Das Gehirn im Computer

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Das Gehirn im Computer
21.05.2011 | 18:25 | von Martin Kugler (Die Presse)
Forscher wollen im geplanten Human-Brain-Projekt die Funktionsweise des Gehirns
verstehen, indem sie es im Computer nachbauen. Die Simulation des menschlichen Gehirns
könnte im Jahr 2023 fertig sein
Auf den ersten Blick wirkt das Vorhaben gigantomanisch: Im Human-Brain-Projekt soll das
menschliche Gehirn eins zu eins, Zelle für Zelle, im Computer nachgebaut werden. Das Gehirn
besteht aus geschätzten 100 Milliarden Neuronen, die durch eine Billiarde Synapsen miteinander
verbunden sind. Das sind ungeheuer große Zahlen – sodass es völlig aussichtslos ist, das Gehirn bis
ins Detail zu studieren, um es exakt im Computer modellieren zu können.
Dass eine detaillierte Simulation aber dennoch möglich ist, hat der Initiator des Human-BrainProjekts, Henry Markram (ETH Lausanne), bereits bewiesen: In den letzten Jahren hat er eine Säule
der Großhirnrinde mit ungefähr 1000 Nervenzellen im Computer nachgebaut. Wie er am Mittwoch
dieser Woche bei einem Vortrag am Institute of Science and Technology (IST) Austria in Gugging
erläuterte, stützte er sich dabei auf die Regeln, wie in der Natur Nervenzellen entstehen, wie sie sich
anordnen und mit anderen vernetzen. Anhand solcher Regeln, die man etwa an Tieren erforschen
kann, kann man ein dreidimensionales Modell aufbauen.
Integration des Wissens. Das Entscheidendedabei: „Wenn man immer mehr Teile zusammenfügt,
dann entstehen neue Eigenschaften“, so Markram. Kognitive Fähigkeiten sind demnach eine
„emergente“ Eigenschaft von Neuronen, die zu Netzwerken zusammengeschlossen sind (siehe links).
„Der ultimative Test für den Erfolg der Simulation ist der Vergleich der emergenten Eigenschaften der
Modellsysteme mit den Erkenntnissen der experimentellen Neurowissenschaften“, erläutert er. So
kann zum Beispiel das elektrische Feld, das die Aktivität der Nervenzellen erzeugt, mit einem realen
EEG verglichen werden.
Dafür, dass die Simulation des Gehirns gelingen kann, sind viele Bausteine notwendig – und zwar aus
unterschiedlichsten Wissenschaftsgebieten: von der neurophysiologischen Grundlagenforschung über
theoretische Mathematik und Informatik bis hin zum Bau von Supercomputern.
Das Herzstück des Human-Brain-Projekts ist daher eine Plattform, in der alles Wissen über das
Gehirn – derzeit fünf Millionen Artikel – gesammelt und zu einem die Fachdisziplinen übersteigenden
Ganzen zusammengefasst – „integriert“ – wird. Markram: „Im 19. Jahrhundert wollte man das Gehirn
durch die Philosophie des Denkens verstehen, im 20. Jahrhundert durch naturwissenschaftliche
Reduktion. Die Strategie des 21. Jahrhunderts ist die Integration des gesamten Wissens, die durch
Computer möglich wird.“
Das Human-Brain-Projekt erfordert einen riesigen Aufwand: Markram veranschlagt die Kosten auf
mehr als eine Milliarde Euro und den Zeitaufwand auf zehn Jahre. Ob das Projekt realisiert wird, ist
derzeit unklar: Es ist als eines von sechs Großprojekten als „FET Flagship“ eingereicht (siehe Kasten).
2012 sollen zwei oder drei Projekte den Zuschlag erhalten.
In die laufende Pilotphase sind auch österreichische Forscher involviert. Etwa der Mathematiker
Wolfgang Maass (TU Graz), der gemeinsam mit Markram ein Modell der Gehirnaktivität namens
„Liquid Computing“ entwickelt hat. Der Kerngedanke ist, dass bestimmte Schaltkreise nicht nur für
eine einzige Aufgabe zuständig sind, sondern mehrere übernehmen können. Auf Basis des Modells
wurden bereits einige EU-Projekte, etwa „Brain-i-Nets“ gestartet, an denen Maass federführend
beteiligt ist. „Die Informatik kann viel von biologischen Modellen lernen“, so der Forscher.
Eine wichtige Rolle hat auch Peter Jonas, Professor am IST Austria. Sein Spezialgebiet sind Synapsen,
insbesondere im Hippocampus, einer zentralen Schaltstelle für das Lernen oder die räumliche
Orientierung. Seine Arbeitsgruppe misst direkt an den Nervenzellen die Funktionsweise der
unterschiedlichsten Synapsentypen – und zwar mikrometergenau und in einer zeitlichen Auflösung
von Mikrosekunden. „Diese Daten benötigt das Human-Brain-Projekt“, so Jonas.
Dritter im Bunde der österreichischen Projektpartner ist der Suchtforscher Alois Saria (Medizin-Uni
Innsbruck): Er soll den Projektteil „Erziehung“ leiten und dafür sorgen, dass ausreichend
qualifiziertes Forschungspersonal herangezogen wird – man rechnet mit rund 1000 Dissertanten im
Projekt. Etwa Mediziner, die mit Supercomputern umgehen können, oder Neurobiologen, die auch mit
Mathematikern reden können. Entwickelt werden sollen zudem Schnittstellen, mit denen man für
Ausbildungszwecke auf die großen Computersimulationen zugreifen kann.
Wenn Markrams Plan aufgeht, dann könnte die Simulation des menschlichen Gehirns im Jahr 2023
fertig sein. Das ist aber, betont er, nicht der Endzweck der Forschung. Zum einen sei nämlich auch
der Weg das Ziel: „Im Prozess des Nachbildens verstehen wir immer besser, wie das Gehirn
funktioniert.“ Nebenbei werden auch „Early Fruits“ abfallen – etwa für medizinische
Informationssysteme, für die Früherkennung und Behandlung neuronaler Störungen oder bei der
Entwicklung von Neurochips.
Zum anderen sei das Computermodell aber auch erst der Beginn einer intensiveren Erforschung des
Gehirns: „Das Human-Brain-Projekt ist ein Forschungstool.“ Makram nennt eine Zukunftsvision:
Wenn man einen Roboter mit neuronalen Netzwerken koppelt, dann könne man verfolgen, wie sich
Erfahrungen des Roboters im Netzwerk niederschlagen – und man könne daraus eine Hypothese
formulieren, wie Erinnerung funktioniert.
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