1-12 Daten (23.1.08)EXTRA

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Darsteller/innen: Ellen Richter (Olly Bernard) ø Alfred
Gerasch (Henry Bernard, ihr Mann) ø Walter Janssen (Felix
Granier) ø Frieda Richard (Frau Granier, seine Mutter) ø
Philipp Manning (Der Minister) ø Robert Garrison (Emil,
genannt Eierkopf) ø Harry Lambertz-Paulsen (Boxerkarl) ø
Adolf Klein (Der Gerichtspräsident) ø Hugo Werner-Kahle
(Der Staatsanwalt) ø Karl Platen (Diener bei Bernard).
konnten. Das Originalnegativ ist vollständig, weist jedoch
Fehler im Szenenablauf auf. Dieser konnte anhand im
Negativ erhaltener Einstellungsnummern der Cutter sowie
einer Zensurkarte aus dem Deutschen Filminstitut – DIF,
Frankfurt am Main berichtigt werden. Ein Virageplan wurde
anhand von Farbangaben im Negativ und der viragierten
Kopie erstellt. Soweit vorhanden, konnten die originalen
Produktionsfirma: Ellen Richter-Film-Gesellschaft der Universum-Film AG (Ufa), Berlin. ø Produzentin: Ellen Richter.
ø Aufnahmeleitung: Max Paetz. ø Format: 35 mm, schwarzweiß (viragiert), stumm. ø Länge: 2.736 Meter. ø Zensur:
9.11.1925, B.11690 (2.736 Meter, 5 Akte), Jugendverbot. ø
Uraufführung: 16.11.1925, Frankfurt am Main, SchumannTheater. ø Premiere Berlin: 19.11.1925, Ufa-Lichtspiele
Tauentzienpalast.
Deutsche Kinemathek
Retrospektive Luis Buñuel
Arbeitstitel: „Weltstadtnächte“.
Kopie: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden,
2.692 Meter, 108 Minuten bei 22 b/s (Restaurierte Fassung
von 2006). ø Mit SCHATTEN DER WELTSTADT aus dem Jahr
1925 legt die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung die
restaurierte Version eines Kriminal-Melodrams vor, in dem
die heute nahezu vergessene Stummfilmdiva Ellen Richter
im Mittelpunkt steht und das sie auch als Produzentin verantwortet hat. Bei Entstehung des Films blickt Ellen Richter bereits auf eine zehnjährige Karriere als Heldin in Kriminalfilmen und Melodramen zurück. Anfang der zwanziger Jahre gewinnt sie Unabhängigkeit durch die Gründung
ihrer eigenen Produktionsfirma. Ihr Ehemann Willi Wolff
schreibt ihr die Rollen auf den Leib und übernimmt auch
die Regie. SCHATTEN DER WELTSTADT bietet der Diva einmal mehr Gelegenheit, „ihre Kunst zu zeigen. Von tiefster
Tragik muß sie zu tändelnder Spielerei hinübergleiten, sie
muß seelenvoll, ergreifend, rührend, neckisch, zärtlich,
sanft sein (…)”. (Berliner Lokal-Anzeiger, 22.11.1925.)
Dieser Film von und mit einer der wichtigen Protagonistinnen und Produzentinnen der zwanziger Jahre war lange Zeit
nicht mehr zugänglich. Im Bundesarchiv–Filmarchiv Berlin/Koblenz fanden sich jedoch sowohl das Originalnegativ
als auch eine unvollständige viragierte Kopie, auf deren
Grundlage die Restaurierungsarbeiten durchgeführt werden
Zwischentitel der Nitrokopie verwendet werden. Die meisten Zwischentitel wurden jedoch anhand der Blitztitel des
Negativs neu hergestellt. Die Kopier- und Titelarbeiten wurden bei L’Immagine Ritrovata, Bologna, ausgeführt.
Anke Wilkening, Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung,
Wiesbaden.
Es handelt sich um einen ganz ausgezeichneten
Kriminalfilm. Im Boudoir der Frau eines höheren
Staatsbeamten, der durch skrupellose Ausnutzung der Schönheit seiner Gattin Karriere gemacht hat, stirbt der Präsident am Herzschlag,
als er sich den „Lohn“ für seine Empfehlung und
Förderung holen will. In demselben Boudoir findet man am nächsten Morgen Bernard, den Gatten, mit einer Papierschere erdolcht. Olly Bernard
steht im Verdacht die Täterin zu sein. Eine vortrefflich gesehene Gerichtsverhandlung entrollt
sich vor unseren Augen, deren Ergebnis ein Freispruch wegen Mangels an Beweisen ist. Jedoch
wird Olly ihrer Freiheit nicht froh, denn Granier, ein
junger Journalist, den sie liebt, wendet sich von
ihr. Sie sucht den wahren Mörder ihres Gatten,
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Special Events
Deutschland 1925. ø Regie: Willi Wolff. ø Regie-Assistenz:
Rudolf Sieber. ø Drehbuch: Willi Wolff, Robert Liebmann. ø
Kamera: Axel Graatkjaer (= Axel Sörensen). ø Dirigent der
Premierenmusik: Guiseppe Becce. ø Bauten und Dekorationen: Hans Sohnle, Otto Erdmann.
SCHATTEN DER WELTSTADT : Ellen Richter
58. Internationale Filmfestspiele Berlin 2008
Retrospektive Luis Buñuel
SCHATTEN DER WELTSTADT
Special Events
sucht ihn in ganz Paris und findet schließlich
einen, der darum weiß, in einen Verbrecherkeller;
fast geht es ihr ans Leben und ihm auch. Im rettenden Moment erscheint die Polizei und am
nächsten Tag stellt sich der wahre Mörder freiwillig den Gesetzen – er heißt Granier.
Dieser Film ist im Manuskript reich an Effekten, an dramatischer Steigerung der Handlung
und an Überraschungen. Welch grausiger Witz
beispielsweise, als Bernard den toten Präsidenten als betrunken in ein Auto lädt und dem
Chauffeur die angebliche Hausnummer des Fahrgastes zuruft. Diese Hausnummer trägt der
Friedhof. Welche ausgezeichnete Idee, den Fassadenkletterer im Gerichtssaal als Kritiker des
Staatsanwalts auftreten zu lassen. Gerade die
Gerichtssaalszenen sind eindringlich gesehen,
bieten vielleicht etwas zuviel Großaufnahmen,
bringen aber durch die bis zum Schluß anhaltende Spannung keine Minute der Länge.
Da die Bauten und die Photographie den
Regieeinfällen Dr. Wolffs ebenbürtig zur Seite
stehen, ergab sich ein technisch und künstlerisch
sehr guter Bildstreifen. (…)
S-r. in: Der Film (Berlin), Nr. 47, 22.11.1925.
Was hier, von der Sonne Ellen Richters beschienen, unter der Regie von Dr. Willi Wolff entstanden ist, ist nicht mehr und nicht weniger als die
Wiederauferstehung des schon lange tot geglaubten Kriminalfilms, mit einer rätselhaften
Mordaffäre und einem bitteren Frauenschicksal in
der Mitte, mit perfiden, schurkischen Männern
auf der einen Seite, mit Edelingen auf der anderen. Wenn das alles mit einer so hohen Spannung, die dennoch nicht unter einem sonst oft
beobachteten Mangel an Elastizität leidet, gemacht ist, dann können wir getrost sagen, daß
dieser Film für ein Publikum, das Atemlosigkeit
als Lebenselixier nötig hat, schon geeignet ist.
Wichtig und wesentlich ist die Milieuzeichnung und die Darstellung. Die Szenen unter den
„Verrufenen“, im Verbrecherkeller, könnten einem
Feuilleton von Leo Heller nachgeformt sein. Ellen
Richter ist wieder Dame von Welt. In repräsentativen Szenen ist sie am Platz. In gesteigerten
Szenen vermißt man die Blutwärme. Walter Janssen gibt einem Idealisten nicht das Format der
Rolle. Sein müde-intellektuelles Lächeln sagt zu
wenig. Überraschend gut Robert Garrison als
Verbrecher, ebenso Lambertz-Paulsen als sein
„Chef“.
h. in: Reichsfilmblatt (Berlin), Nr. 47, 21.11.1925.
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(…) Ein französisches Boulevardstück in filmischer Gestalt (…), nach dem Prinzip „Spannung
um jeden Preis“ gearbeitet. Willi Wolffs Regie
zeigt wie stets den gewandten Arrangeur. Er
arbeitet mit dem bewährten Mittel des Kontrastes, stellt Gesellschaftsszenen gegen Kaschemmenmilieu und bringt einen bemerkenswert
gegliederten Gerichtsakt. Die Realität, die Wolff
bringt, ist allerdings eine geschminkte Realität,
die durch literarische bzw. theatralische Vorlagen inspiriert ist. Dieses Kaschemmenmilieu ist
äußerst geschickt gestellte Kulissenwelt; aber da
das große Publikum nun einmal der Kulisse vor
der ungeschminkten Gestaltung der Wirklichkeitswelt stets den Vorzug gibt, wird der Film
gerade dadurch die Menge gewinnen. Ebenso
wie durch die nur in und bei „Romanen“ mögliche
Voraussetzungen, daß die Heldin zu nächtlicher
Stunde durch die verrufenen Viertel von Paris irrt,
um den Mann zu suchen, der ihr möglicherweise
über den wahren Mörder ihres Mannes Auskunft
erteilen kann. (…) Ellen Richter in der Hauptrolle
die Primadonna in Reinkultur. Jeder Blick ein Volltreffer, jede Bewegung auf dekorative Wirkung
gestellt. Kein Mensch, aber ein schillerndes Theaterwesen von blendendem Augenreiz, in den
Kaschemmenszenen hier und da mehr als das.
Eine Gestalt, wie aus einer Oper des jungen Verdi
oder des Donizetti. Durch ihre Rassigkeit das
große Publikum faszinierend. Ausgezeichnet
trifft Gerasch die Brutalität des angenehmen
Ehemannes. Janssen gibt dem Journalisten, der
aus Liebe zum Mörder wird, die sympathische
Passivität, die seine besondere Note ist. Frieda
Richard gibt in einer Szene eine psychologische
Studie, die restlos ins Optische projiziert ist. Und
unerhört sind zwei Kaschemmentypen Garrison
und Lambertz-Paulsen. Garrison gibt eine Figur,
die durch das Auge eines Zille gesehen ist.
Der zerlumpte Kerl, der sich noch ein Restchen
Seele bewahrt hat. Unvergeßlich der Blick, mit
dem er die Schlußworte begleitet: „Sind Sie nun
glücklich?“ Hier fällt auf die Kaschemmengestalt ein Strahl aus der Welt Tolstois. LambertzPaulsen: eine Hyäne der Großstadt. Primitive
Brutalität, die in den Dienst stählerner Energie gestellt ist. Ein Kondottiere der Pariser Vorstadt. Eine der stärksten Begabungen des deutschen Films. Sehr stilgerecht sind die Bauten von
Sohnle und Erdmann. Der Film ist unbedingt ein
Publikumsschlager ersten Ranges.
M-s. (= Heinz Michaelis) in: Film-Kurier (Berlin),
Nr. 273, 19.11.1925.
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