Antidementiva gegen den schleichenden Abbau

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Alzheimer­Demenz
Antidementiva gegen den schleichenden
Abbau
Von Hans­Dieter Schweiger
Eine Demenz ist eine dramatische Erkrankung für den betroffenen Menschen
und sein Umfeld. Gedächtnis, Alltagsfähigkeiten und Persönlichkeit
schwinden allmählich. Medikamente bilden einen wesentlichen Pfeiler im
Gesamttherapiekonzept, aber auch sie können den schleichenden Verfall nur
begrenzte Zeit aufhalten oder verlangsamen.
Die Lebenserwartung der Bevölkerung steigt, und damit nehmen auch altersbedingte Erkrankungen zu. Zu
den größten Herausforderungen zählen die demenziellen Erkrankungen. Die Prävalenz liegt bei 65­ bis 70­
Jährigen bei 3 bis 5 Prozent und verdoppelt sich etwa alle fünf Jahre. Von den Über­90­Jährigen leiden
mehr als 30 Prozent an einer mittelschweren oder schweren Demenz. In Deutschland sind zurzeit rund 1,1
Millionen Menschen erkrankt und bis 2040 wird sich ihre Zahl verdoppeln. Was dies für die Menschen und
ihre Angehörigen sowie die Gesellschaft bedeutet, ist in der Apotheke täglich erlebbar.
Als Demenz wird eine chronische, meist progressive Fehlfunktion des Gehirns bezeichnet, die zur
Verschlechterung des Gedächtnisses und anderer kognitiver Funktionen, zur Beeinträchtigung der
Aktivitäten des täglichen Lebens und zu wechselnden begleitenden psychopathologischen Symptomen
führt. Die Erkrankung ist progredient und mit einer erhöhten Mortalität verbunden. Die wichtigsten Formen
sind Morbus Alzheimer, Demenz mit Lewy­Körperchen oder bei Morbus Parkinson sowie vaskuläre,
frontotemporale und reversible Demenzen. Am häufigsten ist mit rund 60 Prozent die Alzheimer­Demenz.
Wegen der multifaktoriellen Genese sind Mischformen sehr häufig, wobei eine Alzheimer­Demenz meist
mitbeteiligt ist.
Das Syndrom ist gekennzeichnet durch Störungen in mehreren Bereichen wie Gedächtnis, Denkvermögen
und emotionale Kontrolle. Während speziell die Alzheimer­Demenz zuerst wegen kognitiver Symptome
auffällt, bestimmen die Verluste der alltagspraktischen Fähigkeiten den Pflegeaufwand. Neben der
kognitiven Störung belasten vor allem die nicht­kognitiven psychopathologischen Symptome und
Verhaltensauffälligkeiten die Patienten, Angehörigen und Pflegepersonen. Mit fortschreitender Erkrankung
treten die Verhaltensstörungen immer stärker in den Vordergrund; bei schwerer Demenz sind sie neben
den körperlichen Krankheitszeichen oft die wesentlichen Ziele der Behandlung.
Realistische Therapieziele
Die Behandlungsmöglichkeiten betreffen die biologische, psychologische und soziale Ebene und
interagieren sehr stark:
Aktivitäten zur Aufrechterhaltung und Förderung körperlicher und geistiger Gesundheit und Koordination der
Zusammenarbeit zwischen Therapeuten, Familienangehörigen und Pflegenden;
Einsatz von Antidementiva;
nicht­medikamentöse Strategien und Psychopharmaka zur Behandlung von psychopathologischen Symptomen
nicht­medikamentöse Strategien und Psychopharmaka zur Behandlung von psychopathologischen Symptomen
und Verhaltensstörungen (nicht­kognitive Symptomatik).
Da eine Demenz schleichend voranschreitet, wird die Diagnose meist erst spät gestellt. Die Behandlung
folgt immer einem umfassenden Konzept, das sich am Krankheitsstadium orientiert und die Angehörigen
stark einbezieht. Es gilt, noch erhaltene Aktivitäten zu fördern und Überforderung in eingeschränkten
Leistungsbereichen zu vermeiden. Die Arzneitherapie hat in diesem Gesamtkontext ihren festen Platz.
Bislang sind weder eine kausale Behandlung noch eine Heilung möglich. Die aktuelle Therapie zielt ab auf:
Stillstand oder Verlangsamung der Progression,
Verbesserung der Symptomatik (im kognitiven und nicht­kognitiven Bereich),
möglichst langer Erhalt der vorhandenen Fähigkeiten,
Erleichterung der Pflege und
möglichst langen Verbleib in der vertrauten Umgebung.
Therapieeffekte werden mit Tests erfasst, die auch bei den klinischen Prüfungen der Pharmaka
Anwendung finden, zum Beispiel mit Mini­Mental­State­Examination (MMSE) oder der kognitiven Subskala
der Alzheimer's Disease Assessment Scale (ADAS­cog).
Wirkweise der Antidementiva
Antidementiva und Nootropika sind Arzneimittel, die Hirnfunktionen wie Gedächtnis, Lernen, Auffassungs­,
Denk­ und Konzentrationsfähigkeit verbessern sollen. Unter Antidementiva versteht man Substanzen, die in
der Indikation Alzheimer­Demenz geprüft wurden, zum Beispiel Cholinesterase­(ChE­)­Hemmer und
Memantin.
Nootropika wie Piracetam und Pyritinol sind Substanzen mit typischen vigilanzsteigernden Effekten. Die
meisten wurden auch bei vaskulären Störungen geprüft. Die Wirksamkeit bei vaskulärer und bei Alzheimer­
Demenz war häufig vergleichbar, jedoch ohne zwischen den Erkrankungen zu differenzieren. Ferner
wurden Nootropika meist bei der weiter gefassten Indikation »hirnorganisches Psychosyndrom« oder
»Hirnleistungsstörungen« untersucht und nicht bei der enger definierten Diagnose »Demenz«.
Tabelle 1: Zulassungsstatus gemäß Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
Status Arzneistoffe positiv monografiert
oder zugelassen Dihydroergotoxin, Donepezil, Galantamin, Ginkgo­Extrakt, Memantin, Nicergolin, Nimodipin,
Piracetam, Pyritinol, Rivastigmin, Tacrin (a. H.) negativ monografiert
Bencyclan (a. H.), Cinnarizin (a. H.), Cyclandelat, Meclofenoxat (a. H.), Moxaverin,
Nicotinsäurederivate, Organpräparate, Vincamin (a. H.), Vinpocetin (a. H.) Neben den pflanzlichen Ginkgo­Extrakten gibt es viele chemisch und pharmakologisch verschiedene
Einzelstoffe (siehe Tabelle 1). Den spezifischen pharmakologischen Wirkmechanismen der Antidementiva
mit Beeinflussung des cholinergen (Acetylcholinesterase­Hemmer) oder glutamatergen Transmittersystems
(Memantin) stehen bei den Nootropika mehr unspezifische Wirkansätze gegenüber, zum Beispiel
Eindämmung lokaler Entzündungsreaktionen, Steigerung des neuronalen Stoffwechsels oder Abfangen
freier Sauerstoffradikale.
Über Kriterien für den Nachweis der Wirksamkeit wurde und wird viel diskutiert. In der Richtlinie der EU
werden als Hauptziel symptomatische Besserung, Progressionsverzögerung und Primärprävention der
Krankheit im präsymptomatischen Stadium genannt. Eine symptomatische Besserung wird in drei
Beobachtungsebenen (kognitive Endpunkte, Aktivitäten des täglichen Lebens, globale ärztliche Beurteilung)
Beobachtungsebenen (kognitive Endpunkte, Aktivitäten des täglichen Lebens, globale ärztliche Beurteilung)
nachgewiesen. Klinische Studien sollen signifikante Unterschiede in mindestens zwei primären Variablen
zeigen.
Den Demenzen liegen unterschiedliche pathobiochemische Prozesse zugrunde. Die derzeit führende
Hypothese besagt, dass Ablagerungen des β­Amyloid­Peptids eine zentrale Rolle spielen. Folgen sind die
Bildung von Neurofibrillenbündeln, Lipidperoxidation, glutamaterge Exotoxizität, Entzündung und
Aktivierung der Apoptosekaskade. Zelluläre Dysfunktion und Zelltod stören die Neurotransmission
dauerhaft.
Besondere Bedeutung hat die Hypothese des cholinergen Defizits, die bereits vor 30 Jahren aufgestellt
wurde. Auffällig sind die Abnahme der cholinergen Neuronen im basalen Vorderhirn, vor allem im Nucleus
basalis Meynert, und der Verlust cholinerger Axone im Cortex. Diese Hirnareale sind mit Lernen,
Gedächtnis, Funktionssteuerung, Verhalten und emotionalen Reaktionen assoziiert. Bedeutsam ist auch
der Verlust an nicotinischen Acetylcholinrezeptoren (nAChR). Cholinesterase­Hemmstoffe sollen die
Acetylcholin­(ACh­)Konzentrationen im synaptischen Spalt erhöhen, damit kognitive Leistungen verbessern
und das Verhalten stabilisieren.
Eine wichtige Rolle spielt auch die pathologisch erhöhte Glutamatkonzentration, zum Beispiel durch
Hypoxie, im synaptischen Spalt. Glutamat, der wichtigste erregende Neurotransmitter, trägt entscheidend
zur Demenz­Entstehung und ­Progression bei. Durch die exzessive Freisetzung werden Glutamat­
gesteuerte Ionenkanäle wie der mit dem NMDA­(N­Methyl­D­Aspartat)­Rezeptor assoziierte Calciumkanal
geöffnet. Ein anhaltend erhöhter Calcium­Einstrom führt zu einer Störung der intrazellulären Calcium­
Homöostase, zu Funktionsverlust und Untergang des Neurons. Eine Modulation durch den NMDA­
Rezeptorantagonisten Memantin ist daher ein weiterer therapeutischer Ansatz. Die Medikamente werden in
unterschiedlichen Krankheitsphasen eingesetzt (siehe Abbildung).
ACh­Defizit ausgleichen
Nach Freisetzung aus dem präsynaptischen Neuron diffundiert der Botenstoff Acetylcholin (ACh) zu seinen
Zielorten, den muscarinischen (mAChR) und nicotinischen Acetylcholin­Rezeptoren (nAChR) und bewirkt
deren Aktivierung. Diese wird durch Dissoziation von ACh wieder aufgehoben. Die Menge des verfügbaren
Transmitters wird durch die Aktivität des Enzyms Acetylcholinesterase (AChE) bestimmt, das Acetylcholin
zu Cholin und Acetat spaltet. Eine Inhibition der AChE erhöht die ACh­Konzentration im synaptischen Spalt
und verstärkt damit die Aktivierung der Acetylcholin­Rezeptoren. Alle zugelassenen AChE­Inhibitoren
(AChE­I) folgen diesem Wirkmechanismus; sie unterscheiden sich aber in ihrer Pharmakokinetik (siehe
Tabelle 2).
Stadien­ und symptomgerechter Einsatz von Antidementiva und Psychopharmaka bei Patienten
mit Alzheimer­Demenz
Mit Tacrin, dem ersten AChE­I, konnten die kognitiven Leistungen zwar verbessert werden, allerdings
stiegen bei etwa der Hälfte der Patienten die Transaminasen erheblich an. Die Hepatotoxizität führte häufig
zum Abbruch der Therapie. Kaum einzuhalten war die viermal tägliche Applikation. Tacrin wurde deshalb
von neueren Substanzen abgelöst.
Die Zulassung von Donepezil, dem ersten AChE­Hemmer der zweiten Generation, erfolgte 1997 und
beruhte auf den Ergebnissen einer Phase­II­ und zweier Phase­III­Studien an über 1100 Patienten
(Beispiel: Aricept®). Donepezil ist ein selektiver reversibler Inhibitor der AChE. Mit der üblichen Dosierung
von 10 mg/d wird im Mittel eine 77­prozentige Enzymhemmung erreicht. In neueren Studien konnte auch
die Wirksamkeit bei schwerer Alzheimer­Demenz nachgewiesen werden.
Rivastigmin (1998 zugelassen; Beispiel: Exelon®) ist ein Derivat des Physostigmins und wirkt als
»pseudoirreversibler« Inhibitor. Es hemmt auch die Butyrylcholinesterase (BuChE), die ebenfalls zur
Hydrolyse von ACh beiträgt. Das AChE­Enzym wird nur langsam wieder regeneriert, sodass trotz kurzer
Halbwertszeit (2 h) vermutlich eine etwa zehnstündige Hemmung im Gehirn erreicht wird. Die Wirksamkeit
wurde in doppelblinden, placebokontrollierten Studien belegt. Auch bei Demenz mit Lewy­Körperchen und
der Parkinson­Demenz ist Rivastigmin wirksam. Seit 2007 ist ein transdermales therapeutisches System als
innovative Arzneiform im Handel.
Galantamin, ein Alkaloid des Schneeglöckchens (Galanthus nivalis), wird mittlerweile auch synthetisch
hergestellt und ist seit 2000 als Reminyl® zur Behandlung der AD zugelassen. Neben der AChE­Hemmung
steht der frühzeitig einsetzende Verlust an nicotinischen Acetylcholin­Rezeptoren, der eng mit dem Verlust
an kognitiver Hirnleistung korreliert, im Fokus der Therapie. Galantamin sensibilisiert nAChR für den
Botenstoff und steigert neben den Reizantworten auch die Transmitterausschüttung. Klinische Effekte
wurden nachgewiesen für kognitive Leistungsfähigkeit, ärztliches Globalurteil, Alltagsaktivitäten und nicht­
kognitive Symptome.
Vergleichbar gut wirksam
Ein moderater klinischer Nutzen konnte für alle Substanzen in vergleichbarem Ausmaß nachgewiesen
werden, insbesondere Verbesserung des klinischen Gesamteindrucks, Verzögerung des Verlusts an
kognitiven Fähigkeiten, Zunahme der Alltagskompetenz und teilweise Reduktion von
Verhaltensauffälligkeiten. Auch die Nebenwirkungen sind prinzipiell gleich. Individuelle Auswahlkriterien sind
Wechselwirkungen, Dosierungsschemata und Darreichungsformen. Flüssige Darreichungsformen und TTS
sind nützlich für Patienten mit Schluckstörungen (siehe Tabelle 2).
Da Donepezil und Galantamin über das Cytochrom­P450­System (CYP2D6, CYP3A4) metabolisiert
werden, ergeben sich mögliche Interaktionen mit anderen Pharmaka. Rivastigmin dagegen zeigt keine
Wechselwirkungen im CYP­System. Alle Substanzen wechselwirken mit Anticholinergika und
Cholinomimetika. Die Kombination mit Betablockern und Digoxin kann zur Abnahme der Herzfrequenz
führen.
Donepezil wird über die Leber, Galantamin und Rivastigmin über die Niere ausgeschieden; dies muss bei
Patienten mit Leber­ oder Niereninsuffizienz beachtet werden.
Pluspunkt Einmalgabe
Die für die Compliance so wichtige Einmalgabe ist bei allen Substanzen möglich, bei Donepezil aufgrund
der langen Halbwertszeit, bei Galantamin mit der Retardgalenik und bei Rivastigmin mit dem transdermalen
Pflaster (peroral zweimal täglich). Ebenfalls günstig sind ein möglichst einfaches Dosierungsschema und
schnelles Erreichen der Erhaltungsdosis. Bei Donepezil nehmen die Patienten mindestens einen Monat
lang einmal täglich 5 mg (bereits wirksame Dosis), dann erfolgt Umstellung auf die Erhaltungsdosis von 10
mg/d.
Die perorale Gabe von Rivastigmin erfordert ein langwieriges Aufdosieren: einschleichend mit zweimal 1,5
mg/d für mindestens zwei Wochen; bei guter Verträglichkeit Dosisverdoppelung; bei weiter guter
Verträglichkeit nochmalige Steigerung auf zweimal 4,5 und dann 6 mg/d, wobei die Abstände mindestens
zwei Wochen betragen sollten. Für eine optimale Therapie sollten die Patienten die höchste, noch gut
verträgliche Dosis erhalten (empfohlen 12 mg/d). Bei der Steigerung von 6 auf 12 mg steigen sowohl der
Effekt deutlich als auch die Abbruchraten wegen Nebenwirkungen. Mit dem Pflaster ist die Therapie bei
besserer Verträglichkeit und Wirksamkeit viel einfacher: Startdosis einmal 4,6 mg pro 24 h über vier
Wochen, danach Umstellung auf die Zieldosis von einmal 9,5 mg pro 24 h.
Galantamin wird anfänglich mit 8 mg pro Tag über vier Wochen dosiert, dann folgt die Erhaltungsdosis von
16 mg/d für weitere vier Wochen. Bei Bedarf kann auf 24 mg/d erhöht werden.
Den Glutamat­Ansturm bremsen
Die physiologische, kurzzeitige Glutamat­Freisetzung ist Grundlage für Lernprozesse und
Gedächtnisbildung. Chronisch erhöhte Freisetzung führt dagegen zu einer gestörten Neurotransmission, zu
lang andauerndem Calcium­Einstrom und über die Aktivierung kataboler Prozesse zur neurotoxischen
Wirkung mit Untergang von Neuronen. Diese Vorgänge scheinen durch den NMDA­Subtyp des
Glutamatrezeptors vermittelt zu werden. Substanzen, die der neurotoxischen Wirkung des
Neurotransmitters entgegenwirken, dürfen dies allerdings nur bei hoher extrazellulärer
Glutamatkonzentration bewirken, ohne die physiologische glutamaterge Neurotransmission zu
beeinflussen.
Memantin, ein Adamantan­Derivat, ist ein selektiver nicht­kompetitiver NMDA­Rezeptorantagonist und soll
bei pathologisch erhöhter Glutamatfreisetzung durch Blockade des Rezeptors neuroprotektiv wirken.
Früher wurde der Stoff mit der Indikation »leichte und mittelschwere Hirnleistungsstörungen« als Akatinol®
Memantin vermarktet. Seit 2002 ist Memantin für die Behandlung der mittelschweren bis schweren AD
zugelassen (Beispiel: Ebixa®, Axura®). Unter der Therapie verbessern sich der klinische Gesamteindruck
sowie die Alltagsfähigkeiten, weniger die kognitive Leistungsfähigkeit, die bei dem Schweregrad der
Demenz ohnehin nur schwer zu prüfen ist.
Tabelle 2: Pharmakologische Eigenschaften der Acetylcholinesterase­Hemmer und Memantin
Parameter Donepezil Rivastigmin
Galantamin Memantin Tagesdosis
(mg) 5­10 6­12 16­24 20 Applikation/Tag
1 x 2 x p.o. oder
1 x (TTS) 1 x (retard) 1­2 x p.o. Arzneiformen Tabl., Schmelztabl. Kps.,
Lösung,
Hartkps.,
Lösung Tbl., Tropfen Lösung,
TTS Lösung AChE­
Hemmung ja ja ja nein BuChE­
Hemmung unwesentlich ja unwesentlich
nein Bindung am
nACh­R nein ja nein nein anderer
Mechanismus NMDA­Antagonismus,
antioxidativ Nahrung
beeinflusst
Absorption nein ja ja nein Plasma­HWZ
(h) 70­80 2 7­8 60­100 Proteinbindung
(Prozent) 96 40 10­20 45 Metabolisierung/
Ausscheidung Leber Niere hauptsächlich fast 100 Prozent renal Niere Cytochrom­
P450­System ja (CYP2D6 und ­3A4) nein ja (CYP2D6
und ­3A4) nein Indikation zur symptomatischen Behandlung
leichter bis mittelgradiger AD siehe
Donepezil siehe
Donepezil moderate bis schwere AD Verwirrtheit,
Halluzinationen, Schwindel,
Kopfschmerzen, Müdigkeit Nebenwirkungen ähnlich bei allen Substanzen:
Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö,
Bradykardie Memantin ist relativ gut verträglich (siehe Tabelle 2); in Einzelfällen können Krampfanfälle auftreten. Es
kommt zur Wirkungsverstärkung von L­Dopa, dopaminergen Agonisten und Anticholinergika und zur
Abschwächung von Neuroleptika.
Auch dieser Wirkstoff muss einschleichend dosiert werden: Beginnend mit 5 mg/d wird um 5 mg pro Woche
in den ersten drei Wochen erhöht. Ab der 4. Woche soll der Patient die Erhaltungsdosis von 20 mg
schlucken (Starterpackung). Seit 1. Juli 2008 ist auch die Einmalgabe zugelassen.
Ginkgo und andere Nootropika
Nootropika wurden vor allem in den 1970er­ und 1980er­Jahren entwickelt. Seitdem haben sich die
pathophysiologischen und diagnostischen Konzepte der Demenz sowie die Methoden zur Evaluation
entscheidend gewandelt. In zahlreichen Studien, die jedoch nicht mehr den heutigen Anforderungen
entsprechen, wurden Wirkungen bei Lern­ und Gedächtnisschwäche nachgewiesen. Doch auch neuere
klinische Untersuchungen bestätigen bis zu einem gewissen Grad antidementive Wirkungen. Experimentell
wurden Wirkungen auf den zerebralen Energiestoffwechsel und die Durchblutung nachgewiesen. Die
uneinheitlichen Indikationen machen eine vergleichende Bewertung dieser in Deutschland nach wie vor
häufig eingesetzten Substanzen sehr schwierig. Dies sollte jedoch nicht zu deren Ausschluss führen,
sondern ihren Einsatz als weniger evidenzbasiert präzisieren.
Das in der Praxis wichtigste Medikament dieser Gruppe ist Ginkgo biloba. Die Daten beziehen sich
ausschließlich auf standardisierte Extrakte (EGb761®, LI1370) aus den Blättern. Diese werden in einem
hochtechnisierten vielstufigen Extraktionsverfahren hergestellt, wobei pharmakologisch relevante
Inhaltsstoffe wie Ginkgoflavonglykoside und Terpenlactone angereichert und unerwünschte Stoffe wie
Inhaltsstoffe wie Ginkgoflavonglykoside und Terpenlactone angereichert und unerwünschte Stoffe wie
Ginkgolsäuren abgereichert werden.
Das Wirkprofil umfasst Radikalfängereigenschaften, neuroprotektive Effekte und Wirkungen auf Defizite der
Neurotransmission. Diskutiert werden eine Hemmung der altersbedingten Reduktion von Muscarin­ und α 2­
Adrenorezeptoren, eine Erhöhung der Cholinaufnahme sowie eine Verbesserung der Fließeigenschaften
des Blutes. Die Indikation umfasst die symptomatische Behandlung von hirnorganischen
Leistungsstörungen bei demenziellen Syndromen mit der Leitsymptomatik Gedächtnis­ und
Konzentrationsstörungen, Schwindel, Ohrensausen und Kopfschmerzen. Nebenwirkungen sind leichte
Magen­Darm­Beschwerden, Kopfschmerzen und allergische Hautreaktionen.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kommt in seinem Vorbericht
(02/2008) zur »Nutzenbewertung von ginkgohaltigen Präparaten bei Alzheimer­Demenz« zu folgendem
Ergebnis: Bei »Aktivitäten des täglichen Lebens« und dem Unterpunkt »Depression« der
»psychopathologischen Begleiterkrankungen« gebe es eine Tendenz zugunsten von Ginkgo, bei Kognition
ein uneinheitliches Ergebnis. Die Heterogenität der Datenlage lasse keine generelle Aussage zum Nutzen
zu, weitere Studien seien nötig. Die Daten zu Nebenwirkungen würden keinen Hinweis auf einen im
Vergleich zu Placebo durch Ginkgo verursachten Schaden ergeben.
Der Bericht bezieht sich nur auf die Alzheimer­Demenz und nicht auf die Wirksamkeit bei vaskulärer
Demenz, auf Konzentration, Gedächtnisleistung und Stresstoleranz sowie protektive Wirkung bei
Vorstadien der Demenz und bei Gesunden, wofür aus vielen Studien Nachweise vorliegen. Aus diesen
Befunden lässt sich jedoch ein Stellenwert für Ginkgo bei Vorstadien und leichteren Beeinträchtigungen für
die Selbstmedikation ableiten.
Weitere zugelassene Nootropika sind der Calciumantagonist Nimodipin, die Mutterkornalkaloid­Derivate
Dihydroergotoxin(­mesilat) und Nicergolin, Piracetam und das Pyridoxinderivat Pyritinol. Die Wirksamkeit
bei Demenz wird kontrovers diskutiert, zumal die vorliegenden Studien veraltet sind.
Leitlinien und IQWiG­Position
In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland und weltweit zahlreiche Leitlinien zur Diagnostik und
Therapie demenzieller Erkrankungen publiziert. Sie sollen Ärzte und Patienten bei der Entscheidung über
angemessene, möglichst evidenzbasierte Maßnahmen unterstützen. Stellvertretend seien einige wichtige
Empfehlungen aus der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) 2005 (www.dgn.org)
zitiert:
Eine Dauerbehandlung mit AChE­Inhibitoren ist Therapie der ersten Wahl bei leichter bis mittelschwerer
Alzheimer­Erkrankung; Memantin ist evidenzbasierte Therapie der mittelschweren bis schweren Erkrankung.
Kommt es in schweren Stadien zu einer stufenweisen Symptomprogression und es findet sich keine andere
Erkrankung als Erklärung, sollte ein Wechsel innerhalb der Substanzklasse oder zwischen den Substanzklassen
erwogen werden.
Der Nutzen der AChE­I ist umso größer, je früher die Therapie beginnt. Jeder Patient sollte auf die maximal
verträgliche Dosis eingestellt werden. Falsch ist eine zu niedrige Dosierung, da für alle Substanzen ein
dosisabhängiger Effekt beschrieben wurde.
Hinweise auf eine günstige Wirkung der Kombination von Memantin und AChE­I bei mittelschwerer bis schwerer
Alzheimer­Demenz müssen in weiteren Studien bestätigt werden. Eine Zulassung liegt in Deutschland nicht vor,
auch wenn in Studien an fortgeschritten Erkrankten ein zusätzlicher Nutzen festgestellt wurde.
Weitere wichtige Aspekte liefert ein im Februar 2007 veröffentlichter Abschlussbericht des IQWiG
»Cholinesterasehemmer bei Alzheimer­Demenz« (www.iqwig.de). Das Institut kommt zusammenfassend
zu dem Schluss, dass alle drei Substanzen positive Effekte auf Aktivitäten des täglichen Lebens und die
kognitive Leistungsfähigkeit zeigen. Es beschränkt diese Aussage nicht auf bestimmte
kognitive Leistungsfähigkeit zeigen. Es beschränkt diese Aussage nicht auf bestimmte
Erkrankungsschweregrade und eine Therapiedauer, wobei bemerkt wird, dass die Daten im Wesentlichen
auf Sechs­Monats­Studien basieren. Bemängelt wird, dass zu allen anderen patientenrelevanten
Endpunkten kaum Daten vorliegen. Für die Ärzte, die Demenzpatienten betreuen, ist der IQWiG­Bericht
positiv zu werten, da hier ein unabhängiges Institut, das im direkten Auftrag des gemeinsamen
Bundesausschusses arbeitet, den patientenrelevanten Nutzen der Behandlung bestätigt. Der Nutzen von
Memantin ist laut Vorbericht des IQWiG von vergangener Woche nicht belegt (siehe dazu IQWiG: Nutzen
von Memantin nicht belegt, PZ 34/2008).
Verhaltensprobleme im Fokus
Vor allem in fortgeschrittenen Stadien entwickeln Demenzpatienten oftmals nicht­kognitive Störungen
(Verhaltensstörungen), die sie selbst und das Umfeld enorm belasten. Psychopharmaka werden
eingesetzt, wenn nicht­medikamentöse Therapien und Antidementiva keinen ausreichenden Erfolg bringen.
Dies ist vor allem der Fall, wenn Unruhe, Wahn, Halluzinationen, Angst, Schlafstörungen oder Depression
den Patienten quälen. Besonders belastend für die Pflegepersonen sind Aggressivität und die Umkehr des
Tag­Nacht­Rhythmus. Grundsätzlich sollte man (außer bei Depression) nur in schweren Fällen
pharmakologisch intervenieren. Zu beachten ist, dass ein Mensch auch unabhängig von der Demenz an
einer psychiatrischen Erkrankung leiden kann und dann selbstverständlich eine Therapie braucht.
In einer Metaanalyse zeigte sich, dass Antidementiva auch nicht­kognitive Störungen günstig beeinflussen
können. Die Studienlage zum Nutzen von Neuroleptika und Antidepressiva ist unbefriedigend, da die
Zulassungsstudien jüngere schizophrene oder depressive Patienten einschlossen, aber nicht ältere
Demenzpatienten. Es ist daher unumgänglich, die Arzneimittel auf der Basis breiter klinischer Erfahrung
einzusetzen.
Zur Pharmakotherapie von psychotischen Symptomen und Aggressivität kommen vor allem niedrig dosierte
Neuroleptika infrage. Generell sind ältere Patienten empfindlicher gegenüber extrapyramidal­motorischen
Störungen (EPMS), orthostatischer Hypotension, anticholinergen und kardiovaskulären Nebenwirkungen.
Weiter zu beachten sind Somnolenz, Sedierung, Blutzuckeranstieg und QTc­Veränderungen. Die Auswahl
des Neuroleptikums wird daher wesentlich durch das Nebenwirkungsprofil bestimmt.
In Deutschland hat nur Risperidon eine formale Zulassung bei Demenz. Daher ist es die Substanz der
ersten Wahl, allerdings mit deutlichen Einschränkungen durch das zerebrovaskuläre Risiko (erhöhte
Schlaganfall­ und Sterberate), was jedoch auch für andere Neuroleptika gilt. Clozapin hat trotz seiner
anticholinergen Nebenwirkungen und des Agranulozytose­Risikos besondere Bedeutung bei Patienten mit
Parkinsonsymptomatik. Haloperidol ist aufgrund der inkonsistenten Datenlage und des deutlichen EPMS­
Risikos nicht erste Wahl. Für Melperon und Pipamperon spricht ein geringes EPMS­ und Orthostaserisiko,
fehlende anticholinerge Nebenwirkungen und geringe Kosten. Zur Wirksamkeit bei Demenz liegen zwar
keine Studien, aber durchaus positive klinische Erfahrungen vor.
Tabelle 3: Nebenwirkungen von Antidepressiva (nach Schmauss, Messer)
0: nicht vorhanden, (+): fraglich, +: leicht, ++: mäßig, +++: stark
Wirkstoff
oder
Gruppe Delir zerebrale Sedation
Anfälle Orthostase Serotonin­ Gewichtszunahme Kardiotoxizität Syndrom Trizyklika ++/+++
+ ++/+++ ++/+++ + +++ +++ SSRI 0 0 0 (+) ++ 0/+ 0 Mirtazapin 0 0 +/++ 0/+ 0 ++ 0 Venlafaxin 0 0 0 Hypertension +/++ 0/+ 0 Reboxetin 0 0 0/+ +/++ 0 0 0 Reboxetin 0 Moclobemid 0 0 0/+ +/++ 0 0 0 (+) 0 (+) 0 0 0 Rund ein Drittel aller dementen Patienten wird depressiv. Schwere Depressionen erfordern den Einsatz von
Antidepressiva in Kombination mit psychotherapeutischen und psychosozialen Strategien. Wegen der
insgesamt unzureichenden und widersprüchlichen Studienlage sollte sich die Substanzauswahl am
Nebenwirkungsprofil und an der Pharmakokinetik orientieren (siehe Tabelle 3). Selektive Serotonin­
Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind Mittel der ersten Wahl. Ebenso geeignet sind neuere Antidepressiva
wie Mirtazapin, Reboxetin, Venlafaxin und Moclobemid. Da ältere Menschen häufiger zu orthostatischer
Hypotension neigen und empfindlicher für anticholinerge Nebenwirkungen sind (Harnverhalt, Obstipation
bis hin zum anticholinergen Syndrom, Blasen­Darm­Atonie, Glaukom), sollten klassische Tri­ oder
Tetrazyklika (außer Nortriptylin und Trimipramin, wenn Sedierung erwünscht ist) wegen ihrer
anticholinergen Nebenwirkungen und kardialen Risiken vermieden werden.
Bei Schlafstörungen und Unruhezuständen sollten Medikamente erst in zweiter Linie zum Einsatz kommen.
Vorrangig sind schlafhygienische Maßnahmen und ein stabiler Tagesrhythmus mit ausreichender
körperlicher Aktivierung. Wegen des Abhängigkeitspotenzials und Nebenwirkungen wie Verwirrtheit,
kognitiven Störungen und erhöhter Sturzgefahr sollten nur Benzodiazepine mit kürzerer Halbwertszeit und
ohne wirksame Metaboliten über sehr kurze Zeit verabreicht werden; Beispiele sind Lorazepam, Oxazepam
und Temazepam. Ebenfalls geeignet sind Zolpidem und Zopiclon. Niedrig dosierte sedierende Neuroleptika
(Melperon, Pipamperon) und sedierende Antidepressiva (Trimipramin, Mirtazapin) haben ebenfalls einen
wichtigen Stellenwert.
Zukünftige Therapieoptionen
Die Behandlung der Demenz befindet sich gegenwärtig im Übergang zwischen herkömmlichen,
symptomatisch wirksamen Medikamenten und neuen pharmakologischen Strategien. Diese zielen darauf
ab, den Nervenzelluntergang zu verlangsamen oder aufzuhalten. Neue Wirkstoffe sollen unter anderem die
β­ oder γ­Sekretasen hemmen oder die Aggregation des Aβ 1­42­Proteins unterbinden. Auch die aktive
oder passive Immunisierung gegen die Aβ 1­42­Aggregation wird erprobt.
Trotz aller Fortschritte in der Therapie der Demenz sind die bisherigen Erfolge eher bescheiden. Die Zahl
der Non­Responder ist hoch, die Wirkung der Arzneistoffe symptomatisch. Sie können das Fortschreiten
der Erkrankung im Sinne einer Parallelverschiebung nur verlangsamen, nicht aufhalten. Dennoch ist es
angesichts der Schwere der Erkrankung und ihrer sozioökonomischen Bedeutung geboten, auch kleinere
Verbesserungen und Erleichterungen anzustreben. Dazu stehen zahlreiche Präparate zur Behandlung der
kognitiven wie der nicht­kognitiven Störungen zur Verfügung. Die Apotheke leistet durch Beratung und
Pharmazeutische Betreuung im Netz aller Beteiligten einen wertvollen Beitrag.
Literatur beim Verfasser
Der Autor
Hans­Dieter Schweiger studierte Pharmazie an der LMU München. Nach der Approbation und der
Promotion in pharmazeutischer Chemie war er mehrere Jahre als wissenschaftlicher Assistent tätig, bevor
er 1975 an die Apotheke des Isar­Amper­Klinikums, Klinikum München­Ost (Bezirkskrankenhauses Haar)
wechselte, die er seit 1984 leitet. Seit 2004 leitet Dr. Schweiger zudem den gesamten Einkaufsbereich des
Klinikums. Er ist Fachapotheker für Klinische Pharmazie und für Arzneimittelinformation sowie seit 2002
Vorsitzender des Prüfungsausschusses für Klinische Pharmazie bei der Bayerischen
Landesapothekerkammer. Die Kollegen kennen ihn als Referent und Autor, vor allem zu den Themen
Psychopharmaka und Blutspiegelbestimmungen. Dr. Schweiger hat langjährige Erfahrungen als Dozent an
Krankenpflegeschulen, in der Fachweiterbildung Psychiatrie für Ärzte und Pflegepersonal sowie in der
innerbetrieblichen Fortbildung des Krankenhauses.
Dr. Hans­Dieter Schweiger
Isar­Amper­Klinikum gemeinnützige GmbH
Klinikum München­Ost
Leiter Apotheke
Vockestraße 72
85540 Haar
E­Mail: Hans­Dieter.Schweiger(at)iak­kmo.de
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Beitrag erschien in Ausgabe 34/2008
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