Wichtigste Obstart im Mittelalter

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Garten
BAUERNBLATT l 17. Oktober 2015 ■
Kulturerbe Mispel
Wichtigste Obstart im Mittelalter
Das ausdrucksvolle Wildfruchtgehölz war im Mittelalter ein beliebter Fruchtbaum in Bauern- und
Klostergärten und zählte zeitweise zu den wichtigsten Obstarten.
Heute wird die Mispel meist nur
noch zur Zierde gepflanzt. Die
Speisenutzung der Früchte, die
ähnlich wie Quitten nicht direkt
vom Baum gegessen werden können, ist weitgehend in Vergessenheit geraten.
Entgegen ihrem Artnamen war
Mespilus germanica in Deutschland
ursprünglich nicht heimisch. Sie
stammt aus Südosteuropa und Vorderasien und wurde wie so viele
Nutzpflanzen vor rund 2.000 Jahren
von den Römern über die Alpen gebracht. Dort fühlte sie sich allerdings
so wohl, dass sie zumindest im Süden
und Südwesten Deutschlands vielerorts verwilderte und heute als eingebürgert gilt. In Norddeutschland
ist die Wärme liebende Pflanze seltener zu finden, obwohl sie ausreichend winterhart ist.
Als Kernobst ist die Mispel eng verwandt mit Äpfeln, Birnen und Quitten; sie gehört wie diese zu den
Rosengewächsen (Rosaceae). Da die
Mispel langsam wächst, eignet sie
sich gut als kleiner Hausbaum für
kleine und mittelgroße Gärten und
aufgrund ihrer Robustheit auch für
Streuobstwiesen. Die bedornte
Wildform bereichert frei wachsende
Hecken und naturnahe Gärten um
ein wertvolles Vogelschutz- und
Nährgehölz und bietet zur Blütezeit
auch Bienen eine gute Nektarquelle.
Die Samen werden häufig durch
Vögel verbreitet.
Mispeln lieben warme, windgeschützte, sonnige bis halbschattige
Plätze und nährstoffreiche, auch steinige bis felsige Lehmböden, die möglichst etwas kalkhaltig sein sollten.
Sommerliche Hitze wird gut vertragen; dank ihrer tiefen Wurzeln kommen die Bäume auch mit längeren
Trockenperioden meist gut zurecht.
Winterschutz ist nur an sehr kalten
Standorten nötig. Bei Jungbäumen
kann es sinnvoll sein, den Wurzelbereich im Winter mit Laubmulch oder
Ähnlichem abzudecken. Die Wildform ist weniger frostempfindlich als
veredelte Kultursorten. Mispeln können sehr alt werden und sind allgemein wenig krankheitsanfällig. Einzig Feuerbrand kann in betroffenen
Gebieten eine Gefahr darstellen.
ovalen Blätter sind oberseits kräftig
grün, unterseits leicht filzig behaart.
Erst spät, meist Ende Mai bis Anfang
Juni, öffnen sich die zahlreichen großen, weißen Blüten, die über dem
voll entwickelten Laub sitzen und
durch den späten Blühzeitpunkt
kaum frostgefährdet sind. Nach dem
Laubfall im Herbst hängen noch lange die goldbraunen Früchte an den
Zweigen – wenn man sie nicht erntet, häufig bis in den Spätwinter. Mit
ihrem großen Blütenkelch, an dem
noch die langen, behaarten Kelchblätter sitzen, erinnern sie an übergroße, runde Hagebutten. Botanisch
handelt es sich um Scheinfrüchte, sie
enthalten nur wenige Kerne.
Die erntereifen Früchte sind hart
und von herb zusammenziehendem
Geschmack. Sie werden deshalb
möglichst erst nach dem ersten Frost
geerntet und müssen auch dann
noch einige Wochen bei Zimmertemperatur lagern, damit die enthaltenen Gerbstoffe abgebaut werden. Gut eignen sich flache, mit
Stroh ausgelegte Holzkisten. Die
Nachreifezeit ist abhängig von der
Sorte und der Temperatur. Waren
die Früchte sehr starken Frösten ausgesetzt, geht es schneller. Im genussreifen Zustand werden die Früchte
teigig weich und schmecken auch
roh aromatisch und leicht säuerlich.
Die harten Kerne und die Schale
Die Früchte müssen vor der Ernte Frost müssen vor dem Verzehr entfernt
werden.
abbekommen.
Ähnlich wie Quitten wachsen Mispeln strauchartig oder als kleiner
Baum und etwas sparrig. Typisch
sind gedrehte oder gebogene Äste.
Abgesehen von besonders starkwüchsigen Sorten werden die Bäume meist nicht höher als 3 bis 5 m
und ebenso breit. Der etwas eigenwillige Wuchs gehört zum Charakter
der Mispel, deshalb sollte man die
Bäume nicht zu viel schneiden. Nach
einem Kronenaufbauschnitt in den
ersten Jahren genügt gelegentliches
Auslichten, falls die Krone zu dicht
wird.
Nicht nur die Früchte, auch die
Blüten und Blätter der Mispel sind
sehr dekorativ. Die großen, länglich
Da sie neben Vitamin C, Kalium,
Magnesium, Kalzium und Eisen auch
viel Pektin enthalten, eignen sich
Mispeln – pur oder gemischt mit anderen Obstarten – gut für Marmeladen und Gelees. Auch beim (Dampf-)
Entsaften sollte man allerdings warten, bis die Früchte durch Lagerung
weicher geworden sind – sonst
braucht man sehr viel Geduld, um
den Saft aus den harten Früchten herauszukochen. Auch Liköre, Brände
und Obstwein lassen sich aus den
Früchten zubereiten.
Mit Kultursorten veredelte Bäume
sind meist unbedornt, fruchten früher als Sämlinge und bringen in der
Regel größere Früchte hervor: Im
Gegensatz zu den häufig nur 2 bis
3 cm großen Früchten der Wildformen können die Früchte von Kulturformen 5 bis 7 cm groß werden.
Die meisten heute bekannten Sorten sind sehr alt. Etwa die ,Ungarische Balkanmispel’: Die Bäume dieser Sorte bleiben klein, tragen aber
viele aromatische Früchte. Besonders große Früchte haben die aus
England stammende Sorte ,Nottingham’, die sich speziell für feuchtere
Böden eignet, und die ,Holländische
Großfruchtige’. Allerdings sind auch
die Bäume dieser beiden Sorten relativ starkwüchsig. Die mittelstark
wachsende Sorte ,Apyrena’ bringt
eher kleine, dafür aber kernlose
Früchte hervor. Eine neuere Sorte ist
die ,Kurpfalzmispel’, die erst in den
Garten
■ BAUERNBLATT l 17. Oktober 2015
Häufig werden Mispelsträucher nur ihrer dekorativen Blüten und Blätter
wegen gepflanzt.
1960er Jahren entdeckt wurde und
deren zwar eher kleine Früchte sich
durch einen hohen Zucker- und
niedrigen Gerbstoffgehalt auszeichnen. Sie können auch ohne Frosteinwirkung bereits im Herbst genossen
werden.
Mispeln werden meist auf Weißdornunterlagen veredelt, gelegentlich auch auf Quitte und Birne sowie
auf eigener Wurzel. Veredlungen
auf Birne sollen besonders aromatische Früchte hervorbringen, gelingen aber seltener als die übliche
Veredlung auf Weißdorn und sind
hinsichtlich Boden und Klima anspruchsvoller. Die artenübergreifende Veredlung ist leider auch ein
Schwachpunkt: Da es einige Jahre
dauern kann, bis die Veredlung gut
verwachsen ist, empfiehlt sich insbe-
sondere bei freiem Stand in den ersten Jahren eine stabile Anbindung
an einen Pfahl, sonst kann der Baum
bei Sturm an der Veredlungsstelle
auseinanderbrechen.
Nicht verwechseln sollte man die
echte Mispel mit der immergrünen,
im Mittelmeerraum häufig kultivierten, bei uns allerdings nicht winterharten, japanischen Wollmispel (Eriobotrya japonica), deren orangefarbene, eirunde Früchte manchmal in
Läden ebenfalls als „Mispeln“ angeboten werden. Auch der in vielen Arten verbreitete, oft als Bodendecker
verwendete Zierstrauch Felsenmispel oder Zwergmispel (Cotoneaster)
ist nur weitläufig mit der echten Mispel verwandt, und seine kleinen
leuchtend roten Beeren sind ungenießbar.
Anke Brosius
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