ReformAgenda - Der Standard

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Di., 14. Juni 2011
ReformAgenda
Vom Charme des Mehrheitswahlrechts Seite 14
t
Wahlrech
13
Wettstreit um gerechtes Wählen Seite 15
derStandard.at/Reformagenda
Von der Kunst, ein Parlament zu wählen
Zur Demokratie bekennt sich jeder – Umfragen
zufolge wird das Wahlsystem in Österreich für
gerechter gehalten als viele andere
Einrichtungen. Und doch bedarf es ständiger
Nachbesserung, vielleicht sogar substanzieller.
Conrad Seidl
Ü
bermorgen,
Donnerstag,
darf sich das Parlament
wieder einmal selber feiern: Mit einer kleinen Wahlrechtsreform soll das System noch ein
wenig gerechter werden – neuerdings soll das Wahlrecht sogar
dazu dienen, Rechtsbrecher auf
den Weg der Tugend zurückzuführen. Die Teilnahme an so wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen wie Wahlen wäre ein Beitrag zur Resozialisierung, wurde
argumentiert.
Notwendig wurde die Änderung aber nicht aus Überlegungen
zur Resozialisierung, sondern als
Reaktion auf das Erkenntnis des
Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte im Fall des früheren Fernsehmoderators Helmut
Frodl. Dieser ist zu lebenslanger
Haft verurteilt – und hatte erfolgreich geklagt, weil Häftlingen mit
mehr als einjähriger Strafe bisher
grundsätzlich das Wahlrecht aberkannt wurde.
Künftig soll das nur bei sehr langen Strafen und nach staatsgefährdenden Delikten passieren. Verurteilte Terroristen dürfen auch weiterhin nicht mitwählen.
Die Novelle hat kuriose Folgen:
Bei einem parlamentarischen
Hearing in der Vorwoche wies der
Rechtsanwalt Eike Lindinger darauf hin, dass zwar weiterhin
Strafgefangene im Einzelfall vom
noch Wahlkarten zu berücksichtigen sind, die bis spätestens 17 Uhr
des Wahltags bei der zuständigen
Bezirkswahlbehörde eingelangt
sind. Dahinter steckt die Überlegung, dass Wähler, die den wahrscheinlichen Wahlausgang kennen, per Brief noch rasch eine
Stimme abgeben könnten, die sie
ohne dieses Wissen anders vergeWahlrecht ausgeschlossen sein ben hätten. So könnten potenzielwerden, Wahlfälscher (die eigent- le Wähler von Kleinstparteien bis
lich getroffen werden sollten) aber Wahlschluss warten, ob die jeweinicht: So kann die Wahlkartenfäl- lige Partei eine realistische Chanschung durch einen burgenländi- ce hat – wenn es nicht danach ausschen Bürgermeister, die den letz- sieht, könnten sie beruhigt jener
ten Anstoß zur aktuellen Novelle Partei die Stimme geben, die ihre
geliefert hat, aufgrund einer be- zweite Wahl wäre.
Dieselbe Sorge steht hinter dem
dingten Strafe nicht zum Ausschluss vom aktiven Wahlrecht Verbot, vor Schluss des letzten
Wahllokals erste Ergebnisse zu
führen.
Was, wenn nun tatsächlich alle publizieren – ein Verbot, das das
wahlberechtigten Häftlinge von BZÖ sogar auf Meinungsumfragen
ihrer neuen (Wahl-)Freiheit Ge- ausgeweitet wissen möchte: Wähbrauch machen? Um zu vermei- ler würden durch diese Kenntnisden, dass in kleinen Gemeinden se unzulässig beeinflusst. Diese
mit Justizanstalten eine überpro- Überlegungen sind ein typisch euportional große Anzahl der Wäh- ropäisches Phänomen (auch in
ler Häftlinge sind, werden die Frankreich gibt es ähnliche BeHauptwohnsitz-Bestimmungen in denken) – in den USA dagegen
sind sie völlig unZusammenhang
bekannt:
Wenn
mit Wahlen adapdort Wahltag ist,
tiert. Für Häftlinge,
die keinen WohnNach der nächsten sind längst die ersten Wahlergebnissitz außerhalb der
Novelle werden
se aus den östliHaftanstalt haben,
chen Bundesstaagilt gemäß Gesetzkurioserweise
ten
publiziert,
entwurf der letzte
Wahlfälscher
wenn die KaliforWohnsitz vor Festwählen dürfen.
nier zur Abstimnahme als Hauptmung schreiten.
wohnsitz.
Mörder auch.
Die FPÖ hat mit
Die Hauptsorge
den Änderungen
der Politik gilt allerwenig Freude, sie
dings einem ganz
hätte die 1989 von
anderen
Phänomen: Die vorliegende Gesetzesini- der ÖVP durchgesetzte Briefwahl
tiative der Koalitionsparteien und am liebsten ganz gestrichen – die
des eine Verfassungsmehrheit si- Freiheitlichen halten am Prinzip
chernden BZÖ legt fest, dass bei der unmittelbaren und geheimen
der Stimmauszählung künftig nur Wahl fest.
„
“
Die kleine Wahlrechtsreform ßen, er sitzt bei uns direkt im Parbringt immerhin Änderungen bei lament.“
der Ausgabe von Wahlkarten – daReformbedarf sieht auch Natiomit nicht wieder ein Bürgermeis- nalratspräsidentin Barbara Pramter für seine Mitbürger Karten be- mer (SPÖ): Oft hat sie darauf
antragen und selbst ausfüllen hingewiesen, dass das österreikann –, und sie erlaubt künftig chische Wahlsystem zu einer Lähauch Mitgliedern des ehemaligen mung führen kann, weil einerseits
Herrscherhauses, für das Amt des ständig Neuwahlen drohen und
Bundespräsidenten zu kandidie- andererseits immer irgendwo eine
ren. Damit wird eine kurz nach wichtige Wahl ansteht, bei der
dem Ersten Weltkrieg möglicher- niemand die Wähler verprellen
weise berechtigte Sorge vor einer will. Prammers Vorschlag: So wie
„Habsburger-Resin Norwegen sollte
tauration auf demodas Parlament nicht
kratischem Wege“
vorzeitig aufgelöst
endgültig ad acta ,Superwahlsonntage‘ werden können –
gelegt. Selbst den
und Wahlen sollten
könnten alle
Sozialdemokraten,
an „Superwahltadie sie einst ergen“
zusammenWahlen
kämpft hatten, ergezogen
werden.
zusammenfassen.
scheint die BestimDann wäre zwiZwischendurch
mung heute antischendurch Ruhe.
quiert und ungeUnd schließlich
wäre dann Ruhe.
recht.
gibt es die Initiative
Für weiter reiMehrheitswahlchende Reformen
recht und Demokraist in der aktuellen
tiereform, die der
Novelle allerdings kein Platz – langjährige Parlamentarier Heinauch wenn grundlegende Wahl- rich Neisser (ÖVP) gegründet hat.
rechtsreformen quer durch alle In seinem Verein ist auch der proParteien gefordert werden. Mar- minente Sozialdemokrat Karl Blekus Heingärtner und Herbert Pai- cha, Chef des SPÖ-Pensionistenerl, Geschäftsführer und Präsi- verbandes Proponent. Ob Neisser
dent des Management-Klubs, ha- das Mehrheitswahlrecht erleben
ben etwa in ihrem Buch Reformen wird? Der 75-Jährige ist skeptisch,
ohne Tabu (Molden-Verlag) gleich 25 Jahre werde eine große Wahlals zweite von 95 Thesen für rechtreform wohl brauchen, „und
Österreich die Notwendigkeit ei- dass ich über 100 werde, ist trotz
nes neuen Wahlrechts postuliert: verbesserter Geriatrie nicht wahrDie Auswahlverfahren der Politik, scheinlich.“
die Struktur der Parteien und die
relativ schwache Ausstattung des
Spezial ReformAgenda
Parlaments mit beamteten ExperAls Kontrapunkt zur innenpolitischen
ten (die sitzen in den Ministerien)
Blockade griff der Standard in den
führten dazu, dass die gesetzgeletzten Wochen große Reformfragen
bende Körperschaft ihrer eigentliauf. Alle Beiträge sind abrufbar unter:
chen Aufgabe zu wenig nachkomderStandard.at/Reformagenda
men könne. Außerdem: „Der Lobbyismus ist keine Gefahr von au-
„
“
ReformAgenda
14 der Standard
Dienstag, 14. Juni 2011
Wie aus Stimmen Nationalratsmandate werden
WISSEN
NR-Wahl – Verteilung der Mandate
Nationalratswahl 2008 – 72 Direktmandate in den Wahlkreisen
Die 183 Mandate im Nationalrat werden
in drei Etappen vergeben
183 Mandate vergeben – davon 72 auf Wahlkreisebene + 77 auf Landesebene + 34 auf Bundesebene
1.
Linz & Umg.
Wien
Wien
Innen-Ost
Wien Innen-West
Wien Nord-West
Wahlkreis-Ebene
Zur Ermittlung der Direktmandate werden
Stimmen in jedem der 43 Regionalwahlkreis
durch die Wahlzahl* des jeweiligen
Bundeslandes dividiert.
Wien Nord
Wien
Süd-West
* Wahlzahl legt Anzahl der für ein Mandat erforderlichen
Stimmen fest, errechnet sich aus gültigen Stimmen und
zu vergebenden Mandaten.
Das Wahlergebnis 2008 in Prozenten
29,3
26,0
10,7
SPÖ
ÖVP Grüne
FPÖ
BZÖ
6,0
Grüne
Stmk West
Ktn Ost
Ktn West
NÖ Süd
NÖ Südost
Bgld Nord
Stmk
Nord
Stmk
Mitte
Stmk
Ost
Bgld Süd
Stmk Südost
Graz
Stmk
Süd
BZÖ
Villach Klagenfurt
Wien
NÖ
34 Sitze auf
Bundesebene
Sbg
Stmk
Bgld
Ktn
Sitzverteilung im Nationalrat
Verhältniswahlrecht (2008)
Vorschlag für Minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht
51 ÖVP
21 BZÖ
57 SPÖ
And.
FPÖ
OÖ
Tirol
20 Grüne
17,5
10,4
ÖVP
77 Sitze auf
Bundesländerebene
Vbg
Osttirol
InnsbruckLand
Mostviertel
Stmk Nordwest
LungauPinzgauPongau
Vbg
Süd
Bundes-Ebene
Stimmen des gesamten Bundesgebietes werden
durch neue Wahlzahl* dividiert; Ergeben sich
zusätzliche Mandate, werden diese hinzugezählt;
Abzug bisher ermittelter Mandate ist nicht möglich.
Traunviertel
Unterland
Oberland
Wien
Umg.
NÖ
Mitte
Salzburg
Stadt
Innsbruck
SPÖ
3.
Weinviertel
Waldviertel
Innviertel
Wien Süd
Vbg
Nord
Landes-Ebene
Stimmen des gesamten Bundeslandes werden
erneut durch die Wahlzahl* dividiert;
Reststimmen aus einzelnen Wahlkreisen können
zusätzliche Mandate bringen.
Mühlviertel
FlachgauTennengau
Wien Innen-Süd
2.
Hausruckviertel
Zuteilung von
Mandaten
183
34 FPÖ
Die stimmenstärkste Partei
erhält automatisch 92 Sitze,
die anderen 91 Sitze werden
anteilsmäßig auf die übrigen
Parteien verteilt
14 Grüne
92 SPÖ
37 ÖVP
15 BZÖ
183
25 FPÖ
Quelle: APA / BMI / Klaus Poier / „Demokratie im Umbruch“, Böhlau Verlag
Mehrheitswahlrecht hat viele Varianten
Ein Mehrheitswahlrecht wird häufig als Möglichkeit
gesehen, klare Regierungsaufträge zu vergeben und das
Land effizient zu regieren. Ob das System auch Akzeptanz
finden kann, hängt sehr von seiner Ausgestaltung ab.
Conrad Seidl
Wien – Man stelle sich vor, in
Österreich würde nach dem britischen Wahlsystem gewählt. Dann
säße kein einziger Freiheitlicher
im österreichischen Nationalrat.
Die anderen Oppositionsparteien
wären zwar vertreten, sie hätten
aber viel weniger zu sagen: Das
BZÖ hätte 13 (statt 21) Sitze, die
Grünen kämen auf vier (statt 20).
Dass diese beiden Parteien in einem Mehrheitswahlsystem vertreten wären, die viel stärkere FPÖ
aber nicht, das hängt mit dem
Grundsatz zusammen, dass Wahlkreise im britischen Mehrheitswahlsystem dem lokal stärksten
Kandidaten das Mandat zuerkennen. Die lokale Stärke des (damals
von Jörg Haider geführten) BZÖ
in Kärnten hätte den Orangen einige Wahlkreise gebracht, in Wien
und Innsbruck hätten die Grünen
als im jeweiligen Wahlkreis
stärkste Partei gewonnen und die
größte Zahl an Mandaten wäre an
die Großparteien gegangen: 89
(statt 57) Mandate für die SPÖ, 77
(statt 51) Mandate für die ÖVP –
weil diese Parteien in den EinerWahlkreisen am stärksten sind.
Und Pech für die Blauen: Diese
würden als drittstärkste (bundesweit 18 Prozent) und in vielen
Wahlkreisen zweitstärkste Partei
gänzlich leer ausgehen, weil sie
2008 in keinem von (fiktiven 183)
Wahlkreisen die stärkste Partei
waren. Der Politikwissenschafter
Klaus Poier hat dieses Wahlrechtsmodell für den Sammelband Demokratie im Umbruch
(Böhlau-Verlag) durchgerechnet.
Nicht weil er ein Gegner des
Mehrheitswahlrechts wäre – im
Gegenteil: Poier ist seit Jahren einer der prononciertesten Verfechter des Mehrheitswahlrechts. Nur
dürfe man es sich damit nicht zu
einfach machen.
Auch in der „Initiative Mehrheitswahlrecht“ ist man bemüht,
den Begriff Mehrheitswahlrecht
differenziert zu betrachten. Das
britische relative Mehrheitswahlrecht in Einerwahlkreisen fördert
die Herausbildung eines Zweiparteiensystems – dem seit den
1980er-Jahren entstandenen System aus vier und mehr Parlamentsparteien würde es nicht gerecht, versichert Proponent Heinrich Neisser.
Der Grazer Professor Poier, der
seit einem Dutzend Jahren die Diskussion mit Mehrheitswahlrechtsmodellen bereichert, hat
unter anderem das Konzept eines
minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrechts konzipiert, das
der stimmenstärksten Partei ermöglichen würde, jedenfalls die
parlamentarische Mehrheit (92
der 183 Nationalratssitze) zu übernehmen.
Es gäbe also einen „Mehrheitsbonus“. Wie die Grafik oben zeigt,
würde nach dem Wahlergebnis
von 2008 die SPÖ 92 Sitze bekommen, 35 mehr als derzeit. Wenn
kein Abgeordneter abspringt,
würden die 29,3 Prozent reichen,
ganze fünf Jahre mit absoluter
Mehrheit zu regieren.
Umgekehrt könnte eine Partei,
die bei der nächsten Wahl die SPÖ
auch nur knapp überholt, ihrerseits fünf Jahre mit absoluter
Mehrheit regieren.
Eine Variante dazu könnte kleine Koalitionen erzwingen: Die
stärkste Partei bekäme demnach
91 Sitze, die derzeit zweitstärkste
Partei ÖVP wäre mit 37 Prozent
ein möglicherweise zu starker Koalitionspartner, weil man ja in
Wahrheit nur einen kleinen Mehrheitsbringer braucht: Kleinparteien wären – trotz geringerer Mandatszahlen – ständig als potenzielle Mehrheitsbringer im Spiel. Und
alle zusammen könnten eine demokratisch legitimierte Koalition
gegen die Mehrheitspartei bilden.
Das könnte bedeutsam sein, wenn
etwa der FPÖ die Mehrheit zufiele, aber partout niemand mit ihr
koalieren wollte.
Poier gibt zu bedenken, dass ein
System des „Mehrheitswahlrechts
mit Koalitionszwang“ eine geringere Effizienz für die Regierung
hätte als jedes reine Mehrheitswahlrecht – dass es aber andererseits für die kleinen Parteien viel
attraktiver wäre als das derzeitige.
Hauptverlierer wäre die jeweils
zweitstärkste Partei.
Die Verteilung von Mandaten
entsprechend den abgegebenen Stimmen kann prinzipiell nach zwei Systemen erfolgen: In Österreich etabliert
ist das Verhältniswahlrecht, bei
dem versucht wird, die gegebene Anzahl von Mandaten
annähend im selben Verhältnis wie die Stimmen zu verteilen. Dies kann in einem
oder mehreren Wahlkreisen
passieren – bei der EU-Wahl
wird etwa das gesamte Bundesgebiet als ein Wahlkreis
betrachtet. Bei Nationalratswahlen gibt es 43 regionale
Wahlkreise, zudem einen
Landeswahlkreis je Bundesland und einen Bundeswahlkreis. Wie die Mandatsverteilung in drei Stufen berechnet
wird, zeigt die Grafik links.
Im Unterschied dazu wird
beim Mehrheitswahlrecht versucht, dem Mehrheitswillen
zum Durchbruch zu verhelfen. Dies kann in lauter Einerwahlkreisen erfolgen wie in
Großbritannien, wo eine relative Mehrheit genügt, das
Wahlkreismandat zu bekommen. Das französische Modell verlangt eine absolute
Mehrheit im Wahlkreis, die
gegebenenfalls
in
einer
Stichwahl erzielt werden
muss. Und schließlich gibt es
Mischformen aus Verhältnisund Mehrheitswahlrecht wie
das „minderheitenfreundliche
Mehrheitswahlrecht“.
Der Vorteil von Mehrheitswahlrechtsvarianten ist die
leichte Mehrheits- und Regierungsbildung.
Dem Einwand, dass schon
kleine Überhänge von Stimmen zu sehr großen Verschiebungen im Vertretungskörper führen können, begegnen
Anhänger des Mehrheitswahlrechts mit dem Hinweis,
dass die zunächst stabil erscheinenden
nach
dem
Mehrheitswahlrecht gewählten Regierungen auch sehr
leicht wieder abgewählt werden können: Schon ein kleiner „Swing“ in der Wählerschaft kann eine groß erscheinende Mehrheit zertrümmern. In beiden Systemen gibt es Möglichkeiten
der Personalisierung – vor allem über Vorzugsstimmen, die
eine Umreihung von Listen
bewirken. (cs)
Profis im Nationalrat, Regionalliga im Bundesrat
Grüne Wirtschaft verfolgt ein Demokratiekonzept ohne Landesgesetzgebung
Wien – Es gab Zeiten, da war der
politische Amateur, gebunden an
eine permanent mitbestimmende
„Basis“ das Ideal der grünen Politik. Sie hat das nirgendwo durchgehalten – inzwischen bestimmen
Profis das Bild der grünen Fraktionen. Und nach dem Demokratiemodell der Grünen Wirtschaft
würde dieser Trend noch verstärkt werden.
„Ich würde die Regionalwahlkreislisten und die Landeswahlkreislisten weglassen – die Parteien treten zur Nationalratswahl
nur mit Bundeslisten an, damit
wir dort endlich Bundespolitiker
haben, die sich für Gesamtösterreich verantwortlich fühlen“, sagt
Volker Plass, Chef der Grünen
Wirtschaft. Gemeinsam mit Silvia
Buschenreiter hat er ein Konzept
unter dem Titel „Republik Österreich 3.0“ erstellt, das eine radikale Umstellung vorschlägt.
Kernpunkt: „Der Nationalrat
mit seinen 183 Abgeordneten
bleibt in der derzeitigen Form als
einziger nationaler Gesetzgeber
bestehen.“ Das heißt gleichzeitig,
dass die Landtage abgeschafft
würden und die gesamte Vertretung der regionalen Interessen in
den Bundesrat verlagert würde.
Vorbild: Europawahl
Nur für die regionale „Zweite
Parlamentskammer“ sollte es regionale Wahlkreise geben – etwa
183 gleich große. Bei der Nationalratswahl dagegen sollten die Listen ähnlich wie bei der Europawahl gestaltet werden: Die Parteien schlagen ihre Leute vor, die
Parteireihung kann aber mit relativ wenigen Vorzugsstimmen umgedreht, ein weiter hinten gereihter Kandidat vorgereiht werden.
Dem Einwand, dass da unausgewogene Listen zustande kom-
men könnten, begegnen die grünen Reformer mit dem Hinweis,
dass dies auch bei den EU-Wahlen, wo es auch nur einen bundesweiten Wahlkreis gibt, nicht vorkäme, dort achteten schließlich
auch alle Parteien auf eine Ausgewogenheit ihrer Liste. Die Verfahren dafür sind allerdings oft parteiintern umstritten – in Erinnerung ist noch das Gezerre um die
Grünen-Liste, auf der schließlich
der erfahrene Parlamentarier Johannes Voggenhuber keinen Platz
fand. Oder auch die Vorzugsstimmen-Wahlkämpfe von Andreas
Mölzer und Othmar Karas, deren
Ergebnisse für die jeweiligen Parteien (in diesem Fall FPÖ und
ÖVP) schwere Probleme brachten.
Alle Politiker müssten wesentlich bessere Arbeitsbedingungen
bekommen, heißt es in dem grünen Thesenpapier weiter: „Damit
werde der Bundesgesetzgeber aus
der derzeitigen Geiselhaft der Landesparteien befreit. Und: Die jeweiligen MandatarInnen sind
dann in ihrem Handeln tatsächlich den Wählern und Wählerinnen, der Republik und ihrem eigenen Gewissen verpflichtet.“
Wichtig ist den Autoren, dass
der Bundesrat zu einer echten Regionalvertretung aufgewertet wird
und ebenfalls von Landesparteiniteressen freigespielt wird. In den
bis zu 183 Wahlkreisen sollte es
für potenzielle Bundesräte leicht
sein, zu kandidieren – der Wahlkreis-Vertreter würde entweder
nach Mehrheitsprinzip („Winner
takes all“) oder durch Stichwahl
ermittelt. Die Wahlen würden
als Midterm-Elections eineinhalb
Jahre nach Nationalratswahlen
durchgeführt. Und, ganz neu: Der
Bundesrat könnte mit Zweidrittelmehrheit Nationalratsbeschlüsse
aufheben. (cs)
ReformAgenda
Dienstag, 14. Juni 2011
*
der Standard 15
„Der Föderalismus ist eine Problemzone“
Der langjährige
ÖVP-Mandatar
Heinrich Neisser und der
grüne Wirtschaftsvertreter
Volker Plass suchen mehr
oder weniger radikale
Ansätze zu einer
Demokratiereform. Conrad
Seidl half bei dieser Suche.
Standard: Herr Präsident Neisser,
wie viele Wahlrechtsreformansätze haben Sie denn in Ihrem politischen Leben schon erlebt?
Neisser: Das waren ungefähr vier
bis fünf. Die Diskussion hat in den
70er-Jahren, Anfang der 70er-Jahre, begonnen. Kreisky hat für die
Minderheitsregierung die Unterstützung der FPÖ gebraucht und
hat als Preis eine Wahlrechtsreform bezahlt, die eine Verstärkung
des Proportionalwahlrechts war,
weil das nach der damaligen Situation der FPÖ nützlich war.
Standard: Das war die Wahlrechts-
reform 1971?
Neisser: Das war 1971. Dann gab es
in den 80er-Jahren Diskussionen,
die sich hauptsächlich um die
Frage einer Verbesserung der Personalisierung des Wahlrechts
durch Einführung eines Vorzugsstimmensystems gedreht haben.
Ich bin der Meinung dass die Krise der heutigen repräsentativen
Demokratie natürlich auch durch
das Wahlrecht etwas korrigiert
werden könnte, aber das ist nicht
das einzige Remedium.
Standard: Wir hatten unlängst eine
Umfrage im Standard, da sagen
die Leute: Das Wahlrecht ist eigentlich besonders gerecht. Ist diese Ansicht falsch?
Neisser: Na ja, das ist die Frage:
Was ist Gerechtigkeit? Ich möchte
zunächst der Position entgegentreten, die behauptet, das Verhältniswahlrecht sei gerecht, das
Mehrheitswahlrecht sei ungerecht. Das kann man empirisch
dadurch widerlegen, dass sich eigentlich der Großteil der Wahlsysteme der Welt am Mehrheitswahlrecht orientiert. Und man wird
diese Demokratien nicht als ungerechte Demokratien bezeichnen
können. Sie gehen nur von einem
anderen Gerechtigkeitsansatz aus.
Jedes Wahlsystem
hat
Vorund
Nachteile. Und die
Entscheidung für
ein Wahlsystem
hängt davon ab,
welche Vorteile
man
lukrieren
will.
Der ehemalige Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser engagiert sich in der Initiative Mehrheitswahlrecht für eine Änderung des
Fotos: Fischer (3)
Wahlsystems – der Grüne Volker Plass will gleich den gesamten Bundesstaat umbauen, um die Demokratie zu verbessern
rückführen: Was löst den absoluten Stillstand in diesem Land? Ich
glaube, dass wir uns in Österreich
eine überproportionale Wichtigkeit der Landesebene leisten. Wir
haben einen sehr, sehr massiven
Einfluss der Landesparteien auf
die jeweiligen Bundesparteien. Da
ist die ÖVP ein sehr gutes Beispiel.
Standard: Soweit ich die Grünen
kenne, gibt es das auch bei den
Grünen ...
Plass: ... ja, auch bei den Grünen,
und das verstärkt sich sogar im
Lauf der letzten Jahrzehnte. Das
kritisiere ich auch sehr stark. Die
wesentliche Frage ist: Wie brechen wir die Dominanz der Landesparteien und der Landesorganisationen im politischen Prozess? Real existierender Föderalismus besteht im
Wesentlichen aus
einem neoabsolutistischen Landeskaisertum mit Parteianhängsel. Dieses Spannungsfeld
anzugehen,
das
Standard:
Jetzt
wäre wesentlich.
würde ich von den
Und da ist es dann
Grünen da einen
letztendlich egal,
Föderalismus besteht ob man eher einem
massiven Widerspruch erwarten. im Wesentlichen aus VerhältniswahlMehrheitswahloder einem
neoabsolutistischem recht
recht könnte ja beMehrheitswahlLandeskaisertum mit recht zuneigt. Wir
deuten, dass eine
grüne Partei übersagen auch, es
Parteianhängsel.
haupt keine Bewäre
durchaus
Volker Plass
deutung mehr hat?
gut, PersönlichPlass: Also wenn
keitswahlrechte
man Mehrheitszu stärken, aber
wahlrecht in der
diese Landesebene
brutalsten Form umsetzt, führt zurückzudrängen.
das ziemlich sicher zu einem
Zwei-Parteien-System
ähnlich Standard: Sie kennen das mit der
wie in den USA. Da läuten natür- Dominanz der Landesparteien, Sie
lich die Alarmglocken, das ist sind ja nicht erst seit ein paar Taganz klar. Wobei ich doch etwas gen in der ÖVP.
weiter denke – zum Beispiel: Die Neisser: Ich kenne das. Der Födestimmenstärkste Partei bekommt ralismus ist eine Problemzone. Ich
50 Prozent minus ein Mandat. Das möchte nur zu der Anfangsbemerwürde vielleicht keine Arbeitsbe- kung von Herrn Plass noch etwas
schaffungsmaßnahme für grüne sagen: Ich bin auch gegen eine
Parlamentarier sein, allerdings brutale Form des Mehrheitswahlwürde das wahrscheinlich die rechts. Das englische Beispiel eiChance erhöhen, dass Grüne in nes relativen Mehrheitswahlder Regierung sind. Man muss das rechts ist für mich in Österreich
auf eine prinzipielle Ebene zu- nicht anwendbar. Ich glaube wirk-
„
“
lich, dass die Zeit von zwei Großparteien in Österreich endgültig
vorbei ist. Ich weiß, der Begriff
„minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht“ ist schwer zu verkaufen. In Österreich laufen die
Uhren immer etwas langsamer,
aber ich glaube, es wird kommen.
Das Problem einer Wahlrechtsreform ist: Man
rechnet sofort aus,
was könnte für uns
dabei herauskommen? Ich würde
mir
wünschen,
dass aus einer
Wahlrechtsreform
auch eine völlig
neue Gewichtung
in der Wählerlandschaft entsteht.
die derzeitige Verfassungsstruktur das Grundübel ist. Die indirekten Effekte sind das, was diesen
Stillstand erzeugt. Einerseits Milliardenverschwendung durch unnötige Prestigeprojekte à la Koralmtunnel. Zweitens haben wir
durchschnittlich und statistisch
jedes halbe Jahr eine angeblich alles entscheidende
Landtagswahl, die
die gesamte Bundesregierung und
Bundespolitik im
Stillstand verharren lässt. Wir
brauchen keine
Landesgesetzgebung in Österreich. Regionalisierung kann man
erreichen, indem
Das ist der Kern: Dass wir den Bundesrat
zu einer echten
man die Macht der
Kammer
Parteiapparate bei der zweiten
des
Parlaments
Kandidatenauswahl
aufwerten.
„
lich fühlen. Aber auf diesen Bundeslisten sollte es ein extremes
Persönlichkeitswahlrecht geben.
Und der Reichratssitzungssaal
bietet ja genügend Platz, da könnte man eine echte zweite Kammer
machen, mit Regionalabgeordneten, die auch ihren Arbeitsplatz in
der Region haben, um dort den politischen Prozess mit den Menschen zu gestalten, zu moderieren. Auch, um eine Ombudsmannfunktion in dieser Region
auszuüben.
Neisser: Das System ist ganz interessant. Aber es könnte dazu führen, dass im Nationalrat 80 Prozent Wiener Abgeordnete wären.
Plass: Ich nehme an, dass eine solche Partei die Wahl nicht gewinnen wird. Es wäre logisch, dass jeder Bundesparteivorstand auf regionale Ausgewogenheit achtet,
weil man die Vorarlberger und Tiroler Stimmen ebenso braucht ...
Standard: In den
letzten Jahrzehnten
hat man auf Personalisierung gesetzt,
Standard: Und Frauenstimmen ...
mit der Folge, dass
Plass: ... und Frauenstimmen. Das
wir im Parlament
beschränken muss.
Standard: Damit würde zu einer besseren RepräLeute sitzen haben,
Heinrich Neisser
man regionale Dis- sentanz der gesamten Gesellschaft
die sich mehr dem
kussionen in den auf den Listen führen. Wir haben
Wahlkreis als dem
Bundesrat verlegt? ja momentan in jeder Partei die Sigrundsätzlichen
Plass: Genau. Ich tuation, dass neun Landeslisten
Parteiprogramm
würde die erste Kammer nur auf mit arithmetischen Zufälligkeiten
verpflichtet fühlen.
Neisser: Mein persönliches Motiv das dritte Ermittlungsverfahren zusammengeschustert werden.
ist der Versuch, den Parlamenta- reduzieren. Ich würde die Regio- Ich kritisiere es massiv, dass bei
rismus, das Parlament zu verle- nalwahlkreislisten und die Lan- den Grünen kein einziger Mandabendigen. Und da hat der Herr deswahlkreislisten weglassen, die tar einen Teil seines Lebens in der
Plass völlig recht: Die Landtage Parteien treten nur mit Bundeslis- Privatwirtschaft verbracht hat.
sind von einer wirklich minima- ten an, damit wir dort endlich Das wäre, wenn man reine Bunlen Bedeutung in einem politi- Bundespolitiker haben, die sich deslisten hätte, wesentlich leichschen Prozess. Wir haben da in für Gesamtösterreich verantwort- ter zu erreichen.
den Parlamenten Menschen sitzen, die sich in erster Linie als
Vollstrecker der politischen ParZU DEN PERSONEN
teien ansehen, die auch von den
Heinrich Neisser (75) begann
Volker Plass (46) ist selbststänpolitischen Parteien entsendet
seine berufliche Laufbahn im
diger Grafikdesigner. Im Jahr
werden. Das ist der Kern: Dass
Verfassungsgerichtshof und
2000 wurde er Obmann der
man die Macht der Parteiapparate
kam 1969 bis 1970 als StaatsGrünen Wirtschaft, einer „bebei der Kandidatenauswahl besekretär erstmals in die Regiefreundeten Organisation“ der
schränken muss. Die ÖVP hat es
rung. Ab 1975 war er ÖVP-Ab- Grünen im Parlament. Plass ist
in den Achtzigerjahren mit Vorgeordneter, 1987 bis 1989 MiGrünen-Vertreter im Wirtwahlen versucht – aber das dann
nister für Föderalismus und
schaftsparlament und Mitglied
nicht weiter betrieben. Ich erkenVerwaltungsreform, anschliedes erweiterten Präsidiums
ne die Realität an, dass in einer Deßend wieder Abgeordneter.
der Wirtschaftskammer.
mokratie der Kampf der Giganten,
Den ÖVP-Klub führte er 1990
also der Spitzenkandidaten, das
Die Langfassung des Gebis 1994, anschließend war er
Entscheidende ist. Aber von dem
sprächs findet man unter:
bis 1999 Zweiter Präsident des
allein kann eine Demokratie nicht
derStandard.at/Wahlrecht
Nationalrats.
leben.
Plass: Ich glaube trotzdem, dass
“
Q
ReformAgenda
16 der Standard
Dienstag, 14. Juni 2011
Koalitionspartner Vassilakou und Häupl: Vor der Landtagswahl hatten die Grünen ein faireres Wahlrecht für Wien gefordert, nun stockt das Projekt.
Foto: Matthias Cremer
Das Ringen um Fairness in Regionen und Gemeinden
Ein Fall von Wahlfälschung im Burgenland war Anlass für
die jüngste (kleine) Wahlrechtsreform auf Bundesebene.
Andere Wahlreform-Projekte in den Bundesländern sind
allerdings in den letzten Jahren steckengeblieben.
WIEN
BURGENLAND
ten Ende Jänner einer Regelung
zu, wonach künftig nur jene Stimmen gezählt werden, die bis spätestens um 6.30 Uhr am Wahltag
bei der Wahlbehörde eintreffen.
Gleichzeitig wurden die vorgezogenen Wahltage gestrichen.
Ein Spezifikum der blau-gelben
Landesverfassung ist das Wahlrecht für Zweitwohnsitzer – sowohl auf Landtags- als auch auf
Gemeindeebene. Daran will derzeit keine Partei rütteln. (hei)
m Wahlkampf will man sich ja
in Bürgermeister aus dem mittIschen
nicht unbedingt mit dem politi- Eleren Burgenland hat bei der
Gegner fotografieren lassen. Landtagswahl im Mai 2010 deutAlso traten die Landesparteichefs
Christine Marek (VP), Maria Vassilakou (Grüne) und Heinz-Christian Strache (FP) vor der Wiener
Gemeinderatswahl hintereinander vor die Kameras, um einen brisanten Notariatsakt zu unterschreiben: Sie verpflichteten sich
dazu, das Wiener Wahlrecht zu
ändern, sollte es eine Mehrheit gegen die Sozialdemokraten geben.
Denn die derzeitige Regelung ist
stark mehrheitsfördernd – sprich:
Je nach Bezirksergebnissen können in der Bundeshauptstadt
schon 46 Prozent für eine absolute Mandatsmehrheit im Gemeinderat genügen.
Nun gibt es eine rot-grüne Koalition – und die Wahlrechtsreform ist eines der schwierigsten
Themen zwischen den beiden
Parteien, die sich im Koalitionspapier ein „modernes Verhältniswahlrecht“ vorgenommen haben.
„One man, one woman, one vote“
lautet das Prinzip der Grünen, die
SP will hingegen das direkte
Wahlrecht stärken. Denkbar ist,
dass die Wahlkreise neu eingeteilt
werden, um die Zahl der erforderlichen Stimmen für ein Mandat
anzugleichen. Alle bisherigen
Vorschläge würden aber nichts
daran ändern, dass das Wiener
Wahlrecht „mehrheitsfördernd ist
und bleiben wird“, hat die SP dazu
in einem Papier festgehalten – mit
dem Hinweis, dass das auch in anderen Bundesländern üblich sei.
Koalitionärer Konsens herrscht
bei dem Wunsch, EU-Bürgern das
Wählen auf Gemeindeebene zu ermöglichen, ein entsprechender
rot-grüner Beschluss wurde allerdings schon einmal vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Nach
geltender Judikatur bräuchte es
dafür einen Beschluss mit Zweidrittelmehrheit im Nationalrat;
die VP winkt freilich ab. Schwarze und Blaue beschwerten sich
mehrfach darüber, dass die Stadtregierung das Gespräch mit der
Opposition nicht suche – ein VierParteien-Treffen im Mai platzte
aus Termingründen. (hei)
lich gemacht, wie anfällig die
Briefwahl für Missbrauch ist. Er
gestand, 16 Wahlkarten gefälscht
und selbst zur Post getragen zu haben, am 30. Juni wird ihm deshalb
der Prozess gemacht. Die Landespolitik wird die Regeln zur Briefwahl nach dem Vorbild des Bundes ändern, darüber herrscht seit
vergangenen Herbst Konsens. Zumindest darüber, dass die mitwählenden Briefe spätestens am
Wahltag im Wahllokal sein müssen. Die SPÖ wäre für eine gänzliche Abschaffung der Briefwahl,
Klubchef Christian Illedits könnte sich dafür einen zweiten Wahltag vorstellen, was sein schwarzes
Pendant für einen „bürokratischen Aufwand“ hält.
Der große Wurf, mit dem die
SPÖ vor mehr als einem Jahr den
Landtag beschäftigt hatte, bleibt
weiter auf Eis. Geplant war eine
Verkleinerung von Landtag (von
36 auf 34) und Landesregierung
(von sieben auf fünf) und gleich
auch eine Abschaffung des Proporzes. Das absehbare Scheitern
dieses Plans war dann der Anlass
für die vorgezogenen Wahlen
2010. Bei diesen verlor die SPÖ
ihre Absolute, blieb aber deutlich
stärkste Partei. Somit ist absehbar,
dass das pannonische Persönlichkeitswahlrecht bleibt, nach dem
die Vorzugsstimme die Parteistimme schlägt. Landeshauptmann Hans Niessl erhielt übrigens
52.258 Vorzugsstimmen. (wei)
NIEDERÖSTERREICH
ei den niederösterreichischen
B
Landtagswahlen 2008 wurde
erstmals die Briefwahl eingesetzt
– und die Niederösterreicher waren auch die Ersten, die die Fristen für die Stimmabgabe per Post
wieder strenger reglementierten.
Alle vier Landtagsparteien stimm-
SALZBURG
ie rot-schwarze LandeskoalitiD
on in Salzburg hat sich im
März dieses Jahres per Regie-
rungsbeschluss zu einer Wahlrechtsreform entschlossen. Damit
sollte die für Missbrauch anfällige
Briefwahl so geändert werden,
dass eine Stimmabgabe nach offiziellem Wahlschluss nicht mehr
möglich wäre. Der Landtag als gesetzgebendes Organ wurde mit
der von der Regierung vorgelegten
Novellierung zwar befasst, beschlossen wurde aber nichts. Die
Rechtsexperten im Amt der Landesregierung befürchteten, dass
eine eigene Salzburger Regelung
mit künftigen Bundesbestimmungen kollidieren könnte.
Eine Verkleinerung des Landtags – im Salzburger Landtag sitzen
seit Jahrzehnten 36 Abgeordnete –
war in Salzburg nur kurz ein Thema. SPÖ-Landesparteivorsitzende
Gabi Burgstaller hatte das Thema
einige Male angesprochen, die
Landeshauptfrau fand beim Koalitionspartner ÖVP aber kein Gehör.
Dessen Argument: Im kleinräumig
strukturierten Bundesland Salzburg würden so ganze Bezirke um
ihre Vertretung in der Landespolitik gebracht. Die zwei kleinen Oppositionsparteien, FPÖ und Grüne,
hätten mit einem kleineren Landtag auch wenig Freude.
Alle vier Landtagsfraktionen
(SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne) erstellen
ihre Listen nach traditionellem
Muster über Sektionen, Bezirke,
Bünde und zentrale „Parteinotwendigkeiten“ oder wie die Grünen über die Landesversammlung. Auch bei der Persönlichkeitswahl bleibt man an der Salzach zurückhaltend. Eine Umreihung ist nur möglich, wenn ein
Kandidat in einem Bezirk mehr
Vorzugsstimmen erhält, als die
Wahlzahl (also die für ein Mandat
der Parteiliste notwendigen Stimmen) ausmacht. Die Chancen, dies
zu erreichen, sind mäßig. (neu)
TIROL
VORARLBERG
ie Mandatsvergabe sei in der
ie 370.000 Vorarlberger werD
Tiroler Wahlordnung – etwa Dden durch 36 Abgeordnete
im Vergleich zu Wien – fair, sagt vertreten. Die Anzahl der Landder grüne Oppositionspolitiker
Gebi Mair. Er ortet allerdings ein
„Demokratiedefizit“: Denn es gebe
zwei Ebenen im Wahlsystem. Erst
würden die Wahlkreismandate
vergeben und in einem zweiten
Durchgang die Mandate für die
Landesliste. Vorzugsstimmen gelten nur für den Regionalwahlkreis. „Dadurch werden nicht selten Mandatare verschoben“, kritisiert Mair. Und so sei es auch möglich, dass für einen Platz in der
Tiroler Landesregierung kein
Mandat notwendig sei. So wurden
von der aktuellen Regierungsmannschaft nur zwei, die Landeshauptmannstellvertreter Hannes
Gschwentner (SP) und Anton
Steixner (VP), beim Wahlgang am
8. Juni 2008 auch gewählt. Im Gegensatz dazu weiß der Wähler auf
Gemeindeebene, wen er wählt.
Der Listenerste gilt als Bürgermeisterkandidat. (ver)
KÄRNTEN
as Kärntner Wahlrecht wurde
D
2008 ein Jahr vor der Kärntner
Landtagswahl maßgeblich geän-
dert. Mit den Stimmen von SPÖ,
ÖVP und Grünen wurde die für
den Einzug in den Landtag geltende Zehn-Prozent-Hürde auf fünf
Prozent gesenkt, um auch kleineren Parteien den Einzug in den
Landtag zu ermöglichen. Jörg Haiders Freiheitliche, damals noch
BZÖ, waren strikt dagegen gewesen. Sie ahnten, warum: Mit der
kleineren Wahlhürde verpassten
sie die absolute Mehrheit bei der
Landtagswahl 2009 nur knapp.
Die Grünen wiederum, die sich
nahezu halbiert hatten, schafften
den Wiedereinzug um ein Haar.
Wählen kann man in Kärnten ab
16, die Briefwahl wurde auf Gemeindeebene bereits „saniert“. Es
dürfen nur mehr jene Stimmen gezählt werden, die bis zur Schließung des Wahllokals eingelangt
sind. Auf Landesebene muss das
noch im Landtag beschlossen werden. Diskutiert wird derzeit noch
über die Abschaffung der Proporzregierung. (stein)
tagssitze ist seit 1959 (zuvor waren es 26) unverändert. Wahlrechtsänderungen gehen im ÖVPLand nur langsam voran. So bestand bis 2004 Wahlpflicht. Zurzeit wird über getrennte Stimmzettel für Gemeindewahl und Bürgermeisterdirektwahl gestritten.
Zwei Zettel, zwei Wahlen, sagt die
Opposition. Die ÖVP will trotz vieler ungültiger Stimmen bei einem
Zettel bleiben. Wegen des Mitnahmeeffekts, vermutet die Opposition und beschwerte sich beim Verfassungsgerichtshof. Das Verfahren ist noch anhängig. (jub)
OBERÖSTERREICH
as oberösterreichische WahlD
recht wurde zuletzt 2009 einer
größeren Änderung unterzogen.
Neben der Herabsetzung des
Wahlalters auf 16 Jahre wurden
damals bereits entsprechende
Rahmenbedingungen rund um die
seit 2009 in Oberösterreich mögliche Briefwahl festgelegt.
Oberösterreich ist das einzige
Bundesland, dass nie eine – derzeit heftig umstrittene – Nachfrist
für Wahlkarten hatte. Nur Stimmen werden mitgezählt, die bis
Wahlschluss am Wahltag eingelangt sind. (mro)
STEIERMARK
in immer wieder diskutiertes
E
Mehrheitswahlrecht liegt seit
Jahren – weil den Parteien doch zu
heiß – auf Eis. Bewährt hat sich die
„vorgezogene Stimmabgabe“. Die
Stimme für die Landtags- und Gemeinderatswahl kann bereits
neun Tage vor der Wahl abgegeben werden. Bei den jeweiligen
Listen ist eine Vorreihung durch
die Vergabe von Vorzugsstimmen
möglich. Seit 1965 sind für den
Landtag 56 Mandate zu vergeben,
zuvor waren es 48 Mandate. (mue)
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