Blick in die Zukunft der Stoffwechsel

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Blick in die Zukunft der Stoffwechsel-Medizin
Nürnberg, 10. Februar 2017, morgens kurz nach halb Neun: Der Bus, der die Teilnehmer des
VIA-Symposiums vom Hotel zum Veranstaltungsort gebracht hat, hält vor dem LUX. Hinter
diesen drei Buchstaben verbirgt sich eine Kirche, die – außer Altar, Kreuz und Orgel – wenig
mit der traditionellen Vorstellung von Gotteshäusern zu tun hat. Empfangen werden die Gäste
in einem Vorraum mit Tresen, das Kirchen“schiff“ ist ein großer Raum ohne störende Säulen,
dafür mit Disco-Beleuchtung und modernster Präsentationstechnik ausgestattet. Nur eines teilt
die junge St. Lukas mit vielen anderen Kirchen: die niedrige Raumtemperatur.
Wenige Minuten später sind Gepäck und Garderobe sicher verwahrt, die Teilnehmer haben
an den Konferenztischen Platz genommen. David Jobse, seit einem halben Jahr
Geschäftsführer von Vitaflo Deutschland, eröffnet das Symposium. Der Tagungsort ist ganz
bewusst passend zum Motto des Tages gewählt: The Future is on the Horizon. LUX, die junge
Kirche, hat es in die Zukunft geschafft. Das VIA-Symposium will Impulse setzen für neue,
zukunftsweisende
Entwicklungen
und
Behandlungsansätze
bei
angeborenen
Stoffwechselerkrankungen.
Vitaflo kann 2017 mit dem 20-jährigen Bestehen des Liverpooler Stammhauses, das
inzwischen Marktführer bei medizinischer Ernährung bei Stoffwechselerkrankungen im
Vereinigten Königreich ist, und dem 10-jährigen der
deutschen Niederlassung gleich zwei Jubiläen feiern. Sie
bieten den Anlass für das Fachforum. Denn das
Unternehmen hat sich nicht nur der Entwicklung und
Herstellung von medizinischer Ernährung auf die Fahnen
geschrieben. „Es geht uns (auch) darum, Fachwissen zu
teilen und neue Erkenntnisse zu verbreiten“, unterstreicht
Jobse in seiner Begrüßung. Dass das ernst gemeint ist,
zeigt der Blick auf das Programm des Symposiums. Zehn
Vorträge,
zwei
Koch-Workshops
und
eine
Produktvorstellung
erwarten
die
Teilnehmer.
Dankenswerterweise übernimmt Prof. Dr. Stefan Kölker
kurzfristig anstelle des erkrankten Prof. Dr. Thorsten
Marquardt die ärztliche Leitung der Veranstaltung und
moderiert sie gemeinsam mit PD Dr. Peter Burgard und
Ulrike Och, die wie Marquardt am Universitätsklinikum
Münster tätig ist.
Der erste Vortrag ist das Highlight der Veranstaltung. Gehalten wird
er von Anita MacDonald, Professorin am Birmingham Children’s
Hospital, international angesehen für ihre bahnbrechenden Studien
zur diätetischen Behandlung von Kindern mit erblichen
Stoffwechselstörungen und vor wenigen Tagen von Prinz Charles für
ihre unermüdliche Tätigkeit zum Wohle dieser Kinder mit dem Orden
‚Officer of the British Empire‘ ausgezeichnet. Sie schlägt den Bogen
von der Entdeckung des phenylalaninarmen Glykomakropeptids
(GMP) in den 1960er Jahren über diverse wissenschaftliche Arbeiten
Ende des zweiten Jahrtausends hin zu umfangreichen, mehrjährigen
Studien, die an ihrer Wirkungsstätte in Birmingham kürzlich
vorgenommen wurden. In deren Mittelpunkt stehen Kinder zwischen 6 und 16 Jahren, die an
Phenylketonurie leiden. Die Untersuchungen umfassen drei Phasen, in denen
unterschiedliche Anteile von GMP und Aminosäuren am Proteinsubstitut einer Kontrollgruppe
gegenübergestellt werden, die phenylalaninfreies Ersatzeiweiß erhalten. Nach Auswertung
der Ergebnisse hält Anita MacDonald den Einsatz GMP-haltiger Nahrung für PKU-Patienten
unter bestimmten Bedingungen für sinnvoll, nicht zuletzt wegen des natürlichen Geschmacks,
den ihre Probanden durchweg loben.
Auch der zweite Vortrag beschäftigt sich mit
Phenylketonurie. PD Dr. Peter Burgard und sein Team
am
Stoffwechselzentrum
des
Heidelberger
Universitätsklinikums haben zehn Jahre lang die
Schwangerschaften von PKU-Patientinnen begleitet und
dokumentiert. 80 Prozent dieser Schwangerschaften
sind
geplant
und
durch
eine
frühzeitige
Ernährungsumstellung gut vorbereitet gewesen. Die
Studienergebnisse belegen, dass zwei Drittel der
Frauen, die Monate vor der Konzeption die strenge PKUDiät trainiert haben, während der Schwangerschaft den
empfohlenen Phenylalaninspiegel von 360 µmol/l
erreichen. Ohne Diättraining schaffen es ganze 30
Prozent. Die Forschungsgruppe hat sich auch mit der
Frage beschäftigt, ob PKU-Patientinnen, die ein Kind mit
PKU zur Welt gebracht haben, ebenso teilweise stillen
dürfen wie Mütter ohne PKU. Anhand der Untersuchungsergebnisse können die Mediziner
diese Frage vorbehaltlos bejahen. In der sich anschließenden Diskussion wird ein weiterer
sehr wichtiger Aspekt herausgearbeitet, eine gute Arzt-Patienten-Bindung.
Noch während des Vortrages von Burgard erhebt sich ein Herr in weißem Jackett und begibt
sich zu den Tischen vor der Fensterfront. Leise akustische Signale deuten darauf hin, dass
Chef Neil (Neil Palliser-Bosomworth,
medizinischer Diät-Koch) den ersten
Workshop vorbereitet. Bald ziehen
appetitanregende Düfte durch den
Raum. In der ersten Vortragspause
dürfen
die
Teilnehmer
des
Symposiums seine Low-ProteinKreationen testen. Darunter ZucchiniNudeln, Curry-Gemüse, Pizza, Brot,
Marshmellows … „köstlich“ und
„delicious“ tönt es von allen Seiten.
Chef Neil lächelt und beantwortet
geduldig alle Fragen der Teilnehmer.
Ein paar Schritte entfernt hat Vitaflo
Deutschland einen kleinen Stand aufgebaut.
Dort drängen sich mindestens so viele
Teilnehmer wie um Chef Neils Töpfe. Denn das
Symposium bietet genau den passenden
Rahmen, um Ärzten und Diätassistenten eine
Produktneuheit vorzustellen: SphereTM, der
erste Proteinersatz für die PKU-Diät auf der
Basis von GMP auf dem deutschen Markt. Das
Glykomakropeptid wird aus der Molke
gewonnen, die bei der Herstellung von Käse
anfällt. SphereTM ist (zunächst) in den
Geschmacksrichtungen Vanille und ErdbeerHimbeer erhältlich, beide können verkostet
werden. Wie bei allen neuen Entwicklungen sind die Meinungen geteilt – die einen sind
begeistert von dem frischen, natürlichen Geschmack, die anderen ziehen ihre gewohnten
CoolerTM- oder AirTM-Produkte vor.
Der nächste Vortrag dreht sich um eine noch seltenere Stoffwechselerkrankung
Glutarazidurie. Professor Dr. Stefan Kölker vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin in
Heidelberg berichtet über das Neugeborenen-Screening und den Langzeitverlauf. In
Deutschland ist das Neugeborenenscreening
längst eine Selbstverständlichkeit, der Blick in
andere Länder zeigt, dass das gar nicht so
selbstverständlich ist: Die Auswertung einer
Umfrage unter 39 europäischen Ländern
belegt, das ganze 10(!) einen solchen Test
vornehmen. Wird eine Glutarazidurie durch das
Neugeborenenscreening erkannt und gemäß
den Therapieleitlinien behandelt, u. a. mit
lysinarmer Diät, sinkt das Risiko einer Dystonie
auf sage und schreibe 5 Prozent. Ein Erfolg,
der für Betroffene mit Geld nicht aufzuwiegen
ist. Doch auch unter Wirtschaftlichkeitsaspekten betrachtet zahlt sich der Test auf
Stoffwechselerkrankungen am 3. Lebenstag aus, pro 100.000 gescreenten Kindern ergibt sich
eine Einsparung von mehr als 30.000 Euro.
Professor Dr. Friedrich Trefz, ebenfalls am Universitätsklinikum Heidelberg tätig, kündigt einen
eher trockenen Vortrag an, um dann sehr lebendig darzulegen,
welche Herausforderungen sich mit der Transition von Patienten
mit Stoffwechselerkrankungen beim Übergang von der
pädiatrischen zur adulten Betreuung verbinden. Denn es ist nicht
nur der Patient, sondern auch spezialisiertes Wissen zu
übergeben. Eine Aufgabe, die zunehmend zeitintensiver wird, da
laut wissenschaftlich untersetzter Prognosen nicht nur die Zahl der
Betroffenen steigt, sondern auch die Zahl der Erkrankungen.
Seine grundlegende Forderung: Wir brauchen eine Struktur für die
Transition! Und Ärzte, die mit den immer komplexer werdenden
Behandlungsformen umgehen können. Als Beispiel führt Trefz die
metabolischen Schwangerschaften an. Von der Aufklärung der
Partner über die Einstellung auf die geeignete Diät,
Laborkontrollen und spezielle Untersuchungen bis hin zu sozialAn der Fensterfront beginnt Chef Neil mit den Vorbereitungen für
das Mittagessen, trotz der von dort durch den Saal strömenden
Düfte gehört die Aufmerksamkeit der Teilnehmer zwei Damen auf
der Bühne. Dr. Katharina Dokoupil und Sandra Fleissner, beide arbeiten am Dr. von
Haunerschen Kinderspital in München, stellen ein Beratungstool für Propionazidämie und
Methylmalonazidämie vor. Es
soll
dem
medizinischen
Personal die Gespräche mit
Patienten und betroffenen
Eltern das Verständnis der
Erkrankungen
und
ihrer
Begleiterscheinungen
erleichtern. Als Ringbuch
konzipiert, ist das Tool in
sechs Module gegliedert, so
können
Stoffwechselzentren
den
Inhalt
individualisieren. Aus ihrer langjährigen Erfahrung
schöpfend ist den beiden Autorinnen gelungen, die
komplizierten Sachverhalte in einfache Formulierungen und leicht zu interpretierende Grafiken
zu transponieren, damit Eltern verstehen können, was angesichts des immensen Leidens ihres
Kindes kaum zu verstehen ist. Neben der Erläuterung der Krankheiten und der
unterschiedlichen Therapieansätze enthält der Ordner auch viele Anleitungen für den Alltag
daheim und außer Haus. Wünschenswert sei, so die Rückmeldung aus dem Auditorium, den
Beratungsordner zu übersetzen, beispielsweise ins Türkische.
Nach so viel geistiger Nahrung und der
zugehörigen Lernerfolgskontrolle steht das
leibliche Wohl der Symposiumsteilnehmer auf dem
Programm. Beim Essen wird angeregt diskutiert, so
manche aus Zeitgründen nicht mehr gestellte Frage
jetzt geklärt. In den Fragen, die im Laufe des Tages
aus dem Auditorium an die Referenten gerichtet
werden, geht es häufig um aktuelle Fälle aus der
eigenen Praxis. Ein Zeichen dafür, dass die
Vortragsthemen den Nerv des Publikums getroffen
haben, die wissenschaftlichen ebenso wie die
praxisorientierten.
Der erste Referent des folgenden Themenkomplexes, Professor Dr. Jörg Klepper, Chefarzt
der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin in Aschaffenburg, überrascht mit einem
ungewöhnlichen Einstieg: einem Foto der Band „the ketones“. Denn in seinen Ausführungen
geht es darum, ob die modifizierte Atkins-Diät geeignet ist, die ketogene Diät bei der
Behandlung epileptischer Leiden zu ersetzen. Mehrere Studien sind in den vergangenen
Jahren zu diesem Thema durchgeführt worden, alle kommen zu einem ähnlichen Ergebnis.
Bei Patienten über zwei Jahren kann die modifizierte Atkins-Diät eingesetzt werden, obwohl
die Ketose geringer ist als bei der klassischen ketogenen Diät. Denn zum einen ist nicht die
Höhe der Ketose allein entscheidend und zum anderen hat die modifizierte Atkins-Diät den
Vorteil, besser zu schmecken, was sich positiv auf die Durchhalterate auswirkt. Wichtig ist
allerdings, sie mit Vitaminen und Spurenelementen zu supplementieren.
Dazu passend stellt Sylke Bertram einen Leitfaden zur modifizierten Atkins-Diät vor. Verfasst
hat ihn Susanne Baum aus der Schön Klinik im oberbayerischen Vogtareuth. Nach einer
kurzen Einführung beschreibt die Autorin in eingängigen
Formulierungen die Grundlagen der Diät und ihre Merkmale. Kernstück
des Leitfadens sind Tabellen und Karten mit der Beschreibung vieler
Lebensmittel inklusive der täglich aufzunehmenden Menge für
unterschiedliche Kohlenhydratmengen. Leicht nachzuarbeitende
Rezepte runden das Nachschlagewerk für jeden Tag ab.
Auch Menschen, die sich ketogen ernähren, sind nicht gegen
Krebserkrankungen gefeit. Wie Strahlentherapie und ketogene Diät
korrelieren, das erläutert Dr. Rainer Klement vom Leopoldina
Krankenhaus Schweinfurt. Eine Erkenntnis aus den Untersuchungen
bei Patienten mit Tumoren im Brust-, Darm- und im HNO-Bereich in
Schweinfurt ist, dass die ketogene Diät aufgrund der zellulären
Prozesse die Strahlentherapie unterstützt, indem sie die Repopulation
der Tumorzellen verzögert. Für das gesunde Gewebe senkt sie
dagegen den oxidativen Stress. Gleichzeitig verbessert die ketogene Diät die
Körperzusammensetzung und damit die Lebensqualität der Patienten. Für die Studie hat man
drei Gruppen gebildet, eine erhält lediglich ein ketogenes Frühstück, die zweite ernährt sich
komplett ketogen, die dritte fungiert als Kontrollgruppe.
So spannend der Vortrag auch ist, niemandem im Saal entgeht, dass Chef Neil wieder mit
Töpfen und Schüsselchen hantiert. Jetzt hat er ketogene Speisen zubereitet. Eis, Pudding,
Crêpes & Co. sehen nicht nur lecker aus, sie schmecken auch so. Wieder und wieder nennt
der Diätkoch die Zutaten und beschreibt die Zubereitung. Beim Herumschauen stellt man fest,
dass kaum einer den Saal verlässt – obwohl es Freitagnachmittag ist und das Wochenende
vor der Tür steht. Ganz offensichtlich will man auch die beiden abschließenden Vorträge hören.
Deren Thema ist die Nephrologie. Erster Redner ist Professor Dr. Bernd Hoppe vom
Universitätsklinikum Bonn. Er spricht über Nierensteine und deren diätetische Intervention.
Ausgehend von den Ursachen, die zu Nierensteinen unterschiedlicher
Provenienz führen können, zeigt er, dass die übliche kalziumarme
Ernährung oft kontraproduktiv ist. Sie führt zu einer sekundären
Hyperoxalurie und im Langzeitverlauf zu Kalziummangel. Abhängig
von der konkreten Diagnose ist eher eine proteinreduzierte und
salzarme Ernährung geboten, sie senkt die Häufigkeit des Auftretens
von Nierensteinen deutlich. Hoppe plädiert aus eigener Erfahrung
dafür, eine ausführliche Anamnese der Ernährungsgewohnheiten und
eventuell verabreichter Nahrungsergänzungsmittel durchzuführen, da
die Nierensteinbildung auch darin begründet sein kann.
Zum Abschluss des Tages steht noch ein Vortrag auf dem Programm,
der nicht nur mit hochinteressanten Fakten aufwartet, sondern auch eine
emotionale Komponente hat. Elke Tschorn, Diätassistentin am
Universitätsklinikum Münster, berichtet über zwei Schwestern, die an
Methylmalonazidämie erkrankt sind und außerdem an chronischer
Niereninsuffizienz leiden. Diesen beiden Hauptdiagnosen folgt jeweils
eine lange Liste weiterer Diagnosen und eine noch längere Liste mit
Symptomen. Bei einem der Mädchen entscheidet man sich im Alter von
12 Jahren nach eingehender Überlegung für die Hämodialyse, obwohl
die glomeruläre Filtrationsrate sich noch im Stadium G4 befindet, auch
die Schwester wird inzwischen dialysiert. Parallel dazu erhalten beide eine Grundernährung
über Sondierung, die ergänzt wird durch eine geringe Aufnahme natürlicher Lebensmittel.
Dabei ist zu beachten, dass bei Kalium und Phosphaten die Grenzwerte nicht überschritten
werden, um eine Hyperkaliämie oder Hyperphosphatämie zu vermeiden. Der Kaliumgehalt von
Gemüse und Kartoffeln lässt sich u. a. über mehrstündiges Wässern reduzieren, der
Phosphatgehalt des Blutes lässt sich ggf. durch Phosphatbinder reduzieren. Außerdem
müssen die Patienten viel Flüssigkeit aufnehmen. Tschorn empfiehlt, anders als in den DACHReferenzwerten angegeben, mindestens einen Milliliter je Kilokalorie.
Nach der Lernerfolgskontrolle zu den nachmittäglichen Vorträgen fasst Vitaflo-Geschäftsführer
David Jobse den Tag noch einmal zusammen und dankt den Moderatoren, Referenten und
Chef Neil für ihren engagierten Einsatz sowie den Organisatorinnen für die professionelle
Vorbereitung des Symposiums. Außergewöhnlich für eine Veranstaltung am Freitag: Einige
der Teilnehmer führen die in den Pausen begonnenen Diskussionen nach dem offiziellen Ende
weiter. Auf dem Weg zum Bahnhof gibt es dann das erste Resümee. Viele interessante
Informationen zu neuen therapeutischen Ansätzen, Tipps, Hinweise und anschauliche
Anleitungen für medizinisches Personal und Betroffene, die den Berufsalltag erleichtern
werden und köstliche Rezepte zum Nachkochen oder kurz – ein Tag, der sich gelohnt hat.
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