Programmbuch HÄNDEL-FESTSPIELE 2017

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2018
Neuinszenierung
ALCINA
Oper in drei Akten von Georg Friedrich Händel
Andreas Spering Dirigent
Mit Layla Claire, David Hansen, Claudia Boyle,
Benedetta Mazzucato, Alexey Neklyudov u. a.
Premiere 16.2.18 GROSSES HAUS
Weitere Vorstellungen 18., 21., 24. & 27.2.18
Wiederaufnahme
SEMELE
Musikdrama in drei Akten von Georg Friedrich Händel
Floris Visser Regie
Gideon Davey Ausstattung
Christopher Moulds Dirigent
Mit Anna Devin, Ed Lyon, Terry Wey, Katharine Tier u. a.
WA-Premiere 23.2.18 GROSSES HAUS
Weitere Vorstellungen 25. & 28.2.18
Konzerte mit Valer Sabadus, Franco Fagioli, Rebecca Bottone,
Andreas Wolf, Rinaldo Alessandrini & vieles mehr!
Der Vorverkauf läuft ab dem 7.2.17 für ABONNENTEN, Mitglieder der HÄNDELGESELLSCHAFT KARLSRUHE und Mitglieder der GESELLSCHAFT DER FREUNDE
DES BADISCHEN STAATSTHEATERS.
Am 17.2.17 startet der Vorverkauf für alle Besucher.
WWW.STAATSTHEATER.KARLSRUHE.DE
40. INTERNATIONALE HÄNDEL-FESTSPIELE 2017
16.2. – 2.3.
FESTSPIELKALENDER
FR 17.2.
ERÖFFNUNG DER
40. INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE 2017
18.00 MITTLERES FOYER
SEMELE
Musikalisches Drama in drei Akten von Georg Friedrich Händel
19.00 GROSSES HAUS PREMIERE SA 18.2. HÄNDEL MIT DONNA LEON
16.00 KLEINES HAUS
THEODORA
Oratorium von Georg Friedrich Händel
19.30 GROSSES HAUS SO 19.2. ÖKUMENISCHER FESTGOTTESDIENST
10.30 EV. STADTKIRCHE am Marktplatz
SEMELE
19.00 GROSSES HAUS
S. 22
S. 50
S. 52
S. 70
S. 22
MO 20.2. KAMMERKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
20.00 KLEINES HAUS
S. 74
MI 22.2. 3. SONDERKONZERT –
FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
19.00 GROSSES HAUS
S. 82
DO 23.2. SEMELE
19.00 GROSSES HAUS
S. 22
FR 24.2. ARMINIO
Dramma per musica von Georg Friedrich Händel
19.00 GROSSES HAUS WIEDERAUFNAHME S. 92
SA 25.2. SEMELE
15.00 GROSSES HAUS
S. 22
ABENDSTERNE 1 – IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI
HÄNDEL – FRAUENLIEBE UND -LEBEN
20.00 CHRISTUSKIRCHE SO 26.2. PREISTRÄGERKONZERT DES HÄNDEL-JUGENDPREISES
11.00 KLEINES HAUS
S. 120
S. 130
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Mo-Fr: 10:00 – 19:00 Uhr
Sa: 10:00 – 16:00 Uhr
SO 26.2. ARMINIO
15.00 GROSSES HAUS ABENDSTERNE 2 – MUSIK FÜR DIE ENGEL
Kirchenkonzert
20.00 CHRISTUSKIRCHE
S. 92
S. 134
MO 27.2. ABENDSTERNE 3
ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE
Eröffnungskonzert der
32. INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE KARLSRUHE
19.30 CHRISTUSKIRCHE S. 146
DI 28.2.
HÄNDEL AM MITTAG
INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE
Künstlergespräch mit Max Emanuel Cencic
14.00 SCHLOSS GOTTESAUE Eintritt frei
S. 170
SEMELE
19.00 GROSSES HAUS
MI 1.3.
ARMINIO
19.00 GROSSES HAUS DO 2.3.
EINSPRÜCHE-WIDERWORTE
HISTORISCHE AUFFÜHRUNGSPRAXIS IM GEGENLICHT DER KRITIK
Symposium der 32. INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE KARLSRUHE
15.00 SCHLOSS GOTTESAUE Eintritt frei S. 172
PRIMADONNEN!
Abschlusskonzert der
40. INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE
20.00 GROSSES HAUS FR 3.3.
HÄNDELWERKSTATT
DozentInnen und TeilnehmerInnen der INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE
20.00 STUDIO S. 170
SA 4.3.
HÄNDEL AM MITTAG
INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE
Künstlergespräch mit Deborah York
13.00 SCHLOSS GOTTESAUE Eintritt frei
SO 5.3.
ABSCHLUSSKONZERT DER 32. INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE
17.00 SCHLOSS GOTTESAUE
S. 168
S. 22
S. 92
S. 156
S. 170
GRUSSWORTE
Liebe Besucherinnen und Besucher,
die Festspiele, deren Programm Sie gerade
in Händen halten, sind die ersten überhaupt, für die ein eigenes internationales
Spezialorchester gegründet wurde. Eines,
das auf Barockinstrumenten oder deren
Nachbauten musiziert – in historisch informierter Aufführungspraxis.
Die Gründung der HÄNDEL-FESTSPIELE,
vom Land Baden-Württemberg finanziell
unterstützt, war damals ein mutiges Wagnis. Denn in den 1980er Jahren war Händel
bei weitem nicht so populär wie heute.
Seine Opern galten als verschrobenes
Steckenpferd weniger Spezialistinnen und
Spezialisten.
Heute jedoch hat sich der Zeitgeist gründlich gewandelt – was nicht zuletzt den
INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELEN
KARLSRUHE zu verdanken ist. Sie riefen
jene einst belächelten Händelfachleute
aus aller Herren Länder in die badische
Barockresidenz.
Die Aufgabe war, nach Wegen zu suchen,
wie sich die Qualitäten dieser einzigartigen Musik einem modernen Publikum
nahebringen ließen. Eine Suche, die
erfolgreich verlief.
Die Dirigenten Charles Farncombe, Roy
Goodman, Nicholas McGegan und Paul
2
Goodwin kamen aus England und brachten
Countertenöre mit. Jean-Claude Malgoire,
Jean-Louis Martinoty und der blutjunge
Marc Minkowski kamen aus Frankreich,
und René Jacobs, damals nur Wenigen
bekannt, aus Belgien. Sie machten die
HÄNDEL-FESTSPIELE zu dem, was sie
heute sind: Ein Publikumsmagnet.
Die 40. Ausgabe präsentiert führende
Interpretinnen und Interpreten der Szene,
und sie spürt die Stars von morgen auf.
Ein Grund zur Freude und zum Feiern! Ich
danke der Baden-Württemberg Stiftung
für ihre großzügige Unterstützung der
Karlsruher HÄNDEL-FESTSPIELE. Den
Veranstaltern wünsche ich viel Erfolg –
und den Besucherinnen und Besuchern
großartige Hörerlebnisse!
Theresia Bauer MdL
Ministerin für Wissenschaft, Forschung
und Kunst des Landes Baden-Württemberg
Liebe Barockfreunde,
wie wir 2015 beim 300. Stadtgeburtstag
erleben konnten, kennt Karlsruhe sich
mit runden Geburtstagen und Jubiläumsfeierlichkeiten aus. Nun stehen wir vor
einem weiteren schönen Jahrestag: den
40. INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELEN! Seit 1978 ist dieses Festival ein
Höhepunkt im Kulturleben unserer barocken
Stadt. Karlsruhe profitiert von dem reichen
kulturellen Angebot und von der einzigartigen Stimmung, die von den barocken
Klängen Händels ausstrahlen und die auf
unsere internationalen Besucher einen
besonderen Reiz ausüben. Die FESTSPIELE
kooperieren seit zwei Jahren erfolgreich
mit der art Karlsruhe, so dass unsere Gäste die Möglichkeit haben, Operngenuss mit
Kunstgenuss zu verbinden.
Das STAATSTHEATER ist ein vielseitiges,
facettenreiches Haus, in dem nicht nur
die Händel-Pflege einen festen Platz hat,
sondern ein Ort, an dem man viele künstlerische Handschriften und Musikstile
erleben kann. Ein gutes Beispiel dafür ist
die BADISCHE STAATSKAPELLE, die mit
der Aufführung von Wagners Großprojekt
Der Ring des Nibelungen exzellente künstlerische Leistungen hervorbringt, die aber
auch bei den HÄNDEL-FESTSPIELEN in
der konzertanten Aufführung von Händels
Oratorium Theodora glänzen wird, was die
einzigartige Vielseitigkeit der Musiker zeigt.
Doch auch die HÄNDEL-FESTSPIELE als
solche bieten ein abwechslungsreiches
Angebot: auf der einen Seite die tragikomischen Töne von Semele, auf der anderen
Händels wuchtiges Operndrama Arminio,
das nach der umjubelten Premiere 2016
auch in diesem Jahr auf dem Spielplan
steht. Darüber hinaus erklingen kostbare
Kammermusik sowie Opernszenen und
Arien, gesungen von den renommiertesten
Sängerinnen und Sängern unserer Zeit.
Und bei all diesen Veranstaltungen werden
Sie, verehrtes Festpublikum, feststellen,
wie berührend und zeitlos-modern Händels
Musik auch nach fast drei Jahrhunderten ist.
„Händel für alle!“ – so könnte das Motto
für das Karlsruher Musikfest lauten. Ob
Oper oder Oratorium, ob prächtige Gala
oder stimmungsvolles Kirchenkonzert – in
dem prall gefüllten Jubiläumsprogramm
findet jeder etwas, das ihm gefällt und das
mit Sicherheit lange in guter Erinnerung
bleiben wird.
Dr. Frank Mentrup
Oberbürgermeister
3
Liebe Händel-Freunde,
jedes Jahr im Februar kommen Händelfreunde aus dem In- und Ausland nach
Karlsruhe, um Bühnenwerke, Orchestermusik und Kammermusik des zeitlosen
Europäers aus der Karlsruher Partnerstadt Halle/Saale zu erleben. Im Jubiläumsjahr der 40. INTERNATIONALEN HÄNDELFESTSPIELE erwartet alle Besucher ein
besonders umfangreiches und vielfältiges
Programm.
Gleich vier Orchester und eine ganze Reihe
von Gesangsstars bringen den Besuchern
Werke wie Semele, Arminio, Theodora und
über 600 weitere Händelsche Werke nahe.
Es fällt schwer, einzelne Veranstaltungen
herauszuheben. Es freut mich, dass das
Festkonzert dem Gründer der HÄNDELFESTSPIELE, unserem Ehrenvorsitzenden,
Herrn Generalintendant a. D. Günter
Köne-mann gewidmet ist. Gespannt bin ich
auch auf den neu gegründeten HändelFestspielchor.
Besonders hinweisen möchte ich Sie auf
die Angebote der 32. INTERNATIONALEN
HÄNDEL-AKADEMIE. Die interessierte
Öffentlichkeit kann sich im Eröffnungs-,
Abschluss- und Werkstattkonzert sowie
im Symposium einen Eindruck von der
wichtigen Arbeit der in ihrer Art einzigartigen Akademie mit dem künstlerischen
Nachwuchs machen und in Künstler4
gesprächen Mitwirkende der Festspiele
näher kennenlernen.
Seit ihrer Gründung im Jahre 1989 liegt
der Händel-Gesellschaft der künstlerische
Nachwuchs besonders am Herzen. Ich
freue mich, dass sich die jungen Musikerinnen und Musiker unseres Jugendwettbewerbs am 26. Februar im Rahmen der Festspiele wieder in einem öffentlichen Konzert
präsentieren können. Ans Herz legen
möchte ich Ihnen auch den in Kooperation
mit der HÄNDEL-GESELLSCHAFT veranstalteten Ökumenischen Festgottesdienst
am Sonntag, den 19. Februar mit Auszügen
aus dem Oratorium Theodora.
Im Jubiläumsjahr sind wir Gastgeber einer
Begegnung aller drei deutschen HändelGesellschaften – die Möglichkeit von
Mehrfachmitgliedschaften manifestiert unsere enge Verbundenheit mit den Schwesterngesellschaften in Halle und Göttingen.
Ich wünsche allen Besuchern unvergessliche Festspielerlebnisse, spannende Entdeckungen und den Mitwirkenden auf und
hinter den Bühnen viel Glück und Erfolg!
Prof. Dr. Peter Overbeck
Vorsitzender der HÄNDEL-GESELLSCHAFT
Liebe Jubiläumsgäste,
in diesem Jahr gibt es einen ganz besonderen Grund zur Freude: Wir feiern die
40. INTERNATIONALEN HÄNDELFESTSPIELE. Die Erfolgsgeschichte der
Festspiele zeigt, dass mein Vorgänger
Günter Könemann genau das Richtige tat,
als er die Pflege der Barockmusik in der
Barockstadt Karlsruhe zu einer wichtigen
Aufgabe des STAATSTHEATERS machte,
und auch seine Nachfolger pflegten erfolgreich dieses Erbe. Karlsruhe wurde zu
einem bedeutenden Zentrum für Händels
Musik. Es entwickelte sich ein Zusammenspiel verschiedener Institutionen, das so
nur hier zu finden ist: Mit den HÄNDELSOLISTEN wurde ein eigenes Festspielorchester gegründet, das Kontinuität und
Weiterentwicklung ermöglicht. Die INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE hat es
sich zur Aufgabe gemacht, das Wissen
über barocke Tradition weiterzugeben und
die Festspiele mit neuen Ideen zu beleben.
Hinzu kommen die vielen Händelfreunde,
die sich in der HÄNDEL-GESELLSCHAFT
zusammengeschlossen haben.
Im Mittelpunkt der diesjährigen Festspiele
steht die Neuinszenierung von Semele, in
der unsere Ensemblesänger gemeinsam mit
international erfolgreichen Barockspezialisten auf der Bühne stehen. Max Emanuel
Cencic kehrt als Regisseur und Sänger der
Titelpartie in Arminio zurück nach Karlsruhe.
Besondere Aufmerksamkeit verdient das
Konzertprogramm mit einer Aufführung
des Oratoriums Theodora und der Reihe
Abendsterne, in der die Barockstimmen von
Patrizia Ciofi, Jakub Józef Orliński und Anna
Bonitatibus erklingen werden.
Wir freuen uns sehr, dass die Landesstiftung
das Jubiläum besonders unterstützt und dass
das Festkonzert zu Ehren des Festspielgründers
Günter Könemann von der Stadt Karlsruhe
zusätzlich gefördert wird. Mit der BBBank
ist es gelungen, einen Partner zu finden, der
sich für ein langfristiges Engagement über
6 Jahre entschieden hat. Genauso wichtig
ist die alljährliche Unterstützung durch das
Kuratorium der HÄNDEL-GESELLSCHAFT.
Ein besonderer Dank gilt dem Ministerium
für Forschung, Wissenschaft und Kunst für
die Unterstützung der INTERNATIONALEN
HÄNDEL-AKADEMIE.
Ich freue mich, dass wir 2017 zum 40. Mal
unter Beweis stellen können, welch herausragende Stellung die Festspiele im internationalen Vergleich einnehmen und welch wichtigen
Beitrag sie für die Zukunft der Barockmusik
leisten. Ein Grund, gemeinsam zu feiern!
Ihr
Peter Spuhler
Generalintendant
5
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu einem zukunftsfähigen Land und zu
einer modernen, bürgerfreundlichen und
lebenswerten Gesellschaft gehört auch
die Pflege und Bewahrung der Kunst- und
Kulturlandschaft.
das vielseitige Programm und die internationale Bedeutung garantieren eine
erfolgreiche Veranstaltung mit einer
großen Strahlkraft über die Landesgrenzen hinaus.
Kunst, Schöpferisches und Kreativität
zu fördern, ist der Baden-Württemberg
Stiftung ein wichtiges Anliegen. Seit ihrer
Gründung im Jahr 2000 engagiert sie sich
deshalb aktiv und nachhaltig für die Kultur
des Landes. Regionale Verwurzelung sowie innovative Ansätze und künstlerische
Bedeutsamkeit stehen dabei besonders
im Fokus.
Wir freuen uns, einer der Unterstützer
dieser einmaligen Festspiele und dieses
besonderen Jubiläumsprogramms zu sein,
und wünschen Ihnen, verehrtes Publikum,
eine genussreiche Zeit und unvergessliche
Eindrücke bei den 40. INTERNATIONALEN
HÄNDEL-FESTSPIELEN.
Herausragend sind deshalb die INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE in
Karlsruhe. Dieses Jahr finden sie bereits
zum 40. Mal statt und das besondere
Jubiläumsprogramm verspricht, die
Barockmusik auch dieses Jahr glänzen
zu lassen. Die langjährige Erfahrung
und die hohe künstlerische Qualität
des STAATSTHEATERS KARLSRUHE,
6
Christoph Dahl
Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung
Birgit Pfitzenmaier
Abteilungsleiterin Gesellschaft & Kultur
7
EINFÜHRUNG
FRAUENWELTEN
MICHAEL FICHTENHOLZ ÜBER DAS PROGRAMM
DER INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE 2017
In der diesjährigen Festspielausgabe liegt
ein besonderes Augenmerk auf den Frauen, die Händel in seinen Werken besang.
Königinnen und Schäferinnen, Prinzessinnen und Zauberinnen – welch erstaunliche
Galerie der Charaktere und der Temperamente, der Gesichter und Stimmen!
Einerseits ähneln sie sich, andererseits hat
jedes Porträt etwas Besonderes und Einzigartiges. Dabei spielt der soziale Status
keine Rolle: Händels Heroinen berühren
uns mit ihrem Charakter und ihrer musikalischen Sprache, die über Jahrhunderte
nichts von ihrer Aktualität und Schärfe
verloren haben. Im Gegenteil, wir entdecken in ihnen Frauen unserer Zeit,
unsere Mütter und Schwestern, unsere
Geliebten und Töchter. „Frauen regier’n
die Welt!“ – Händel ist mit seinen Frauengestalten auch im Zeitalter des Feminismus von Relevanz, regieren die Frauen in
seinen Opern und Oratorien oft nicht nur
die Welt, sondern auch die Männer, denken wir an Alcina oder Cleopatra in Giulio
8
Cesare, Medea in Teseo oder Rodelinda,
Partenope oder Athalia, Gismonda in
Ottone oder Dejanira in Hercules.
Woher stammen diese erstaunlichen und
profunden Erkenntnisse über das weibliche
Geschlecht eines Komponisten, der sein
Leben als stolzer Junggeselle verbracht
hat? Das Thema „Händel und Frauen“
ist und bleibt – höchstwahrscheinlich
für immer – ein Rätsel. Wir wissen kaum
etwas über sein Privatleben. Die wenigen
Love-Stories, die in den frühen Biografien
kolportiert werden – etwa eine mögliche
Beziehung mit einer italienischen Sopranistin während seines Italien-Aufenthaltes oder eine mehr als freundschaftliche
Zuneigung zwischen Händel und Königin
Caroline von Hannover – sind nicht zu belegen. Auch die Frage nach seinen Beziehungen zu Männern, so wie sie in neueren
Beiträgen der Forschung diskutiert wird,
bleibt der Spekulation überlassen. Doch
all das ändert nichts an der Tatsache, dass
Händel wie nur wenige tief in die weibliche
Seele geblickt hat und die Seelenlandschaften seiner Heldinnen perfekt in Klang
gesetzt hat.
Gleich zu Beginn unserer Reise durch
die Festspiele treffen wir auf zwei herzzerreißende Frauenfiguren, die aus ganz
unterschiedlichen Welten kommen:
Semele und Theodora. Obgleich die erste
im Jahr 1744 geboren ist, könnte sie eine
unserer Zeitgenossinnen sein und würde
mit ihrer Suche nach Ruhm und Unsterblichkeit in der heutzutage so beliebten
Klatschpresse nicht weiter auffallen. In
ihrer virtuosen Arie „No, no, I’ll take no
less“ bringt Semele ihr Anliegen auf den
Punkt: So viel Anerkennung wie möglich,
ewige Jugend und ewige Schönheit sind
das Ziel ihrer Träume, nicht mehr und nicht
weniger. Das traurige Ende solcher Geschichten ist absehbar, denn, um dorthin
zu gelangen, ist Semele wie viele andere
bereit, vielleicht aus unserer kindlicher
Naivität, ein großes Risiko einzugehen.
Hier erweist sich Händel als großer und
großartiger Zyniker – seine Ironie ist bitter,
fast grotesk. Doch gleichzeitig können wir
in seiner musikalischen Erzählung traurige
Halbtöne entdecken, mit denen er wie so
oft Mitleid für seine Operngeschöpfe zeigt
und erzeugt, und seien sie noch so leichtsinnig und unvernünftig. Umso frommer
und reiner scheint uns die andere Heroine
– Theodora – , die bereit ist, für ihren
Glauben und ihre Prinzipien in den Tod zu
gehen. Je mehr sie sich ihrem Tod nähert,
desto unbedeutender wird der Alltag mit
seinen vielen Nebensächlichkeiten. Hier,
in einem seiner letzten Meisterwerke,
spricht der Komponist mit uns nur über das
Wesentliche und findet für dieses Schicksal eine ganz andere Tonsprache.
Weitere Frauenporträts können wir mit
Tusnelda und Ramise in Händels Arminio
bestaunen, einem dynastischen Drama,
in dem den Mitgliedern der königlichen
Familie ihr hoher Stand mehr Qual als privilegierte Freude bereitet: Tusnelda muss
zwischen Vater und Ehemann wählen
und Ramise sich zwischen Geliebtem und
Bruder entscheiden. In diesem tragischen
Dilemma zeigt sich die dramaturgische
Härte der Oper mit überwältigender Emotionalität. Um nicht zu einer bloßen
Schachfigur in diesem politischen Machtspiel zu werden, gehen die beiden Frauen
auf eine lange und gefährliche Reise, auf
der die in der galanten Epoche zu erwartende Zärtlichkeit und Zerbrechlichkeit
keine Rolle mehr spielt, vielmehr erlangen
die Frauen die Kühnheit der Männer – und
manchmal übertreffen sie sie sogar.
Heroinen sind auch jene, die Händels
Frauen ihre Stimme und ihren Körper
leihen: seine Sängerinnen. Die legendären
Primadonnen, deren Stimmen uns die Vergangenheit bedauerlicherweise geraubt
9
hat, leben in ihren Nachfolgerinnen fort,
die die Renaissance und das Fortbestehen
des Barock möglich machen. Und was für
ein Aufgebot an Stimmen und Künstlerpersönlichkeiten ist im kalten Februar in
Karlsruhe zu entdecken! Jennifer France
ist eine geborene Semele, die den jugendlichen Glanz ihrer Partie ohne Künstlichkeit
und Übertreibung vermitteln kann, an ihrer
Seite Katharine Tier mit ihrem feurigen
Temperament als rachsüchtige Göttin und
Ehefrau Juno. Dann Sine Bundgaard, die
mit ihrer noblen und reinen Stimme die
fromme Theodora mit besonderer Ehrlichkeit und Wärme darstellen wird. Gefolgt
von Patrizia Ciofi, die ihre langjährige
Auseinandersetzung mit den Heroinen
der romantischen Oper in die Arien der
Händel’schen Femmes fatales einfließen
lassen wird, und Lauren Snouffer, einem
aufsteigenden Stern der Barockmusik, in
der Rolle der leidenden Tusnelda in Arminio. Und nicht zu vergessen die italienische Diva Anna Bonitatibus, die der frühen
10
Kantate von Händel La Lucrezia eine neue
Dimension und authentische sprachliche
Intensität verleiht. Schließlich finden die
Festspiele mit dem Auftritt von zwei Ausnahmesängerinnen unserer Zeit, Sandrine
Piau und Vivica Genaux, ihren krönenden
Abschluss.
Ich hoffe, dass wir Sie mit diesem faszinierenden Programm begeistern werden
– begleiten sie uns auf dieser spannenden
Reise durch die Welten von Händel, mit
der wir nicht nur Händels Primadonnen
wie Francesca Cuzzoni, Faustina Bordoni,
Margerita Durastanti, sondern alle Frauen
ehren möchten.
Ihr
Michael Fichtenholz
Künstlerischer Leiter
WIR DANKEN
den Kuratoriumsmitgliedern der HÄNDEL-GESELLSCHAFT KARLSRUHE e. V.
für ihre großzügigen Spenden
Dr. Bernhard Schareck Vorsitzender
Dr. Melitta Büchner-Schöpf
Dr. Friedrich Georg Hoepfner
RA Arndt Brillinger
Michael Huber Sparkasse Karlsruhe
Michael Lang Autohaus Lang
Prof. Dr. Jürgen Morlok
Prof. Dr. Wolfgang Müller BBBank
Heinz Ohnmacht BGV Badische Versicherungen
Joachim Peters
Dr. med. Sabine Raulin
Dipl.-Ing. Herman Rotermund
Dr. Michael Göhringer
Susanne Freytag media@home Freytag
der Baden-Württemberg Stiftung & der BBBank für ihre Sonderspenden
der HÄNDEL-GESELLSCHAFT KARLSRUHE e. V. für vielfältige Unterstützung
der Privatbrauerei Hoepfner für die Unterstützung der Premierenfeier
dem Feuerwehrausstatter Wiese-Gruppe.de für seine freundliche Unterstützung
Für die Dreherlaubnis danken wir
ACHAT Plaza Karlsruhe
Therme Vierordtbad
VeniceBeach Karlsruhe Premium Fitness
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12
13
40 JAHRE
HÄNDEL-FESTSPIELE
KARLSRUHE
Fragen an den Generalintendanten a. D. des STAATSTHEATERS KARLSRUHE
und Gründer der INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE Günter Könemann
Herr Könemann, Sie haben in Händels
Geburtsstadt studiert. Wie kamen Sie zu
Händel?
Wie kam es dazu, 1978 ausgerechnet
in Karlsruhe ein drittes deutsches
Händel-Festival zu gründen?
Als Student der Hochschule für Theater
und Musik war ich in der Regieklasse von
Prof. Heinz Rückert, mit GMD Horst-Tanu Margraf, Initiator und künstlerischer
Leiter der halleschen Händelfestspiele.
Während meines sich anschließenden
Studiums in Göttingen hatte ich das Glück,
in Vorlesungen und Seminaren Prof. Hans
Niedecken-Gebhard kennenzulernen, der
gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Oskar Hagen in den zwanziger Jahren
die ‚Göttinger Händel-Renaissance’ ins
Leben gerufen hatte. Ich assistierte ihm
bei den Festspielen 1953. Beide, Rückert
und Niedecken-Gebhard, schufen ein Bild
Händels, das mich begeisterte und fortan
nicht mehr losließ.
Die Gründung des Festivals war Teil des
künstlerischen Konzeptes, mit dem ich
1977 die Karlsruher Intendanz übernahm.
Ich empfand die Notwendigkeit, im zweigeteilten Deutschland dem mitteldeutschen Meister auch in der Bundesrepublik
eine Heimstatt zu bieten, in der sein Werk,
besonders seine Opern, regelmäßig aufgeführt und neu zur Diskussion gestellt werden. Die Voraussetzungen hierfür waren
gegenüber den Festspielen in Göttingen
und Halle ungleich besser, da die Karlsruher Festspiele integrierter Bestandteil
eines großen Drei-Sparten-Theaters sein
würden. Und schließlich war es meine
Absicht, Karlsruhe zu einem Zentrum der
Händelpflege zu machen. Hierzu gehörte
14
Günter Könemann
unter anderem auch die 1989 erfolgte
Gründung eines Freundeskreises, der
Karlsruher HÄNDEL-GESELLSCHAFT.
Was wusste man 1978 von Händels
Opern? Was wusste man von ihrer Aufführungspraxis?
Es gab, durchaus erfolgreich, die Göttinger
und halleschen Festspiele und vereinzelte
Stadttheateraufführungen, so auch in
Karlsruhe. Trotzdem blieben diese Aufführungen Einzelerscheinungen, die kein
Theater zum Nachspielen veranlassten.
War Händel 1978 als musikdramatisches
Genie bereits anerkannt?
Nein. Man kannte den Messias, die Feuerwerksmusik und natürlich das Largo.
Seine 44 Opern galten als nahezu unspiel-
bar, ihre Textbücher veraltet, das Schema
aus Rezitativ und Arie als zeitverhaftet,
den Sängern boten sie keine psychologisch durchgeführten Rollen, die Kastratenpartien waren nicht zu besetzen. Es
bedurfte also eines neuen Anstoßes, und
vielleicht war das Jahr 1977 genau der
richtige Zeitpunkt, sich dieser Aufgabe
zu stellen. Die ersten Karlsruher Aufführungen waren noch ein Suchen, mit
dem Ergebnis, dass die Aufführung einer
Barockoper deren genaue Kenntnis und
die Kenntnis der Aufführungspraxis zum
Zeitpunkt ihrer Entstehung voraussetzt:
Aus dem Geist der Musik heraus muss die
Ästhetik der Barockoper eine Umsetzung
auf das Theater unserer Zeit erfahren.
Im musikalischen Bereich bedeutet dies:
Annäherung an den historisch-authentischen Klang. Hierfür bedurfte es Musikerinnen und Musiker, die sich ausschließ15
lich und professionell mit der historischen
Aufführungspraxis befassen. Und es
benötigte die die Kastraten ersetzenden
Countertenöre, 1978 ein kaum besetztes Kunstfach. Im szenischen Bereich
bedarf es der Historie nicht: Nicht das
Nachvollziehen historischer Aufführungspraxis, sondern nur das Theater selbst
kann Lösungen für eine zeitgemäße, aus
dem Geist der Musik heraus empfundene
Inszenierung geben.
Das STAATSTHEATER KARLSRUHE ist von
seiner Tradition her ja eher ein Haus für
Wagner und die große Oper. Wie kam Ihre
Idee bei den Mitarbeitern des Hauses an?
Wie beim Stammpublikum?
Alcina, 1978; Deidamia, 1979; Semele,
1980 – ich habe bewusst bilderreiche,
musikalisch eindringliche Werke für die
ersten Aufführungen gewählt. Heinz
Balthes schuf wunderschöne, atemberaubende Szenerien. Das Ensemble, die
Werkstätten, das ganze Haus identifizierte
sich mit der neuen Aufgabe. Das Publikum
erlebte ‚Große Oper’. Jean-Louis Martinoty, Regisseur der Semele, äußerte sich,
selbst über den großen Erfolg überrascht,
so: „In Karlsruhe hat man in Bezug auf
das Verständnis von Händels Opern eine
gute Chance. Hier wurden mehr seiner
16
Bühnenwerke aufgeführt als anderswo,
das Publikum ist für Händelwerke durch
Inszenierungen in verschiedenen Inszenierungsweisen gut vorbereitet. Es gibt
sicher sehr wenige Leute auf der Erde, die
so viele Händelopern gesehen haben, wie
die Abonnenten in Karlsruhe.“
Wie kam es zur Gründung der Deutschen
Händel-Solisten?
Auf Beschluss des Verwaltungsrates
des STAATSTHEATERS KARLSRUHE
wurden die Händel-Tage 1985 anlässlich
des Europäischen Jahres der Musik, in
dem zugleich Händels 300. Geburtstag
gefeiert wurde, zu HÄNDEL-FESTSPIELEN
aufgewertet. Damit war die Möglichkeit
gegeben, dieses Spezialensemble zu
schaffen.
Gab es Kontakte zu den beiden SchwesterFestivals?
Die Deutschen Händel-Solisten wurden
noch vor dem Fall der Mauer zu einem
Gastspiel nach Halle eingeladen. Es bestanden Kontakte zwischen den Leitungen,
die Händel-Gesellschaft Karlsruhe knüpfte
freundschaftliche Bande. Austausch,
Absprachen oder Koproduktionen fanden
nicht statt. Dieses gilt für beide Festivals.
1987 schlossen die Städte Halle und Karlsruhe einen Städtepartnerschaftsvertrag.
Ich bin sicher, dass Georg Friedrich Händel
Pate gestanden hat!
Ein berühmtes Projekt war PASTICCIO,
bei dem man in Karlsruhe versuchte, das
barocke Baukastenprinzip im Musiktheater zu rekonstruieren. Wie kam es zu
diesem Experiment? Welche Absichten
standen dahinter? Ist es gelungen?
Pasticco war eine echte Festspielidee,
eine Besonderheit in der Reihe der sieben
bis 1984 inszenierten Opern und ein geistreicher Beitrag zu den ersten HÄNDELFESTSPIELEN 1985. Der französische Regisseur Jean-Louis Martinoty, ein ausgewiesener Kenner händel’scher Opern und
barocker Musik, übernahm für sein Pasticco
die im 17. und 18. Jahrhundert gängige
Praxis, Stücke und Arien aus bereits vorhandenen Werken als neues, eigenes Werk
herauszubringen. Er erstellte hierfür einen
Themenkatalog – Monster, Feuer, Zauber,
Furien, Liebe … – und bediente diesen
aus den originellsten und bedeutendsten Szenen und Musiken Händels. Dabei
verzichtete Martinoty auf jede musikalische
Transposition in den auskomponierten
Nummern, auf jedes Neuschreiben irgendeiner Musik, auf jede Veränderung der Texte.
Das war ‚Händel pur’ und erntete Ovationen
für Ensemble, Orchester, das Leitungsteam Jean-Louis Martinoty, Jean-Claude
Malgoire, Bühnenbildner Heinz Balthes
und Kostümbildnerin Renate Schmitzer. Die
Inszenierung wurde als Koproduktion von
SWF, WDR, Antenne 2, Channel Four, ORF,
SRG, Televetia und Yleisradio verfilmt und
am 6. Oktober 1985 von der ARD als Eurovision erstausgestrahlt. Die Außenaufnahmen
drehten wir im italienischen Bormarzo,
einem Barockpark, der durch sein Skulpturenprogramm aus lauter mythologischen
Monstern berühmt ist.
Welche anderen prägenden Gestalten der
Karlsruher HÄNDEL-FESTSPIELE gab es?
Viele. Die Dirigenten Charles Farncombe,
Nicolas McGegan, René Jacobs, Roy Goodman; die Regisseure Jean-Louis Martinoty,
Ivo Cramér, Michael Hampe; die Countertenöre Paul Esswood, James Bowman,
Graham Pushee, Derek Lee Ragin, David
Cordier, Andreas Scholl, Robin Blaze.
Mehrfach war der Clare College Choir
Cambridge unter Timothy Brown gefeiertes
Gastensemble bei den Festspielen.
Wie stand Karlsruhe zur sozialistischen
Händel-Interpretation, wie sie in Halle
nicht nur theoretisch gepflegt wurde,
17
sondern auch praktisch durch die Oratorienaufführungen als „Volksoratorien“?
Sie berührte uns nicht. Eine politische
Vereinnahmung eines Komponisten war
für uns nicht vorstellbar.
In Halle, aber auch in der Bundesrepublik,
wurden Kastratenpartien konsequent
durch Baritone und Tenöre ersetzt. Wie
hielten Sie es in Karlsruhe?
Einerseits war die Zeit für eine adäquate
Besetzung der Kastratenpartien nicht reif
und deshalb geschmacklich nicht denkbar,
andererseits gab es keine Vertreter des
Stimmfaches ‚Countertenor’, so dass es
beim Einsatz von Bässen, Baritonen und
Tenören blieb oder bleiben musste. Für die
Karlsruher Vorstellungen war der Einsatz
von Countertenören unabdingbar und führte zu musikalischen Höhepunkten einer
Aufführung, die frenetisch gefeiert und
bejubelt wurden. Die Stars von heute!
Wie international war die Händelszene,
war Karlsruhe in den 70er und 80er Jahren?
International waren die Karlsruher
HÄNDEL-FESTSPIELE nicht nur durch die
Besetzungen und die Zusammensetzung
des Festspiel-Orchesters. 1986 wurde un18
ter meiner Leitung die INTERNATIONALE
HÄNDEL-AKADEMIE gegründet. Sie
stellte die wissenschaftliche Ergänzung
zur theaterpraktischen Arbeit dar, war
wichtige, in dieser Verbindung damals
beispiellose, Ausbildungsstätte für Sänger
und Instrumentalisten, die von prominenten Experten in der Interpretation
barocker Musik unterrichtet wurden.
Die jährlichen Symposien entwickelten
sich zu einem Forum der internationalen
Händelforschung. Ihre Beiträge wurden
publiziert und sind Referenzwerke für
Wissenschaftler und ausübende Künstler. Was die internationale Ausstrahlung
unserer Inszenierungen betrifft, so
wurden sie nach Luxemburg, Barcelona,
Straßburg, Warschau, Athen, Madrid und
Halle eingeladen. Das Kammerensemble
der DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
gastierte 1997 in Novosibirsk und die
Staatsoper Warschau 1988 im Rahmen
der HÄNDEL-FESTSPIELE mit Amadigi am
STAATSTHEATER KARLSRUHE.
Was sehen Sie als Ihre größte Leistung in
Bezug auf die Karlsruher HÄNDEL-FESTSPIELE an? Welches war und ist Ihr Lieblingsprojekt? Worauf sind Sie stolz?
… dass sie 1977 gegründet wurden und Sie
mich heute, 40 Jahre danach, um ein Inter-
view bitten! In der Publikumsgunst stehen
Händels Werke heute gleichwertig neben
denen von Mozart, Wagner und Strauss und
haben den ihnen gebührenden Platz gefunden, ja, sie sind ‚repertoirefähig’ geworden.
Lieblingsprojekt? Ich betrachte es als Geschenk, hieran mitgearbeitet zu haben.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der
Aufführungspraxis der letzten 40 Jahre?
Gibt es Dinge, die Ihnen Sorgen bereiten?
Wo sehen Sie Fortschritte?
Händel, in Karlsruhe eine Erfolgsgeschichte, von der man nur zu gern weitere
Kapitel erleben möchte! Voraussetzung
für eine erfolgreiche Weiterführung der
Karlsruher HÄNDEL-FESTSPIELE ist, dass
alle Verantwortlichen ihren einzigartigen
Wert erkennen und einzuschätzen wissen,
welche Bereicherung sie für die Karlsruher
Kulturszene bedeuten, welche Strahlkraft
und Anziehungskraft sie auch für das europäische Musikgeschehen haben. Deshalb
bereitet es mir mehr Unverständnis als
Sorge, dass die Existenz der Akademie
gefährdet sein soll. Sie könnte in der
Ausrichtung vielleicht neu bedacht, das
Programm in noch engerem Kontakt mit
der mitgestaltenden Staatlichen Hochschule für Musik abgestimmt und damit
noch effizienter werden. Mit ihrer Aufhe-
bung jedenfalls verlören die Karlsruher
HÄNDEL-FESTSPIELE ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal gegenüber den beiden
anderen deutschen Festspielen, denn nur
sie besitzen sowohl ein eigenes Festspielorchester, die DEUTSCHEN HÄNDELSOLISTEN, als auch die INTERNATIONALE
HÄNDEL-AKADEMIE. Gemeinsam mit der
HÄNDEL-GESELLSCHAFT KARLSRUHE
stehen sie für ein Zentrum internationaler
Händelpflege.
Der Leitung der Karlsruher HÄNDEL-FESTSPIELE gelten meine besten Wünsche für
einen erfolgreichen Verlauf der Festspiele
2017 und eine glückliche Hand für die der
kommenden Jahre!
Für die ehrenvolle Widmung des diesjährigen Festkonzertes der Deutschen HändelSolisten danke ich Ihnen sehr herzlich.
von
Michael Fichtenholz & Boris Kehrmann
19
20
RESIDENZSCHLOSS LUDWIGSBURG
21
SEMELE
Musikalisches Drama von Georg Friedrich Händel HWV59
Libretto nach William Congreve basierend auf „Metamorphosen“ von Ovid
Uraufführung am 10. Februar 1744 am Covent Garden Theatre in London
In englischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Aufführungsrechte Bärenreiter-Verlag, Kassel
Semele
Jupiter Athamas Juno
Ino
Iris
Cadmus Somnus Cupid
JENNIFER FRANCE
ED LYON
TERRY WEY
KATHARINE TIER
DILARA BAŞTAR
HANNAH BRADBURY
Ks. EDWARD GAUNTT
YANG XU
ILKIN ALPAY*
*Opernstudio
Musikalische Leitung
Regie
Bühne, Kostüme
Licht
Chorleitung
Dramaturgie
CHRISTOPHER MOULDS
FLORIS VISSER
GIDEON DAVEY
ALEX BROK
CARSTEN WIEBUSCH
KLAUS BERTISCH
PREMIERE FR 17.2. 19.00 GROSSES HAUS
Weitere Vorstellungen 19.2. 19.00, 23.2. 19.00, 25.2. 15.00, 28.2. 19.00
ca. 3 Stunden 30 Minuten, Pause nach dem 2. Akt
Wir danken der BBBank für die großzügige Unterstützung der Neuproduktion
22 OPER SEMELE
HÄNDEL-FESTSPIELCHOR
Sopran Clara-Sophie Bertram, Mariann Grieshaber, Chengchun Feng, Laura Kirchgässner,
Tanja Kraft, Carlotta Lipski, Sophie-Luise Stengel Alt Joanna Gall, Luise von Garnier,
Maria Kalmbach, Anne-Sophie Pied, Pauline Stöhr, Denise Strohmaier Tenor Alejandro
Benavides, Shichao Cheng, Deren Mehmet Edalag, Hannes Kehl, Wolfgang Müller, Tom
Maurice Volz Bass Yannik Hofmann, Dmitry Klenin, Leonhard Geiger, Daniel Pastewski,
Felix Seibert, Peter Woidelko
DEUTSCHE HÄNDEL-SOLISTEN
1. Violine Andrea Keller, Wolfgang von Kessinger, Christoph Timpe, Helmut Hausberg,
Michael Gusenbauer, Eva Scheytt 2. Violine Christoph Mayer, Almut Frenzel, Jana
Anýžová, Martin Kalista, Salma Sadek, Matthias Hummel Viola Jane Oldham, Klaus
Bundies, Gabrielle Kancachian, Cathi Aglibut Violoncello Gerhart Darmstadt, Bernhard
Hentrich, Markus Möllenbeck, Dmitri Dichtiar Violone David Sinclair, Michael Neuhaus
Cembalo Rien Voskuilen Laute Sören Leopold Oboe Susanne Regel, Aviad Gershoni,
Kristin Linde, Thomas Jahn Fagott Rhoda Patrick, Marita Schaar Horn Reneé Allen,
Karen Hübner Trompete Hannes Rux, Ute Rothkirch Pauke Peter Hartmann
STATISTERIE & KINDERSTATISTERIE DES BADISCHEN STAATSTHEATERS
Rimma Akhmetova, Cham Alhaghie, Wolfgang Beeh, Arnim Brosch, Antonio Colosimo,
Nils Cordes, Daniel Eschbach, Dagmar Hock, Witalij Kühne, Gunter Lutterbach, Tatjana
Maschnikowa, Christina Mohari, Stefan Pikora, Manfred Pfisterer, Philipp Remy,
Daiane Ribeira, Markus Schmidt, Walter Schreyeck, Chris Themi, Julian Vestring,
Hannelore Vollweiter, Stephanie Wendy
Musikalische Assistenz François Salignat, Olga Zheltikova Studienleitung Steven Moore
Regieassistenz Benjamin Cortez, Jodok Schweizer Bühnenbild-Assistenz Erika Hoppe
Kostümassistenz Adèle Lavillauroy Übertitel Pascal Paul Harang Inspizienz Gabriella
Muraro Leitung der Statisterie Oliver Reichenbacher
Technische Direktion Harald Fasslrinner, Ralf Haslinger Bühne Rudolf Bilfinger, Helga
Gmeiner, Ralf Haslinger, Stephan Ullrich, Margit Weber Leiter der Beleuchtung Stefan
Woinke Licht Christoph Häcker Leiter der Tonabteilung Stefan Raebel Ton Gunter Essig,
Jan Pallmer Leiter der Requisite Wolfgang Feger Werkstättenleiter Guido Schneitz
Malersaal Giuseppe Viva Leiter der Theaterplastiker Ladislaus Zaban Schreinerei Rouven
Bitsch Schlosserei Mario Weimar Polster- und Dekoabteilung Ute Wienberg, Bernhard
Busse Kostümdirektorin Christine Haller Gewandmeister/In Herren Petra Annette
Schreiber, Robert Harter Gewandmeisterinnen Damen Tatjana Graf, Karin Wörner, Annette
Gropp Waffenmeister Michael Paolone, Harald Heusinger Schuhmacherei Thomas
Mahler, Nicole Eyssele, Valentin Kaufmann Modisterei Diana Ferrara, Britta Hildebrandt
Kostümbearbeitung Andrea Meinköhn Chefmaskenbildner Raimund Ostertag Maske
Marion Kleinbub, Sotirios Noutsos, Inken Nagel, Niklas Klaiber, Dorothee Sonntag-Molz,
Jutta Kranz, Melanie Langenstein, Caro Maske, Kerstin Wieseler
SEMELE OPER
23
ZUM INHALT
Jupiter hat eine Affäre mit Semele, der
Tochter von König Kadmos. Als Jupiters
Gattin Juno davon erfährt, will sie alles
daransetzen, Semele zu vernichten, wobei
ihr jedes Mittel Recht ist.
darauf, nun endlich ungetrübt die Liebe zu
ihrem Idol bei einem Stelldichein genießen
zu können.
1. AKT
Juno hat Iris als ihre Informantin beauftragt, alles über die Affäre von Jupiter und
Semele in Erfahrung zu bringen. Iris berichtet, dass sich die beiden zurückgezogen haben, um ihre delikate Beziehung voll
auszukosten. Juno schwört Rache, doch
Iris warnt sie: Das Liebesnest der beiden
wird strengstens bewacht. Junos Plan
ist es, die Hilfe von Somnus in Anspruch
zu nehmen, der vielleicht weiß, wie die
Wachen zu überwinden sind.
König Kadmos hat sich von Juno überzeugen lassen, dass es gut wäre, seine
Tochter Semele mit dem Prinzen Athamas
zu verheiraten. Die Vorbereitungen zur
Feier sind in vollem Gange. Die Braut aber
erfindet eine Ausrede nach der anderen,
um nicht vor den Altar treten zu müssen. Sie will versuchen, den Vollzug der
Trauung aufzuschieben. Sie ist in Jupiter
verliebt und hofft, dass Jupiter ihr zu Hilfe
eilen wird, um die Heirat zu verhindern.
Athamas hingegen glaubt, dass die innere
Aufregung, kurz davor zu stehen in den
Bund der Ehe zu treten, der Grund für
Semeles Zögern ist.
Tatsächlich in großer Verwirrung befindet
sich Semeles Schwester Ino, denn sie ist
wirklich in Athamas verliebt und sieht nun
ihren Traum, mit Athamas vereint zu sein,
zerstört. Kadmos hofft, dass es nicht noch
einmal zu einem Aufschub kommt. Doch
plötzlich wird die Hochzeitszeremonie mit
großem Getöse unterbrochen und Semele
ist verschwunden. Die Feier ist geplatzt
und Athamas verzweifelt. Auch sieht er
Inos Kummer, ohne zu begreifen, dass er
der Grund dafür ist. Als Ino ihm gesteht,
hoffnungslos in ihn verliebt zu sein, kann
er es nicht glauben. In die Verwirrung der
beiden platzt Kadmos mit der Neuigkeit,
dass Semele entführt wurde und Jupiter
hinter allem steckt. Semele aber freut sich
24 OPER SEMELE
2. AKT
Cupido singt Semele in den Schlaf und hofft,
dass sie süße Träume haben wird. Als sie
wieder erwacht, bedauert sie, mit ihrem
Geliebten nur im Traum vereint gewesen zu
sein. Doch endlich kommt Jupiter wirklich.
Semele lässt ihn spüren, wie sehr sie sich
nach ihm sehnt und dass sie sich ein Leben
ohne ihn eigentlich nicht vorstellen kann.
Jupiter versucht ihr zu erläutern, dass es
keine gewöhnliche Beziehung zwischen
ihnen geben kann. Gleichzeitig will er aber
ihre Furcht zerstreuen und ihr so etwas wie
Exklusivität vorgaukeln. Semeles Verlangen
nach ihm scheint grenzenlos. Sie hofft auf
eine Beziehung, in der sie beide gleichwertig sind. Sie will unsterblich werden wie er.
Jupiter ist irritiert. Irgendwie muss er sie
von solchen Ideen abbringen. Während man
Semele rät, ihre Liebe zu genießen, arrangiert Jupiter einen Besuch von Semeles
Schwester Ino. Sie soll Semele auf andere
Gedanken bringen, was Jupiter die Gelegenheit gibt, sich aus dem Staub zu machen.
3. AKT
Juno und Iris statten Somnus einen Besuch
ab und reißen ihn aus dem Schlaf. Als ihm
die schöne Pasithea als Gespielin in Aussicht gestellt wird, ist er bereit, Juno zu helfen. Als Gegenleistung soll er die Wachen
bei Semele außer Gefecht setzen. Juno will
sich dann, in Gestalt von Semeles Schwester Ino, bei der Geliebten ihres Ehemannes
einschleichen. Somnus stimmt dem Plan zu.
Noch immer ist Semele unglücklich über
den Standesunterschied zwischen ihr und
ihrem Geliebten. Juno hat sich inzwischen
als Ino verkleidet und gibt ihrem Erstaunen
Ausdruck, wie schön Semele seit neuestem
sei. Das müsse von ihrem neuen Zustand
kommen: Semele ist schwanger. Und tatsächlich gefällt sich Semele selbst und ergeht sich in ihrer Eitelkeit. Nun soll es auch
die ganze Welt wissen und an ihrem Glück
teilhaben. Die vermeintliche Ino rät ihrer
Schwester, dass Jupiter sich auch als Privatmann mit Semele in aller Öffentlichkeit
präsentieren solle. Ein guter Rat – findet
zumindest Semele. Sich gemeinsam mit ihm
vor aller Welt zeigen zu können, also unsterblich zu sein wie er, das ist ihr Ziel. Als
Jupiter zu ihr kommt, um ein weiteres Mal
ein Schäferstündchen mit ihr zu verbringen,
öffnet Semele ihm ihr Herz und gibt ihrem
Verlangen unverblümt Ausdruck. Sie will
ihre Beziehung endlich legalisiert sehen.
Jupiter ist schockiert. Er hatte ihr versprochen, auf alle ihre Wünsche einzugehen.
Doch er weiß auch, dass solch ein Schritt in
die Öffentlichkeit Semele vernichten würde.
Die Geliebte aber besteht auf der Einhaltung seines Versprechens. Junos Triumph
scheint nicht mehr fern.
Als Jupiter Semeles Wunsch entspricht,
entlädt sich ein Blitzlichtgewitter über der
schwangeren jungen Frau. Das bedeutet
ihren Tod. Sterbend bereut Semele ihre
Ambitionen. Jupiter hat veranlasst, dass
Athamas und Ino zusammengeführt werden
und der von Semele verschmähte Bräutigam deren Schwester als seine neue Gattin
akzeptiert. Doch angesichts von Semeles
Tod kann sich niemand an dem neuen Glück
erfreuen, bis man erfährt, dass das Kind
der schwangeren Semeles gerettet werden
konnte. Als Bacchus wird es einmal Freude
unter die Menschen bringen.
von Klaus Bertisch
BESETZUNG
DER URAUFFÜHRUNG
Semele
Jupiter
Athamas
Juno/Ino
Iris
Cadmus/Somnus
ELISABETH DUPARC („La Francesina“) Sopran
JOHN BEARD Tenor
DANIEL SULLIVAN Countertenor
ESTHER YOUNG Alt
CHRISTINA MARIA AVOLIO Sopran
HENRY THEODORE REINHOLD Bass
SEMELE OPER
25
ZUM STÜCK
MYTHEN HEUTE,
ODER DIE WAHRE
GESTALT JUPITERS
Die griechischen und römischen Mythen dienten schon immer als Stoffe, mit
denen über Jahrhunderte Verbindungen,
Parallelen oder Hinweise mit und zu dem
echten Leben gesucht und geschaffen
wurden. Man feierte Könige, indem man sie
als Götter auf der Bühne darstellte, man
denunzierte Frauen, indem man geheime
Affären von Herrschern mit leichtlebigen
Geschöpfen versuchte anzuprangern. Die
Opernwelt ist voll von diesen Allegorien
auf das wahre Leben und es ist die Aufgabe eines jeden Zuschauers, die Aktualität
dieser Stoffe in den Vorstellungen aus den
Stücken herauszulesen. Diese Themen
haben alle Veränderungen, alle Reformen
des Genres überdauert. Zur Feier der
Götter, zur Feier von Herrschern und zur
Feier für das Publikum taugen die zahllosen Helden und Heldinnen ebenso wie zur
‚Erziehung’ der Zuschauer, um ihnen die
Aktualität historischer Ereignisse oder mythischer Erzählungen vor Augen zu führen
oder Parallelen zu ziehen zu ihrer eigenen
26 OPER SEMELE
Lage und Situation. Das Gestern wird zum
Abbild eines Heute. Auf diese Weise erhält
das Theater Vorbildcharakter. Es schafft
die Möglichkeit, aus dem Gesehenen und
Gehörten eine Lehre zu ziehen. Es wird,
wie Friedrich Schiller es formulierte, zur
‚moralischen Anstalt’. Und schon Aristoteles zog aus der Darstellung negativer
Ereignisse die Lehre, dass hieraus Furcht
und Mitleid zu erwecken wären. Zu Furcht
und Mitleid sollte dann als dritte Wirkung
im griechischen Theater die Katharsis, die
‚Reinigung’ treten – eine Erkenntnis, die
sich sowohl auf die Charaktere der gezeigten Handlung beziehen ließ als auch auf die
Zuschauer selbst.
Auch Georg Friedrich Händel hat sich
mehrfach Themen aus der Mythologie
zugewandt. Es war noch nicht die Zeit,
dass man seinen eigenen Zeitgenossen
auf der Bühne begegnen konnte. Wolfgang
Amadeus Mozart sollte der erste sein,
der in Le nozze di Figaro den einfachen
Menschen seiner eigenen Epoche in einer
Oper präsentierte. Mozart aber war ein
Mann der Aufklärung. Er interessierte
sich für die Entwicklungen seiner Zeit und
wollte diese auf sehr persönliche Weise
auf die Bühne bringen. Zu Händels Zeiten
war das noch nicht angesagt. Während
der Mensch der Aufklärung neugierig und
ihm ein gewisser Wissensdrang eigen war,
mit dem schließlich auch dem Absolutismus ein Ende bereitet wurde, stand im
Barock die Konsolidierung und der Erhalt
des Erreichten im Zentrum. Man wollte
eher die bestehende Ordnung zeigen,
hierarchische Strukturen befestigen, als
aufzuwiegeln und zu irritieren. Im Barock
ist es dem Individuum eigen, sich für die
bestehende Ordnung aufzuopfern. Dennoch waren Händels Stücke gefühlsgeladen und bedeutungsschwanger, wenn
das Publikum nur in den Emotionen und
Inhalten sich selbst erkennen konnte.
Auch das Dekorum, das für die Barockzeit
so kennzeichnend ist, zeigt sich in der
Musik in schmückenden Verzierungen und
ausufernden Koloraturen. Die Strenge der
musikalischen Form wird auf diese Weise
mit attraktiven Attributen angereichert,
die die scheinbar einschränkende Struktur
aufbrechen.
In dieser Hinsicht ist auch die Figur der
Semele zu interpretieren. Sie ist darstellbar
als ein Opfer der Zeit, in der sie als Figur
des Händel’schen Oratoriums geschaffen
wurde. Sie hatte eine Utopie, nämlich die
einer unkonventionellen Beziehung zu
einem Gott oder einer gottähnlichen Figur.
Sie musste scheitern. Am Ende wird die
barocke Ordnung mit dem Bild einer obsiegenden Göttergesellschaft bestätigt.
Es erstaunt, dass sich durchaus einige Parallelen zu Händel selbst und seinem künstlerischen Schaffen ziehen lassen, wenn
man die Ereignisse in diesem Oratorium
betrachtet. Ähnlich wie Semele von der sie
umgebenden Gesellschaft, wurde auch der
Komponist vom opernliebenden Londoner
Publikum fallen gelassen – auf Betreiben
von diversen ‚Göttern’ der Kulturlandschaft, weil seine eigenen Ansprüche
vielleicht zu hoch waren oder man ihm den
Erfolg nicht gönnte. Dennoch sollte man
sich besser hüten, in diesem Werk die
Biographie des Komponisten erkennen zu
wollen. Wundern aber darf man sich schon
angesichts solcher Ähnlichkeiten.
Wie aber kann ein Zuschauer des 21. Jahrhunderts diese Semele begreifen, ihren
Charakter aus dieser Allegorie auf das
wahre Leben herauslesen? Es war einer
theatralischen Aufführung, ob mit oder
ohne Musik, ob mit oder ohne Inszenierung,
schon immer eigen, dass in den betreffenden Werken dem Publikum ein Spiegel
vorgehalten werden sollte. Das war Sinn
und Zweck vor allem von szenischen Aufführungen. Was aber sehen wir im Spiegel
bei einer Aufführung von Semele?
Mit Deidamia (1741) hatte Händel seine
letzte Oper geschaffen und leider einen
Misserfolg gelandet. Das Werk Semele
jedoch zeigt, dass er mit dem Genre Oper
noch nicht abgeschlossen hatte. Die Zeit
hatte sich gegen ihn gekehrt und die Öffentlichkeit liebte ihn nicht mehr. Irgendwie
musste er geopfert werden, musste das
Publikum, das ihm ein paar Jahre zuvor
noch zu Füßen gelegen hatte, sich gegen
ihn kehren.
SEMELE OPER
27
Die unkonventionelle Form des Oratoriums erlaubte ihm quasi durch die Hintertür doch wieder mit einer Oper – auch
wenn er selbst das Stück nicht so nennt
– hervorzutreten. Es war wahrscheinlich
Händels ursprüngliche Absicht Semele
als ‚musikalisches Drama’ zu bezeichnen.
Weil es aber im festen Kanon der in jener
Zeit aufgeführten Stücke so etwas nicht
gab, versuchte man es unter die Oratorien
einzuordnen. Händels Coup war es, ein
weltliches Thema aus der römischen
Mythologie umzusetzen und nicht – wie
durch ihn selbst auch mehrfach geschehen –
ein religiöses beziehungsweise biblisches.
Die heute zur Verfügung stehende Partitur enthält keine Angaben zum Ort der
Handlung und auch keine Regieanweisungen. Für eine konzertante Aufführung, eine
Aufführung in einer Kirche, war das auch
nicht notwendig. Ein Komponist namens
John Eccles hatte den Stoff bereits 1707
als Oper vertont auf ein Libretto von William Congreve. Händel verwendete diesen
Text und ließ ihn von Newburgh Hamilton
überarbeiten. Da es sich also im Ursprung
um einen Text handelt, der für die Bühne
geschrieben wurde, sind theatralische
Gedanken, Entwicklungen und Effekte dem
Werk inhärent. Doch die Herausforderung
heute ist, dass man Lokalitäten definieren,
den Figuren einen Raum und eine Handlung
geben muss.
Musikalisch zeigt sich Händel hier von
seiner besten Seite. Der dritte Akt beispielsweise strotzt vor Einfallsreichtum
und Diversität. Eine Folge von sehr unterschiedlichen Nummern kreiert ein dramatisches Gefüge von besonderem Reichtum:
Semele zeigt sich als Geschöpf von größter
28 OPER SEMELE
Eitelkeit in ihrer Arie „Myself I shall adore“
mit Koloraturen, bei denen deutlich wird,
dass es schließlich auch ihre Selbstverliebtheit ist, die sie in den Tod führt. Hier
besiegelt sie ihr eigenes Schicksal. Das
darauf folgende Accompagnato-Rezitativ
Junos „Conjure him by his Oath“ steht für
das manipulative Machtspiel, die Inszenierung mit der die Gattin Jupiters Semeles
Untergang in Gang setzt. Auch weiß Juno,
welche Mittel sie einsetzen muss, womit
sie Semele reizen kann. Mit der Arie „Thus
let my thanks be pay’d“ zeigt sich kurz darauf Semele von einer ganz anderen, mehr
lyrischen Seite, mit internalisierten Gefühlen. Es folgt ein erneuter Umschwung:
Jupiter kehrt mit einem einfachen, um nicht
zu sagen simplistischen und bewusst auch
etwas langweiligen „Come to my Arms“
zur heimlichen Geliebten zurück, womit er
versucht, Semele ein weiteres Mal in sein
Bett zu ziehen! Der Komponist führt so in
kürzester Zeit eine Bandbreite an Emotionen auf, die seine wahre Meisterschaft
zeigen und gerade auch in ihrer theatralen
Qualität davon zeugen, wie ungerechtfertigt die Kritik an ihm als Opernkomponist
war. Am Ende des gesamten Werkes dann
ist es besonders erstaunlich, dass Händel
nicht mit ‚Pomp and Circumstance’ das
sogenannte Oratorium abschließt, sondern
den Tod Semeles eher klein und bescheiden gestaltet. Andere Komponisten hätten
hier sicherlich noch einmal Blech und
Pauken aufgefahren.
Das Schicksal der Semele kennen wir vor
allem aus den Metamorphosen des Ovid.
Dort wird die fatale Empfehlung von Juno,
verkleidet als Semeles Amme Beroe –
also nicht als ihre Schwester Ino wie bei
Elisabeth Duparc, die erste Semele
Händel, ausgesprochen: Semele solle von
ihrem Geliebten Jupiter verlangen, dass
er sich ihr in seiner wahren Gestalt zeige.
Dieser Trick, dieser hinterhältige Ratschlag,
gibt heutigen Lesern und Interpreten
gleichzeitig einen Schlüssel in die Hand,
wie man die Frage nach der ‚wahren
Gestalt’ heute lösen kann, wenn Ovid
Juno bemerken lässt: „Schon viele sind
unter dem Namen von Göttern in keusche
Gemächer eingedrungen.“ Also haben wir
freie Hand bei der Interpretation, denn wir
haben – sicher anno 2017 – Jupiter noch nie
gesehen. Und auch alle historischen Abbildungen des Gottes mit Lockenpracht und
Blitz in der Faust sind Interpretationen. Wir
wissen also gar nicht wie er in Wirklichkeit
aussieht oder jemals ausgesehen hat.
Wer sind diese Götter heute überhaupt?
Eine brennend-schwierige Frage für
Inszenatoren, die sich mit Augen des
21. Jahrhunderts einem mythologischen
Stoff nähern wollen. Wir kennen heute
die Götter in weiß mit ihrem Arztkittel und
deren Assistentinnen, die Götter am Schlager- oder am Sporthimmel und ihre Groupies. Meistens haben sie Geld, also haben
sie auch Macht. Und ab und zu dringt auch
etwas durch die geheimen Regierungstüren und -mauern von Affären von hohen
Politikern mit Hospitantinnen. Hier müssen
wir unseren Jupiter suchen. Ein hohes Tier,
wenn nicht das höchste überhaupt. Doch
noch immer haben wir die Frage nach der
‚wahren Gestalt’ nicht gelöst. Wie kann
Semele, das Groupie oder die Assistentin oder Hospitantin diese Gestalt denn
nicht kennen? Sie hat doch bereits mit ihm
geschlafen, sie ist von ihm geschwängert
worden! Die ‚wahre Gestalt’ ist im übertragenen Sinn zu verstehen. Der Machthaber
als er selbst, aber dann seine Affäre und
Beziehung eingestehend, sie öffentlich
machend. Eine unmögliche Forderung!
Zu Händels Zeiten, also im Barock und vor
allem im darauf folgenden Rokoko, waren
SEMELE OPER
29
erotische Eskapaden durchaus erlaubt, so
lange sie nicht ernst genommen wurden
oder die öffentliche Ordnung antasteten.
Die Geschichte ist reich an Beispielen
von Herrschern und ihren Mätressen, die
einmal selbst probierten, die Macht zu
erlangen, ein andermal zu Fall gebracht
wurden, weil sie nicht in das herrschende
Machgefüge passten. Wie viele Staatsmänner, Könige und Minister kamen nicht
zu Fall, weil Indiskretionen nach außen
drangen oder weil die Ambitionen der meist
jungen Damen das überschritten, was ihre
übergroßen Liebhaber (oder Götter) ihnen
zugestehen konnten. Die Masse aber richtet sich nach dem, was ihnen als Information zugespielt werden konnte. Dann muss
das schwächste Glied einer Kette brechen,
wird zerstört und vernichtet. Der Machthaber bleibt meistens der Stärkere. Und ein
kleines Mädchen, das vielleicht zu eitel, zu
ambitioniert, zu verliebt war, muss verbrennen. Das Blitzlichtgewitter der Yellow Press
zerstört, was vielleicht als kleiner Flirt oder
mit einer Nummer in der Besenkammer
begann und im Laufe der Zeit die Ausmaße
einer Staatsaffäre oder zumindest eines
handfesten Skandals angenommen hat.
Dabei ist in diesem Werk auch die Eitelkeit
oder sogar Hybris der Titelfigur durchaus ein
bestimmender Faktor. So wie man sich mit
dem Verführer Jupiter gleichzeitig identifizieren und ihn ablehnen kann, gilt dies auch
für das Mädchen Semele, deren Charme und
Jugend überzeugend sind, die aber auch
mit ihrem Drang nach Höherem und ihrer
Eitelkeit zwiespältig gesehen werden muss.
Sie ist der Versuchung erlegen, eine Affäre
mit einer höher gestellten Persönlichkeit zu
beginnen und so muss sie auch die Konse30 OPER SEMELE
quenzen tragen. So lange die bestehende
Ordnung nicht in Gefahr ist, ist alles erlaubt.
Doch wenn, so wie Jupiter und Juno, auch
die zerstrittensten Parteien wie Pech und
Schwefel zusammenhalten, wenn ihre
Eigenständigkeit oder gar ihre – gemeinsam
erworbene – Macht angetastet zu werden
droht, kann mit eigener Kraft eine Figur wie
Semele sich nicht mehr aus ihrer Lage befreien. Am Ende kommt Jupiter Clinton – und hier
ließen sich noch beliebig viele andere Nachnamen diverser Machthaber einfügen! –
noch einmal mit heiler Haut davon.
Glücklicherweise geht es dabei nicht um
das Erkennen oder gar Beurteilen von
Schuld oder Unschuld. Der Zuschauer
kann sich darüber amüsieren, kann Verbindungen zu seiner eigenen Zeit erkennen
und sich ein Beispiel vielleicht auch zu
Herzen nehmen.
Als Komponist macht sich Händel dabei zum
Anwalt seiner Titelfigur, indem er ihr die
schönste Musik gibt, die sich denken lässt
und entlarvt dabei die Doppelmoral einer
Öffentlichkeit, die in mythischer Vorzeit, zu
Händels Zeiten und eben auch heute gleichermaßen zutreffend ist. Er selbst hatte
Vergleichbares am eigenen Leib erfahren,
es aber dank seiner Kunst von sich fernhalten können. Interessanterweise waren
diverse sexuelle Anspielungen im Stück bei
der Uraufführung gestrichen, weil so etwas
in einem Oratorium nicht gewünscht und
auch nicht am richtigen Ort war.
Nun ja, die Götter wohnen überall!
Sie anzuflehn steht schwachen
Menschen schön.
Die Götter sind, wo Du bist – Semele …
Was hier Friedrich Schiller Juno in seiner
dramatischen Szene des gleichen Stoffes
ausdrücken lässt, hätten sich die Semeles
aller Zeiten merken müssen. Ob sie aber
danach gehandelt haben würden, bleibt
offen. Es wäre schade gewesen, denn dann
hätten wir ein paar wichtige Kunstwerke
weniger gehabt. Wir verstehen Semele als
eine Allegorie auf das wahre Leben, auf
alle bigotten Jupiters, alle keifende Junos
und alle naiv-ambitiösen Mädchen, die
glauben berühmt werden zu müssen um
somit ebenso unsterblich zu werden wie
die Männer, für die sie sich hergeben.
Der Sinnverlust der Gegenwart – und im
Moment des Schaffens hat jedes Kunstwerk seine Gegenwart – setzte schon immer kreative Kräfte frei. Und in Zeiten von
Orientierungslosigkeit und Werteverfall besinnt man sich gerne wieder auf bekannte
Größen und beispielhafte Lehren. Die Oper
aber hält die Stoffe aus mythologischer
Vorzeit am Leben und lässt sie uns häufig
moderner denn je erscheinen. Wir müssen
die antiken Stoffe mit unseren heutigen Augen lesen. Das Theater, und hier selbstverständlich auch oder gerade das Musiktheater, ist als Kunstform zu einer Mischung aus
Extase und Verstand geworden. Dies ist es
bis heute geblieben. Es kann zwar selbst
nicht gesellschaftliche Zustände verändern
oder Lösungen anbieten. Es kann aber
bewußt machen, kann Konflikte aufzeigen,
zu denen der Zuschauer Position beziehen
muß. Manchmal sogar mit überwältigend
schöner Musik und viel Humor.
von Klaus Bertisch
SEMELE OPER
31
KLAUS BERTISCH IM GESPRÄCH MIT REGISSEUR
FLORIS VISSER & DIRIGENT CHRISTOPHER MOULDS
DAS SPIEL
MIT DER MACHT
Wenn man den Klavierauszug von Georg
Friedrich Händels Semele aufschlägt,
steht als Stückbezeichnung unter dem
Titel ‚Oratorium’. Der Komponist hatte sich
in den Jahren der Entstehung tatsächlich
von dem Genre Oper abgewendet, sei es
aus Konkurrenzangst, aus Frustration über
die kulturellen Entwicklungen im London
jener Zeit oder aus welchem Grund auch
immer. Dennoch sind die dramatischen
Impulse, die sich im Werk finden nicht zu
verkennen. Im Gespräch mit dem Dirigenten Christopher Moulds und dem Regisseur Floris Visser ist die Frage ‚Oper oder
Oratorium’ der Ausgangspunkt, um sich
danach aber ganz schnell den Inhalten, die
den Besuchern der Vorstellung präsentiert
werden, zuzuwenden.
Christopher Moulds Eigentlich macht das
nicht so viel aus. Ich behandle das musikalische Material nicht wirklich anders. Dem
Chor kommt in einem Oratorium natürlich
eine wichtigere Rolle zu. In den Opern jener Zeit waren die Chorszenen wesentlich
kleiner. Aber wenn gesagt wird, dass ein
Oratorium weniger dramatisch sei, ist das
bei Semele sicher nicht richtig.
Klaus Bertisch Ist Semele nun wirklich ein
Oratorium oder doch eine Oper?
CM Und die erzählerische Entwicklung
funktioniert auch anders.
32 OPER SEMELE
Floris Visser Vielleicht ist die Tatsache,
dass Händel eine Orgel einsetzte ein Hinweis. Durch die Instrumentation kann man
vielleicht die Verbindung zur Kirchenmusik erkennen oder die Häufigkeit, mit der
der Chor eingesetzt wird. Auch sind die
Rezitative wesentlich kürzer als bei einer
‚echten’ Oper.
Floris Visser & Christopher Moulds
KB Vielleicht können wir deshalb auch so
wenig streichen, weil wir alle Informationen, die gegeben werden, für die Handlung
benötigen.
Opern waren auf Italienisch und niemand
in London konnte wirklich immer der Handlung folgen. Von Händel gibt es keine englischen Opern!
FV Das hat Konsequenzen für die Inszenierung, denn das Libretto ist eher abstrakt
und gibt wenig Andeutungen darüber, wo
wir uns befinden. Meine Phantasie ist viel
mehr gefragt. Ich muss erfinderisch zu
Werke gehen. Man muss sich mehr Situationen ausdenken, um einzelne Nummern
szenisch wirklich gestalten zu können.
FV Er musste es ‚Oratorium’ nennen, um
den Unterschied deutlich zu machen und
auch die Wende in seiner Karriere anzudeuten. Freunde waren ihm in den Rücken
gefallen. Sein Erfolg hatte nachgelassen.
Um weiter arbeiten zu können, um beim
Publikum wieder einen Eindruck zu machen, musste er sich selbst neu erfinden.
CM Bei den Oratorien in englischer Sprache wusste Händel, dass das, was er
schrieb, auch verstanden wurde. Seine
KB Kommt er nicht durch die Hintertür gerade mit Semele wieder zur Oper? Nennt er
das Werk nicht einfach ‚Oratorium’, um sich
SEMELE OPER
33
doch wieder mit einer Oper zu profilieren.
Immerhin war das Libretto ursprünglich ein
Text, der für eine Oper geschrieben war.
FV Außerdem ist es kein biblisches
Thema, das hier verhandelt wird wie in
Jephtha, Belshazzar oder etwa in Saul,
wo die Verbindung zur Kirche unmittelbar
deutlich wird.
CM Es war ja verboten, religiöse Themen
auf die Opernbühne zu bringen. Nun macht
Händel es umgekehrt. Er verwendet für ein
Oratorium ein mythologisches Thema.
FV Das war vielleicht auch der Skandal, den
Semele verursachte: Die Zuschauer hatten
ein biblisches Thema erwartet. Stattdessen
wurden sie mit einem Werk konfrontiert, in
dem es um Untreue ging. Die Leute waren
schockiert, weil es voll von Verbalerotik
war – für ein Oratorium eigentlich undenkbar. Man erwartete ein geistliches Werk
und wurde mit etwas sehr Weltlichem
konfrontiert. Hinzu treten humoristische
Elemente, die eine wichtige Rolle spielen.
Deshalb ist für mich als Regisseur die Frage, ob es ein Oratorium oder eine Oper ist,
relativ unerheblich. Ich behandle diesen
sehr opernhaften Stoff natürlich wie eine
echte Oper. Und Händel selbst greift auf
das zurück, was er am besten kann, nämlich
Opern schreiben. Er war ja auch ein Geschäftsmann. Er wollte Karten verkaufen.
34 OPER SEMELE
KB Über Humor gesprochen: Es war in den
achtziger und neunziger Jahren des 20.
Jahrhunderts sehr en vogue, Händel ironisch zu inszenieren. Welche Rolle spielt
hier der Humor wirklich und was ist das
Rezept, die unterschiedlichen Elemente
heute sinnvoll auf die Bühne zu bringen?
FV Es ist für mich ein Stück über das Leben
und deshalb sind die Emotionen genau
so wichtig. Es hat Witz. Ich will nicht im
voraus festlegen, tragische oder komische
Szenen zu machen. Die Komödie ergibt
sich aus den Situationen. Die Darsteller
müssen ihre Szenen ernst nehmen, um
sich behaupten zu können und erst aus
dem Zusammenspiel ergibt sich, ob der
Zuschauer dann lachen oder weinen muss.
Wir werden bei Händel mit dem Leben
selbst konfrontiert.
KB Und wie ist das in der Musik?
CM In Händels Opern, etwa bei Xerxes, ist
der Humor, aber auch die Tragik, viel mehr
auskomponiert. Hier zeigt sich das Alles
viel subtiler. In diesem Sinne ist die Musik
selbst hier vielleicht weniger theatralisch.
FV Man kann „Endless pleasure, endless
love“ von Semele im ersten Akt natürlich
vollkommen seriös nehmen. Aber wir haben hier ein verwöhntes Kind vor uns, das
gar nicht merkt, welchem Schicksal es
sich selbst ausliefert, oder wenn Juno im
dritten Akt feiert, dass sie schlussendlich
Semele besiegt und überwunden hat. Das
geschieht alles mit einem solchen Überschwang, dem man entsprechend szenisch
auch begegnen muss. Aber man kann
dieser Ausgelassenheit oft auch nicht vertrauen. Wenn etwas heroisch erscheint,
ist das oft falscher Heroismus, wenn
etwas ausbündig gefeiert wird, folgt der
Untergang sicher bald auf dem Fuße. Juno
ist häufig sehr zynisch in der Weise wie sie
Semele behandelt.
KB Du hast Dich dementsprechend auch
für einen ‚realistischen’ Angang entschlossen. Wir nehmen die Charaktere und ihre
Gefühle ernst. Aber wir transportieren sie
in unsere Zeit. Was ist modern an diesen
Figuren und an diesem Stück?
FV Modern ist vor allem das Machtspiel,
das in dem Stück verhandelt wird, besonders wenn wir an das heutige Amerika
denken. Alles wird im Licht der Öffentlichkeit ausgetragen. Für die eigene Karriere
gehen Menschen über Leichen. Da ist
man bei Figuren wie Juno und Jupiter
schnell bei den großen Repräsentanten
der Macht unserer westlichen Welt. Beide
machen sich gleichermaßen schuldig am
Untergang von Semele. Juno setzt das
zwar in Gang, aber auch Jupiter weiß,
was er anrichtet, sobald er sein Auge auf
Semele geworfen hat, das Mädchen sich
in ihn verleibt hat und er seine Hände nicht
bei sich halten kann. Da sind die Clintons
und die Affäre um Monica Lewinsky nicht
weit! Und das ist auch nur ein Beispiel.
Alle haben ihre dunklen Seiten. Es geht um
das Spiel mit der Macht. Juno und Jupiter,
oder Hillary und Bill, können untereinander
streiten so viel sie wollen, aber sobald sich
jemand zu dicht an sie heranwagt und das
Machtgefüge damit gefährdet, muss diese
Person geopfert werden. Die Serie House
of Cards war dabei für uns auch eine wichtige Referenz.
KB Was heißt das für die Musik? Kann man
da auch mit Realismus argumentieren?
CM Auch die Musik ist realistisch in diesem Sinne, denn sie kommt direkt aus dem
Herzen. Ich denke nicht, dass Händel sich
vorgenommen hat, nur formale Aspekte
zu erfüllen. Auch wenn er sich an Formen
hielt, wollte er die Emotionen deutlich
machen und damit seine Zuhörer und Zuschauer erreichen.
FV Dennoch ist die Form sehr bestimmend.
Natürlich ist die da-capo Arie das Rückgrat
der Barockoper oder des Oratoriums dieser Zeit. Interessant wird es immer dann,
wenn Komponisten wie Händel oder auch
der junge Mozart beginnen, mit der Form
zu spielen, wenn sie ein Secco-Rezitativ
SEMELE OPER
35
aufbrechen, um ein Accompagnato einzufügen. Das sind Schlüsselmomente, die
für einen Regisseur extrem wichtig sind.
In Semele sind es häufig die Chorszenen,
die durch zahlreiche kleine Einschüben die
Form völlig neu erscheinen lassen. Solche
Erfindungen sind typisch Händel. Das
macht seine Kreativität aus!
FV Ein anderer Komponist hätte da vielleicht eine große Arie mit viel Blech und
Pauken geschrieben. Händel aber versteht
das Drama. Es wird ein kleiner, fast zärtlicher Liebestod, inspiriert von der originalen Quelle, den Metamorphosen des Ovid.
Da versteht Händel die menschliche Seite
der Götter und bringt das so zum Ausdruck.
KB Ist das für Dich eine Herausforderung?
KB Wie gehst Du überhaupt mit Göttern
auf der Bühne um? Ist das nicht heute besonders schwierig und schwierig vor allem
auch bei einem realistischen Angang? Was
ist Unsterblichkeit heute?
FV Absolut! Manchmal besteht ein Text
nur aus vier Sätzen, die dann scheinbar
endlos wiederholt werden. Für jede Wiederholung, jede Phrase, jeden Abschnitt
muss man eine Aktion finden, eine Haltung, eine Emotion, um die Musik zu rechtfertigen. Was ich inszeniere kommt immer
direkt aus der Musik. Der Impetus, den die
Musik hat, bestimmt selbst das Bühnenbild. Da muss es dann bei einem bestimmten Moment eine Kirche, das Pantheon
oder etwas Ähnliches sein. Musikalische
Ornamente müssen eine Bedeutung haben
und nicht Selbstzweck sein. Da arbeiten
Chris und ich auch sehr eng zusammen
und versuchen Dinge gemeinsam zu entwickeln und zu bestimmen. Übergänge, Pausen müssen dramatisch motiviert sein.
CM Zum Beispiel, wenn Semele in ihrer
Todesszene anfängt zu sprechen: Das war
völlig neu! Ist aber natürlich inhaltlich
motiviert.
36 OPER SEMELE
FV Ja, das war enorm kompliziert. Aber wir
haben den Schlüssel gefunden in der Rolle, den die Öffentlichkeit heute spielt. Die
Presse macht bestimmte Figuren zu Ikonen,
macht sie gewissermaßen unsterblich, und
kann sie im gleichen Augenblick wieder fallen lassen und zerstören. Die Gesellschaft
kann dich unsterblich werden lassen, sowohl im positiven wie im negativen Sinne.
Da ist Monica Lewinsky sicher ein gutes
Beispiel. Man erinnert sich an sie als die
Mätresse des Präsidenten, ob Clinton jetzt
die Situation ausgenutzt hat oder nicht. Wir
alle lieben doch negative Schlagzeilen. Es
geht um die Scheinheiligkeit, mit der die Gesellschaft nach Ikonen verlangt, sich aber
das Recht nimmt, sie auch gleich wieder zu
verurteilen und zu vernichten.
Dilara Baștar, Terry Wey, Jennifer France, Ks. Edward Gauntt in den Proben zu Semele
KB Ist das vielleicht auch etwas, was
Händel als Thema besonders interessierte.
Er wollte sich nicht konform aller Erwartungen verhalten. Hat in jener Zeit ein
Opernangebot abgelehnt und sich in einem
neuen Genre ausprobiert.
CM Er hatte Misserfolge, wurde krank und
kam wieder hoch wie der Phönix aus der
Asche. Er war selbst eine Ikone und konnte sich als solche auch behaupten.
affäre! Und die Form gibt mir eine große
Freiheit. Ich will natürlich eine Geschichte
erzählen. Das ist das Fundament, aber die
da-capo Struktur gibt mir die Möglichkeit,
ein breites Spektrum an Emotionen zu
zeigen. Ich hatte zunächst eine Reserviertheit gegenüber dem Stück, aber als ich die
Verbindung zu unserer eigenen Zeit gefunden hatte, war ich überzeugt, dass wir
dieses Oratorium auf die Bühne bringen
müssen.
FV Wir wollen doch alle nur zu gerne unsterblich werden, wissen aber gleichzeitig,
dass wir im Scheinwerferlicht verbrennen.
Unsere Zeit ist voll von diesen Beispielen,
von Amy Winehouse bis Kurt Cobain; ich
denke auch an jemanden wie Marylin
Monroe, gleichfalls eine PräsidentenSEMELE OPER
37
CHRISTOPHER MOULDS Musikalische Leitung
Christopher Moulds stammt aus Halifax
und studierte Klavier und Dirigieren unter
anderem an der Guildhall School of Music
and Drama und am Royal College of Music.
Von 1994 bis 1998 war er Chordirektor in
Glyndebourne und leitete Aufführungen
von La clemenza di Tito, Carmen und Birtwistles The Last Supper für die Glyndebourne Touring Opera.
An der Bayerischen Staatsoper München
dirigierte Christopher Moulds Monteverdis
Il ritorno d’Ulisse, Cavallis La Calisto und
Händels Ariodante sowie Alcina und Orlando bei den Münchner Opernfestspielen.
Für die Salzburger Festspiele dirigierte er
La clemenza di Tito mit den Wiener Philharmonikern. 2003 gab Christopher Moulds
sein Debüt an der Nederlandse Opera in
Amsterdam mit dem Concerto Köln in einer
Neuproduktion von Händels Samson. Er
dirigierte darüber hinaus Die Zauberflöte
am Grand Théâtre Luxembourg mit der
38 OPER SEMELE
Camerata Salzburg, Ariodante sowie Die
Zauberflöte an der English National Opera,
L’Orfeo und Radamisto an der Opera North
sowie Konzerte mit dem London Philharmonic Orchestra, dem Mozarteum Orchester
Salzburg und der Akademie für Alte Musik
Berlin. Er gab sein Debüt an der Opéra de
Lyon mit Don Giovanni, am Theater an der
Wien mit L’incoronazione di Poppea und
am Bolschoi-Theater in Moskau mit Die
Zauberflöte und Don Giovanni. Zu seinen
zukünftigen Projekten zählen La finta
giardiniera für die Glyndebourne Touring
Opera und Il re pastore in Winterthur, eine
Produktion des Opernhaus Zürich, sowie
Wiederaufnahmen von Die Entführung aus
dem Serail an der Staatsoper im Schiller
Theater Berlin, Ariodante am Aalto Theater
Essen und Monteverdis L’Orfeo an der
Bayerischen Staatsoper München.
FLORIS VISSER Regie
Floris Visser, geboren in Amsterdam, gehört
zu den international gefragten Opernregisseuren der jüngeren Generation. Seit 2013
hat er zudem die Leitung der Operncompagnie Opera Trionfo aus Amsterdam inne. Er
studierte Regie und Schauspiel an der Akademie für Darstellende Künste in Maastricht
sowie Klassischen Gesang am Königlichen
Konservatorium in Den Haag. Nach seinem Abschluss assistierte er mehrfach an
der Opernakademie in Den Haag, sowie
bei Willy Decker an De Nationale Opera
Amsterdam. Er gab außerdem szenischen
Unterricht und Dramaturgiekurse für junge
Sänger an verschiedenen Konservatorien
in den Niederlanden. Er ist ein vielgefragter
Dozent bei Workshops und Meisterkursen.
Beim internationalen Theaterfestival in
Amsterdam führte er Regie bei Poulencs
La Voix humaine. Es folgten unter anderem
Händels Agrippina am Königlichen Theater
Den Haag und am Teatro Communale Modena, Mozarts La clemenza di Tito am Lucent
Danstheater Den Haag und Anghiari Festival,
Rossinis Il signor Bruschino am Concertgebouw Amsterdam und Konzerthaus Berlin
und Bizets Carmen in Delft. 2011 adaptierte
er Viktor Jerofejevs Erzählung und Alfred
Schnittkes Oper Leben mit einem Idioten
zum 25-jährigen Jubiläums des Muziektheaters Amsterdam. Zu Floris Vissers jüngsten
Inszenierungen gehören Mozarts Così fan
tutte am Bolschoi Theater Moskau, Brittens
Owen Wingrave an der Opera Trionfo, Glucks
Orphée et Eurydice für De Nederlandse
Reisopera, Puccinis La Bohème in Osnabrück
und Janácĕks Jenůfa an der Staatsoper Hannover. 2013 erhielt Floris Visser den Charlotte
Köhler Preis. Seine Inszenierung von Orphée
et Eurydice wurde vom «Opernmagazin» in
den Niederlanden zur Oper des Jahres 2015
ernannt. Am Opernhaus Zürich inszenierte
er 2016 die Uraufführung der Kinderoper Der
Zauberer von Oz. Floris Visser ist Professor
für Kulturwissenschaft an der Technischen
Universität Delft.
SEMELE OPER
39
GIDEON DAVEY Bühne & Kostüme
Gideon Davey stammt aus Bristol und ist
ein vielgefragter Bühnen- und Kostümbildner. Er wurde mit zahlreichen Preisen
ausgezeichnet, so als Kostümbildner des
Jahres in der Opernwelt und erhielt den
Österreichischen Theaterpreis als Ausstatter des Jahres. Für Floris Visser entwarf er das Bühnenbild zu Così fan tutte
am Bolshoi Theater in Moskau, sowie Bühnenbild und Kostüme zur Uraufführung von
Der Zauberer von Oz am Opernhaus Zürich.
Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn
mit dem Regisseur David Alden, mit dem
er Luisa Miller in Lyon, Radamisto für die
English National Opera, Der Ring des Nibelungen, La forza del destino und Il ritorno
d’Ulisse in patria in München, Alcina in
Berlin, Giasone beim Spoleto Festival, Don
Giovanni in Köln, die Uraufführung von
Powder Her Face am Almeida Theatre London, Die Meistersinger von Nürnberg in
Amsterdam, sowie Der Zigeunerbaron und
Faust an der Volksoper Wien erarbeitet
40 OPER SEMELE
hat. Er arbeitet regelmäßig mit Regisseuren
wie Robert Carsen – Agrippina, Platée
am Theater an der Wien und der Opéra
Comique in Paris, Armide am Théâtre des
Champs-Elysées, Rinaldo in Glyndebourne
und Das schlaue Füchslein in Strassburg
und Lille – und Andreas Homoki, für Roméo
et Juliette in München, La traviata in Dresden, Der Rosenkavalier und die Uraufführung Robin Hood an der Komischen Oper
Berlin, David et Jonathas in Aix-en-Provence, sowie Luisa Miller in Hamburg. Weitere
Arbeiten waren Rossis Orfeo in Regie von
Jetske Mijnssen in Nancy, Bordeaux und
Versailles, L’Orontea mit Wally Sutcliffe in
Frankfurt, sowie Tancredi am Theater an
der Wien und Acis und Galatea in Innsbruck mit Stephen Lawless. Zu seinen Zukunftsplänen gehören Wozzeck am Theater
an der Wien, Loreley beim Festival in St.
Gallen, Lohengrin am Royal Opera House
in London, Idomeneo und Maria Stuarda in
Zürich und Eugen Onegin in Graz.
CARSTEN WIEBUSCH Chorleitung
Carsten Wiebusch, geboren 1969 in Göttingen, studierte an den Musikhochschulen
Düsseldorf und Stuttgart sowie an der
Folkwanghochschule in Essen. Dabei gehörten Hans-Dieter Möller und Jon Laukvik, Orgel, Ralf Otto, Dirigieren und Thomas
Palm, Klavier, zu seinen prägenden
Lehrern. Er errang verschiedene Preise bei
internationalen Orgelwettbewerben, so
den August-Gottfried-Ritter-Wettbewerb
Magdeburg 1995 und Johann-SebastianBach-Preis Wiesbaden, 1. Preis 1995, und
konzertierte in zahlreichen europäischen
Ländern, in Russland und den USA. 1993
bis 1999 war er Organist an der spätromantischen Walcker-Orgel in Essen-Werden.
Seit 1999 ist Carsten Wiebusch Kantor
und Organist der Christuskirche Karlsruhe,
einem der kirchenmusikalischen Zentren Südwestdeutschlands. Neben einer
umfangreichen Orgelkonzerttätigkeit,
zum Beispiel der Gesamtaufführung des
Bach’schen Orgelwerkes, leitet er an der
Christuskirche den Oratorienchor Karlsruhe und den Kammerchor, der sich einen
hervorragenden Ruf als einer der führenden Chöre der Region erworben hat und
bei Festivals wie den Moselfestwochen
oder den HÄNDEL-FESTSPIELEN zu Gast
war. Carsten Wiebusch hat bereits sowohl
nahezu alle wichtigen Oratorien wie auch
eine Reihe Karlsruher Erstaufführungen
wie Messiaen oder Tippett dirigiert.
Schwerpunkte seines Orgelrepertoires bilden die Werke Bachs, Regers, der französischen Romantik und der klassischen Moderne. Mehrere Komponisten schrieben
Werke für ihn, zuletzt spielte er 2012 eine
Uraufführung eines großen Orgelwerkes
von Wolfgang Rihm. Als Organist, Dirigent
und Klavierbegleiter liegen eine Reihe von
Rundfunk- und Fernsehaufnahmen vor.
Seit 2000 unterrichtet er eine Orgelklasse
an der Musikhochschule Karlsruhe.
SEMELE OPER
41
ALEX BROK Licht
KLAUS BERTISCH Dramaturgie
Der Lichtdesigner Alex Brok studierte in
Amsterdam. 1999 setzte er sein Studium
in den USA fort. Dort schuf er zahlreiche
Entwürfe für die Theaterfakultät Stanford
und die San Francisco Opera. Nach seiner
Rückkehr in die Niederlande arbeitete er als
Lichtdesigner für Oper, Schauspiel und Tanz
mit führenden Regisseuren und Choreographen in ganz Europa und setzte die Konzepte
bedeutender Bühnenbildner ins rechte
Licht. Mit Floris Visser arbeitete er bei La
clemenza di Tito, Carmen, Owen Wingrave,
La Bohème, Agrippina oder Jenufa. Er schuf
das Licht für die von der Kritik hochgelobte
Produktion von Così fan tutte in Moskau,
sowie für Orphée et Eurydice von De Nederlandse Reisopera, beide ebenfalls in Regie
von Floris Visser. Zukünftige Projekte sind
Uraufführungen bei De Nationale Opera
Amsterdam, La traviata bei De Nederlandse
Reisopera, Mosé in Egitto bei den Bregenzer
Festspielen und Il trittico an der Bayerischen Staatsoper München.
Klaus Bertisch begann als Dramaturg an der
Oper Frankfurt. Von 1987–1990 arbeitete er
als Dramaturg und Autor für das Siemens
Kultur Programm in München. Seit 1990 ist
er Chefdramaturg an De Nationale Opera
Amsterdam. Inzwischen wird er auch häufig
als Regisseur gefragt und hat sich auf szenische Recitals spezialisiert. In Amsterdam
inszenierte er Lehárs Die lustige Witwe und
Schostakovitchs Fragment Die Spieler. Er
arbeitete mit Regisseuren wie Willy Decker
in Amsterdam, Leipzig, Dresden, Salzburg
und Barcelona, mit Dale Duesing in Berlin,
Floris Visser in Moskau und Pierre Audi
in Amsterdam, Brüssel, Madrid, Salzburg,
Ruhrtriennale. Er unterrichtete am Operastudio Nederland und an der Universität von
Amsterdam, sowie in Aix-en-Provence. Zu
seinen Veröffentlichungen zählen die Sammlung Schwanenmärchen, ein Band über
die Regisseurin Ruth Berghaus, sowie die
Biografie über den Komponisten Leo Smit
Unerhörtes Talent.
42 OPER SEMELE
JENNIFER FRANCE Semele
ED LYON Jupiter
Sie studierte am Royal Northern College of
Music und an der Royal Academy of Music
in London. 2014 gewann sie den Liedpreis
der Kathleen Ferrier Awards. Engagements
führten sie an die Garsington Opera, Opera
North, Opera Holland Park und British Youth
Opera, zum BBC Symphony Orchestra und
zum Winterthur-Festival.
Der britische Tenor studierte am St. Johns
College Cambridge und an der Royal Academy of Music. Seine Konzertengagements
umfassen Auftritte mit dem Mozarteum
Orchester Salzburg, Les Arts Florissants,
BBC Symphony Orchestra, Konzerte beim
Edinburgh International Festival und bei
BBC Proms. Auf der Opernbühne war Ed
Lyon bereits unter anderem in der Titelpartie von Orfeo beim Festival in Aix-en-Provence zu erleben. Am Royal Opera House
Covent Garden sang er Lysander in Brittens
Sommernachtstraum und Hylas in Die Trojaner. Des Weiteren sang er in Monteverdis
Krönung der Poppea und Il ritorno d’Ulisse
in patria an der Netherlands Opera, Hyllus
in Händels Hercules in London und New
York. Beim Glyndebourne Festival kreierte
er verschiedene Tenor-Partien in Purcells
The Fairy Queen sowie die männliche
Titelpartie in Rameaus Hippolyte et Aricie.
2013/14 gastierte er als Don Ottavio in Mozarts Don Giovanni an der Scottish Opera.
In dieser Spielzeit gastiert sie als Beethovens Marzelline und Mozarts Susanna beim
Orchestre de Chambre de Paris und an
der Garsington Opera, als Ophelia in Brett
Deans Hamlet bei Glyndebourne On Tour,
als Esilena in Händels Rodrigo bei La Nuova
Musica in Florenz, als Giulia in Rossinis
Seidener Leiter an der Scottish Opera und
als Zerbinetta in Ariadne auf Naxos an der
Nederlandse Reisopera. Außerdem stehen
ihre Debüts am Londoner Covent Garden,
der Nederlandse Opera Amsterdam und der
Hamburgischen Staatsoper an. Für Hyperion spielte sie die Lieder von Debussy ein.
SEMELE OPER
43
TERRY WEY Athamas
KATHARINE TIER Juno
Terry Wey, für das Fachmagazin Fono
Forum inzwischen einer der Besten seines
Faches, ist ständiger Gast der wichtigsten
Barock-Festivals und arbeitet regelmäßig
mit den bedeutendsten Dirigenten dieses
Repertoires zusammen. In Karlsruhe kennt
man ihn bereits aus den Händelopern
Partenope und Teseo. Wichtige Konzertverpflichtungen fuhren den Countertenor
unter anderem nach Amsterdam, Stuttgart,
Lissabon und in die Londoner Wigmore Hall.
Mit dem Boston Early Music Festival trat er
beim Festival MusicaDia von Radio Bremen
in der Oper Niobe von Agostino Steffani
auf. In Seattle folgte sein US-Debüt in
beiden Passionen von J. S. Bach. Im Wiener
Konzerthaus begeisterte er in Bachs Messe
h-moll. Zu den wichtigsten Verpflichtungen
der vergangenen Spielzeiten zählen unter
anderen Bachs Messe h-moll in Luzern und
seine Rückkehr zu den Händelfestspielen
Halle als Ruggiero in Alcina.
Als ehemaliges Mitglied des Adler Fellowship Programs der San Francisco Opera
trat die australische Mezzosopranistin an
zahlreichen internationalen Opernhäusern
auf, darunter an der San Francisco Opera
und an der Deutschen Oper Berlin.
44 OPER SEMELE
Seit der Spielzeit 2011/12 ist sie am
STAATSTHEATER engagiert und war hier
bereits als Didon in Die Trojaner sowie als
Octavian in Der Rosenkavalier, als Grand
Vestale in Die Vestalin, als Krystina in
Die Passagierin, als Mrs. Sedley in Peter
Grimes, in der Titelpartie von Carmen
sowie als Waltraute und als Zweite Norn im
Ring des Nibelungen zu hören. Zuletzt sang
sie Kitty Oppenheimer in Doctor Atomic,
Orlofsky in Die Fledermaus, die Titelpartie
in Iphigenie auf Tauris oder Brangäne in
Tristan und Isolde. In der Spielzeit 2016/17
singt sie unter anderem Fricka und Waltraute in Die Walküre und Fricka in der Wiederaufnahme von Das Rheingold.
DILARA BAŞTAR Ino
Ks. EDWARD GAUNTT Cadmus
Die türkische Mezzosopranistin wurde
1988 in Istanbul geboren. 2002 begann sie
ihr Musikstudium am Staatlichen Konservatorium der Universität Istanbul, das
sie 2006 am Staatlichen Konservatorium
der Mimar Sinan-Universität fortsetzte.
Die Sängerin ist Preisträgerin mehrere
Gesangswettbewerbe, darunter der Erste
Preis des Siemens Gesangswettbewerbs
in der Türkei, mit dem sie 2012/13 einen
Platz im Karlsruher OPERNSTUDIO
gewann.
Edward Gauntt ist gebürtiger Texaner.
Er schloss sein Musikstudium an der
Baylor University in Waco, Texas, mit Auszeichnung ab. Für die Universität für Musik
und Darstellende Kunst Wien erhielt er ein
Stipendium. Seit 1985 ist er Ensemblemitglied am STAATSTHEATER KARLSRUHE.
2006 wurde ihm der Titel Kammersänger
verliehen. In den vergangenen Spielzeiten
sang er untere anderem Sulpice in Die
Regimentstochter, Peter in Hänsel und
Gretel, Monterone in Rigoletto. Es folgten
Partien wie Beckmesser in Die Meistersinger von Nürnberg und Faninal in Der
Rosenkavalier. Im Juli 2015 gestaltete er
anlässlich seines 30jährigen Bühnenjubiläums in Karlsruhe einen Liederabend
Populär mit einem Crossover von Gospel
bis Klassik.
Am STAATSTHEATER sang sie Cherubino
in Die Hochzeit des Figaro, Hannah in Die
Passagierin oder Pasqualita in Doctor
Atomic. Zur Spielzeit 2014/15 wurde Dilara
Baştar fest ins Karlsruher Opernensemble
übernommen und war in der Titelpartie in
Fantasio, als Dorabella in Così fan tutte und
als Romeo in Bellinis I Capuleti e i Montecchi zu erleben. 2016/17 singt sie Ino in
Semele und Sesto in La clemenza di Tito.
In der Spielzeit 2016/17 ist er als Dulcamara in Der Liebestrank und als Alfred
P. Doolittle in My Fair Lady zu erleben.
SEMELE OPER
45
HANNAH BRADBURY Iris
YANG XU Somnus
Die englische Sopranistin Hannah Bradbury wurde soeben für ihre Verkörperung
der Lisa in Bellinis La Sonnambula am
Salzburger Landestheater mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis als Beste
Nachwuchskünstlerin 2016 ausgezeichnet.
Sie gehörte dem Ensemble des Hauses von
2014 bis 2016 an und sang dort Partien wie
Fiorilla in Rossinis Il Turco in Italia, Marzelline in Fidelio und Zerlina in Don Giovanni.
Der chinesische Bassbariton Yang Xu
wurde 1985 in Hegang im Nordosten des
Landes geboren. 2003 nahm er sein Studium
am Zentralen Konservatorium für Musik
Beijing auf. Auf den Bühnen des Jahrhunderttheaters und des National Centre for
the Performing Arts Beijing debütierte er
2005 als Douphol in La Traviata, als Zweiter
Geharnischter in Die Zauberflöte und Onkel
Bonze in Madama Butterfly. 2010 war er
in Moskau als Gremin in Eugen Onegin zu
hören. Ab 2011 setzte er sein Studium bei
Maria Venuti in Karlsruhe fort. 2013 bis
2015 war er Mitglied im Opernstudio des
STAATSTHEATERS KARLSRUHE, wo er als
Graf Ribbing in Ein Maskenball oder Hahnkerl in der Kinderoper Wo die wilden Kerle
wohnen, sowie als Skythe in Iphigenie
auf Tauris zu erleben war. Seit 2016 ist er
Ensemblemitglied des STAATSTHEATERS,
wo er als Lorenzo in I Capuleti e i Montecchi oder Fasolt in Das Rheingold auf sich
aufmerksam machte.
Bradbury schloss ihr Studium an der
Londoner Royal Academy of Music 2011 mit
Auszeichnung ab und besuchte danach die
Niederländische Opernakademie. Anschließend wechselte sie ans Internationale
Opernstudio der Oper Zürich. Hier hatte
sie Gelegenheit, die Barena in Janàceks
Jenufa, Musetta in La Bohème und Elisetta
in Cimarosas Heimlicher Ehe zu singen. 2013
debütierte sie an der Oper Rom in Wagners
Rienzi. 2014 kehrte sie als Frasquita in
Carmen dorthin zurück.
46 OPER SEMELE
ILKIN ALPAY Cupid
Die türkische Sopranistin wurde 1990 in
Ankara geboren. Als Sängerin im Staatlichen Kinderchor stand sie in verschiedenen Opern- und Ballettproduktionen, wie
Turandot, I Pagliacci, Cavalleria Rusticana, La Bohème und auf der Bühne der
Staatsoper in Ankara. 2001 wirkte sie als
Kindersolistin bei Nazim Oratorio von Fazil
Say mit.
2007 begann sie ihre professionelle Ausbildung bei Oylun Erdayi. 2008 wurde sie an
der Bilkent Universität aufgenommen und
wirkte dort bei verschiedenen Konzerten
und Opernaufführungen mit.
Ilkin Alpay wurde beim 18. SiemensGesangswettbewerbs mit dem 1. Preis
ausgezeichnet und ist seit der Spielzeit
2016/17 Mitglied des Karlsruher OPERNSTUDIOS.
SEMELE OPER
47
HÄNDEL-FESTSPIELCHOR
Der FESTSPIELCHOR besteht aus 25 professionellen, freischaffenden Sängerinnen
und Sängern und wurde 2016 anlässlich
des 40-jährigen Jubiläums der INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE gegründet. Anlass war die Neuinszenierung des
Musikdramas Semele, in dem der Chor eine
prominente Rolle spielt.
Chorleiter ist Carsten Wiebusch, der
gemeinsam mit Ulrich Wagner, dem Chordirektor des BADISCHEN STAATSOPERNCHORES, und mit dem künstlerischen
Leiter der HÄNDEL-FESTSPIELE bei der
Auswahl der Sänger besonders auf stimmliche Flexibilität sowie schauspielerisches
Potential achtete.
Viele der Chormitglieder sind Studierende
oder Absolventen der Hochschule für
Musik Karlsruhe, die es mit einer speziellen Planung möglich machte, die beteiligten Studierenden für die intensive
48 OPER SEMELE
Probenperiode freizustellen. 2018 wird der
Chor sowohl in der Wiederaufnahme von
Semele als auch bei der Neuinszenierung
von Alcina wieder auf der Bühne stehen.
DEUTSCHE HÄNDEL-SOLISTEN
Die DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
wurden 1985 aus Anlass des Europäischen
Jahres der Musik und der Wiederkehr des
300. Geburtstages von Georg Friedrich
Händel für die vom STAATSTHEATER
KARLSRUHE gegründeten INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE ins Leben
gerufen. Absicht war es, die Rezeption
händelscher Werke und der seiner
Zeitgenossen mit einem Klangkörper, der
durch sein verwendetes Instrumentarium
die Aufführungsbedingungen des frühen
18. Jahrhunderts widerspiegelt, optimal
zu unterstützen.
Das Orchester setzt sich aus Spezialisten
der europäischen Musikszene zusammen –
als Solisten, Kammer- und Orchestermusiker spielen sie in verschiedenen
Spitzenensembles der Historischen Aufführungspraxis. Unter den DEUTSCHEN
HÄNDEL-SOLISTEN befinden sich Hochschulprofessoren und -dozenten, die an
deutschen und auch ausländischen Musikhochschulen unterrichten. Im Laufe der
Jahre gab es Gastspiele der DEUTSCHEN
HÄNDEL-SOLISTEN in ganz Europa, zudem
entstand eine Reihe von beispielhaften
CD-Einspielungen mit bedeutenden Dirigenten für Alte Musik wie Charles Farncombe, Jean-Claude Malgoire, Nicholas
McGegan, Roy Goodman, Arnold Östman
und Andreas Spering.
Das STAATSTHEATER „leistet“ sich als
einziges Mehrspartenhaus in Deutschland
alljährlich dieses Festival-Orchester und
sorgt somit neben den Produktionen der
hauseigenen BADISCHEN STAATSKAPELLE mit den Aufführungen der
DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN für
eine lebendige und spannende Rezeption
barocker Werke.
SEMELE OPER
49
HÄNDEL MIT
DONNA LEON
Bestsellerautorin und Händelkennerin Donna Leon plaudert mit Michael Fichtenholz,
dem Künstlerischen Leiter der INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE, über den
Weltbürger aus Halle, dessen Leben zwischen Hamburg, Hannover, Florenz, Rom, Neapel und London, seine Sänger, seine Musik und Leons Krimis. Die ebenso fesselnde wie
geistreiche Erzählerin ist mit führenden Musikern der Barockszene befreundet und weiß
auch Neulinge mit ihrer Liebe zu Händel und seiner lebensprühenden Epoche anzustecken. Im Mittelpunkt des Gesprächs stehen die weiblichen Rollenportraits in den Werken
Händels: die leichtsinnige Semele, die fromme Theodora, die leidenschaftliche Cleopatra
und die rachsüchtige Alcina, die Heroinen von Händel, die nach wie vor zu den größten
Frauengestalten der Weltoperngeschichte gehören.
SA 18.2. 16.00 KLEINES HAUS
ca. 1 Stunde
In englischer Sprache mit deutscher Übersetzung
Im Anschluss findet eine Autogrammstunde statt
50 HÄNDEL MIT DONNA LEON
51
THEODORA
Oratorium von Georg Friedrich Händel HWV68
Libretto von Thomas Morell
nach „Das Martyrum von Theodora und Didymus“ von Robert Boyle (1687)
Uraufführung am 16. März 1750 am Covent Garden Theatre in London
In englischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Konzertante Aufführung
Theodora, eine Christin adliger Herkunft
Irene, eine Christin
Septimius, ein römischer Offizier Didymus, ein römischer Offizier und Christ
Valens, Statthalter von Antiochien
Ein Bote
SINE BUNDGAARD
TUVA SEMMINGSEN
SAMUEL BODEN
DAVID HANSEN MORGAN PEARSE
THOMAS KLOSE
PETER NEUMANN Dirigent
SA 18.2. 19.30 GROSSES HAUS
ca. 3 Stunden 30 Minuten, Pausen nach dem 1. & 2. Akt
52 KONZERT THEODORA
KÖLNER KAMMERCHOR
Sopran Regina Achtelik, Sibylle von Altenstadt, Anja Bittner, Berit Griebenow, Theresa
Klose, Julia Reckendrees, Christine Röleke, Marina Schuchert Alt Katharina Aulmann,
Julie Comparini, Kerstin Freydank, Natalie Hüskens, Juliane Slotta, Stefan Kunath, Nils
Stefan Tenor Giovanni Biswas, Sebastian Hausen, Ferdinand Junghänel, Thomas Klose
(Solo), Richard Martin, Leonhard Reso Bass Andrey Akhmetov, Matthias Haake, Johannes
Honecker, Konstantin Paganetti, Christian Palberg, Stephan Vilain
BADISCHE STAATSKAPELLE
1. Violine Km. Stephan Skiba, Axel Haase, Susanne Ingwersen, Thomas Schröckert,
Juliane Anefeld, Judith Sauer, Livia Hermann 2. Violine Annelie Groth, Km. Toni Reichl,
Christoph Wiebelitz, Diana Drechsler, Dominik Schneider, Birgit Laub Viola Km. Franziska
Dürr, Fernando Arias Parra, Ortrun Riecke-Wieck, Sibylle Langmaack Violoncello Fabien
Genthialon, Km. Norbert Ginthör, Hanna Gieron Kontrabass Km. Joachim Fleck, Roland
Funk Flöte Eduardo Belmar Oboe Kai Bantelmann, Km. Ilona Steinheimer Fagott Romain
Lucas Horn Dominik Zinsstag, Frank Bechtel Trompete Jens Böcherer, Km. Peter Heckle
Pauke Helge Daferner Cembalo Martin Ennis* Orgel/Cembalo Christoph Lehmann* Laute
Thomas Boysen*
*Gäste der BADISCHEN STAATSKAPELLE
THEODORA KONZERT 53
ZUM INHALT
1. AKT: DAS DEKRET
Valens, Statthalter der römischen Provinz
Antiochia im heutigen Syrien, erklärt
Diokletians Geburtstag zum Staatsfeiertag.
Er befiehlt den Untertanen, durch Opferhandlungen Jupiters Segen auf den Kaiser
herabzuflehen. Hauptmann Septimius soll
die Befolgung des Dekrets überwachen.
Sein Offizier Didymus appelliert vergeblich
an die Toleranz des Statthalters. Nicht
jeder, der seinem Glauben treu bleibe,
sei ein Staatsfeind.
Didymus versucht seinen Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass Gewissensfreiheit
ein Menschenrecht und Christenverfolgung
sinnlos sei. Septimius, obzwar kein Hardliner, besteht auf der römischen Soldatentugend, seine Pflicht zu tun.
Theodora stimmt die Christen auf harte
Prüfungen ein. Sie beschwört sie, dass es
nur einen ewigen Frieden gebe: den bei
Gott. Septimius verschleppt die Rädelsführerin zur Massenvergewaltigung ins
Bordell. Didymus kommt zu spät. Er kann
ihnen nur noch nachsetzen.
2. AKT: DIE NACHT DES TODES
Valens und die Heiden feiern heilige Orgien,
deren Luxus den Namen Diokletians in
den Geschichtsbüchern verewigen soll. Er
schickt Septimius zu Theodora, um zu erkunden, ob die Gefangene immer noch Widerstand leiste, und seine Drohung zu erneuern.
Die syrische Prinzessin ringt in ihrer Zelle
mit der Angst. Sie bittet den Himmel, sie
54 KONZERT THEODORA
zu sich zu nehmen, bevor sie den Männern
ausgeliefert wird.
Didymus gesteht Septimius, dass er Christ
geworden sei und Theodora liebe. Er erhält
von ihm die Erlaubnis, Theodora besuchen
zu dürfen. Irene betet für Theodora.
Didymus sucht Theodora in ihrer Zelle auf
und beschwört sie, mit ihm die Kleider zu tauschen und sich zu retten. Nach anfänglichem
Zögern akzeptiert sie und hofft, ihrem Retter
in dieser oder jener Welt wieder zu begegnen.
Irene und die Christen machen sich Mut,
dass Gott Theodora rette.
3. AKT: DER MORGEN DANACH
Theodora kehrt in Didymus’ Rüstung zu
den Ihren zurück und berichtet von ihrer
Rettung. Die Christen danken Gott und
flehen Gnade auf Didymus herab.
Ein Bote berichtet, ihr Retter sei vor Gericht gestellt worden. Der Statthalter habe
geschworen, Theodora zu töten, sobald er
ihrer habhaft würde. Da ihre Jungfräulichkeit
durch diesen Schwur gesichert ist, beschließt
sie, sich zu stellen und Didymus freizukaufen.
Als Theodora vor Gericht erscheint, plädiert Septimius für Gnade. So viel Tugend
verdiene, dass man sie ehre. Valens lehnt
ab. Theodora und Didymus bitten, die
ganze Strenge seines Zornes auf sich
nehmen zu dürfen und dem anderen die
Strafe zu erlassen. Der Statthalter lässt
beide hinrichten. Die Christen preisen sie
als Exempel der Liebe zu Gott.
ZUM STÜCK
S’IST NACHT
Theodora (1749) ist Händels vorletztes
Oratorium. Während der Arbeit am letzten
erblindete er. Sie entstand in einem Monat. Zunächst notierte Händel Gesangsstimmen und Bass, dann überarbeitete und
instrumentierte er die Skizze. Der 1. Akt
entstand zwischen 28. Juni und 5. Juli
1749, der 2. zwischen 6. und 11. Juli, der 3.
zwischen 12. und 17. Am 31. Juli waren die
70 Nummern in Partitur fertig. Einen Monat
später wurde Goethe geboren. Ein neues
Zeitalter brach an. Bei diesem rasantem
Arbeitstempo muss man bedenken, dass
Händel sich zwischen seinen Kreativphasen lange „Auszeiten“ gönnte. In ihnen
reiften die kommenden Werke im Kopf.
Theodora wurde am 16. März 1750 am
Londoner Covent Garden Theatre uraufgeführt. Da es am belebtesten Handelsplatz
der City lag, kam viel Laufkundschaft
vorbei. Trotzdem, und obwohl Händel in
der Pause wie üblich ein neues Orgelkonzert halb spielte, halb improvisierte – eine
der Hauptattraktionen seiner früheren
Oratorien-Aufführungen – geriet die Uraufführung zum Debakel. Sie war schlecht
besucht, die beiden Wiederholungen fast
leer. Händel überspielte den mutmaßlich
schlimmsten Flop seines Lebens mit Humor. In einem leeren Theater, soll er nach
Auskunft seines Librettisten gewitzelt
haben, klinge seine Musik sowieso besser.
Zur dritten Vorstellung lud er ihn mit der
Bemerkung ein, die Künstler würden nur
für ihn spielen. Zwei Musiker, die sich
Freikarten für den Messias erschnorrten,
fuhr er an, sie hätten lieber zu Theodora
kommen sollen, da hätten sie im Parkett
zur Musik sogar tanzen können. Die Juden,
polterte der 65-Jährige, kämen nicht,
wie vor drei Jahre in Scharen zum Judas
Maccabäus, weil Theodora eine Geschichte über Christen sei und die Damen kämen
nicht, weil Theodora eine Geschichte über
Tugend sei.
Die wenigen Anhänger, die der Komponist
nach vierzig mehr oder weniger erfolgreichen Jahren in London noch hatte, ließen
sich das Alterswerk jedoch nicht entgehen. „Ich kann meinen Brief unmöglich
schließen“, schrieb der Earl of Shaftesbury
1750 einem Freund in der Provinz, „ohne
Theodora zu erwähnen. Ich habe sie drei
Mal gehört und wage sie als eine ebenso
vollendete, schöne, kunstfertige Komposition zu bezeichnen, wie Händel sie nur
je hervorgebracht hat. Meines Wissens
hat er lange daran gearbeitet. In der City
schätzt man das Stück überhaupt nicht,
Mr. Kellaway und einige hervorragende
Musiker sind jedoch derselben Meinung
wie ich.“ Auch Mrs. Delany und ihre Tochter hofften sehnsüchtig auf eine Wiederaufnahme: „Man wird Theodora, wenn sie
THEODORA KONZERT 55
wieder kommt, bestimmt Gerechtigkeit
widerfahren lassen. Die Menschen haben
ihre Ohren eben nicht, um zu hören.“
Als die Partitur im Druck erschien, teilte
es Mrs. Delany ihrer Tochter sofort mit:
„Theodora ist gekommen und bereitet mir
beim Durchspielen der schönen Melodien
große Freude.“ Offenbar kam die Partitur
nicht mehr vom Clavichord. Schon einen
Monat später fragte sie: „Weißt du noch,
wie viel Behagen uns Theodora bereitet
hat.“ Händel versuchte dem ausbleibenden Erfolg des über dreistündigen Werks
schon nach der ersten Vorstellung durch
rabiate Kürzungen aufzuhelfen. Ob er es
wirklich für sein bestes hielt, wie Thomas
Morell 30 Jahre später behauptet, wissen
wir nicht. Immerhin nahm er es 1755 noch
einmal ohne Erfolg auf. Ein dritter Versuch
1759 scheiterte am Tod des Komponisten.
Seit 1747 arbeitete Händel nahezu ausschließlich mit dem Librettisten Thomas
Morell (1703–1784) zusammen. Der
Prinz von Wales hatte ihm den Reverend empfohlen. Trotz seines geistlichen
Standes, zu dem sich der leidenschaftliche
Altertums- und Geisteswissenschaftler
allerdings erst mit 40 Jahren berufen
fühlte, war Morell weltlich gesinnt. Seine
geselligen Freuden stürzten ihn ständig in
Schulden, die der dankbare Komponist ihm
durch ein testamentarisches Vermächtnis
von 200 £ (heute 38.000 €) zu erleichtern
versuchte. Als Vorlage diente Morell
Pierre Corneilles gleichfalls durchgefallene Barocktragödie Théodore von 1645
sowie vor allem den erbaulichen Roman
The Martyrdom of Theodora and of Didymus Robert Boyles (1627–1691), heute als
„Vater der Chemie“ bekannt. Der Roman
56 KONZERT THEODORA
erschien 1686, kursierte unter der Hand
aber lange vorher. Er war ein puritanisches
Pamphlet, das unter dem Deckmantel
einer Märtyrerlegende aus der Zeit der
diokletianischen Christenverfolgungen
gegen den repressiven Absolutismus der
Stuart-Könige agitierte und Propaganda
für Oliver Cromwells Puritaner-Diktatur
(1642–1660) machte. Um die Sittenverderbnis der Katholiken anzuprangern, war
das Thema einer frommen Christin, die von
den Feinden Gottes ins Bordell gesteckt
wird, bestens geeignet.
Als Morell und Händel den Stoff knapp ein
Jahrhundert später aufgriffen, hatte sich
das Blatt politisch gewendet. 1745 versuchte die katholische Stuart-Partei mit
Unterstützung des französischen Hofs und
schottischer Separatisten wieder und wie
sich herausstellen sollte nun zum letzten
mal, den 1714 vom britischen Parlament ins
Land geholten protestantischen Hannoveranern den Thron streitig zu machen und
die Krone zurück zu erobern. Händel und
Morell hatten den Sieg der Hannoveraner
über die Stuarts, der Protestanten über
die Katholiken in ihrem Oratorium Judas
Maccabäus 1747 gefeiert und dies in ihrer
Widmung an den Duke of Cumberland, den
Bruder des Prinzen von Wales und Oberbefehlshaber der Armee, auch kundgetan.
Nun bestand vor dem Hintergrund einer
über 200-jährigen Geschichte blutiger
konfessioneller Verfolgungen in England,
je nachdem, welche Partei gerade die
Oberhand hatte und welches Herrscherhaus gerade regierte, seit sich Heinrich
VIII. 1527 aus privaten Gründen – seine notorischen Frauen-Geschichten – von Rom
losgesagt und die anglikanische Staatskir-
che gegründet hatte, die Gefahr einer neuerlichen, von „oben“ gesteuerten und von
„unten“ befeuerten Säuberungs-Welle.
In dieser explosiven Situation ergreift
Theodora Partei. Und zwar ausgerechnet
in Person des römischen Offiziers Septimius. „Ausgerechnet“ darum, weil „Rom“
in dem Stück für den Papst, die Katholiken
und ihre Helfershelfer, die schottischen
Separatisten der 1740er Jahre, steht. Das
ist musikalisch daran zu erkennen, dass
die beiden Fest- und Freudenchöre der
Römer im 2. Akt schottische Rhythmen und
Tänze aufnehmen und sich unüberhörbar
von den Christenchören unterscheiden.
Beide, sowohl der jambische Eingangschor
„Queen of summer, queen of love“ als auch
der daktylisch noch stärker gegen den
Sprachrhythmus komponierte Folgechor
„Venus laughing from the skies“, könnten
unverändert in Purcells Dido & Aeneas
stehen. Händels Musiksprache setzt damit
fort, was Morell und Boyle im Text angelegt hatten, wenn der Tyrann Valens, der
schon in Boyles Roman und dann auch im
Libretto als „president“, also Statthalter
der römischen Provinz Syrien bezeichnet
wird, gleich in seiner zweiten Arie die
Folterwerkzeuge der römischen Inquisition
„Racks, gibbets, sword and fire – Streckbett, Galgen, Schwert und Feuer“ vorzeigt. Das sind die maßlos übertriebenen
Reizworte antikatholischer Propaganda,
die jedem loyalen Briten des Jahres 1749
reflexhaft jene Horrorbilder katholischer
Inquisitoren vor Augen riefen, die sich
anschicken, das Land zu übernehmen und
in einen terroristischen Gottesstaat zu
verwandeln, wie Koran, Galabeja, Käppi
und Vollbart heute reflexhaft die mehr oder
weniger hysterische Angst vor Islamismus
und dem Verlust unserer demokratischen
Freiheiten in uns wachrufen. Mit wie Feuer
züngelnden Sechzehntel-Figurationen
und wie Richtschwerter niedersausenden
Sforzati zitiert Händel dieses apokalyptische Zerrbild der Katholiken kraftvoll
herbei, um es im Kontext des Werkes musikalisch umso gründlicher zu dekonstruieren, gesellschaftliche Ängste vor ihnen
zu zerstreuen und somit de-eskalierend zu
wirken. Valens’ erste Arie, „Go my faithful
soldier, go“, und seine letzte, „Ye ministers of justice, lead them hence“, setzen
weniger den erbarmungslosen Tyrannen
der Propaganda ins Klangbild, als vielmehr
jenen heroischen Stolz, der einer glanzvollen barocken Herrschernatur fraglos
ansteht. Und gleich Valens’ erste Koloraturen, die in sinnlichen Schlängellinien den
zum Himmel aufsteigenden Weihrauch am
Altar vor unser geistiges Auge treten lassen, rufen natürlich auch ohne allen Hass
Assoziationen an die Schönheit und Pracht
des katholischen Gottesdienstes wach.
Darauf, dass die Römerchöre – gelegentlich im Gegensatz zum gesungenen Text,
aber das ist bei der französischen Nationalhymne ja auch so! – alles andere als
blutrünstig sind, sondern im Gegenteil eine
gutmütige Volkstümlichkeit und Jovialität
ausstrahlen, wurde bereits hingewiesen.
Auch sie gehören zu einem Großbritannien, dessen geistige Identität viele Farben
und Freuden aufweist und die nicht unter
einer Ideologie gleichzuschalten ist.
Den Römern, deren entgegen dem Text
musikalisch also vorwiegend heiterer,
feierfreudiger Welt jeweils der Beginn der
drei Akte des Oratoriums gehört, stehen die
THEODORA KONZERT 57
syrischen Urchristen und ihre Gemeinde
gegenüber. Mit ihnen als den rechtgläubigen Protestanten dürfte sich die Mehrheit
der Londoner des Jahres 1750 identifiziert
haben. Sie werden in einer Situation der
Bedrohung gezeigt, so wie die hannoveranische Propaganda ihr aufgeklärtes
Commonwealth als von katholischen
Fremdmächten, Separatisten und Dunkelmännern bedroht darstellte. An dieser
Rechtgläubigkeit rüttelt Händels Musik
auch garnicht. Sie verschiebt nur den Fokus
weg vom Propaganda-Schema Gut vs. Böse
und richtet den Blick stattdessen auf eine
Psychologie der Angst und wie man mit ihr
umgeht. Das Rezept, das Theodora dafür
gibt, entfernt sich denkbar weit von den
Gewaltmaßnahmen und Verfolgungswellen, die protestantische Hardliner gegen
katholische „Gefährder“ vorsahen, indem
sie dazu rät, erst einmal bei sich selbst mit
der Angstbewältigung anzufangen. Eine
der vielen verblüffenden Pointen des Werks
besteht darin, dass das Oratorium kurz vor
der Hinrichtung der beiden Märtyrer, die
wir so lange haben leiden hören, einfach
abbricht und das blutrünstige Spektakel
durch einen geradezu aufreizend stillen
Chor ersetzt, der uns nicht Gewalt, sondern
Liebe als Pflicht all jener predigt, die sich
Christen nennen. Darunter steht wie immer
am Schluss Händelscher Partituren „SDG“
– Soli Deo Gloria. Theodora entlässt uns
nicht mit Triumphgeheul, sondern mit einem
Fragezeichen. Denk mal (darüber nach)!
Der römische Hauptmann Septimius – und
Hauptleute der Gegenpartei waren nach
der Schlacht von Culloden 1745 eo ipso
„Terroristen“ – steht zwischen beiden
Fronten. Er ist Vorgesetzter des Soldaten
58 KONZERT THEODORA
Didymus, der zum Christentum konvertierte, ohne dass uns das Oratorium verrät
(im Roman ist das anders), ob aus Liebe
zu Theodora oder zur Lehre, deren reinste
Verkörperung sie ist. Septimius tut das
Böse, nämlich seine Pflicht als römischer
Offizier, und verkündet das Gute, nämlich
Toleranz. Vielleicht ist diese Paradoxie
dem Hl. Longinus nachgebildet, der dem
Erlöser am Kreuz mit der Lanze in die Flanke stach und an dem herausrinnenden Blut
als einziger erkannte, er sei Gottes Sohn.
Die zentralen Szenen des 1. und 2. Akts
sind Aufklärungstheater im Dienste des
Toleranz-Gedankns. Zunächst bittet
Didymus den römischen Statthalter, jene
Personen nicht zu verfolgen, die sich aus
Gewissensgründen nicht am Jupiter-Kult
beteiligen können, dessen Rituale von den
Göttern gottgleiche Eigenschaften auf den
vergöttlichten Kaiser herabflehen. Der
Dialog der 1. Szene ist brandaktuell:
Valens Bist du ein Römer? Und wagst
es, eine Sekte zu verteidigen, die Rom
und seine Götter ablehnt?
Didymus Es gibt viele Andersgläubige
in Antiochia, die Caesar trotzdem
gehorchen.
Valens Das kann nicht sein. Wer nicht
an Caesars Götter glaubt, ist Caesars
Feind. Und damit Schluss!
Wer glaubt, dass aus Geschichte zu lernen
sei, dass man dieselben Fehler nicht immer
wieder wiederholen muss, wird sich
erinnern, dass Lenin 1917 dieselbe Devise
ausgab und der Nazi-Philosoph Carl Schmitt
seine Lehre aus demselben Freund-FeindSchema entwickelte.
Theodora und Didymus tauschen im Bordell ihre Kleidung – historischer Kupferstich
Da Didymus beim Statthalter nicht durchdringt, agitiert er nun in der 2. Szene im
römischen Besatzungsheer, nämlich bei
seinem Vorgesetzten Septimius, für die
Christen im besonderen und Gewissensfreiheit im allgemeinen. Die Flammenkoloraturen seiner Arie „The raptured soul
defies the sword“ beziehen sich wie der
Text direkt auf die Arie, mit der Valens ihm
die Abfuhr erteilt hatte. Auffallend an Septimius’ Antwort ist, dass diesem aufrechten Soldaten Opportunisten und Wendehälse ein Gräuel sind. Jeder, der wahrhaft
glaube, woran auch immer, habe recht,
jeder, der Glauben heuchelt, unrecht. Mit
diesem Plädoyer für Gewissensfreiheit
auf den Lippen greift er nun aber gegen
seine soeben geäußerte Überzeugung zum
Schwert, nicht ohne in einer der schönsten
Arien des Stücks um ein Ende des Bürgerkriegs zu beten:
Steig zu uns Menschen nieder, geliebtes Mitgefühl; sei unser Gast vom Himmel und erfülle jedes Herz mit Mitleid.
Segne die Welt, auf dass die Freiheit
des Leibs und der Seele die Menschheit
wieder versöhne.
THEODORA KONZERT 59
Mit Blockflöten und Wiegenrhythmen
unterstreicht Händels Andante unüberhörbar, dass nur „kind Pity“ – groß geschrieben, also als Personifikation gedacht – die
entfesselte Menschheit wieder zur Ruhe
bringen kann.
Diese Paradoxie wiederholt sich in der
3. Szene des 2. Akts. Hier will Didymus
seinen Hauptmann erneut zu Hochverrat
anstiften, damit er Theodora aus dem
Bordell befreien kann, in das Septimius
selbst sie sperrte. Septimius antwortet
zunächst ablehnend, lässt Didymus dann
aber doch zu der Gefangenen. Begründung: Seine Soldaten würden sich selbst
„ihres schändlichen Auftrages“ schämen,
sie zu vergewaltigen. Seine Arie „Through
the honours, that Flora and Venus receive“
verteidigt er den Venus-Kult, der eigentlich
gar nicht so verkommen sei, wie er von
jenen, die ihn missbrauchen, gemacht werde. Händels bukolische Vertonung dieser
Argumentation hält ein starkes Plädoyer
für einen fröhlichen Epikuräismus ohne
Schuldkomplexe. Im ungewöhnlich langen
Instrumentalvorspiel der Arie nimmt der
Zwiespalt der Figur in der Gegenüberstellung eines heiter-verspielten RokokoMotivs und eines starren, allerdings leicht
abgemilderten Staccato-Motivs, das
für die „eiserne Pflicht“ steht, Gestalt an.
Natürlich kann man die Widersprüche, die
sich in der Gestalt des Septimius auftun,
für sinnlos halten und für einen weiteren Beleg dafür, dass der arme Händel
schlechte Libretti vertonen musste. Sieht
man Theodora jedoch vor dem Hintergrund
der Feindschaft zwischen Protestanten
und Katholiken, zwischen Parteigängern
der Hannoveraner und der Stuarts in
60 KONZERT THEODORA
Händels England, machen die ToleranzPlädoyers dieser Scharnierfigur zwischen
beiden Lagern Sinn.
Ab dem 2. Akt tritt die politische Problematik in den Hintergrund. Der Fokus
schwenkt bereits in der 3. Szene des
1. Akts auf das Christenlager. Die Absicht
dieses Handlungsstrangs spricht die
Titelheldin in ihrem ersten Satz aus: „Hart,
doch heilsam, meine Freunde, sind die
Wahrheiten, die uns die Schule der Heimsuchungen lehrt. Aus ihnen erhebt sich
die reine Seele geläutert und schwingt
sich über die Welt hinaus.“ Alles, was nun
auf Christenseite folgt, ist Demonstration
des Versuchs, diesem Anspruch gerecht
zu werden. Es geht darum, Gewalt als
individuelle Prüfung zu begreifen, statt
sie mit Gegengewalt abzuwehren. In der
fein ausdifferenzierten Auslotung dieses
moralischen Postulats oszilliert Händels
Musik zwischen psychologischer Einfühlung und lehrhafter Demonstration. Damit
folgt sie der Strategie des Dichters. Auch
das Libretto pendelt zwischen Spielszenen, psychologischer Selbsterkundung,
Lehrgespräch, allegorischer Verbildlichung
(„Wie der mit rosigen Schritten nahende
Morgen die Schatten der Nacht vertreibt,
so lass unsere aus Schmerzen der Tugend
geborene Hoffnung auf das ewige Licht
aufgehen.“), Merksprüchen („Wahres
Glück ist nur dort, wo Gnade, Wahrheit und
Liebe vorhanden sind.“) und chorischer
Einübung der gewonnenen Einsichten.
Dies im Einzelnen auszuführen, fehlt hier
der Raum. Exemplarisch lässt sich das
aber an der 2. Szene des 2. Akts verdeutlichen. Der dramatische Bogen der gesam-
ten Christenhandlung folgt einer „Durch
Nacht zum Licht“-Dramaturgie. Text wie
Musik verwenden „Nacht“ und „Licht“
nicht nur wörtlich, sondern auch metaphorisch. Wir sehen und hören, wie Theodora
in ihrer Bordellzelle auf die Massenvergewaltigung wartet. Das einleitende
Instrumentalvorspiel der Szene suggeriert
mit monotonen Ostinati, schleppendem
Tempo, der Tonart g-Moll und leeren
Quinten die bleierne Zeit des Wartens. Der
Melodiefluss reißt immer wieder ab. In den
Pausen bläst die Flöte wie ein Uhu, der
Vogel des Todes, ein monotones, fahles g.
Dieses Vorspiel steht im größten Kontrast
zur Feierlaune der Römer-Chöre davor.
Händel will die größtmögliche Fallhöhe. Er
steigert Theodoras Verlassenheitsgefühl,
das wir mit ihr teilen, ins Gigantische.
Im anschließenden Rezitativ deutet die
Titelheldin ihre Situation für uns, damit
wir verstehen, wie es um sie bestellt ist
und was wir aus ihrem Beispiel lernen
können. Vor allem erfahren wir, dass die
Nachtstimmung, die Händels Instrumentalvorspiel evozierte, eine innere Nacht ist.
Außen, sagt Theodora, scheint nämlich die
Sonne und lässt Theodora nicht schlafen.
So gelingt es ihr nicht, das Leid, das ihr
bevorsteht, zu vergessen oder zu verdrängen. Ihre Arie „With darkness deep, as is
my woe“ gewährt uns Einblick in ihr Herz,
wo die Angst vor der Vergewaltigung,
die mit der Angst in vollkommener Nacht
gleichgesetzt wird, den Wunsch nach der
endgültigen Nacht, dem Tod, in ihr hervorruft. Diese Arie hat kein Da Capo, weil
die Totalität der Verzweiflung Theodoras
keinen kontrastierenden B-Teil, aber auch
keine objektivierende Reflexion zulässt.
Das obsessive Ostinato, das sie wie das
Schlagen der Totenglocke durchzieht, lässt
uns den totalen Stillstand, die vollkommene Hoffnungslosigkeit erleben. Wie dieses
Ostinato kann Theodora weder vor, noch
zurück. Sie hat keinen Handlungsspielraum
mehr in ihrer Zelle. Es handelt sich um ein
inneres wie äußeres Gefängnis. Auf die
Arie folgt erneut das bereits bekannte
Instrumentalvorspiel in einer um acht
Takte verlängerten Fassung und schließt
Theodora damit auch musikalisch wie in
einen Kerker ein.
Verzweiflung ist christlicher Theologie
zufolge jedoch eine Todsünde, denn
sie entspringt dem Zweifel daran, dass
Christus die Menschen am Kreuz erlöst
hat. Darum hört Theodora als vorbildliche
Christin im folgenden Rezitativ das, was
wir noch nicht hören: die „immer singenden, immer liebenden Chöre der Heiligen
und Engel“ im Himmel. Und weil sie den
Zweifel überwunden und ihren Glauben
auf diese Weise bewiesen hat, tritt das,
was sie innerlich hört, in der anschließenden Arie auch äußerlich ein. Diese Arie ist
ein Beispiel ekstatischer Musik. Die Ekstase findet in endlos gehaltenen Tönen und
endlosen Sequenzen ihren Ausdruck, denn
Ekstase hat kein Zeitgefühl. Die Seele
schwebt zum Himmel auf. Ihr Ziel sind die
Schlüsselworte des Oratoriums: „harmony
and love“. Das ist auch politisch zu verstehen. Die Ekstase, die die Musik hier bereits
real vorwegnimmt, ist im Text noch im
Konditionalis gehalten: „Ach könnt’ ich auf
Flügeln fliegen, leicht wie die Silbertaube
sanft durch die Himmel gleiten; fänd ich
Ruhe, gesegnet mit Harmonie und Liebe.“
Der Akt der Autosuggestion wird also rational gedeutet und verständlich gemacht,
THEODORA KONZERT 61
gleichzeitig können wir ihn kraft der Musik
nachempfinden. Diese Doppelfunktion von
Sinnlichkeit und Vernunft macht Theodora
zu dem, als was ihre Gefährtin Irene sie
zu Beginn des Oratoriums bezeichnet,
zum „leuchtenden Vorbild alles Guten“.
Ihm sollen wir nacheifern. Die empathische Kraft der Musik versetzt uns dazu
in die Lage. Sie verleiht uns Schwingen
und nimmt uns mit auf Theodoras Reise
So lässt sich der Teufelskreis der Gewalt
durchbrechen und auch die Gesellschaft,
die Händel beschreibt, in einen Zustand
von „harmony and love“ versetzen.
Das Thema Nacht und Morgen schlägt
real und symbolisch eine Brücke über den
gesamten 2. Akt bis hinein in den 3. Im
2. Akt taucht es in den Szenen 2, 4 und 6
auf. Die 2. Szene haben wir eben beschrieben. In der kurzen 4. Szene beschwört
Irene in ihrer sanften e-Moll-Arie „Defend
her, Heaven“ die anbrechende Nacht.
Dabei verweist ihr Wiegenrhythmus wie
schon in Theodoras Arie wiederum auf
die vorläufige irdische wie auf die finale
überirdische Schlafenszeit. Der Akt endet
mit der 6. Szene unter den Christen, die die
Nacht durchwachen, um für Theodora zu
beten. Ihr Schlusschor schöpft aus dem
Evangelium von der Auferweckung des
Jünglings zu Nain nach Lukas 7, 11–16 die
Hoffnung nicht nur auf die Auferstehung
der Toten, sondern auch auf die Rettung
Theodoras. Sein erster Teil, ein lastendes
f-Moll-Largo, das die bleierne Stimmung
der Kerkerszene zu Beginn des Aktes
wieder aufnimmt, steigert sich aus einem
durchbrochen-motettischem Satz langsam
zum Unisono, dem kollektiven Schmerzensschrei der zu Jesus flehenden Mutter.
62 KONZERT THEODORA
Was einem angetan wird, wird allen
angetan. Der kurze B-Dur-Mittelteil erzählt
lapidar, wie Jesus den Toten erweckt und
mündet, in B-Dur bleibend, in die zweimal
ansetzende Fuge der Freude über das Auferstehungswunder. In diesem Schlusschor
ist die Reise durch die Nacht zum Licht, die
der Inhalt des 2. Aktes war, auf engstem
Raum noch einmal zusammengefasst.
Auch inhaltlich bewegt er sich auf doppelter Ebene: Die Legende vom Jüngling zu
Nain verweist einerseits auf Theodoras
Rettung, soll mit diesem „Beweis“ aber
zugleich allen Menschen in Bedrängnis
Mut machen. Die drei genannten Szenen
fungieren wie Brückenpfeiler. Die drei ungeradzahligen Szenen sind dagegen Spieloder Handlungsszenen, in denen Didymus
Theodoras Befreiung ins Werk setzt.
Der 3. Akt beginnt mit Irenes Gebet „Lord
to thee each night and day, / Strong in hope
we sing and pray“, das das „night and
day”-Motiv erneut aufgreift und mnemotechnisch festigt. Nicht nur der Text,
sondern auch die sequenzierend aufsteigende Melodie – Sonnenaufgang! –, der
gefestigt-zuversichtliche Affekt und die
Jubel-Tonart D-Dur signalisieren, dass die
Nacht durchschritten ist und die Sonne
aufgeht. Die schlichte Faktur des Satzes mit
langen Noten und kleinen Intervallschritten
erinnern an ein protestantisches Kirchenlied. Faszinierenderweise weist dieses
Largo, mit dem geradezu revolutionär
losstürmenden B-Teil „Though convulsive
rocks ground“, die gleiche Struktur wie
Bachs Alt-Arie „Es ist vollbracht“ mit dem
B-Teil „Der Held aus Juda siegt mit Macht“
aus der Johannespassion auf. Da auch
der ungewöhnliche Schluss der Theodora
den Schlüssen der Bachschen Passionen
ähnelt, ist man versucht, darin Belege für
Händels Kenntnis dieser Werke zu sehen.
Die den ganzen Akt überwölbende
Struktur, die hier unter dem Stichwort
„night and day“ beschrieben wurde, legt
nahe, ihn als eine Ars moriendi zu deuten.
Die Angst überwindet nur der, der in der
Hoffnung auf Jesus die wahre christliche
Kunst zu sterben lernt. Dies tut Theodora,
indem sie dem Beispiel Christi folgt. Ihre
einsame Kerkerszene ist eine „imitatio“
der Todesangst Jesu im Garten Gethsemane. Das Martyrium Theodoras und
Didymus’ kommentiert der Chor „How
strange their ends, and yet how glorious“
mit einem Staccato, in dem wir die Hammerschläge hören, mit denen der Heiland
ans Kreuz genagelt wurde. Doch zuvor
erklärt uns die durch Didymus befreite
Theodora in ihrer g-Moll-Arie „When sunk
in anguish and despair / To Heaven I cried:
Heaven heard my prayr“ noch einmal jenes
Prinzip Hoffnung, das sie aus Angst und
Verzweiflung errettete. Die Arie geht denn
auch in eine Art Dankgottesdienst über,
denn Händel unterbricht den zweiteiligen
Chor „Blest be the hand and blest the
pow’r“ ungewöhnlicherweise durch eine
Soloeinlage, in der Theodora im allgemein
bekannten Rezitationston der Kantorin in
der Kirche das Thema der anschließenden
Fuge vorgibt. Formal stellt Händel den
heidnisch-epikuräischen Kulten der Römer
im 1. und 2. Akt damit ein starkes christliches Andachtsritual gegenüber.
Damit ist das Thema der Überwindung der
Angst durch den Glauben auf der realen,
symbolischen und theologischen Ebene
der Nachfolge Christi zum Abschluss gebracht. Die anschließende Gerichtsszene
führt einfach die Handlung zuende und leitet zur Conclusio des Oratoriums über, die
darin besteht, „virtue“ und „love“ gleichzusetzen. Die christliche Tugend schlechthin ist die Liebe. Die Liebe Didymus’ zu
Theodora und Theodoras zu Didymus, der
Syrerin zum Römer, der Protestantin zum
Katholiken, der Anhängerin des Hauses
Hannover zum Anhänger des Hauses Stuart. Somit wird Theodora zur politischen
Parabel wie Lessings Ring-Parabel.
von Boris Kehrmann
THEODORA KONZERT 63
PETER NEUMANN Dirigent
Der in Köln lebende Dirigent Peter Neumann wurde in Karlsruhe geboren und
war nach seinen Studienjahren in Berlin
und Paris lange Zeit an der Kölner Kartäuserkirche als Kirchenmusiker und an der
Musikhochschule Köln als Orgelprofessor
tätig. Als Dirigent hat er sich vor allem mit
seinen Interpretationen der Werke von
Bach, Händel, Mozart und Brahms einen
Namen gemacht. 2015 wurde Peter Neumann die Bach-Medaille der Stadt Leipzig
verliehen.
Mit dem Kölner Kammerchor und dem Collegium Cartusianum hat er in Europa und
Japan sowie auf namhaften Festivals die
Meisterwerke sowohl der oratorischen als
auch der sinfonischen Literatur interpretiert: von Monteverdis Marienvesper über
Bachs Passionen – zuletzt in Moskau, Oslo
und Versailles – und die h-moll-Messe bei
den BBC Proms, Mendelssohns Oratorien,
Schumanns Das Paradies und die Peri
64 KONZERT THEODORA
beim Rheingau Musik Festival bis hin zu
Debussys Le Martyre de Saint Sébastien
bei der Musiktriennale Köln. Als Gastdirigent konzertierte er mit dem ChorWerk
Ruhr, dem SWR Vokalensemble Stuttgart,
dem Chor des NDR, dem ConcertgebouwOrchester Amsterdam, dem Concerto Köln
und dem Jerusalem Symphonie Orchester.
2012 gab er mit Händels Alcina sein Debüt
an der Kölner Oper.
Seine umfangreiche Diskografie umfasst
die EMI-Gesamteinspielung der MozartMessen, von Bachs Johannes-Passion,
Schumanns Missa Sacra und der Chorwerke von Brahms. Peter Neumanns
1999 initiierte Konzertreihe 250 Jahre
Händel-Oratorien fand ihren Niederschlag
in zahlreichen CD-Veröffentlichungen,
darunter Saul, Susanna, Theodora, Athalia
und Joshua sowie Alexander’s Feast, Brockes-Passion und L’Allegro, il Penseroso
ed il Moderato.
SINE BUNDGAARD Theodora
DAVID HANSEN Didymus
Sine Bundgaard ist eine der führenden
Sängerinnen ihrer Generation aus Skandinavien. Seit 2009 gehört sie zum Ensemble der Königlichen Oper Dänemark. Sie
trat an vielen namhaften Opernhäusern
Europas auf, so an der Opera National de
Paris, der Bayerischen Staatsoper, dem
Drottningholm Slottstheater sowie auch in
Marseille, Antwerpen, Nancy, Lausanne,
am Theatre de Champs-Élysées und an der
Opéra Comique in Paris. Zu ihrem Repertoire an der Königlichen Oper Dänemark
gehören die Partien von Pamina in Die
Zauberflöte, Juliette in Romeo et Juliette,
Michaela in Carmen, Nedda in I Pagliacci
und Nannetta in Falstaff. Unter ihren Auftritten der letzten Jahre finden sich Angelica in Haydns Orlando Paladino mit René
Jacobs, Amelite in Rameaus Zoroastre mit
Christophe Rousset und Costanza in Händels Riccardo Primo mit Paul Goodwin bei
den INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELEN KARLSRUHE.
David Hansen studierte am Sydney Conservatorium of Music. Der australische
Countertenor gab 2004 sein Europa-Debüt
in Purcells Dido und Aeneas beim Festival
d’Aix-en-Provence. Zu seinen aktuellsten
Engagements gehören Fürst Go-Go in
Le Grand Macabre und Telemaco in
Il ritorno d’Ulisse in patria an der Norwegian National Opera in Oslo, David in Saul
im Wiener Musikverein unter Nikolaus
Harnoncourt, Nerone in Agrippina mit Boston Baroque, Nerone in L’incoronazione di
Poppea beim Boston Early Music Festival,
Arminio in Germanico in Germania beim
Fest der Alten Musik in Innsbruck sowie
Farnace Mitridate, re di Ponto am Théâtre
Royal de la Monnaie in Brüssel. David Hansen hat mit vielen namhaften Regisseuren
wie Stefan Herheim, Jonathan Kent, Barrie
Kosky und Christof Loy zusammengearbeitet. Er ist auch auf dem Konzertpodium
sehr aktiv und hat seit seinem Debüt-Soloalbum 2013 mehrere CDs aufgenommen.
THEODORA KONZERT 65
TUVA SEMMINGSEN Irene
SAMUEL BODEN Septimius
Die norwegische Mezzosopranistin studierte an der Norwegian State Academy of
Music und der Königlichen Opernakademie
Kopenhagen. 1999 gab sie als Cherubino
in Mozarts Hochzeit des Figaro ihr Debüt
an der Königlichen Oper Kopenhagen, ein
Jahr später in derselben Partie am Teatro la
Fenice in Venedig. In Kopenhagen sang und
singt sie Zerlina in Don Giovanni, Sextus in
Mozarts Titus, Rosina in Rossinis Barbier
von Sevilla sowie die Titelrolle in La Cenerentola, Minerva und Melanto in Monteverdis Ulisse sowie Nero in Die Krönung der
Poppea unter David McVicar und Rosmira
in Händels Partenope. In Oslo war sie unter
Rinaldo Alessandrini als Sextus in der Stefan-Herheim-Inszenierung Julius Cäsar und
als Rosina zu erleben, in Reims als Rosina in
Der Barbier von Sevilla, auf einer Idomeneo-Tournee mit Les Arts Florissants unter
William Christie als Idamante und in Lille
als Sextus in Händels Julius Cäsar unter
Emmanuelle Haïm mit Le Concert d’Astree.
Der britische Tenor studierte am Trinity
Laban Conservatoire in London. Seit seinem Studium gehört er so renommierten
Ensembles wie The Gabrieli Consort, The
Sixteen und dem Orchestra of the Age of
Enlightenment an. Sein Schwerpunktinteresse liegt bei der Alten Musik. In diesem
Bereich gastierte er unter anderem mit
Purcells Indian Queen in Metz sowie
desselben Fairy Queen in St. Gallen und
Glyndebourne, als Anfinomo in Monteverdis Ulisses an der English National Opera,
als Cavallis Ormindo in einer Covent-Garden-Produktion, als Charpentiers Actéon
unter Emanuelle Haïm in Dijon und Lille,
als Hippolyte in Hippolyte et Aricie unter
Raphäel Pichon und unter Marc Minkowski als Abaris in Les Boréades in Aix en
Provence. Künftige Engagements bringen
Wiederbegegnungen und Debüts mit Les
Arts Florissants, dem Covent Garden und
eine Uraufführung an der Nederlandse
Opera.
66 KONZERT THEODORA
MORGAN PEARSE Valens
Der australische Bariton und Stipendiat
zahlreicher internationaler Stiftungen
studierte am Royal College of Music und
sammelte praktische Erfahrungen im
Opernstudio der Houston Grand Opera.
Pearses Opernrepertoire reicht von Apollo
in Monteverdis Orfeo über die Baritonpartien in Purcells Dioclesian an der
Pinchgut Opera, mehrere Händel-Partien
beim London Händel Festival, die großen
Mozart- und Rossini-Rollen an der Houston
Grand und English National Opera sowie
beim Verbier Festival bis hin zu Berlioz, Donizetti, Brittens Owen Wingrave, Stephen
Sondheims Sweeney Todd und aktueller
Musik. Zu Pearses Konzertrepertoire
gehören Schuberts Winterreise, Faurés
Requiem und Händels Messias an der Oper
Sydney. In dieser Spielzeit wird der Sänger
auch als Figaro in Mozarts Hochzeit des
Figaro zu hören sein.
THEODORA KONZERT 67
KÖLNER KAMMERCHOR
Der Kölner Kammerchor, 1970 gegründet, hat sich mit seinem Dirigenten Peter
Neumann seit dem Gran Premio Citta di
Arezzo 1982 durch Auftritte bei bedeutenden Festivals in Europa und weltweit
beachtete CD-Einspielungen einen Namen
gemacht. Aufführungen von Monteverdis
Marienvesper und L’Orfeo, Bachs Kantaten, Passionen und die h-Moll-Messe,
Händels Oratorien, Mozarts Kirchenmusik
und von Chorwerken der Romantik wurden
in vielen Musikzentren Europas gefeiert.
Häufig zu Gast war der Kölner Kammerchor
beim Festival La Folle Journée in Nantes,
dessen Konzerte zum Teil live bei Arte
übertragen wurden.
2006 gab der Chor seine Debüts in Russland und Japan mit Bachs Johannespassion in Moskau und St. Petersburg und
Mozart-Programmen in Tokio. In den letzten Jahren zählten Konzerte beim Bachfest
Leipzig, Schumanns Das Paradies und die
68 KONZERT THEODORA
Peri beim Schumannfest in Düsseldorf und
beim Rheingau Musik Festival, Aufführungen von Charpentiers Messe pour les
Trépassés in Köln und bei den Tagen Alter
Musik in Herne, eine Musikalische Vesper
von Schütz beim Festival Wratislavia Cantans und Händels Solomon bei den HändelFestspielen in Halle zu den Glanzpunkten.
2015 war der Chor unter anderem mit
dem Bachkantaten-Pasticcio Vita Christi
beim Festival La Folle Journée in Nantes
und im Tschaikowsky-Saal der Moskauer
Philharmonie zu Gast. Den CD Aufnahmen
der Mozart-Messen, Händel Oratorien und
Chorwerken von Brahms wurde vielfach
Referenzstatus zugesprochen.
BADISCHE STAATSKAPELLE
Als eines der ältesten Orchester der Welt kann
die BADISCHE STAATSKAPELLE auf eine
überaus reiche und gleichzeitig gegenwärtige
Tradition zurückblicken. 1662 als Hofkapelle
des damals noch in Durlach residierenden badischen Fürstenhofes gegründet, entwickelte
sich aus dieser Keimzelle ein Klangkörper mit
großer nationaler und internationaler Ausstrahlung. Berühmte Hofkapellmeister wie
Franz Danzi, Hermann Levi, Otto Dessoff und
Felix Mottl leiteten zahlreiche Ur- und Erstaufführungen, so von Hector Berlioz, Johannes
Brahms und Béla Bartók, und machten Karlsruhe zu einem der Zentren des Musiklebens.
Neben Brahms standen Richard Wagner und
Richard Strauss gleich mehrfach am Pult der
Hofkapelle; Niccolò Paganini, Clara Schumann
und viele andere herausragende Solisten waren gern gehörte Gäste. Hermann Levi führte
in den 1860er Jahren die ersten regelmäßigen
Abonnementkonzerte des damaligen Hoforchesters ein, die bis heute als Sinfoniekonzerte
der BADISCHEN STAATSKAPELLE weiterleben.
Allen Rückschlägen durch Kriege und
Finanznöte zum Trotz konnte die Tradition
des Orchesters bewahrt werden. Generalmusikdirektoren wie Joseph Keilberth,
Christof Prick, Günther Neuhold und
Kazushi Ono führten das Orchester in die
Neuzeit. Komponisten wie Werner Egk,
Michael Tippett oder Matthias Pintscher
standen sogar selbst vor dem Orchester,
um ihre Werke aufzuführen.
Die große Flexibilität der BADISCHEN
STAATSKAPELLE zeigt sich auch heute
noch in der kompletten Spannweite zwischen Repertoirepflege und der Präsentation
zukunftsweisender Zeitgenossen, exemplarisch hierfür der Name Wolfgang Rihm. Der
seit 2008 amtierende Generalmusikdirektor
Justin Brown steht ganz besonders für die
Pflege der Werke Wagners, Berlioz’, Verdis
und Strauss’ sowie für einen abwechslungsreichen Konzertspielplan, vom Deutschen
Musikverlegerverband ausgezeichnet als
Bestes Konzertprogramm 2012/13.
THEODORA KONZERT 69
ÖKUMENISCHER
FESTGOTTESDIENST
Kooperation mit der HÄNDEL-GESELLSCHAFT KARLSRUHE e. V.
Georg Friedrich Händel
(1685–1759)
Auszüge aus dem Oratorium Theodora HWV68
Ouvertüre
Courante
Aria des Septimius „Descend, kind Pity“ aus dem 1. Akt
Sinfonia aus dem 2. Akt
Recitativo und Aria der Theodora „Oh thou bright sun … With darkness deep, as in my woe“ aus dem 2. Akt
Sinfonia in vece de l’air lentement aus dem 2. Akt
Recitativo und Aria der Theodora „But why art thou …
Oh that I on wings could rise“ aus dem 2. Akt
Aria des Septimius „From virtue springs“ aus dem 3. Akt
MITGLIEDER DER BADISCHEN STAATSKAPELLE
ULIANA ALEXYUK Sopran
ELEAZAR RODRIGUEZ Tenor
Km. STEPHAN SKIBA Leitung
CHRISTIAN-MARKUS RAISER Orgel
DEKAN HUBERT STRECKERT Katholische Kirche
PFARRER DIRK KELLER Evangelische Kirche
S0 19.2. 10.30 EVANGELISCHE STADTKIRCHE am Marktplatz
70 ÖKUMENISCHER FESTGOTTESDIENST
71
ULIANA ALEXYUK Sopran
ELEAZAR RODRIGUEZ Tenor
Die ukrainische Sopranistin war von 2009
bis 2011 Mitglied im Förderprogramm für
junge Sänger am Moskauer Bolschoi-Theater, wo sie als Ludmila in Glinkas Ruslan und
Ludmila in der Regie von Dmitri Tcherniakov
und Amina in Bellinis La Sonnambula in
der Regie von Pier Luigi Pizzi zu erleben
war. Als Opernstudio-Mitglied der Houston
Grand Opera debütierte Alexyuk 2013/14 in
den USA. Sie wurde dort als Gilda in Verdis
Rigoletto gefeiert. An der Pariser Oper sang
sie Anja in Philippe Fénélons Kirschgarten,
Beim Glyndebourne-Festival wurde ihre
Zerbinetta in Ariadne auf Naxos unter Vladimir Jurowski mit dem John Christie-Preis
ausgezeichnet. Seit 2015/16 gehört sie
fest zum Ensemble in Karlsruhe und sang
Nanetta in Falstaff, Giulietta in I Capuleti e
i Montecchi, Blonde in Die Entführung aus
dem Serail und Frasquita in Carmen. In der
Spielzeit 2016/17 ist sie unter anderem als
Adina in Der Liebestrank und als Servilia in
La clemenza di Tito zu erleben.
Geboren in Piedras Negras in Mexiko, war
Eleazar Rodriguez Plácido DomingoStipendiat der Sociedad Internacional de
Valores de Arte Mexicano. Er studierte am
San Francisco Conservatory of Music und
wurde danach in das Merola Opera Program
der San Francisco Opera aufgenommen.
2010/11 war er Mitglied des Ensembles des
Theaters Heidelberg. 2012/13 folgte sein
Debüt an der Oper Frankfurt. Außerdem gastierte er als Almaviva in Rossinis Der Barbier
von Sevilla am Michigan Opera Theatre, an
der English National Opera London sowie an
der Oper Graz. Seit der Spielzeit 2011/12 ist
er Mitglied des Ensembles am STAATSTHEATER und sang Tonio in Die Regimentstochter, Tamino in Die Zauberflöte, David in
Die Meistersinger von Nürnberg, Ferrando
in Così fan tutte sowie als Fenton in Falstaff,
Am STAATSTHEATER gestaltet er 2016/17
unter anderem Nemorino in Der Liebestrank,
Der Meisterjünger in Wahnfried und Tebaldo
in I Capuleti e i Montecchi.
72 ÖKUMENISCHER FESTGOTTESDIENST
Km. STEPHAN SKIBA Leitung
CHRISTIAN-MARKUS RAISER Orgel
Stephan Skiba erhielt seine musikalische
Grundausbildung als Mitglied der Regensburger Domspatzen, studierte Violine an
der Hochschule für Musik in München bei
Otto Büchner und schloss seine Studien bei
Arthur Grumiaux in Brüssel ab. Einem Engagement als 1. Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters Freiburg folgte 1984
die Ernennung zum 1. Konzertmeister der
BADISCHEN STAATSKAPELLE. Solistische
und kammermusikalische Engagements
führten ihn durch Europa, nach Russland
sowie regelmäßig nach Japan.
Christian-Markus Raiser studierte Kirchenmusik an den Staatlichen Hochschulen für
Musik in Stuttgart und Trossingen. An der
Ev. Stadtkirche Karlsruhe, der Bischofskirche der Ev. Landeskirche in Baden, ist
Raiser seit 1996 Kantor und Organist sowie
künstlerischer Leiter verschiedener dort
angesiedelter Konzertreihen wie etwa dem
Internationalen Orgelsommer Karlsruhe.
Er leitet den Bachchor Karlsruhe und das
Vokalensemble CoroPiccolo Karlsruhe. Die
Stadtkirche Karlsruhe entwickelte sich
unter seiner Leitung zu einem Zentrum
der Kirchenmusik für Stadt und Region.
2007 wurde er zum Kirchenmusikdirektor
ernannt. Raiser gastierte mit zahlreichen
Konzerten und Auftritten bei Internationalen Musikfestivals an vielen bedeutenden
Kirchen und Orgeln im In- und Ausland.
Hinzu kommen zahlreiche Tonträger-Einspielungen sowie Rundfunk- und Fernsehaufnahmen. Auch als Juror internationaler
Wettbewerbe tritt er in Erscheinung.
ÖKUMENISCHER FESTGOTTESDIENST 73
KAMMERKONZERT
DER DEUTSCHEN
HÄNDEL-SOLISTEN
SUSANNE REGEL Oboe
AVIAD GERSHONI Oboe
CHRISTOPH TIMPE Violine
JANA ANÝŽOVÁ Violine
GABRIELLE KANCACHIAN Viola
CATHI AGLIBUT Viola
MARKUS MÖLLENBECK Violoncello
DAVID SINCLAIR Violone
WOLFGANG KOSTUJAK Cembalo
MO 20.2. 20.00 KLEINES HAUS
ca. 2 Stunden, eine Pause
74 KONZERT KAMMERKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
PROGRAMM
Georg Philipp Telemann (1681–1767)
Sonata á 5 F-Dur für 2 Violinen,
2 Violen und B.c. – TWV 44:F11
Affetuoso
Allegro
Adagio
Presto
Georg Friedrich Händel
(1685–1759)
Sonate g-Moll für Oboe, 2 Violinen
und B.c. – HWV 404 (1. Satz Air HWV 122)
Andante
Allegro
Adagio
Allegro
Johann Sebastian Bach (1685–1750) Konzert d-Moll für Oboe, Streicher
und B.c. – Rekonstruktion nach BWV 1059
Allegro
Adagio
Presto
– Pause –
Georg Philipp Telemann
Konzert d-Moll für Oboe, Streicher
und B.c. – TWV 51:d1
Allegro
Adagio
Presto
Georg Philipp Telemann
Sonate A-Dur für zwei Violinen
und B.c. – TWV 42:C1
Introduzzione (Grave-Vivace) Andante
Introduzzione da Capo
Xantippe - Lucretia (Largo)
Corinna - Clelia (Spirituoso)
Dido (Triste – Disperato)
Georg Philipp Telemann
Sonata e-Moll für 2 Oboen, 2 Violinen,
2 Violen und B.c. – TWV 50:e4
Gravement
Allabreve
Air
Tendrement
Gay
KAMMERKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN KONZERT 75
ZU DEN STÜCKEN
DIE GROSSEN DREI
Telemann, Händel, Bach sind die Großen
Drei der deutschen Barockmusik. Sie waren
nicht nur Zeitgenossen. Auch ihre Lebenslinien kreuzten sich. Die Leipziger Stadtväter
hätten lieber den prominenteren Telemann
als Thomaskantor in die Messestadt geholt
als den Lückenbüßer Bach. Telemann selbst
zog ein Hamburger Angebot vor. Die Hafenstadt hatte internationales Publikum. Hier
verdiente sich Händel im Opernorchester
seine Sporen. Anders als seine beiden Kollegen war er reiselustig. Während Telemann,
der Händel’sche Opern und Bach’sche
Orgelwerke bearbeitete, nur wenige Monate
in Paris gastierte und Bach seine mitteldeutsche Heimat nie verließ, verbrachte Händel
den größten Teil seines Lebens im Ausland.
Das heutige Kammerkonzert-Programm lädt
Sie dazu ein, die Internationalität, den europäischen Geist dieser drei so unterschiedlichen Giganten miteinander zu vergleichen.
Die barocken Gattungsbezeichnungen Sonata und Concerto haben dabei eine andere
Bedeutung als heute. Sie beziehen sich nicht
auf die Größe der Besetzung – mit Orchester oder ohne –, sondern auf die Form. Die
Sonata bezeichnet ein Instrumentalstück im
Gegensatz zum Vokalstück, der Cantata. Das
Concerto bezeichnet ein Stück mit konzertierenden Soloinstrumenten, die in Dialog mit
einem Tutti treten. Für den Hauptkomponisten unseres Konzertes, Georg Philipp Telemann, ist charakteristisch, dass er schon in
jungen Jahren als Eisenacher Hofkapellmeister selbst diese Grenzen verwischte. Eine
ganze Reihe seiner Instrumentalwerke sind
unter beiden Titeln überliefert, sodass ein
früher deutscher Kritiker für sie die Bezeichnung „Sonate auf Concertenart“ prägte.
Telemann lebte nicht nur länger als Bach und
Händel. Er schuf mit 3617 bis heute bekannten
Werken auch nahezu doppelt so viel Musik,
wie beide zusammen. Sein Ruf als Vielschreiber hat ihm bei der Nachwelt geschadet. Erst
allmählich sickert auch jenseits jener Kreise,
die die Werke, über die sie urteilen, auch kennen, durch, dass Telemann zum Geistreichsten,
Fantasievollsten und Eigensinnigsten gehört,
was das Spätbarock hervorgebracht hat.
Keines seiner Instrumentalwerke ist
autograf überliefert. Die meisten zeitgenössischen Abschriften bewahren die
Sächsische Landesbibliothek Dresden
und die Landes- und Hochschulbibliothek
Darmstadt auf, wohingegen die Vokalmusiken eher für Hamburg aber auch für die
Stadt der Kaiserkrönungen, Frankfurt a. M.,
komponiert wurden. Damit zeichnen sich
Zentren seiner Rezeption und Wertschätzung ab. Die fünfstimmige Streichersonate
in F-Dur, mit der unser Konzert beginnt, hat
sich in einer Abschrift Johann Georg Pisendels erhalten, der sowohl mit Bach als auch
mit Telemann befreundet und ab 1712 Erster
Violinist, später Kapellmeister der Dresdner
76 KONZERT KAMMERKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
Hofkapelle war. Sie wurde also im Rahmen
der Kammermusik des Sächsischen Hofes
gespielt. Darauf weisen auch Einzeichnungen zur Artikulation hin, die möglicherweise
von Pisendel selbst zu Aufführungszwecken
eingetragen wurden. Der erste Satz ist
Affetuoso überschrieben, soll also pathetisch vorgetragen werden. In der Orchestermusik – zum Beispiel bei Händel – hätte
man hier einen punktierten französischen
Rhythmus eingesetzt. Die Kammermusik
sucht eigenständigere Wege. Telemann
leitet einen charakteristischen fünfgliedrigen Versfuß aus dem Ionikus ab – lang lang
kurz kurz lang – und fasst die fünf Stimmen
zunächst zu Gruppen zusammen, die sich
schnell emanzipieren und jene für Telemann
so charakteristische, quecksilbrige Beweglichkeit und Leichtigkeit entwickeln. Man
könnte ihn als den Jacques Offenbach unter
den Barockkomponisten bezeichnen.
Im mittleren Stück des 2. Teils unseres Programms formuliert er seine offenbach’sche
oder besser: jean-paul’sche Seite auch
verbal. Er publizierte die verschiedenen
Sätze seiner Triosonate für zwei Traversflöten oder Violinen und Basso continuo A-Dur
TWV 42: C1 nämlich mutwillig über ein Werk
verstreut, das er in einem launigen Vorwort
als „musicalisches Journal“, also als weltweit erste Zeitung in Noten bezeichnete.
Es ist ein Sammelsurium aller möglichen
Instrumentalstücke, Opernarien, Chöre, Kanons etc. „nach Italiänischer, Französischer,
Englischer, Polnischer, etc. so ernsthaft- als
lebhaft- und lustigen Ahrt“, an dem sich
auch andere Komponisten beteiligen durften, soweit sie das Porto ihrer Einsendungen
selber zahlten. Seinen satirischen Charakter
enthüllt dieser so genannte Getreue Music-
Meister von 1728 auch dadurch, dass er
Tänze der Yahoos, der schlauen Pferde aus
Swifts Gullivers Reisen enthält.
Unsere Triosonate entpuppt sich als Suite
mit französisch punktierter Ouvertüre, auf
die vier Sätze folgen, die nach Damen der
Antike benannt sind und den Charakter
dieser Damen musikalisch deuten und
beschreiben. Xantippe, der zänkische Frau
des Sokrates, hatte Telemann bereits in
seiner Oper Der geduldige Socrates ein
Denkmal gesetzt. Da sie nicht ganz dicht ist,
sind in dem ihr gewidmeten Stück immer die
falschen Zählzeiten im Takt betont. Außerdem entwürdigt sie ihren Mann, indem sie in
Oktavsprüngen Hoppe Hoppe Reiter auf ihm
spielt. Die tugendhafte Lucretia ist das ganze
Gegenteil. Laut Livius wurde sie im 6. Jh.
v. Chr. von vom Sohn Königs Tarquinius‘,
des Übermütigen vergewaltigt. Ihr Selbstmord löste die römische Revolution aus
und führte zur Gründung der Republik. Ihr
pathetisches Largo in feierlich punktierten
Rhythmen gibt die Klage der Heldin wieder.
Mit Corinna folgt wieder ein Miststück. Ovid
berichtet von seiner Geliebten, dass sie toll
im Bett war und hinreißend aussah, es aber
mit jedem trieb und sich ihren Spaß daraus
machte, den Dichter zu quälen. Telemanns
Musik führt sie als koketten Wirbelwind vor,
die komplizierte Beziehung als konfliktreich
konzertierenden Dialog zweier Partner, die
sich ständig ins Wort fallen oder gleichzeitig schimpfen, bis sie außer Atem geraten
und kurz inne halten. Dann folgt wieder
eine Heldenfrau als Fortsetzung der Lucretiasage. Der vertriebene König Tarquinius
versuchte seinen Thron nämlich im Zuge der
Latinerkriege zurück zu erobern. Ein Waffenstillstand zwischen den Parteien wurde
KAMMERKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN KONZERT 77
durch Austausch von Geiseln gesichert.
Der Römerin Clelia gelang es, mit einigen
Gefährtinnen zu Pferd durch den reißenden
Tiber schwimmend zu fliehen. Da die Römer
den Waffenstillstand brauchten, um Kräfte
zu sammeln, wurden die Geiseln rücküberstellt. König Porsena war so beeindruckt
von Clelias Kampfgeist, dass er ihr mit der
Hälfte der Geiseln ihrer Wahl die Freiheit
schenkte. Sie wählte alle jungen Römer im
Feindeslager aus und führte ihrem Vaterland
damit frische Kämpfer zu. Das ihr gewidmete
Stück ist Spirituoso, „feurig“ überschrieben.
Der feurige Mut, das Draufgängertum der
Heldenjungfrau drückt sich in den fallenden
Solotriolen aus, die den Damm der Angst
durchbrechen, sodass alle anderen ihrem
Beispiel folgen. Den Beschluss macht die
verzweifelte Königin Dido aus Vergils Aeneis, die – von Aeneas verlassen – Selbstmord begeht. Vorhalte lassen sie seufzen,
Triller und Vorschläge die Stimme beben, bis
sie sich in verzweifelten Sechzehntelläufen der Raserei überlässt. Die rhetorische
Qualität dieser kleinen Szene unterstreicht
Telemann durch die Vortragsanweisungen
„triste“ und „disperato“.
Telemanns Oboenkonzert in d-Moll ist vom
modernen, konzertierenden Vivaldi-Typ, was
vermuten lässt, dass es für den Dresdner Hofoboisten Johann Christian Richter komponiert
wurde. Tatsächlich stammt die Hauptquelle
aus der Sächsischen Landesbibliothek. Das
Parallelwerk Bachs, mit dem der erste Konzertteil schließt, ist eine Rekonstruktion. Von dem
Cembalokonzert BWV 1059 sind nur neun Takte
überliefert, die eine Bearbeitung der Einleitungssinfonie der Kantate BWV 35 sind. Zwei
weitere Sätze der Kantate könnten ebenfalls
einem Instrumentalkonzert entnommen sein,
sodass man schon im 19. Jahrhundert versuchte, diese „Urfassung“ zu rekonstruieren,
für die sich aber eher die Oboe als Cembalo
eignet. Das in der British Library verwahrte
Manuskript von Händels Triosonate trägt den
Vermerk, er habe sie mit 14 Jahren komponiert.
Tatsächlich deutet die Corelli’sche Satzfolge
darauf hin, dass sie während seines Italienaufenthaltes entstand. Telemanns e-Moll-Sonate
scheint sich dagegen an der Gattung der Orchestersuite zu orientieren, die offenbar auch
als größere Hausmusik aufzuführen war.
von Boris Kehrmann
SUSANNE REGEL Oboe
Susanne Regel studierte Blockflöte, moderne Oboe und historische Oboeninstrumente bei Horst Wartha, Günter Theis und Katharina Arfken in Basel.
Als Orchestermusikerin und als Solistin wirkte sie bei hunderten von Aufnahmen
mit. Sie unterrichtet historische Oboeninstrumente an den Musikhochschulen in
Karlsruhe und Trossingen.
AVIAD GERSHONI Oboe
Der in Nes Ziona in Israel geborene Avia Gershoni studierte an der Rubin Academy
in Jerusalem und setzte seine Ausbildung in Italien fort. Er arbeitete mit vielen
berühmten Barockorchester zusammen, so mit Il Giardino Armonico, Concerto
Italiano, Il Pomo D’Oro, Les Arts Florissants und Capella Cracoviensis. Er wirkte
mit bei Aufnahmen für Deutsche Grammophon, SONY BMG und Decca.
78 KONZERT KAMMERKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
CHRISTOPH TIMPE Violine
In Freiburg geboren, studierte er Barock-Violine in London und Köln. Seit Mitte der
90er Jahre arbeitet er mit Musica Antiqua Köln, Concerto Köln und The Orchestra of
the Age of Enlightenment zusammen. In den Folgejahren war er Konzertmeister des
italienischen Orchesters Academia Montis Regalis. Heute ist er vor allem für seine
Arbeit mit dem von ihm in Rom gegründeten Ensemble Accademia per Musica bekannt.
JANA ANÝŽOVÁ Violine
In Tschechien geboren, studierte sie Violine in Kremsier und Brünn. Schon während des Studiums konzertierte sie regelmäßige mit verschiedenen Ensembles,
wie Collegium 1704, Musica Florea, Concerto Köln, Cappella Coloniensis, La Cetra
Basel. Sie ist Mitbegründerin des Quartetto Quadrifoglio, das sich mit der Interpretation von Werken aus der tschechischen Musikliteratur beschäftigt.
GABRIELLE KANCACHIAN Viola
Sie kam 1987 nach einer Ausbildung in Melbourne zum Aufbaustudium an die
Hochschule für Musik nach Köln, wo sie 1989 ihr Diplom erhielt. Seit 2000 beschäftigt sie sich mit der historischen Aufführungspraxis und spielt in Ensembles
wie Concerto Köln, dem Freiburger Barockorchester, Capella Augustina und anderen. Zahlreiche Gastspiele führten sie bereits durch Europa, Asien und Amerika.
CATHI AGLIBUT Viola
Nach ihrem Violinstudium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in
Wien wandte sie sich dem Studium historischer Aufführungspraxis zu. Sie ist Mitglied
der Lauttencompagney Berlin und durch rege Konzerttätigkeit und zahlreiche CD-Produktionen mit vielen renommierten Barockensembles verbunden: L’Arpeggiata, Concerto Palatino, Göttinger Händelfestspielorchester, La Dolcezza.
MARKUS MÖLLENBECK Violoncello
Er war Solocellist von Musica Antiqua Köln unter Reinhard Goebel mit weltweiter
Konzerttätigkeit bei den Musiciens du Louvre, dem Freiburger Barockorchester, La
Stagione Frankfurt und bei der Capella Augustina. Als leidenschaftlicher Pädagoge
unterrichtet er Meisterklassen in Michaelstein und Lübeck sowie in Berlin und
Essen. Seit 2011 ist er Gastprofessor an der Musikakademie in Bydgoszcz in Polen.
DAVID SINCLAIR Violone
Der Kanadier David Sinclair ist einer der einflussreichen Kontrabassisten der
Alte-Musik-Szene. Er ist international bekannt für seine Arbeit an der Wiederentdeckung des Wiener Kontrabasses und dessen Repertoire durch mehrere
Solo-CD-Einspielungen, vor allem von Wiener Kontrabass-Konzerten (ARS
Produktion).
WOLFGANG KOSTUJAK Cembalo
Wolfgang Kostujak absolvierte zunächst Musiktheorie-, sowie Orgel- und Cembalostudien bei Silvio Foretic, Arvid Gast, Wilfried Langosz und Ludger Rémy. Im Anschluss an seine künstlerische Reifeprüfung 1993 ging er für drei Jahre ans Sweelinck-Conservatorium, Amsterdam, wo er in der Klasse Bob van Asperen studierte.
Seit 1998 lehrt er an der Folkwang Universität der Künste in Essen.
KAMMERKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN KONZERT 79
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81
3. SONDERKONZERT
FESTKONZERT
DER DEUTSCHEN
HÄNDEL-SOLISTEN
Generalintendant a. D. Günter Könemann, dem Gründer der HÄNDEL-TAGE,
seit 1985 HÄNDEL-FESTSPIELE KARLSRUHE, gewidmet
ANNA FUSEK Flautino & Blockflöte
CHRISTIAN CURNYN Dirigent
MICHAEL FICHTENHOLZ Moderation
DEUTSCHE HÄNDEL-SOLISTEN
1. Violine Andrea Keller, Wolfgang von Kessinger, Christoph Timpe, Helmut Hausberg,
Michael Gusenbauer, Eva Scheytt, Dora Szilagyi* 2. Violine Christoph Mayer, Almut
Frenzel, Jana Anýžová, Martin Kalista, Salma Sadek, Matthias Hummel Viola Jane
Oldham, Klaus Bundies, Gabrielle Kancachian, Cathi Aglibut Violoncello Gerhart Darmstadt,
Bernhard Hentrich, Markus Möllenbeck, Dmitri Dichtiar Violone David Sinclair, Michael
Neuhaus Cembalo Rien Voskuilen Laute Sören Leopold Oboe Susanne Regel, Aviad
Gershoni, Kristin Linde Fagott Rhoda Patrick, Marita Schaar, Heide Pantzier
Horn Christian Binde, Reneé Allen, Karen Hübner Trompete Hannes Rux, Ute Rothkirch,
Karel Mnuk Pauke Peter Hartmann
*Stipendiatin der INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE KARLSRUHE 2016
MI 22.2. 19.00 GROSSES HAUS
2 Stunden 30 Minuten, eine Pause
82
KONZERT FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
PROGRAMM
Georg Friedrich Händel
(1685–1759)
Concerto grosso D-Dur op. 6, Nr. 5
Andante larghetto
Allegro
Larghetto andante e piano
Allegro ma non troppo
Adagio
Johann Sebastian Bach (1685–1759)
Italienisches Konzert BWV 971
(Fassung für Blockflöte und Orchester)
Concerto
Andante
Presto
Franz Xaver Richter (1709–1789)
Grave und Fuga in g-moll
– Pause –
Matthias Georg Monn (1717–1750)
Sinfonia in H-Dur
Allegro
Andante molto
Presto
Antonio Vivaldi (1678–1741) Konzert für Flautino und Orchester RWV 443
[Allegro]
Largo
Allegro molto
Georg Friedrich Händel Feuerwerksmusik HWV 351
Ouverture
Bourrée
La Paix
La Réjouissance
Menuett I und II
FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN KONZERT
83
ZU DEN STÜCKEN
MUSIKALISCHE
REISE DURCH
HÄNDELS EUROPA
Auch wenn der Begriff der Nation im
modernen Sinne zur Zeit Händels noch
keine hundert Jahre alt war – der Begriff
„natio“ bezeichnete im Mittelalter landsmannschaftliche Studentenverbindungen
an Universitäten, der Begriff Ausländer
hätte im Feudalismus, wo es auf den Erwerb möglichst vieler Vasallen ankam,
keinen Sinn gemacht –, gab es Anfang des
18. Jahrhunderts schon Nationalstile. Um
1700 bildeten sich ein „französischer“,
ein „italienischer“ und ein „englischer“
Stil heraus, um 1750 ein „Mannheimer
Stil“, der dann um 1770 zur Grundlage der
Wiener Klassik wurde. Deutschland in der
Mitte Europas war das Land, das alle diese
Stile begierig anzog und daraus den „vermischten Stil“ schuf. In diesem Sinne hatte August Wilhelm Schlegel die deutsche
84
Kultur als „melting pot“ und ihre Aufgabe
als Vermittlerin definiert. In diesem Sinne
prägte Goethe den Begriff „Weltliteratur“.
In diesem Sinne auch bestimmte Emanuel
Geibel 1861 „Deutschlands Beruf“ mit
dem rasch böswillig uminterpretierten
Schlagwort „An Deutschlands Wesen soll
die Welt genesen“. „Deutschlands Wesen“
bestand nach Geibel nicht in Imperialismus, sondern in seiner ausgleichenden
Befähigung zur Mediation zwischen den
Völkern.
In diesem Sinne unternimmt das heutige
Konzert eine musikalische Reise durch das
Europa der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in der ein reiselustiger, Italienbegeisterter junger Mann aus Halle ein
Concerto grosso im Stile Corellis schrei-
KONZERT FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
ben konnte und ein von Vivaldis Partituren
begeisterter Leipziger Stadtbeamter, der
keinen Fuß aus seiner mitteldeutschen
Heimat setzte, ein „Concerto nach Italiaenischen Gusto“. Beide reicherten den
„italiaenischen Gusto“ mit ausgefeilter
Kontrapunktik an, die damals als nordeuropäisch, wenn nicht gar „typisch deutsch“
empfunden wurde, und schufen so etwas
völlig Neues in jenem vermittelnden Sinne,
der oben skizziert wurde.
Händels Concerti grossi op. 6 sind im
Gegensatz zu denen op. 3 Spätwerke vom
September/Oktober 1739. Mit ihrer Satzfolge Langsam-Schnell-Langsam-Schell
repräsentieren sie den alten Typ der so
genannten Kirchensonate, wie der junge
Händel sie 1707/08 bei Corelli in Rom auch
in praxi kennen gelernt hatte. Corelli, der
Meister des italienischen Instrumentalstils, nahm damals gerne junge Musiker
aus den deutschsprachigen Ländern, die
nach Italien reisten, unter seine Fittiche.
Er brachte auch das Concerto grosso,
das sich im Laufe des 17. Jahrhunderts in
Italien entwickelte, um ca. 1680 in seine
klassische Form, die ein knappes Jahrhundert später in die Form der Sinfonie
mündete. Unter Concerto grosso versteht
man eine Konzertform, in der solistische
Episoden mit Tutti-Episoden abwechseln.
Anders als beim Solokonzert, besteht die
Solostimme aber nicht aus einem einzigen
Instrument, sondern aus einer Gruppe von
Soloinstrumenten, dem sogenannten Concertino. Sie wechseln mit den Passagen
des vollen Orchesters, dem so genannten
Concerto grosso, ab, in das auch das Concertino mit einstimmt. Die kontrapunktischen Passagen finden sich in den beiden
schnellen Sätzen. Auf die Vorklassik weist
dort die Arbeit mit zwei kontrastierenden
Themen hin.
Im Gegensatz zu Händel kannte Bach die
italienische Musik hauptsächlich aus Partituren, wenn er nicht Gelegenheit hatte,
reisende Virtuosen in Dresden oder an den
anderen Orten seiner Tätigkeit zu hören.
Bach war vor allem von dem modernen Stil
Vivaldis fasziniert, wie sein so genanntes
Italienisches Konzert für Cembalo Solo
mit seiner dreisätzigen Anlage SchnellLangsam-Schnell und seiner aberwitzigen Virtuosität zeigt. Bach bearbeitete
zahlreiche Solokonzerte Vivaldis. Den
Orchestereffekt ahmt er auf dem Cembalo
mit dem raffinierten Einsatz vollstimmigerer und „solistischerer“ Passagen nach,
die er auch ausdrücklich mit „piano“- und
„forte“-Angaben kennzeichnete. Anna
Fusek dreht diesen Bearbeitungsschritt
jetzt wieder um, indem sie Bachs Konzert
in ein Blockflötenkonzert mit Orchester
„rückübersetzt“. Damit erweitert sie nicht
nur die spieltechnischen Möglichkeiten der
Blockflöte, sondern stellt sich in einem Gedankenexperiment auch vor, wie Bachs Musik in der Klangwelt seines Vorbilds Vivaldi
geklungen haben könnte. Im 2. Konzertteil
hören sie dann ein authentisches Blockflötenkonzert Vivaldis, das C-Dur-Konzert RV
443, dessen schnelle Läufe und verzierte
Arpeggien ebenfalls eher „violinistisch“
gedacht sind – Vivaldi war von Hause aus
Geiger – und dessen empfindsamer Mittelsatz im wiegenden Siciliano-Rhythmus es
zu besonderer Beliebtheit gebracht hat. Es
ist eine veritable Opernarie für Blockflöte.
Vivaldis Solokonzerte haben die Concerti
grossi insofern hoch persönlich weiter
FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN KONZERT
85
gedacht, als dass sie nun einen einzigen
Superstarvirtuosen, der durchaus auch
wild drauflos verzieren darf und soll, wenn
er dazu noch Puste hat, selbstverliebt und
eitel mit imitatorisch angelegten TuttiRitornellen alternieren lassen.
Hier kann man sich nicht zurücklehnen und
irgendwelche Stilmerkmale wiedererkennen, sondern befindet sich im freien Fall
der Musikgeschichte, ohne das Netz einer
Autorität zu erkennen, die einen auffängt.
Hier sind wir allein mit der Musik.
Harmonisch abenteuerlich ist ein anonym
überliefertes Werkpaar aus Grave und
Fuga in g-Moll, das wechselweise dem in
Mannheim wirkenden Böhmen Franz Xaver
Richter und dem in Italien und Dresden
wirkenden Opernmeister Johann Adolph
Hasse zugeschrieben wird. Die Großform
entspricht einer Französischen Ouvertüre
mit einem langsamen Einleitungssatz in
feierlich punktierten Rhythmen, dem Grave, und einem anschließenden raschen
Fugato, das hier eine ausgewachsene Orchesterfuge ist. Beide Teile sind mit ihren
fortgesetzten Dissonanzen im 1. Teil und
dem chromatisch fallenden Lamento-Thema im 2. von allerhöchster, geradezu elektrisierender Expressivität und fallen in ihrer
Radikalität vollkommen aus dem Rahmen
des Gesamtwerks der beiden Komponisten, denen sie zugeschrieben wurden, aber
auch ihrer Zeit. Am ehesten noch könnte
man sich Bach als Schöpfer solcher Harmonik und Dichte denken, der Schluss der
Fuge klingt mit seinen Sequenzierungen
aber wie Vivaldi unter Drogen. Der Umstand, dass diese aufregende Musik so
überhaupt nicht einzuordnen, nicht mal im
gesicherten Schubfach eines Komponisten abzulegen ist, dürfte der Grund dafür
sein, dass sie so selten aufgeführt wird.
Dagegen ist Matthias Georg Monns oder
Manns, wie sich sein Bruder schrieb, Wiener Sinfonia in B-Dur pure Unterhaltungsmusik. Im freundlichen Kopfsatz alternieren
die beiden Orchestergruppen nach Art Vivaldis miteinander, indem sie einander imitieren. Die Exposition wird brav wiederholt,
bevor das Kopfthema in einer Art Durchführung moduliert und verarbeitet wird, die
zweimalige Wiederholung der Exposition
nach Rondo-Art schafft schließlich einen
befriedigenden Abschluss. Die formale
Klarheit und Logik, die so erreicht wird und
verkürzt auch im Schluss-Allegro vorkommt,
war um 1750 nicht nur eine sensationelle
Errungenschaft, sondern auch eine musikalische Revolution. Damit tritt das alte Sonata da chiesa/da camera-Schema ab, kündigt
sich die neue Sonatenhauptsatzform an,
auf der die Sinfonik der folgenden 150 Jahre
basieren wird. Es wäre also überheblich,
über die „Naivität“ dieser Musik zu lächeln.
Monn und seine Wiener Kollegen waren
die Schönbergs des 18. Jahrhunderts. Sie
hatten den Mut, das Alte hinter sich zu lassen, die Brücken zum Barockzeitalter hinter
sich abzubrechen und völlig neue Formen
zu definieren, die sie vielleicht nicht immer
ebenso visionär füllen konnten. Trotzdem
erleben wir hier, wie das Neue entsteht.
86
KONZERT FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
Gleichzeitig bewegte sich der 63-jährige
Händel, der ein für seine Zeitgenossen
bereits biblisches Alter erreicht hatte, mit
seiner Feuerwerksmusik formal auf sicheren Bahnen. Verständlich. Man schreibt
keine Experimentalmusik für ein Volksfest.
Sie war ein Kompositionsauftrag Georges II., der 1749 damit die Ratifizierung
des Aachener Friedens in den Vauxhall
Gardens feiern wollte. 12.000 Zuschauer
strömten zur Generalprobe. Die Uraufführung selbst fiel buchstäblich ins Wasser,
da es regnete. Händel hielt sich an die
traditionelle Form einer Suite, die aus
einer Französischen Ouvertüre, wie sie
oben charakterisiert wurde, sowie einer
Reihe von Tanzsätzen bestand. Zwei davon
nehmen auf den feierlichen Anlass Bezug:
La Paix – Der Frieden und La Réjouissance
– Die Freude. Experimentell aber war die
riesige Orchesterbesetzung und meisterhaft die Erfindung und Durcharbeitung
des Materials. Wie sehr Händel mit dem
neuartigen Klang eines ungewöhnlichen
Riesenorchesters experimentierte, zeigt
der Umstand, dass er drei Einstudierungen
brauchte, ehe er die definitive Instrumentation festlegte. Wenn man will, kann man
auch darin etwas Visionäres sehen. Denn
an jene über 100-köpfigen Riesenorchester, die damals als etwas völlig Ungewohntes sogar einen Händel unsicher machen
konnten, haben wir uns heute gewöhnt.
von Boris Kehrmann
FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN KONZERT
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ANNA FUSEK Flautino & Blockflöte
Anna Fusek wurde 1981 in Prag geboren.
Sie spielt seit ihrem 5., 6. und 8. Lebensjahr
Violine, Blockflöte und Klavier. Zunächst
erhielt sie Unterricht von Corinna Guzinski
in Dortmund und Michael Wessel-Therhorn in Münster.
Es folgten Studien bei Han Tol in Rotterdam und bei Christoph Huntgeburth in
Berlin, wo sie 2005 ihr Künstlerisches
Diplom abschloss. Sie studierte außerdem
als DAAD-Stipendiatin historische Klaviere bei Edoardo Torbianelli und Blockflöte
(Ensemble) bei Conrad Steinmann an der
Schola Cantorum Basiliensis. 2008 kehrte
sie zurück nach Berlin und nahm das
Studium der Barockvioline bei Irmgard
Huntgeburth an der Universität der Künste
auf, das sie 2013 mit einem Künstlerischen
Diplom beendete.
Als Solistin war sie unter anderem in folgenden Konzerthäusern zu hören:
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Musikverein Wien, Carnegie Hall New
York, Concertgebouw Amsterdam, Philharmonie Berlin, Théatre des Champs-Elysées
Paris, Walt Disney Concert Hall Los
Angeles, Gran Teatro del Liceu Barcelona,
Herkulessaal München und Rudolfinum
Prag. Sie hat mit Künstlerpersönlichkeiten wie Andrea Marcon, René Jacobs,
Christian Curnyn, Michael Sanderling,
Richard Dindo, Andreas Dresen, Magdalena Kožená, Sara Mingardo und Reinhold
Friedrich sowie Klangkörpern wie dem Venice Baroque Orchestra, der Akademie für
Alte Musik Berlin, den Berliner Philharmonikern, dem Rundfunk-Sinfonieorchester
Berlin, den Bremer Philharmonikern, dem
Prager Barockorchester Collegium 1704,
Il Pomo d’oro, dem Basler Barockorchester
La Cetra, dem Hamburger Barockorchester
Elbipolis, der Cappella Mediterranea, der
Kammerakademie Potsdam sowie dem
Ensemble Oriol zusammengearbeitet.
KONZERT FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
CHRISTIAN CURNYN Dirigent
Der britische Dirigent und Cembalist Christian Curnyn ist einer der meistgefragten
Dirigenten des barocken Opernrepertoires.
Er studierte Musik an der University of
York und Cembalo an der Guildhall School
of Music and Drama in London. 1994
gründete er die Early Opera Company. Zu
den frühen Händel-Aufführungen gehören
Ariodante für das BOC Covent Garden
Festival sowie Orlando beim South Bank
Centre Early Music Festival.
2005 gab er sein Debüt an der Scottish
Opera als Dirigent von Semele, 2006
folgte Tamerlano. Mehrfach trat er bei den
Händel Festspielen in Halle auf, 2008 auch
in Karlsruhe mit Susanna. An der English
National Opera debütierte er im gleichen
Jahr mit einer Neuproduktion von Händels Partenope, 2010 am Chicago Opera
Theater mit Cavallis Giasone. Zu seinen
jüngsten Gastengagements gehören
Händels Partenope an der Opera Australia
und an der San Francisco Opera, Cavallis
La Calisto an der Oper Frankfurt, Ramaus'
Castor et Pollux an der Komischen Oper
Berlin sowie Monteverdis Orfeo und
Cavallis L’Ormindo am Royal Opera House
in London. Nach seinem Debüt mit Platée
übernahm er 2015/16 an der Oper Stuttgart
die musikalische Leitung bei der Neuinszenierung von The Fairy Queen.
Für Konzertdirigate gastierte er beim
Ulster Orchestra und Hallé Orchestra,
beim Stavanger Symphony Orchestra, bei
The English Concert, beim Irish Baroque
Orchestra und beim Scottish Chamber
Orchestra für eine Tournee mit Nicola
Benedetti gefolgt von einer Einspielung
bei Decca. Zahlreiche weitere Aufnahmen
liegen vor, außerdem wurde er mehrfach
für seine Arbeit ausgezeichnet, zuletzt mit
dem BBC Music Magazine Award 2013.
FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN KONZERT
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ARMINIO
Oper von Georg Friedrich Händel HWV36
Libretto nach Antonio Salvi basierend auf der Tragödie „Arminius“
von Jean Galbert de Campistron
Uraufführung am 12. Januar 1737 am Covent Garden Theatre in London
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Aufführungsrechte Hallische Händel-Ausgabe Bärenreiter
Arminio, Fürst der Chauken und Cherusker Tusnelda, Ehefrau Arminios, Tochter Segestes
Segeste, Fürst der Chatten, Verbündeter Varos
Varo, Oberbefehlshaber
der römischen Armee am Rhein
Sigismondo, Sohn Segestes,
Liebhaber der Ramise
Ramise, Schwester Arminios
Tullio, Hauptmann Varos
MAX EMANUEL CENCIC
LAUREN SNOUFFER
PAVEL KUDINOV
JUAN SANCHO
NICOLAS ZIÉLINSKI
GAIA PETRONE
OWEN WILLETTS
ARMONIA ATENEA
1. Violine Sergiu Nastasa (Konzertmeister), Epameinontas Filippas, Georgios Panagiotopoulos, Angie Kasdas, Sofia Liu, Chryssa Koutsaftaki 2. Violine Carmen Otilia Alitei,
Athanasios Martzoukos, Angeliki Fanarioti, Luise Ramos-Stahl Viola Laurentiu Octavian
Matasaru, Ilias Livieratos Violoncello Iason Ioannou, Christopher Humphreys, Ilias Sakalak Violone Dimitris Tigkas Cembalo Markelos Chryssikopoulos Theorbo Theodoros Kitsos
Oboe Dimitris Vamvas, Kristin Linde* Fagott Heide Pantzier* Horn Peter Bühl*, Tristan
Hertweg*
*Gäste der Armonia Atenea
In Kooperation mit Parnassus Arts Productions
WIEDERAUFNAHME FR 24.2. 19.00 GROSSES HAUS
Weitere Vorstellungen 26.2. 15.00, 1.3. 19.00
3 Stunden 30 Minuten, Pausen nach dem 1. & 2. Akt
Die in Koproduktion mit den INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELEN KARLSRUHE
entstandene CD-Aufnahme ist bei Decca erschienen und am CD-Stand erhältlich.
92 OPER ARMINIO
STATISTERIE DES BADISCHEN STAATSTHEATERS
Kinder Arminios und Tusneldas
Diener, Soldaten KYLE LIPPOTH / JONAS ROTHENBACHER
SINAH EICHE / PHILINE SCHÜTTLE
PAULINUS BURGER, ALAIN CERNY, CÉDRIC
DUJARDIN, ALESSANDRO GOCHT, MATHIS
HARANG, ALEXANDER KOLARCYK,
CORNELIUS MARTJAN, MANUEL MÜLLER,
MARKUS SCHMIDT, PHILIPP SCHWARTZ,
SAMUEL SEIDEL, ALEXANDER SPRICK,
ANDREAS STEFFEN, GASTON WEBER
Musikalische Leitung
GEORGE PETROU
Regie
MAX EMANUEL CENCIC
Bühne
HELMUT STÜRMER
Kostüme
HELMUT STÜRMER,
CORINA GRĂMOŞTEANU
Video ETIENNE GUIOL, ARNAUD POTTIER
Licht
HELMUT STÜRMER,
CHRISTOPH HÄCKER
Cembalo & Leitung der Rezitative
MARKELOS CHRYSSIKOS,
GEORGE PETROU
Dramaturgie
MICHAEL FICHTENHOLZ
Musikalische Assistenz Olga Zheltikova Regieassistenz und Abendspielleitung Dimitris
Dimopoulos Regieassistenz Amna Schaddad Bühnenbild-Assistenz Megan Roller
Kostümassistenz Stefanie Gaissert Übertitel Achim Sieben Inspizienz Gabriela Muraro
Leitung der Statisterie Oliver Reichenbacher
Technische Direktion Harald Fasslrinner, Ralf Haslinger Bühne Helga Gmeiner, Margit
Weber Leiter der Beleuchtung Stefan Woinke Licht Christoph Häcker Leiter der Tonabteilung Stefan Raebel Ton Gunter Essig, Jan Pallmer Leiter der Requisite Wolfgang Feger
Werkstättenleiter Guido Schneitz Malersaal Giuseppe Viva Leiter der Theaterplastiker
Ladislaus Zaban Schreinerei Rouven Bitsch Schlosserei Mario Weimar Polster- und Dekoabteilung Ute Wienberg, Bernhard Busse Kostümdirektorin Christine Haller Gewandmeister/In Herren Petra Annette Schreiber, Robert Harter Gewandmeisterinnen Damen Tatjana
Graf, Karin Wörner, Annette Gropp Waffenmeister Michael Paolone, Harald Heusinger
Schuhmacherei Thomas Mahler, Nicole Eyssele, Valentin Kaufmann Modisterei Diana
Ferrara, Britta Hildebrandt Kostümbearbeitung Andrea Meinköhn Chefmaskenbildner
Raimund Ostertag Maske Sabine Bott, Marion Kleinbub, Petra Müller, Sotirios Noutsos,
Karin Grün, Inken Nagel, Niklas Klaiber
ARMINIO OPER 93
ZUM INHALT
1. AKT
Nachdem Arminio sieglos aus einem
Kampf mit römischen Legionen zurückkehrt, drängt ihn seine Gattin Tusnelda zur
Flucht. Arminio weigert sich, da er kein
Verräter sein will. Als Tusnelda ihn aber
daran erinnert, dass sie, wenn er falle,
den Römern zur Beute werde, fliehen sie
gemeinsam. Der Hauptmann Tullio überbringt Varo, dem römischen Feldherrn die
Nachricht von Arminios Flucht. Varo ist
verstimmt, weil dadurch der Glanz des
Sieges gemindert wird; außerdem gesteht
er seine Liebe zu Tusnelda. Tullio rät ihm,
Amor zu bezwingen. Doch Varo beteuert,
dass er für Ruhm und Liebe noch besser
kämpfen werde. Segeste, Fürst der Chatten und Vater Tusneldas, verrät Arminio
und übergibt Varo den Gefangenen und
das unterworfene Reich der Germanen.
Arminio verurteilt Segeste wegen seines Verrats an Vaterland, Tochter und
Schwiegersohn. Tusnelda ist erschüttert
von der Feindseligkeit zwischen ihrem
Vater und ihrem Gatten. Segeste und Varo
versuchen, Arminio umzustimmen: Er soll
Frieden von Rom erbitten. Dieser will aber
eher sterben, als dem Vaterland abzuschwören und so zum Verräter zu werden.
Segeste ist über den Stolz seines Schwiegersohns entrüstet und will diesen lieber
opfern, als den Frieden zu gefährden.
Sigismondo, Segestes Sohn, deutet grauenhafte Träume als Voraussage unheilvollen Schicksals. Tusnelda überbringt
ihrem Bruder Sigismondo und dessen
Geliebter Ramise die Schreckensbotschaft
von Arminios Gefangennahme. Ramise,
Arminios Schwester, ist im Begriff, sich
94 OPER ARMINIO
Rom und Varo zum Opfer zu bringen, um
das Schicksal ihres Bruders zu erleichtern.
Als sie von Segestes Verrat erfährt, fragt
sie Sigismondo, wie er jetzt noch Arminios
Schwester lieben könne. Jener beteuert
dagegen seine Unschuld an den Verbrechen des Vaters.
Ramise will gehen, Sigismondo und
Tusnelda halten sie jedoch zurück. Ramise
empfindet Grauen und erklärt, in ihrer
Brust sei kein Platz mehr für die Liebe.
Sigismondo ist verzweifelt und fleht seine
Schwester um Hilfe an. Sie hat Mitleid mit
ihm, bittet ihn aber, auch an ihr Herz zu
denken. Ein Schmerz, der mit dem Weinen
vergehe, sei ein schwaches Zeichen der
Liebe, meint Tusnelda und erklärt, dass
das Feuer einer starken Liebe nicht einmal
der Tod löschen könne. Segeste tritt auf
und fordert Sigismondo auf, seine Absichten zu ändern und nicht mehr an Ramise zu
denken: Das Schicksal habe sich gewandelt, da Augustus Segestes Treue belohnen wird. Sigismondo will zwar gehorchen,
kann es aber nicht; er wirft dem Vater sein
Schwert vor die Füße, damit dieser ihn
töte. Segeste bezeichnet seinen Sohn als
Verräter und verlässt ihn zornig. Sigismondo bekennt, dass er sterben könne, aber
nicht leben ohne zu lieben.
2. AKT
Segeste offenbart Tullio, dass Recht
Vernunft und die Tränen seiner Tochter
der Tötung Arminios entgegen stünden.
Wenn Tusnelda Varo heirate, werde sie
ihre Tränen trocknen, meint Tullio. Segeste
ist erfreut und verkündet, dass Arminio
heute sein Schicksal erfahre: Unterwerfung unter Augustus oder Tod. Varo gibt
Segeste einen Brief von Augustus, in dem
dieser Varo für die Unterwerfung Germaniens dankt und verlangt, Arminio zu
töten. Segeste will den Befehl des Kaisers
ausführen. Er und Varo fragen sich jedoch,
ob sie das Herz haben werden, Tusnelda zu
quälen.
Dem Vaterland und der Freiheit zuliebe
erträgt der gefesselte Arminio den Druck
der Ketten gern. Segeste kommt hinzu und
rät ihm, sich dem Herrscher Roms zu beugen. Arminio nennt Segeste einen Verräter
und bekundet, dass er zwar für die Freiheit
sterben, Segestes Herz jedoch durch die
nie nachlassende Reue gequält werde.
Segeste rät seiner Tochter, ihren Gatten
zu retten, indem sie ihn davon überzeugt,
vor dem Kaiser das stolze Haupt zu senken.
Eine große Seele ziehe einem sklavischen
Leben einen glorreichen Tod vor, entgegnet Tusnelda. So werde er sterben, verkündet Segeste. Dann solle er auch sie töten,
verlangt Tusnelda, denn sie könne von ihm
nur ihren Tod oder Arminios Freiheit erbitten. Ramise bezeichnet Segeste als treulosen Fürsten und unmenschlichen Vater
und versucht, ihn mit einem Dolch zu töten,
was Sigismondo verhindert. Mit Arminios
Tod werde Ramises Hochmut noch heute
enden, meint Segeste und geht wütend ab.
Um ihrer Liebe willen verlangt Ramise von
Sigismondo, sich nicht ihrem Zorn in den
Weg zu stellen. Da er seinen Vater nicht
töten könne, fordert Sigismondo Ramise
auf, ihn mit seinem Schwert zu töten. Sie
wirft es auf die Erde, und Sigismondo
nimmt es, um sich selbst zu durchbohren.
Ramise gebietet Einhalt, nennt ihn einen
getreuen Sohn eines Verräters und bleibt
verwirrt zurück.
Sigismondo fühlt sich zwischen seiner Liebe zur Schwester Arminios und zum Vater
hin- und hergerissen und will keine Schuld
auf sich laden.
Arminio fordert von einem Wächter, Varo
zu rufen. Die verzweifelte Tusnelda bittet
ihren Gatten, sich Augustus zu unterwerfen. Als er dieses Ansinnen von sich
weist, will auch sie seinem Beispiel folgen.
Arminio will Varo zum Erben seines einzigen Schatzes – Tusnelda – machen, denn
er weiß um Varos Begehren und findet
beide einander würdig. Tusnelda vernimmt
dies unter Seelenqualen. Arminio schickt
sich in den Tod und wünscht den beiden
seinen inneren Frieden. Varo ist verwirrt,
er erwägt, Arminios Wunsch anzunehmen.
Tusnelda weist jeden Gedanken daran
zurück: Liebe und Treue verböten ihr, die
Seine zu werden. Varo müsse, wenn er ihre
Achtung erlangen wolle, zum Helfer seines
Rivalen werden. Doch der Feldherr will
Tusnelda an Tugend nicht nachstehen und
fordert von sich selbst, Cupido zu trotzen.
Wenn er ihr den Gatten zurückgebe, werde
sie ihm ihrer beider Leben zu danken haben, versichert Tusnelda Varo.
3. AKT
Auf dem Hof ist ein schwarz ausstaffiertes
Blutgerüst aufgebaut, um das römische
Soldaten mit ihren Standarten stehen. Der
gefesselte Arminio erblickt die grausige
Bühne, verachtet aber weiterhin den römischen Hochmut. Er sieht seine Hinrichtung
ARMINIO OPER 95
Tusnelda steht vor einem Tisch, auf dem
Arminios Schwert liegt und ein Becher
mit Gift steht, den sie – in der Annahme
Arminio sei tot – trinken will. Ramise
hindert sie jedoch daran und teilt ihr mit,
dass Arminio lebe, aber in Gefahr sei. Sie
müssten ihn von den Fesseln befreien oder
ihn rächen, wenn er doch tot sei, und dann
selber sterben. Tusnelda ist einverstanden; sie nimmt den Becher an sich, Ramise
Arminios Schwert, und beide machen sich
gegenseitig Mut und hoffen auf ein günstigeres Schicksal.
Frauen Gift und Schwert weg. Hin- und
hergerissen zwischen seinem Hang zur
Gerechtigkeit, seiner Liebe zu Ramise und
seiner Treue zum Vater geht er, unschlüssig, was er tun soll. Zu den weinenden
Frauen tritt der von Sigismondo befreite
Arminio. Sigismondo bringt Arminio sein
Schwert und drängt zum baldigen Aufbruch, damit er für die Freiheit Germaniens kämpfen könne. Arminio dankt und
verabschiedet sich von der Schwester und
Tusnelda, die ihm ein beständiges Herz
voller Liebe verheißt, wenn er im Triumph
zurückkehren wird. Ramise fragt Sigismondo, ob er hierbleiben wolle, um Segestes
Zorn zum Opfer zu fallen. Wer schuldig sei,
mag fliehen, antwortet Sigismondo, für
seine etwaigen Fehler werde er selbst einstehen. Segeste kommt mit Wachen hinzu
und wirft Sigismondo vor, dass er sich,
statt seine Befehle auszuführen, von Ramise betören lasse. Sigismondo gesteht dem
Vater die Befreiung Arminios, doch auch
Ramise nimmt die Schuld auf sich, worauf
Segeste beide fesseln lässt, ihnen den Tod
verspricht und zornerfüllt geht. Sigismondo rät Ramise, beständig zu sein, um die
Grausamkeit des Schicksals zu besiegen;
er wird abgeführt. Ramise begehrt gegen
die Trennung von ihrem Geliebten auf und
vertraut auf den Beistand der Sterne.
Sigismondo beklagt Arminios Geschick,
als seine Schwester und seine Geliebte
eintreffen und von ihm verlangen, Arminio
zu befreien – anderenfalls würden sie sich
umbringen. Sigismondo bittet sie einzuhalten, und verteidigt den Vater, weil dieser
Augustus gehorchen müsse. Als daraufhin
Tusnelda sich vergiften und Ramise sich
erstechen will, nimmt Sigismondo den
Tullio beschwört Segeste zu fliehen, denn
Varo sei umgekommen, das Kastell erobert
worden, und der hochmütige Arminio habe
gesiegt. Segeste weigert sich, und Sigismondo will den Vater verteidigen. Dieser
aber zeiht ihn des Verrats und schickt
ihn fort. Arminio kommt mit Tusnelda und
Ramise und nimmt Segeste das Schwert
weg. Er beschwört ihn, seinen Hass
als Triumph an und verlangt, zum Tode
geführt zu werden. Varo befiehlt jedoch,
dem Gefangenen die Fesseln abzunehmen.
Segeste protestiert und verlangt Arminios
Hinrichtung, die Varo zwar bestätigt, doch
soll Arminio wie ein Krieger und nicht wie
ein Verbrecher sterben dürfen. Plötzlich
erscheint Tullio und ruft Varo und Segeste
zu den Waffen, da Segismero, ein Führer
der Cherusker, römische Truppen vernichtet habe. Arminio muss in den Kerker
zurückkehren, ist sich aber sicher, dass im
Gefängnis und in der Nähe des Todes seine
Treue noch fester werde. Varo fordert von
Segeste und seinen Leuten die Verteidigung der Burg, Tullio dagegen soll ihm
folgen.
96 OPER ARMINIO
fahren zu lassen – er habe das erfahrene
Leid bereits vergessen. Segeste ist von
so viel Großmut und Tugend überwältigt;
er schwört Arminio Treue, beide umarmen sich. Arminio verkündet, dass seine
Schwester mit Segestes Sohn vereint sein
soll, dem er Freiheit und Leben verdanke.
Tusnelda und ihr Mann bekennen einander
ihre Liebe und Treue. Arminio fordert alle
auf, sich nun der Freude zu überlassen.
Alle bekennen, unfähig zu sein, eine solche
Milde zu erfassen, und erklären, dass
großer Mut Leid in Freude verwandle.
Stephan Blaut
© Bärenreiter Verlag, 2013
BESETZUNG
DER URAUFFÜHRUNG
Arminio
Tusnelda
Segeste
Varo
Sigismondo
Ramise
Tullio DOMENICO ANNIBALI Altkastrat
ANNA STRADA DEL PÒ Sopran
HENRY THEODORE REINHOLD Bass
JOHN BEARD Tenor
GIOACCHINO CONTI Soprankastrat
FRANCESCA BERTOLLI Alt
MARIA CATERINA NEGRI Alt
ARMINIO OPER 97
ZUM STÜCK
ZWISCHEN VERZWEIFLUNG
UND HOFFNUNG:
HÄNDELS ARMINIO
Die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte
von Arminio ist geprägt von einer Reihe misslicher Umstände, die von der Uraufführung
bis ins 21. Jahrhundert reicht. Die Premiere
am 12. Januar 1737 am Royal Opera House in
Covent Garden wurde vom Londoner Publikum
mit Desinteresse aufgenommen. Ein Grund
war, dass es zu dieser Zeit in London ein Überangebot an Opernaufführungen und singenden
Stars gab. Neben den von Händel veranstalteten und von König Georg II. unterstützten
Opernaufführungen im „Königlichen“ Covent
Garden gab es mit der so genannten Opera of
the Nobility in London eine zweite Kompanie.
Beide Opernunternehmen engagierten hochkarätige Gesangsstars, die sie – gemessen
an den Gagen, die auf dem Kontinent gezahlt
wurden – ausgesprochen großzügig entlohnten, was sie in den letztlich unvermeidlichen
Ruin führte. Die britische Aristokratie war also
„operngesättigt“, was sich an den Zuschauerzahlen zeigte. Beide Kompanien hatten gravierende Auslastungsprobleme. In den adeligen
Opernkreisen amüsierte man sich bisweilen
darüber, dass sogar der legendäre Kastrat
Farinelli, der wohl berühmteste Opernsänger
des 18. Jahrhunderts, der von der Opera of the
Nobility engagiert wurde, mehr als einmal vor
halbleerem Haus auftrat. Doch auch Händels
Unternehmung steckte 1737 in der Krise: Kam
Alcina in der Spielzeit 1735/36 noch auf 18
98 OPER ARMINIO
Vorstellungen, folgten der Uraufführung von
Arminio 1737 nur fünf weitere Vorstellungen,
die – so berichtet Opernliebhaber Edward
Holdsworth – schlecht besucht waren. So
scheint es nur folgerichtig, dass Arminio
nach der sechsten und letzten Vorstellung
198 (!) Jahre im Archiv verstaubte.
Die Spielzeit 1736/37 bereitete dem Komponisten einige bittere Momente. Händel
veröffentlichte mit Arminio, Giustino und
Berenice in kurzen Abständen drei neu
komponierte Opernwerke, die von den Wiederaufnahmen von Poro, Alcina, Partenope,
Atalanta, Alexander’s Feast, Esther sowie
einer neuen Fassung des Oratoriums Il trionfo del Tempo e della Verità ergänzt wurden.
Trotz dieser engagierten Versuche gelang es
ihm nicht, das Publikum zurückzugewinnen.
Schlimmer noch: Aufgrund der drohenden
Insolvenz sah er sich gezwungen, sein Sängerensemble aufzulösen. Die Tatsache, dass
die Tage der konkurrierenden Adelsoper
ebenfalls gezählt waren, spendete dem Komponisten, dessen schlechter Gesundheitszustand seinen Freunden Sorge bereitete, nur
wenig Trost. Die großen Anstrengungen und
Rivalitäten der letzten Jahre resultierten in
einem Nervenzusammenbruch und in Teillähmungen seines rechten Arms, worüber auch
die Londoner Presse im Mai 1737 berichtete.
Der Sänger Domenico Annibali Anton Raphael Mengs
Doch die ungünstigen Umstände der Entstehung und Uraufführung sind nicht die einzigen Gründe für das weitere Schicksal dieser
Oper. Fast alle Händelforscher, angefangen
mit Charles Burney, dem Zeitgenossen Händels und Autor der General History of Music,
bis zu Winton Dean, dessen umfangreiches
zweibändiges Werk Handel’s Operas aus
dem Jahr 1987 die aktuelle Händel-Rezeption
grundlegend geprägt hat, haben Arminio
als unbedeutend eingeschätzt. Stellvertretend für ähnliche Einschätzungen sei an
dieser Stelle Deans Urteil zitiert: „Vieles in
der Partitur erinnert an Sachen, die Händel
zuvor besser gesagt hat.“ Als Grund für die
vermeintlich schlechte Qualität der Arminio-Komposition werden wiederholt die
unglücklichen Lebensumstände Händels genannt, beispielsweise die große Eile, in der
die Oper in dem kurzen Zeitraum zwischen
dem 15. September und dem 14. Oktober
1736 entstand, oder auch die Tatsache,
dass Arminio nach den großen Erfolgen von
Ariodante und Alcina ein schwieriges Erbe
antrat. Aber wie der Händeldirigent Alan
Curtis im Booklet der ersten, von ihm geleiteten Arminio-Aufnahme schreibt, haben
„viele Musikforscher und andere Kommentatoren […] die Oper als uninteressant und
unwichtig abgetan, in vielen Fällen ohne sie
gehört oder sich die Musik genau angesehen
zu haben“. Kann es sein, dass sich bei einem
erneuten genauen Studium der Partitur und
beim erneuten Hören herausstellt, dass es
ARMINIO OPER 99
sich bei alldem um ein Fehlurteil handelt und
Arminio zu Unrecht vernachlässigt wurde?
Händels Arminio-Text geht ursprünglich
auf ein Libretto von Antonio Salvi zurück,
das erstmals 1703 von Alessandro Scarlatti
vertont worden war. Der deutschstämmige
Händel fühlte sich von dem Sujet – mit dem
spätantiken Konflikt zwischen Germanen und
Römern im Mittelpunkt und der berühmten
Varusschlacht als einem der Höhepunkte
– angesprochen. Außerdem lag ihm – wie
die Vorgängerwerke Rodelinda und Radamisto belegen – die Vertonung eines
Familiendramas vor dem Hintergrund eines
Krieges. Lange Rezitativpassagen waren
beim Londoner Publikum eher unbeliebt und
so konstruierte Händel in seinem Arminio
mit kurzen Rezitativen zwischen den Arien
einen Spannungsbogen, der sich von der
ersten bis zur letzten Szene steigert. Er und
sein unbekannter Bearbeiter kürzten Salvis
Text für ihre Fassung radikal und strichen von
den insgesamt 1323 Rezitativ-Zeilen mehr als
tausend heraus! Zwar resultierten daraus
auch dramaturgische Schwächen, von der die
hohe musikalische Qualität und Intensität des
Werks jedoch unberührt bleibt. Und wie wir
aus der Operngeschichte mit Verdis Trovatore,
Webers Freischütz oder Tschaikowskys Pique
Dame wissen, steht eine schwache Vorlage
einem großen Meisterwerk nicht im Weg.
Musikalisch ist Arminio ein weiterer Beleg
für Händels außergewöhnliche Erfindungsgabe und bietet den Interpreten weitreichend
Gelegenheit, ihre vokale Kunstfertigkeit und
Virtuosität zu präsentieren. Händels Sängerensemble von 1736/37 bestand aus bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten seiner Zeit.
Die Titelpartie war die erste von drei Partien,
100 OPER ARMINIO
die Händel für den bedeutenden Alt-Kastraten Domenico Annibali kreierte. Die große
Händelverehrerin Mary Pendarves, die die
Londoner Opernkarriere des Komponisten
treu verfolgte und kaum eine seiner Premieren verpasste, beschreibt den Sänger
folgendermaßen: „Er verfügt über die besten
Eigenschaften seiner Vorgänger Senesino
und Carestini, mit ausgesprochen feinem
Geschmack und gutem Schauspiel.“ In den
ersten Szenen wird Arminio als Protagonist
etabliert, der mit seiner Ergebenheit dem
Vaterland und der Familie gegenüber sogar
seine Gegner beeindruckt. Den heroischen
Pathos dieser Figur gestaltet Händel in
„Al par della mia sorte“ im 1. Akt mit großen
Bögen und langen Phrasen. Mit dieser großen Arie beginnt die Reise des Titelhelden,
die über die tragischen Reflexionen in „Duri
lacci“, einer Gefängnisarie in dunklem f-Moll,
und den großen emotionalen Ausbrüchen
in „Si, cadro“, in der Arminio seinen Zorn in
furiose Koloraturen fließen lässt, im 3. Akt im
einzigen Recitativo accompagnato mündet,
das als Trauermarsch komponiert ist. Die
Partie gipfelt im gleichen Akt schließlich in
der fulminanten Paradearie „Fatto scorta“,
die Händel für Annibalis Wunderstimme
schrieb. Neben „All’orror della procelle“ aus
Riccardo Primo, komponiert für Senesino,
und „Salda quercia“ aus Arianna in Creta,
komponiert für Carestini, gilt diese Arie mit
temperamentvollen Koloraturpassagen und
riesigen Sprüngen vom Kopf- ins Brustregister zu den schwierigsten Arien Händels.
Anna Strada del Pò, die Lieblingsprimadonna
des Komponisten, gestaltete mit der Rolle
von Arminios Gattin Tusnelda, gleichzeitig
die Tochter von Segeste, eine ihrer dramatischsten Frauenportraits, die deutlich auf die
anderen tragischen Heroinen Händels, wie
Alcina und Ginevra in Ariodante, verweist.
Tusneldas Arien sind im 1. Akt Ausdruck
ihrer Angst vor dem tyrannischen Vater und
die Sorge um den geliebten Mann, dessen
Leben ständig bedroht ist. Ihre größte
Momente hat sie aber im 2. Akt: „Al furor del
mio consiglio“ ist ein Höhepunkt der Oper
und zeigt Tusnelda, wie sie in einem Konflikt
mit ihrem Vater ihrem Ehegatten die Treue
hält. Die Schlussarie des 2. Aktes, die wie
immer bei Händel ein besonderer Moment
ist, steht dazu in starkem Kontrast: Mit einer
zarten und doch ausdruckstarken Siziliana
bittet Tusnelda Varo unter Tränen, ihr ihren
Mann zurückzugeben. Die dunklen Seiten
der Figur werden in der Musik des 3. Aktes
zunächst vertieft, bevor sie wieder zu neuem
Leben erwacht und ihren Gatten, der in den
Kampf mit den Römern aufbricht, mit einem
mitreißenden „Va, combatti“ verabschiedet.
Die besondere Beziehung und Liebe zwischen Arminio und Tusnelda scheint Händel
ein wichtiges Anliegen gewesen zu sein, die
der Oper mit einem Duett der Ehegatten zu
Beginn – nicht nur für Händel ungewöhnlich – und eines vor dem Schlusschor einen
besonderen Rahmen gibt.
Eine Rivalität, oder besser gesagt ein starker
Kontrast zwischen zwei Sängerpersönlichkeiten faszinierte Händel und sein Publikum.
Die Partie des Sigismondo ist die höchste,
die Händel für einen Kastraten komponiert
hat. Er schrieb sie für Gioacchino Conti,
genannt Gizziello, und stellt damit den zweiten
Starkastrat in ein besonderes Licht. Während
Domenico Annibali den Titelhelden Arminio
mit einem dunklen Alt verkörperte, war sein
Kollege Conti, der bei der Premiere gerade
einmal 22 Jahre alt war, und dessen Sigismon-
do von ganz anderer Natur: ein schüchterner,
zerbrechlicher Junge mit schlanker, kristallklarer Stimme. Die Figur wäre für die Studien
moderner Psychoanalytiker nicht uninteressant: ein von Vater Segeste dominierter und
als „effeminato“, als weibisch bezeichneter
Sohn, der die ganze Oper vor einem unlösbaren Dilemma steht, der vom zentralen Konflikt
zwischen Liebe und Pflicht am stärksten betroffen ist und der vergeblich versucht, seiner
Verlobten sowie dem despotischen Vater treu
zu sein. Wir lernen ihn mit einer meditativen
Auftrittsarie „Non son sempre vaghe larve“
kennen. Händel lotet den schwärmerischen
und unentschlossenen Charakter in „Posso
morir“, der Schlussarie des 1. Aktes mit
starken Tempo- und Dynamikkontrasten und
im 3. Akt in „Il sangue al core favella“ weiter
aus, wo er, um die Verwirrung und Angst
Sigismondos musikalisch abzubilden, von der
traditionellen Da-capo-Form abweicht. Nur
einmal – in der großen Arie im 2. Akt „Quella
fiamma“ – wirkt er entschlossen: Sein Gesang
strebt bis zum funkelnd hohen C und erscheint
– mit der Oboe als virtuosem Dialogpartner –
als Abbild seiner flammenden Liebe. Das
prächtige Solo hat Händel dem bedeutenden
italienischen Oboisten und Komponisten
Giuseppe Sammartini anvertraut.
Die zweite Heldin der Oper ist Arminios
Schwester Ramise, die bei der Premiere von
der schönen italienischen Altistin Francesca
Bertolli verkörpert wurde. Sie wirkt – wie ihr
Geliebter Sigismondo – unreif und kindisch.
Neben Arminio und ihrem Vater Segeste und
deren politischen und persönlichen Ambitionen ist sie verloren – davon zeugt die fast
komisch wirkende Hysterie ihrer ersten und
letzten Arie, in denen die fieberhafte und aufgeregte Gesangslinie kaum zur Ruhe kommt.
ARMINIO OPER 101
Auch wenn Händel für den Bassist Henry
Theodore Reinhold, den Sänger des Segeste,
nur eine einzige Arie komponiert hat, ist der
Tyrann in vielen Rezitativen präsent. Wie
ein schwarzer, bedrohlicher Schatten liegt
der treulose und schlaue Politiker, der seine
eigenen Kinder wie Schachfiguren in einem
komplizierten politischen Spiel einsetzt, über
vielen Szenen der Oper.
Auch den beiden Römern Varo und Tullio
verleiht Händel ein starkes Profil. Tullio, der
Volkstribun, wurde 1737 von der für Hosenrollen bekannten Altistin Maria Caterina
Negri gesungen. Aus ihren beiden Arien,
die Händel mit langen tollkühnen und fast
operettenhaften Koloraturpassagen ausstattet, spricht die Ironie des Komponisten,
der hier einen starken Kontrast zwischen
Tullios Musik und den hehren im Text proklamierten Ideen über Liebe und die Würde
eines Römers erzeugt. Varo, der römische
General, der sich in die Frau seines größten
Feindes verliebt, ist einer der interessantesten Charaktere der Oper. Händel besetzte
die Partie mit John Beard, für den er in den
1740er Jahre die großen Tenorpartien seiner
Oratorien komponierte. Die Partie ist quantitativ mit nur zwei Arien, mit denen Händel
unterschiedliche Facetten der Figur umreißt,
von eher kleinem Umfang: „Al lumi i due rai“
im 1. Akt ist durchzogen von der Liebe, die
die Angst in Varos Herz verdrängt und ihn zu
neuen Heldentaten hinreißt, und im 3. Akt
erweist er sich mit einem kämpferischen
„Mira il ciel“ als neuer Herakles. In dieser
prächtigen Aria guerriera (Kriegsarie) setzt
Händel zum ersten und einzigen Mal Hörner
ein und wertet dadurch die Partie bedeutend
auf. Kurz nach der Arie vermeldet Tullio Varos
Tod. Nach dem Tod dieses edelmütigen rö102 OPER ARMINIO
mischen Generals erklingen im Schlusschor
bezeichnenderweise keine Fanfaren und
Händel lässt die Oper so, wie sie begonnen
hat, im melancholischen Moll enden.
Doch nicht nur das ansonsten konventionelle Lieto fine ist von einer verhangenen
Stimmung geprägt. Von 33 Musiknummern
steht in Arminio fast die Hälfte in Moll. Die
Oper ist von der hochdramatischen Ouvertüre in h-Moll und dem melancholischen
Schlusschor eingefasst – die Ouvertüre und
das anschließende Menuett, das zu den
populärsten Nummern der Oper in London
wurde, künden die dramatischen Wechsel des 1. Aktes an, im Schlusschor haben
wir bitteren Nachgeschmack der blutigen
Geschichte. Können wir tatsächlich an ein
Happy End für eine Familie glauben, in der
der Vater mehrmals seine Tochter und seinen
Sohn verraten hat und sein Bestes getan hat,
seinen König und Schwiegersohn ermorden
zu lassen? Dieser ungewöhnliche und seltsame Charakter von Arminio wurde schon
von den Zeitgenossen Händels wenige Tagen
nach der Premiere bemerkt. Der 4. Earl von
Shaftesbury schrieb an seinen Freund James
Harris: „Die Oper ist recht ernst, aber sehr
präzise und in hohem Maße durchdacht; sie
ist eine von Händels Lieblingen.“ Er schreibt
weiter: „Ich befürchte aber, dass sie nicht
sehr lange gespielt werden wird. Die Stadt
mag sie nicht. Aber wie mein Vater sagt,
‚Harmonie ist Harmonie, auch wenn die ganze
Welt barbarisch wird.’“ Vielleicht ist es heute
an der Zeit, die erwähnte Harmonie von Arminio neu zu entdecken, auch wenn die Welt
fast drei Jahrhunderte nach der Uraufführung
nicht weniger barbarisch geworden ist ...
von Michael Fichtenholz
103
MAX EMANUEL CENCIC &
MICHAEL FICHTENHOLZ ÜBER ARMINIO
GEGEN MODE, GEGEN ZEIT,
GEGEN KONVENTIONEN
Michael Fichtenholz: „Arminio“ gehört
weder zu den bekanntesten noch zu
den zweitbekanntesten Opern Händels.
Normalerweise nimmt man solche vergessenen Werke in den Spielplan, weil alle
anderen schon gemacht wurden. Wie war
Ihr Weg zu „Arminio“? Was fasziniert Sie
an dieser Oper?
Max Emanuel Cencic: Ich finde die
Qualität der Arien, die Qualität der Musik
ausgesprochen gut. Das macht das Werk
außergewöhnlich. Für mich ist es eine der
besten Opern, die Händel je geschrieben
hat. Dieser Meinung waren seine Bewunderer und sogar seine Kritiker schon
bei der Uraufführung. Die Oper ist nicht
durchgefallen, aber die Opernsituation
war damals in London sehr angespannt.
Arminio hatte das Pech, dass die Musik
damals ins Hintertreffen geriet und das
Publikum Sensationen sehen wollte. Das
spiegelt sich auch in unserer Oper. Im
Kern ist sie ein Konversationsstück. Die
Varusschlacht ist bloß historische Kulisse.
Je länger ich mich mit dem Stück beschäftige, desto deutlicher wird mir sein intimer
Kern. Das „Konversationsstück“ war ein
spezifisches Genre der französischen und
englischen Malerei jener Zeit. Es zeigt
Personen im Gespräch und hat gerne einen
moralisierenden oder satirischen Unterton. Am bekanntesten sind heute William
104 OPER ARMINIO
Hogarths Kupferstichzyklen The Rake’s
Progress und The Harlot’s Progress. Händel wollte mit Arminio offenbar eine Oper
à la Hogarth schaffen, um den Geschmack
der Zeit zu treffen. Das scheint ihm mit der
Gattung der italienischen Oper nicht mehr
gelungen zu sein, wohl aber mit der des
englischen Oratoriums. Als er sich dieser
Gattung zuwandte, traf er den englischen
Geschmack wieder und wurde vergöttert.
Puritanismus und Nationalismus wurden
damals in England sehr stark. Das ist auch
der Grund, warum die italienische Oper
dort niederging. Die beiden wichtigsten
Argumente in der Polemik gegen Musiktheater lauteten 1. Oper ist Sünde und
2. Oper ist Ausländerkunst ...
… die noch dazu aus einem katholischen
Land kam.
Genau. Sie verschafft Ausländern vom
Kontinent Einfluss im Vereinigten Königreich. Und zweitens widerspricht sie der
Ästhetik des Puritanismus. Puritaner
bevorzugen Kirchenmusik. Unterhaltungsmusik ist in ihren Augen Sünde. Theater
und besonders Opernhäuser wurden als
Sündenpfuhl angesehen, wo die Leute
hingingen, um sich zu vergnügen, zu essen
und zu trinken, Liebschaften anzubandeln und sogar Sex zu haben – und eine
Kunstform zu begehren, die katholisch
war und mit dem Englischen nichts zu tun
hatte. Also pure Sünde. Händel musste
mehr gegen solche Vorurteile kämpfen
als mit künstlerischen Fragen. Die Gesellschaft veränderte sich und er hat
verzweifelt versucht, sich anzupassen.
Mit dem Wechsel zum Oratorium ist ihm
das gelungen. Nichtdestotrotz ist Arminio
ein Meisterwerk mit einer Handlung, die
sowohl tragisch als auch komisch ist. In
dieser bizarren Mischung liegt der Bezug
zur Bildgattung „Konversationsstück“.
Sie stellte die Sitten der Zeit plakativ aus,
sodass man sich fragt: Ist die Welt schon
völlig psychopathisch, völlig gefühllos
geworden? Was ist da los? Ein Beispiel:
Damals gingen die Leute zum Vergnügen
ins Londoner Irrenhaus Bedlam, um die
armen Insassen zu begaffen. Und zwar mit
Frauen, Kindern, der ganzen Familie. Man
muss sich das einmal vorstellen … Solche
Auswüchse spießte Hogarths The Rake’s
ARMINIO OPER 105
Progress moralisierend auf. Arminio nimmt
diesen puritanischen Standpunkt nicht ein.
Aber die Grausamkeit und der Zynismus
des Konversationsstücks sind deutlich in
ihm zu spüren.
Wie setzt Händel diese Ästhetik um?
Es gibt zwei Paare. Arminio und Tusnelda
sind das ideale Paar und Sigismondo und
Ramise sind unkonventionell, um nicht zu
sagen einfach lächerlich …
… also eine Parodie auf das ideale Paar?
Ja, genau, eine absolute Parodie. Sie
verstoßen dauernd gegen die Normen und
Konventionen. Dieses zweite Paar wird
aber auf händelsche Art so dargestellt,
dass es am Schluss doch zum Heldenpaar
wird. Ramise bewahrt Tusnelda vor dem
Selbstmord, Sigismondo verhilft Arminio
zur Flucht. Das ist ein typisch händelsches
Plädoyer für Toleranz. So etwas finden wir
in vielen seiner Werke versteckt. Damit
widerspricht er puritanischem Zeitgeist.
Worin liegt Ihrer Meinung nach der tiefere
Gehalt der Oper?
Es ist für mich ein Familiendrama, in dem die
Beständigkeit der Beteiligten auf den Prüfstand gestellt wird – und siegt. Da steckt
nicht viel Philosophie dahinter. Aber der
Rahmen und die Details sind sehr interessant. Wenn man genauer hinsieht, handelt
es sich um einen System- und Politikwechsel. Wie gehen Leute in einer Umbruchszeit
miteinander um? Wer schlägt sich auf
welche Seite? Wer nutzt die Gelegenheit,
um aufzusteigen, an die Macht zu kommen,
106 OPER ARMINIO
die Macht zu missbrauchen? Bei Varus ist
der Fall klar. Er benutzt seine Macht, um
sich Tusnelda gefügig zu machen. Das ist
pure Obsession. Er liebt sie nicht, sondern
will mit ihr schlafen. Von dieser fixen Idee
ist er so besessen, dass er sogar ihren
Mann Arminio rettet, um seine Frau weiter
erpressen zu können. Solange Arminio lebt,
kann Varus Tusnelda haben. Wenn er stirbt,
verweigert sie sich ihm. Das ist die sadistische Seite dieser Geschichte.
Sie verlegen die Handlung aus dem Jahre
9 n. Chr. in die Zeit der Napoleonischen
Kriege. Warum?
Natürlich kann man die Geschichte in
der Römerzeit spielen lassen, aber diese
Ästhetik ist heute durch die Sandalenfilme
der 50er und 60er Jahre wie Ben Hur und
Cleopatra verbraucht und wirkt kitschig.
Außerdem glaube ich nicht, dass es das
war, was Händel an dem Stoff interessierte.
Bei ihm wurde auch nicht in Römerkostümen gespielt, sondern mit Perücken und
Krinolinen der Mode seiner Zeit.
Das Publikum kannte sich damals zwar
gut in der Antike aus, aber im modernen
Kostüm und Bühnenbild konnte Händel die
Geschichte den Zuschauern näher bringen.
Er wollte, dass sie sich mit den Protagonisten identifizieren. Als Regisseur muss
ich heute dasselbe tun und etwas finden,
womit sich das Publikum identifizieren
kann. Das ist für mich die Situation, in der
sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation Anfang des 19. Jahrhunderts
befand. Deutschland war damals in lauter
kleine Fürstentümer zersplittert. Napoleon
besetzte mit seinen Armeen das Rheinland, setzte die Fürsten ab und installierte
neue Systeme. Er führte sogar ein neues
Gesetzbuch ein, den Code Napoléon,
dessen fortschrittliche Rechtsgrundsätze
in unsere Rechtsprechung eingegangen
sind. Das sind die deutlichen geschichtlichen Parallelen, die diese Zeit im süddeutschen Raum mit der Handlung des
Arminio aufweist. Baden und Karlsruhe
waren unmittelbar von diesen Vorgängen
betroffen. Über Lieselotte von der Pfalz,
die Schwägerin Ludwigs XIV., tangierte
die Französische Revolution die Gegend
sogar familiär. Darum dachte ich mir, dieser Systemwechsel hat mit der Karlsruher
Lokalgeschichte zu tun, damit kann sich
das hiesige Publikum identifizieren. Und er
weist deutliche Parallelen zu dem Systemwechsel – Entmachtung der Kleinfürsten,
Aufstieg des Imperiums – auf, der sich im
Germanien Hermanns, des Cheruskers
vollzog. Ich denke vor allem an die gescheiterte Flucht Arminios und Tusneldas
zu Beginn der Oper. Das erinnert mich an
die Flucht Marie-Antoinettes und Ludwigs
XVI. 1791 aus Paris. Segeste erinnert an
Philippe Égalité, einen Verwandten des
Königs und Enkel Johannas von Baden-Baden, der schon zu Zeiten Ludwigs XV. in
ständiger Opposition zu den Bourbonen
stand. Eine weitere historische Parallele.
Er wurde zum Kollaborateur der Revolution
und verlor am Ende doch seinen Kopf. Ich
war selbst erstaunt, wie perfekt diese
Situation das Stück spiegelt.
Wer in dieser Zeit nicht mit der Zeit ging,
wurde umgebracht.
Auf einen Zack! Und zwar auf der Guillotine.
Ich habe mich da von Milo Formans Film
Goyas Geister inspirieren lassen. Da geht
es auch um diese große Zeitenwende. Der
Film macht den Zeitgeist bis in kleinste
Details nacherlebbar. Wer sich der neuen
Epoche entgegenstellte, kam aufs Schafott.
Andere, wie Pater Lorenzo Casamares,
gespielt von Javier Bardem, Vorbild des
Varus in meiner Inszenierung, wandeln sich
total, vollziehen aber dann den Schritt zur
nächsten Epoche nicht mit und scheitern
später.
Kann es da überhaupt ein Happy End
geben?
Es gibt keines. Varus stirbt, die Römer
werden geschlagen, die Germanen siegen.
Das ist eine Entweder-oder-Situation.
Einer triumphiert, der andere unterliegt.
Aber er stirbt nicht allein, sondern seine
gesamte Armee geht mit ihm unter, was
nicht auf der Bühne gezeigt wird. Arminio
ist also keine Opera seria, wo am Ende
alle einen fröhlichen Schlusschor singen.
Darum stand für mich fest, dass Segeste
geköpft wird und keine Gnade erhält. Was
Arminio und Tusnelda widerfahren ist, ist
unverzeihlich.
Das gilt für alle Zeiten und Kriege. Heute
bist du Gewinner, morgen gehst du aufs
Schafott.
Und so ist es auch in den „Konversationsstücken“. Dort gibt es immer Gewinner,
Verlierer und ein zynisches Ende. Händel
hat, glaube ich, versucht, in diese Richtung
zu gehen, um an den Geschmack des Publikums heranzukommen. Es ist sicher kein
Zufall, dass der Schlusschor in Moll steht.
ARMINIO OPER 107
HELMUT STÜRMER SPRICHT MIT
MICHAEL FICHTENHOLZ ÜBER ARMINIO
UNERWARTETE FREIHEIT
Sie haben Bühnenbilder für Opern aus den
unterschiedlichsten Epochen entworfen,
von den Anfängen über die großen romantischen Stücke und die klassischen Meisterwerke bis hin zu Uraufführungen wie
jüngst Anton Lubtchenkos DOKTOR SCHIWAGO in Regensburg. Worin besteht die
besondere Herausforderung, eine barocke
Oper auszustatten?
Paradoxer- und unerwarteterweise lässt
die Barockoper dem Bühnenbildner viel
mehr Freiheit als andere Werke. Ihre Libretti sind nicht gerade das Gelbe vom Ei. Die
Geschichten können mehr oder weniger frei
interpretiert werden. Ihr Sinn ergibt sich
erst im Zusammenwirken mit Bühnenbild
und Musik. Die größte Gefahr barocker
Opern liegt in der Versuchung, sie allzu
realistisch anzugehen. Auch das andere
Extrem, ein solches Werk vollkommen
abstrakt zu inszenieren, widerspricht der
Musik. Ihre spezifische Herausforderung
liegt darin, einen passenden Rahmen für
diese besondere Musiksprache zu finden.
Dieser Rahmen aber ist relativ frei. Er darf
die Musik weder illustrieren noch verschleiern. Die Geschichte muss verständlich und
nachvollziehbar sein. Welches der richtige
Schlüssel ist, hängt von jedem einzelnen
Werk selbst ab. Beim Arminio liegt er für
mich in der traumartig schwebenden Bühnenbewegung. Unser Bühnenbild ist durch
die technischen Möglichkeiten der Karlsruher Bühne inspiriert, die wir ausschöpfen.
Sie verfügt über drei individuell steuerbare
108 OPER ARMINIO
Drehringe, denen wir im Zentrum noch eine
vierte Drehbühne hinzugefügt haben. Es
geht um die Magie der Bewegung. Außerdem fordert uns die Barockoper auf, ästhetisch aus dem Vollen zu schöpfen. Sie übertreibt, darf aber nie in die Karikatur kippen.
Sie haben bereits bei Leonardo Vincis
ARTASERSE mit Max Emanuel Cencic als
Titelheld zusammengearbeitet. Die Inszenierung ist faszinierend, weil ihre Buntheit,
Opulenz und Extravaganz in Kostüm und
Bühnenbild alle Grenzen sprengte. Bei ARMINIO halten sie sich in dieser Beziehung
etwas zurück. Liegt das an der Musik?
Absolut. Bei Arminio gibt es keine Bravourarien à la Artaserse, in denen die
Koloraturen wie Wasserfälle über das
Publikum niederprasseln. Vincis Stil verlangt äußerste Opulenz. In Arminio ist die
Musiksprache zurückhaltender. Das muss
sich auch im Bühnenbild wiederspiegeln.
Ich hoffe, dass die relative Schlichtheit der
Bühne die besondere Atmosphäre dieser
Oper überzeugend vermittelt. Dazu dienen
auch unsere diskreten Videobeiträge. Sie
spielen keine illustrative Rolle, ersetzen
auch nicht die Geschichte, sondern schaffen eine besondere Atmosphäre.
Warum haben sie die Handlung in die
Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert verlegt? Ging es ihnen um die Brutalität und
den Zynismus dieser Epoche oder um das
Zeitalter der Empfindsamkeit und Frühromantik?
Wir haben uns von Goya inspirieren
lassen. Wenn man sich seine Bilder an-
schaut, erkennt man deutlich die Grausamkeit jener Zeit, aber es ist eine Grausamkeit, die paradoxerweise gelegentlich
auch feinfühlig sein kann und sogar eine
gewisse Poesie entwickelt. Da ist eine
neue Ästhetik entstanden, die mich sehr
fasziniert. Es ist eine Kunst in Zeiten des
Krieges und in einer solchen spielt auch
Arminio. Die Figuren in diesem Werk
sind zynisch, brutal, zugleich aber auch
unglaublich sentimental. Vielleicht bringt
der Überlebenswille in solchen Extremsituationen solche Paradoxien hervor.
Ich kann mir nichts Romantischeres vorstellen, als die berühmten Weihnachtsfeiern in den Schützengräben des Ersten
Weltkriegs, von denen mir einmal erzählt
wurde. Da haben deutsche und russische
Soldaten an der Front zusammen gesessen und gefeiert und gemeinsam Weihnachtslieder gesungen. Und am nächsten
Morgen sind sie wieder in ihre Unterstände gekrochen und haben sich gegenseitig
totgeschossen.
ARMINIO OPER 109
MAX EMANUEL CENCIC Arminio & Regie
Max Emanuel Cencic ist einer der weltweit
faszinierendsten und vielfältigsten Künstler, der sich für die Wiederentdeckung und
Aufführung der Musik des 18. Jahrhunderts
einsetzt. Als Countertenor und künstlerischer Leiter seiner Firma Parnassus Arts
Productions ist er die treibende Kraft hinter
Wiederentdeckungen und Produktionen wie
Vincis Artaserse 2012 und Catone in Utica
2015 sowie Siroe von Hasse 2014. Von Händel
hat er bisher Alessandro, Tamerlano und
Faramondo produziert, im Februar folgt zu
den INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELEN KARLSRUHE die Gesamtaufnahme
des Arminio. Darüber hinaus produziert er
seine eigenen Solo-CDs: Nach Rokoko wurde
im Herbst 2015 mit großem Erfolg Arie Napoletane auf Decca veröffentlicht. Viele seiner
CDs erhielten nationale und internationale
Auszeichnungen, darunter der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, der Echo Klassik in
verschiedenen Sparten, zwei Grammy Nominierungen und der Diapason d’Or. Mit Siroe
110 OPER ARMINIO
gab Max Emanuel Cencic außerdem sein Debüt
als Opernregisseur. Die Produktion hatte ihre
Premiere in Athen und war an der Opera Royal
de Versailles und beim Budapester Frühlingsfestival 2015 zu sehen.
Mit Arminio bei den HÄNDEL-FESTSPIELEN
debütierte der facettenreiche Künstler erstmals in der Doppelfunktion als Sänger der
Hauptrolle, als Co-Produzent und Regisseur
an einem deutschen Staatstheater. Max
Emanuel Cencic war Mitglied und Solist der
Wiener Sängerknaben, bevor er 1992 seine
Solokarriere als Sopranist begann und von
2001 an als Countertenor auftrat. Er gastiert
an bedeutenden Opernhäusern und bei
Festivals auf der ganzen Welt, wie etwa an
der Wiener Staatsoper, der Bayerischen
Staatsoper München, dem Théâtre des
Champs Elysées, der Wigmore und Barbican
Hall in London, der New Yorker Carnegie
Hall, dem Wiener Musikverein und dem
Amsterdamer Concertgebouw.
GEORGE PETROU Musikalische Leitung
Der in Griechenland geborene George Petrou
machte nach seinem Musikstudium am
Konservatorium Athen, am Royal College
und an der Royal Academy of Music in
London und vor seiner internationalen Dirigentenlaufbahn bereits als Konzertpianist
Karriere. Seit 2012 ist er Künstlerischer
Leiter des renommierten Orchesters
Armonia Atenea (vormals Camerata Athen).
Gemeinsam gehen sie regelmäßig auf Europatournee und gastieren unter anderem
bei den Händelfestspielen Halle, der Opera
Royal Versailles und in der Wigmore Hall
London. 2014 debütierte Armonia Atenea
als erstes griechisches Orchester bei den
Proms der BBC und erhielten begeisterte
Besprechungen. Zu den Höhepunkten
2016 gehörte das Debüt bei den Salzburger
Pfingstfestspielen.
Es sind in den letzten Jahren verschiedene
viel umjubelte CDs auf Decca veröffentlicht worden: Dazu zählen die Gesamt-
aufnahmen von Händels Alessandro und
Hasses Siroe, Glucks Tenorarien mit Daniel
Behle und Rokoko, ein Arienalbum von
Max Emanuel Cencic mit Werken von Hasse. Internationales Aufsehen und euphorische Besprechungen erzielte außerdem
Beethovens Prometheus. Parallel zur
Karlsruher Opernproduktion erschien im
Februar 2016 Händels Arminio.
Mit einem Arienalbum für Franco Fagioli
gaben Dirigent und Orchester im Herbst
2016 ihren Einstand beim Label Deutsche
Grammophon. Für weitere Aufnahmen
erhielt George Petrou Auszeichnungen wie
den Gramophone-Editor’s Choice, Diapason d’Or und den Echo Klassik 2008. Der
Künstler wird regelmäßig von großen europäischen Orchestern und Opernhäusern
wie dem Nationaltheater Mannheim, der
Oper Nizza, dem Staatstheater Darmstadt,
dem Münchner Rundfunkorchester und
dem belgischen B’Rock eingeladen.
ARMINIO OPER 111
HELMUT STÜRMER Bühne & Kostüme
Geboren in Temeswar, studierte Helmut
Stürmer an der Nicolae-Grigorescu-Academy of the Arts in Bukarest bei Professor
Paul Bortnovski. Dort wirkte er am Teatrul
Bulandra von 1968 bis 1977 als Bühnenbildner. Weitere Stationen in Stuttgart, Frankfurt, Hamburg und Leipzig folgten, ebenso
bei den Wiener Festwochen, am Wiener
Burgtheater und an den Opernhäusern in
Basel, Karlsruhe und Nürnberg.
Helmut Stürmer gewann den Preis für
das Beste Bühnenbild beim Ungarischen
Theater Festival Pécs für Shakespeares
Troilus und Cressida in der Regie von
Silviu Purcarete und den Preis der Rumänischen Theatergewerkschaft für das beste
Bühnenbild 2007/08 für Goethes Faust. Seit
1997 hat Stürmer Produktionen gemeinsam
mit Silviu Purcarete verwirklicht. Darunter
waren Tchechovs Drei Schwestern am
Théâtre de l’Union, Limoges, Euripides’
Die Bakchen am Wiener Burgtheater,
112 OPER ARMINIO
Aeschylus’ Oresteia am Norske Teatret
Oslo und mehrere Werke für die Oper Bonn.
In der Spielzeit 2012/13 entwarf Helmut
Stürmer Bühne und Kostüme für drei neue
Stücke Purcaretes: Rachmaninoffs Opern
Francesca da Rimini und Aleko am Teatro
Colòn Buenos Aires und L’Artaserse von
Leonardo Vinci an der Opéra National
de Lorraine und an der Opéra Royal de
Versailles. Zu seinen jüngsten Werken
zählen die Kostüm- und Bühnendesigns
für Ionescus Macbeth der Royal Shakespeare Company und Eötvös’ Love and
other Demons beim Glyndebourne Opera
Festival, das auch in Vilnius, Köln und
Straßburg gezeigt wurde. Weitere aktuelle Arbeiten sind Lubchhenkos Dr. Zhivago
in Regensburg und Francesca da Rimini
in Nancy. Am STAATSTHEATER hat er
bereits unter anderem das Bühnenbild
zu Der fliegende Holländer in der Regie
Achim Thorwalds entworfen.
CORINA GRĂMOŞTEANU Kostüme
DIMITRIS DIMOPOULOS Regieassistenz
Die rumänische Bühnen- und Kostümbildnerin wurde 1983 in Constanța geboren. Ihre künstlerische Ausbildung an
der Bukarester Nationaluniversität der
Theater- und Filmkunst Ion Luca Caragiale
schloss sie 2006 ab. Neben Mitwirkungen
an Kurzfilm- und anderen Projekten
entwarf sie Bühnen- und Kostümbilder
für Schauspielproduktionen an verschiedenen Theatern in Bukarest, darunter das
Nationaltheater Bukarest, das Teatrelli
Theater, das Metropolis oder das Odeon
Theater. Es folgte eine Arbeit am Deutschen Staatstheater Temeswar, bevor sie
2015 am Theater Regensburg für Anton
Lubtschenkos Oper Doktor Schiwago,
inszeniert von Silviu Purcărete, die Kostüme kreierte.
Dimitris Dimopoulos begann seine Bühnenlaufbahn 1996 als Stand-up-Comedian
des Comedy-Ensembles Comedy Nights.
Seit 2009 hat er zwei Soloshows geschrieben und in einer Reihe von Theatern und
Bar-Theatern der größeren griechischen
Städte aufgeführt. Als Schauspieler und
Sänger wirkte er in diversen Kinderoperproduktionen der National Oper in Athen
sowie anderer Theaterkompanien und
Synchronsprecher-Agenturen mit.
Am STAATSTHEATER KARLSRUHE stellte
sie sich in der Spielzeit 2015/16 an der Seite
von Helmut Stürmer mit dem Kostümbild zu
Händels Arminio vor.
Als Regieassistent hat er bei den Produktionen von Catone in Utica von Leonardo
Vinci sowie Il Trovatore von Verdi mitgewirkt. Als Regisseur zeichnete er für die
Produktionen Kafka Fragmente von Kurtag,
Satanerie von Sakellaridis und Nachtlieder
von Bujanowski verantwortlich.
ARMINIO OPER 113
LAUREN SNOUFFER Tusnelda
NICOLAS ZIÉLINSKI Sigismondo
Lauren Snouffer studierte an der Rice University und der New Yorker Juilliard School
und gehörte anschließend dem Houston
Grand Opera Studio an. Zu ihren Opernpartien gehören die Héro in Berlioz’ Béatrice
et Bénédict am Théâtre du Capitole de
Toulouse, Pamina in Mozarts Zauberflöte
sowie Adéle in Rossinis Graf Ory an der
Seattle Opera, Partien in Mozarts Hochzeit
des Figaro und Rossinis Italienerin in Algier
an der Houston Grand Opera, in Rusalka
und La clemenza di Tito an der Lyric Opera
of Chicago sowie in Hasses Siroe mit und
unter Max Emanuel Cencic am Königlichen
Opernhaus Versailles, eine Produktion, die
auch in Wien und Budapest gastierte und
auf CD erschienen ist. George Petrous Einspielung von Händels Ottone mit Snouffer
als Teofane wird demnächst bei Decca erscheinen. Am STAATSTHEATER KARLSRUHE gibt sie als Tusnelda in Händels Arminio
2017 ihr Debüt.
Der französische Countertenor Nicolas
Ziélinski lernte Violine, bevor er sich an
den Konservatorien von Lille und Paris
dem Gesang zuwandte. Den letzten Schliff
holte er sich bei José van Dam in Brüssel
am Opernstudio des Théâtre de la Monnaie
und der ehrwürdigen Chapelle Musicale
Reine Elisabeth. Er sang in Krzysztof Warlikowskis Inszenierung The Rake’s Progress
an der Berliner Staatsoper die Türkenbab,
in Lüttich den Orlofsky in der Fledermaus,
Paris in Glucks Paride ed Elena, verschiedene Partien in Purcells Fairy Queen, Cavallis Eliogabalo in Calais, ein Händel-Recital unter Eduardo López Banzo in Madrid.
Konzertant war der Counter unter anderem
in Offenbachs Belle Hélène, Massenets
Cendrillon und Saties Opernminiaturen in
Frankreich, Italien und Portugal zu erleben.
Sein Konzertrepertoire reicht von Vivaldi
und Pergolesi über Messen und Requiems
von Mozart und Saint-Saëns bis zu Rossinis Tancredi und Britten.
114 OPER ARMINIO
GAIA PETRONE Ramise
JUAN SANCHO Varo
Die italienische Mezzosopranistin studierte in Rom und debütierte in Haydns La canterina. Es folgten Konzerte in Italien, den
Niederlanden und im Wiener Musikverein.
Gaia Petrone gewann mehrere Gesangswettbewerbe und nahm an der Academie européenne de musique du Festival
d’Aix-en-Provence teil. An der Palm Beach
Opera hatte sie in Rossinis Barbier von Sevilla, in Göteborg als Cenerentola großen
Erfolg. Sie gastierte mit Vincis/Händels
Semiramide bei den Händelfestspielen in
Halle sowie mit Cavallis Elena in Nantes,
Angers und Rennes. Von 2012 bis 2014 war
sie Mitglied des Jungen Ensembles des
Theater an der Wien, wo sie anschließend
auch in Monteverdis Krönung der Poppea
zu hören war. Ihr Debüt in England hatte
sie mit Händels Messias unter Nathalie
Stutzmann. In Toulouse triumphierte sie in
Berlioz’ Béatrice et Bénédict. In der Partie
der Ramise debütiert sie am STAATSTHEATER KARLSRUHE.
Juan Sancho wurde 1982 in Sevilla geboren. Nach seinem Abschluss im Fach
Klavier setzte er seine Studien an der
Musikhochschule von Katalonien fort.
Er arbeitete mit einigen bedeutenden
Künstlern wie William Christie, Fabio
Biondi, Alan Curtis und Diego Fasolis
zusammen. Er debütierte an international
renommierten Konzert- und Opernhäusern
wie dem Teatro alla Scala Mailand, dem
Barbican Center, Lincoln Center New York,
Palais de Beaux Arts Brüssel und der
Opéra National du Rhin. Weitere Engagements führten ihn an die Opéra national de
Lorraine, Opéra de Versailles, das Festival
in Aix-en-Provence und an die Oper Köln.
Als Interpret für Alte Musik wirkte er bei
den vielfach ausgezeichneten Produktionen von Vivaldis Farnace, Händels Alessandro und Hasses Siroe mit.
ARMINIO OPER 115
OWEN WILLETTS Tullio
PAVEL KUDINOV Segeste
Erste Erfahrungen als Sänger sammelte
Owen Willetts in der Chorschule der Lichfield Cathedral und studierte anschließend
an der Royal Academy of Music. Gegenwärtige und zukünftige Engagements
umfassen den Narciso in Agrippina bei den
Händelfestspielen Göttingen, eine Tournee
mit Les Musiciens du Louvre, den Eustazio
in Rinaldo mit der Lautten Compagney
Berlin, Händels Il trionfo am Opernhaus
Halle und Pergolesis Stabat Mater mit dem
Orchestra of the Age of Enlightenment.
Er sang auch an der Opera North, Nederlandse Reisopera und an der Finnischen
Nationaloper.
Der aus Russland stammende Bass
schloss seine musikalische Ausbildung
am Sobinov Konservatorium in Saratov
ab. Sein Europadebüt gab der Bass als
Ruslan in Glinkas Ruslan und Ljudmila am
STAATSTHEATER KARLSRUHE. Darauf
folgten Engagements als Sarastro, Selim
in Il turco in Italia, Colline in La Bohème
an der Wiener Volksoper, König Heinrich in
Lohengrin beim Festival dei Due Mondi in
Spoleto. Des Weiteren war er als Alidoro
in La Cenerentola, Escamillo in Carmen an
der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf,
als Ibn Khakia in Iolanta am Teatro Nacional de São Carlos in Lissabon zu erleben.
Sein Amerika-Debüt gab er als Arsace in
Händels Partenope mit dem Boston Baroque Orchester. Er arbeitet gemeinsam mit
den wichtigsten Künstlern für historische
Aufführungspraxis wie Laurence
Cummings, Christian Curnyn, Emmanuelle
Haim, Marc Minkowski und Raphael Pichon.
Pavel Kudinov gastierte unter anderem
am Theater an der Wien, am Teatro Real in
Madrid, am Theater Basel und an der Oper
Leipzig. Eine intensive Zusammenarbeit
verbindet ihn mit Dirigenten wie Christophe Rousset, Christopher Moulds und
Marc Minkowski.
116 OPER ARMINIO
ARMONIA ATENEA Orchester
Armonia Atenea ist der neue internationale Name für die Camerata Athen. 1991
wurde das Orchester von der Gesellschaft
der Freunde der Musik in Verbindung mit
der Eröffnung der Athener Konzerthalle
Megaron gegründet. Seitdem fungiert die
Armonia Atenea als deren Hausorchester.
Seit 2011 tritt das Orchester wechselweise
im Megaron und im neuerbauten OnassisKulturzentrum in Athen auf.
Die Armonia Atenea ist sowohl mit der
historischen als auch mit der modernen
Aufführungspraxis bestens vertraut. Das
Orchester setzt sich mit einem weitgefächerten Konzertrepertoire von der
Barockmusik bis hin zur zeitgenössischen
Musik des 21. Jahrhunderts ernsthaft
und erfolgreich auseinander. Der Dirigent
und Echo-Klassik-Preisträger George
Petrou ist derzeit der Künstlerische Leiter
des Orchesters. Das Orchester ist auf
den berühmtesten Bühnen der Welt ein
willkommener Gast, wie beispielsweise
beim Musikverein Wien, dem Théâtre des
Champs Élysées in Paris, den Innsbrucker
Festwochen der Alten Musik, sowie auch
im Palais de Bozar in Brüssel, Arsenal von
Metz, an der Opera von Monte Carlo und
dem Grand Théâtre von Aix-en-Provence.
Das Orchester hat eine reichhaltige Diskografie. Zu den letzten Veröffentlichungen
gehören die Weltpremiere-Aufnahmen von
Händels Alessandro Severo und Glucks
Il Trionfo di Clelia. Die Einspielung von
Händels Oper Alessandro mit einer Starbesetzung ist bei Decca erschienen und hat
von der internationalen Presse höchstes
Lob geerntet. In der Saison 2013/14 wurden
fünf neue Aufzeichnungen veröffentlicht,
darunter Rokoko, das Soloalbum des Countertenors Max Emanuel Cencic. Dieses
Programm wurde 2014 als Vorkonzert zu
den INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELEN in Karlsruhe präsentiert.
ARMINIO OPER 117
118
119
ABENDSTERNE 1
IL POMO D’ORO –
PATRIZIA CIOFI
HÄNDEL – FRAUENLIEBE UND -LEBEN
PATRIZIA CIOFI Sopran
DONNA LEON Moderation
MAXIM EMELYANYCHEV Cembalo und Dirigent
IL POMO D’ORO
1. Violine Alfia Bakieva, Fani Vovoni, Lisa Immer, Anna Melkonyan 2. Violine Jonas
Zschenderlein, Daniela Nuzzoli, Ayako Matsunag, Paolo Cantamessa Viola Giulio
D’Alessio, Yoko Tanaka Violoncello Felix Knecht, Cristina Vidoni Violone Nicola Dalmaso
Fagott Zoe Matthews
SA 25.2. 20.00 CHRISTUSKIRCHE am Mühlburger Tor
ca. 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
Im Anschluss findet eine Autogrammstunde statt
120 ABENDSTERNE 1 IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI
PROGRAMM
Georg Friedrich Händel
(1685–1759)
FRAUENLIEBE – UND LEBEN
Rodelinda, regina di Longobardi HWV19 (1725)
„Morrai, si“ Arie von Rodelinda
Alcina HWV35 (1735)
„Ah, Ruggero crudel… Ombre pallide“
Recitativo accompagnato und Arie von Alcina
Vincer se stesso é la maggior vittoria o
Rodrigo HWV5 (1707) Passacaglia
Siroe, re di Persia HWV24 (1728) „Or mi perdo di speranza“ Arie von Laodice
Sonata a quattro in G-Dur, op. 5 Nr. 4
Allegro
A tempo ordinario
Allegro non presto
Passacaille
Gigue
Menuet
Alcina HWV35 (1735)
„Ah mio cor“ Arie von Alcina
Amadigi di Gaula HWV11 (1715)
„Vanne lungi dal mio petto“ Arie von Melissa
Sinfonia B-Dur HWV 339 Allegro
Giulio Cesare in Egitto HWV17 (1724)
„Se pietá“ Arie von Cleopatra
„Da tempeste“ Aria von Cleopatra
IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI ABENDSTERNE 1 121
ZUM PROGRAMM
HÄNDEL:
FRAUENLIEBE
UND -LEBEN
Jedes Frauenportrait bei Händel ist eine
Art Biographie, die nicht aus einzelnen, in
unterschiedlichen Affekten geschriebenen
Arien besteht, sondern aus komplizierten
Emotionen, in denen der Charakter einer
Frau entsteht und sich weiterentwickelt.
Wie die Realität ist seine Opernwelt bewohnt von glücklichen und unglücklichen
Menschen, die lieben, leiden, hassen,
verraten und mit jedem möglichen Mittel
versuchen, ihre Ziele und ihr Glück zu
erreichen – und manchmal fatal scheitern.
Sogar der Tod, als Bühnengeschehen in
der erhobenen Ästhetik der Barockoper
eher unerwünscht, wird bei Händel zu
einem Teil des Lebens – seine Helden,
und noch grausamer, seine Heldinnen,
sterben auf der Bühne in seinen Werken
und erleiden manchmal einen furchtbaren
Tod – wie Semele, die beim Erscheinen
ihres Geliebten Jupiter mit Donner und
Blitz verbrennt. Einen solchen Tod vertont
122 ABENDSTERNE 1 IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI
Händel in seiner Musik eher mit sparsamen
Mittel, ohne großes romantisches Pathos
und ohne Ausschmückung.
Was dabei interessant ist, dass Händels
Heroinen nicht den Tod selbst fürchten –
weder ihren eigenen, noch den Tod ihrer
Männer oder Söhne, wenn das Leben zum
unakzeptabel Kompromiss für die Familie
wird. So ist Rodelinda, die sich der Macht
des Tyrann Grimoaldo nicht zu fügen will,
bereit, ihren kleinen Sohn Flavio zu opfern,
um so das Gedenken an ihren geliebten
Mann, den sie für tot hält, nicht zu verraten. Später wird sie zu einer wahren
Rachegöttin, wenn sie dem heimtückischen Minister Garibaldo in ihrer großen
Arie des 2. Akts „Morrai, si“ sagt, dass sie
seinen abgeschlagenen Kopf als Stufe zu
dem lombardischen Thron benutzen wird
– an dem Tag, an dem nicht abgesetzte,
sondern tatsächliche Königin werden wird.
Francesca Cuzzoni, die erste Cleopatra in Giulio Cesare und erste Rodelinda
Philippe Mercier, 1740
Macht ist ein anderer interessanter Begriff
in der Frauenwelt der händelschen Opern.
Sie verleiht zwar Einfluss und Glanz, wie
zum Beispiel bei den Titelheldinnen der
Opern Partenope und Berenice, garantiert
aber keine innere Ruhe und auf keinen Fall
Glück. Eher umgekehrt: Je mächtiger die
Frau ist, desto schwerer lastet auf ihr das
Unglück. In einer der berühmtesten Opern
von Händel Alcina (1735), erleben wir die
Frau, die die ganze Welt um sich herum
verzaubern kann – sie verwandelt ihre
Liebhaber in Tiere, Bäume und Steine –
hat jedoch überhaupt keine Macht über
ihr eigenes Herz. Sie ist leidenschaftlich
in den Ritter Ruggiero verliebt und sein
Verrat wird ihr zum härtesten Schlag – und
löst in der Musik ihrer Arie „Ah, mio cor“
solche Tragik und Verzweiflung aus, dass
diese sogar für Händel außerordentlich
stark sind. Die Stimme und seufzende
Streicher wandern von einer Moll-Tonart
zu einer anderen – kein Dur-Tonart-Akkord,
kein Sonnenstrahl ist in dieser Welt erlaubt! – und erst im mittleren Teil der Arie
kommt Licht zum Vorschein, wenn bei der
Zauberin Zorn und Wucht erwachen, bevor
die Musik wieder im Da Capo in dunkles
IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI ABENDSTERNE 1 123
Moll abstürzt. Später, in der großen
Schlussszene des 2. Aktes „Ah, Ruggiero
crudel … Ombre pallide“, ruft Alcina böse
Geister aus der Hölle herauf, um Ruggiero
zu vernichten – zu ihrer Verzweiflung kommen jedoch keine, und die Zauberin bleibt
in ihrer Einsamkeit alleine, ohnmächtig und
verlassen.
Die andere Zauberin Händels, Melissa aus
seiner früherem Londoner Werk Amadigi di
Gaula ist ebenso verliebt: Sie ist vielleicht
die arroganteste und grausamste von allen
Heroinen, die in Opern von Händel Zauberkünste besitzen. Ihre Rachearie „Vanne lungi dal mio petto“ erzählt wichtige Punkt in
ihrem Leben – nach zahlreichen Versuchen,
Amadigis Herz zu gewinnen, ist Melissa
entschlossen, ihn zu vernichten: Ihre Liebe
bleibt unerwidert und nur sein Tod kann ihr
die Seelenruhe zurück geben.
Ruhe ist ein Luxus, den sich Händels Heldinnen nur selten leisten können. In Siroe
(1728), einer der fünf Opern, die Händel für
die „Rival Queens“ Francesca Cuzzoni und
Faustina Bordoni komponiert hat, begegnen wir der jungen und verführerischen
Adeligen Laodice, die aus Rache für ihre
unerwiderte Liebe zum Erbprinz Siroe,
diesen bei seinem Vater König Kosroe, anklagt, er habe sie vergewaltigt. Wenn der
zornige Cosroe, dessen Mätresse Laodice
ist, verkündet, dass er Siroe die Thron-
124 ABENDSTERNE 1 IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI
folge entzieht, bekommt Laodice Gewissensbisse, die sie in ihrer Aria „Or mi
perdo la speranza“ ausdrückt – in ihrer
Wut ist sie zu weit gekommen.
Vielleicht das beste biographische Vorbild
einer Frauenrolle ist Cleopatra in Giulio
Cesare (1724), einer Oper, die für viele
führende Opernhäuser seit Jahrzehnten
die erste Wahl im Bereich Barockoper
bleibt. Alles, was wir über die weltberühmte ägyptische Königin wissen, ist in
der Musik von Händel zu hören – die acht
Arien von Cleopatra sind ein erstaunlicher
Katalog von Emotionen und Bildern. Im
Laufe der Oper wird sie vom neckischen
kleinen Mädchen, das sich seiner Schönheit und seines Charme überaus bewusst
ist, zu einer leidenschaftlichen jungen
Frau, die tiefe Liebe und Hingabe entdeckt
und für die der Tod ihres Geliebten ihren
eigenen Tod bedeutet – und so betet sie in
ihrer großen Arie „Se pieta“ an die Götter,
Cesare vor seinen Feinden zu retten. Im 3.
Akt, nachdem sie und Cesare ihre Feinde
niedergeschlagen haben, freut sie sich
über ihr wiedergewonnenes Glück in der
Paradearie „Da tempeste“ mit Kaskaden
virtuoser Koloraturen – da sehen wir
die legendäre Cleopatra in ihrer Pracht:
Königin, Zauberin, Göttin – und einfach
glückliche Frau.
von Michael Fichtenholz
PATRIZIA CIOFI Sopran
Die Italienerin studierte an der Accademia
Chigiana ihrer Heimatstadt Siena, gewann
zahlreiche internationale Wettbewerbe
und debütierte 1989 am Teatro Comunale
in Florenz. Seither ist sie auf allen großen
Festivals und an allen großen Bühnen der
Welt zu Gast, so unter anderen an der Mailänder Scala, der Opéra Bastille in Paris,
dem Royal Opera House Covent Garden
in London, in Berlin, Amsterdam, Bilbao,
Madrid und Venedig sowie beim Maggio
Musicale in Florenz und beim Rossini Festival in Pesaro. Sie hat unter Dirigentinnen
und Dirigenten wie Alberto Zedda, Fabio
Biondi, Bruno Campanella, James Conlon,
Emmanuelle Haïm, René Jacobs, Lorin
Maazel, Zubin Mehta, Riccardo Muti, Seiji
Ozawa, Antonio Pappano, Evelino Pidò,
Georges Prétre, Christophe Rousset und
Marcello Viotti gearbeitet.
der Belcanto-Literatur seit dem 18. Jahrhundert, der sie in besonderer und
unverwechselbarer Weise mitreißendes
Bühnenleben einhaucht. Sie hat viele der
emblematischen Virtuosinnenpartien in
den Opern Traettas, Mozarts, Rossinis,
Bellinis, Donizettis, Meyerbeers, Verdis,
Gounods, Offenbachs, Bizets und Massenets gesungen, darunter Verdis Traviata
zur Eröffnung des wiederaufgebauten La
Fenice am Ort der Uraufführung sowie die
Titelpartie in Dinorah sowie die Marguérite
de Valois in den Hugenotten im Rahmen
des Meyerbeer-Zyklusses der Deutschen
Oper Berlin.
Ihr großes Repertoire reicht vom Barock
bis zur Gegenwart mit Schwerpunkt auf
IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI ABENDSTERNE 1 125
DONNA LEON Moderation
Donna Leon, geboren 1942 in New Jersey,
verließ als Studentin die USA, um in Perugia und Siena weiterzustudieren. Sie blieb
im Ausland, arbeitete als Reiseleiterin in
Rom, als Werbetexterin in London und als
Lehrerin an amerikanischen Schulen in
Europa und Asien. Sie lehrte englische und
amerikanische Literatur an einer Universität in der Nähe von Venedig, wo sie sich
1981 niederließ.
Zu ihrem Erstling kam Donna Leon über
ihre Leidenschaft für die Oper. Während
des Besuchs im venezianischen Opernhaus
La Fenice ereiferte sich ihr Begleiter:
„Ich könnte den Dirigenten umbringen!“
– „Ich mach’s für dich, aber in einem Roman“, beruhigte sie ihn. Das Resultat war
Venezianisches Finale, der erste von bis
heute vierundzwanzig Fällen für den inzwischen legendären Commissario. Die Brunetti-Romane machten sie weltberühmt,
doch die Barockmusik ist ihr nicht weniger
126 ABENDSTERNE 1 IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI
wichtig. Sie förderte zahlreiche Barockeinspielungen, so auch das Orchester IL
POMO D’ORO. Es sind von ihr zwei kleine
Bücher mit CD erschienen: Tiere und Töne
mit Händel-Arien und Kurioses aus Venedig
mit Vivaldi-Musik. Die Zusammenarbeit
mit ihrer Freundin Cecilia Bartoli hat sie
2012 dazu veranlasst, einen Roman ohne
ihre Hauptfigur Commissario Brunetti zu
schreiben – jedoch ebenso spannend und
voll kriminalistischer Finessen.
Donna Leon lebt in Venedig und in der
Schweiz. Ihre Bücher erscheinen in 34
Sprachen.
MAXIM EMELYANYCHEV Dirigent
Der 1988 geborene Dirigent, Pianist,
Cembalist und Hornist studierte Klavier
und Orchesterleitung am Konservatorium
Nishni-Novgorod und gab mit zwölf Jahren
sein Orchesterdebüt, bevor er seine Ausbildung bei Gennadi Roshdestvenski
und Maria Uspenskaja am Moskauer
Tschaikowski-Konservatorium fortsetzte.
Zu seinen internationalen Wettbewerbssiegen gehören der Alte-Musik-Wettbewerb Brügge und der Internationale
Hans-von-Bülow-Klavierwettbewerb
Meiningen. Heute arbeitet er mit Künstlern wie Riccardo Minasi, Max Emmanuel
Cencic, Dmitry Sinkovsky, Alexei Lubimov,
Theodor Currentzis und Gennadi Roshdestvenski zusammen und leitet zahlreiche
russische und internationale Orchester
wie das Russische Kammerorchester, die
Musica Viva Moskau, die Sinfonietta Sofia,
das Philharmonische Orchester NishniNovgorod, Theodor Currentzis’
MusicAeterna, in dessen preisgekrönter
Aufnahme von Mozarts Hochzeit des Figaro
er den Klavierpart übernahm, sowie das
Russische Nationalorchester.
2014/15 debütierte er bei IL POMO D’ORO
und führte das Ensemble mit Händels
Tamerlano nach Versailles, Hamburg,
Wien und Köln. Im Teatro de la Mastranza,
Sevilla, dirigierte er Mozarts Don Giovanni. Außerdem konzertierte er mit Katia
und Marielle Labèque, Max Emanuel
Cencic, Xavier Sabata und Franco Fagioli.
Seit 2016 ist er Künstlerischer Leiter des
Ensembles IL POMO D’ORO.
IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI ABENDSTERNE 1 127
IL POMO D’ORO Orchester
IL POMO D’ORO ist ein 2012 gegründetes
italienisches Barockensemble, spezialisiert
auf historische Aufführungspraxis. Gründer
sind Gesine Lübben und Giulio d’Alessio.
Das Orchester legt seinen Schwerpunkt
auf die Barockoper, gleichzeitig führt das
Ensemble auch Instrumentalmusik in verschiedenen Formationen auf. Zurzeit gibt es
zwei Chefdirigenten. Es ist regelmäßig an
bedeutenden Konzerthäusern und Theatern
zu Gast, so am Théâtre Royal in Versailles,
an der Wigmore Hall, am Theater an der
Wien und am Théâtre des Champs Elysées.
Der Name des Ensembles bezieht sich auf
den Titel der Oper Il pomo d’oro von Antonio
Cesti, die er 1666 anlässlich der Hochzeit
von Kaiser Leopold I. und Margarita Teresa
von Spanien in Wien komponierte. Diese
Oper war krönender Abschluss der pompösen Feierlichkeiten. Die Produktion war mit
zahlreichen Spezialeffekten auf 24 verschiedenen Bühnen, mit 50 unterschiedlichen
128 ABENDSTERNE 1 IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI
Rollen und zehn Stunden Aufführungsdauer
das wohl exzessivste und teuerste Werk
des damals noch jungen Genres.
IL POMO D’ORO hat drei Opern unter der
musikalischen Leitung von Riccardo Minasi
aufgenommen: Händels Tamerlano, Catone
in Utica von Leonardo Vinci sowie Händels
Partenope. Weitere Aufnahmen umfassen
Haydns Konzerte für Cembalo und Geige,
co-dirigiert von Maxim Emelyanychev als
Cembalo-Solist und Riccardo Minasi als
Geigen-Solist sowie ein VioloncelloRezital mit Edgar Moreau mit Werken
von Haydn, Boccherini und Vivaldi. 2016
erschien eine Neueinspielung von Händels
Ottone und ein Rezital mit Ann Hallenberg.
Seit Januar 2016 ist Maxim Emelyanychev
Musikalischer Leiter von IL POMO D’ORO.
Zukünftig ist die Zusammenarbeit mit den
Dirigenten Stefano Montanari und George
Petrou geplant.
129
PREISTRÄGER
KONZERT DES
HÄNDELJUGENDPREISES
DER HÄNDEL-GESELLSCHAFT KARLSRUHE E. V.
SO 26.2. 11.00 KLEINES HAUS
1 Stunde 15 Minuten
130 KONZERT PREISTRÄGER-KONZERT DES HÄNDEL-JUGENDPREISES
Die HÄNDEL-GESELLSCHAFT KARLSRUHE e. V. hat als eines ihrer Satzungsziele die Förderung junger Künstler,
die sich mit den Werken Händels und der
Barockzeit auseinandersetzen. Bereits
seit 1989 lobt die Gesellschaft einen
HÄNDEL-JUGENDPREIS für Schülerinnen
und Schüler bis 20 Jahre aus; seit 2013 ist
er für Bewerberinnen und Bewerber aus
ganz Baden-Württemberg geöffnet. Entstanden ist er in Zusammenarbeit mit den
Regierungspräsidien Karlsruhe und Freiburg; weitere Partner sind das STAATSTHEATER KARLSRUHE, das Badische
Konservatorium, der SWR, die Badischen
Neuesten Nachrichten und die Hochschule
für Musik Karlsruhe.
Eine namhaft besetzte Jury bewertet die
Leistungen in drei Kategorien:
• Kategorie A: Solostücke und Duos
• Kategorie B: Kammermusikalische
Stücke für drei bis neun Mitwirkende
• Kategorie C: Werke für größere
Ensembles wie Chor und Orchester
Zusätzlich unterstützt die Jury in einigen
Fällen Teilnehmer mit Förderpreisen und
Coachingangeboten, um ihnen noch besseren historisch-informierten Zugang zur Aufführungspraxis der Barockzeit zu vermitteln.
Die jungen Musiker, gefördert durch engagierte Musikpädagogen und Eltern, sind
immer wieder für künstlerische Überraschungen gut. Eine erfolgreiche Teilnahme
am Händel-Jugendwettbewerb und der
Auftritt im STAATSTHEATER KARLSRUHE
sind gelegentlich erste Schritte in eine
professionelle musikalische Laufbahn.
Prof. Dr. Peter Overbeck
Vorsitzender der
HÄNDEL-GESELLSCHAFT KARLSRUHE e. V.
Nähere Informationen zur HÄNDEL-GESELLSCHAFT:
www.haendel-karlsruhe.de
Anfragen unter [email protected]
PREISTRÄGER-KONZERT DES HÄNDEL-JUGENDPREISES KONZERT 131
PROGRAMMFOLGE
Die Preisträger sind fett hervorgehoben
Maya Yoffe (*2006), Violine Olga Zheltikova, Cembalo
Rebecca Krieg, Violoncello
Betreuende Lehrkraft: Boris Yoffe
1. PREIS KATEGORIE A 1
Georg Friedrich Händel (1685–1759)
Sonate D-Dur für Violine und b. c. (HWV 371)
Affetuoso – Allegro–
Larghetto– Allegro
Begrüßung Michael Fichtenholz,
Künstlerischer Leiter der INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE KARLSRUHE
Amelie Gubbe (*1999), Violine
2. PREIS KATEGORIE A 2
Olga Zheltikova, Cembalo
Rebecca Krieg, Violoncello
Betreuende Lehrkraft: Jeanette Pitkevica, Mannheim
Giuseppe Tartini (1692–1770)
Sonate in g-Moll op.1, Nr.10
„Didone abbandonata“:
Tempo moderato (quasi andantino) –
Allegro con fuoco – Largo – Allegro comodo
Olga Wegener (*2000), Kontrabass
2. PREIS KATEGORIE A 2
Olga Zheltikova, Cembalo
Betreuende Lehrkraft: Dieter Läßle (JMS Göppingen)
Henry Eccles (~1675/85–1735/45) Sonata Undecimo
Largo –Corrente – Adagio
132 KONZERT PREISTRÄGER-KONZERT DES HÄNDEL-JUGENDPREISES
Jan Jerlitschka (*1998), Countertenor 1. PREIS KATEGORIE A 2
Niels Pfeffer, Cembalo
Betreuende Lehrkraft: Susanna Brändle (Knabenchor capella vocalis, Reutlingen)
Antonio Vivaldi (1678–1741)
aus dem Gloria D-Dur RV 589
„Qui sedes ad dexteram“
Georg Friedrich Händel
aus Rinaldo (HWV 7)
„Lascia, ch’io pianga“ (Arie des Rinaldo)
Preisverleihung: Prof. Dr. Peter Overbeck und Wolfgang Sieber,
HÄNDEL-GESELLSCHAFT KARLSRUHE e. V.
Sinfonietta Ulm 1. PREIS KATEGORIE C
(Orchester des Humboldt-Gymnasiums Ulm und der Musikschule Ulm)
Christoph Kächele, Leitung und Cembalo
Georg Friedrich Händel
Water Music Suite Nr. 2 & Nr. 3 (HWV 349/350)
1. Allegro
2. Alla Hornpipe
3. Minuet
4. Rigaudon 1 – Rigaudon 2 – Rigaudon 1
5. Lentement
6. Bourrée
7. Minuet 1
8. Minuet 2
9. Gigue 1 – Gigue 2 – Gigue 1
10. Minuet
PREISTRÄGER-KONZERT DES HÄNDEL-JUGENDPREISES KONZERT 133
ABENDSTERNE 2
MUSIK FÜR
DIE ENGEL
KATHARINA RUCKGABER Sopran
ILKIN ALPAY Sopran
JAKUB JÓZEF ORLIŃSKI Countertenor
CARSTEN WIEBUSCH Dirigent
KAMMERCHOR DER CHRISTUSKIRCHE
Sopran 1 Christine Buchthal, Lisa Hähnel, Antje Köhrer, Eva Kölbel, Heike Niehle-Ochi,
Barbara Wagner, Christina Welker Sopran 2 Regine Grüger, Karin Haag, Irina Koslowsky,
Gisela Meesmann, Verena Spellenberg, Sophie-Louise Stengel, Judith Stier Alt Alexandra
Bär, Katharina Bergholz, Claudia Korta, Jutta Mahnke, Claudia Prutscher, Eva Reussner,
Jane Schmahl, Violetta Schneider Tenor Michael Fischer, Joachim Fassnacht, Georg
Kalbach (Solo), Michael Moritz, Benjamin Mues, Felix Krückels, Matthias Obert,
Thomas Zimmermann Bass Niklas Axtmann, Florian Hartmann (Solo), Matthias Hofherr,
Tobias La-Deur, Peter Limacher, Tobias Mohr, Ingo Müller, Ekkehard Regen, Tilman
Skobowsky
DEUTSCHE HÄNDEL-SOLISTEN
1. Violine Andrea Keller, Wolfgang von Kessinger, Christoph Timpe, Helmut Hausberg,
Michael Gusenbauer, Eva Scheytt 2. Violine Christoph Mayer, Almut Frenzel, Jana
Anýžová, Martin Kalista, Salma Sadek, Matthias Hummel Viola Jane Oldham, Klaus
Bundies, Gabrielle Kancachian, Cathi Aglibut Violoncello Markus Möllenbeck, Gerhart
Darmstadt, Dmitri Dichtiar, Bernhard Hentrich Violone David Sinclair, Michael Neuhaus
Cembalo Rien Voskuilen Laute Sören Leopold Oboe Susanne Regel, Aviad Gershoni
Fagott Rhoda Patrick
SO 26.2. 20.00 CHRISTUSKIRCHE am Mühlburger Tor
ca. 1 Stunden 30 Minuten
134 ABENDSTERNE 2 MUSIK FÜR DIE ENGEL
PROGRAMM
Georg Friedrich Händel (1685–1759)
Ouvertüre g-Moll aus der Kantate
„Donna che in ciel“ HWV 233
Antonio Vivaldi (1678–1741)
Nisi Dominus, Psalm 126, RV 608
1. Nisi Dominus
2. Vanum est vobis
3. Surgite
4. Cum dederit
5. Sicut sagittae
6. Beatus vir
7. Gloria Patri
8. Sicut erat in principio
9. Amen
Georg Friedrich Händel Sonate D-Dur aus dem Oratorium
„Il trionfo del tempo e del inganno“ HWV 46a
Arcangelo Corelli Concerto grosso op. 6, Nr.4
(1653–1713) 1. Adagio – Allegro
2. Adagio
3. Vivace
4. Allegro – Allegro
Georg Friedrich Händel Dixit Dominus, Psalm 110, HWV 232
1. Dixit Dominus
2. Virgam virtutis
3. Tecum principium
4. Juravit Dominus
5. Tu es sacerdos
6. Dominus a dextris
7. Judicabit
8. Conquassabit
9. De torrente in via
10. Gloria Patri
MUSIK FÜR DIE ENGEL ABENDSTERNE 2 135
ZUM PROGRAMM
ITALIENISCHE
REISE
Nicht nur für Goethes künstlerischmenschliche Entwicklung war die Italienische Reise entscheidend. Noch einschneidendere Folgen hatte sie für Georg
Friedrich Händel. Dessen Schaffen kann in
eine Periode vor und nach Italien eingeteilt
werden. Längere Zeit verbrachte er in den
Opernzentren Venedig und Neapel, am
Medici-Hof in Florenz sowie in Rom, dem
Zentrum der geistlichen und Kammermusik.
Dort lernte er die Stars der damaligen Musikszene kennen. Besonders scheinen ihn
die wegweisenden Experimente des tiefsinnigen Klassizisten Corelli beeindruckt
zu haben. Er traf aber auch mit dem Meister der neapolitanischen Oper Alessandro
Scarlatti zusammen. Viele Melodien,
Eindrücke, Anregungen, die der 21-jährige
Cembalist des Hamburger Opernorchesters in diesen vier Jahren aufschnappte,
sammelte und empfing, sollte er bis an
sein Lebensende immer wieder neu verarbeiten, zitieren, variieren. Einiges aber
brachte er auch aus seiner Hallenser und
Hamburger Lehrzeit mit, so ein unscheinbares Motiv seiner ersten Oper Almira, auf
dem er in Rom die gigantische Schlussfuge
des Dixit Dominus aufbaute.
Dieses Dixit Dominus ist anders als alles,
was Händel je zuvor schrieb. Man ist ver136 ABENDSTERNE 2 MUSIK FÜR DIE ENGEL
sucht, es für unmöglich zu halten, dass er
den Festpsalm hätte komponieren können,
ohne die extrovertiert-virtuose geistliche
Musik Vivaldis in Venedig und die Kirchenmusik Roms mit eigenen Ohren erlebt zu
haben. Der heutige Abend gibt uns Gelegenheit, die Motetten Vivaldis und Händels im
Zusammenhang und vor dem Hintergrund
Corellis, also in ihrem kulturellen Kontext
zu hören. Wann Vivaldi sein Nisi Dominus
schrieb, wissen wir nicht. Stilistische
Gründe legen nahe, die Solomotette in die
erste Periode zwischen 1703 und 1717 zu
datieren. Seit 1703 war er Konzertmeister
am Ospedale della Pietà. Händel hat sich
den Besuch des musizierenden Waisenhauses, das ursprünglich eine wohltätige
Einrichtung war, sich unter Vivaldi aber zum
kommerziellen Konzertveranstalter entwikkelte, kaum entgehen lassen. Gleich nach
seinem ersten Venedigaufenthalt vertonte
er im Sommer 1707 den 126. – nach lutherischer Zählung 127. Psalm. Es ist seine erste
erhaltene geistliche Komposition. Seine
Hallenser Kirchenmusiken sind verloren.
Der liturgische Ort der Psalmmotette ist der
römisch-katholische Vespergottesdienst.
Seine musikalischen Bestandteile sind ein
Hymnus, fünf Psalmen und ein Magnificat.
Welche Psalmen gesungen wurden, hing
vom jeweiligen Ort und Fest ab. Die Psalmen, die wir heute hören, gehören also in
größere, gottesdienstliche Zusammenhänge. Den Inhalt des 126. Psalms fasste
Luther sprichwörtlich zusammen: „An Gottes Segen ist alles gelegen“. Vivaldis erste
Vertonung – er ließ ihr mindestens noch
eine weitere folgen – ist für Alt-Solo, Streicher und Basso continuo gesetzt. Er teilt
den 2. Vers in zwei Perioden, sodass aus
den fünf Originalversen musikalisch sechs
Sätze werden. Abgeschlossen wird jeder
Psalm durch die sogenannte Doxologie.
Das einleitende Allegro ist ein ausgedehnter
Konzertsatz in Form einer Kirchenarie, die
als Ouvertüre dient. Erkennbar ist das an
dem für Vivaldis Konzertform typischen
Orchesterritornell, das im vorletzten Satz
wiederkehrt und eine Klammer um das
Werk bildet. Die Solostimme könnte auch
von einer Solovioline interpretiert werden.
Der 2. Satz nimmt sich im Gegensatz dazu
als Continuo-Arie ohne Orchesterbegleitung zurück. Der 3. enthält ein opernhaftes
Accompagnato-Rezitativ, in dem dramatische Schreie auf „surgite – steht auf“ mit
erschöpften Ariosi auf „sederitis – wenn
ihr euch hinsetzt“ abwechseln. Der 3. Vers
ist sprichwörtlich geworden: „Den Seinen
gibt’s der Herr im Schlaf.“ Die Vorstellung
des Schlafs lässt uns Vivaldi im 4. Satz mit
einem Wiegenlied im Siciliano-Rhythmus
sinnlich erleben. Ein kämpferisches Allegro stört uns im folgenden Satz auf. Das
entspricht dem Text, in dem es kriegerisch
heißt: „Wie Pfeile in der Hand des Helden,
so sind Söhne der Jugendkraft“. Die Streicher gehen unisono mit den rasanten Läufen
der Solostimme mit. Sie schießen wie Pfeile
davon, aber immer im Einklang mit dem
Solisten so wie die Söhne im Einklang mit
dem Vater kämpfen. Das Fazit zieht die Continuo-Arie Nr. 6. Ihre Schlichtheit und Größe
suggeriert, dass die Moral des Psalms ewig
gültig ist. Den krönenden Abschluss bildet
das Gotteslob Nr. 7–9. Dass es in drei Sätze
unterteilt ist, spielt auf die Trinität an. Dabei
erlaubt sich Vivaldi die Pointe, ausgerechnet
das „Gloria“, den Lobgesang der Engel, in
der verinnerlichten, wenn nicht gar depressiven Form eines d-Moll-Larghettos zu
präsentieren. Wie wir aus dem Reisetagebuch eines Augen- und Ohrenzeugen seines
Spiels, des Frankfurter Kaufmanns Konrad
von Uffenbach, wissen, war er ein durchaus
eitler Superstar, der nichts ausließ, um sein
Publikum zu verblüffen. Vielleicht wollte
er auch hier die Erwartungen der Hörer
durchkreuzen. Der 8. Satz ist, wie bereits
gesagt, eine Kurzfassung der Einleitung.
Damit ist die Motette formal abgeschlossen.
Die virtuosen Amen-Koloraturen bilden das
Nachwort. Sie liefern den Engelsjubel nach.
Wie sieht nun Händels Vertonung des 110.
Psalms aus? Einerseits verwendet auch er
Vivaldis Ritornellform, andererseits vertont er den Psalm aber als fünfstimmige,
also weitaus aufwendigere Chorkantate
mit Tutti- und Soloepisoden sowie eingelegten Solosätzen. Diese Pracht könnte
dem Aufführungsort – Santa Maria in Monte Santo in Rom –, den dort vorhandenen
Mitteln und dem Anlass einer Karmelitervesper geschuldet sein. Der Mittelteil des
Einleitungssatzes erhebt sich über einem
cantus firmus, ist also im Gegensatz zu
Vivaldis konzertierendem Stil kontrapunktisch gedacht. Kontrapunkt galt als altmodisch, konzertierender Stil als modern.
Händel bequemte sich dem konservativen
MUSIK FÜR DIE ENGEL ABENDSTERNE 2 137
Geschmack des Kirchenstaates also an.
Vielleicht spielte er auch einfach nur die
deutsche Karte aus, denn der frostige Norden, aus dem er kam, galt im heißen Süden
als Heimat des Kontrapunkts. Seine opernhaften Solokoloraturen klingen aber wieder ganz nach Vivaldi. Wie bei diesem folgt
des Kontrastes wegen eine Continuo-Arie,
die eher auf virtuose Geläufigkeit als auf
Ausdruck setzt. Die Sopranarie in weichem g-Moll berührt dagegen mit warm
empfundener Mütterlichkeit, die durch
„ex utero genui te – aus dem Schoß habe
ich dich geboren“ ausgelöst sein dürfte.
Der 4. Satz ist nach dem Modell der alten
Kirchensonate extrem kleinteilig. Seine
aggressiven „non“-Einwürfe erinnern wieder an mitteldeutsche Expressivität, die
wir 16 Jahre später aus den Turba-Chören
der Bachschen Johannespassion kennen
und deren Ruppigkeit das Publikum in Rom
verblüfft haben dürfte. Händel teilt den
4. der 8. Psalmverse in zwei Teile, sodass
das ebenso umfangreiche wie „gelehrte“
Fugato des 5. Satzes – durch den 4. wirkungsvoll vorbereitet – in der Mitte der
Kantate zu stehen kommt. Die dreifache
Hervorhebung als Fugato über doppeltem
Kontrapunkt, als Achse des Gesamtwerkes und durch seine Akzentuierung durch
ein auffälliges „Vorwort“, den 4. Satz, wird
kein Zufall sein. Der Text handelt von der
Einsetzung eines Priesterkönigs durch
Gott. War dies eine Huldigung an den
Papst und seine Familie? Wollte Händel
sich ihre Protektion erschreiben?
Was nach diesem Höhepunkt im zweiten
Teil der Kantate folgt, ist die Beschreibung
der Macht, die der Priesterkönig hat und
138 ABENDSTERNE 2 MUSIK FÜR DIE ENGEL
ausübt. Sein Ton hebt sich vom ersten Teil
ab. Er verbindet im kanonischen Einsatz
der Soli in der ersten, dann des Tutti in der
zweiten Hälfte Kontrapunktik mit konzertierendem Stil und raffinierter Textausdeutung
durch Tonartensymbolik. Auf „confregit
– zerschmettert“ lassen uns fallende Koloraturen hören, wie die feindlichen Könige
niedergemäht werden. Auf die Schlacht
folgt das Gericht, durch lange Noten als
„stylus grave“ charakterisiert. Sie wechselt
mit der Bestrafung im „stile concitato“ oder
kämpferischen Stil ab. Das Staccato auf
„Zerschmettern wird er die Häupter“ führt
uns ihr Zähneklappern vor. Geht unsere
Fantasie durch, wenn das Zähneklappern
von „conquassabit“ in ein – vier Takte lang
sogar dissonantes – Lachen übergeht und
wir die Päpstlichen über den Untergang
ihrer Feinde spotten hören, während die
Streicher wie Henkersbeile niederfahren?
Wahrscheinlich nicht, denn als Händel
Italien durchreiste, wurde das Land durch
Kämpfe zwischen päpstlichen Truppen und
denen Kaiser Josephs I. erschüttert. Der
deutsche Kaiser beanspruchte päpstliche
Ländereien als Reichslehen und besetzte sie. Eine Koalition deutscher Fürsten
wollte den Papst zur Marionette machen.
Kein Jahr nach Uraufführung der Kantate
marschierten brandenburgische Truppen
sogar in den Kirchenstaat ein. Da muss es
Clemens XI. wohl getan haben, dass ausgerechnet ein „Sassone“, ein „Sachse“ ihm
den Sieg über die Ketzer prophezeite.
Auf diesen musikalischen Horrorfilm folgt
eine Paradiesvision, die sich aus einer
gespenstisch wirkenden Instrumentaleinleitung herausschält. Sie klingt hohl wie
Totengebein, weil ihre Harmonien nicht
gefüllt sind. Der Vokalsatz konfrontiert
zwei Soli mit einer verängstigten Menge
in Gestalt allerdings nur der tiefen TuttiStimmen, während im Streichersatz das
Herz beklommen schlägt. Die Doxologie,
das Gotteslob, beginnt wieder im hackenden „stile concitato“, den die musikalische
Rhetorik für Kampfszenen vorsieht. Gepriesen wird demnach ein kriegerischer
Gott. Dazu passen die flammenden Koloraturen der Solisten, bei denen man unwillkürlich an gegenreformatorische Altartafeln denkt, auf denen der Erzengel Michael die Himmlischen Heerscharen mit dem
Flammenschwert gegen den rebellischen
Ex-Engel Luzifer und sein Gefolge führt: Ein
treffliches Bild für Reformation und Gegenreformation, die beide aus gleicher Wurzel,
dem Evangelium Christi stammen.
Während der Chor wild kämpft, verkünden
erst Bässe, dann allmählich aufsteigend
und einander abwechselnd auch die anderen Stimmen in langen, ruhigen Noten die
„Moral“ der Geschichte: „So war es zu Beginn, jetzt und alle Zeit.“ In diesem Cantus
firmus klingt die Formel der katholischen
Liturgie wie ein Kommentar zur Lage. Wie
Satan sich gegen Gott empörte, so empören sich die Invasoren gegen den Papst.
Darum werden sie ihre gerechte Strafe
erleiden. Die „Amen“-Koloraturen klingen
abschließend denn auch wieder wie das
hoffnungsfrohe Lachen eines vorweggenommenen Sieges- und Freudenfestes.
Wie im barocken Gottesdienst Instrumentalstücke, Sonaten und Konzerte stumme
Handlungen der Liturgie begleiteten, so
hören auch wir heute Abend drei Instrumentalstücke. Als Ouvertüre dient die Ein-
leitung zur Marienkantate Donna, che in
ciel, die undatiert überliefert ist, aber aus
derselben Periode des ersten Römer Aufenthaltes Händels stammen dürfte wie sein
Dixit Dominus. Mit ihrem feierlich punktierten ersten und fugierten zweiten Teil
entspricht sie der Form einer Französischen
Ouvertüre, wie sie in Hamburg beliebt war.
Corelli, eng mit Händel befreundet, soll
ihn seines altmodisch-französischen Stils
wegen aufgezogen haben, worauf dieser
das gescholtene Werk umkomponierte.
Der 54-jährige Corelli war eine lebende
Legende, als Händel ihn in Rom traf. Zu
seinen Mäzenen gehörten Christina von
Schweden, der König von Neapel sowie die
Familien Ottoboni und Pampili, aus denen
mehrere Päpste hervorgingen. Seine
Empfehlungen waren also auch karrieretechnisch von großer Bedeutung. Doch
dies war nicht alles für Händel. Noch 1739
erwies er ihm die Ehre, als er mit besonderer Sorgfalt seine zwölf Concerti grossi op. 6
als Hommage an Corellis gleichnamiges
Opus komponierte. Händel muss den Meister des Concerto grosso ähnlich verehrt
haben wie Mozart den des Streichquartetts,
als dieser Haydn seine mit unendlicher
Mühe komponierten Streichquartette op. 10
widmete. Das 4. der Concerti grossi op. 6
von Corelli ist sein modernstes, weil es die
traditionelle Struktur der Kirchensonate mit
dem Satzschema Langsam-Schnell-LangsamSchnell so überformt, dass sich hier bereits
zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Struktur
der modernen Sinfonie ankündigt. Einem
gehaltvollen Allegro folgt ein empfindsames
Adagio, darauf ein Menuett und zum Schluss
ein fulminantes Finale.
von Boris Kehrmann
MUSIK FÜR DIE ENGEL ABENDSTERNE 2 139
KATHARINA RUCKGABER Sopran
ILKIN ALPAY Sopran
Katharina Ruckgaber wurde in München
geboren und ist seit der Spielzeit 2014/2015
Mitglied im Opernstudio der Oper Frankfurt. In
der Spielzeit 2015/16 wird die junge Sopranistin an der Oper Frankfurt u. a. als Susanna in
Le Nozze di Figaro, Die Stimme des Waldvogels in Siegfried, Frasquita in Carmen sowie
in der Neuproduktion von Le cantatrici villani
als Nunziella zu erleben sein. 2015 debutierte
Katharina Ruckgaber als Fennimore in Kurt
Weills Der Silbersee unter Iván Fischer im
Konzerthaus Berlin. Weitere Auftritte hatte
die Sängerin bei den Festspielen Mecklenburg
Vorpommern, mit Bamberger Symphonikern,
Kammerorchester München, am Gärtnerplatztheater München und Theater Darmstadt.
Katharina Ruckgaber pflegt ein sehr vielseitiges Liedschaffen und gab u. a. einen
Liederabend für die Hugo-Wolf-Akademie in
Stuttgart, begleitet von Helmut Deutsch. Zuletzt war sie beim KurtWeillFest 2015 mit dem
Gürzenich Quartett Köln mit einem Programm
für Streichquartett und Sopran zu hören.
Die türkische Sopranistin wurde 1990 in
Ankara geboren. Als Sängerin im Staatlichen Kinderchor stand sie in verschiedenen Opern- und Ballettproduktionen, wie
Turandot, I Pagliacci, Cavalleria Rusticana und La Bohème auf der Bühne der
Staatsoper in Ankara. 2001 wirkte sie als
Kindersolistin bei Nazim Oratorio von Fazil
Say mit.
140 ABENDSTERNE 2 MUSIK FÜR DIE ENGEL
2007 begann sie ihre professionelle Ausbildung bei Oylun Erdayi. 2008 wurde sie an
der Bilkent Universität aufgenommen und
wirkte dort bei verschiedenen Konzerten
und Opernaufführungen mit.
Ilkin Alpay wurde beim 18. SiemensGesangswettbewerbs mit dem 1. Preis
ausgezeichnet und ist seit der Spielzeit
2016/17 Mitglied des Karlsruher OPERNSTUDIOS.
JAKUB JÓZEF ORLIŃSKI Countertenor
Der polnische Countertenor studierte am
Warschauer Frederyk-Chopin-Konservatorium und war gleichzeitig Mitglied im
Opernstudio des Teatr Wielki sowie der
Opera Narodowa, beide in Warschau. Zu
seinen zahlreichen internationalen Wettbewerbspreisen gehören 2016 der Einzug
ins Finale der Metropolitan Opera National
Council Auditions sowie 2015 der 1. Preis
der Marcella Sembrich International Vocal
Competition. Zur Zeit studiert Orliński
bei Edit Wiens an der renommierten New
Yorker Juilliard School.
Neben seiner Gesangskarriere ist Jakub
Józef Orliński ein preisgekrönter Breakdancer, der in Werbefilmen internationaler
Konzerne wie CROPP, Levi’s, Nike, Turbokolor, Samsung, Mercedes-Benz, MAC
Cosmetics, Danon und Algida auftrat.
In Polen war er als Cupido in Blows Venus
and Adonis und Narciso in Händels Agrippina zu hören, in Aachen und Cottbus
als Ruggiero in Händels Alcina, an der
Oper Leipzig mit Purcell-Liedern in Mario
Schröders Ballett Othello, in Gießen als
Philippus in Telemanns Der misslungene
Brautwechsel oder Richardus I.
MUSIK FÜR DIE ENGEL ABENDSTERNE 2 141
CARSTEN WIEBUSCH Dirigent
Carsten Wiebusch, geboren 1969 in Göttingen, studierte an den Musikhochschulen Düsseldorf und Stuttgart sowie an
der Folkwanghochschule in Essen. Dabei
gehörten Hans-Dieter Möller und Jon
Laukvik, Orgel, Ralf Otto, Dirigieren und
Thomas Palm, Klavier, zu seinen prägenden
Lehrern. Er errang verschiedene Preise bei
internationalen Orgelwettbewerben, so
beim August-Gottfried-Ritter-Wettbewerb
Magdeburg 1995 und Johann-SebastianBach-Preis Wiesbaden, 1. Preis 1995, und
konzertierte in zahlreichen europäischen
Ländern, in Russland und den USA. 1993 bis
1999 war er Organist an der spätromantischen Walcker-Orgel in Essen-Werden.
Seit 1999 ist Carsten Wiebusch Kantor
und Organist der Christuskirche Karlsruhe,
einem der kirchenmusikalischen Zentren Südwestdeutschlands. Neben einer
umfangreichen Orgelkonzerttätigkeit,
zum Beispiel der Gesamtaufführung des
142 ABENDSTERNE 2 MUSIK FÜR DIE ENGEL
Bach’schen Orgelwerkes, leitet er an der
Christuskirche den Oratorienchor Karlsruhe und den Kammerchor, der sich einen
hervorragenden Ruf als einer der führenden Chöre der Region erworben hat und
bei Festivals wie den Moselfestwochen
oder den HÄNDEL-FESTSPIELEN zu Gast
war. Carsten Wiebusch hat bereits sowohl
nahezu alle wichtigen Oratorien wie auch
eine Reihe Karlsruher Erstaufführungen
wie Messiaen oder Tippett dirigiert.
Schwerpunkte seines Orgelrepertoires bilden die Werke Bachs, Regers, der französischen Romantik und der klassischen Moderne. Mehrere Komponisten schrieben
Werke für ihn, zuletzt spielte er 2012 eine
Uraufführung eines großen Orgelwerkes
von Wolfgang Rihm. Als Organist, Dirigent
und Klavierbegleiter liegen eine Reihe von
Rundfunk- und Fernsehaufnahmen vor.
Seit 2000 unterrichtet er eine Orgelklasse
an der Musikhochschule Karlsruhe.
KAMMERCHOR DER CHRISTUSKIRCHE
Seit seiner Gründung durch Kirchenmusikdirektor Prof. Carsten Wiebusch im Jahre
2002 hat sich der Kammerchor der Christuskirche Karlsruhe einen hervorragenden Ruf
erworben. Die etwa 35 semiprofessionellen
Sängerinnen und Sänger sind bekannt für
ihren gestalterisch leidenschaftlichen Chorklang. So zeichnet sich der Chor durch ein
differenziertes, ausdrucksstarkes Klangspektrum aus.
Das facettenreiche Repertoire des Chores
legt den Schwerpunkt auf anspruchsvolle
a-cappella-Werke aller Epochen, im Besonderen des 19. und 20. Jahrhunderts sowie
Werke der Alten Meister. Aber auch die
Aufführung großer Chor- und Orchesterwerke, teilweise in Kooperation mit dem
Oratorienchor an der Christuskirche, ist ein
regelmäßiger Bestandteil des Programms.
Zusätzlich zu den vielfältigen Konzertaktivitäten ist dem Chor die Gestaltung von Kantatengottesdiensten ein wichtiges Anliegen.
Der Kammerchor der Christuskirche Karlsruhe, einer der Preisträger des Landeschorwettbewerbs Baden-Württemberg
2013, war in bedeutenden Konzertreihen zu
Gast, etwa bei den Mosel-Festwochen in
Trier oder den HÄNDEL-FESTSPIELEN in
Karlsruhe. Neben seiner starken Präsenz
in der Region Karlsruhe gastiert der Chor
in verschiedensten Kirchen, von St. Kilian
Heilbronn, St. Michael Schwäbisch-Hall dem
Dom zu Speyer im Süden Deutschlands bis
hin zum Meißner Dom und der Kreuzkirche
in Dresden. Neben der erfolgreichen Teilnahme beim 3. Internationalen Wettbewerb
für Kammerchöre 2016 in Mosbach folgte
der Kammerchor im Sommer 2016 einer
Einladung zum Chorfest der Nordkirche in
Lübeck um dort das Abschlusskonzert zu
gestalten.
MUSIK FÜR DIE ENGEL ABENDSTERNE 2 143
144
145
ABENDSTERNE 3
ANNA
BONITATIBUS –
HEROINEN
DER ANTIKE
ANNA BONITATIBUS Mezzosopran
ANNE KATHARINA SCHREIBER Violine
GUIDO LARISCH Violoncello
NICOLETA PARASCHIVESCU Cembalo
KRISTIAN NYQUIST Cembalo
ERÖFFNUNGSKONZERT DER
32. INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE KARLSRUHE
MO 27.2. 19.30 CHRISTUSKIRCHE am Mühlburger Tor
ca. 1 Stunde 20 Minuten
Im Anschluss findet eine Autogrammstunde statt
146 ABENDSTERNE 3 ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE
PROGRAMM
Claudio Monteverdi (1567–1643)
Se i languidi miei sguardi
Lettera amorosa a voce sola in
genere rappresentativo
Marco Uccelini (1603/10–1680)
Sonata over Toccata Quinta
a violino solo ’detta
„La Laura Rilucente“
Georg Friedrich Händel Aria dal pasticcio ‚Semiramide riconosciuta’
(1685–1759)
„Fuggi dagl’occhi miei“
(London, 1733)
Pietro Locatelli (1695–1764)
Sonate A-Dur op. 8 Nr. 10 für Violine,
Violoncello und Basso continuo
Cantabile – Allegro – Vivace
Georg Friedrich Händel
„O, numi eterni …“ („La Lucrezia“)
Kantata HWV145 Recitativo
Aria (Adagio)
Recitativo
Aria (Allegro)
Recitativo
Aria (Furioso – Adagio – Larghetto)
Recitativo
Arioso
Joseph Haydn (1732–1809)
Trio g-Moll für Cembalo,
Violine und Violoncello, Hob. XV: 1
Moderato
Menuetto
Presto
Joseph Haydn „Arianna a Nasso“ Kantata
für die Stimme und Cembalo, Hob. XXVIb: 2
Recitativo
Aria
Recitativo
Aria
ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE ABENDSTERNE 3 147
ZUM PROGRAMM
LIEBE, WUT,
VERZWEIFLUNG
Drei antike Heroinen und einen Schäfer
werden sie heute Abend in Miniaturopern
hören.
In Monteverdis Liebesmadrigal Se i
languidi miei sguardi wendet sich ein
namenloser Hirte an eine Nymphe, der
er hoffnungslos verfallen ist. Da seine
schmachtenden Blicke nicht beachtet
wurden, erklärt er sich ihr nun in einem
Brief, den er mit Herzblut schreibt. Ihre
Schönheit sei das Feuer, das ihn entzündet
habe, ihre goldenen Haare die Ketten, die
ihn schicksalhaft fesseln. Sie seien aus
demselben Stoff, aus dem der Lebensfaden
der Parzen gemacht sei. Diesen Liebesbrief publizierte Claudio Monteverdi 1619
gegen Schluss, also an hervorgehobener
Stelle seines 7. Madrigalbuchs, das er,
mittlerweile Kapellmeister von San Marco
in Venedig, seinen früheren Arbeitgebern,
der Familie Gonzaga in Mantua widmete.
Vielleicht auch, um zu signalisieren, dass
er weiterhin der weltlichen Musik, der
„seconda prattica“ zugewandt sei. Die
Überschrift des Stücks im Erstdruck tut
kund, dass dieser Liebesbrief im „genere
rappresentativo“, also im rezitierenden
Stil der Oper gehalten und dass er „senza
battuta“, also rhythmisch frei, dem natürlichen Fluss der Worte und dem Ausdruck
des Affekts folgend vorzutragen sei.
Semiramis ist die assyrische Königin,
die mit den Hängenden Gärten eines der
sieben Weltwunder der Antike erbauen
ließ. Im Barock wurde sie als Frau mit
männlichem Geist, männlicher Tatkraft
und männlichem Durchsetzungsvermögen,
kurz „virago“ bewundert. Nach dem Tod
ihres Mannes zog Semiramis nämlich Männerkleidung an und gab sich als ihr Sohn
aus, an dessen Stelle sie die Herrschaft
übernahm. Als ihre Travestie aufflog,
hatte sie sich als Herrscherin so glänzend
bewährt, dass man ihre Rolle akzeptierte
und ihre Regentschaft bestätigte. Davon
handelt Leonardo Vincis Oper Semiramide
148 ABENDSTERNE 3 ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE
riconosciuta – Die enttarnte Semiramis
von 1729. Vier Jahre später griff Händel
auf das Werk zurück, um es nach den
Wünschen seiner Sänger mit Arien moderner Komponisten, darunter Vincis, Hasses,
Leos, Feos, Sarros und Corsellis neu zu
collagieren. Dieses Potpourri der schönsten Melodien war nötig, da der 48-Jährige
in London schon zum Alten Eisen gehörte
und ein Konkurrenz-Opernunternehmen
ihm mit gefälligeren Werken einer jüngeren Generation das Wasser abgrub. Händel drehte den Spieß um, plünderte deren
Werke, was vor Einführung des Urheberrechts kein Problem war, und „verbesserte“ sie. Semiramis’ Arie Fuggi dagl’occhi
miei ist Vincis Oper entnommen und wurde
von Händel für seinen Mezzostar Margherita Durastanti bearbeitet. Sie stammt
aus dem letzten Akt und verleiht der Wut
der Königin über ihren früheren Geliebten
Ausdruck, weil er sie erkannt hat und ihr
Inkognito lüften will.
Die Römerin Lucrezia spielte in der Vertonung Telemanns schon im Kammerkonzert
der Deutschen Händel-Solisten am 20. Februar eine Rolle. Sie wurde von dem Sohn
eines Tyrannengeschlechts vergewaltigt,
beging öffentlich Selbstmord und löste
damit im 6. Jh. v. Chr. die Römische Revolution aus, die zur Gründung der Republik
führte. Händels Kantate für Sopran, Streicher und Basso continuo entstand 1707
während der Italienischen Lehrjahre des
Komponisten in Florenz. Sie ist das Meisterstück der Gattung Kammerkantate, zu
der Händel rund 100 Beiträge liefert. In
drei Paaren aus Rezitativ und Arie zeichnet der 22-Jährige den psychologischen
Prozess einer Desillusionierung nach. In
dessen Verlauf fällt Lucrezia vom Glauben
an die Gerechtigkeit der göttlich verbürgten Weltordnung ab und sieht schließlich
keinen anderen Ausweg mehr, als zur
Selbstjustiz zu greifen. Ihr Selbstmord
ist kein Zeichen von Schwäche, sondern
eine bewusste Entscheidung für ein Leben in der Hölle, in der sie selbst zu jener
Rachefurie werden kann, als die sie ihren
Peiniger verfolgt. Dabei ermöglichen es
die beweglichen Formen der Da-capo-Arie
und des expressiven Rezitativs Händel,
das Vorpreschen und Zurückschaudern
der Heldin, den widersprüchlichen und impulsiven, letztlich semi- oder irrationalen
Prozess der affektiven Entschluss-Fassung und Tat-Ausführung unerhört subtil
und feingliedrig nachzuzeichnen. Da die
Form der Kammerkantate nur für einen
exklusiven Hörerkreis vornehmer Musikkenner und Kenner der antiken Mythologie geschaffen wurde, konnte Händel mit
jugendlichem Draufgängertum Disharmonien einsetzen, um die Bitterkeit des Leids
zu steigern und zu verfeinern, und die reine Schönheit der Melodie zerbrechen, wo
die Heldin fast zerbricht.
Auf ganz andere Weise komplex und psychologisch subtil arbeitete Joseph Haydn
1789 in seiner intimen Solokantate Ariadne
auf Naxos. Sie erzählt von jener kretischen
Königstochter, die dem attischen Prinzen
Theseus half, den menschenfressenden
Minotaurus, ihren Halbbruder, zu töten.
Dank des nach ihr benannten Fadens fand
Theseus wieder aus dem Labyrinth heraus,
in dem man das Monster gesperrt hatte.
Ariadne hatte sich damit jedoch gegen ihre
Familie aufgelehnt und muss mit dem Geliebten fliehen. Da Theseus den Thron sei-
ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE ABENDSTERNE 3 149
nes Vaters in Athen übernehmen soll, lässt
er die Geliebte auf halbem Weg nachts auf
der Insel Naxos zurück.
Haydn nutzt wie Händel die für die Kammerkantate tradierte Grundform Rezitativ
– Arie, verwischt aber die Grenzen durch
bruchlose Übergänge zwischen Rezitativ
und Arie. Auch die Da-capo-Struktur der
Arie wird zugunsten einer rhapsodisch
freien Gestaltung aufgegeben. Schließlich
wird die Instrumentalbegleitung völlig neu
definiert. Sie ist hier auf das Klavier reduziert, was bereits die Tendenz der Epoche
der Empfindsamkeit zu Schlichtheit, jener
berühmten „edlen Einfalt, stillen Größe“,
reflektiert. Außerdem wird das Tasteninstrument zum Dialogpartner der verlassenen
kretischen Prinzessin. Es scheint fast mit
ihr zu sprechen, sie zu trösten, ihr Leid zu
spiegeln und ihre Einsamkeit abmildern zu
wollen. Hinter diesem sprechenden Klavier stehen die Erfahrungen einer neuen
musikalischen Gattung, die Mitte des 18.
Jahrhunderts in Frankreich und im mitteleuropäischen Raum in Mode kam: das
Melodram. Hier wurde ganz auf Gesang
verzichtet. Ein Deklamator oder eine Deklamatorin rezitierte einen Monolog, den
die Musik affekt- und abwechslungsreich
untermalte und bildlich ausdeutete. Haydn
ersetzt den gesprochenen Text wieder
durch Gesang, hält ihn aber ausgesprochen liedhaft. Gegen die Übertreibungen
des Barock setzt die Empfindsamkeit auch
hier ein neues ästhetisches Ideal. Wie im
Melodram, „malt“ die Musik innere und
äußere Vorgänge bildhaft nach. Wenn
Ariadne den Felsen erklimmt, um nach dem
verschwundenen Theseus Ausschau zu
halten, steigt auch das Klavier in Akkordketten nach oben.
Klar innerhalb der Vielfalt ist auch die
Gliederung der Kantate gehalten. Der
psychologisch-musikalische Prozess der
Desillusionierung zerfällt in zwei harmonisch deutlich unterscheidbare Hälften.
Der erste Teil, der uns die verliebte Ariadne vorführt, bewegt sich mit fast aufdringlich stabilen Dominant-Tonika-Kadenzen
auf harmonisch sicherem Boden. Ariadne
ist unerschütterlich in der Geborgenheit
ihrer Liebe. Diesen sicheren Boden kann
ihr Haydn nun durch den Kontrast umso
wirkungsvoller entziehen, wenn sie langsam realisiert, was sie nicht glauben kann:
Dass Theseus sie sitzen gelassen hat.
Ab dem Moment, in dem sie im zweiten
Rezitativ droht, ohnmächtig zu werden,
schlingert sie von A-Dur ausgehend mit
jedem Schritt durch alle möglichen Tonarten. Haydn hat es hier sogar unterlassen,
überhaupt eine Grundtonart vorzuschreiben. Erst in der F-Dur-Arie findet diese
harmonische Taumelei kurzfristig wieder
Halt. Sie hat den Duktus eines Gebets, das
an Glucks sanfte Heroinen erinnert, wird
aber rasch wieder gebrochen und kippt im
selbstdestruktiven Affekt nach f-Moll um.
Ihr letzter Schrei „infedel“ ist ein Tritonus.
Auch Ariadne hadert mit den Göttern, die
für ethisch stabile Verhältnisse auf der
Erde eben leider nicht garantieren können.
von Boris Kehrmann
150 ABENDSTERNE 3 ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE
ANNA BONITATIBUS Mezzosopran
Die Süditalienerin absolvierte ihre Ausbildung in den Fächern Klavier und Gesang
und wandte sich nach Siegen bei verschiedenen Wettbewerben verstärkt dem Studium des Barock- und Belcanto-Repertoires
zu. Ihr Repertoire umfasst zurzeit rund 50
Opern. 1999 debütierte die Mezzosopranistin unter Riccardo Muti in Mozarts Don
Giovanni an der Mailänder Scala sowie als
Adalgisa in Bellinis Norma am Teatro San
Carlo Neapel. Herausragenden Erfolg hatte
sie zudem als Angelina in Rossinis Cenerentola an der Bayerischen Staatsoper
München, am Teatro dell’ Opera in Rom,
am Opernhaus Zürich und an der Opéra de
Lyon sowie als Cherubino in Mozarts Le
nozze di Figaro, für den sie unter anderem
am Royal Opera House in London, am Pariser Théâtre des Champs-Elysées sowie am
Teatro Regio von Turin gefeiert wurde. Ein
umjubelter Isabella-Colbran-Liederabend
führte sie ans Teatro San Carlo in Neapel,
eine Rossini-Lied-Tournee, die auch auf
CD verewigt wurde, durch Italien und
Spanien. Unter William Christie war sie als
Cavallis Didone in Caen, Luxemburg und
Paris zu hören, unter Antonio Pappano als
Cherubino am Covent Garden.
Zu den Regisseuren, mit denen sie zusammengearbeitet hat, gehören Roberto De
Simone, Laurent Pelly, Dario Fo, Jean-Louis Martinoty, Luca Ronconi, Pier Luigi Pizzi,
Jerome Savary, Sir Jonathan Miller, Irina
Brook, Sven-Eric Bechtolf, Toni Servillo,
Andreas Homoki, David Alden, Beppe de
Tomasi, Emilio Sagi, Bartlett Sher, Kasper
Holten und Jürgen Flimm.
Für die Deutsche Grammophon hat die
Mezzosopranistin Händels Tolomeo und
Vivaldis Andromeda liberata eingespielt,
für Virgin Classics Scarlattis Lettere
amorose und Händels Deidamia sowie für
Sony ein Rossini- und ein Haydn-Album.
ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE ABENDSTERNE 3 151
ANNE KATHARINA SCHREIBER Violine
GUIDO LARISCH Violoncello
Die Geigerin ist seit 1988 Gesellschafterin
des Freiburger Barockorchesters, mit dem
sie auch als Konzertmeisterin und Solistin
in Konzerten und auf CDs zu hören ist. Sie
arbeitet regelmäßig mit dem ensemble
recherche, der Akademie für Alte Musik,
dem Kammerorchester Basel und dem
Collegium Vocale Gent zusammen. Außerdem ist Anne Katharina Schreiber seit über
20 Jahren Mitglied des Trio Vivente und
spielt in verschiedenen Kammermusikformationen. Anne Katharina Schreiber unterrichtet an der Hochschule für Musik in Freiburg
und der Ensemble-Akademie Freiburg.
Neben seinem Cellostudium in Hannover und
Detmold begann Guido Larisch 1977 mit dem
Spiel auf dem Barockcello. In den folgenden
Jahren war er bei vielen Ensembles wie
Musica Alta Ripa oder dem Apponyi-Quartett engagiert, in jüngerer Zeit wurde er als
Stimmführer und Continuo-Spezialist auch
von verschiedenen Opernhäusern wie der
Hamburgischen Staatsoper, der Bayerischen
Staatsoper und dem Teatro Liceu Barcelona
eingeladen. Seit 1989 ist Guido Larisch
Mitglied des Freiburger Barockorchesters.
Mehrere seiner CD-Einspielungen wurden
mit internationalen Preisen ausgezeichnet.
152 ABENDSTERNE 3 ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE
NICOLETA PARASCHIVESCU Cembalo
KRISTIAN NYQUIST Cembalo
Nicoleta Paraschivescu unterrichtet Orgel
an der Musik-Akademie Basel (AMS) und
ist Organistin an der Kirche St. Theodor in Basel. Orgel studierte sie an der
Musikhochschule Gheorghe Dima in ClujNapoca (Klausenburg) bei Ursula Philippi.
Danach erweiterte sie ihre Ausbildung mit
einem Studium und Diplom in Alter Musik
an der Schola Cantorum Basiliensis in den
Fächern Orgel bei Jean-Claude Zehnder
und Cembalo bei Andrea Marcon. Weitere
musikalische Impulse erhielt sie von Enrico
Baiano in Neapel. Konzerte führten sie in
verschiedenen Ländern Europas und an
renommierten Festivals. Sie ist Leiterin
des Ensembles La Floridiana, mit dem sie
für das Label SONY bereits zwei CDs mit
Welterst-Einspielungen der Haydn-Schülerin Marianna Martines (1744–1812) aufgenommen hat. Weitere CD-Aufnahmen für
audite, Guild und Gallo.
Sein Cembalostudium absolvierte Kristian
Nyquist in Karlsruhe und Paris bei Huguette
Dreyfus sowie bei Meisterkursen, geleitet
von Colin Tilney, Bob van Asperen und
Gustav Leonhardt. Er erhielt Preise bei den
Wettbewerben Concours Musical d’Île-deFrance und Prager Frühling. Sein Repertoire
bei internationalen Konzerten als Solist
und mit verschiedenen Kammermusikformationen umfasst Werke des 16. bis
21. Jahrhunderts. Seit 2006 ist er Dozent
für Cembalo, Fortepiano, Generalbasspraxis
und Kammermusik an der Hochschule für
Musik Karlsruhe.
ANNA BONITATIBUS – HEROINEN DER ANTIKE ABENDSTERNE 3 153
154
155
PRIMADONNEN!
Abschlusskonzert der
INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE KARLSRUHE
SANDRINE PIAU Sopran
VIVICA GENAUX Mezzosopran
GEORGE PETROU Dirigent
ARMONIA ATENEA
1. Violine Sergiu Nastasa (Konzertmeister), Epameinontas Filippas, Georgios
Panagiotopoulos, Angie Kasdas, Sofia Liu, Chryssa Koutsaftaki 2. Violine Carmen Otilia
Alitei, Athanasios Martzoukos, Angeliki Fanarioti, Luise Ramos-Stahl Viola Laurentiu
Octavian Matasaru, Ilias Livieratos Violoncello Iason Ioannou, Christopher Humphreys,
Ilias Sakalak Violone Dimitris Tigkas Cembalo Markelos Chryssikopoulos Theorbo
Theodoros Kitsos Oboe Dimitris Vamvas, Aviad Gershoni* Fagott Heide Pantzier*
*Gäste der Armonia Atenea
DO 2.3. 20.00 GROSSES HAUS
ca. 2 Stunden 30 Minuten, 1 Pause
156 KONZERT PRIMADONNEN!
PROGRAMM
Georg Friedrich Händel
(1685–1759)
Alessandro HWV21 (1726)
Ouvertüre
„Placa l’alma“ – Duett von Lisaura und Rossane
Komponiert für Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni
Giulio Cesare in Egitto HWV17 (1724)
„Da tempeste“ – Arie von Cleopatra, Komponiert für Francesca Cuzzoni
Alessandro HWV21 (1726)
„L’armi implora dal tuo figlio“ – Arie von Rossane
Komponiert für Faustina Bordoni
Publio Cornelio Scipione HWV20 (1726)
Ouvertüre
Alcina HWV35 (1735)
„Mi restano le lagrime“ – Arie von Alcina
Komponiert für Anna Strada del Pò
Tolomeo, re di Egitto HWV25 (1728)
„Ti pentirai crudel“ – Arie von Elisa, Komponiert für Faustina Bordoni
Rodelinda, regina di Longobardi HWV19 (1725)
„Non ti basto, o consorte … Io t’abbraccio“ – Duett von
Rodelinda und Bertrarido, Komponiert für Francesca Cuzzoni
und Francesco Bernardi detto Senesino
– Pause –
Georg Friedrich Händel
Alcina HWV35 (1735)
„Ah, mio cor“ – Arie von Alcina, Komponiert für Anna Strada del Pò
Radamisto HWV12a (1720)
Chaconna
Riccardo Primo, re d’Inghilterra HWV23 (1727)
„Quel gelsomino“ – Arie von Pulcheria
Komponiert für Faustina Bordoni
Ottone, re di Germania HWV15 (1723)
Concerto
Alessandro HWV21 (1726)
„Brilla nell’alma“ – Arie von Rossane, Komponiert für Faustina Bordoni
Radamisto HWV12a (1720)
„Se teco vive il core“ – Duett von Radamisto und Zenobia
Komponiert für Margherita Durastanti und Anastasia Robinson
PRIMADONNEN! KONZERT 157
ZUM PROGRAMM
DIE ZEIT
DER SIRENEN
Eine Barockoper ohne Primadonna ist
keine Barockoper. Wie alle bedeutenden
Komponisten seiner Zeit befolgte Händel
diese eiserne Regel ohne Ausnahme. Er
war sogar derjenige, der diese Konvention
begründet hatte und damit der Musik den
Vorrang über den Text gab. Unabhängig
vom Sujet und der Dramaturgie des Librettos, komponierte er der Hauptdarstellerin
obligatorische sechs oder sieben Arien in
die Kehle. Unter diesen Nummern, die sich
stilistisch unterscheiden, findet sich immer
ein Lamento, das heißt eine gefühlvolle
Klage, und eine Aria di bravura, also eine
schnelle Arie mit virtuosen Koloraturen
und Verzierungen. Hinzu kommen ein oder
zwei Duette mit dem Primo uomo, dem
Ersten Mann, und besondere Auftrittskonventionen; beispielsweise die krönende
Schlussarie am Ende des 1. oder 2. Aktes,
wo das Publikum etwas Besonderes
erwartete.
158 KONZERT PRIMADONNEN!
Aber wie ist es, wenn sich zwei Primadonnen das Licht der Scheinwerfer teilen
müssen? Händel, der doch grundsätzlich
gerne mit den Konventionen spielte, war
von dieser Idee fasziniert. Und wir wissen:
Je schwieriger die Aufgabe, desto kreativer Händels Fantasie. Schon in seiner
ersten italienischen Oper Rodrigo von
1707 begegnen wir zwei Frauen, die beide
die Bühne beherrschen: der tugendhaften
Esilena, Gattin des spanischen Königs
Rodrigo, sowie der Aristokratin Florinda,
die Rodrigo noch vor seiner Ehe entführt
und geschwängert hat. Auch in Händels
drei Zauberopern Rinaldo (1711), Teseo
(1713) und Amadigi di Gaula (1715), mit
denen der deutsche Komponist in London
Triumphe feierte, finden wir zwei starke
Frauen, die ebenfalls um einen Mann
konkurrieren. In allen drei Fällen ist die
eine die fromme, aber tapfere Geliebte des
Titelhelden, und die andere, eine ambitio-
nierte und mächtige Zauberin, der jedoch
auch ihre Zauberkunst nicht helfen kann,
den Helden und sein Herz zu gewinnen.
Für beide Seiten hat Händel besondere
musikalische Momente geschaffen und
damit das Publikum vor die Qual der Wahl
gestellt, eine Favoritin zu küren.
Das Londoner Publikum hat die neue Mode
schnell angenommen und verlangte nach
einer Fortsetzung. Die nächste Ausgabe
vom Kampf der Primadonnen folgte 1726,
als zwei herausragende Sängerinnen für
die von Händel geleitete Royal Academy
of Music engagiert wurden. Die aus Parma
stammende Francesca Cuzzoni (1696–
1778) war seit ihrem Londoner Debüt 1723
eine der wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten der englischen Metropole; ihre
Kollegin und Rivalin, die in Venedig geborene Faustina Bordoni (1697–1781) trat in
diesem Jahr auf der britischen Insel zum
ersten Mal auf. In der im Mai 1726 uraufgeführten Oper Alessandro komponierte
Händel für die beiden zwei gleichwertige
Partien: für die Cuzzoni die skythische
Prinzessin Lisaura, für die Bordoni die
persische Prinzessin Rossane, beide –
wie sollte es anders sein – verliebt in den
Titelhelden, den legendären König von
Makedonien. Schon der erste Doppelauftritt der beiden Diven war eine Sensation:
im Duett „Placa l’alma“, in dem sich beide
Prinzessinnen über die Ankunft des Königs
freuen, hat Händel die Anzahl der hohen
Töne zwischen den zwei Sängerinnen mit
mathematischer Genauigkeit verteilt; auch
bei der Anzahl der Takte herrscht absolutes Gleichmaß! Und obwohl die Bordoni
die tiefere und dunklere Stimme der beiden
hatte, liegen beide Stimmen in der für bei-
de Sängerinnen bequemen Tonart G-Dur
gleich hoch und wechseln sich ab.
Der Rivalinnenkampf endet in Alessandro
so, dass der mächtige König am Schluss
der Oper Rossane (Bordoni) seine Liebe
und Lisaura (Cuzzoni) seine immerwährende Freundschaft schenkt. Doch bei
allem Gleichmaß kann man sich fragen,
ob Händel nicht doch die Bordoni, also
die in London noch unbekannte Sängerin,
musikalisch bevorzugt hat. Zwar hat auch
Lisaura ganz bezaubernde Momente,
doch sowohl den zartesten Moment – die
lyrische Arie „L’armi implora dal tuo figlio“
– als auch die schwierigstes Arie der
Oper, die fulminante Aria di bravura „Brilla
nell’alma“, hat er für Rossane, also für die
Bordoni vorgesehen.
Francesca Cuzzoni, die unglückliche
skythische Prinzessin, hatte gute Gründe, sich auch in Händels nächster Oper
verlassen und vernachlässigt zu fühlen: In
Admeto aus dem Jahr 1727 raubt ihr die
Rivalin erneut den Titelhelden! Mit welcher Wehmut mag sie sich an die Zeit ihrer
„absoluten Monarchie“ auf der Londoner
Bühne erinnert haben, an die Jahre 1724
bis 1726, in denen Händel eine Paraderolle
nach der anderen für sie kreierte. Zwei –
die Cleopatra in Giulio Cesare von 1724
und die Titelpartie in Rodelinda (1725)
– sind für immer in der Operngeschichte
mit ihr verbunden. Vor allem Cleopatra, die
legendäre ägyptische Königin, ist einer
der vielseitigsten Charaktere in Händels Opernkosmos. In dieser Partie sind
Tragisches und Komisches, Lyrisches und
Dramatisches vereint. Ihre letzte Arie „Da
tempeste”, nachdem sie alle SchicksalsPRIMADONNEN! KONZERT 159
schläge überstanden hat, ist ein reizvolles
und virtuoses Allegro, in der die Sängerin
mit perlenden Koloraturen glänzen kann.
Rodelinda hingegen ist ganz anders
gestaltet, zumindest in ihren dramatischen
Momenten, wie beispielsweise am Ende
des 2. Akts, nachdem die Heldin ihren Gemahl, den sie für tot hielt, wiedergefunden
hat und sich wieder von ihm trennen muss.
In dieser Szene erklingt eines der berühmtesten Duette Händels, in dem er die Stimme der Cuzzoni und die des Starkastraten
Francesco Bernardi, genannt Senesino, in
perfekten Einklang brachte.
Am 6. Juni 1727 ereignete sich auf der
Bühne des Londoner King’s Theatre der
größte Opernskandal des 18. Jahrhunderts. Aufgeheizt durch ihre Verehrer haben die beiden Damen sich auf der Bühne
einen Streit geliefert, der schließlich in
eine echte Schlägerei ausartete – samt
Haareraufen und Publikumsgejohle – und
all das in Anwesenheit der königlichen Familie. Dieses Ereignis löste eine Welle von
Pamphleten aus und führte dazu, dass die
Spielzeit früher als geplant beendet wurde.
Der offizielle Grund war der plötzliche Tod
von König Georg I. am 11. Juni 1727, der Ruf
der italienischen Oper war beschädigt.
Nichtsdestotrotz standen in der nächsten Spielzeit die beiden Diven wieder
zusammen auf der Bühne – als ob nichts
geschehen wäre. Von nun an jedoch war
die Cuzzoni diejenige, die sich am Ende der
drei neuesten Opern Händels – Riccardo
Primo 1727 und Tolomeo 1728 – der Zuneigung des Titelhelden erfreuen durfte.
Umso abwechslungsreicher gestaltete
160 KONZERT PRIMADONNEN!
Händel die Rollen der Bordoni. Während
sie in Riccardo primo unter der Tyrannei
ihres mächtigen Vaters litt, der sie gegen
ihren Willen in seine Intrigen eingeweiht
hat – Rezitativ und Arie „Quel gelsomino“
folgen der großen Auseinandersetzungsszene mit ihrem Vater Isacio –, kreierte sie
in Tolomeo hingegen die Intrigen selbst.
In ihrem herausragenden Auftritt im 3. Akt
„Ti pentirai crudel“ droht sie den ägyptischen König Tolomeo sogar mit furchtbarer
Rache.
Während die beiden Primadonnen, „the
rival Queens“, wie man Cuzzoni und
Bordoni nannte, bei Händel gemischte
Eindrücke hinterließen – in musikalischen
und dramatischen Hinsicht stand ihm,
nach seinen eigenen Aussagen, Cuzzoni
etwas näher –, hat er die Sängerin, die
seinen Vorstellungen von Opernkunst
vollkommen entsprach, erst 1729 entdeckt: Anna Strada del Pò. Die in Bergamo
geborene Sängerin, von der uns weder
Geburts- noch Todesjahr bekannt ist, war
keineswegs die etablierte Diva, vielmehr
die eine vielversprechende junge Sängerin, aus der Händel einen Star der Londoner Szene formte. Die für Anna Strada
geschriebenen Partien sprechen für sich:
die mutige Adelaide in Lotario, die charmante neapolitanische Königin Partenope
in der gleichnamigen Oper, die elegante
Angelica in Orlando, die leidende Ginevra
in Ariodante und die Zauberin Alcina, die
Partie, die alle Opernprimadonnen nach
ihr zu singen begehrten und immer noch
begehren. Allein der Umfang ihrer großen
Arie „Ah, mio cor“ im 2. Akt der Oper, in
der sie von der Untreue ihres Geliebten
erfährt und die mit über zehn Minuten die
vielleicht längste Opernarie ist, die Händel
je geschrieben hat – zeugt von der Bedeutung dieser Sängerin für Händel.
Am Ende des Abends kehren wir mit dem
Liebesduett von Radamisto und Zenobia
in Radamisto von 1720 wieder zurück
zu den ersten Jahrzehnten von Händels
Karriere in London. Das Duett hat Händel
überraschungsweise auch für zwei Damen
geschrieben. Der Grund dafür ist, dass
ihm in dieser Spielzeit kein Alt-Kastrat zur
Verfügung stand, und er deswegen die
Titelpartie Margherita Durastanti gab,
der italienischen Mezzosopranistin, die
er bereits in Italien kennengelernt und
für die er schon mehrere Kantaten sowie
die Titelrolle in Agrippina komponierte
hatte. Die Partie der Zenobia war für seine
andere Lieblingssängerin bestimmt, die
englische Altistin Anastasia Robertson.
Die beide Damen waren keine Rivalinnen.
Im Gegenteil: Sie waren eng miteinander
befreundet und haben ihre Zusammenarbeit sehr genossen. „Se teco vive il cor“
war das erste von mehreren Duetten, die
Händel in seinen späteren Opern Flavio,
Ottone, Floridante und Giulio Cesare für
Durastanti und Robertson schuf: Das
Publikum des 18. Jahrhunderts freute
sich anscheinend nicht nur an zerrauften
Haaren und Schlägereien.
von Michael Fichtenholz
PRIMADONNEN! KONZERT 161
SANDRINE PIAU Sopran
Sandrine Piau studierte Harfe und Gesang
am Pariser Konservatorium und schloss
ihr Studium in Versailles ab. Sie wurde
zunächst als Sängerin im Bereich der historischen Aufführungspraxis bekannt.
Ihr Repertoire besteht jedoch heute aus der
Musik unterschiedlicher Epochen. So singt
sie Werke von Johann Sebastian Bach,
Claude Debussy, Wolfgang Amadeus Mozart, Christoph Willibald Gluck, Carl Maria
von Weber, Benjamin Britten und anderen.
Sie arbeitet überwiegend als Opern- und
Konzertsängerin auf großen Bühnen. Sie
hatte in den vergangenen Jahren Auftritte in London, Bologna, Bordeaux und bei
den Festivals von Salzburg, Montreux,
Aix-en-Provence, Drottningholm und Dresden. Als Sopranistin arbeitet sie auch mit
den Berliner Philharmonikern zusammen.
Die Dirigenten, die mit ihr arbeiten, sind
William Christie, Philippe Herreweghe,
162 KONZERT PRIMADONNEN!
Frans Brüggen, Paul McCreesh, René
Jacobs, Marc Minkowski, Kurt Masur und
Jean-Christophe Spinosi. Sie hat einige
CDs mit Liedern von Debussy und Arien
Mozarts veröffentlicht. In Zusammenarbeit
mit Christophe Rousset, Maurice Steger,
Diego Fasolis und dem Freiburger Barockorchester hat sie sich als Spezialistin
für Barockmusik einen hervorragenden Ruf
ersungen.
VIVICA GENAUX Mezzosopran
Die in Alaska geborene Mezzosopranistin
ist eine international führende Interpretin
des Barock- und Belcanto-Repertoires.
Sie erhielt zahlreiche Preise, darunter
2008 den Pittsburgh Opera MaecenasPreis, den Christopher Keene Award
der New York City Opera und den ARIA
Award 1997. Nach ihrem Debüt 1994 an
der Florentine Opera/Milwaukee sang sie
an den wichtigsten Häusern und bei den
renommiertesten Festivals weltweit, wie
beispielsweise an der Wiener Staatsoper,
der Opéra de Paris, an der Bayerischen
Staatsoper München, an der Metropolitan
Opera in New York, in Montpellier, Straßburg und Paris sowie bei den Salzburger
Pfingstfestspielen.
Ihre Aufnahme mit Farinelli-Arien mit der
Akademie für Alte Musik Berlin unter René
Jacobs stand 2002 sieben Wochen an der
Spitze der Klassikcharts. Konzerte führten
die Sängerin nach Hamburg, Baden-Ba-
den, Budapest, Luxemburg, Luzern, Wien
und Paris. Mit der Sopranistin Simone
Kermes und der Cappella Gabetta gestaltete sie das Projekt Rivalries, das von
der legendären Konkurrenz zwischen
den Barockdiven Faustina Bordoni und
Francesca Cuzzoni inspiriert war. Das
Programm wurde unter dem Namen Rival
Queens auf CD veröffentlicht. Im September 2015 erschien Bellinis I Capuleti e i
Montecchi mit Vivica Genaux als Romeo
auf CD. Weitere Aufnahmen liegen bei
Harmonia Mundi, Virgin oder Naïve, zum
Beispiel L’oracolo in Messenia, Ercole sul
Termodonte, L’Atenaide und Bajazet von
Vivaldi, La Santissima Trinità von Scarlatti, Rinaldo und Arminio von Händel, Alahor
in Granata von Donizetti sowie Bel Canto
Arias, ein Album mit Liedern von Rossini
und Donizetti. Am STAATSTHEATER
KARLSRUHE war die Sängerin in der letzten Spielzeit in der Operngala I Capuleti e
i Montecchi als Romeo zu erleben.
PRIMADONNEN! KONZERT 163
GEORGE PETROU Musikalische Leitung
Der in Griechenland geborene George Petrou
machte nach seinem Musikstudium am
Konservatorium Athen, am Royal College
und an der Royal Academy of Music in
London und vor seiner internationalen Dirigentenlaufbahn bereits als Konzertpianist
Karriere. Seit 2012 ist er Künstlerischer
Leiter des renommierten Orchesters
Armonia Atenea, vormals Camerata Athen.
Gemeinsam gehen sie regelmäßig auf Europatournee und gastieren unter anderem
bei den Händelfestspielen Halle, der Opera
Royal Versailles und in der Wigmore Hall
London. 2014 debütierte Armonia Atenea
als erstes griechisches Orchester bei den
Proms der BBC und erhielt begeisterte
Besprechungen. Zu den Höhepunkten
2016 gehörte das Debüt bei den Salzburger
Pfingstfestspielen.
Es sind in den letzten Jahren verschiedene
viel umjubelte CDs auf Decca veröffentlicht worden: Dazu zählen die Gesamt164 KONZERT PRIMADONNEN!
aufnahmen von Händels Alessandro und
Hasses Siroe, Glucks Tenorarien mit Daniel
Behle und Rokoko, ein Arienalbum von
Max Emanuel Cencic mit Werken von Hasse. Internationales Aufsehen und euphorische Besprechungen erzielte außerdem
Beethovens Prometheus. Parallel zur
Karlsruher Opernproduktion erschien im
Februar 2016 Händels Arminio.
Mit einem Arienalbum für Franco Fagioli
gaben Dirigent und Orchester im Herbst
2016 ihren Einstand beim Label Deutsche
Grammophon. Für weitere Aufnahmen
erhielt George Petrou Auszeichnungen wie
den Gramophone-Editor’s Choice, Diapason d’Or und den Echo Klassik 2008. Der
Künstler wird regelmäßig von großen europäischen Orchestern und Opernhäusern
wie dem Nationaltheater Mannheim, der
Oper Nizza, dem Staatstheater Darmstadt,
dem Münchner Rundfunkorchester und
dem belgischen B’Rock eingeladen.
ARMONIA ATENEA Orchester
Armonia Atenea ist der neue internationale Name für die Camerata Athen. 1991
wurde das Orchester von der Gesellschaft
der Freunde der Musik in Verbindung mit
der Eröffnung der Athener Konzerthalle
Megaron gegründet. Seitdem fungiert die
Armonia Atenea als deren Hausorchester.
Seit 2011 tritt das Orchester wechselweise
im Megaron und im neuerbauten OnassisKulturzentrum in Athen auf.
Die Armonia Atenea ist sowohl mit der
historischen als auch mit der modernen
Aufführungspraxis bestens vertraut. Das
Orchester setzt sich mit einem weitgefächerten Konzertrepertoire von der
Barockmusik bis hin zur zeitgenössischen
Musik des 21. Jahrhunderts ernsthaft
und erfolgreich auseinander. Der Dirigent
und Echo-Klassik-Preisträger George
Petrou ist derzeit der Künstlerische Leiter
des Orchesters. Das Orchester ist auf
den berühmtesten Bühnen der Welt ein
willkommener Gast, wie beispielsweise
beim Musikverein Wien, dem Théâtre des
Champs Élysées in Paris; den Innsbrucker
Festwochen der Alten Musik; sowie auch
im Palais de Bozar in Brüssel; Arsenal von
Metz, an der Opera von Monte Carlo und
dem Grand Theatre von Aix-en-Provence.
Das Orchester hat eine reichhaltige Diskografie. Zu den letzten Veröffentlichungen
gehören die Weltpremiere-Aufnahmen von
Händels Alessandro Severo und Glucks
Il Trionfo di Clelia. Die Einspielung von
Händels Oper Alessandro mit einer Starbesetzung ist bei Decca erschienen und hat
von der internationalen Presse höchstes
Lob geerntet. In der Saison 2013/14 wurden
fünf neue Aufzeichnungen veröffentlicht,
darunter Rokoko, das Soloalbum des Countertenors Max Emanuel Cencic. Dieses
Programm wurde 2014 als Vorkonzert zu
den INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELEN in Karlsruhe präsentiert.
165
166
167
32.
INTERNATIONALE
HÄNDEL-AKADEMIE
27.2. – 5.3.
DOZIERENDE
ANNA BONITATIBUS Gesang
DEBORAH YORK Gesang
ANNE KATHARINA SCHREIBER Violine, Kammermusik
GUIDO LARISCH Violoncello, Basso-continuo-Praxis, Kammermusik
KRISTIAN NYQUIST Cembalo, Basso-continuo-Praxis, Kammermusik
VIVICA GENAUX Meisterkurs Gesang
ABSCHLUSSKONZERT
SO 5.3. 17.00 SCHLOSS GOTTESAUE Velte-Saal
168 INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE
Liebe Musikfreunde,
die INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE
Karlsruhe wurde 1986 als Pendant zu den
HÄNDEL-FESTSPIELEN des STAATSTHEATERS KARLSRUHE ins Leben gerufen,
um den künstlerischen Produktionen
der Festspiele Meisterkurse mit herausragenden Vertretern der Historischen
Aufführungspraxis und wissenschaftliche
Symposien zur Seite zu stellen und den
Nachwuchs zu fördern.
patrons in den Mittelpunkt: Vokalmusik aus
Händels italienischer Zeit und instrumentale Kammermusik aus den Londoner Jahren,
die im engen Zusammenwirken der Kurse
von Anna Bonitatibus und Deborah York
(Gesang), Anne Katharina Schreiber (Violine) und Guido Larisch (Violoncello) sowie
Kristian Nyquist (Cembalo) erarbeitet und
in zwei öffentlichen Veranstaltungen präsentiert werden.
Die 32. INTERNATIONALE HÄNDELAKADEMIE ist geprägt von einer drastischen Reduktion der Fördermittel.
Es werden zwar weniger Kurse als in den
Vorjahren angeboten, diese Konzentration
bietet aber die Chance zu einer besonders
intensiven Zusammenarbeit der Kurse,
für die wieder einige der besten Künstler
ihres Fachs gewonnen werden konnten.
Die AKADEMIE möchte sich künftig
verstärkt jenen Bereichen zuwenden, die
bisher wenig Beachtung fanden. Das Symposium wirft unter dem Titel Einsprüche –
Widerworte bereits einige kritische Blicke
auf Selbstverständlichkeiten und Konventionen der Historischen Aufführungspraxis.
Unter dem Motto „Händel kompakt “stellt
die AKADEMIE die Musik ihres Namens-
Michael Fichtenholz, Prof. Dr. Thomas Seedorf
Künstlerische Leitung
INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE 169
HÄNDEL
AM MITTAG &
HÄNDELWERKSTATT
HÄNDEL AM MITTAG
Die Mittagsgespräche sind eine einzigartige Gelegenheit, von anwesenden Künstlerpersönlichkeiten spannende und interessante Details zu erfahren und Aspekte ihres Lebens als
Künstler kennenzulernen. Dabei sind nicht nur die Fragen nach Gesangstechnik und Repertoireauswahl für alle jungen Musiker relevant. Es werden auch ganz praktische Aspekte angesprochen: Karrieremanagement, Reiseplanung oder Kommunikation mit Agenten und Veranstaltern
im Theater- und Konzertbereich. Händel am Mittag bietet die seltene Möglichkeit, diese
praktische und oftmals vernachlässigte Seite eines Künstlerlebens aus erster Hand dargelegt
zu bekommen: Im Gespräch werden Max Emanuel Cencic, Starcountertenor, der in Arminio
in doppelter Funktion als Regisseur und Protagonist tätig ist, und Deborah York, eine der
berühmtesten Barocksopranistinnen ihrer Generation, Rede und Antwort stehen.
Künstlergespräch mit Max Emanuel Cencic
DI 28.2. 14.00 SCHLOSS GOTTESAUE, VELTE-SAAL
Künstlergespräch mit Deborah York
SA 4.3. 13.00 SCHLOSS GOTTESAUE, VELTE-SAAL
HÄNDELWERKSTATT
Hier darf das Publikum einen Probenprozess hautnah begleiten! Die Händelwerkstatt ist
eine Work-in-progress-Situation, bei der die Zuschauer einen unverstellten Blick hinter die Kulissen werfen dürfen. Es wird gezeigt, wie die Zusammenarbeit zwischen den
Dozierenden und den Künstlern abläuft. Dazu werden an Werken gearbeitet, die nicht im
Programm des Abschlusskonzerts zu hören sind.
mit DozentInnen und TeilnehmerInnen der HÄNDEL-AKADEMIE
FR 3.3. 20.00 STAATSTHEATER KARLSRUHE, STUDIO
170 INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE
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ein SUV zu sein.
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Tel.: 07 21 / 8 50 09-0, [email protected], www.audi-karlsruhe.de
INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE 171
SYMPOSIUM DER
32. INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE
EINSPRÜCHE –
WIDERWORTE
HISTORISCHE AUFFÜHRUNGSPRAXIS
IM GEGENLICHT DER KRITIK
Im Rahmen des Symposiums suchen Musikwissenschaftler und Künstler Antworten auf
ewig gültige Fragen der Historischen Aufführungspraxis: Stellt die Historische Praxis ein
starres Korsett mit eisernen Regeln dar, die von der Zeit nicht beeinflusst werden und
unveränderlich sind – oder gibt es Moden und Trends? Gibt es im Vergleich zwischen verschiedenen Ländern lokale Traditionen im Bereich der Alten Musik, die die Historische
Aufführungspraxis beeinflussen und jeweils unterschiedlich prägen? Dabei werden auch
besonders heikle Fragen in der Diskussion nicht ausgespart: Wieso haben heutzutage zwei
Instanzen großen Einfluss auf die Inszenierung von Barockopern, die in der Barockzeit eigentlich überhaupt nicht existierten – Regisseur und Dirigent?
Prof. Dr. THOMAS SEEDORF Professor an der Hochschule für Musik Karlsruhe
Künstlerischer Leiter & Vorstandsmitglied der
INTERNATIONALEN HÄNDEL-AKADEMIE KARLSRUHE
Prof. Dr. ANSELM GERHARD Direktor des Instituts für Musikwissenschaft Bern &
Professor für historische Musikwissenschaft
Dr. TOBIAS PFLEGER Musikwissenschaftler, Forscher, Musikkritiker & Redakteur
MICHAEL FICHTENHOLZ
Künstlerischer Leiter der INTERNATIONALEN HÄNDELFESTSPIELE KARLSRUHE & INTERNATIONALEN
HÄNDEL-AKADEMIE KARLSRUHE
Prof. KRISTIAN NYQUIST
Professor an der Hochschule für Musik Karlsruhe
DO 2.3. 15.00 – 18.00 SCHLOSS GOTTESAUSE Hörsaal
172 INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE
KARLSRUHE
Klassische Moderne
und Gegenwartskunst
16. – 19. Februar 2017
Messe Karlsruhe | www.art-karlsruhe.de
173
NACHWEISE
TEXTE
Alle Texte sind Originalbeiträge für dieses
Programmbuch.
FOTOS
Theresia Bauer Uli Regenscheit Fotografie
Dr. Frank Mentrup Roland Fraenkle
Prof. Dr. Peter Overbeck Felix Grünschloß
Peter Spuhler Florian Merdes
S. 7 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg, Jacoby
Michael Fichtenholz Felix Grünschloß
S. 12/13 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg, Norbert Stadler
Günter Könemann Felix Grünschloß
S. 20/21 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg, Steffen Hauswirth
S. 33, 37 Felix Grünschloß
Christopher Moulds privat
Floris Visser Allard Willemse
Gideon Davey ONUK
Carsten Wiebusch privat
Alex Brok privat
Klaus Bertisch privat
Jennifer France Nick James
Ed Lyon privat
Terry Wey Patroklos Skafidas
Katharine Tier Andrew Finden
Dilara Baştar Felix Grünschloß
Ks. Edward Gauntt privat
Hannah Bradbury Feodor Lundin
Yang Xu Felix Grünschloß
Ilkin Alpay Felix Grünschloß
Händel-Festspielchor Benjamin Cortez
Deutsche Händel-Solisten privat
S. 20/21 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg
Peter Neumann privat
Sine Bundgaard privat
David Hansen Tonje Thilesen
Tuva Semmingsen Robin Skjoldborg
Samuel Boden Marco Borggreve
Morgan Pearse Kaupo Kikkas
Kölner Kammerchor privat
Badische Staatskapelle Falk von Traubenberg
S. 71 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg
Uliana Alexyuk Mary Vostokova
Eleazar Rodriguez Felix Grünschloß
Km. Stephan Skiba Danica Schlosser
174 SERVICE
Christian-Markus Raiser Felix Grünschloß
Deutsche Händel-Solisten privat
S. 80/81 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg, David Franck
Anna Fusek Felix Broede
Christian Curnyn Eric Richmond
S. 90/91 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg
Domenico Annibali bpk | Staatliche Kunstsammlungen Dresden | Elke Estel | Hans-Peter Klut
Arminio (Max Emanuel Cencic) Julien Benhamou
Max Emanuel Cencic Anna Hoffmann
George Petrou Ilias Sakalak
Helmut Stürmer Felix Grünschloß
Corina Grămoşteanu Adi Bulboaca
Dimitris Dimopoulos privat
Lauren Snouffer Claire McAdams
Nicolas Zielinski privat
Gaia Petrone privat
Juan Sancho Julian Laidig
Owen Willetts Felix Grünschloß
Pavel Kudinov Felix Grünschloß
Armonia Atenea Pappas
S. 118/119 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg, Arnim Weischer
Patrizia Ciofi Anna Blum
Donna Leon Regine Mosimann /
© Diogenes Verlag
Maxim Emelyanychev Emil Matveev
Il pomo d’oro Julien Mignot
S. 129 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg
Katharina Ruckgaber Wolfgang Runkel
Jakub Józef Orliński Anita Wasik
Kammerchor der Christuskirche privat
S. 144/145 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg, Steffen Hauswirth
Anna Bonitatibus Frank Bonitatibus
Anne Katharina Schreiber privat
Guido Larisch privat
Nicoleta Paraschivescu privat
Kristian Nyquist Felix Grünschloß
S. 154/155 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg, Arnim Weischer
Sandrine Piau Sandrine Expilly
Vivica Genaux Christian Steiner
S. 166/167 Staatliche Schlösser und Gärten
Baden-Württemberg, Steffen Hauswirth
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INTERNATIONALE HÄNDEL-FESTSPIELE KARLSRUHE 2017
WEITERE INFORMATIONEN & TICKETS
www.staatstheater.karlsruhe.de
www.haendel-akademie.de
SCHRIFTLICHE KARTENBESTELLUNGEN
BADISCHES STAATSTHEATER
KARLSRUHE
Theaterkasse
Hermann-Levi-Platz 1
76137 Karlsruhe
[email protected]
THEATERKASSE
Hermann-Levi-Platz 1
Montag bis Freitag von 10.00 – 18.30
Samstag von 10.00 – 13.00
Telefon 0721 933 333
Fax 0721 3557 346
ABENDKASSE
1 Stunde vor Beginn der Vorstellung
HOTEL-ARRANGEMENTS
Informationen zu unseren Partnerhotels finden Sie auf www.staatstheater.karlsruhe.
de unter Service/Hotel- und Gastrotipps.
Redaktionsschluss 3.2.17
Änderungen vorbehalten
176
RESIDENZSCHLOSS LUDWIGSBURG
Die Bilder in diesem Programmheft zeigen
die Innen- und Außenräume des Residenzschlosses Ludwigsburg, eines der wenigen
barocken Bauwerke, die die wechselvolle
Geschichte der vergangenen Jahrhunderte
nahezu unbeschadet überstanden haben. Die
INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE
bedanken sich bei den Staatlichen Schlössern
& Gärten Baden-Württemberg für die Bereitstellung der Aufnahmen.
Cover Morphée et Iris von Pierre-Narcisse
Guérin, 1811, St. Petersburg, Eremitage
IMPRESSUM
Generalintendant Peter Spuhler
Verwaltungsdirektor Michael Obermeier
Kaufmännischer Direktor
Johannes Graf-Hauber
Künstlerische Leitung Michael Fichtenholz
Produktionsleitung Eric Nikodym
Künstlerische Leitung INTERNATIONALE HÄNDEL-AKADEMIE
KARLSRUHE Michael Fichtenholz,
Prof. Dr. Thomas Seedorf
Marketing & Kommunikation Christiane Hein
Redaktion Michael Fichtenholz, Christiane
Hein, Boris Kehrmann, Raphael Rösler,
Achim Sieben
Gestaltung Danica Schlosser
Druck medialogik GmbH
FESTSPIELKALENDER
FR 17.2.
ERÖFFNUNG DER
40. INTERNATIONALEN HÄNDEL-FESTSPIELE 2017 18.00 MITTLERES FOYER
SEMELE
Musikalisches Drama in drei Akten von Georg Friedrich Händel
19.00 GROSSES HAUS PREMIERE S. 22
SA 18.2. HÄNDEL MIT DONNA LEON
16.00 KLEINES HAUS S. 50
THEODORA
Oratorium von Georg Friedrich Händel
19.30 GROSSES HAUS S. 52
SO 19.2. ÖKUMENISCHER FESTGOTTESDIENST
10.30 EV. STADTKIRCHE am Marktplatz
S. 70
SEMELE
19.00 GROSSES HAUS S. 22
MO 20.2. KAMMERKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
20.00 KLEINES HAUS S. 74
MI 22.2. 3. SONDERKONZERT –
FESTKONZERT DER DEUTSCHEN HÄNDEL-SOLISTEN
19.00 GROSSES HAUS
S. 82
DO 23.2. SEMELE
19.00 GROSSES HAUS FR 24.2. ARMINIO
Dramma per musica von Georg Friedrich Händel
19.00 GROSSES HAUS WIEDERAUFNAHME SA 25.2. SEMELE
15.00 GROSSES HAUS ABENDSTERNE 1 – IL POMO D’ORO – PATRIZIA CIOFI
HÄNDEL – FRAUENLIEBE UND -LEBEN
20.00 CHRISTUSKIRCHE SO 26.2. PREISTRÄGERKONZERT DES HÄNDEL-JUGENDPREISES
11.00 KLEINES HAUS
S. 22
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Mo-Fr: 10:00 – 19:00 Uhr
Sa: 10:00 – 16:00 Uhr
2018
Neuinszenierung
ALCINA
Oper in drei Akten von Georg Friedrich Händel
Andreas Spering Dirigent
Mit Layla Claire, David Hansen, Claudia Boyle,
Benedetta Mazzucato, Alexey Neklyudov u. a.
Premiere 16.2.18 GROSSES HAUS
Weitere Vorstellungen 18., 21., 24. & 27.2.18
Wiederaufnahme
SEMELE
Musikdrama in drei Akten von Georg Friedrich Händel
Floris Visser Regie
Gideon Davey Ausstattung
Christopher Moulds Dirigent
Mit Anna Devin, Ed Lyon, Terry Wey, Katharine Tier u. a.
WA-Premiere 23.2.18 GROSSES HAUS
Weitere Vorstellungen 25. & 28.2.18
Konzerte mit Valer Sabadus, Franco Fagioli, Rebecca Bottone,
Andreas Wolf, Rinaldo Alessandrini & vieles mehr!
Der Vorverkauf läuft ab dem 7.2.17 für ABONNENTEN, Mitglieder der HÄNDELGESELLSCHAFT KARLSRUHE und Mitglieder der GESELLSCHAFT DER FREUNDE
DES BADISCHEN STAATSTHEATERS.
Am 17.2.17 startet der Vorverkauf für alle Besucher.
WWW.STAATSTHEATER.KARLSRUHE.DE
40. INTERNATIONALE HÄNDEL-FESTSPIELE 2017
16.2. – 2.3.
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