Vorwort - BORG Birkfeld

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Diagnose Borderline
INHALTSVERZEICHNIS
1.1 Einführung in die Thematik........................................................................ 6
1.2. Historische Entwicklung des Borderline- Begriffs......................................... 6
1.3. Definition der Borderline - Störung.............................................................8
2.1. Objektbeziehungstheorie und Individuation in der Kindheit........................ 12
2.1.1. Die Differenzierungsphase (5 - 8 Monate)...........................................12
2.1.2. Die Übungsphase (8 - 16 Monate)..................................................... 13
2.1.3. Die Phase der Wiederannäherung ( 16 – 25 Monate)...........................13
2.1.4. Die Phase der Objektkonstanz ( 25 – 36 Monate)................................13
2.2. Traumata als mögliche Ursachen............................................................. 13
2.3. Anlagebedingte Faktoren.........................................................................16
2.3.1. Biochemisches Ungleichgewicht......................................................... 16
2.3.2. Neurologische Faktoren.....................................................................16
3.1. Erscheinungsbild und Persönlichkeit......................................................... 18
3.2. Wahrnehmung und Gefühlswelt – „Eine Mimose ist Beton gegen mich“.......20
3.2.1 Depressionen bei Borderline – Menschen ............................................22
3.2.2. Sexualität........................................................................................ 22
3.2.3 Aggressives Verhalten .......................................................................23
4.1 Was ist Selbstverletzung?.........................................................................25
4.2 Selbstverletzungen in Verbindung mit der Borderline - Persönlichkeitsstörung..
26
4.3 Gründe für selbstverletzendes Verhalten....................................................27
5.1. Die psychoanalytisch orientierte Therapie................................................. 29
5.1.1. Die psychoanalytische Therapie......................................................... 29
5.2. Die unterstützende Therapie................................................................... 30
5.3. Psychodrama......................................................................................... 31
5.3.1 Doppeln............................................................................................31
5.3.2 Spiegeln .......................................................................................... 32
5.3.3 Rollentausch .................................................................................... 32
5.4 Spezielle Formen der Psychotherapie........................................................ 32
5.4.1 Gruppentherapie............................................................................... 32
5.4.2 Familientherapie................................................................................33
2
Diagnose Borderline
5.4.3. Expressive Psychotherapie................................................................ 34
5.5 Die medikamentöse Behandlung............................................................... 34
5.6 Die Therapie im Krankenhaus................................................................... 35
3
Diagnose Borderline
VORWORT
Psychische Störungen werden zunehmend zum Thema in unserer Gesellschaft.
Immer mehr „neue“ Erkrankungen werden diagnostiziert, doch durch - meiner
Meinung nach - unzureichende Information der Bevölkerung über eben diese
Störungen, kommt es oft zu Abwertung und Stigmatisierung der Betroffenen.
Da ich nicht zu diesen Menschen zählen möchte, die durch Unwissenheit psychisch
Erkrankte abwerten, war meine Motivation für diese Fachbereichsarbeit, mich
besser über eine dieser relativ unbekannten Erkrankungen, nämlich Borderline, zu
informieren. Da ich selbst in stationärer Behandlung war, konnte ich einige
Borderline – Patienten näher kennen lernen. Einige davon wurden richtige Freunde
für mich. Ich möchte mit dieser Fachbereichsarbeit versuchen, Vorurteile gegenüber
Borderline – Kranken zu bekämpfen und mich für mehr Akzeptanz in der
Öffentlichkeit einzusetzen. Außerdem habe ich mich schon lange für die Borderline
– Störung interessiert, weil sie für Außenstehende sehr rätselhaft ist. Ein Betroffener
hat das folgendermaßen formuliert:
„Borderliner sind schwierig. Es gibt schon viele Bücher über sie, aber immer noch kein
Rezept, wie die Grenzgänger zu behandeln sind. Sie bestehen offensichtlich auf ihrer
Einzigartigkeit. Das ist das, was mir an der Diagnose gefällt. Depressionen kennt jeder.“
Dieses unzulängliche Wissen um die Krankheit und die zahlreichen Facetten des
Krankheitsbildes haben mich bewogen, mich mit großem Enthusiasmus und
Wissbegierde in die Arbeit zu stürzen.
4
Diagnose Borderline
„ Dabei hatte ich mir doch vorgenommen, alles anders zu machen. Ein hübsches, ruhiges
Mädchen zu sein. Nicht mehr die Bohne nervös. Mich ernsthaft meinem Studium zu widmen,
ernsthaft meinen Liebesgeschichten.(...) Mit der ganzen Welt gut Freund zu sein, Hunde zu
lieben, Katzen, Einwanderer und Außerirdische, mit allen auf gutem Fuß zu stehen, auch mit
den Beinamputierten...Doch mein Therapeut tief in seinem Sessel hat gesagt, ich habe eine
kranke Persönlichkeit. Meine Persönlichkeit hat die Grippe. Nein, schlimmer noch, meine
Persönlichkeit hat Krebs: eine Kugel, die in mir drin sitzt und sich von meinen Zellen ernährt,
seit ich ganz klein bin. Ich bin borderline. Ich habe ein Problem mit Grenzen...“
Marie- Sissi Labrèche: Borderline
5
Diagnose Borderline
1. DIAGNOSE BORDERLINE
1.1 Einführung in die Thematik
Das Borderline - Syndrom zählt mittlerweile zu den meist verbreiteten
psychischen Erkrankungen und gehört zu den „emotional instabilen
Persönlichkeitserkrankungen“. Die Betroffenen sind besonders impulsiv
und leiden unter häufigen Stimmungsschwankungen. Zudem sind das
eigene Selbstbild und Zielvorstellungen unklar und gestört. Charakteristisch
für das Borderline-Syndrom ist auch die Neigung zu intensiven, aber
unbeständigen
emotionalen
zwischenmenschlichen
Krisen
führen,
die
Beziehungen.
oft
mit
Dies
kann
Suiziddrohungen
zu
bzw.
Suizidversuchen oder Selbstverletzungen einhergehen.1
Schätzungen zufolge sind etwa 5% der Gesamtbevölkerung von
Borderline betroffen. Dies stellt nach den Süchtigen und den Depressiven
die drittgrößte Gruppe offiziell psychisch Kranker dar.2
Das Rätsel der Borderline-Störung liegt im zutiefst menschlichen Geheimnis
der Grenze (borderline) zwischen gesund und krankvertraut und fremd,
unabhängig und abhängig, sinnerfüllt und tödlich langweilig.3
1.2. Historische Entwicklung des Borderline- Begriffs
1884 wurde von C.H. Hughes erstmals der Begriff Borderline (damals
„Borderland“) erwähnt. Kraepelin prägte 1893 für eine Untergruppe der
1
2
3
Vgl.
Vgl.
http://www.borderline.at : 25.09.2003
Joachim Gneist: Wenn Hass und Liebe sich umarmen.
Das Borderline-Syndrom. München: Piper Verlag 2003, S.11
Gneist, a.a.0, S.13
6
Diagnose Borderline
Psychosen
die
Bezeichnungen
„Dementia
praecox“,
„Katatonie“
und
„Dementia paranoides“, die heute Schizophrenie genannt werden. Somit ist
der Begriff Borderline bzw. Borderland fast zehn Jahre älter als jener der
Schizophrenie.4
Der Begriff Borderline selbst wurde 1938 von Adolph Stern geprägt, um
jene Patienten zu beschreiben, die nicht in die primären diagnostischen
Klassifikationen der „Neurosen“ und „Psychosen“ passten. Diese Patienten
waren kränker als neurotische Patienten, aber dennoch interpretierten sie die
reale Welt, nicht wie die Psychotiker, ständig falsch.5
1942 beschrieb Helene Deutsch eine Gruppe von Patienten, die ein inneres
Gefühl von Leere durch eine chamäleonhafte Änderung ihrer inneren und
äußeren emotionalen Erfahrungen überwanden, um sich den Menschen und
Situationen, mit denen sie im Moment konfrontiert wurden, anzupassen. Sie
bezeichnete diese Neigung, die
Eigenschaften anderer anzunehmen, um
damit ein Mittel zu haben, mit dem sie Liebe gewinnen oder behalten
konnten, als die „Als ob-Persönlichkeit“.2
1953 erkannte Robert Knight, dass bestimmte Patienten eine gemeinsame
Pathologie aufwiesen, obwohl sie ausgesprochen unterschiedliche Symptome
zeigten und verschiedene Diagnosen hatten.7
Otto F. Kernberg veröffentlichte ab 1967 zahlreiche Werke über Borderline
– Störungen, unter anderem das Standardwerk „Borderline-Störungen und
pathologischer Narzissmus“.
4
Vgl.
5
Vgl.
26
7
ebda
Vgl.
Birger Dulz/ Angela Schneider: Borderline – Störungen. Theorie und Therapie.
Stuttgart: F.K. Schattauer Verlagsgesellschaft 2001, S. 3
Jerold J. Kreisman/ Hal Straus: Ich hasse dich – verlass’ mich nicht.
Die schwarzweiße Welt der Borderline – Persönlichkeit. München: Kösel Verlag 2003, S.243
S.245
ebda, S. 245
7
Diagnose Borderline
1978 publizierten Gunderson und Kolb das „Diagnostische Interview für
das Borderline - Syndrom“. Dieses Werk wird zum Standardverfahren der
Wissenschaft bei der Identifizierung von Borderline – Patienten.8
1.3. Definition der Borderline - Störung
Zur Diagnostik von Borderline verwenden Psychiater und Psychologen häufig das
DSM. Dies bedeutet „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (zu
deutsch: Diagnostische Kriterien und Differentialdiagnosen des diagnostischen und
statistischen Manuals psychischer Störungen ) und wird von der American
Psychiatric Association herausgegeben.
9
Das DMS-III nahm 1982 erstmals den Begriff der Borderline – Persönlichkeit auf.
Die überarbeitete Fassung des DSM-III, das DSM-III-R, wurde 1987 veröffentlicht
und schließlich 1993 das DSM-IV. Statt der fünf von acht Kriterien, die laut DSM-III
erfüllt werden müssen, um Borderline zu diagnostizieren, gibt es im DSM-IV ein
neuntes Kriterium.10
Laut dem DSM-IV ist ein Mensch dann mit großer Wahrscheinlichkeit vom Borderline
– Syndrom betroffen, wenn er mindestens fünf der folgenden neun Kriterien
aufweist:
1. Chronische Gefühle von Leere und Langeweile
Personen mit einer Borderline – Störung haben oft ein chronisches Gefühl von
Leere. Sie sind häufig gelangweilt und deshalb ständig auf der Suche nach
Beschäftigung.
2. Starke Stimmungsschwankungen
Personen mit einer Borderline – Persönlichkeitsstörung leiden unter Wut,
Erregbarkeit und Angst. Diese Verstimmungen dauern gewöhnlich einige Stunden
und selten länger als einige Tage. Die dysphorische Grundstimmung der
8
Vgl.
9
10
Vgl.
Dulz/ Schneider, a.a.O., S. 7
ebda, S. 162
ebda, S. 5 f.
8
Diagnose Borderline
Betroffenen wird häufig durch Zorn und Verzweiflung unterbrochen, in einigen
Fällen können auch Perioden des Wohlbefindens und der Zufriedenheit auftreten.
9
Diagnose Borderline
3. Häufige und unangemessene Zornausbrüche
Diese Menschen haben Schwierigkeiten ihre Wut zu kontrollieren, sie können
extremen Sarkasmus und heftigen Zorn zeigen. Ihre Wut bricht oft dann aus, wenn
sie von einer Bezugsperson oder einem Partner vernachlässigt oder zurückgewiesen
werden. Nach den Zornausbrüchen folgen häufig Scham- und Schuldgefühle, die
meistens zu dem Gefühl „schlecht zu sein“ führen.
4. Impulsivität bei selbstzerstörerischem Verhalten
Die mangelnde Selbstkontrolle zeigt sich in sprunghafter, unberechenbarer
Impulsivität als Reaktion auf starke Emotionen. Diese Impulsausbrüche dienen dem
Ausagieren enormer innerer Spannungen. Die Betroffenen zeigen Impulsivität bei
mindestens zwei potentiell selbstschädigenden Aktivitäten, wie beispielsweise
Exzessen
mit
Alkohol,
Drogen
oder
Nahrungsmitteln
(„Fressanfälle“),
unverantwortliche Geldausgaben, Spielsucht, risikoreiches Sexualverhalten oder
rücksichtsloses Autofahren. 11
5. Selbstverletzungen und Suiziddrohungen bzw. – versuche
Menschen mit einer Borderline – Persönlichkeit neigen zu wiederkehrenden
Selbstmorddrohungen, Selbstmordversuchen und Selbstverstümmelungen. Meistens
sind die häufigen Drohungen und Selbstmordversuche ein Versuch der Betroffenen,
ihren Schmerz mitzuteilen.12
6. Muster instabiler, aber intensiver Beziehungen
Personen
mit
einer
Borderline
–
Störung
neigen
zu
intensiven,
jedoch
unbeständigen zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie können plötzlich von einer
Idealisierung in eine Entwertung anderer Menschen umschlagen. Die Betroffenen
fordern viel gemeinsame Zeit ein und erwarten, dass der andere ihnen zur Erfüllung
ihrer Bedürfnisse zur Verfügung steht.
11
12
Vgl.
Vgl.
www.borderline.at: 25.9.2003
Kreisman/ Straus, a.a.0, S. 59
10
Diagnose Borderline
7. Fehlen eines klaren „Ich“ – Identitätsgefühls
Der Patient weiß oft nicht, wie und wer er eigentlich ist. Es kann unvermutet
Veränderungen von Meinungen hinsichtlich des Berufsweges, der Art der Freunde
oder von Wertvorstellungen geben.
8. Angst vor dem Verlassenwerden
Menschen mit einer Borderline – Persönlichkeitsstörung sind verzweifelt bemüht,
tatsächliches oder erwartetes Verlassenwerden zu vermeiden. Sie sind sehr
empfindlich gegenüber Einflüssen aus ihrer Umgebung und erleben oft intensive
Ängste vor dem Verlassenwerden, welches sie als Strafe interpretieren. Außerdem
können die Betroffenen eine ungeheure Angst oder Wut entwickeln, wenn sie
beispielsweise mit einer zeitlich begrenzten Trennung konfrontiert werden ( z.B.
Angst oder Wut, wenn eine wichtige Bezugsperson sich nur wenige Minuten
verspätet oder eine Verabredung absagt).
9. Paranoide Phantasien oder dissoziative Symptome
Unter Stress oder starker Belastung können kurzzeitige paranoide Vorstellungen
oder dissoziative Symptome (z.B. Depersonalisation) auftreten. Diese sind für
gewöhnlich von sehr kurzer Dauer und rechtfertigen deshalb keine eigene Diagnose.
Sie können als Reaktion auf tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden
auftreten, die Rückkehr der Bezugsperson kann zur Rückbildung der Symptome
führen.
13
2. URSACHEN UND MÖGLICHE AUSLÖSEFAKTOREN
Die Theorien über die Ursachen der Borderline – Erkrankung konzentrieren sich
besonders auf die Beziehungen zwischen Eltern und Kind während den ersten
Lebensjahren. Dabei ist besonders das Alter von achtzehn bis dreißig Monaten von
Bedeutung.14
13
14
Vgl. www.borderline.at: 25.9.2003
Vgl.
Kreisman/Straus, a.a.0, S. 79
11
Diagnose Borderline
2.1. Objektbeziehungstheorie und Individuation in der Kindheit
Margaret Mahler entwickelte 1978 die Objektbeziehungstheorie für die frühen
Phasen der kindlichen Entwicklung. Dieser Theorie zufolge sind die Beziehungen des
Kindes zu „Objekten“ (Menschen und Dingen) in seiner Umgebung für seine spätere
Funktion entscheidend. Mahler behauptete, dass es in den ersten beiden
Lebensmonaten zu einer Vergesslichkeit gegenüber allem, außer sich selbst, kommt
(autistische Phase).
In den nächsten vier bis fünf Monaten beginnt laut Mahler das Kind, andere in
seiner Umgebung zu erkennen, jedoch nur als Erweiterung seiner selbst
(symbiotische Phase).15
In der darauffolgenden Phase der Ablösung und Individuation, die vom
zweiten bis zum dritten Lebensjahr dauert, entsteht für das Kind ein Ichgefühl. Es
beginnt sich von seiner primären Bezugsperson zu lösen. Für Mahler ist es von
größter Bedeutung, dass das Kind diese Entwicklungsphase erfolgreich durchläuft.
Dies ist vor allem für die spätere geistige Gesundheit wichtig. 16
Während dieser Phase von Ablösung und Individuation beginnt das Kind, Grenzen
zwischen sich und anderen zu ziehen. Mahler unterteilt diese Phase in vier
Subphasen:
2.1.1. Die Differenzierungsphase (5 - 8 Monate)
In dieser Phase beginnt sich das Kind einer Welt bewusst zu werden, die getrennt
von seiner Mutter besteht. Das „soziale Lächeln“ entsteht - eine Reaktion auf die
Umgebung, vor allem aber auf die Mutter. Die Umkehrung derselben Reaktion,
nämlich das „Fremdeln“, findet am Ende dieser Phase statt. Das Kind beginnt,
fremde Menschen in seiner Umgebung zu erkennen.
15
16
Vgl.
Vgl.
ebda, S. 80
ebda, S. 80 f.
12
Diagnose Borderline
2.1.2. Die Übungsphase (8 - 16 Monate)
Das Kind beginnt, sich zunehmend von der Mutter fortzubewegen (durch Krabbeln,
später durch Laufen) um nach kurzer Zeit wieder zurückzukehren.
2.1.3. Die Phase der Wiederannäherung ( 16 – 25 Monate)
In dieser Phase erkennt das Kind, dass es eine Identität besitzt, die getrennt von
den Menschen in seiner Umgebung besteht. Durch Wiedervereinigungen mit der
Mutter und das Bedürfnis ihrer Zustimmung erkennt es, dass es und andere
Menschen getrennte, reale Wesen sind. Besonders in dieser Phase kann es zu
Konflikten zwischen Mutter und Kind kommen, die darüber entscheiden, ob das Kind
später ein Borderline – Syndrom aufweisen wird.
2.1.4. Die Phase der Objektkonstanz ( 25 – 36 Monate)
In dieser Phase lernt das Kind, sofern die vorangegangenen Phasen befriedigend
abgeschlossen wurden, Ambivalenz und Frustration zu ertragen. Es erkennt, dass
der Zorn der Mutter nur vorübergehend ist. Außerdem entwickelt es die Fähigkeit
zu teilen und Mitleid zu haben. Das Kind reagiert nun stärker auf den Vater und
andere Menschen.
Es
verwendet
Übergangsobjekte,
sogenannte
Trostspender
(Teddybären,
Puppen, Schmusedecken), die die Mutter repräsentieren und überall mitgenommen
werden. Sinn und Zweck derselben ist, den Trennungsschmerz zu verringern. Später
wird das Übergangsobjekt aufgegeben und ein permanentes Bild der beschützenden
Mutter verinnerlicht.
17
2.2. Traumata als mögliche Ursachen
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Borderline – Persönlichkeitsstörung in der Jugend
oder im Erwachsenenalter aufritt, kann durch schwere Traumata (Verlust der
Eltern, Vernachlässigung, Abweisung, körperlicher oder sexueller Missbrauch) in den
ersten Lebensjahren gesteigert werden. Als berühmtes Beispiel kann Marilyn
Monroe genannt werden, die auch durch das Nichtvorhandensein eines Vaters an
einer emotionalen Instabilität litt. 18
17
18
Vgl.
Vgl.
ebda, S. 81 ff.
ebda, S. 87 f.
13
Diagnose Borderline
Etwa 75 % aller Borderline - Patienten sind weiblich. Auffällig dabei ist, dass
viele PatientInnen als Kinder misshandelt und sexuell missbraucht wurden. Es liegt
daher der Gedanke nahe, dass es sich bei der Borderline – Erkrankung um eine
posttraumatische Störung handelt. Allerdings gibt es einige Borderline – Patienten,
die nie missbraucht worden sind. 19
Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes zufolge werden 10 % aller Kinder
von ihren Eltern massiv misshandelt.
1993 veröffentlichte der Psychiater K. Stauss eine Studie, wonach etwa 90 % der
Borderline – Patientinnen sexuelle Missbrauchserlebnisse angaben. 20
Missbrauchte Kinder fühlen sich durch die erlittene Demütigung minderwertig und
ausbeutbar: „Aufgrund einer Identifikation mit dem Täter hat dieser in der Phantasie
des Opfers das Recht, ihm etwas Derartiges anzutun; das Opfer fühlt sich unwert,
geliebt zu werden...“21
Bei einer Untersuchung von 42 Borderline – Patienten haben die Befragten im
Rahmen einer stationären Psychotherapie konkrete Angaben über stattgefundene
körperliche Misshandlungen und/oder sexuellen Missbrauch gemacht. Es stellte sich
heraus, dass bei den männlichen Patienten die Misshandlungen, bei den weiblichen
Missbrauchserfahrungen
überwogen.
Bei
Männern
traten
vermehrt
Fremdaggressionen auf, bei Frauen wurden vor allem Autoaggressionen
registriert.22
Ein Betroffener schreibt über seine prägende Kindheit:
„Ich hatte Angst vor meiner unberechenbaren Mutter (...), die meinte, mich oftmals bestrafen
zu müssen, indem sie mit allen erdenklichen und greifbaren Gegenständen wie wild
geworden auf mich einschlug. Ihr konnte man es nie, aber auch wirklich nie recht machen.
Die immer etwas fand, um mich beschimpfen, beleidigen und erniedrigen zu können, und
auch keine Hemmungen hatte, während ich schlief in mein Zimmer zu stürmen, um aus
1
9
Vgl. Erik Mertz: Borderline – Weder tot noch lebendig. Einzelheiten aus der subtilen Hölle
des neuen Menschen. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 2000, S. 243
20
Vgl.
Dulz/ Schneider, a. a. O, S. 47 ff.
21
ebda, S. 53
22
Vgl.
ebda. S. 54
14
Diagnose Borderline
heiterem Himmel auf mich einzuprügeln. Ich musste immer darauf achten, dass man mir
meine Gefühle nicht ansah. Ansonsten musste ich damit rechnen, ohne Vorwarnung ins
Gesicht geschlagen zu werden. Ich durfte weder wütend noch beleidigt dreinschauen.
(...) Aber auch vor meinem Stiefvater hatte ich große Angst. Denn er schlug noch härter zu.
So hart, dass ich einmal eine so starke Gehirnerschütterung hatte, dass sich meine
Körpermotorik verselbstständigte. (...) Die Gewissheit, dass es jederzeit wieder passieren
konnte, dass beide Eltern gleichzeitig mit Gegenständen auf mich einprügelten, mich in eine
mit beinahe kochendem Wasser gefüllte Badewanne schmissen oder sie beim nächsten
Ostern, weil ich die Eier nicht gleich auf Anhieb fand, meinen Kopf wieder in die Toilette
stecken könnten, machte mir Angst.“23
Mark Tiek
23
Andreas Knuf (Hg.): Leben auf der Grenze – Erfahrungen mit Borderline.
Bonn: Psychiatrie Verlag 2002, S. 75 ff.
15
Diagnose Borderline
2.3. Anlagebedingte Faktoren
Nach Meinung einiger Psychiater können biologische und genetische
Faktoren bei der Entwicklung der Borderline – Störung eine entscheidende Rolle
spielen. Obwohl bisher keine biologischen oder genetischen Kennzeichen, zum
Beispiel ein Bluttest oder ein identifiziertes Gen, gefunden wurden, haben einige
Untersuchungen zu erstaunlichen Ergebnissen geführt. 24
2.3.1. Biochemisches Ungleichgewicht
Einigen
Theoretikern
zufolge
können
Borderline
–
Persönlichkeitsstörungen
zumindest teilweise das Ergebnis eines biochemischen Ungleichgewichts sein,
das auch bei anderen psychischen Störungen eine Rolle spielt. Diese Theorien
werden dadurch bekräftigt, dass bestimmte Medikamente wie Antidepressiva,
Beruhigungsmittel und Medikamente gegen Anfälle bei einigen Patienten zu einer
deutlichen Verbesserung der Symptome geführt haben.
In neueren Untersuchungen wurde eine Verbindung zwischen impulsiven Akten und
Abnormitäten im Serotonin – Stoffwechsel festgestellt, einem chemischen
Neurotransmitter, der bei Gemütsstörungen wichtig ist. Es wurde festgestellt,
dass dieselbe Impulsivität, die bei Borderline – Patienten beobachtet wurde
(möglicherweise auch bei Bulimikern und Drogenabhängigen) mit ähnlichen
Stoffwechselstörungen zusammenhängen könnte. 25
2.3.2. Neurologische Faktoren
Bestimmte neurologische Störungen, von denen einige erblich sind, wurden mit dem
Borderline – Syndrom in Verbindung gebracht, z.B. Lernschwächen, Hyperaktivität,
Epilepsie und Gehirnhautentzündung. In einigen Untersuchungen wurden bei
Borderline – Patienten abnorme Hirnwellenaktivitäten im Bereich des
24
25
Vgl.
Vgl.
Kreisman/ Straus, a.a.O, S. 89
ebda, S.90
16
Diagnose Borderline
Schläfenlappens festgestellt. Dies deutet auf eine Dysfunktion in diesem Teil des
Gehirns hin.
Außerdem
wurde
bemerkt,
dass
die
Patienten
im
Schlaf
eine
gewisse
Hirnwellenaktivität zeigten, die die Zeitspanne, die dem Träumen vorausgeht,
verkürzt. Diese Muster wurden auch bei depressiven Patienten dokumentiert. 26
26
Vgl.
ebda, S.91
17
Der Borderline – Mensch als Grenzgänger
3.DER BORDERLINE – MENSCH ALS GRENZGÄNGER
3.1. Erscheinungsbild und Persönlichkeit
Das Fehlen einer grundlegenden Selbstidentität ist bei der Borderline – Störung ein
besonders bedeutendes Symptom. Die Betroffenen haben meist ein verwirrtes oder
widersprüchliches Bild von sich. Um ihr negatives Selbstbild zu überwinden,
versuchen sie ihre Identitätsleere durch verschiedene Rollen, gleich einem
Schauspieler, zu füllen. Sie passen sich wie ein Chamäleon an ihre Umgebung, eine
bestimmte Situation oder an die augenblickliche Gesellschaft anderer an.27
Die Betroffenen leiden an einem Mangel an Selbstliebe und Selbstrespekt. Sie
sind hochsensibel gegen falsches Lob, suchen jedoch ständig nach Bestätigung, was
bis zur Provokation führen kann.
Sie haben Schwierigkeiten, langfristige berufliche und andere Ziele zu planen bzw.
zu erreichen. Die Stärken des Borderline – Menschen liegen in Spontaneität,
Beweglichkeit und Idealismus. Außerdem sind Sprachgewandtheit, Witz und
unterschwelliger Humor typisch für Borderline – Menschen.28
In Bezug auf Nähe und Distanz gelingt es den Betroffenen nur selten, sich von einer
anderen Person abzugrenzen, die nah, aber auch bedrohlich erlebt wird. Dies führt
zum Versuch, diesen Menschen ständig zu kontrollieren. Wut und Aggression
kommen meistens als Bumerang zurück.
Die einfache Projektion (= Hineinwerfen, Vorwerfen) funktioniert nicht, weil sich der
Borderline – Mensch zugleich mit seinem Gegenüber identifiziert.
Er ist also Angreifer und Angegriffener in einer Person. Im Gegensatz zu
neurotischen und psychisch gesunden Menschen funktioniert das Freund/ Feind –
Schema bei „Borderlinern“ nicht besonders gut.29
27
Vgl.
Vgl.
29
Vgl.
28
Kreisman/ Straus, a.a.O, S.27
Gneist, a.a.0, S. 27 f.
ebda, S.28 f.
Der Borderline – Mensch als Grenzgänger
Das Borderline – Syndrom ist von zahlreichen Symptomen geprägt. Körperliche
Symptome wären Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, Alpträume
und körperliche Anspannung.
Die Betroffenen leiden auch unter Angstzuständen, Zwängen, innerer Leere und
Hoffnungslosigkeit. Sie fühlen sich oft deprimiert und verzweifelt. Ihr Leben ist
außerdem von antisozialem Verhalten, unangemessenen Zornausbrüchen, Autound Selbstaggressionen und Drogenmissbrauch geprägt. Charakteristisch für die
Borderline – Persönlichkeitsstörung wären auch Essstörungen, massive Angst vor
dem Alleinsein und Schwarzweiß – Denken.
30
Der Borderline – Mensch nimmt widersprüchlich und bruchstückhaft wahr, er
erschafft die Wirklichkeit immer wieder neu. Das macht seine Lebendigkeit und
Kreativität, aber auch seine Verwirrung und Orientierungslosigkeit aus.
Während das eine Verhalten positiv auffällt, führt das andere oft zu Ratlosigkeit und
Angst bei den Mitmenschen, weil sie es nicht nachvollziehen können. 31
1990 untersuchten Swartz und Blazer fast 4000 Personen und stellten fest, dass
1,8 % von ihnen die Kriterien für eine Borderline – Störung erfüllten. Außerdem
fanden sie heraus, dass „Borderliner“ zu einem Leben in der Stadt tendierten und
unterdurchschnittlich selten geschieden waren. Ingesamt seien sie aber seltener
verheiratet. Der Anteil der Frauen bei Borderline – Patienten beläuft sich auf 73,2%,
wobei der Frauenanteil der Gesamtbevölkerung im Vergleich dazu nur 52,2 %
ausmacht.
30
31
32
Vgl.
Vgl.
32
www.borderline.at
Gneist, a.a.0, S. 29
Dulz/ Schneider, a.a.0, S.8
Der Borderline – Mensch als Grenzgänger
Allgemeine Probleme der mit Borderline – Diagnostizierten :

Arbeitsplatzprobleme 31,1% (Gesamtpopulation 21,1%)

Alkoholprobleme 57,1% (17,6%)

Drogenprobleme 48,1% (22,2%)

Sexuelle Probleme 30,7% (4,3%)33
Swartz und Blazer stellten außerdem fest, dass fast die Hälfte der als „Borderliner“
identifizierten Personen vier und mehr Diagnosen bekommen hätten. Zu diesen
Diagnosen zählten bei:

56,4% eine allgemeine Angsterkrankung

41,1% eine einfache Phobie

40,7% eine schwere Depression

34,4% eine posttraumatische Stresserkrankung

9,6% eine Manie34
3.2. Wahrnehmung und Gefühlswelt – „Eine Mimose ist Beton gegen
mich“
„Ich bin borderline. Ich habe ein Problem mit Grenzen. Ich unterscheide nicht zwischen
außen und innen. Das liegt an meiner Haut, die ist umgekrempelt. Das liegt an meinen
Nerven, die blank liegen. Mir ist es, als könnten alle Leute in mich hineinsehen. Ich bin
durchsichtig. So durchsichtig, dass ich schreien muss, damit man mich sieht. Ich muss Lärm
schlagen, damit man mich beachtet. Darum weiß ich auch nie, wann es genug ist. (...)
Meine Grenzen sind verschwommen. Meine Wirklichkeit fasert aus. (...) Nichts ist festgelegt
in meinem Leben: wer ich bin, was ich mal tun werde, was ich wert bin, worauf ich stehe...“3
5
Im Unterschied zum Schizophrenen ist der Borderline – Mensch durchaus fähig, die
Wirklichkeit als solche einzuschätzen. Das Erleben von Wirklichkeit kann jedoch
höchst unterschiedlich sein. Was anderen vertraut erscheint, kann vom Betroffenen
33
34
35
ebda, S. 8
ebda, S. 57
Marie – Sissi Labrèche: Borderline. München: Antje Kunstmann Verlag 2002, S.76
Der Borderline – Mensch als Grenzgänger
als sehr fremdartig empfunden werden. Daraus ergibt sich ein oft nicht
realitätsgerechtes Verhalten. Durch einen Mangel an Selbstkontrolle und an der
Fähigkeit, Angst auszuhalten, fällt es dem Borderline – Menschen oft schwer, sich in
schwierigen und unvorhersehbaren Situationen angemessen zu verhalten. 36
Erwähnenswert ist der Bezug, den ein Mensch mit Borderline – Syndrom zu seinem
Körper hat. Der eigene Körper wird entweder gar nicht gefühlt oder als
unbeschreiblich fremd empfunden. Einige Betroffene versuchten, dieses Gefühl in
Worte zu fassen:
„Mein Körper ist hohl, aber er klingt nicht.“
„Überall hat er Risse und Sprünge, wie lange hält er?“
„Die Mechanik von Schlucken, Verdauen und Ausscheiden haben Installateure eingebaut
ohne Reparatur- und Bedienungsanleitung.“
„Es strömt nicht, es schießt durch mich hindurch.“
„Mein Körper – ist er weiblich oder männlich?“
„An Unterkühlung ist mein Körper schon oft gestorben, erkaltet bei der Nicht-Erfüllung von
Sehnsüchten.“
„Einmal in Gang gekommen, eckt mein Köper überall an, verletzt und verletzt sich.“
„Mein Körper – mein ärgster Feind. Er quält mich, aber ich kann ihn nicht fassen. Es zieht
mir die Haut ab, aber man gibt mir keine Folie. Ich verbrenne, aber es stinkt nicht. Was ist
das, was höllisch brennt und doch keine Substanz hat? Mein Herz ist mehrfach gebrochen.
Es passierte, als mein Körper noch wuchs, und es gab kein Wehren. Aber mein Herz schlägt.
Meine Beine sind kaputt vom Fallen. Vom immer wieder aufrecht Gehen schmerzen sie.
Früher habe ich gestrampelt, gestoßen und gebrüllt. Von meinem Körper war noch etwas zu
spüren. Meine Stimme hat noch zu mir gehört.
Sie ist jetzt geliehen, gekünstelt, verfremdet, das bin nicht ich.
Mein Gehirn ist ein Computer ohne Programmierer.
Mein Körper ist die Hölle, mein Leben eine Reise durch den Wahnsinn.“37
36
37
Vgl.
Gneist, a.a.0, S. 29
ebda, S. 58 ff.
Der Borderline – Mensch als Grenzgänger
3.2.1 Depressionen bei Borderline – Menschen
Menschen mit einer depressiven Verstimmung im Zuge einer Borderline – Störung
weisen im Gegensatz zu Menschen mit einer neurotischen oder psychotischen
Depression keine Schuldzuweisungen gegen sich selbst oder Selbstvorwürfe auf. Sie
spüren einfach eine große depressive Leere oder extreme Wut gegen sich
selbst, was bis zu massiven Selbstverletzungen gehen kann. Menschen mit einer
neurotischen oder psychotischen Depression lösen bei ihren Mitmenschen meist
Impulse des Mitleids und der Hilfsbereitschaft aus, diese Gefühle werden von den
Betroffenen teilweise auch exzessiv herausgefordert. Sie nehmen gerne Hilfe an,
weil sie selbst nicht in der Lage sind, sich zu helfen.
Depressive Borderline – Patienten fordern zwar Hilfe, können diese jedoch nicht
wirklich annehmen. Deshalb wird eine Unterstützung oft abgewertet, was folglich zu
einem Nachlassen der Hilfsbereitschaft führt. Durch diese Reaktion fühlen sich
Borderline – Patienten bestätigt, dass ihnen niemand helfen wolle und sie immer im
Stich gelassen werden.38
Typisch für Borderline – Menschen ist, dass sie auf Depressionen, Angst oder
Frustration mit einem Anstieg derselben Gefühle reagieren.
Durch ihren Perfektionismus und ihre Neigung, alles extrem schwarzweiß
wahrzunehmen, versuchen sie, ihre Gefühle auszulöschen, statt diese zu verstehen
und mit ihnen leben zu lernen. Durch die Erfahrung, dass derartige Gefühle nicht
einfach abgelegt werden können, werden die Betroffenen meistens noch frustrierter
oder depressiver.39
3.2.2. Sexualität
Durch Schwankungen der inneren Ängste gibt es bei Borderline – Patienten keine
Konstanz in ihrem sexuellen Verhalten. Die frühere Bezeichnung „polymorph –
perverse Sexualität“, die früher typisch für Borderline – Betroffene angeführt
wurde, wird heute kaum mehr verwendet.
38
39
Vgl.
Vgl.
Dulz/ Schneider, a.a.O, S. 19
Kreisman/ Straus, a.a.O, S. 155
Der Borderline – Mensch als Grenzgänger
Von Perversionen spricht man generell, wenn ein Mensch stets die gleiche
Abweichung in seinem sexuellen Verhalten zeigt, beispielsweise Pädophilismus oder
Masochismus. Diese Menschen sind jedoch niemals gleichzeitig pädophil oder
masochistisch.
Durch die fehlende Konstanz in der Sexualität der Borderline – Patienten
wenden die Betroffenen oft unterschiedliche, sich auch widersprechende, sexuelle
Praktiken an, je nach innerer oder äußerer Situation. Dieses Verhalten dient den
Betroffenen zur Entlastung der inneren Spannung, was jedoch nicht zu einer
adäquaten Befriedigung führt, beispielsweise zu längerfristigen Beziehungen. Daher
ziehen Fachleute statt „polymorph – perverse Sexualität“ den Begriff der
„anhedonistisch – multivarianten Sexualität“ vor. Unter Anhedonie versteht
man das Fehlen von Vergnügen und Genießen in lustvollen Situationen.40
Oft hat eine Rollenverwirrung der Borderline – Menschen eine nicht – geglückte
sexuelle Orientierung zur Folge. Wissenschaftler schätzen, dass das Vorkommen von
neurotischer Homosexualität, neurotischer Bisexualität und sexuellen Perversionen
unter „Borderlinern“ besonders hoch ist.41
3.2.3 Aggressives Verhalten
Wut gehört genauso zum Leben wie Hunger oder Durst. Unter bestimmten
Umständen kann Wut jedoch negativ oder sogar zerstörerisch wirken.
Bei den meisten Menschen kündigen sich Wutanfälle mehr oder weniger an, es lässt
sich auch erkennen, wie stark jemand in Wut geraten wird. Außerdem fühlen sich
die Beteiligten erleichtert, wenn der Zorn verraucht ist.42
Diese Eigenschaften, vor allem die Einschätzung der Wutanfälle, fehlen den
Borderline – Menschen. Diese Menschen fühlen sich schutzlos und durch andere
nicht bewahrt, sie fühlen sich manchmal sogar herausgefordert, wütend zu
werden. Ihre Selbstkontrolle ist extrem niedrig. Die Auslöser für ihre Wut stehen oft
40
41
42
Vgl.
Vgl.
Vgl.
Dulz/ Schneider, a.a.O, S. 20
Kreisman/ Straus, a.a.O, S. 113
Gneist, a.a.O, S. 86
Der Borderline – Mensch als Grenzgänger
in keinem vernünftigen Verhältnis zum Wutausbruch. Für Borderline – Patienten ist
es schwer, die Spannung nach einem Wutanfall abzubauen, unter anderem weil die
Wutanfälle oft nicht vorhersehbar und ungewöhnlich stark sind. Für die Mitmenschen
ist es besonders schwierig den Betroffenen zuzusehen, wie sie die Kontrolle über
ihr Ich verlieren. Am schlimmsten ist es jedoch für die Patienten selbst. Sie fühlen
sich nicht erleichtert, sondern meist ängstlich und voller Schuldgefühle. Auch ihre
Wut scheint mehr aktiviert als ausgelassen zu sein.
Fachleute sprechen von einem Kipp – Phänomen: In die augenblicklich freundliche
Stimmung kann plötzlich der Blitz einschlagen. Borderline – Menschen scheinen eine
Art Wackelkontakt zu sich selbst, zu ihren Nächsten und zur Wirklichkeit zu haben.43
43
Vgl.
ebda, S. 87 f.
SELBSTVERLETZENDES VERHALTEN UND SUIZID
BEI
BORDERLINE – PATIENTEN
4.SELBSTVERLETZENDES VERHALTEN UND SUIZID BEI
BORDERLINE – PATIENTEN
4.1 Was ist Selbstverletzung?
Es gibt verschiedene Methoden um sich selbst zu verletzen, dazu gehören:

Schneiden

Stechen

Abzupfen von Wundschorf

Regelmäßiges Öffnen von verheilenden Wunden

Verbrennen und Verätzen der Haut

Heftiges Schlagen bis hin zu Blutergüssen und Knochenbrüchen

Schlagen des Kopfes gegen harte Oberflächen

Abschnüren einzelner Körperteile, um die Durchblutung zu behindern

Einnahme geringer Mengen giftiger Substanzen oder Verschlucken von
Gegenständen
Für gewöhnlich verstecken die Betroffenen ihre Verletzungen aus Schuld- und
Schamgefühlen. Wenn die Wunden dennoch von anderen entdeckt werden, werden
sie häufig als Unfallfolgen hingestellt. 1989 wurde in Amerika eine Studie
veröffentlich, für die 240 Frauen befragt worden sind. Die Frauen sollten angeben,
an welchen Körperteilen sie sich am häufigsten verletzten.
Es ergaben sich folgende Prozentzahlen:

Arme (speziell Handgelenke)
74%

Beine
44%

Bauch
25%

Kopf
23%

Brust (Brustkorb und Brüste)
18%

Genitalbereich
8%
SELBSTVERLETZENDES VERHALTEN UND SUIZID
BEI
Selbstverletzendes
Verhalten
beginnt
BORDERLINE – PATIENTEN
meistens
im
frühen
Erwachsenenalter, im Alter zwischen sechzehn und fünfundzwanzig. In der Regel
sind Verletzungen, die sich jemand in diesem Alter zufügt, deutlicher als
Selbstverletzung zu erkennen. In diesem Alter werden sich die Betroffenen des
gesellschaftlichen Drucks auf sie stärker bewusst, während sich ältere Frauen den
gesellschaftlichen, persönlichen und sexuellen Anforderungen weniger ausgesetzt
fühlen.44
4.2 Selbstverletzungen in Verbindung mit der Borderline Persönlichkeitsstörung
Selbstverletzungen bei Borderline – Patienten sind weit verbreitet.
Außerdem neigen sie zu Selbstmorddrohungen und wiederholten Suizidversuchen.
Vollendete
Suizide
kommen
bei
8
–
10%
der
Betroffenen
vor.
Den
selbstschädigenden Handlungen gehen meistens massive innere Spannungen oder
Erlebnisse drohender Trennung bzw. Zurückweisung voraus.45
Es gibt unterschiedliche Erklärungen für selbstverletzendes Verhalten bei
Borderline – Patienten. Ein Grund dafür wäre das Bedürfnis der Betroffenen, sich
endlich selbst zu fühlen. Der Schmerz kann aber auch zur Ablenkung von
anderen Leidensformen dienen, beispielsweise um Einsamkeit oder Angst zu
überwinden. Manche Betroffenen wiederum verletzen sich selbst, um für ihre
Sünden (auch wenn sie sich diese nur einbilden) und das Gefühl des Schlechtseins
zu büßen. Selbstzerstörerisches Verhalten kann aber auch durch das Bedürfnis nach
Mitleid oder Rettung ausgelöst werden.46
„Ich tat es, um mich zu bestrafen. Dafür, dass ich da war. Dafür, dass ich ich war. Ein Teil
von mir war der Meinung, ich verdiene Strafe dafür, dass ich es nicht schaffte, jemand zu
sein, den meine Mutter hätte lieben können. Ich tat es auch, um mich zu spüren. Zu spüren,
dass ich da war, dass ich existierte, ähnlich vielleicht jemandem, der sich in den Arm kneift,
um sich zu versichern, wach zu sein. Manchmal habe ich es auch getan, damit irgendjemand
44
Vgl.
45
Vgl.
Vgl.
46
Smith, Cox, Saradjian: Selbstverletzung – „Damit ich den inneren Schmerz nicht
spüre“. Stuttgart – Zürich: Kreuz Verlag 2001, S. 16 ff.
www.borderline.at
Kreisman/Straus, a.a.0, S. 61 f.
SELBSTVERLETZENDES VERHALTEN UND SUIZID
BEI
BORDERLINE – PATIENTEN
es sehen möge. Meine Mutter würde es vielleicht sehen. Und dann würde sie mich vielleicht
ansehen, mit einem besorgten Blick, und würde fragen, was passiert sei. Und ich würde
wissen, dass ich ihr – oder irgendjemandem – vielleicht doch ein bisschen wichtig wäre, dass
sich einfach jemand um mich kümmert, dass ich jemand kümmere.“47
Sandra
Die Arme von selbstverletzenden Borderline –
Patienten weisen oft komplett vernarbte Arme auf
und sind schon fast als diagnostischer Hinweis auf
das Vorliegen einer Borderline – Störung zu werten.
Daher
werden
diese
vernarbten
Arme
auch
„Borderline – Arme“ genannt.48
Abbildung 1: Arm eines Borderline - Patienten
4.3 Gründe für selbstverletzendes Verhalten
Die Selbstverletzung wirkt wie ein Beruhigungsmittel gegen Zustände völliger
Depression, Leere und Hoffnungslosigkeit. Es gibt verschiedene Funktionen, die
selbstzerstörerisches Verhalten erfüllt:

Es wirkt antidepressiv: Gefühle
von
völliger
Hoffnungslosigkeit
und
Einsamkeit werden unterdrückt.

Es dient als narzisstisches Regulativ: Das Gefühl „Ich bin eine Ritzerin“ löst
bei den Betroffenen oft Gefühle von Stolz, Stärke und Mut aus. Die
Schmerzunempfindlichkeit ist meist das Einzige, worauf die Patienten wirklich
stolz sind.
47
48
Vgl.
Knuf (Hg.), a.a.0, S. 34
Dulz/ Schneider, a.a.0, S. 19
SELBSTVERLETZENDES VERHALTEN UND SUIZID
BEI

BORDERLINE – PATIENTEN
Es dient der Suizidvorbeugung: Selbstverletzung ist eine Art die Aggression
gegen sich selbst zu richten, jedoch in abgeschwächter Form. Meistens ist dies
ein Kompromiss zwischen Lebenswillen und destruktiven Impulsen.

Es ist ein Ausdruck der Depersonalisation: Das Blut ist für die Betroffenen
ein Zeichen des Lebens. Der Schmerz verleiht ihnen das Gefühl von
Lebendigkeit.49
„Der eine Grund für mein „Schnippeln“ ist, dass ich mich manchmal nicht spüren kann,
dass alles so unecht wirkt. Meine Ebenen verschieben sich und ich verliere den Bezug
zur Realität. (...) Dann ist der Schmerz ein klares Signal, jedenfalls wenn er stark
genug ist (...), wenn ich tief oder großflächig genug geschnitten habe. (...) Wenn ich
das Gefühl habe, innerlich zu verbluten, dann ist dieses Blut nach außen ein Sichtbar-,
Begreifbar- und Kontrollierbarmachen meines inneren Schmerzes. Der andere Grund
meines
„Schnippelns“
ist
mein
hilfloser
Versuch,
Kontakt
herzustellen
und
Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn ich zu Hause sitze und die Einsamkeit nicht mehr
aushalte, überlege ich, mit welcher Begründung ich die Ambulanz (...) im Krankenhaus
aufsuchen kann, um das Alleinsein zu unterbrechen, bevor es mich umbringt. (...) Den
Arm ziehe ich erst mal mehrfach weg und dieses „Schnippeln“ tut immer verdammt
weh. Aber ich habe einen Grund, in die Ambulanz zu gehen.“50
Lisa
49
50
Vgl.
www.borderline.at
Knuf, a.a.0, S. 184
THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI
BORDERLINE – PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
5.THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI BORDERLINE –
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
Es gibt eine ganze Reihe von Behandlungsmöglichkeiten bei Borderline:

Die psychoanalytisch orientierte Psychotherapie

Die sogenannte „unterstützende“ Psychotherapie

Psychodrama

Spezielle Formen der Psychotherapie wie Gruppen-, Familien- und
expressive Psychotherapie (Tanz, Kunst, Musik)

Die medikamentöse Behandlung

Die Therapie im Krankenhaus51
5.1. Die psychoanalytisch orientierte Therapie
5.1.1. Die psychoanalytische Therapie
Vor allem der feste Rahmen einer analytischen Therapie bietet Borderline –
Patienten viel Halt. In dieser Therapiemethode wird versucht, Vergangenheit und
Gegenwart
eines
Menschen zu
verknüpfen.
Durch die
aufmerksame
Anwesenheit des Therapeuten werden bei den Patienten Gefühle, Gedanken,
Erinnerungen und Phantasien ausgelöst. Diese Gedankengänge und Vorstellungen
haben mit nahen Personen der frühen Lebensgeschichte ebenso wie mit aktuellen
Beziehungspartnern und mit dem Therapeuten zu tun. In dieser Therapieform ist es
wichtig, sich auf die Kindheit und Entwicklungsprobleme zu konzentrieren.5
2
51
52
Vgl.
Vgl.
Kreisman/Straus, a.a.0, S. 179
Gneist, a.a.0, S.189
THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI
BORDERLINE – PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
5.1.2. Die erforschende Psychotherapie
Diese Therapie ist eine Abwandlung der klassischen Analyse und wurde von
Otto Kernberg und James Masterson geprägt. Die Form der Einzeltherapie ist sehr
zeitintensiv, meistens werden drei bis vier Sitzungen pro Woche abgehalten. Ziel
dieser Therapie ist es, die Persönlichkeitsstruktur der Patienten zu
verändern. Der Therapeut versucht dem Patienten keine direkte Anleitung dazu zu
geben, sondern den Betroffenen zu ermuntern, sich mit seiner Persönlichkeit selbst
auseinanderzusetzen.
Die
Hauptziele
in
den
Anfangsstadien
der
Behandlung
sind,
selbstzerstörerische Verhaltensweisen zu verringern, die Verpflichtung des Patienten,
sich zu ändern, zu festigen und eine vertrauensvolle, verlässliche Beziehung
zwischen Patient und Therapeut aufzubauen.
53
In späteren Stadien wird versucht, Prozesse, die zu einem Akzeptieren der Identität
führen, zu betonen. Weiters sollen die Patienten beständige und vertrauensvolle
Beziehungen entstehen lassen und außerdem den Zustand des Alleinseins und der
Trennungen tolerieren lernen. Therapeuten schätzen die Behandlungsdauer auf
mindestens vier Jahre, wobei sie sich auch über sechs bis zehn Jahre erstrecken
kann.54
5.2. Die unterstützende Therapie
Diese Form der Therapie bei Borderline – Störungen wird am häufigsten angewendet
und findet ungefähr einmal pro Woche statt. Bei der unterstützenden Therapie
wird versucht, sich mehr auf aktuelle, praktische Fragen zu konzentrieren. Damit
versucht der Therapeut selbstmörderische und andere selbstzerstörerische
Verhaltensweisen zu hemmen, statt sie bis in jede Einzelheit zu untersuchen.
Diese Art der Therapie macht den Patienten weniger vom Therapeuten abhängig, sie
dauert für gewöhnlich vier bis fünf Jahre.
53
54
Vgl.
Vgl.
Kreisman/Straus, a.a.0, S. 193
ebda, S. 194 ff.
THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI
BORDERLINE – PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
Einige Ärzte sind der Meinung, dass die unterstützende Therapie kaum zu
dauerhaften Veränderungen bei Borderline – Patienten führt. Andere hingegen
konnten mit dieser Therapieform gute Erfolge erzielen. Die Therapie wird erst dann
langsam beendet, wenn dauerhafte Beziehungen entstehen und wenn befriedigende
Aktivitäten von außen im Leben des Patienten wichtiger werden.
5.3. Psychodrama
Als Begründer des Psychodramas gilt der Wiener Arzt und Künstler J.L. Moreno
(1889-1974). Seiner Meinung nach kann Psychodrama „ die Wahrheit der Seele
durch Handeln ergründen“. Der Mensch wird als aktiv Handelnder innerhalb
seines Umfelds, der Natur und des Kosmos gesehen. Psychodrama wird vorwiegend
in der Gruppe durchgeführt.
Ziel ist, aus dem reichen, oft unbewussten Innenleben eines Gruppenteilnehmers
durch das Ausspielen von Rollen und Szenen etwas im Gruppenraum sichtbar
und greifbar zu machen.
Psychodrama ist eine mögliche Hilfe dabei, die Bedürfnisse und Gefühle von
Borderline – Patienten besser zu verstehen und auch zu verändern.55
Drei wesentliche Psychodrama - Elemente sind:
5.3.1 Doppeln
Der Patient soll im Monolog aussprechen, was in ihm vorgeht. Wenn ein
Gruppenteilnehmer zu verwirrt oder niedergeschlagen ist, um ein Wort oder nur
Bruchstücke
herauszubringen,
versucht
sich
der
Therapeut
oder
ein
Gruppenmitglied einzufühlen und mit einfachen Worten auszudrücken, was in
dem Betroffenen gerade vorgehen könnte. Das wird solange versucht, bis der
Betroffenen durch die äußere Unterstützung wieder Vertrauen zu seinen
Gefühlsäußerungen bekommt und selber formulieren kann, was er fühlt.
55
Vgl.
Gneist, a.a.0, S. 181
THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI
BORDERLINE – PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
5.3.2 Spiegeln
Der Patient schaut sich eine von ihm selbst aufgebaute Szene von außen an.
Ein Gruppenmitglied kann seine Haltung nachahmen und seine Handlungen
wiederholen, so dass der Betroffene zu sich selbst Stellung nehmen kann. Die
Wirkung ist oft erstaunlich und kann erschreckend oder befreiend sein.
5.3.3 Rollentausch
Der Patient sieht sich mit den Augen einer anderen Person. Das kann
beispielsweise ein Kollege sein, der gar nicht wirklich da ist. In der Phantasie nimmt
der Betroffene dessen Platz ein und reagiert so, wie dieser reagieren
könnte. Kommt ein Paar in die Therapie und streitet, so können beide ihre Plätze
tauschen und in der Rolle ihres Gegenübers nachempfinden und handeln, wie sie es
zuvor jeder vom anderen gesehen und/oder gehört haben oder wie sie es sich
wünschen.56
5.4 Spezielle Formen der Psychotherapie
5.4.1 Gruppentherapie
Erst nach gewissen Erfolgen in der Einzeltherapie wird den Borderline – Menschen
eine Teilnahme an einer Gruppentherapie, die speziell für „Borderliner“ konzipiert ist,
angeboten. Diese findet ungefähr zweimal die Woche für jeweils 60 Minuten statt
und sollte nicht mehr als sechs Teilnehmer umfassen. Bei mehr als sechs
Patienten sind die Therapeuten schwerer in der Lage, jeden einzelnen Borderliner im
Auge zu behalten, was jedoch für die Borderline – Patienten ein wichtiger Vorgang
ist, um Unsicherheiten und die daraus resultierende Angst zu reduzieren.
Der Therapeut soll deshalb die Gruppenteilnehmer aufmerksam beobachten,
da diese Betroffenheit nicht immer verbal äußern, sondern ihre Gefühle oft durch
andere Reaktionen zeigen, beispielsweise durch Ballen der Fäuste oder nervöses
Fußwippen.57
56
57
Vgl.
ebda, S. 182 ff.
Dulz/ Schneider, a.a.0, S. 78
THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI
BORDERLINE – PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
Jede Gruppensitzung wird dadurch eingeleitet, dass jeder Patient kurz sein Befinden
schildert. Daraus ergibt sich meistens das sogenannte „Oberthema“. Von den
Therapeuten wird gefordert, bei Abschweifungen die Gruppenteilnehmer auf das
„Oberthema“ hinzuweisen oder auch Gespräche zu entschärfen ( wenn es zu
Beleidigungen kommt).58
Für den Borderline – Patienten ist es in der Gruppe leichter, seinen Kampf
zwischen emotionaler Nähe und Entfernung zu kontrollieren. Der Betroffene
kann hier, anders als bei der Einzeltherapie, die Aufmerksamkeit der Gruppe
entweder auf sich lenken oder vermeiden.
Rivalität kommt häufig in Beziehungen von Borderlinern zu ihren Mitmenschen
vor. Solche „Wettbewerbskämpfe“ werden in der Gruppe lebhaft demonstriert und
können so identifiziert und angesprochen werden, was in der Einzeltherapie nie
möglich gewesen wäre. Da die Gruppentherapie jedoch sehr große Anforderungen
an den Borderline – Patienten stellt, wird von den meisten Therapeuten eine
Kombination aus Gruppen- und Einzeltherapie empfohlen.59
5.4.2 Familientherapie
Da eine Borderline – Störung meistens durch Probleme in der Kindheit, vor
allem mit den Eltern, entsteht, ist die Familientherapie eine wichtige Methode zur
Behandlung von Borderline. Die Familien von Borderline – Patienten verweigern oft
aus verschiedenen Gründen eine Behandlung. Sie fühlen sich beispielsweise an den
Problemen des Betroffenen mitschuldig und wollen dafür nicht zur Rechenschaft
gezogen werden.
Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen werden der Patient, dessen Eltern
und manchmal auch die Geschwister in die Familientherapie einbezogen. Bei
erwachsenen Borderline – Patienten werden die Partner, wenn der Betroffene
verheiratet ist oder eine feste Beziehung hat, und eventuell die Kinder des Paares
einbezogen.
58
59
Vgl.
Vgl.
ebda, S. 79
Kreisman/ Straus, a.a.0, S. 197
THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI
BORDERLINE – PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Familienstrukturen feststellen:
Entweder sind die Familienmitglieder sehr fest miteinander verbunden oder sehr
distanziert. Eine Aussöhnung zwischen den Familienmitgliedern ist sehr wichtig für
den Therapieverlauf.
Ziel der Familientherapie ist es, strenggehütete Familiengeheimnisse zu offenbaren,
um dadurch eine bessere Kommunikation der Familienmitglieder zu
erreichen. 60
5.4.3. Expressive Psychotherapie
Zur
expressiven
Psychotherapie
gehören
Beschäftigungstherapie,
Musiktherapie, Tanztherapie und Bewegungstherapien.
In der Beschäftigungstherapie geht es um den kreativen Umgang mit
Materialien, zum Beispiel Ton oder Seide.
Beispielsweise werden in der Gruppe Bilder gemalt, die die Gefühle der Patienten
widerspiegeln
sollen.
Diese
Bilder
werden
anschließend
von
den
Gruppenteilnehmern gedeutet, was den Teilnehmern oft eine andere Sichtweise für
ihre Gefühle ermöglicht.61
In der Musiktherapie haben die Patienten die Möglichkeit, ihre Gefühle, die sie
verbal nicht äußern können, über diverse Musikinstrumente auszudrücken. Dies
kann zu einer Reduktion der inneren Spannung führen, was besonders für
Borderline – Menschen von großer Bedeutung ist. Außerdem dient die Musiktherapie
zur Förderung der Kommunikationsbereitschaft.
Die Tanztherapie ermöglicht
ähnliche Vorgänge und verknüpft Körper und Psyche.
Die Bewegungstherapie ist insofern für Borderline – Patienten wichtig, da
körperliche Aktivitäten ebenfalls die inneren Spannungen und Unruhezustände
abbauen können.
5.5 Die medikamentöse Behandlung
60
61
Vgl.
Vgl.
ebda, S. 200 ff.
Dulz/ Schneider, a.a.0, S. 89
THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI
BORDERLINE – PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
Da die Wirksamkeit von Medikamenten bei der Behandlung von Borderline
noch nicht ausreichend erforscht ist, werden in der Regel Medikamente gegen
Depressionen und Schizophrenie verabreicht. Obwohl sich durch Antidepressiva
und andere Psychopharmaka einige Symptome lindern lassen, ändern sich die
Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensmuster kaum. Bei einer medikamentösen
Behandlung ist außerdem zu beachten, dass Borderline – Patienten schnell eine
Drogenabhängigkeit entwickeln können.
Ein wesentliches Problem bei der medikamentösen Therapie von Borderline –
Patienten stellen die unterschiedlichen Meinungen der Betroffenen dar.
Einige Patienten halten die Psychotherapie für den einzigen Weg zur Besserung und
lehnen eine medikamentöse Behandlung entschieden ab. Sie empfinden diese Form
der Therapie als eine Art Geisteskontrolle.
Die andere Gruppe von Betroffenen akzeptiert die Einnahme von Medikamenten als
einzige
wissenschaftliche
Methode
bei
der
Heilung
ihres
„chemischen
Ungleichgewichts“. Die Betroffenen lehnen die Psychotherapie gänzlich ab, eher
beginnen sie mit eine medikamentöse Behandlung.62
5.6 Die Therapie im Krankenhaus
Viele psychiatrische Einrichtungen sind unzureichend für die Behandlung von
Menschen mit einer Borderline – Persönlichkeitsstörung eingerichtet.
Oft fehlen
eine ausreichende Qualifikation und Erfahrung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Außerdem sind kontinuierliche Supervisionen und stationsinterne Absprachen für
das Personal kaum möglich. Diese Zustände führen häufig zu einer Überforderung
der Mitarbeiter.63
Borderline – Patienten machen einen beachtlichen Anteil aller Patienten in der
Psychiatrie aus. Es ist typisch für den Borderline – Menschen, dass er sich anfangs
gegen eine Einweisung wehrt. Die meisten Betroffenen leben sich dann aber derart
gut ein, dass sie oft sogar Angst vor der Entlassung haben.
62
63
Vgl.
Vgl.
Kreisman/ Straus, a.a.0, S. 206
Knuf, a.a.0, S. 199
THERAPIEMÖGLICHKEITEN BEI
BORDERLINE – PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
Die therapeutischen Maßnahmen im Krankenhaus hängen in erster Linie von der
Dauer des Aufenthalts ab. Ein kurzer Krankenhausaufenthalt erstreckt sich
meistens über mehrere Wochen, dauert aber kaum mehr als drei Monate. Ein
langfristiger Krankenhausaufenthalt dauert mindestens sechs Monate, einige
Patienten bleiben aber zwei bis drei Jahre in stationärer Behandlung.64
Eine stationäre Aufnahme ist meistens die Folge einer Krise, beispielsweise
Selbstmordversuche, psychotische Einbrüche, Magersucht oder Bulimie. Zu den
wichtigsten Zielen eines kurzen Krankenhausaufenthalts gehört die Bewältigung der
vorausgegangenen Krise, die Beendigung selbstzerstörerischen Verhaltens
und
die
Linderung
schwerer
Depressionen
und
Ängste.
Außerdem
konzentriert sich die Behandlung auf leicht anwendbare Mittel gegen die Unruhe der
Borderline – Patienten.
Indikatoren für einen längeren Krankenhausaufenthalt sind eine chronisch niedrige
Motivation und unzureichende oder schädliche soziale Unterstützung. Neben
aktuellen Problemen wird auch das Verhaltensmuster des Patienten untersucht.
Eine langfristige stationäre Behandlung führt bei den meisten Borderline – Patienten
zu einer größeren Kontrolle über die eigenen Impulse, einem besseren
Identitätsgefühl und einer höheren Frustrationstoleranz.65
„Genesung ist etwas, das sich irgendwie einstellt, man kann sie nicht erwerben. Nach
meinem Verständnis bekommt man sie geschenkt, wenn es Zeit ist, vielleicht hat es etwas
mit Reife zu tun. Genesung könnte zum Beispiel sein: etwas weniger Wahnsinn pro Tag,
täglich eine Lüge weniger oder wenigstens einmal pro Tag ehrlich sein, einmal am Tag still
sein und sich spüren, sich einmal täglich wirklich etwas Gutes tun, vielleicht eine Pause
einlegen.“66
64
65
66
Vgl.
Vgl.
Vgl.
Kreisman/ Straus, a.a.0, S. 208
ebda, S. 209 f.
Knuf, a.a.0, S. 194
INTERVIEW MIT EINER ÄRZTIN
6 INTERVIEW MIT EINER ÄRZTIN
Am 23.11.2003 konnte ich mit Frau Dr. Martina Cejtek – Schönauer ein Interview
führen. Aufgrund ihres gedrängten Terminkalenders wurde das Gespräch am
Telefon geführt.
Frau Dr. Cejtek-Schönauer ist Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie,
außerdem arbeitet sie als Psychotherapeutin. Sie ist auf Patienten mit Borderline –
Persönlichkeitsstörung spezialisiert und ist Oberärztin an der Psychiatrie des
Universitätsklinikums Graz.
Wie viele Borderline - Patienten gibt es momentan an Ihrer Klinik und
wie alt sind die Patienten durchschnittlich?
Momentan sind drei Patienten auf
unserer Station. Die Anzahl der Borderline –
Patienten pendelt meistens zwischen zwei und vier Patienten. Durchschnittlich sind
die Patienten zwischen 20 und 30 Jahre alt. Die Diagnose Borderline darf überhaupt
erst ab 18 Jahren gestellt werden, weil bis dahin die Persönlichkeit noch nicht
vollständig entwickelt ist.
Gibt es Zusammenhänge zwischen der Borderline – Störung und
Selbstverletzungen bzw. Essstörungen?
Zu den neun Symptomen des Borderline – Syndroms gehören selbstverletzendes
Verhalten,
Selbstmordversuche
und
selbstzerstörerisches
Verhalten.
Selbstverletzungen kommen bei unseren Patienten sehr häufig vor, aber auch
diverse Essstörungen. Häufig werden Essstörungen zuerst diagnostiziert, bevor die
Borderline – Störung erkannt wird.
Wie gehen die Fachleute Ihrer Klinik nach der Diagnose Borderline vor?
Am wichtigsten ist es, die Patienten zu lehren, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen
können. Meistens sind die Betroffenen sehr offen und lassen sich gerne helfen. Es
INTERVIEW MIT EINER ÄRZTIN
wird beispielsweise versucht, ihnen sogenannte „Skills“, also Tipps zu geben, wie sie
Selbstverletzungen vermeiden können. Den Patienten wird vermittelt, wie sie ihre
Spannungen abbauen können, ohne sich weh zu tun. Einen Eiswürfel unter die
Zunge zu legen oder Bewegung zu machen, kann beispielsweise dieselbe Wirkung
erzielen wie das Schneiden oder Ritzen. Ziel der ganzen Therapie ist, den Patienten
Eigenverantwortung beizubringen.
Welche Gemeinsamkeiten in Bezug auf Kindheitserfahrungen zeigen die
Schicksale der Betroffenen?
Grundsätzlich kann man sagen, dass nicht nur ein Faktor für die Entwicklung einer
Borderline – Persönlichkeitsstörung verantwortlich ist. Meistens führen
mehrere
Traumata zu dieser Störung, darunter auch körperliche und seelische Gewalt. Der
wichtigste Auslöser sind jedoch die Bezugspersonen, die nicht auf die Bedürfnisse
der Kinder eingehen. Die Kinder erleben nie das Gefühl, dass es so richtig ist, wie
sie fühlen.
Wie lange dauert eine Therapie bzw. stationäre Behandlung bei einer
Borderline – Störung generell?
Momentan beträgt die Aufenthaltsdauer für Borderline – Patienten in unserer Klinik
3 Wochen, 6 Wochen wären besser, aber durch Einsparungen mussten wir die
Dauer reduzieren. Besonders wichtig ist es für die Patienten, dass sie nach ihrer
Entlassung eine ambulante Therapie in Anspruch nehmen.
Haben Sie das Gefühl, dass es immer mehr Borderline – Patienten gibt?
Ich würde schon sagen, dass eine Borderline – Störung immer häufiger
diagnostiziert wird. Das liegt wahrscheinlich an den heutigen Gesellschaftsformen
und der Strukturlosigkeit, die es auf unserer Welt gibt. Viele Kinder wachsen ohne
Vorbilder auf und können ihre Persönlichkeit nicht voll entwickeln.
INTERVIEW MIT EINER ÄRZTIN
Gibt es Heilungschancen für Menschen mit einer Borderline – Störung?
Ein Forschungsprojekt in den USA hat bewiesen, dass eine Langzeittherapie wirklich
hilft. Dies stellt zwar einen intensiven Zeitaufwand dar, aber besonders für die
jungen Patienten lohnt sich diese Investition. Nach fünf Jahren Therapie zeigt sich
meistens eine deutliche Besserung der Störung. Außerdem ist erwiesen, dass ab
dem Alter von 40 Jahren die Symptome drastisch zurückgehen.
Die Patienten
haben dann seltener Stimmungsschwankungen und sind ruhiger und gelassener.
INTERVIEW MIT
EINER
BETROFFENEN
7. INTERVIEW MIT EINER BETROFFENEN
Am
20.12.2003
hatte
ich
die
Möglichkeit
in
der
Psychiatrie
des
Universitätsklinikums Graz mit Bianca, einer Borderline - Patientin, über
ihr Leben mit der Persönlichkeitsstörung zu reden.
Danke, dass du dir Zeit genommen hast mit mir dieses Interview zu
führen. Zu allererst: Wie alt bist du und weswegen bist du hier?
Ich bin 25 Jahre alt und momentan wegen Angstzuständen aufgrund einer
Borderline-Störung in stationärer Behandlung.
Wann und wie hast du bemerkt, dass du eine Persönlichkeitsstörung
hast?
Zum ersten Mal ist mir mit 19 Jahren, nach meiner Schwangerschaft aufgefallen,
dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich hatte starke Stimmungsschwankungen und
war sehr unzufrieden mit meinem Leben. Allerdings dachte ich zuerst, dass ich eben
einfach so bin.
Wie äußert sich bei dir die Borderline-Störung?
Mein Hauptproblem ist, dass ich mich selbst überhaupt nicht wahrnehmen kann. Ich
weiß nicht, was mir gut tut und was nicht. Besondere Probleme habe ich mit dem
Alleinsein. Ich brauche ständig jemanden, der mich unterhält. Außerdem bin ich
immer auf der Suche nach Veränderungen in meinem Leben, um die Leere in mir
und meine Unzufriedenheit zu kompensieren. Beispielsweise rede ich mir ständig
ein, dass ich unbedingt in eine neue Wohnung ziehen muss, weil dann bestimmt
alles besser wird. Da fliege ich sehr oft „auf die Schnauze“. Auch bei Beziehungen
geht es mir gleich. Ich bin ständig auf der Suche nach etwas, ich weiß aber nicht
wonach.
Wodurch wurde deiner Meinung nach die Borderline-Störung ausgelöst?
INTERVIEW MIT
EINER
BETROFFENEN
Ich denke, das kommt von meiner Kindheit, also durch meine Mutter. Sie hat mich
dauernd geschlagen und eingesperrt, ansonsten hat sie sich nie um mich
gekümmert. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Ich bekam einfach nie, was
ich brauchte.
Wie hat dein Umfeld auf die Diagnose reagiert?
Eigentlich sehr positiv! Mein damaliger Ehemann riet mir früher schon zu einer
Therapie, denn er kannte meine Vergangenheit. Es hat ihn also nicht überrascht.
Mein jetziger Freund sieht das Ganze auch nicht so eng, er nimmt es eher mit
Humor. Das tut mir echt gut, weil er mich oft zum Lachen bringt. Leider teste ich
trotzdem regelmäßig aus, ob er vertrauenswürdig ist oder nicht! Mein Bruder
beschäftigt sich mit meiner Krankheit eher weniger, er ist ja auch erst 16 Jahre alt.
An meiner Mutter zieht das alles irgendwie vorüber, sie ist mit sich selbst so
beschäftigt.
Ist dein momentanes Leben durch diese Störung eingeschränkt?
Ja klar! Vor allem durch mein „Austesten“ und meine Angstzustände. Ich trinke jetzt
keinen Schluck Alkohol, weil ich dadurch total die Kontrolle verliere. Früher habe ich
exzessiv Drogen konsumiert, von Marihuana bis Kokain war alles dabei. Dann hatte
ich einmal eine Strychnin-Vergiftung, danach fingen meine Angstzustände an.
Seitdem nehme ich keine Drogen mehr. Mit meinen Zornausbrüchen habe ich auch
große Probleme. Wenn ich einmal wütend bin, bin ich so angespannt, dass ich mich
kaum beruhigen kann. Meistens werfe ich dann alles durch die Gegend, was ich in
die Finger bekomme. Einmal habe ich sogar einen Sessel durch die Wohnung
geworfen. Oder ich renne zum Küchenschrank und schmeiße die Teller auf den
Boden. Einen lasse ich aber immer übrig, sonst hätte ich nichts mehr, wovon ich
essen kann!
Welche Hilfen hast du bis jetzt in Anspruch genommen?
Bis jetzt war ich dreimal stationär in der Psychiatrie und hatte psychologische
Weiterbehandlung. Doch mein damaliger Therapeut war überfordert und konnte mir
INTERVIEW MIT
EINER
BETROFFENEN
kaum helfen. Jetzt bin ich bei einem sehr netten Therapeuten, mit dem ich gut
auskomme.
Spürst du eine Besserung durch die Therapien?
Bis jetzt hatte ich keine wirklichen Therapien. Es wurde lediglich versucht, mich
etwas ruhiger zu machen und meine Angstzustände zu mindern. Durch die
medikamentöse Therapie merke ich keine Besserung, deshalb nehme ich auch die
meisten Tabletten nicht. Die Ärzte haben mir schon mindestens 15 verschiedene
Tabletten gegeben, keine hat wirklich geholfen. Die Lebensqualität hat sich nicht
wirklich verbessert.
Welche Ziele hast du für dein weiteres Leben?
Natürlich will ich, dass die Krankheit aufhört und die Leere in mir verschwindet.
Primär will ich, dass die Angstzustände nachlassen und ich besser mit mir umgehen
kann. Durch die fehlende Selbsteinschätzung dessen, wer ich bin, was ich brauche
und was ich will, habe ich auch diese Panikattacken. Ich will mich einfach richtig
kennenlernen!
NACHWORT
NACHWORT
„Viele Merkmale des Borderline – Syndroms wie Impulsivität, stürmische
Beziehungen,
Identitätsverwirrung
und
Stimmungsinstabilität
ähneln
den
Hauptproblemen des Jugendlichen während der Pubertät. Tatsächlich ist die
Etablierung einer Kernidentität für den Teenager wie für Borderliner das wichtigste
Ziel.“67
Dieser Vergleich von Jerold Kreisman und Hal Straus ist sehr aufschlussreich. Was
Jugendliche mit Borderlinern verbindet, ist der fehlende Einklang mit dem „wise
mind“, also der fehlende Einklang mit sich selbst.
Abschließend
kann
ich
sagen,
dass
mich
die
Recherchen
für
meine
Fachbereichsarbeit sehr bereichert, aber auch erschüttert haben.
Ich möchte mich herzlichst bei Frau Professor Gertrude Maierhofer – Schneider, die
mir mit soviel Bestärkung und Wärme entgegengekommen ist, bedanken. Ein
besonderer Dank gilt auch Herrn Professor Gerald Schlemmer, der seine ohnehin
streng limitierte Freizeit für die Formatierung meiner Arbeit geopfert hat. Außerdem
danke ich meinen beiden Lektorinnen, die mit wachsamem Auge meine
Sprachkompetenz überprüften.
Zum Abschluss möchte ich den Mädchen der Psychiatrie Graz, Station 1, danken.
Sie haben mich drei Wochen lang an ihrem Leben mit der Borderline – Störung
teilhaben lassen und mir gezeigt, wie Borderliner denken und fühlen. Ihnen möchte
ich auch meinen Abschlusssatz widmen, der so manche Nacht erhellen kann:
„Stay cool if you’re a maniac.“
Carola Pojer, Februar 2004
LITERATURVERZEICHNIS
DULZ, BIRGER / SCHNEIDER, ANGELA: Borderline Störungen; Theorie und
Therapie. Stuttgart: Schattauer Verlagsgesellschaft 2001.
GNEIST, JOACHIM: Wenn Hass und Liebe sich umarmen – Das Borderline
Syndrom. München: Piper Verlag 2003.
67
Vgl.
Kreisman/ Straus, a.a.0, S. 34
NACHWORT
KNUF, ANDREAS (Hg.): Leben auf der Grenze – Erfahrungen mit Borderline.
Bonn: Psychiatrie – Verlag 2002.
KREISMAN, JEROLD/ STRAUS, HAL: Ich hasse dich – verlass’ mich nicht; Die
schwarzweiße Welt der Borderline Persönlichkeit. München: Kösel Verlag 2003.
LABRÈCHE, MARIE SISSI : Borderline. München : Verlag Antje Kunstmann 2002.
MERTZ, J. ERIK: Borderline – Weder tot noch lebendig; Einzelheiten aus der
subtilen Hölle des neuen Menschen. Stuttgart: Ferdinand Enke Verlag 2000.
SMITH, GERRILYN u.a.: Selbstverletzung – Damit ich den inneren Schmerz nicht
spüre. Stuttgart – Zürich: Kreuz Verlag 2001.
http://www.borderline.at
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Arm eines Borderline - Patienten.................................................... 27
PROTOKOLL
PROTOKOLL
TERMINE
BESPRECHUNGSINHALT
12.09.2003
Titelfestlegung, Gedanken zum Inhalt
16.09.2003
Ausfüllen des Antragsformulars, Grobdisposition
23.09.2003
Einführung in die Zitiertechnik
03.10.2003
Literaturbesprechung
06.10.2003
Klärung diverser Fragen
22.10.2003
Besprechung eines ersten Exzerpts
05.11.2003
Besprechung eines weiteren Exzerpts
19.11.2003
Vorbereitung des Interviews mit
Dr. Martina Cejtek-Schönauer
23.11.2003
Telefonisches Interview mit Frau Dr. Cejtek-Schönauer
22.12.2003
Interview mit einer Betroffenen in der Psychiatrie Graz
07.01.2004
Abgabe eines Exzerpts
13.01.2004
Nachbereitung des Interviews
27.01.2004
Besprechung des letzten Kapitels
05.02.2004
Abgabe eines letzten Exzerpts
09.02.2004
Analyse des Nachworts
10.02.2004
Letzte Besprechung vor der Abgabe
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