Impfung

Werbung
Rubrikentitel | Thema
Interview mit Prof. Claire-Anne Siegrist:
Gesundheit! — Europäische Impfwoche
IMMUNOLOGIE — Impfungen sind äusserst wichtig, um unser Überleben langfristig zu sichern. Trotzdem sind sie
immer noch heftig umstritten. Die 5. Europäische Impfwoche hat sich ein ambitiöses Ziel gesetzt: die Masern in
Europa zu eliminieren. Bernard-Olivier Schneider (dt. Text Karin Gruber)
Vom 24. April bis 1. Mai 2010 organisiert die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) die fünfte Europäische Impfwoche. Über das Bundesamt für Gesundheit (BAG) beteiligt sich die gesamte
Schweiz an dieser Impfwoche. Die dahintersteckende Botschaft ist es, die
Menschen immer und immer wieder daran zu erinnern, dass die Impfung viele
Leben retten und grosses Leid ersparen
kann. Prof. Claire-Anne Siegrist vom
Zentrum für Impfkunde und neonatale
Immunologie am Genfer Universitätsspital HUG zu einer Problematik, die
immer wieder zu gegensätzlichen Meinungen führt.
Sie hat es sich zum Ziel gemacht, die
Masern in Europa bis 2010 zu eliminieren. Die Masernepidemie ist zwar abgeklungen, doch liegt die Durchimpfung
in der Schweiz bloss bei 87%. Nur wenn
die Durchimpfung mindestens 95% betragen würde, könnten die Masern in
unserem Land ganz eliminiert werden.
Was für Ziele verfolgt die Euro­
päische Impfwoche?
Zur Impfung generell: Wie wirkt
ein Impfstoff?
Die Weltgesundheitsorganisation will
die Länder darin unterstützen, den Erfolg ihrer Impfprogramme zu erhöhen.
Im Falle einer Infektion hat unser Organismus nur sehr wenig Zeit, eine ausreichende Abwehr (Antikörper und weisse
34 | W B E XT RA 7.1 0
Ist ein solches Ziel realistisch?
Durchaus. In Nord- und Südamerika
sind die Masern schon seit 2002 eliminiert. Die Masern-Todesfälle gingen
in den letzten 10 Jahren weltweit von
733 000 auf 164 000 zurück – dank Impfungen!
Blutkörperchen)
aufzubauen, um
sich zu schützen.
Die Impfstoffe
wurden entwickelt, um den
Organismus vorgängig vor einer
allfälligen Infektion zu wappnen. Die Impfstoffe enthalten Protein- oder Erbgutbruchstücke
von Krankheitserregern bzw. abgetötete
oder abgeschwächte Erreger. Durch die
Impfung wird in unserem Körper eine
Immunantwort ausgelöst, d.h. es werden Antikörper gebildet, welche die
eingedrungenen Erreger unschädlich
machen. Sollte es später einmal zu einer
ernsthaften Infektion kommen, verfügt
unser Immunsystem bereits über eine
«Vorlage» zur Bekämpfung der entsprechenden Erreger.
Europäische Impfwoche | Gesundheit!
Braucht der Organismus diese
«Anregung» durch eine Impfung
wirklich?
Meist ist es nicht nötig: Wenn sich die
Erreger langsam entwickeln oder nicht
aggressiv sind, kümmert sich das Immunsystem ganz von alleine um deren Vernichtung. Es gibt aber Fälle, in
denen es durchaus notwendig ist, die
Produktion von Antikörpern rechtzeitig anzukurbeln, weil das Immunsystem
der Menschen durch Alter oder Krankheit geschwächt sein kann. Es existieren aber auch Erreger, gegen die sich
sogar das Immunsystem von gesunden
Menschen nicht effizient wehren kann.
Wenn die Zahl dieser Personen zu hoch
ist oder wenn beispielsweise niemand
sagen kann, welches Kind an einer Masernerkrankung sterben wird und welches nicht, ist es enorm wichtig, dass
ein Impfstoff eingesetzt wird.
Kann eine Impfung unser Immun­
system nicht sogar schwächen?
Diese häufig auftretende Angst ist völlig unbegründet. Sie beruht auf der
Sichtweise, dass der Organismus Erreger
ohne fremde Hilfe bekämpfen muss, um
dadurch stärker zu werden – das stimmt
überhaupt nicht! Bei dieser Theorie wird
nämlich vergessen, dass unser Organismus konstant von hunderttausenden
von Mikroben (mikroskopisch kleine
Organismen wie z.B. Bakterien) bombardiert wird – dass es auf unserer Haut, in
unserem Hals, in unserem Gedärm nur
so wimmelt von Bakterien und dass jeden Winter auch wieder Viren ins Land
kommen, die den Körper im Aufrechterhalten seiner Abwehrkräfte sozusagen
«trainieren». Impfstoffe schwächen unser Immunsystem also nicht – sie stärken es vielmehr, indem sie es dazu bringen, neue Abwehrkräfte zu entwickeln,
OHNE die natürlichen Abwehrkräfte zu
verringern. Die angeborene Immunität,
über die wir ohne Impfstoff und ohne
Krankheit verfügen und die nach einer
Infektion oder einer Impfung erworbene Immunität ergänzen sich hervorragend. Sie spielen perfekt zusammen und
beziehen sich aufeinander … Es ist schade, dass das so schwer zu erklären ist –
dabei sind wir doch in der glücklichen
Lage, unsere von Geburt an vorhandenen Abwehrkräfte mit den Vorteilen der
Impfung zu verbinden.
Welches sind die häufigsten
­Nebenwirkungen einer Impfung?
Die häufigsten Nebenwirkungen sind
gleichzeitig auch die harmlosesten:
Kein Impfstoff kann die Produktion der
Abwehrkräfte ankurbeln, ohne zuvor
eine entzündliche Reaktion ausgelöst
zu haben. Aus dieser Reaktion lässt sich
erklären, weshalb die meisten Leute beispielsweise nach einer Impfung gegen
die Grippe A ein bis drei Tage Schmerzen am Arm verspüren! Die Personen,
die am heftigsten reagieren, haben
Kopfschmerzen, verspüren manchmal
Muskelkater, Müdigkeit, haben leichtes
Fieber … Wie bei einer kleinen Grippe.
Was den Leuten jedoch Angst bereitet,
sind nicht diese relativ geringen Nebenwirkungen, sondern die selten auftretenden, schweren Nebenwirkungen.
Diese sind so selten, weil die nicht gut
verträglichen Impfstoffe auch niemals
auf den Markt gelangen. Die Haupt­
sorge der impfenden Ärzte ist eine
schlimme allergische Reaktion, die bei
ein bis zwei von einer Million Impfun­
gen auftreten und die man sofort behandeln muss. Es können auch andere
Reaktionen auftreten, die jedoch für jeden Impfstoff anders sind. Der Impfstoff
gegen Masern beispielsweise führt bei
97% der Geimpften ohne Probleme zur
Produktion von Abwehrkräften. 2 bis
5% der geimpften Personen entwickeln
7 bis 10 Tage nach der Impfung jedoch
eine schwache Masernerkrankung mit
leichtem Fieber und roten Hautflecken.
Was man sich ständig wieder in Erinnerung rufen muss, ist die Tatsache, dass
die Risiken einer Nebenwirkung 1000mal schwächer sind als die Auswirkungen der Krankheit, die dieser Impfstoff
zu verhindern hilft. Wenn dem nicht so
wäre, würden die Ärzte die Impfstoffe
ihren Patienten, die ihnen ja vertrauen,
auch gar nicht erst empfehlen ...
Werden diese Nebenwirkungen
in der Schweiz irgendwie über­
wacht?
Die Nebenwirkungen werden den Behörden nur systematisch gemeldet,
wenn ein neuer Impfstoff eingesetzt
wird, wie jener gegen die Grippe A,
oder wenn die Nebenwirkungen aussergewöhnlich stark sind. Die Ärzte
sind jedoch verpflichtet, der schweizerischen Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Heilmittel, Swissmedic, alle
schweren und unerwarteten (Neben-)
Wirkungen sowie alles, was kurz nach
einer Impfung passiert, zu melden. Auf
diese Weise können auch ganz aussergewöhnliche oder wirklich seltene Nebenwirkungen identifiziert werden. Diese
Überwachung hat während der Impfkampagne gegen die Grippe A(H1N1)
sehr gut funktioniert. Dieser Impfstoff
hat die gute Verträglichkeit, die in den
klinischen Studien angekündigt worden
war, in der Praxis bestätigt.
Rückblick auf vergangenen
Herbst: Welche Lehren können
aus der Grippepandemie A(H1N1)
gezogen werden?
Die Liste dieser Lehren wird lang sein!
Sie wird gerade erstellt, zum Teil mit­
hilfe eines ausländischen Experten­
teams, welches die Ereignisabfolge in
der Schweiz genauestens beobachtet
hat … Ich hoffe, dass wir aus unseren
Fehlern lernen können und dass jede
einzelne Etappe verbessert werden
kann. Denn wenn dieses Virus wirklich so schlimm gewesen wäre, wie es
im Mai/Juni vermutet wurde, als es in
Mexiko und in den USA zu hunderten
von Todesfällen kam, dann wären wir
im Gesundheitswesen vor einer ernsthaften Krise gestanden …
MMR-Impfung
Der MMR-Impfstoff schützt vor Masern,
Mumps und Röteln. Empfohlen sind zwei
Dosen im Alter von 12 Monaten und 15—24
Monaten – bei Kindern, die in die Krippe ge­hen, empfiehlt sich die erste Impfung mit­
9 Monaten und die zweite mit 12—15 Monaten.
Eine Nachholimpfung wird allen empfohlen,
die nach 1963 geboren sind und weder
geimpft sind noch die Masern hatten.
Nützliche Adressen
Informationen über Impfungen
www.infovac.ch
Internetseite des BAG zum Thema Impfungen
www.sichimpfen.ch
Realisiert durch die Partner:
Departement für Finanzen,
Institutionen und Gesundheit
Dienststelle für Gesundheitswesen
WB EXTRA 7.10 | 35
Herunterladen