Ethik und Professionalität

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Ethik und Professionalität – einige Gedanken im Sinne einer
Nachlese zum Kongress in Schwerin
Mit der Verabschiedung der neuen Ethik-Richtlinien der EATA in Les Diablerets
(Schweiz) im Juli 2007 hat die EATA einen für alle Mitgliedsorganisationen
verbindlichen und umfassenden Wertekatalog vorgelegt, der die Ethik-Richtlinien
zum ersten Mal in der Geschichte der Transaktionsanalyse auf die UNMenschenrechtskonvention bezieht.
Die Ethik-Richtlinien sind damit nicht mehr nur eine Sammlung von allgemein zu
beachtenden Regeln, die Verhalten beschreiben, das ethisch oder unethisch ist,
sondern ausgehend von einer ethischen Grundhaltung der Person (Werte) wird
ethisches Handeln beschrieben (Konkretion): Sie unterscheiden „Grundlegende
Werte“, „Ethische Prinzipien“ und davon betroffene „Zielgruppen“ im Sinn einer
„praktischen Philosophie“, die Moral und Gesinnung im Handeln von Menschen zum
Thema macht und sich dabei auf grundlegende universelle Prinzipien beruft.
Aber schon hier muss eine Einschränkung gemacht werden. Die „Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte“ der UN ist zwar grundsätzlich wahr, aber real nicht
praktisch-handhabbar: Zum einen ist sie bisher nie völlig realisiert worden und wird
es möglicherweise auch niemals, denn einige der Staaten, die sie unterschrieben
haben, haben sie bis heute nicht umgesetzt. Und sie ist nicht universell, orientiert sie
sich doch fast ausschließlich an einer westlichen Tradition.
Dennoch muss sie als ein Versuch gesehen werden, in der Verwirklichung des
„Ideals Menschenwürde“ eine Gemeinsamkeit unter den Völkern herzustellen – sich
auf einen gemeinsamen Wertekanon zu einigen.
Nun stehen universelle Ideale und Werte heute nicht hoch im Kurs. Vielmehr kann
man beobachten, dass im Mainstream des gesellschaftlichen Diskurses häufig ein
Werterelativismus propagiert wird, der grundlegende, allgemein verbindliche
Prinzipien ausschließt. Der postmoderne Bürger ist sich mehr und mehr sein eigener
Wertemaßstab und beansprucht für sich, selbst bestimmend über „gut-böse“, „richtigfalsch“, „moralisch-unmoralisch“ alleine aus sich und seinen subjektiven Werten
heraus zu entscheiden.
Der Anspruch, der individuellen Wirklichkeits- und Wertekonstruktion Vorrang vor
allgemeingültigen Werten und gemeinsamen Moralstandards einzuräumen, lässt
allzu oft das Gespür für das Überindividuelle vermissen, z.B. für den Mitmenschen,
für die Werte einer sozialen Gemeinschaft oder die einer Organisation.
Auf der anderen Seite steht die manchmal subjektiv gegebene Notwendigkeit, aus
einer individuellen Überzeugung heraus (und damit unter Umständen gegen die
herrschende Meinung) zu handeln, weil es das Gewissen oder der
Gerechtigkeitssinn gebietet. Stehen nachvollziehbar moralische oder ethische
Gründe und soziale Werte der Allgemeinheit dabei im Vordergrund, so sprechen wir
von „Zivilcourage“, insbesondere wenn derjenige nicht aus egoistischen Motiven oder
sogar gegen eigene Interessen handelt.
Hinzu kommt, dass die Komplexität der Welt, die Vielfältigkeit der Lebensformen, das
„Diversifizierte an sich“ eine Orientierung an starr erscheinenden Idealen nicht
zulässt. Da Orientierung gebende Instanzen (z.B. Kirche oder Staat) an Autorität
verloren haben, sucht der Einzelne die Orientierung zunehmend in sich und aus sich
heraus. Allerdings birgt die „Individualisierung der Moral“ die Gefahr, notwendige
Auseinandersetzungen und ein Ringen um Prinzipien zu vernachlässigen.
Aber woran soll man sich/kann man sich dann überhaupt noch orientieren? Ist ein
Werte-Konsens überhaupt noch möglich?
Kann/muss/darf man menschliches Handeln an ethischen Maßstäben messen, wenn
diese relativierbar sind?
Auch innerhalb Moral- und Ethiktheorien existieren sehr unterschiedliche und
gegensätzliche Auffassungen.
Wenn man der Aristotelischen Ethik folgt, dann wird Ethik als eine philosophische
Disziplin angesehen, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum
Gegenstand hat, diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen
Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise
gewonnenen Erkenntnisse anleitet.
Folgt man diesem Postulat, so bedeutet es in Bezug auf das Leben des Einzelnen,
dass alles unter normativen Gesichtspunkten zu sehen ist – es gewissermaßen
keinen „Ethik-freien-Raum“ geben kann. Denn wenn alles menschliche Handeln
grundsätzlich an ethischen Maßstäben gemessen werden muss, kann es kein
Verhalten geben, dass für sich „beanspruchen“ könnte, hiervon ausgenommen zu
werden.
Das bedeutet, dass zum Beispiel TA-Professionelle, die ihre Professionalität und ihr
Wissen in der Regel aufgrund besonderer Schulung erworben haben, in besonderer
Weise ethischen Anforderungen unterliegen. In der Öffentlichkeit bestehen daher
berechtigte Erwartungen und Ansprüche, dass diese Personen (Professionelle)
ethisch einwandfreies Verhalten zeigen.
In Ethik-Richtlinien der DGTA heißt es daher in Bezug auf DGTA- Mitglieder:
„Zusätzlich informieren diese Richtlinien die Öffentlichkeit, welches Verhalten in
diesen Kontexten von einem Mitglied dieser Gesellschaft erwartet werden kann“.
Aber natürlich stehen auch Professionelle im Spannungsfeld ethischer Fragen:
• Wie soll ich mich in einer bestimmten Situation verhalten?“
• „Was soll ich tun?“ (Kant)
• „Was ist richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht usw.?“
• „Wann (in welchem Kontext) ist etwas ethisch oder unethisch?“
• „Gelten meine (subjektiven) Werte und/oder die (allgemeinen) von andern?“
• „Welche Konsequenzen hat mein Handeln?“
So schlicht diese Fragen klingen, so schwierig sind sie manchmal in der konkreten
Situation zu beantworten, zumal wenn man neben deontologischer (normativer) Ethik
etwa die Gesinnungsethik hinzuzieht, also Aspekte wie „Absicht“ (intentio),
„Wille“(volitio), aber auch „Freiwilligkeit“ oder „Zwang“ einbezieht. Dabei wird nicht
nur die Handlung selbst bewertet, sondern auch der Kontext, in dem eine Handlung
stattfindet und die Folgen, die diese Handlung nach sich zieht. Die „gute Absicht“
einer Handlung ist also nicht unbedingt gleichbedeutend mit dem Ergebnis dieser
Handlung.
Weiter spielt es eine Rolle, ob (z. B. bei einem Regelverstoß) Kenntnis oder
Unwissenheit berücksichtigt werden müssen, also die Frage, ob und wann
Unwissenheit vor Strafe schützt und wann nicht. Insofern Wissen und Kenntnis von
Regeln grundsätzlich verfügbar sind, ist ein Regelverstoß anders zu bewerten, als
wenn dies nicht der Fall ist.
Die Ethik-Richtlinien sollen Orientierung in diesen und anderen komplexen Fragen
ermöglichen.
Die TA-Ethik-Richtlinien sind das Ergebnis eines langen und intensiven
Diskussionsprozesses, der für die DGTA die bisher geltenden Richtlinien anerkennt
und bestätigt und durch die neuen, von der EATA erarbeiteten Richtlinien ergänzt.
Sie sind folglich von den nationalen Organisationen und von jedem einzelnen
Mitglied anzuerkennen und in der Praxis zu realisieren.
Im Folgenden stellen wir noch einmal einige der Präsentationen unseres Workshops
in Schwerin vor, in dem wir ausgehend von den neuen Ethik-Richtlinien der EATA
diese anhand praktischer Fallbeispiele diskutierten.
Die Ethik-Richtlinien gliedern sich in 3 Grundbausteine
1. Grundlegende Werte (basic values)
2. Ethische Prinzipien (ethical principles)
3. Zielgruppen (areas of application)
Ihre Vernetzung stellt das abschließende Schema dar, in dem unter Beachtung der
„Grundlegenden Werte“ die „Ethischen Prinzipien“ auf jede Kategorie von
„Zielgruppen“ angewandt werden.
Grundlegende Werte
Ethische Prinzipien
Zielgruppen
S. Klingenberg G. Hallstein
B. Kreuzburg 2008
Grundlegende Werte
Würde des Menschen
Selbstbestimmung
Gesundheit
Sicherheit
Gegenseitigkeit
S. Klingenberg G. Hallstein
B. Kreuzburg 2008
Ethische Prinzipien
Respekt
Befähigung (Empowerment)
Schutz
Verantwortlichkeit
Verbindlichkeit in Beziehungen
S. Klingenberg G. Hallstein
B. Kreuzburg 2008
Zielgruppen
Klient/in
Sich selber als Praktiker/In
Trainees
Kollegin/Kollege
Menschliche Umgebung / Gemeinschaft
S. Klingenberg G. Hallstein
B. Kreuzburg 2008
Anwendung ethischer Prinzipien
auf die Zielgruppen
Ethische Prinzipien
Respekt
Befähigung
Schutz
Verantwortlichkeit
Verbindlichkeit
S. Klingenberg G. Hallstein
B. Kreuzburg 2008
Zielgruppen
KlientIn
Selbst
Trainees
Kollegen
Gemeinschaft
Schema der Vernetzung
•
•
•
•
•
Würde des Menschen
Selbstbestimmung
Gesundheit
Sicherheit
Gegenseitigkeit
Ethische Prinzipien
Grundlegende Werte
Formatiert: Schriftart:
(Standard) Times New Roman,
12 pt, Schriftart für komplexe
Schriftzeichen: Times New
Roman
Zielgruppen
KlientInnen Sich selber als
PraktikerInnen
Trainees
KollegInnen Menschliche Umwelt /
Gemeinschaft
Respekt
Empowerment
Schutz
Verantwortlichkeit
Verbindlichkeit in
Beziehungen
Aus dem “Schema der Vernetzung” ist ersichtlich, dass - ausgehend von
„Grundlegenden Werten“ - die „Ethischen Prinzipien“ definiert werden und jedes
dieser Prinzipien auf die unterschiedlichsten Kategorien innerhalb von
„Zielgruppen“ angewandt werden kann.
So ergeben sich immer wieder andere Fragestellungen und Gesichtpunkte, je
nachdem in welchem „Kästchen“ ich mich befinde.
Es ergibt sich ein genereller, nach innen differenzierbarer Bezugsrahmen für
professionelle Werte und professionelles Verhalten.
Die Ethik-Richtlinien betonen dabei die Fähigkeit des Einzelnen, aus verschiedenen
Verhaltensoptionen auswählen zu können.
Auch wenn Berne nicht in Form solcher Schemata dachte, so sei doch daran
erinnert, dass er ganz ähnliche Prinzipien im Auge hatte, als er in „TA in
Psychotherapy“ (1961) die Qualitäten der „Neopsyche“, d.h. des gesunden,
integrierten Erwachsenen-Ichs folgendermaßen beschrieb:
Verantwortlichkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Mut, Fähigkeit zum
Organisieren, Anpassungsfähigkeit, Intelligenz, Objektivität gegenüber der
äußeren Umgebung, autonome Realitätsüberprüfung.
In diesem Sinne sehen wir die Aufgabe der Ethik-Kommission – neben der
Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Ethik-Richtlinien und der Klärungshilfe bei
ethischen Konflikten – auch in einer Schulung ethischer Prinzipien und
Fragestellungen mit dem Ziel, durch eine kritische Auseinandersetzung eine in die
Person integrierte ethische Haltung auszubilden.
Regelwerke und Richtlinien können dabei nur Leitprinzipien sein – ausgefüllt und
„gelebt“ werden müssen sie von den Menschen.
Autoren: Bernd Kreuzburg, Sabine Klingenberg, Günter Hallstein, Karl-Heinz Risto
DGTA-Ethik-Kommission
Literatur
Berne, E.: TA in Psychotherapy, Random House, New York 1961, 68
Elias, N.: Über den Prozess der Zivilisation, Suhrkamp, Frankfurt 1997
Ethik-Richtlinien der DGTA, EATA (siehe Weiterbildungs-Handbücher der EATA und
DGTA)
Höffe, O.: Medizin ohne Ethik? Suhrkamp, Frankfurt 2002
Habermas, J.: Erläuterungen zur Diskursethik, Suhrkamp, Frankfurt 1991
Tönnies, S.: Die Menschenrechte – nichts als schöne Worte? (FAZ, Nr. 27,2008)
UN Menschenrechtskonvention, Rom 1950
Wetz, F.J.: Illusion Menschenwürde: Aufstieg und Fall eines Grundwerts, Klett Cotta,
Stuttgart 2005
Wolf, U. (2002): Nikomachische Ethik. Rowohlt, Hamburg 2006
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