Leitungen unter der Lupe

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einzusetzen. Man muss sich jedoch darüber
im Klaren sein, dass es in der Praxis problematisch ist, gerade bei höheren Frequenzen
und/oder größeren Leitungslängen die elektrische Länge tatsächlich genau zu treffen. Infolge Inhomogenitäten im Leitungsdielektrikum
unterliegt der Verkürzungsfaktor von HF-Leitungen Toleranzen.“ [1]
Leitungen unter der Lupe
Teil 4: Stehwellen(verhältnisse) in der Praxis
Nun wollen wir uns mal reale Verhältnisse
näher ansehen! Dazu gehören Blindwiderstände im Leitungsabschluss, mehrere
Stoßstellen sowie die Kabeldämpfung.
SWR – was ist das?
Bild 2: LR-Reihenschaltung als Last.
Die drei praktikabelsten Möglichkeiten, das
Stehwellenverhältnis zu ermitteln, sind:
1. Messung der Spannungen von hin- und
rücklaufender Welle (mit einem Reflektometer): SWR = (Uh + Ur)/(Uh - Ur)
2. Messung von maximaler und minimaler
Spannung der Stehwelle: SWR = Umax/Umin
3. Messung des Last(schein)widerstands:
SWR = RL/ZW (RL · ZW) bzw. SWR = ZW/RL
(RL µ ZW). Liegt ein Scheinwiderstand vor,
muss man wie im nächsten Abschnitt beschrieben vorgehen. Ob RL oder ZL, stets
muss der Eingang wellenwiderstandsmäßig
abgeschlossen sein.
Alle drei Möglichkeiten offenbaren in der
Praxis Nachteile. Variante 1 verlangt ein ausreichend präzises Messgerät. „Interessant
kann es werden, wenn man so ein StehwellenMessgerät genauer betrachtet... Wenn das
Datenblatt und das Typenschild einen Frequenzbereich bis 500 MHz versprechen, erwartet man eigentlich N-Anschlussbuchsen.
Für das Geld, das man auszugeben bereit ist,
gibt es aber oft nur SO 239. ... Wenn dann
wenigstens das Innenleben zwischen den beiden Buchsen den Schluss zulässt, dass dort die
Impedanz einigermaßen stimmt, kann man
zur Not einen derartigen ‘HF-Anwesenheitsanzeiger’ ... noch im 2-m-Band einsetzen. Bis
500 MHz jedoch keinesfalls, außer man legt
Wert auf ein Dämpfungsglied mit undefiniertem Dämpfungswert. Wenn man sich manche
Produkte innen anschaut, fragt man sich
schon, warum einerseits das Herzstück – der
Richtkoppler – perfekt in Stripline-Technik
aufgebaut wird, sogar mit induktionsfreien
Chipkondensatoren, dies alles aber dann SO239-Buchsen wieder verderben. ... Umgekehrt gibt es natürlich auch die Möglichkeit,
dass außen zwar N-Buchsen hochwertigste
Technik suggerieren, man sich das Innere jedoch besser nicht ansieht.“ [1]
Variante 2 ist bei Koaxkabel nicht und bei
Paralleldrahtleitung meist sehr schlecht realisierbar.
Bei Variante 3 bereitet eine ausreichend
genaue Definition der Last oft Schwierigkeiten, wenn es sich um eine Antenne handelt.
Bei fehlabgeschlossenem Eingang und
wellenwiderstandsmäßig angepasstem Ausgang tritt keine Welligkeit auf! Eine rücklaufende Welle kann nicht entstehen, weil die hinlaufende Welle vollkommen von der Last auf-
genommen wird. Trotzdem wird ebensoviel
bzw. -wenig Leistung übertragen wie bei gleichem Fehlabschluss am Ausgang und stoßstellenfreiem Eingang. Daher die ebenso unübliche wie universelle Bezeichnung der
Waagerechten in Bild 1. Fehlanpassung mit
SWR = 1 ist also ebenso möglich wie Anpassung mit SWR ungleich 1. Daher bestehen bei
allen von den drei eben beschriebenen abweichenden Definitionen des SWRs Einschränkungen!
SWR bei Wirk- und Blindlast
Oft gesellen sich zu einer ohmschen Last parasitäre Blindwiderstände. Diese entstehen
meist durch eine Zuleitungsinduktivität oder
eine Parallelkapazität.
Den ersten Fall zeigt Bild 2. Dabei wird der
störende Blindwiderstand gleich dem Ohmschen Widerstand bzw. dem Wellenwiderstand, also recht hoch angesetzt. Ohne die Induktivität würden 50 W in RL auftreten (Anpassung). Nun sind es nur 40 W. 20 % (ca. 1
dB) weniger Leistung bedeutet auf einer Leitung ein SWR von rund 2,7.
Wie sieht es mit einer Parallelkapazität
unter gleichen Verhältnissen aus (Bild 3)? Da
hier eine gemischte Schaltung vorliegt, kann
man nicht so leicht vorgehen wie bei der Reihenschaltung. Um die komplexe Rechnung zu
umgehen, wurde die Parallelschaltung in eine
äquivalente Reihenschaltung umgewandelt.
Das Ergebnis ist das gleiche wie gehabt.
Ein verlustloses Kabel zwischen wellenwiderstandsmäßig angepasster Quelle und komplexer Last ändert die Ausgangsleistung nicht.
(Wohl aber bestimmt es aufgrund seiner transformatorischen Wirkung die Leistung im
Quellwiderstand.)
Wir stellen also fest: Wird eine Leistungsanpassung durch Blindwiderstände gestört, so
bleibt der Leistungsrückgang unter 1 dB,
wenn der Blindanteil kleiner als der Ohmsche
Anteil bzw. der Wellenwiderstand ist. Die somit relative Bedeutungslosigkeit solcher Störungen ist dem Anwender oft nicht klar. Er
geht manchmal davon aus, dass kleine Blindwiderstände einen beachtlichen Effizienzrückgang bedeuten.
Mehrere Stoßstellen
Bild 1: Leistungsrückgang gegenüber beidseitiger Anpassung. Das Diagramm ist universell
anwendbar.
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Bild 3: CR-Parallelschaltung als Last.
In der Praxis kommt eine Stoßstelle selten allein. Z.B. kann es auf beiden Seiten des Ka5/2001
Bild 4: Die negative Wirkung einer durch zu starkes Biegen verursachten Inhomogenität ist garantiert nur bei extremer Fehlanpassung und bei perfekter Anpassung voll vorhanden.
bels zu Reflexionen kommen, aber auch innerhalb einer Kabelstrecke. Besonders im
Amateurbereich werden aus Kostengründen
dazu oft verschiedene Kabelstücke verwendet. Ist die Frequenz hoch und die Kopplung
wenig sorgfältig erfolgt, kann es auch an der
Koppelstelle zu nennenswerten Reflexionen
kommen. Gleiches passiert auch bei scharfen
Biegungen (Bild 4).
Doch müssen mehrere Stoßstellen nicht
unbedingt Fehlanpassung bedeuten. Liegen
nämlich bestimmte elektrische Leitungslängen dazwischen, kann es zu einer Transformation mit dem Ergebnis „Anpassung“ kommen
(Bild 5 und 6). Ergo: Mehrere Stoßstellen bedeuten zwar stets ein SWR über 1, aber nicht
unbedingt einen Leistungsverlust.
„Solche Transformationen mit λ/4 und λ/2
langen Leitungen sind nicht beliebig breitbandig, genügen aber den Anforderungen der
VHF- und UHF-Amateure völlig. Das gilt
auch noch für Vielfache dieser Längen, obwohl dadurch die Knotenverschiebung auf
den Leitungen bei einer Frequenzänderung
größer wird und diese die Bandbreite dann
immer weiter einengt. Im Bereich um 150
MHz ergibt eine fehlangepasste Kabellänge
von etwa 20 m Wiederkehrmaxima des SWRs
im Abstand von 5 MHz. Minima und Maxima
liegen dann jeweils 2,5 MHz auseinander. In
einem solchen Fall darf man einer Antenne
allein den schlechten Frequenzgang des
SWRs nicht anlasten. Manchmal ergibt eine
Veränderung der Kabellänge um +/-λ/4 eine
deutliche Verbesserung der Anpassung.“ [2]
Bild 5: Anpassung trotz nicht dem Wellenwiderstand entsprechendem Wirkabschluss.
Übertragung der maximal möglichen Leistung, wobei Stehwellen auftreten.
5/2001
Knoten - gar nicht gordisch
Nullstellen der Stehwellenspannung oder des
Stehwellenstroms bezeichnet man auch als
Knoten(punkte). „In einem Knotenpunkt ist
entweder die Spannung oder der Strom zu jedem Zeitpunkt gleich Null. Durch die Knotenpunkte kann aus diesem Grund keine Energie
strömen. Das bedeutet, dass eine Übertragung
von Energie nur mittels fortschreitender Wellen vollführt werden kann. Im Fall der stehenden Wellen findet ein Energiefluss längs der
Leitung nur zwischen zwei benachbarten
Strom- und Spannungsknoten statt. Dieser
Energiefluss ist durch den Austausch der Energien des elektrischen und magnetischen Feldes in diesem Leitungsbereich bedingt.“ [3]
Die Bezeichnung Knoten kam vermutlich
durch die Ähnlichkeit mit einem in regelmäßigen Abständen durch Verknotung aufgehängten Seil zustande. Sie ist wegen des treffenden
und exakteren Begriffs Nullstelle verzichtbar.
Auch Stehwellen-Minima werden – wie
oben in [2] – oft als Knoten bezeichnet. Dies
scheint mir wenig sinnvoll.
Periodische Inhomogenitäten
Die sich mit wachsendem Vielfachen von λ/4
bzw. λ/2 verschlechternde Präzision ist auf
periodische Inhomogenitäten des Kabels zurückzuführen. Der Wellenwiderstand
schwankt periodisch über die Kabellänge.
Auch hier ist die Gefahr, dass dies zu einem großen Anpassungsverlust führt, relativ
gering: „Sogar mehrere stochastische Veränderungen des Wellenwiderstands in einem
Leitungszug sind kaum wirksam, wenn sie
nicht extrem sind bzw. klein zur Betriebswellenlänge bleiben. Treten solche Störstellen
aber periodisch auf, können sich die Fehler bei
bestimmten Frequenzen so multiplizieren,
dass sie mehr als nur gerade augenfällig werden. Das sind Erkenntnisse, über die sich häufig nicht nur Funkamateure wundern.“ [2]
Der Funkamateur nutzt Kabel zur Energieübertragung nur in schmalen Frequenzbereichen. Es ist daher relativ unwahrscheinlich,
dass er auf eine solche kritische Frequenz
trifft.
„Mit Sicherheit kann es nie schaden, wenn
man versucht, einzelne Leitungsstücke immer
in λ/2-Längen bzw. ganzen Vielfachen davon
Bild 6: Je nach Leitungslänge und Vorzeichen der Reflexionsfaktoren liegt der aus zwei Stoßstellen resultierende Rückgang der maximal übertragbaren Leistung
in einem bestimmten Bereich. Eingetragen wurde der
besondere Fall zweier gleicher Stoßstellen, was einen
Leistungsrückgang gemäß SWR = 1 (2/2) bis 4 (2 x 2)
verursachen kann.
Irrtümer...
1. Das SWR ergibt sich aus den Reflexionsfaktoren.
2. Das Stehwellenverhältnis (SWR) ist das Verhältnis von Wellenwiderstand zu Quell- bzw. Lastscheinwiderstand (oder der
Kehrwert davon).
3. Existieren mehrere Stoßstellen, muss man die Verhältnisse ZW/R
(ZW R) bzw. R/ZW (ZW R) oder ZW1/ZW2 (ZW1 ZW2) bzw. ZW2/ZW1 (ZW1
ZW2) multiplizieren, um den gesamten Anpassungsverlust
festzustellen.
4. Nur im Falle RQ = ZW = RL herrscht Anpassung.
5. An jeder Stelle der Leitung kann das gleiche SWR gemessen
werden.
... und Wahrheiten
1. Bei einem beliebigen Eingangs-Reflexionsfaktor und Anpassung
am Ausgang ist das SWR 1.
2. Gleiche Scheinwiderstände können sehr hohe oder sehr geringe
Ohmsche Anteile besitzen und somit fast Leistungsanpassung
oder fast totale Fehlanpassung verkörpern. Das SWR ist das
Verhältnis aus höchstem und niedrigstem Wert der Stehwelle
von Spannung oder Strom an einem bestimmten Punkt der
Leitung.
3. Durch die transformatorische Wirkung des Kabels können sich
Stoßstellen teilweise oder vollständig kompensieren.
4. Anpassung ist auch mit anderen Widerstandswerten möglich.
Diese speziellen Anpassungsfälle unterscheiden sich vom Fall RQ
= ZW = RL dadurch, dass sie nur bei einer Frequenz funktionieren und dass Stehwellen auftreten.
5. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Leitung wellenwiderstandsrichtig abgeschlossen ist (SWR = 1) oder nicht
dämpfen würde. Bilden sich stehende Wellen auf einer realen
Leitung, nimmt das SWR über die Leitungslänge von der Quelle
zur Last zu.
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Bild 8: Oszillogramm der sich über die Länge
der dämpfenden Leitung verändernden Stehwellen.
Stehwellen und Kabeldämpfung
abhängig unterschiedlichen SWRs an Anfang
und Ende des Kabels (Bild 7 und 8).
Diese Tatsache verdient in der Regel bei
Frequenzen über 30 MHz Beachtung. „Man
verwende z.B. für seine 2-m-Station als Antennen-Speiseleitung 100 m RG 58. Rein
rechnerisch stellt sich dann ein SWR von 1,02
ein, wenn keine Antenne angeschlossen ist.
Das wirkt doch wie Baldrian. Mit angepasster
Antenne lässt sich dieser Wert sogar noch geringfügig verbessern! Man muss lediglich mit
dem Manko leben, dass beispielsweise von 10
W Sendeleistung nur noch 100 mW die Antenne erreichen. Der Rest, nämlich 9,9 W oder
99 % der ursprünglichen Leistung, wird im
Koaxkabel in thermische Energie, also in
Wärme umgesetzt. ... Der 100-m-Bund RG 58
kann für VHF und UHF der preisgünstigste
Abschlusswiderstand sein.“ [1]
Bild 9 demonstriert dies.
Frank Sichla, DL7VFS
Durch die Dämpfung des Kabels sind Strom
und Spannung der hinlaufenden Welle am
Kabelanfang größer als am Kabelende. Umgedreht verhält es sich mit Strom und Spannung der eventuell entstandenen rücklaufenden Welle. Somit stehen am Kabelanfang
maximale Größen der hinlaufenden Welle
minimalen der rücklaufenden gegenüber,
während am Kabelende die Verhältnisse gerade umgekehrt sind. Das führt zu dämpfungs-
Quellen
[1] H. Böhm: Vom Sender zur Antenne und
zurück, Script 02-94
[2] O. Oberrender: Reflexionen im Leitungszug – Fußangeln für den Funkamateur? (1),
Funkamateur 4/88, S. 195ff
[3] H. Böhm: Vom Sender zur Antenne und
zurück, Script 02-94
[4] E. Philippow: Grundlagen der Elektrotechnik, 8. Aufl., Verlag Technik Berlin 1988
Bild 7: Das SWR am Einspeisepunkt (waagerechte
Achse) ist infolge der Kabeldämpfung (Parameter)
stets kleiner als an der Last (senkrechte Achse).
Bild 9: Glänzendes Eingangs-SWR mit 100 m
RG 58 ohne Last bei 145 MHz.
Leistung, Arbeit, Energie
„Leistung ist Arbeit in der Zeit“, pflegte einer unserer Dozenten
öfters zu sagen, um das Zeitlimit bei Klausuren zu begründen.
Recht hatte er. Anders herum ausgedrückt: Leistung mal Zeit ist
Arbeit.
Beispielsweise 100 W in 1 min bedeutet also soviel Arbeit bzw.
Energie wie 6 kW in 1 s, nämlich 6000 Ws.
In der Elektrotechnik kennen wir Wirk-, Schein- und Blindleistung. Arbeit basiert immer auf Wirkleistung. Darum darf man
auch Wärmemenge zu ihr sagen, was aber nur in der Physik
üblich ist.
Bei Vorgängen auf Leitungen sprechen die meisten Autoren
davon, dass Leistung oder Energie transportiert wird. Erster
Begriff trifft zweifellos korrekt zu, denn Spannung und Strom
wandern über bzw. durch das Kabel. Zweiter Begriff ist weniger
korrekt angewandt, weil nicht so unkompliziert definierbar wie
Leistung, wird aber öfters benutzt.
Was ist Energie? Das Lexikon „Brockhaus ABC Elektronik“ gibt
Antwort: „Eine skalare physikalische Größe, die die Fähigkeit
ausdrückt, Arbeit zu verrichten. Man setzt deshalb die Energie
häufig mit der Arbeit gleich und gibt beiden Größen eine gemeinsame Maßeinheit. Der Begriff Energie ist einer der umfassendsten
Begriffe der Physik, der die einzelnen Teildisziplinen miteinander
verbindet. Man kann die Energie jeder Erscheinungsform der
Materie zuordnen.“ Also auch einer Welle.
Hierbei empfiehlt es sich jedoch, Energie als Fähigkeit, Arbeit zu
verrichten anzusehen statt sie mit Arbeit gleichzusetzen. Auch
Leistung kann man als Fähigkeit, Arbeit zu verrichten, kennzeichnen. Insofern deckt sich unser Energiebegriff damit.
Meines Wissens niemand spricht schließlich davon, dass ein Kabel
Arbeit überträgt...
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