Algebra: komplexe Zahlen, Quaternionen und endliche Körper

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Prof. Dr. Liedtke
Schülertag, 6. Februar 2014
Algebra: komplexe Zahlen, Quaternionen und endliche Körper
Einführung. Auf den natürlichen Zahlen
N = {0, 1, 2, 3, ...}
haben wir zunächst die Addition + als Verknüpfung. Damit wir diese stets umkehren
(lies: subtrahieren) können, erweitern wir diese auf den Zahlbereich der ganzen Zahlen
Z = {..., −3, −2, −1, 0, 1, 2, 3, ...}.
Ferner haben wir auf N und Z noch die Multiplikation · als Verknüpfung. Um auch
diese stets umkehren (lies: dividieren) zu können, erweitern wir die ganzen Zahlen zu
den rationalen Zahlen
{a
}
Q =
, a, b ∈ Z, b ̸= 0 .
b
Ein weiteres Beispiel für eine Struktur, in der wir beliebig addieren, subtrahieren, multiplizieren und dividieren (außer der Null) können, sind die reellen Zahlen R, die die
rationalen Zahlen enthalten. Ein für die Algebra (das ist ein Teilbereich der reinen
Mathematik) ganz typischer Kreis von Problemstellungen sind die folgenden
F RAGEN : Was ist das für Strukturen? Können wir diese formalisieren? Können wir
diese Strukturen klassifizieren? Gibt es vielleicht noch “ganz andere” Zahlen?
Körper. Ein Körper ist eine Menge K, die zwei Elemente “0” und “1” enthält,
zusammen mit zwei Verknüpfungen
+ :K ×K →K
und
· : K ×K →K
die Addition und Multiplikation genannt werden. Ferner sollen die “üblichen” Rechenregeln gelten und sowohl Addition als auch Multiplikation sollen “umkehrbar” sein.
Für eine präzise Definition, die zugegebenermaßen ein wenig länglich und technisch
ist, siehe z.B. [KvP, Kapitel III.4].
Komplexe Zahlen. Der Körper C der komplexen Zahlen entsteht, wenn wir in der
Ebene R2 wie folgt rechnen:
und
(x1 , x2 ) + (y1 , y2 ) := (x1 + x2 , y1 + y2 )
(x1 , x2 ) · (y1 , y2 ) := (x1 · x2 − y1 · y2 , x1 · y2 + x2 · y1 ) .
Die Addition ist dabei Vektoraddition im R2 , die Null ist (0, 0) und die Eins ist (1, 0).
Die Multiplikation scheint ein wenig “vom Himmel zu fallen”.
So, wie die reellen Zahlen die rationalen Zahlen enthalten, enthalten die komplexen Zahlen die reellen Zahlen: wenn wir nämlich x ∈ R nehmen, so ist (x, 0) eine
komplexe Zahl. Ferner ist (x, 0) + (y, 0) = (x + y, 0) und (x, 0) · (y, 0) = (x · y, 0).
Etwas völlig neuartiges ist hingegen die komplexe Zahl i := (0, 1), die manchmal
auch die imaginäre Zahl genannt wird. Sie hat die Eigenschaft
i · i = (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) = −1
1
2
D.h. in den komplexen Zahlen besitzt −1 eine Quadratwurzel. In den reelllen Zahlen
besitzt −1 keine Quadratwurzel.
Für mehr Resultate über komplexe Zahlen verweise ich auf [KvP, Kapitel V] und
[E, Kapitel 3].
Quaternionen. Im Jahre 1843 konstruierte Hamilton auf dem R4 so etwas ähnliches
wie einen Körper: die Addition ist wieder Vektoraddition und die Multiplikation ist
noch komplizierter als in den komplexen Zahlen. Um diese zu erklären, setzen wir
1 := (1, 0, 0, 0),
i := (0, 1, 0, 0),
j := (0, 0, 1, 0)
und
k := (0, 0, 0, 1) .
Für diese definierte Hamilton dann
i · i = j · j = k · k = i · j · k = −1
und
i · j = −j · i = k .
Daraus konstruierte er den Schiefkörper der Hamilton’schen Quaternionen, der mit H
bezeichnet wird.
So, wie die reellen Zahlen die rationalen Zahlen enthalten, und die komplexen Zahlen die reellen Zahlen enthalten, enthalten die Quaterionen die komplexen Zahlen: ist
(x, y) eine komplexe Zahl, so ist (x, y, 0, 0) ein Quaternion. Wir erhalten somit:
Q ⊂ R ⊂ C ⊂ H.
Eine Besonderheit der Quaternionen ist, daß i · j = −j · i gilt, d.h. die Reihenfolge,
in der wir Quaternionen multiplizieren, spielt eine Rolle! (Im Fachjargon der Algebra:
die Multiplikation ist nicht mehr kommutativ, weswegen H kein Körper, sondern nur
ein Schiefkörper ist.)
Eine weitere Besonderheit der Quaternionen ist, daß −1 jetzt unendlich viele Quadratwurzeln besitzt, was vom dem, was wir von den reellen Zahlen gewohnt sind, etwas
befremdlich erscheint (siehe [E, Kapitel 7.8] für Details).
Für mehr über Quaternionen verweise ich auf [KvP, Kapitel VI] und [E, Kapitel 7].
Und darüber hinaus? In einem gewissen Sinne, der durch den folgenden Satz
präzisiert wird, ist nach den Quaternionen allerdings Schluß mit den (Schief-)Körpern:
Satz. Sei K ein Körper oder Schiefkörper, der die reellen Zahlen R enthält. Nehme
ferner an, daß K als R-Vektorraum endlich-dimensional ist.
(1) Wenn K ein Körper ist, so ist K entweder gleich R oder C.
(2) Wenn K ein Schiefkörper ist, so ist K gleich R, C oder H.
Dieser Satz ist alles andere als trivial oder leicht zu beweisen, und ich verweise auf
[E, Kapitel 11] für Details.
Wenn wir bei der Multiplikation auf Assoziativität verzichten, so gibt es noch die
Cayley-Oktaven O (siehe [E, Kapitel 9]) und natürlich können wir uns fragen, ob es
Körper gibt, die unendlich-dimensional über R sind...
Endliche Körper. Bisher haben wir nach Körpern geschaut, die die rationalen oder
reellen Zahlen enthalten. Weil es unendlich viele rationale Zahlen gibt, haben solche
Körper notwendigerweise unendlich viele Elemente. Aber wie schaut es mit abstrakten
3
Körpern aus, die nicht mehr notwendigerweise die rationalen Zahlen enthalten? Gibt
es zum Beispiel Körper mit nur endlich vielen Elementen?
Aufgabe 1. Konstruieren Sie auf den Mengen
F2
F3
:= {0, 1}
:= {−1, 0, 1}
eine Addition und eine Multiplikation, so daß ein Körper entsteht!
Aufgabe 2. Konstruieren Sie Körper mit 4 bzw. 5 Elementen!
Aufgabe 3. Zeigen Sie, daß es keinen Körper mit 6 Elementen geben kann!
In der Vorlesung Algebra, die von Studenten ab dem 3. Semester gehört werden
kann, wird der folgende Satz bewiesen:
Satz. Sei K ein Körper, der nur endlich viele Elemente besitzt. Dann gibt es eine
Primzahl p und eine ganze Zahl n ≥ 1, so daß K genau pn Elemente besitzt.
Umgekehrt gibt es zu jeder Primzahl p und jeder ganzen Zahl n ≥ 1 einen Körper
mit pn Elementen. Dieser Körper ist eindeutig.
Der Körper mit pn wird mit Fpn bezeichnet und die Primzahl p heißt Charakteristik
des endlichen Körpers. Es ist bemerkenswert, daß uns das Studium von Rechenregeln
über den Körperbegriff so auf Primzahlen geführt hat.
Obwohl die Algebra sich in erster Linie mit dem Studium abstrakter Strukturen an
sich und um ihrer selbst willen befaßt, möchte ich dennoch abschließend erwähnen,
daß zum Beispiel endliche Körper im Bereich der Informatik und der Kryptographie
eine entscheidende Rolle spielen.
L ITERATUR
[KvP] J. Kramer, A. von Pippich, Von den natürlichen Zahlen zu den Quaternionen, Springer (2013).
[E]
H.-D. Ebbinghaus et al., Zahlen, 3. Auflage, Springer (1992).
Prof. Dr. Christian Liedtke
TU München
Zentrum Mathematik - M11
Boltzmannstr. 3
D-85748 Garching bei München
[email protected]
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