Abendgottesdienst im Rahmen des Neujahrsempfangs der

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Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Bischof Dr. Dr. h.c. Markus Dröge,
Predigt beim Abendgottesdienst im Rahmen Neujahrsempfangs der Arbeitsstelle Kirchenmusik der EKBO
10. Januar 2016, Berliner Dom, Jesaja 66,13 (Jahreslosung).
Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
I.
Das Jahr 2016 steht unter einem Bibelwort aus dem Buch des Propheten Jesaja:
Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Wie klingt Trost? Ganz wörtlich verstanden. Nicht sprachlich: Wie formuliere
ich Trost? Sondern: Welchen Klang hat Trost; welche Töne oder Laute bringen
Trost hervor; und welche Musik ist tröstlich?
Das habe ich mich angesichts der Jahreslosung im Hinblick auf diesen Gottesdienst gefragt, in dem Töne und Musik ja eine zentrale Rolle spielen.
Babys sind leider manchmal untröstlich. Aber auch dafür gibt es, wie wäre es
anders zu erwarten: Ratgeberliteratur. Der Trost der Ratgeber klingt dann zum
Beispiel so:
„Wenn Ihr Baby schon seit einiger Zeit schreit und Sie den Eindruck
haben, als wäre es überhaupt nicht ansprechbar, sind Lieder kaum angebracht. Sie können versuchen, den akustischen »Schrei-Wall« mit hohen
Geräuschen zu durchdringen, wobei es nicht darum geht, ein stundenlanges Krachkonzert zu veranstalten. Probieren Sie komische Töne zu erzeugen, indem Sie z. B. durch vibrierende Lippen summen, eine Sirene nachahmen oder anfahrende Autos, Zischlaute einbauen oder in die Hände
klatschen. Geräusche, die an prasselnden Regen oder Meeresrauschen
erinnern (z. B. mit einem »Regenrohr«), können besonders wirkungsvoll
sein: Lassen Sie Erbsen oder Reis in einen Pappkarton oder eine Holzkiste
rieseln, lassen Sie Gläser klingen.“
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So klingt Trost in der Weisheit der Ratgeberliteratur!
Zwischen dem Klang vibrierender Lippen, anfahrender Autos, Meeresrauschen
nährt sich mühsam die Hoffnung, das kleine Wesen möge getröstet sein und sich
vertrauensvoll und ruhig in der Beziehung zur Mutter oder zum Vater geborgen
wissen. Es scheint mir, dass diese konkreten Tipps vor allem die Erfahrung ausdrücken, wie unverfügbar das Trösten für uns im Grunde ist. Einmal geschieht
es, ohne dass wir wüssten, wie wir das gemacht haben. Das andere Mal legen
wir uns ins Zeug, machen und tun, doch Trost will sich nicht einstellen.
Trösten liegt oft nicht in unserer Hand. Wir wollen die Menschen, die wir lieben
trösten; oder den Angehörigen am Krankenbett; oder die Schülerin, die von anderen ausgeschlossen wird. Aber wir merken: Es gibt kein Rezept, das immer
und überall zuverlässig wirken würde, und auch keine Trostmedizin. Trost bleibt
unverfügbar; geschieht in Beziehung, oft genug im Unsichtbaren, ist nicht herstellbar: Trost ist Gnade und bekommt damit auch eine religiöse Dimension.
Deswegen ist das Bild vom Klang des Trostes vielleicht ganz angemessen. Auch
Klänge sind nicht fassbar wie ein Gegenstand. Klänge berühren uns; oder eben
nicht. Klänge sind machbar, aber deren Wirkungen nur bedingt vorhersehbar.
Trost ist so etwas wie ein flüchtiger, aber wirksamer Klang: der Klang erfahrener Gnade.
II.
Wie also klingt Trost?
Auf der Website „Bestattungen.de“ kann man die Top10 der Beerdigungslieder
finden. Und man kann doch wohl mit gutem Grund annehmen, die Menschen,
die die Beerdigungslieder aussuchen, tun das auch unter dem Aspekt, dass sie
getröstet werden wollen.
Unter den Liedern ist mit Platz 4 ziemlich weit vorn das „Ave Maria“ von Franz
Schubert. Auf Platz 1 aber steht „I will always love you“ von Whitney Houston.
Es finden sich auch in der Rangliste deutsche Schlager wie „Abschied ist ein
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scharfes Schwert“ von Roger Whittaker. Und im vergangenen Jahr haben es
sogar die Toten Hosen erstmalig in die TOP 10 geschafft mit ihrem Lied: „An
Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit…“
So klingt offenbar für viele Menschen Trost. Und das heißt, Trost ist nicht nur
unverfügbar, er lässt sich auch nicht auf einen Klang, auf eine Musik, auf einen
Geschmack bringen.
„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Für jeden und jede klingt das anders. Was den einen tröstet, wirkt für die andere
aufgesetzt oder vertröstend. Viel hängt davon ab, in welche „Poesien“ und
Kulturen von Trost wir hinein-wachsen und hinein-gebildet werden. Zwischen U
und E findet jeder und jede einen anderen Zugang zu dem, was ihn tröstet. Die
letzten Mitgliedschaftsuntersuchungen haben deutlich gemacht, dass wir als
Kirche oft nur einen begrenzten Ausschnitt an Milieus wahrnehmen können.
Das muss nicht automatisch dazu führen, sich nun jedem Stil anzubiedern. Aber
wissen sollten wir darum, dass wir in unseren Möglichkeiten, Trost zur Sprache
und zum Klingen zu bringen, immer auch limitiert sind.
Die Visitation der Kirchenmusik, aus der heraus auch die Arbeitsstelle Kirchenmusik entstanden ist, hat sehr stark betont und herausgehoben, dass es zu den
zentralen Aufgaben und Herausforderungen gehört, den Nachwuchs zu fördern
und Menschen kirchenmusikalisch zu bilden. Dies geschieht dankenswerter
Weise an sehr vielen Stellen in unserer Kirche: in Chören, im Instrumentalunterricht, im Gemeindegesang. Die Orgelausbildung in Dahme zeigt beispielhaft,
wie stark dieses Angebot nachgefragt wird. Menschen haben Interesse daran,
sich in die Sprache und Musik des Glaubens hineinzugeben und sich hineinzubilden in das musikalische Evangelium, das zum Leben tröstet und zur Hoffnung
befreit.
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III.
Wie also klingt Trost?
Für Martin Luther bringen die Psalmen den Trost zum Klingen. Das Psalmlied
„Aus tiefster Not schrei ich zu Dir“ verstand Luther als Trostlied. Man muss es
wie den 130. Psalm, der ihm zugrunde liegt, eben von Anfang bis Ende singen.
Ganz deutlich wird dann, dass Luther den Trost von der Klage absetzt.
Klagelieder waren ganz auffällig Luthers Sache nicht.
„Wir können nicht eher singen, als es uns wohl geht, wo es uns aber übel
geht, ist das Singen aus“, schreibt er.
Melancholische Trauer, das war für Luther das Ende vom Lied. Er beschwört
die Gemeinde, gegen jene schwarzen Stimmungen, die er aus eigener Anschauung nur zu gut kannte, und gegen den Tod anzusingen.
„Die Kunst sollen die Christen können, das man Te deum laudamus singe,
wenn es am übelsten gehe …“
Und er ergänzt an anderer Stelle:
„Wir singen … weder Trauerlieder noch Klagegesänge bei unseren Toten,
sondern tröstliche Lieder von Vergebung der Sünden, von Ruhe, Schlaf,
Leben, Auferstehung der verstorbenen Christen, womit unser Glaube gestärkt und die Leute zu rechter Andacht ermuntert werden.“
Eines wird bei Luther deutlich: Trost geschieht nicht allein, nicht im stillen
Kämmerlein, sondern in Gemeinschaft, in der Beziehung mit anderen. Wo wir
uns im Klang der Musik miteinander verbinden und Gemeinschaft haben, da
können Räume des Trostes sich öffnen.
In den Psalmen erklingt also der Trost des Evangeliums.
Jemand hat mir einmal erzählt, es seien besonders die wütenden Verse in den
Psalmen, die ihn trösten. Denn sie sind es, die auch das Abgründige zur Sprache
bringen und gerade darin wahrhaftig sind. In den wütenden Versen wird deut-
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lich, dass man sich nicht abfindet mit dem, wie es ist, sondern leidenschaftlich
an einer anderen, besseren Welt festhält.
Für mich schlägt das eine Schneise zu der Frage, wie Trost klingt. Trost kann
anklingen in einer tragenden Beziehung, wo jemand wirklich mit mir mitgeht in
dem, was mich bewegt und beschäftigt und mich nicht mit Ratschlägen abspeisen will. Wahrer Trost bedeutet, jemandem zu vertrauen, bis in die Abgründe
hinein. Daher rührt nämlich das mittelhochdeutsche Wort „Trost“: von „treu“
und „trauen“. Wer Trost empfängt, der hat einen Menschen, an den er sich halten kann. Einen Menschen, der den Kummer mit aushält. Der auch in Zeiten von
Angst und Sorge da ist. Der sich auf meine Sorge einlässt und sie trägt und mit
mir und für mich sorgt.
Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Das Bild Gottes „wie eine Mutter“ begegnet noch öfter im Jesajabuch. Es zeigt
eine zärtliche, mütterliche Erfahrung der Gotteswirklichkeit: Gottes Geleit und
Zuspruch führen über Schmerztiefe und wankenden Boden, über Vergeblichkeitserfahrung und tiefe Enttäuschung. Gott breitet die Arme für mich aus und
trägt Lasten für mich. Wer auf Gott vertraut, der erfährt Trost.
So wie die Stimme des Jesaja, so klingt Trost!
IV.
Jesaja richtete seine Worte damals an die Israeliten, die sich nach ihrer Heimat
sehnten. Ihnen spricht Jesaja Trost zu. In ihrer aktuellen Nöten, Ängsten und
Hoffnungen muss sich der Trost Gottes bewähren. Und deshalb zum Schluss:
Welchen Trost brauchen wir zu Beginn des Jahres 2016? In unseren
aktuellen Nöten, Ängsten, Hoffnungen?
Wir wissen, die Herausforderungen für unser Land sind immens: Menschen
fremder Kultur müssen integriert werden. All das geht nicht von heute auf morgen. Die Verwaltungen, das Bildungswesen, die Wohnungspolitik und – wie wir
seit der Silvesternacht in Köln in schockierender Klarheit erkennen müssen –
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auch die Ordnungskräfte müssen sich auf die neuen Herausforderungen einstellen. Unser Land wird noch konsequenter als bisher seine Werte verteidigen müssen, und zeigen: Es gibt eine Hausordnung in Deutschland. Sie erlaubt es Frauen
und Mädchen frei, gleichberechtigt und selbstbestimmt zu leben, in ihrem Denken, Handeln und in ihrer äußerlichen Selbstdarstellung – und zwar ohne Angst.
Eine Willkommenskultur braucht Willkommensstrukturen: Unterstützungsstrukturen zur Integration in allen gesellschaftlichen Bereichen. Aber auch Ordnungsstrukturen, die Grenzen setzen: Dazu gehört es, denen, die die Menschenwürde nicht achten, sehr deutlich zu machen, dass sie so nicht willkommen sind.
Das sind wir auch den Flüchtlingen schuldig, die ja gerade deswegen zu uns
kommen, weil sie bei uns Menschenwürde und Menschenachtung erhoffen.
Um die Herausforderungen des neuen Jahres zu meistern brauchen wir Kraft
und Mut – und immer wieder auch Trost. Echten Trost. Trost, wie das Prophetenwort der Jahreslosung ihn spendet.
V.
Ich wünsche Ihnen und uns allen, dass wir diesen Trost auch immer wieder in
der Musik finden. Gute Musik gehört mitten in unser Leben hinein. Sie kann
aufwühlen, Einspruch erheben, sie kann verstören und uns aufbauen – und sie
kann trösten. Musik in diesem Sinne entführt uns nicht für eine kleine Zeit in
eine „heile Welt“. Sie spricht mitten in unser Leben hinein, mitten hinein in das,
was wir fühlen, was uns bewegt, so wie das Wort des Jesaja. Und sie lässt uns
die Erfahrung spüren, die unverfügbar ist und nach der wir uns dennoch sehnen:
Dass da jemand ist, der uns hält, in dessen Armen wir geborgen sind wie ein
getröstetes Kind.
Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Möge der Trost des Evangeliums in unseren Herzen, in unsren Gemeinden, in
den Kirchen, und in der Welt auch in diesem neuen Jahr 2016 segensreich
erklingen! Amen.
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