Sterenn Le Berre - Vision und Verantwortung e. V.

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Rede zum 10. Todestag Dora Schauls , Berlin Treptow
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich fühle mich sehr geehrt und gleichzeitig gerührt hier und heute diese kleine Rede
halten zu dürfen.
In meinen Bemerkungen werde ich versuchen Doras Etappen zwischen 1933 und
1945 kurz darzustellen.
Aber bevor ich damit anfange möchte ich erzählen, warum und wie ich mich für
dieses Thema, diese Person während meines Studiums (2005) interessiert habe.
Im Laufe einiger allgemeinen Studien über Frankreich während des 2. Weltkrieges
habe ich die Existenz der Internierungslager entdeckt. Dieses Thema fand ich sofort
spannend, denn mein Land sieht sich oft gerne nur als Opfer .
Während meiner Recherchen über diese Internierungslager, deren Eröffnung von der
französischen Regierung ab 1938 beschlossen wurde, wurde ich mit dem
Internierungslager für Frauen in Rieucros konfrontiert.
Ein bestimmtes Buch erweckte meine Neugierde, nämlich das Buch von Mechtild
Gilzmer (über dieses Lager ).
Am Ende dieses Buches standen Mini Biographien über einige Frauen des
Internierungslagers. Da fand ich eine kurze Beschreibung von Doras Leben. Ihr
« Weg » als deutsche Antifaschistin, die in Frankreich Widerstand leistete hat mich
beeindruckt und ich habe sofort mehr wissen wollen...
Soweit für diese Einführung. Ich komme jetzt zu Dora und ihr Leben in Frankreich
zwischen 1934 und 1945.
Zuerst werde ich über Dora in Paris berichten, dann über Dora in den
Internierungslagern in Rieucros und Brens und schließlich über Doras Teilnahme an
der Résistance in Lyon.
Dora in Paris
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Ende 1933 verlässt Dora Davidsohn Essen. Dort bleiben ihre Eltern und ihre
Schwester. 1942 werden sie nach Majdanek deportiert und dort ermordet.
Sie fährt in die Niederlande ( Ihr Pass ist noch gültig und die Niederlande sind für sie
das näheste Land) . Bis Ende 1934 bleibt sie dort mit politischen Migranten. Sie lernt
auch Alfred Benjamin kennen.
Ende 1934 trifft sie Alfred Benjamin , Benn genannt, ihren damaligen
Lebensgefährten, in Paris wieder. Mit ihm hat sie die ersten politischen Kontakte, vor
allem mit der Kommunistischen Partei.
In Paris nähert sie sich wirklich der Kommunistischen Partei. Bald engagiert sie sich
in antifaschistischen Aktionen.
Diese unterschiedlichen Aktionen sind von der Partei aber auch von deutschen
Intellektuellen im Exil organisiert.
Unter anderen nimmt Dora an dem Thälmann-Komitee teil. Dieses Komitee
unterstützte Thälmann , einen kommunistischen Abgeordneten, der 1933 von den
Nazis verhaftet wurde.
André Malraux und André Gide waren zum Beispiel auch in diesem Komitee.
Um leben zu können hat Dora Davidsohn viele kleine Jobs: Sekretärin ( bei
deutschen Schriftstellern im Exil), Putzfrau oder auch als Kindermädchen.
Dank dem « Secours Rouge International » bekommen sie und Benn 5 Francs am
Tag , was ihnen ermöglicht, ihre Miete zu zahlen.
So werden Dora und Benn von 1934 bis 1939 leben.
Wie Dora es auch später erzählen wird , sind diese Jahre, trotz der schwierigen
Lebensbedingungen und der politischen Spannungen, auch ihre Jugendjahre . Sie ist
damals 20 und sie erinnert sich Museen besichtigt zu haben, lange Spaziergänge in
Paris gemacht zu haben. Diese Pariser Jahre sind nicht nur Synonym von Leiden
und Kampf.
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Ende 1938 verschlimmert sich wirklich die Situation. Mehrere Verordnungen, die die
Ausländer und ihre mögliche Internierung betreffen, werden von der Regierung
erlassen.
Während ihres Pariser Aufenthaltes sind Dora und Benn im Untergrund geblieben.
Sie waren nirgendwo angemeldet. Sie hat weder eine Aufenthaltserlaubnis noch den
Status einer politischen Flüchtlinge.
Bei der Kriegserklärung im September 1939 befindet sich Dora in der Klemme.
Auf Anweisung der Kommunistischen Partei geht sie zur Pariser Präfektur, um nicht
mit potentiellen Nazis verwechselt zu werden. Außerdem herrscht wegen der
Präsenz von Spionen auf französischem Boden eine Stimmung des Verdachtes
gegenüber den Deutschen, die in Frankreich leben.
Dora wird verhaftet und im Gefängnis « La Petite Roquette » in Paris mit anderen
deutschen Frauen inhaftiert.Sie werden von der französischen Verwaltung als «
Staatsangehörigen einer feindlichen Macht » und als « unerwünschte
Ausländerinnen » bezeichnet.
Dank Doras Zeichnungen im Gefängnis und ihrer späteren Berichte haben wir
Informationen über den Alltag im Gefängnis erfahren.
Dieser erste Aufenthalt im Gefängnis zeigt der Anfang einer bestimmten Absurdität.
Während Frankreich und England Hitler den Krieg erklärten, werden deutsche aber
auch spanische, polnische Antifaschisten in Frankreich verhaftet, inhaftiert und
schließlich in Internierungslager geschickt.
Dora in Rieucros und Brens 1939-1942 .
Dora Davidsohn wird in der Nacht des 16. zum 17. Oktober vom Pariser Gefängnis
in das Internierungslager in Rieucros in der Lozère überführt. Sie und ihre
Kameradinnen kommen nachts in Mende an. Vom Bahnhof müssen sie mehrere
Kilometer bis zum Internierungslager laufen.
Bis Februar 1942 wird Dora in diesem Internierungslager bleiben.
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Dann wird der Lager geschlossen und alle Frauen werden in das Lager nach Brens
überführt.
Während der ersten Monate sind die meisten Frauen im Lager entweder deutsche
Antifaschistinnen oder spanische Republikanerinnen.
Der Alltag ist schwer und dies zeigt sich vor allem mit Kälte und Hunger. Drei harte
Winter werden die Frauen im Lager erleben. Es gibt nicht genug Kleidung. Während
eines Besuchs notiert ein Inspektor in seinem Bericht, dass die Frauen Holz mit
Holzschuhen ohne Socken oder Strümpfe holen. Er betont, dass es dringend ist,
mehr Mitteln für das Lager zu geben.
Hunger ist ein regelmäßiges Problem aber es verschlimmert sich noch mit der
Einführung der Rationierung 1941. Doras Zeichnungen und Berichte geben uns
einen präzisen Überblick des Alltags im Lager. Diese Berichte tragen nicht nur ein
politisches Gedächtnis mit sich sondern auch ein sensibles Gedächtnis, ein
Gedächtnis des Leidens.
Die kommunistischen Frauen organisieren sich im Internierungslager, um zu
versuchen, ihre Situation und ihren Alltag zu verbessern.
In jeder Baracke, in der sie leben schaffen sie sogenannte « Familien ». Diese
Familien sind Gruppen von 6 bis 10 Frauen , in denen sie gegenseitig ihre Pakete
teilen. Außerdem wird für jede Baracke eine Chefin ernannt. Sie kümmert sich um
alle Alltagsprobleme. Diese Organisation scheint für Dora eine wichtige Rolle gespielt
zu haben, denn sie sah darin einen Teil ihrer Ideale, die verwirklicht wurden.
Ein anderes Element, was für Dora und die anderen Frauen sehr wichtig war, ist die
Organisation von Aktivitäten , um gegen den Müßiggang und die Unruhe/die Sorgen
zu kämpfen. Die Entschlossenheit Doras ist hier deutlich zu spüren.
Die drei Hauptaktivitäten Handwerk, kulturelle Aktionen( Theater zum Beispiel) und
Unterrichten sind für die Frauen ein Mittel, ihre Denkfreiheit wiederzufinden.
Dora wird französisch für Anfänger unterrichten und sie wird englisch und spanisch
lernen.
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Die Aktionen dieser Frauen im Internierungslager sind also als eine Oppositionsform
innerhalb des Lagers zu betrachten.
Aber dieser Widerstand ist Dora nach 2 ein halb Jahren im Internierungslager nicht
mehr genug. Einige Monate nach der Ankunft im zweiten Lager in Brens entschließt
sie sich, aus dem Lager zu fliehen. Am 14. Juli 1942 profitiert sie von der
Unaufmerksamkeit der Wächter, die den Nationalfeiertag feiern, um über die
Stacheldrahtzäune zu klettern. Damit rettet sie ihr Leben. Einen Monat später
werden nämlich die deutschen und polnischen Jüdinnen des Lagers deportiert.
Doras Name war der zweite auf dieser makaberen Liste.
Handeln, kämpfen, Widerstand leisten: Nie verlassen diese Worte Dora. Und sie
gewinnen noch mehr an Bedeutung in Doras Engagement in Lyon.
Dora in Lyon: der Widerstand 1942 – 1944.
Einen Monat nach ihrer Flucht aus Brens kommt Dora in Lyon an. Es ist nicht
einfach, mit dem Widerstandsnetz in Kontekz zu treten. Daher unternimmt Dora ihre
ersten Aktionen auf eigene Faust.
Mit einem anderen deutschen Widerstandskämpfer, Emil Miltenberger klebt sie am
Anfang selbst hergestellte Papiere mit Slogans für die französische Bevölkerung aber
auch für deutsche Soldaten auf Autos, Mauern usw...
Bald engagiert sie sich in der TA Sektion ( TA steht für Travail Allemand ou Anti
allemand, anti deutsche Arbeit) ,
Zuerst verteilt Dora Flugblätter in der Nähe der deutschen Kasernen. Kurz darauf
bekommt sie falsche Papiere. Sie heißt jetzt Renée Gilbert. Ihre Kenntnisse der
deutschen Sprache lassen sich durch angebliche elsässische Familienangehörige
erklären.
Zuerst beginnt ihre « Infiltrationsarbeit » mit « einfachen » Diskussionen mit
deutschen Soldaten in öffentlichen Orte, Parks, Kinos, usw.
Später bekommt sie eine Anstellung im Soldatenheim. Beim Abräumen der Tische
hat sie die Möglichkeit wichtige Informationen mitzubekommen und weiterzuleiten.
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Aber sie muß diese Stelle schnell verlassen, denn die „Elsässerinnen“ werden
aufgefordert, ihre Ausweise vorzuzeigen und ihren Geburtsort anzuzeigen sowie den
Geburtsort ihres Vaters. Mit falschen Papiere kann Dora dieses Risiko nicht eingehen
und verlässt das Heim.
Sie erhält ziemlich schnell neue Papiere. Sie heißt jetzt Renée Fabre und bekommt
eine Stelle bei der Post der Wehrmacht, die Französinnen brauchen. An dieser Stelle
wird sie höchst wichtige Informationen weiterleiten können. Auf der einen Seite
notiert sie den Wechsel der Postleitzahlen an den Fächern und kann auf dieser
Weise über die Bewegungen der deutschen Wehrmacht im Laufe der Wochen in
Südfrankreich berichten. Auf der anderen Seite wird sie die Mitglieder der Gestapo in
Lyon auflisten können. Damals war die Gestapo in Lyon von Klaus Barbie geführt.
Kurze Zeit nach den Anfängen von Dora bei der Post wird nämlich die Gestapo in
den Gebäuden vor der Post einziehen. Nachdem Dora diese wichtig Informationen
mitgeteilt haben wird, verlässt diese zu gefährliche gewordene Stelle.
In den letzten Monaten vor der „Befreiung“ des Landes bleibt Dora in ihrem Zimmer
und schreibt die Radiosendungen des Komitees Freies Deutschlands ab.
Zwischen 1942 und 1944 hat Dora nie aufgehört, für die Freiheit zu kämpfen. Sie ist
große Risiken eingegangen, indem sie sich als eine Französin in den
Verwaltungsbüros der Deutschen ausgegeben hat.
Fazit
Ich habe versucht, Dora Schauls Leben und Aktionen während des Zweiten
Weltkrieges darzustellen.
Nach dem Krieg wird sie sich jahrelang bemühen, die Teilnahme der Deutschen am
antifaschistischen Kampf in Frankreich zu würdigen.
Sich an Dora Schaul zu erinnern hat für mich eine doppelte Funktion:
Auf der einen Seite begleichen wir eine Schuld gegenüber den Personen, die gegen
Faschismus und Totalitarismus gekämpft haben.
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Auf der anderen Seite ermöglicht es uns, besser zu verstehen, dass Demokratie und
Freiheit nicht selbstverständlich sind.
Um dieses im Bewusstsein zu behalten habe ich einen noch sehr aktuellen Satz von
Kurt Tucholsky gewählt :
„Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter als sich im offenen
Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: NEIN !“
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