt.«
Barbara Tacchini
Die Nabucco-Patenklasse hat inzwischen ihre Szenen selbständig entwickelt und führt sie nun vor: Den Sklavenchor singen die Jugendlichen erst begleitend zu Fronarbeit. Doch dann
stehen sie auf, fixieren einen Punkt in der Ferne: »Va pensiero!«
»Wenn ich dabei den Boden kehre«, beschreibt Jonathan, »bin
ich ohne Hoffnung, hier je wieder rauszukommen. Springe ich
auf, blitzen Hoffnung und Mut in mir auf. Vielleicht hilft mir
der neue Gott.« Um Götter und Götzen, welche die Menschen
verführen, soll es in Rudolf Freys Inszenierung gehen, das wissen die Schüler vom Konzeptionsgespräch. »Aber«, so rätselt
Annika, »wollen Götter eigentlich, dass man sie verehrt?«
Seit 1995 gibt es die Junge Oper an der Oper Stuttgart. Neben der künstlerischen Arbeit
im Rahmen von Theaterproduktionen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
liegt ein weiterer Fokus der Jungen Oper im Bereich Musiktheaterpädagogik.
Ihre Zusammenarbeit mit Schülern und Lehrern wurde über die Jahre hinweg immer weiter
ausgebaut und vertieft. Der Musiktheaterpädagoge Christoph Sökler ließ sich bei seiner
Arbeit mit verschiedenen Schulklassen von Barbara Tacchini über die Schulter blicken.
»Za.« Das erste Resultat ist noch ziemlich verschlafen, mehr
gehaucht als gerufen. Einen Bogen sollten sich die Schüler
vorstellen, den Pfeil spannen, die Stimme mit ihm losschicken. Spannung halten! »Za!« Das ist es! Musiktheaterpädagoge Christoph Sökler ist begeistert. Es ist morgens kurz nach
acht und die Patenklasse von Nabucco hat sich im Musiksaal
des Theodor-Heuss-Gymnasiums Esslingen eingefunden.
Patenklasse einer Neuinszenierung der Oper Stuttgart zu sein
bedeutet nicht nur, dass man bereits beim Konzeptionsgespräch, dem ersten offiziellen Zusammentreffen von Sängern
und Regieteam, dabei sein, Proben beobachten und sich mit
Sängern, Regisseur, Dramaturg und Dirigent austauschen
darf. Zum Projekt gehört auch eigene szenische und musikalische Arbeit. Unter Anleitung des Musiktheaterpädagogen
schlüpfen die Sechzehnjährigen in die Rolle von Nabucco
und Abigaille, erleben deren Konflikte und Emotionen und
erkennen sie später wieder, wenn sie bei der Aufführung im
Zuschauerraum der Oper sitzen. Götter und Sklaven, Sieger
und Verlierer mimen die elf Jugendlichen, und diskutieren anschließend über Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie sie selbst
im Leben beobachten. Später singen die Schüler einen Ausschnitt aus dem Sklavenchor. Der Theaterpädagoge Christoph Sökler begleitet am Klavier, hämmert schon mal intensiv
in die Tasten, wenn der Gesang zu schüchtern wird. Es geht
darum, an die Erfahrungswelt der jugendlichen Operngänger
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anzudocken, ihren Erfahrungshorizont zu weiten und ihnen
Wege zu erschließen zu einem kreativen Kunsterlebnis, in
dem es um mehr und anderes geht als bloßes Verstehen oder
Nicht-Verstehen. »Viele Menschen erleben Kunstwerke als
Rätsel, die es zu lösen gibt, und stehen ratlos und mutlos davor.
„Wollen Götter eigentlich,
dass man sie verehrt?“
Es sind eure Beobachtungen, eure Gedanken und Assoziationen, die das Kunstwerk erst zu einem Ganzen machen, das
möchte ich ihnen vermitteln. Dabei gibt es viele Hürden zu
nehmen: Mit Kindern aus kulturfernen Familien orten wir
nicht selten erst mal, wo das Opernhaus in Stuttgart überhaupt steht. Oder erörtern, dass Opernkarten für Schüler
billiger als Kinokarten zu haben sind. Die Kids, die an Oper
allenfalls beim Fernsehen schon mal vorbeigezappt haben,
halten ihr Misstrauen nicht zurück. Eigentlich ist es ihnen aus
der Welt der Pop-Songs vertraut: Man singt, um Gefühle auszudrücken. Aber so dauernd? Und wenn, dann im bombastischen Design mit schöner Musik, ein Ereignis für Reiche, das
man abhakt, in möglichst schickem Dress.« Christoph Sökler,
selbst acht Jahre Sänger im Solistenensemble der Oper Stuttgart, lacht und wendet sich wieder den Schülern zu.
Schnell wird beim Rollenspiel klar, dass Oper weit mehr kann
als unterhalten, dass sie Dinge kann wie Fragen stellen, Zweifel säen, Emotionen und Dispute wecken. Doch dabei kann sie
auch ganz schön sperrig sein. Oper, dieser Remix von Theater
und Gesang, wie ein Schüler es jüngst genannt hat, sei Overkill! Bühne, Bewegung, Kostüm, Übertitel, Orchester, Gesang.
Das Erzähltempo ist befremdend langsam, die Illusion nicht
halb so perfekt wie im Kino.
Warum singt der Mensch
in der Oper?
Nicht selten bekommt Christoph Sökler von Jugendlichen zu
hören: »War ja ganz O.K., aber noch besser wäre gewesen,
wenn die weniger gesungen hätten.«
Da holt sie uns einmal mehr ein, die so oft gestellte Frage: Warum singt der Mensch in der Oper? Die Frage ist so alt
wie das Genre selbst, das um 1600 an italienischen Fürstenhöfen erfunden wurde – und einen Wust an Streitschriften
über die Unwahrscheinlichkeit und Lächerlichkeit des verbalen Schlagabtausches in gesungener Form mit sich zog. Der
Halbgott Orpheus, der erste und ideale Opernheld, hatte zumindest ein akzeptables Motiv für sein seltsames Gebaren: Er
war Sänger! Auch für »normale« Götter konnte man das Singen notfalls noch erklären. Aber für Könige? Gestritten wurde
natürlich auch immer wieder über die Länge und Gestalt der
Musik. Selbst Mozart war bisweilen klar, dass eine Arie in ihrer
Länge die Geduld der Zuschauer arg strapazierte, sagte aber
entschuldigend, ein Mensch, der sich in heftigem Affekt befinde, »überschreite eben alle Ordnung, Maß und Ziel«.
Nach Verdi steht nun tatsächlich Mozart an: Christoph Sökler
fährt mit Bus und Bahn zur Hohensteinschule in Zuffenhausen. Dort probt die 8. Klasse für ihre Abschlusspräsentation
zum Projekt IMPULS MusikTheaterTanz, das die Junge Oper
eigens für Grund- und Hauptschulen mit besonderer sozialer
Aufgabenstellung entwickelt hat und das – initiiert und gesponsert u.a. vom Förderverein der Staatstheater Stuttgart –
Vorbild für Projekte aller drei Sparten wurde. Es ist mit rund
vierzig Projektstunden pro Klasse das zeitintensivste Schulprojekt der Jungen Oper und wird für fünf bis sechs Klassen
pro Jahr angeboten, immer gekoppelt an eine Inszenierung.
Gemeinsam mit Christoph Sökler und dem Flötisten Andreas
Noack vom Staatsorchester Stuttgart haben sich die Hauptschüler mit der Zauberflöte beschäftigt. Eine Feuersbrunst
Bilder oben Schüler der Hohensteinschule Stuttgart beim IMPULS Workshop zur Zauberflöte.
Bild links Christoph Sökler mit Schülern des Theodor-Heuss-Gymnasium Esslingen, der Patenklasse von Nabucco. Fotos: A. T. Schaefer
Das Journal März /April /Mai 2013
23
10. Gastspielreise nach Moskau
10.
Das Stuttgarter Ballett gastiert am legendären Bolschoi-Theater
Ein lebender Mythos
Nach beinahe 30 Jahren reist das Stuttgarter
Ballett im Mai wieder nach Russland und
gastiert auf Einladung des Bolschoi-Theaters
an diesem weltberühmten Haus –
eine besondere Ehre für die Compagnie.
Große Klassiker wie Schwanensee und Don Quijote wurden hier
uraufgeführt, Tanzlegende Maja Plissetskaja war hier zuhause.
Das Bolschoi-Theater in Moskau ist das Aushängeschild der russischen Kultur, ein lebender Mythos. Es nimmt in der Geschichte des Tanzes eine kaum vergleichbare Stellung ein, beherbergt
eine der weltweit bedeutendsten Ballettcompagnien: das Bolschoi-Ballett. Neben einer atemberaubenden historischen Architektur mit wertvoller Inneneinrichtung verfügt der Theaterbau aus dem 19. Jahrhundert auch über die neueste Technik und
eine der modernsten Bühnen der Welt – dank einer neun Jahre
dauernden aufwendigen Renovierung. Im Oktober 2011 wurde
das Theater glanzvoll wiedereröffnet.
Im Mai hat das Stuttgarter Ballett die außerordentliche Freude, in diesem so geschichtsträchtigen Haus zu tanzen. Ein Auftritt auf dieser Bühne gehört wohl zu den ganz großen Träumen
eines jeden Tänzers. Und so ging ein ehrfürchtiges Raunen durch
die Reihen der Compagnie, als Ballettintendant Reid Anderson
die Einladung des Bolschoi-Theaters verkündete. Vier Vorstellungen wird das Stuttgarter Ballett in Moskau geben.
Foto: Fotolia / Yuri Gubin
Mit im Gepäck: Romeo und Julia und
ein Ballettabend mit Highlights des Repertoires
Die Compagnie bringt ein großes Handlungsballett mit nach
Russland: Romeo und Julia. Dass John Crankos ShakespeareBallett um die tragische Geschichte der jungen Liebenden mit im
Gepäck ist, wenn sich das Stuttgarter Ballett auf der Bühne des
Bolschoi-Theaters präsentiert, liegt aus unterschiedlichen Gründen nahe: Diesem Signaturwerk verdankt das Stuttgarter Ballett gewissermaßen seinen Ruhm, mit ihm schaffte Cranko kurz
nach seinem Antritt als Ballettdirektor in Stuttgart den Durchbruch in seiner neuen Heimat, mit ihm legte er im Jahr 1962
den Grundstein für das Stuttgarter Ballettwunder. Kein anderes
Stück vermittelt den ganz speziellen Zauber des Stuttgarter Balletts so sehr wie dieses. Außerdem war es immerhin eine Romeo
und Julia-Aufführung des Bolschoi Balletts, die John Cranko zu
seiner Auseinandersetzung mit dem Shakespeareschen Stoff
inspirierte. Als die russische Compagnie im Jahr 1956 mit Leonid Lawrowskis Choreographie, die als erste einschlägige Romeo
und Julia-Ballettfassung gilt, auf Gastspielreise in den Westen
ging, saß in London der junge John Cranko im Publikum. Seine
eigene, mittlerweile weltberühmte Version von Romeo und Julia
zeigt das Stuttgarter Ballett nun zum ersten Mal in Russland und
so schließt sich nach über 50 Jahren der Kreis.
Mit auf die Reise geht außerdem ein gemischter Ballettabend
mit Highlights des Stuttgarter Repertoires – hier dürfen neben
Werken John Crankos natürlich Glanzstücke der jüngeren Generation nicht fehlen, gezeigt werden Arbeiten von Marco Goecke,
Christian Spuck, Demis Volpi und weiteren Choreographen, die
dem Stuttgarter Ballett eng verbunden sind. Während Romeo
und Julia auf der großen, traditionellen Bühne des BolschoiTheaters getanzt wird, geht dieser gemischte Abend passend
zum innovativen Programm über eine neuere Bühne, die während der Renovierungsphase ersatzweise in Betrieb genommen
wurde.
Künstlerische Erfolge und politische Schwierigkeiten
Viele Jahre liegt das letzte Gastspiel in Russland zurück: 1985
reiste die Compagnie zuletzt in die damalige UdSSR und trat damals u.a. mit Onegin und Initialen R.B.M.E. auf. Die erste Tournee durch die kommunistisch regierte Sowjetunion unternahm
das Stuttgarter Ballett im Februar 1972. John Cranko und seine Compagnie waren natürlich begeistert von der Möglichkeit,
sich in den Balletthochburgen St. Petersburg bzw. Leningrad
und Moskau präsentieren zu können. Andererseits brachte die
politische Situation Schwierigkeiten mit sich, warf einen Schatten auf die Freude über das Gastspiel. Der Kalte Krieg zwang
drei Tänzer dazu, in Stuttgart zurückzubleiben: die Tschechoslowaken Jiří Kylián und Vladimir Klos sowie Bernd Berg, der
aus der DDR geflohen war. Es wurde eine anstrengende Reise.
Die Compagniemitglieder wurden überwacht, egal ob im Theater, beim Essen oder in den Hotelzimmern. Auch im künstlerischen Bereich verlief nicht alles problemlos, bei den der Tour
vorangegangenen Verhandlungen gab es einige Anlaufschwierigkeiten. Cranko bestand darauf, das Gastspiel mit Onegin zu
24
Das Journal März /April /Mai 2013
Marcia Haydée 1972 in Russland (oben, Foto: Kilian); Alicia Amatriain und
Friedemann Vogel in Romeo und Julia (Foto: Stuttgarter Ballett)
eröffnen – für die russische Agentur undenkbar. Puschkins Versroman, dieses Nationalheiligtum Russlands, auf der Bühne vertanzt zu sehen, das grenzte schon fast an Blasphemie. Cranko
blieb jedoch hartnäckig, setzte sich durch, auch was seine Pläne
für einen Ballettabend mit modernen Choreographien anging,
und wurde belohnt: Im Stanislavsky-Theater in Moskau drängten sich 16 Personen in eine Loge mit acht Plätzen, so groß war
die Nachfrage. Das skeptische russische Publikum – immerhin
stand hier die Compagnie einer deutschen »Kleinstadt« auf der
Bühne – war schnell überzeugt. Reagierte es auf Onegin noch
zurückhaltend, war das Eis spätestens bei der ersten Vorstellung
der Der Widerspenstigen Zähmung in St. Petersburg gebrochen.
Über 30 Minuten lang dauerte der Schlussapplaus. Während
das Orchester seine Instrumente einpackte und nach Hause
ging, die Techniker das Bühnenbild abbauten, klatschten die Zuschauer weiter – solange bis Marcia Haydée und Richard Cragun
den Schluss-Pas de deux wiederholten, ohne Musik.
So viel Anerkennung wünscht sich das Stuttgarter Ballett natürlich auch für das Gastspiel am legendären Bolschoi-Theater –
auch wenn die Überraschung seitens des russischen Publikums
nicht mehr ganz so groß sein dürfte wie vor 40 Jahren. Immerhin eilt dem Stuttgarter Ballett mittlerweile sein international
hervorragender Ruf bereits voraus. Nicht umsonst wurde die
Compagnie in die »heiligen Hallen« des Bolschoi eingeladen.
Kristina Scharmacher
Gastspielreise des Stuttgarter Balletts nach Moskau
1. & 2. Mai: John Crankos Romeo und Julia
Bolschoi-Theater / Traditionelle Bühne
4. & 5. Mai: Highlights des Stuttgarter Balletts
Bolschoi-Theater / Neue Bühne
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Plus 10 Fragen an ...
P
Hannes Hartmann, Ausstattungsleiter & Bühnenbildner am Schauspiel Stuttgart
O R U M A M S C H L O S S PA R K
in der Kulturmeile
beim Staatstheater Stuttgart
„Ein Gesamtkunstwerk
im besten Sinne“
P Landesbibliothek
Konrad-Adenauer-Straße 10, 70173 Stuttgart
P Staatsgalerie
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- Durchgehend geöffnet -
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Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr
Abend-Pauschale
Mo - Sa 18 - 6 Uhr
Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr
Flanier-Pauschale Mo - Sa 15 - 6 Uhr
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Dauerparkberechtigung pro Monat inkl. USt. 115,61 €.
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FR 26. APRIL 2013
SO 12. MAI 2013
& Münchener Kammerorchester
Kammerorchester arcata stuttgart
Isabelle Faust
Alexander Liebreich, Leitung
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jede angefangene ½ Stunde
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Abend-Pauschale
Mo - Sa 18 - 6 Uhr
Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr
Hannes Hartmann im Foyer der Spielstätte NORD / Große Bühne. Foto: Sebastian Kowski
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4€
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jede angefangene ½ Stunde
Tageshöchstsatz
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TIPP
Abend-Pauschale
Mo - Sa 18 - 6 Uhr
Sonn- u. Feiertags-Pauschale ab 6 Uhr
4€
Seit wann arbeiten Sie an den
Staatstheatern Stuttgart?
Als Ausstattungsleiter seit der Spielzeit 2009/10.
2007 war ich als Gast für Irrfelsen Stuttgart da.
02
Wie kamen Sie ans Theater?
Eher zufällig, über einen befreundeten Maler, der früher
als Regisseur und Bühnenbildner gearbeitet hatte.
Ich war in einer Tischlerei beschäftigt und total gelangweilt,
dann habe ich schnell ein paar Zeichnungen
zusammengepackt und kam gerade noch rechtzeitig
zur Aufnahmeprüfung ans Mozarteum in Salzburg.
Und es hat geklappt. Das ist natürlich etwas verkürzt
dargestellt, aber im Wesentlichen war es so.
03
Wie wird man Bühnenbildner?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Man kann Bühnenbildund Kostümentwurf studieren, man kann aber auch
einfach am Theater beginnen zu arbeiten. Als Hospitant
einsteigen, als Assistent weitermachen und dann mit
eigenen Arbeiten beginnen. Wobei dieser Weg beim Bühnenbild inzwischen schwierig ist, weil die technischen
Anforderungen an Assistenten so hoch sind, dass es
ohne Vorbildung kaum geht. Viele sind auch Quereinsteiger
aus Bildender Kunst oder Architektur.
04
Was macht/ist ein Ausstattungsleiter?
26
Das ärgerlichste …
Das ist sehr unterschiedlich und kommt auf die
Anforderungen des jeweiligen Hauses an. In meinem
Fall ging es hauptsächlich um die Planung der
Übergangspielstätte(n) – es sind ja dann doch mehr
geworden. Wir haben vier geplant und zwei davon haben
wir umgesetzt; und die Leitung der Abteilung. Ein paar
Bühnenbilder und Kostüme kamen auch dazu. Und natürlich
immer auch die Bürokratie, die so ein Haus mit sich bringt.
Gab’s auch welche, muss man aber hier nicht
im Detail ausführen.
05
Schauspiel: Schlachten (Perceval / Brack) – bahnbrechende
Ästhetik, In der Einsamkeit der Baumwollfelder (Chéreau /
Peduzzi) mit einem unglaublichen Pascal Greggory –
beides Salzburger Festspiele. Oper: Le Roi Arthus bei
den Bregenzer Festspielen. In Stuttgart: Fundament von
Jan Neumann und Der blaue Boll.
Was war bisher Ihre größte Herausforderung?
Im Leben, oder hier am Haus? Ersteres würde zu weit führen.
Hier steht sicherlich an erster Stelle der Umbau der
ehemaligen Mercedes-Benz-Niederlassung in der Türlenstraße in ein funktionierendes Theater für 850 Besucher.
Im März die erste Begehung, dann Entwurf, Planung
und Umsetzung inklusive Umzug einer ganzen Sparte und
im September die Eröffnung. Das geht eigentlich gar nicht
und wenn, dann nur in einem extrem guten Team.
Wobei wir das vorher ja nicht wissen konnten, wir hatten
uns alle ja gerade erst kennengelernt. Wir hatten Glück und
es hat einfach gepasst. Da können wir uns echt
auf die Schultern klopfen.
06
08
Meine Lieblingsinszenierung ...
09
Theater ist für mich ...
Wenn es gut ist im besten Sinn ein Gesamtkunstwerk im
Zusammenspiel von Literatur, Darstellender und Bildender
Kunst und Musik – wenn’s schlecht ist, wahnsinnig ärgerlich.
10
Das wünsche ich mir ...
Das schönste oder vergnüglichste Erlebnis?
In der Zeit in Stuttgart war das schönste die Geburt unseres
zweiten Sohnes und auch sehr vergnüglich, weil er ein
ziemlich fröhliches Kerlchen ist.
Impressum: Herausgeber Die Staatstheater Stuttgart // Geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks //
Intendant Oper Stuttgart Jossi Wieler // Intendant Stuttgarter Ballett Reid Anderson // Intendant Schauspiel
Stuttgart Hasko Weber // Redaktion Oper Stuttgart: Sara Hörr, Claudia Eich-Parkin Stuttgarter Ballett: Vivien
Arnold, Kristina Scharmacher Schauspiel Stuttgart: Ingrid Trobitz // Gestaltung Anja Haas // Gestaltungskonzept Bureau Johannes Erler // Druck Bechtle Druck & Service // Titelseite Arman Zazyan, Stuttgarter Ballett.
Foto: Roman Novitzky Redaktionsschluss 15. Februar 2013 // Hausanschrift Die Staatstheater Stuttgart, Oberer
Schlossgarten 6, 70173 Stuttgart / Postfach 10 43 45, 70038 Stuttgart.
07
Hauptsponsor des
Stuttgarter Balletts
Für’s Theater: dass veraltete Strukturen im Stadttheaterbetrieb aufbrechen und so die Chance besteht, dass Theater
in dieser Form überlebensfähig bleibt.
Förderer des
Stuttgarter Balletts
Partner der Oper Stuttgart
Förderer des Stuttgarter Balletts
Netta Or, Sopran
Andreas Weller, Tenor
Patrick Strub, Leitung
Arien, Ouvertüren und Sinfonien
von Jommelli, Mozart, Brescianello
u. a.
4€
Ihr Partner rund ums Parken
01
Bach 2. Violinkonzert E-Dur
Mozart 29. Sinfonie A-Dur
sowie Werke von Strawinskij
und Martin
Ludwigsburg Concert
Huberstr. 3 · 70174 Stuttgart · [email protected]
Parkraumgesellschaft
Baden-Württemberg mbH Tel.: 0711/89255-0 · Fax: -599 · www.pbw.de
Tickets: (0 71 41) 910-39 00 | www.forum.ludwigsburg.de
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