- ES GILT DAS GESPROCHENE WORT

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Eröffnungsrede
zu dem Wagner-Verdi-Konzert im Goethe-Institut
am 8. Oktober 2013
Sehr geehrter Herr Finger,
lieber Herr Margotton,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich danke Ihnen vielmals für die Gelegenheit, aus Anlaß des Wagner- und Verdijahres 2013 zu Ihnen sprechen zukönnen. Als Musikliebhaber habe ich diese Einladung
gerne angenommen, gebe aber zu, daß ich dies mit einigen Bauchschmerzen getan
habe: Was an Klugem zu diesem Thema zu sagen ist, haben schon kompetentere
Menschen als ich an die Öffentlichkeit gebracht. Und meine musikalische Praxis beschränkt sich auf das Singen. Dort, wo mich niemand hört.
BIOGRAPHIE UND INTERNATIONALITÄT
Lassen Sie mich mit einigen biographischen Anmerkungen beginnen, um auf dem
Wege über Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihres Schaffens die bleibende musikalische Leistung beider Komponisten bewerten zu können:
Richard Wagner und Giuseppe Verdi wurden beide 1813 geboren, dem Jahr der Völkerschlacht bei Leipzig. Richard lag in der Wiege, als Napoleon seinen endgültigen
Rückzug nach Westen antrat. Verdi erhielt von seinen Eltern den doppelten Vornamen Francesco Giuseppe, Franz Joseph, was ihn zum Namensvetter seines zeitweiligen habsburgischen Landesherrn machte. In seinen ersten beiden Lebensjahren
war Parma noch französisch. La Chartreuse de Parme – Stendhal befand sich also
auf französischem Territorium, als er sich zu seinem gleichnamigen Roman anregen
ließ.
Beide sind uns als eifrige Leser überliefert, was nicht unerheblichen Einfluß auf ihr
späteres musikalisches Schaffen hatte: Verdi las französische Literatur in italienischer Übersetzung, vor allem aber Shakespeare. Sein bevorzugter epischer Dichter,
noch vor Homer und Vergil, war Dante. Dessen Divina Comedia gehörte auch zu
Wagners bevorzugter Lektüre, zumal sein Landesherr, König Johann von Sachsen,
zu den gründlichsten Dante-Kennern zu seiner Zeit gehörte. Auch Wagner entdeckte
Shakespeare für sich und lernte Englisch, um sich dem Dichter besser annähern zu
können. Italienisch eignete er sich durch Opernbücher an. Im Ausland, d. h. über weite Strecken seines Lebens, sprach er vorzugsweise Französisch und, wie Franzosen
beteuerten, durchaus manierlich und flüssig. Für Verdi wurde Lesen und Schreiben in
dieser Sprache zur unvermeidlichen Gewohnheit, da er ab 1847 bis zu seinem Tod
37 mal nach Paris reiste und oft für längere Zeit dort verweilte. Deutsche Literatur in
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italienischer Übersetzung lernte er seit Aufnahme seines Studiums in Mailand 1837
kennen und eignete sich vor allem die Werke Schillers an.
Verdi blieb ein heimatverbundener Mann des Volkes, Wagner ein umherziehender
Heimatloser. Die Internationalität ihres Metiers machte beide zu vielreisenden Europäer, die sich aber noch nicht als Deutscher oder Italiener im nationalstaatlichen Sinne begriffen. Europa war die Welt ihres Schaffens. Beide sind Ehrenbürger von Bologna, was Wagner gleichsam zum Italiener honoris causa machte. Aber auch Venedig, wo er starb, oder Palermo, wo er so gerne lebte und den Parsifal vollendete, verstehen sich heute als „Wagnerstädte“, ebenso wie sich Wien, München, Dresden und
Berlin auf Verdi rückbesinnen.
OPERNSCHAFFEN
Verdi und Wagner, die beiden Opernantipoden, verkörpern zwei unterschiedliche
Seiten von Kunst: Realismus und Romantik, Humanismus und Mythos, apollinisches
Maß und dionysischen Rausch. Ihr Jahrhundert, das 19. Jahrhundert, war eine Epoche der künstlerischen Kontroversen und Parteibildungen. Vermeintlich konservative
und fortschrittliche Anschauungen und Stilrichtungen standen einander diametral gegenüber.
Die Theaterpraxis brachte aber manche Übereinstimmungen hervor. Beide besaßen
tiefgründige Erfahrungen. Beide hatten eine unbeugsame Energie, um sich damit
durchzusetzen. Verdi war für Italien tatsächlich dasselbe, was Wagner für Deutschland war - der Schöpfer des Musikdramas. Der Unterschied besteht nur darin, daß
Verdi auf Grund der völlig anderen Voraussetzungen die musikalische Tradition
gleichsam überhöhte, während Wagner mit ihr brach.
Allerdings sollten wir uns das Verständnis Verdis nicht durch die Gewohnheit verstellen lassen, dem Wagnerschen Musikdrama die italienische Gesangsoper entgegenzusetzen Wir sollten uns hüten, den Begriff des Dramas ausschließlich für den durch
Wagner geprägten Typus zu reservieren.
Was festzuhalten bleibt, ist Wagners Idee des Gesamtkunstwerkes. In ihm gehen die
Sphären von Politik, Religion und Kunst ineinander über. Wesentliches Mittel der
kompositorischen Gestaltung ist dabei das Leitmotiv, das in Verbindung mit bestimmten Personen, Gegenständen, Gefühlen oder Kontexten auftritt und durch Wiederholung, vielfache Veränderung, neue harmonische Beleuchtung oder Verknüpfung mit
anderen Motiven zu einem Ausdruckssystem innerer Beziehungen wird. Wagner
entwickelte dieses Leitmotiv zum wichtigsten Träger des dramatischen Ausdrucks.
Es "leitet" die Aufmerksamkeit des Zuhörers und hilft ihm damit die innere Handlung
besser zu verstehen. Mit einer dieser Handlung entsprechenden Logik werden Motive aufgestellt, entwickelt und miteinander verkoppelt. Sie ziehen sich durch das Ganze Werk, ähnlich wie in einer Symphonie. Die Leitmotivik im Orchesterpart und die
Singstimme sind voneinander abhängig und gleichwertig. Thomas Mann urteilte noch
in seinem amerikanischen Exil – und handelte sich dadurch herbe Kritik ein -, daß
Wagners Werk "den Gipfel der Modernität bildet", und sein Schöpfer "als künstlerische Potenz genommen, etwas nahezu Beispielloses, wahrscheinlich das größte
Talent aller Kunstgeschichte war".
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Dies war Wagners Weg, um das Drama lebendig zu machen, während sich Verdi
eines Reichtums an musikalischen Mitteln bediente. Abgesehen von Otello und Falstaff haben seine Opern eine eher einfache Struktur. Beherrschend ist eine Melodie,
die einfach begleitet wird, meist nicht polyphon, obwohl er das auch kann. Bei Wagner dagegen hat oft nicht der Sänger die Melodielinie, sondern das Orchester, in das
sich die Singstimme einfügt. Bei Verdi ist die Melodie Ausdruck für alle Probleme und
alle Emotionen. Der Gesang ist das Wichtigste; die Begleitung ist ihr völlig untergeordnet. Die Sendung Verdis war es, die traditionelle Oper, die Oper an sich, das
Werk des Gesangs zu retten und ihre Entwicklung für die Zukunft zu sichern.
Giuseppe Verdi und Richard Wagner gelten gleichermaßen als die großen Vollender
des musikdramatischen Stils. Beide setzen musikalische Ausdrucksmittel freier und
ungebundener ein. Sie tun dies, indem sie die starre Gliederung aus Rezitativ und
Arie aufgeben oder auch mit der Harmonik freier umgehen. Trotzdem nehmen die
durchkomponierten Musikdramen bei Wagner und Verdi sehr unterschiedliche Erscheinungsformen an.
Verdis Musik wirkt mit ihren einprägsamen Melodien oft volksnah. Seine Opern
zeichnen realistische Charaktere und Typen, deren bewegendes Schicksal aus der
jeweiligen Situation heraus illustriert wird. Wagner dagegen zeigt sich in seinen
Opern als Mythomane, der von Ideen geleitet wird. Meist wählte er mythologische
Stoffe, um eine allgemeingültige Aussagekraft zu erlangen. Verdi hingegen war diese
Materie völlig fremd. Ihm ging es um die Darstellung konkreter menschlicher Personen wie Othello und Desdemona, während Wagner mit Göttern, Halbgöttern oder
mythischen Wesen wie Siegfried und Brünnhilde operierte.
Worin besteht nun die große Gemeinsamkeit beider Komponisten? Richard Wagner
und Giuseppe Verdi führten die Gattung Oper zu einem neuen Höhepunkt und prägten mit ihrem Schaffen die musikalische Nachwelt. Mit avancierten musikalischen
Ausdrucksmitteln erreichte ihr Opernschaffen eine neue dramatische Intensität. Konsequent verfolgten sie eigene, voneinander aber sehr unterschiedliche Wege. Verdi
und Wagner sind sich nie begegnet, auch wenn sie Kenntnis voneinander hatten.
Franz Werfel schildert dies in seinem Verdi-Roman auf sehr einfühlsame Weise.
1865 hörte Verdi die Tannhäuser-Ouvertüre in einem Pariser Konzert und beschrieb
sie als "matto" - verrückt. Wagner erlebte 1875 eine Aufführung von Verdis Requiem
in Wien, worüber Cosima Wagner in ihrem Tagebuch nur lakonisch feststellte, daß es
anschließend darüber nichts zu diskutieren gab. Demgegenüber respektierte Verdi
das enorme musikalische Talent des deutschen Komponisten und als der Italiener
vom Tod Wagners erfuhr, schrieb er traurige Zeilen, in denen von einem "großartigen
Individualisten" die Rede ist, von einem Mann, "der die Geschichte der Kunst ganz
gewaltig geprägt hat".
SPRACHE
Doch da wir heute in einem Institut zu Gast sein dürfen, das neben der deutschen
Kultur auch der deutschen Sprache verpflichtet ist, kann ich einige sprachliche Besonderheiten des Wagnerschen Oeuvres nicht unberücksichtigt lassen:
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Zunächst ist von Bedeutung, daß Wagner seine Operntexte nicht von einem beliebigen Librettisten übernahm, sondern – mit eingestandenem Stolz - sein eigener Textdichter war. Seinen vollständigen „Ring“ zitierte er 1853 vor geladenen Gästen im
Züricher Hotel Baur au Lac und verteilte ihn auch noch als Sonderdruck.
Poetische Qualitäten waren ihm durchaus nicht fremd, denken wir nur an Siegmunds
Lied in Walküre, I. Akt:
„Winterstürme wichen / dem Wonnemond, / in mildem Lichte / leuchtet der Lenz...“
Ohne unfreiwillige Komik geht es dabei of nicht ab - wie etwa Brünnhildes Bitte an
ihre Schwester: „Leih’ mir deinen Renner!“, Siegfrieds erotisches Flehen: „Du Weib,
jetzt lösche den Brand!“ oder Fafners „zierliche Fresse“. Ein gefundenes Fressen für
Wagners Todfeind, den Wiener Musikpapst Eduard Hanslick, der sie als „bombastisches Alliterationsgestotter“ verspottete. Dem Sprachpapst Thomas Mann waren solche Texte „… als sprachliche Gebilde nicht haltbar“.
Verlassen wir aber die Höhe der Stilistik und begeben uns auf die Ebene von Morphologie und Syntax . Wagners archaisierende Sprache macht es dem heutigen Hörer nicht leicht, insbesondere sein oft obsoleter Wortschatz: „schleck“, „glau“, „fahn“,
„Huie“, „schmählen“, „zullen“, „Gleißner“, „lackert“, „queck“, „neidlich“, „jach“,
„Witzigung“, „weihlich“, „Klinze“ - Letzteres auch in einem grotesk alliterierenden Ausruf Fafners enthalten: „Hieher! Die Klinze verklemmt!“ (Rheingold, 4. Akt).
Auch an obsoleten grammatischen Formen mit erkennbarer Vorliebe für den deutschen Umlaut herrscht bei Wagner kein Mangel: „Wer hälfe mir?“, „Der ... für mich
föchte?“, „Rüfe“, „Hornrüfe“ - und „entflöhst“. Ebensowenig an ungebräuchlichen
Verbformen wie das Präteritum „umgliss“, vom Infinitiv „umgleißen“. Auch die Syntax
erscheint zuweilen abenteuerlich, etwa die ominöse Frage der Rheintöchter an
Alberich: „Wo bist Du … heim?“ - Dunkel ist der Rede Sinn.
WIRKUNG AUF PUBLIKUM UND NACHWELT
Von herausragender Bedeutung für die Wirkungsgeschichte der Wagnerschen und
Verdischen Opern ist deren kolossaler Anklang beim Publikum. Auf heutige Maßstäbe bezogen hieße das: Beide Komponisten hätten im elektronischen Zeitalter wohl
jede Menge Goldene Schallplatten produziert. Wenn Wagners und Verdis Werke eine so starke Resonanz fanden, war dies nicht zu letzt der Begeisterung der Frauen
zuzuschreiben. Die Verehrung des schönen Geschlechts genossen beide – sicher
nicht ohne eine gewisse Eitelkeit. Über das Thema „Komponisten und Frauen“ könnte man auch bei Komponisten trefflich plaudern. Im Falle Wagners wären die Namen
Wesendonck oder von Bülow schon einmal ein Ansatzpunkt.
Verdi hingegen hinterläßt bei mir in dieser Beziehung eine gewisse Ratlosigkeit:
Wenn ein Meister dem Schönklang so verpflichtet war wie Giuseppe Verdi, warum
heiratet er dann ausgerechnet eine Frau von – drücken wir es einmal diplomatisch
aus – diskretem Äußeren wie Giuseppina Strepponi? Nur weil sie eine gefeierte Sängerin war? In dieser Hinsicht war ihm sein Komponistenkollege Puccini weit voraus.
Dieser wußte sehr wohl musikalische und weibliche Ästhetik innig zu vereinigen,
meist auch in multipler Konstellation, wenn ihm die Lust dies gebat. Aber warum
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nehmen dann die weiblichen Protagonistinnen aller seiner Opern ein tragisches Ende?
So tragisch wie sein eigenes. Der passionierte Raucher starb 1924 an Kehlkopfkrebs.
Seine Totenrede im Mailänder Dom hielt Benito Mussolini.
Dies führt uns zum Verhältnis beider Komponisten zur Obrigkeit, deren Unterstützung
sich der musikalische Erfolg zum nicht geringen Teil verdankt:
Was wäre Wagner ohne die skurrile Gönnerschaft Ludwigs II., die den Komponisten
fast zur Verzweiflung, den König aber fast in den Ruin getrieben hätte? Dem Schwanenkönig und dem beständigen Drängen seines musikalischen Schützlings Wagner
verdanken wir eines der exquisitesten Opernhäuser der Welt mit einer ausgefeilten
Akustik, wie sie heute nur mit aufwendigen technischen Mitteln erreichbar ist. Wagner inszenierte sich in Bayreuth selbst. Auch dies hat er mit Verdi gemeinsam: Der
Italiener legte großen Wert darauf, nicht als einfach als Komponist oder Musiker,
sondern dezidiert als uomo di teatro bezeichnet zu werden: "Lasci andare il gran
musicista, sono un uomo di teatro."
Schon bald wurde Verdis Name als Akronym gelesen und „Viva Emanuele Re
d’Italia“ ausbuchstabiert. Damit wurde er zum Symbol für das Risorgimento, für die
italienische Einheits- und Unabhängigkeitsbewegung im 19. Jahrhundert. Der Chor
Va pensiero sull'ali dorate der in Babylon gefangenen Juden aus der Oper Nabucco
entwickelte sich zur zweiten, quasi inoffiziellen Nationalhymne Italiens. Und für die
italienische Einheit steht dieser berühmte Chor bis heute.
Für den vielschichtigen italienischen Fin-de-Siecle-Literaten Gabriele D'Annunzio war
der "starke" Richard Wagner Vorbild für ein "starkes" Italien - seine letzte Schöpfung,
die megalomane "Villa Vittoriale", konzipierte D'Annunzio als Gesamtkunstwerk für
die italienische Nation.
Nach seinem Tode 1883, um die Jahrhundertwende, wurde Richard Wagner dem
deutschen Bürger zur nationalen Identifikationsfigur. Ebenso wie Beethoven oder der
eiserne Kanzler Bismarck diente sie dem Ausdruck vaterländischer Gesinnung. Von
Wagners Gestalten erfreuten sich neben dem Schwanenritter Lohengrin besonders
der ungestüme jugendliche Held Siegfried wachsender Beliebtheit.
Die erste elektrische Autohupe der Welt war in der Staatskarosse von Kaiser Wilhelm
II. montiert. Ihr Fanfarenklang ließ den „Einzug der Götter in Walhall“ aus dem
"Rheingold" ertönen. Der Kaiser als Wotan. Größenwahn, aber auch Technikbegeisterung. Erfinder der elektrischen Hupe war sein Bruder Prinz Heinrich, der sie 1912
über die Firma Bosch zum Patent anmelden ließ. Auf diese Weise ging das „Boschhorn“ in die Technikgeschichte ein. Dank Richard Wagner.
Die fernere Nachwirkung des Wagnerschen Oeuvres im Raume der Politik wirft hingegen größere Probleme auf. Sicher, kein Komponist kann dafür in Haftung genommen werden, welchem künftigen Herrscher seine Musik gefällt und wie er sie politisch-psychologisch für seine Ziele instrumentalisiert. Traurigstes Beispiel hierfür ist
wohl Franz Liszt, der sich niemals hätte träumen lassen, daß fast ein Jahrhundert
später die Fanfaren seiner Préludes im Reichsrundfunk die Sondermeldungen aus
dem Oberkommando der deutschen Wehrmacht ankündigen würden.
Auch die großen Dirigenten waren nicht immun gegen politische Instrumentalisierung.
Denken wir nur an Arturo Toscanini, der in der Saison 1930/31 als erster Nichtdeut-
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sche in Bayreuth den Stab geführt hatte: 1944 dirigierte er im Madison Square Garden das kommunistische Kampflied, die „Internationale“ - für amerikanische Bomberbesatzungen vor ihrem Einsatz in Europa. Oder an den genialen Wilhelm Furtwängler, über den der schlimme Satz von Joseph Goebbels überliefert ist: "Je lauter Furtwänglers Posaunen schmettern, desto weniger hört man draußen die Bomben".
Nicht ausklammern, aber an dieser Stelle auch nicht ausbuchstabieren möchte ich
das Thema „Bayreuth und Adolf Hitler“. Hierzu ist umfangreiche Literatur zugänglich,
am ausführlichsten Brigitte Hamanns „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“ aus
dem Jahre 2002. Deshalb an dieser Stelle nur soviel: Winifred Wagner, Hitlers „Hohe
Frau“, wurde 1945 vom amerikanischen Spionageabwehrdienst CIC in Gewahrsam
genommen. Dieser hielt ihr vor, „einer der frühesten und standhaftesten Unterstützer
Hitlers“ gewesen zu sein. Gegen den Vorwurf der „wesentlichen Förderung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ wandte sie ein, sie sei niemals öffentlich als
Parteimitglied aufgetreten und habe auch nie ihre einflußreiche Stellung ausgenutzt.
Sie habe ihre Lebensaufgabe darin gesehen, die Festspiele im Sinne Richard Wagners fortzuführen. Winifred weigerte sich zwar, der Reichstheaterkammer beizutreten
und verzichtete damit auch auf finanzielle Vorteile. Allerdings gewährte Hitler persönlich für jede Neuinszenierung einen Zuschuß von 55.000 Reichsmark – dem Gegenwert von 55 Volkswagen-Käfern. Was bleibt, ist der nicht auszuräumende und maßgeblich von Richards Urenkelin Nike Wagner vorgetragene Vorwurf „starrköpfiger
Uneinsichtigkeit in jene katastrophale Fehlorientierung, mit der Winifred den Festspielen und der Familie Schaden zugefügt hat, neben dem alle unbestreitbaren Verdienste verblassen müssen.“
Aufmerksame Publizistik und kritische historische Forschung machen es uns dankenswerterweise möglich, Wagners Oeuvre heute als das zu genießen, was sein
bleibendes Vermächtnis ist: großartige Musik.
Verdi oder Wagner? Kann man sich für beide zugleich begeistern? Ich meine: Ja,
denn eines jedenfalls ist sicher: Ohne diese beiden Arten sich widersprechenden und
zugleich ergänzenden Musikdramas, das die beiden Opernantipoden uns hinterlassen haben, wäre die Weltkultur um einiges ärmer.
Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksamkeit!
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