Individualisierte Krebstherapie

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Interview mit Professor Volker Heinemann vom Mai 2013
Was bringt die individualisierte Krebstherapie?
Die Fortschritte der individualisierten Krebstherapie wecken Hoffnung auf eine immer wirksamere Behandlung und höhere Heilungschancen. Was das für den einzelnen Patienten
bedeutet, haben wir bei Prof. Dr. Heinemann nachgefragt.
Herr Prof. Heinemann, was bedeutet individualisierte Krebstherapie?
Sie basiert auf der Erkenntnis, dass nicht nur jeder Mensch anders ist und auf die Erkrankung anders reagiert, sondern dass auch jeder Tumor anders ist. Den Darmkrebs oder den
Brustkrebs gibt es nicht! Vielmehr zerfallen diese Krebsarten in mehrere Untergruppen, die
teils verschiedene Behandlungsmöglichkeiten und -erfolge zeigen. Je besser wir die Untergruppen kennen, desto wirksamer können wir im Einzelfall therapieren. In die individualisierte Krebstherapie fließt also beides mit ein: der umfassende Blick auf den Patienten und ein
möglichst genaues Bild des Tumors.
Wie sieht das konkret aus?
Kurz gesprochen betrachten wir zunächst den Patienten, seinen Allgemeinzustand und die
Blutwerte. Wir sehen uns den Tumor an, Größe, Lymphknoten sowie Anzahl, Ort und Entfernbarkeit der Metastasen. Durch die Untersuchung von Tumor- und Metastasenproben
sind wir in der Lage, die Medikamente, Antikörper oder Immuntherapien zu bestimmen, auf
die der Tumor anspricht. All diese Erkenntnisse bilden die Basis für die individualisierte Therapie.
Welche Vorteile bringt die individualisierte Krebstherapie dem Patienten?
Ganz klar eine optimierte Behandlung hinsichtlich Wirksamkeit der Therapie, Verträglichkeit
und Heilungschancen. Wir haben immense Fortschritte im Verständnis verschiedener Tumoren und ihrer Untergruppen gemacht. Bei einigen können wir heute klare Aussagen treffen,
ob sie auf bestimmte Medikamente, Antikörper, Immuntherapien oder gezielte Therapien
ansprechen. Mit diesem wachsenden Wissen machen wir die Therapie für den Einzelnen
immer besser.
Bei welchen Krebsarten gibt es Fortschritte durch Individualisierung?
Die gibt es bei hämatologischen Tumoren, also Leukämien und Lymphomen. Aber auch
beim Brustkrebs und beim Lungenkrebs, wo man jetzt viele kleine Subgruppen unterschei-
den und gezielt mit Medikamenten helfen kann. Und auch beim Darmkrebs können wir mit
Untergruppenbildung zunehmend helfen.
Ein Beispiel für die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten?
Eine schwangere Patientin kam vor ein paar Jahren mit metastasiertem Darmkrebs zu uns.
Früher hätte man da noch sagen müssen: keine Chance der Behandlung. Wir haben sie mit
dem ungeborenen Kind chemotherapiert, und sie hat gesund entbunden. Sie sprach sehr gut
auf die Chemo an, deshalb konnten wir dann auch ihre Lebermetastase operativ entfernen.
Auch die später entstandenen Lungenmetastasen konnten wir operieren. Jetzt, Jahre später,
können wir sagen, dass wir eine gesunde Mutter mit ihrem Kind haben.
Ist das nicht ein Einzelfall?
Doch, ja. Aber wir sehen bei bestimmten Erkrankungen, dass wir bei immer mehr Patienten
selbst aus der metastasierten Situation Heilung erzielen. Bei anderen Tumorarten stehen wir
noch am Anfang.
Woran liegt das?
Es gibt Erkrankungen, bei denen die Veränderung einzelner Gene automatisch den Tumor
bedingt, wie bei GIST-Tumoren. Dieses einzelne Gen kann dann medikamentös gezielt beeinflusst werden. Andere Tumorerkrankungen jedoch, wie das Pankreaskarzinom, werden
durch sehr viele genetische Veränderungen gleichzeitig bedingt. Da ist es derzeit unmöglich,
durch eine gezielte Therapie zu helfen. Hier sind wir ehrlicherweise auf die Chemotherapie
zurückverwiesen.
Worin besteht also der Fortschritt der letzten Jahre genau?
Im Zusammenspiel von operativem Fortschritt, der Einführung vieler neuer, zielgerichteter
Medikamente und dem wachsenden Wissen darüber, wer von diesen profitiert. Und dieses
Wissen wächst weiter.
Überaus wichtig ist zugleich, dass durch die Zertifizierung von Krebszentren im Rahmen des
nationalen Krebsplans eine enorme Qualitätsoffensive stattfindet. Wir haben in Großhadern
19 zertifizierte onkologische Zentren, wie das Brustzentrum und das Darmzentrum. Hier wird
jeder Patient im Rahmen der Tumorkonferenz von mehreren Spezialisten zugleich angesehen. Für den Patienten bringt dies mit Sicherheit eine spürbare verbesserte Behandlung.
Herr Professor Heinemann, wir danken Ihnen für das Gespräch!
Das Interview für lebensmut e.V. führte Regine Kramer
[Im Kasten]
Prof. Dr. Volker Heinemann ist Oberarzt der Medizinischen Klinik III am Klinikum in Großhadern und seit 2010 Leiter des Krebszentrums Comprehensive Cancer Center der LMU. Im
März 2013 wurde ihm der Deutsche Krebspreis für Studien auf dem Sektor der gastrointestinalen Tumoren verliehen.
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