Dynamik der Proteine - Lehrstuhl für Biophysik - Ruhr

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Dynamik der Proteine
Protein-Funktion aufgelöst mit tr-FTIR Spektroskopie
(time-resolved Fourier-transform Infrared Spectroscopy)
Im postgenomen Zeitalter rückt die Dynamik der Proteine in Netzwerken
stärker in den Fokus der Lebenswissenschaften. Im Gegensatz zur klassischen
IR-Spektroskopie an Proteinen können
mit Hilfe eines innovativen Ansatzes
heute detailliert Protein-Funktion und
Protein-Protein Interaktionen an
Membranen räumlich und zeitlich auf
atomarer Ebene im NanosekundenZeitbereich aufgelöst werden. Dazu
wird die Differenzspektroskopie eingesetzt.
Fehlfunktionen von Proteinen sind ursächlich für eine Vielzahl von Krankheiten. Daher bildet das Verständnis der
Struktur, Funktion und Interaktion von
Proteinen an Membranen auf der molekularen Ebene eine wesentliche Vorraussetzung, Wirkstoffe für eine molekulare
Therapie mit weniger Nebenwirkungen
zu entwickeln.
Mit der NMR-Spektroskopie und der
Röntgenstrukturanalyse kann man heute
fast routinemäßig die drei-dimensionale
Raumstruktur von Proteinen bestimmen.
Die Aufklärung der Struktur ist immer
ein Meilenstein im Verständnis der Funktion. Allerdings zeigt diese Struktur meist
den eingefrorenen Grundzustand der
Proteine. Um die Funktion detailliert zu
verstehen, benötigt man komplementäre
Zeit auflösende Methoden. Diese sollen
unter möglichst physiologischen Bedingungen die Reaktionen der Proteine und
Protein-Protein Wechselwirkungen räumlich und zeitlich mit höchstmöglicher Auflösung detektieren und z. B. Protonierungsänderungen einzelner Aminosäuren
bestimmen. Die trFTIR (tr: time-resolved,
zeitaufgelöst; Fourier-transform Infrarot)
Spektroskopie erfüllt diese Bedingungen
hervorragend [1–3]. Es werden Informationen zu Ladungsverteilung, Wasserstoffbrückenbindungen und Protonierungszuständen und somit zu den molekularen
Reaktionsmechanismen der einzelnen
Proteingruppen mit Nanosekunden-Zeitauflösung gewonnen. Man beobachtet sozusagen mit einem IR-Nanoskop das Geschehen im aktiven Zentrum des Proteins.
Absorptionsspektrum eines Proteins
Prof. Dr. Klaus Gerwert,
Ruhr-Universität
Bochum
Dr. Carsten Kötting,
Ruhr-Universität
Bochum
In Abbildung 1 ist ein typisches Absorptionsspektrum eines Proteins in Wasser
dargestellt. Aufgrund der Vielzahl von
Absorptionen können im Spektrum aber
noch keine Absorptionsbanden einzelner Gruppen erkannt werden. Dominierend sind die Absorptionen der Peptidbindung, die Amid-I (C=O) und die
Amid-II-Bande (NH+CN). Anhand des
Absorptionsspektrums lassen sich Aussagen zum Gesamtprotein, wie z.B. zur
Sekundärstruktur treffen.
Differenzspektroskopie
Um Aussagen über einzelne funktionelle
Gruppen und den Reaktionsmechanismus
zu erhalten, benötigt man Differenzspekt-
BIOforum 6/2008, S. 36–38, GIT VERLAG GmbH & Co. KG, Darmstadt
ren. Im einfachen Fall einer Reaktion A→B
betrachtet man die Differenz der beiden
Absorptionsspektren (B–A). Wichtig ist es
hierbei, A und B unter genau den gleichen
Bedingungen zu messen, da die Hintergrundabsorption um drei bis fünf Größenordnungen stärker ist als die der wenigen
reaktiven Gruppen. Dieses stellt sehr hohe
Anforderungen an die Messaufbauten.
Unter anderem ist es wichtig, die zu untersuchende Reaktion präzise innerhalb
des Spektrometers zu starten. Dies kann
für photobiologisch aktive Proteine direkt
über einen Laserblitz geschehen. In anderen Fällen ist der Einsatz von „caged“Substanzen möglich, welche nach einem
Laserblitz eine biologisch aktive Substanz
freisetzen. Auch der Einsatz von nanotechnologisch hergestellten Mikro-Mischzellen ist möglich [4]. Bei der ATR (attenuated total reflection)-Technik wird ein
Protein auf einer Oberfläche des ATR Kristalls fixiert (siehe Abb. oben). Mit Hilfe der
evanescenten Welle des IR Stahls, der
durch den Kristall geführt wird, kann das
Spektrum aufgenommen werden. Interaktionspartner, wie Liganden oder andere
Proteine können in der Lösung ausgetauscht werden.
Ein Schlüsselschritt in der Bestimmung der Proteinfunktion ist die Zuordnung der IR-Banden zu molekularen
Gruppen des Proteins. Dies kann entweder durch ortsspezifische Mutagenese
(eine Aminosäure wird molekularbiologisch durch eine andere ersetzt, so dass
die Bande im Vergleich zum Wildtyp im
Spektrum der Mutante fehlt [3]) oder
durch Isotopenmarkierung (eine Aminosäure oder ein Ligand wird mit einem
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Abb. 1: Extinktionsspektrum einer wässrigen Proteinlösung (hier 10mM Ras). Im Kasten sind schematisch zwei Extinktionsspektren eines Proteins in zwei Zuständen, die sich exemplarisch nur durch die
Protonierung einer Carboxylgruppe unterscheiden, dargestellt. Die Banden der Carboxylgruppe sind
unter der Gesamtabsorption nicht sichtbar. Bildet man das Differenzspektrum dieser beiden Zustände,
verbleiben nur noch die Absorptionsbanden der reaktiven Gruppen, und die Hintergrundabsorption
der nicht aktiven Gruppen mittelt sich heraus.
Isotop (z.B. 13C) markiert, wodurch sich
die entsprechende Bande spektral verschiebt [5]) geschehen.
Wie Proteine Protonen pumpen
Die Methode der trFTIR-Differenz-Spektroskopie wurde bei der Untersuchung der
lichtgetriebenen Protonenpumpe Bakteriorhodopsin (bR) etabliert. Die entscheidenden Schritte der Protonenpumpe, der
Protonentransfer von der zentralen Protonenbindestelle, der Schiffschen Base, zu
Asp85 und die Reprotonierung von Asp96
wurden mit Hilfe der trFTIR aufgeklärt
[3]. Darüber hinaus konnten die trFTIRMessungen zeigen, dass einzelne Wassermoleküle wesentlich am Protonentransport beteiligt und nicht nur passive
Elemente im Protein sind (Abb. 2) [6].
Dieses ist ein Paradigmenwechsel in der
Vorstellung über die Rolle der proteingebundenen Wassermoleküle.
Schaltmechanismus von GTPasen
Das Ras-Protein ist ein molekularer
Schalter, welcher unter anderem ein
Wachstumssignal für die Zelle kontrolliert [7]. In 30 % aller menschlichen Tumoren findet sich onkogen mutiertes
Ras. Uns ist es gelungen, das Abschalten
dieses Wachstumssignal, welches durch
die Hydrolyse des Nukleotids GTP hervorgerufen wird, infrarotspektroskopisch zu verfolgen (Abb. 3). Für die Katalyse der GTP-Hydrolyse sind sowohl
enthalpische als auch entropische [8] Effekte verantwortlich: Durch die ungewöhnliche Verschiebung der Bande des
β-Phosphats, konnte ein Ladungstransfer
zum β-Phosphat nachgewiesen werden,
Abb. 2: A) Die zeitabhängigen Änderungen der
Infrarotabsorptionen während des bR Photozyklus
von 30ns bis 200ms bei 4 cm–1 Auflösung. Die
Absorptionen von protoniertem Asp85 (1762 cm–1)
und protonierter Schiffscher Base (PSB) (1190 cm–1)
sind markiert. In der nach 60µs abgeschlossenen L
→ M Reaktion wird ein Proton von der PSB zu
Asp85 transferiert, was im Spektrum durch den
Abfall der 1190cm–1 Absorption und den Anstieg der
Absorption bei 1762 cm–1 deutlich wird. B) Durch
eine Licht-induzierte Isomerisierung des Chromophors Retinal wird die starke H-Brücke des Wassers
402 aufgebrochen und etwa die Hälfte der Energie
im Protein gespeichert. Da die freie OH-Gruppe von
Wasser 401 (dangling water) nach Isomerisierung
wasserstoffbrückengebunden wird, stabilisiert
Wasser 401 nicht länger die negative Ladung von
Asp85. Das Proton wandert von der zentralen
Protonen-Bindestelle PSB zum Gegenion Asp85.
Durch die Neutralisierung von Asp85 wird eine
Bewegung des Arg82 induziert. Die Bewegung der
positiv geladenen Guanidinium Gruppe destabilisiert den protonierten Wasserkomplex nahe der
Proteinoberfäche. Der protonierte Wassercluster
(blau) speichert ein Proton, wahrscheinlich in einem
so genannten Eigen-Komplex (H+(H2O)3). Im Gegensatz zum zufälligen Grotthuss-Protonentransfer in
Wasser wird im Protein der protonierte Wasserkomplex durch eine gezielte Bewegung des Arg82
deprotoniert. Das Proton wird in der zweiten
Hydratschale über Aminosäuren, statt über Wasser
stabilisiert. Das Protein hat die physiko-chemischen
Eigenschaften der Wasser genutzt, um schnell und
gezielt das Proton zu transferieren.
lektiv durch kleine Moleküle (Wirkstoffe)
angegriffen werden soll.
Referenzen
[1] Gerwert K.: Berichte der Bunsen-Gesellschaft
92, 978 (1988)
[2] Kötting C. und Gerwert K.: ChemPhysChem 6,
881 (2005)
[3] Gerwert K. et al.: P Natl Acad Sci USA 86,
4943 (1989)
[4] Kauffmann E. et al.: P Natl Acad Sci USA 98,
6646 (2001)
[5] Warscheid B., Brucker S., Kallenbach A.,
Meyer H. E., Gerwert K., Kötting C.: in press
2008, doi: 10.1016/j.vibspec.2007.11.003
[6] Garczarek F. und Gerwert K.: Nature 439,
109 (2006)
Abb. 3: Zeitabhängige Veränderungen des Differenzspektrums während der GTPase Reaktionen von
Ras und dem Protein-Protein Komplex Ras·GAP. Die Änderungen können direkt die intrinsische GTPase Reaktion und die GAP katalysierte Reaktion charakterisieren. Dies kann als Assay genutzt werden, um z.B. direkt den Einfluss von Wirkstoffen auf onkogene Mutanten zu untersuchen [9]. Bei Ras
verschwindet die GTP-Bande bei 1143cm-1 mit der gleichen Rate mit der die GDP Bande bei 1104cm-1
entsteht. Bei Ras·GAP ist zusätzlich ein Intermediat (1116cm-1) zu erkennen. Die trFTIR-Spektroskopie
konnte zeigen, dass es sich hierbei um H2PO4-, das über Wasserstoffbrücken und Coulomb-Wechselwirkungen nicht-kovalent im Protein gebunden ist handelt [10]. Entscheidend für die Katalyse ist der
„Argininfinger“ vom GAP, dessen Bewegung ebenfalls mit trFTIR aufgelöst werden konnte [8].
[7] Vetter I.R. und Wittinghofer A.: Science 294,
welcher die Aktivierungsenthalpie herabsetzt. Beim Hereindrehen des sog. „Argininfingers“ (Abb. 3) wird weiterhin die Aktivierungsentropie erhöht, vermutlich
weil geordnete Wassermoleküle verdrängt
werden. In einer eukaryontischen Zelle
Kontakt:
Dr. Carsten Kötting
Prof. Dr. Klaus Gerwert
Lehrstuhl für Biophysik
Ruhr-Universität Bochum
[email protected]
[email protected]
befinden sich etwa 150 verschiedene
­GT‑Pasen, die alle einen ähnlichen Mechanismus aufweisen. Das Verständnis
des Mechanismus ist für die Entwicklung
von molekularen Therapien sehr wichtig,
weil das onkogene Protein direkt und se-
1299 (2001)
[8] Kötting C., Kallenbach A., Suveyzdis Y., Wittinghofer A., Gerwert K.: Proc Natl Acad Sci
U S A, 105, 6260 (2008)
[9] Kötting C. et al.: ChemBioChem 8, 781 (2007)
[10]Kötting C. et al.: P Natl Acad Sci USA 103,
13911 (2006)
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