Nowakowski_2013-01-06 Dolly spielt auf (2)

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„Dolly spielt auf!“
Anmerkungen zu Krenek aus Anlass einer Auseinander–
setzung mit Wiens Jazzszene der Zwanzigerjahre
Wer sich mit Wiens Jazzszene der Zwanzigerjahre beschäftigt,
stößt nicht nur in Kommentaren zu Jazzkonzerten auf
publizistische Spuren von Kreneks Oper über einen schwarzen
Jazzmusiker. Auf den Titel des Werks wurde auch angespielt,
als Anfang 1928 zwei schwarze singende Jazzschlagzeuger
wegen Handgreiflichkeiten vor Wiener Richtern standen. Der
erste der beiden Fälle, die sich fast zugleich ereignet hatten,
betraf Creighton Thompson, einen in der Geschichte der
afroamerikanischen Musik nicht unbekannten Gast aus den
USA, und führte zu Überschriften wie „Thompson spielt auf“ und
„Jonny exzediert“. Thompson wurde freigesprochen und zog
bald weiter. Der andere Beschuldigte hieß Adolf Morgens,
nannte sich Dolly und fasste wegen eines provozierten
Fausthiebs („Dolly spielt auf“) eine Geldstrafe aus. Dieser heute
vergessene Musiker, ein in Chemnitz geborener Sohn eines
afroamerikanischen Artisten und einer sächsischen
Schaustellerin, der sich 1926 in Wien niedergelassen hatte,
stand zu Kreneks Werk in einer konkreteren Beziehung als
Thompson, was er selbst und die Journalisten allerdings nicht
wissen konnten.
Krenek, über dessen erste Begegnungen mit dem Jazz
zu seinen Lebzeiten wenig bekannt war, hielt 1943 in seinen bis
1998 unter Verschluss gehaltenen Erinnerungen fest, vor seiner
Übersiedlung nach Berlin habe er in Wien 1920 eine „urzeitliche
Jazzband“ erlebt, unter deren Eindruck er sich entschlossen
habe, „mit Jazz herumzuexperimentieren“. Er bezeichnete die
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„angeblich importierte“ Band nicht näher und gab keine
Hinweise auf ihre Besetzung und ihr Repertoire, aber seine
Beschreibung des, wie er meinte, von „Gaunern“ betriebenen
Lokals erlaubt eine eindeutige Zuordnung. Was Krenek sah,
war die erste ausländische Jazzband in Wien und eine der
ersten hier nachweisbaren Jazzbands überhaupt. Sie kam im
September 1921 – nicht 1920, wie Krenek glaubte – aus Berlin
ins Schwarzenberg-Kasino, wo die Brüder Leupold, zwei der
angesehensten Gastronomen Wiens, einen „Cercle des
Etrangers“ eröffnet hatten, und verschwand Anfang Oktober,
als sie aus Prag ein lukratives Angebot bekam. Dass ihr, wohl
schon als Schlagzeuger, Dolly angehörte, folgt aus einem
Zusatz („Von der Jazzband“) zu seiner gesonderten
Ankündigung mit „amerik. Song und Niggertänzen“ in einem
erhalten gebliebenen Programm des Cercle. Die Band schien
darin nur als „Original Amerik. Jazzband“ auf, aber Werbetexte
in den Zeitungen verrieten, dass es die Jazzband der „Ross
Brothers“ war, als deren Leiter ein vom Frankfurter
Jazzhistoriker Hans Pehl entdecktes Inserat den deutschen
Pianisten und Jazzpionier Fred Ross benennt.
Krenek studierte damals schon in Berlin und sah die
Band, die von dort kam, während eines seiner Besuche bei
seinen Eltern in Wien. Es scheint keinen Hinweis darauf zu
geben, dass er hier während ihrer jeweils monatelangen
Gastspiele auch 1922 das afroamerikanische Syncopated
Orchestra oder 1925 den schwarzen Jazztrompeter Arthur
Briggs erlebte, mit denen 1922 Oscar Straus und 1925 der bei
Egon Wellesz studierende Brite Patrick Cairns „Spike“ Hughes
und vielleicht auch Alban Berg und Adorno in Berührung
kamen. Über Fred Ross, den Leiter der Band im Cercle des
Etrangers, ergibt sich aber eine Parallele zu Aaron Copland,
dem Komponisten aus Brooklyn, der bald darauf in den USA
das Verhältnis der Konzertmusik zum Jazz erneuerte. Ross
hielt sich 1923 fast das ganze Jahr hindurch in Wien auf, wo er
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ab Juli ein Quartett im Parisien leitete, zu dem sich im August
noch die Spitzenkraft des frühen deutschen Jazz, der
Klarinettist und Saxophonist Eric Borchard, hinzugesellte, und
es besteht kaum ein Zweifel, dass es vor allem diese Band war,
der Copland sein den Jazz betreffendes Schlüsselerlebnis
während seines Wienaufenthalts von Juni bis Oktober 1923
verdankte. „It was then that I hit upon the idea that great things
were to be expected from this sort of music for the evolution of
our own“, heißt es im englischen Original von Kreneks
Erinnerungen über seinen Besuch im Schwarzenberg-Kasino.
Copland verwendete fast die gleichen Worte: „It was then that I
first began to realize the potentiality of jazz material for use in
serious music.“ Ein und derselbe deutsche Jazzpianist und
Bandleader half mit Auftritten in Wien diese jeweils gleiche
Wirkung auf beide Komponisten auszuüben.
Kreneks Weg von seiner Begeisterung für die
„animalistische Musik“ der Band im Schwarzenberg-Kasino zu
seinem Welterfolg mit Jonny spielt auf führte über kleinere
einschlägige Werke zu einer ersten „Foxtrott-Oper“ und im
Herbst 1924 zur Arbeit an einer Operette, von der er sich
finanzielle Unabhängigkeit erhoffte. Das Projekt, für das er
schon im Frühjahr 1924 einen „Stoff mit reichlicher Möglichkeit
für amerikanische Tanzrhythmen“ gesucht hatte, scheiterte, als
Krenek, der jetzt in der Schweiz lebte, bei Verhandlungen in
Wien Ende März/Anfang April 1925 für das fertige Werk keine
Bühne fand. Schon im Jänner dieses Jahres, so Krenek in
seinen Erinnerungen, hatte er nach einer Tanzvorführung in
Zürich die Skizze verfasst, aus der später Jonny spielt auf
entstand. Krenek war im Dezember 1924 kurz in Paris gewesen,
eine Reise, der er große Bedeutung für seine persönliche
Entwicklung beimaß und die im Schrifttum als auslösendes
Moment für Jonny gilt, weil die Oper als das Werk „für Paris“
gedeutet wird, das Krenek danach schaffen wollte. Die von ihm
schon in einem Vortrag von 1927 und 1928 und auch später
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noch wiederholt erwähnte Tanzvorführung, nach deren Besuch
er die erste Skizze geschrieben habe, fand aber nicht, wie
Krenek meinte, im Jänner, sondern erst in der zweiten
Aprilhälfte 1925 statt. Dieser von Bruno Spoerri in einer
jazzgeschichtlichen Arbeit aufgedeckte Umstand vergrößert den
Abstand der Skizze zum Parisbesuch und rückt sie in die Zeit
unmittelbar nach dem Scheitern der Operette, ein in Kreneks
Darstellung und in der seines Biographen John Stewart nicht
erkennbarer, interessanter Zusammenhang. Schon die Operette
enthielt Jazz- und Eisenbahnmotive, und die Oper mit
ebensolchen Elementen bescherte Krenek den kommerziellen
Erfolg, auf den er es mit der Operette abgesehen hatte.
Die Skizze blieb freilich vorerst liegen, während Krenek –
der sie in seinem Vortrag einem „definitiven Verzicht auf
Unterstützung durch zeitgenössische Geister“ zuschrieb – mit
einem Librettisten in Freiburg über einen Opernstoff
verhandelte. Im Herbst 1925 übersiedelte er nach Kassel, wo er
ins Theaterleben eintauchte und noch Anfang November einen
Operntext eines Schauspielers erwähnte, mit dessen Vertonung
er demnächst beginnen wolle. Nach Wien kam in diesem Monat
die Revue der Chocolate Kiddies, einer Gruppe
afroamerikanischer Sänger und Tänzer mit Sam Woodings
Jazzorchester, von deren Wienbesuch Krenek allerdings nichts
wusste. Er sah die Produktion, die von Mai bis Juli schon in
Berlin gezeigt worden war, am Silvesterabend in Frankfurt und
empfahl die „fabelhaften“ Kiddies seinen Eltern, „wenn sie je
nach Wien kommen“. Der Hinweis auf diese Briefstelle schien in
John Stewarts Biographie von 1991 den letztlich
ausschlaggebenden Impuls für Kreneks Arbeit an Jonny
aufzuzeigen. Auf den Frankfurter Revuebesuch wurde nun die
Entscheidung für eine schwarze Hauptfigur zurückgeführt, und
zu Kreneks Musik heißt es in einem preisgekrönten Buch eines
New Yorker Kritikers: „he seized on Wooding's polite jazz
arrangements as a lifeline that would lead him out of the
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abysses of Central European despair“. In Kreneks
Erinnerungen, die Stewart noch nicht kannte, ist der
Revuebesuch nur das Vorspiel zu einem Geschlechtsverkehr.
Die Musik der Kiddies bleibt, wie schon in Kreneks Brief an
seine Eltern, unerwähnt, und das Handlungsgerüst der Oper mit
ihrem schwarzen Helden stand seit Anfang Dezember 1925
fest, wenn Krenek in seinem Vortrag in diesem Punkt die
Wahrheit sagte.
Verbindungen gibt es aber. Jonny singt ein Zitat aus
Stephen Fosters bekanntester Komposition, die bei den Kiddies
vorkam und in ihrem Programm, wie dann auch bei Krenek, als
„altes Negerlied“ bezeichnet war, und die legendäre Attacke, mit
der sich Julius Korngold bei der Wiener Premiere auf Kreneks
Werk stürzte, setzte in musikalischer Hinsicht fort, was er über
das Gastspiel der Chocolate Kiddies schrieb. Schon die Ross
Brothers im Schwarzenberg-Kasino hatten einen Journalisten zu
einem Artikel über „Jazzband und Wiener Musik“ inspiriert, aber
der Besuch der Chocolate Kiddies löste in Wien wie in
Deutschland eine Vielzahl von Stellungnahmen zum Jazz aus.
1925 beging man zudem den hundertsten Geburtstag von
Johann Strauß, ein Anlass für besonders intensive Klagen über
die Entthronung des Walzers durch den Jazz. „Weg vom Jazz –
zurück zum Walzer!“ überschrieb Korngolds Neue Freie Presse
am Weihnachtstag einen Angriff auf den Jazz, in dem auch die
Chocolate Kiddies noch einmal verunglimpft wurden. Kreneks
Oper kreist um diesen Konflikt, wenn es in ihr an zentraler Stelle
heißt, die „neue Welt“ erbe die alte „durch den Tanz“. Im
Oktober 1925, nur Wochen vor der Entstehung von Kreneks
Szenario, war auch die Zeichnung des Künstlers Zasche, die
Johann Strauß mit der Geige auf einer Weltkugel zeigte, in
einem zum Jubiläum erschienenen Band reproduziert worden.
Jonnys gleichartige Apotheose in der Oper gibt die Antwort
darauf und verankert die „Antithese“, von der Krenek in seinem
Vortrag sprach, in den Auseinandersetzungen des Jahres 1925.
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Der spektakulärste Effekt des Werkes, die Ankunft einer
Lokomotive, die eine Hauptfigur zermalmt, erinnerte Korngold
an einen Varietésketch in Wien, dessen Titel er nur mehr
fehlerhaft wiedergeben konnte. Beschreibungen dieses Sketchs
in einem Jazzhistorikern vertrauten Fachblatt von 1920
konkretisieren Korngolds Hinweis und verleihen ihm Gewicht.
Die „Szene mit dem heranrollenden Expreßzug“, heißt es da in
Berichten aus dem Ronacher, sei „nervenaufpeitschend“,
„spannend“ und „aufregend“ und verdiene „höchstes Lob“,
wovon auch Krenek, der damals noch in Wien lebte, gehört
haben konnte. Seine Charakterisierung Daniellos, der Figur, die
er unter den Zug geraten lässt, beleuchtet Kreneks – von
Stewart wohl zu nachsichtig beurteilte – Einstellung gegenüber
Schwarzen: Mit dem Hinweis auf eine „für den weißen
Zivilisationsmenschen annehmbare gepflegte Außenseite“
umschrieb er in seinem Vortrag den Umstand, dass Daniello
kein „Neger“ sei.
Schwarze Jazzmusiker war man in Wien gewohnt, als
Kreneks Werk Ende 1927 in die Staatsoper kam. Mit dem
Syncopated Orchestra und den Chocolate Kiddies waren zwei
große afroamerikanische Ensembles hier gewesen, dazwischen
und danach Arthur Briggs, nach ihm Obdulio Villas „Schwarze
Philharmoniker“, die am 1.1.1927 auch im Konzerthaus
auftraten, und zuletzt, in den Wochen vor der Premiere der
Oper, eine Gruppe unter der Leitung des schwarzen
Jazzposaunisten Earl Granstaff. In diesen letzten Wochen fand
auch eine Zeitungsumfrage statt, bei der „musikverständige
Wiener“ von Alban Berg bis Grete Wiesenthal um ihre Meinung
zum Jazz gebeten wurden und sich meist freundlich äußerten.
Was Staatsoperndirektor Schalk antwortete, klang anders und
bildete, am Tag vor der Premiere gesondert veröffentlicht, den
Auftakt zu dem Skandal, den Konservative wie Korngold und
ihnen folgend Wiens noch nicht zahlreiche Nationalsozialisten
um Jonny entfesselten. Auch das Kirchenblatt nahm sich der
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Sache an, und zuletzt fand sogar der Erzbischof mahnende
Worte. Sechs Jahre später, als das Bundesheer gerade auf
Gemeindebauten schoss und die Regierung Wiens
Bürgermeister verhaften ließ, warb Krenek beim Nachfolger
dieses Bischofs für sein neues Zwölftonwerk, von dem er
meinte, es verkörpere „wie kein zweites“ die „Philosophie“ der
von ihm unterstützten Dollfuß-Regierung.
Dolly, der schwarze Jazzmusiker, der Krenek schon 1921
aufspielte und wohl das früheste Vorbild der Bühnenfigur war,
mit der ihn die Berichte über seinen Prozess verglichen, gab
1931 den „Jazzsänger“ in einer Lehár-Operette und verließ
Wien erst nach dem Anschluss. Vom Vater her amerikanischer
Staatsbürger, aber des Englischen nur unvollkommen mächtig,
verbrachte er sein Leben im Exil in engem Kontakt mit den
jüdischen Flüchtlingen, in deren Lokalen in New York und mit
deren Künstlern zusammen er in den Kriegsjahren auftrat. Die
Wiener Lieder dieses „waschechten Amerikaners“, hieß es im
Aufbau, zauberten „den Prater aus der guten, alten Zeit des
Bürgermeisters Seitz nach New York“.
Konrad Nowakowski
Belegstellen und nähere Einzelheiten zu diesen Anmerkungen rund um Jonny finden
sich in den beiden Beiträgen des Verfassers zu dem Band Anklaenge 2011/2012,
Wiener Jahrbuch für Musikwissenschaft, Mille Tre Verlag, Wien 2012 (Jazz in Wien:
Die Anfänge bis zur Abreise von Arthur Briggs im Mai 1926 und Krenek, Baker – und
Briggs? Der Aufstand gegen die „Vernegerung Wiens“ Anfang 1928).
Konrad Nowakowski, in Tirol geboren, lebt seit 1976 in Wien, war in
Reissueprojekte und Originalproduktionen mit Aufnahmen von Bluespianisten
involviert und hat Artikel zu Details der amerikanischen Blues- und Jazzgeschichte
veröffentlicht. Die nähere Befassung mit der Wiener Jazzszene der
Zwischenkriegszeit ergab sich erst 2008 bei der Auswertung alter Zeitungen für einen
Beitrag über das Syncopated Orchestra.
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