Frege und das Paradox der Analyse - WittgSymp

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Frege und das Paradox der Analyse
Günther Eder, Institut für Philosophie, Universität Wien
Abstract: Das Paradox der Analyse besagt in seiner gängigsten Form: Keine begriffliche Analyse kann beides sein —
korrekt und informativ. In diesem Beitrag werde ich zeigen, wie es dazu hat kommen können, dass Frege, in einer
Rezension von Husserls Philosophie der Arithmetik, dieses Paradox explizit formuliert, wie er unmittelbar darauf
reagiert und wie sich seine Reaktion mit seinen späteren Ansichten zu Analyse verträgt. Als Schluss wird sich ein
Dilemma ergeben: Frege vertritt in seiner Husserl-Rezension entweder eine unplausible, schlecht argumentierte,
mit seiner reifen Sicht inkonsistente Position oder er sagt überhaupt nichts zu dem Problem, das er selbst formuliert.
I Das Paradox der Analyse
Angenommen wir wollen den Begriff des Wissens analysieren und schlagen vor, das Analysandum „Wissen“ durch
das Analysans „gerechtfertigte, wahre Überzeugung“ zu charakterisieren. Damit diese Analyse korrekt ist, so
scheint es, müssen Analysans und Analysandum dasselbe bedeuten. Wenn das aber so ist, sollte jeder der die beiden Begriffe versteht auch wissen, dass sie dasselbe bedeuten. In dem Fall ist die Analyse aber uninformativ. Eine
gelungene Analyse scheint uns aber irgendetwas beibringen zu können. Wenn die Analyse „Wissen ist gerechtfertigte, wahre Überzeugung“ korrekt ist, dann lernt man etwas, wenn man sie hört und versteht. Wenn eine Analyse
also richtig ist, kann sie uns nichts sagen und wenn sie uns etwas sagt, kann sie nicht richtig sein. Das ist das Paradox der Analyse.
Im Folgenden möchte ich zeigen, wie es — ausgehend von der Analyse des Begriffs der Kardinalzahl — dazu hat
kommen können, dass Frege 1894, in einer Rezension von Husserls Philosophie der Arithmetik, dieses Dilemma
explizit formuliert und wie er darauf reagiert.
II Freges Grundlagen-Programm
Um den Hintergrund von Freges Husserl-Rezension besser zu verstehen, sehen wir uns zuerst kurz Freges logizistisches Programm aus den Grundlagen der Arithmetik (1884) an. Das Ziel dort war zu zeigen dass die Wahrheiten der Arithmetik verkappte logische Wahrheiten sind und also entgegen Kants Ansicht analytisch. Frege zeigt
dazu, dass man die Kardinalzahlen durch logische Begriffe definieren kann und dass man mit Hilfe dieser Definitionen die Grundgesetze der Arithmetik aus logischen Prinzipien ableiten kann. Das erfordert natürlich einiges
an analytischer Vorarbeit. Die beiden wesentlichen Desiderata auf die Frege bei seiner Analyse des Zahlbegriffs
stößt sind, dass Anzahlaussagen Aussagen über Begriffe beinhalten und dass die Zahlen selbst abstrakte Gegenstände sind. Das Prinzip, das diesen Desiderata Rechnung trägt wird heute oft „Hume’s Principle“ (im Folgenden HP)
genannt und besagt: Die Anzahl der F’s ist gleich der Anzahl der G’s, dann und nur dann wenn die Begriffe F
und G gleichzahlig sind, d.h. wenn es eine ein-eindeutige Zuordnung zwischen den F’s und den G’s gibt. Frege
definiert dann im weiteren den Anzahloperator „die Anzahl der F’s“ als „Umfang des Begriffs ‚gleichzahlig dem
Begriff F‘“. Die Kardinalzahlen sind demzufolge logische Objekte (Begriffsumfänge oder Mengen) und auf Basis die-
1
ser Definition leitet Frege dann das für Kardinalzahlen konstitutive Prinzip HP her. Frege glaubt damit wahrscheinlich gemacht zu haben, dass Arithmetik bloß weiter entwickelte Logik ist.
Dennoch stellt sich die Frage: Sind die Definitionen, auf die seine Analyse letztlich führt, adäquat? Frege will ja
zeigen, dass das, was wir immer schon „die Wahrheiten der Arithmetik“ genannt haben, logische Wahrheiten sind
— und nicht irgendwelche Wahrheiten, die sich aufgrund irgendwelcher Definitionen ergeben und die den arithmetischen Sätzen mehr oder weniger ähneln. Mit Michael Nelson könnte man also meinen: „What the logicist needs
is […] analytic definitions“ (Nelson 2008, 161), also Definitionen, die den Gehalt der prä-theoretischen Begriffe, die
sie definieren, vollständig erfassen.
Dass Frege solche Fragen nicht von vornherein abtut, sieht man an verschiedenen Stellen in den Grundlagen.
Unmittelbar nach seiner expliziten Definition der Anzahlen meint er etwa: „Dass diese Erklärung zutreffe, wird
zunächst vielleicht wenig einleuchten. Denkt man sich unter dem Umfange eines Begriffes nicht etwas
anderes?“ (Frege 1884, 101) Frege beantwortet diese Frage in den Grundlagen in etwa so: Ja, es klingt komisch zu
sagen, dass Zahlen in Wirklichkeit Begriffsumfänge sind. Aber das ist unwichtig, solange man die „bekannten
Eigenschaften“ der Zahlen (also im wesentlichen HP) aus dieser Definition ableiten kann. (Frege 1884, 102) Freges Grundlagen-Antwort auf die Frage von Joan Weiner „Aber sind die Zahlen wirklich Extensionen von Begriffen?“ (Weiner 2004, 66) scheint also zu sein: Wen kümmerts?
III Husserls Kritik
An Husserls Philosophie der Arithmetik (1891) ist für unsere Zwecke vor allem seine Kritik an Frege wichtig. Einer
der zentralen Kritikpunkte ist, dass nach Husserl die beiden Seiten von HP nicht „inhaltsgleich“ sind und deshalb HP nicht die zentrale Rolle haben kann, die Frege diesem Prinzip zuzuschreiben scheint. So meint er: “Die
Definition der Äquivalenz ist [...] nicht mehr als ein blosses Kriterium für den Bestand der Gleichheit der Anzahl
zweier Mengen [...]. Aber es ist nicht richtig, dass ‘Äquivalenz’ und ‘gleiche Anzahl’ Begriffe von demselben Inhalte sind; nur das ist richtig, dass ihr Umfang derselbe ist.”1 (Husserl 1891, 126) Dieselbe Kritik überträgt sich
dann auf Freges explizite Definition der Kardinalzahlen als Mengen einander gleichzahliger Mengen: „Zwischen
dem, was wir in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauche in Leben und Wissenschaft Anzahlen
nennen, und dem, was nach dieser Theorie so benannt sein soll, besteht […] keinerlei Gemeinsamkeit.“ (Husserl
1891, 127) Husserls Hauptkritikpunkt ist also, dass Frege’s Definitionen nicht den „Inhalt“ des „alltäglichen“
Zahlbegriffs erfassen würden. Was Husserl hier unter „Inhalt“ versteht, sieht man an folgender Stelle: „Sich zwei
gleichzahlige Vielheiten vorstellen, und sich zwei Vielheiten gliedweise gegenseitig zugeordnet vorstellen, ist nicht
ein- und dasselbe. Die Definition spricht einen wahren, nicht aber einen identischen Satz aus.“ (Husserl 1891,
107) Inhaltsgleich wären beide Seiten von HP also nur wenn wir uns dasselbe „vorstellen“ würden. Dasselbe gilt
für Freges explizite Definition: Wir stellen uns unter den Kardinalzahlen eben keine Begriffsumfänge vor. Husserl
meint aber nicht nur, dass Freges „merkwürdiger Versuch“ (Husserl 1891, 129) die Anzahlen logisch zu definieren,
verfehlt ist — sondern dass alle Versuche, den Begriff der Zahl zu definieren, zum scheitern verurteilt sind. Der
Schluss, den Husserl aus diesem Umstand zieht ist, dass wir bloß die „psychischen Prozesse“ beschreiben können, die für die Bildung des Zahlbegriffs erforderlich sind. (Husserl 1891, 131)
1
„Äquivalenz“ ist Husserls Ausdruck für das, was Frege „Gleichzahligkeit“ nennt, also ein-eindeutige Zuordenbarkeit.
2
IV Freges Husserl-Rezension
Husserls gesamtes Projekt ist für Frege natürlich ein rotes Tuch. Für Frege haben „Grundlegung der Mathematik“ und „Analyse des Zahlbegriffs“ nichts mit einer Untersuchung der psychischen Prozesse zu tun, die nötig
sind, damit jemand den Begriff der Zahl in seinem Verstand bildet. Freges Urteil in seiner Rezension (1894) von
Husserls Philosophie der Arithmetik fällt auch dementsprechend schlecht aus. Frege führt auch Husserls Einwände
gegen seine Definitionen auf dessen Mixtur aus Mathematik, Logik und Psychologie zurück: „Aus der eben gekennzeichneten psychologisch-logischen Denkweise ist es leicht zu verstehen, wie der Verfasser über Definitionen urteilt.“ (Frege 1894, 182) Unmittelbar anschließend formuliert Frege dann das Paradox der Analyse, einmal
in „psychologischer“ und einmal „semantischer“ Form. Die psychologische Variante sieht so aus: „Wenn Wörter
und Wortverbindungen Vorstellungen bedeuten, so ist es bei zweien von solchen nichts weiter möglich, als dass
sie entweder dieselbe oder verschiedene Vorstellungen bezeichnen. Im ersten Falle ist ihre Gleichsetzung durch
eine Definition zwecklos, ‚ein offener Zirkel’; im andern ist sie falsch.“ (Frege 1894, 183) Mit dem Wort „Vorstellungen“ meint Frege hier natürlich die zur Psychologie gehörigen subjektiven Bilder im Geiste einer bestimmten
Person. Aber „auch den Sinn zu zerlegen, vermag eine Definition nicht; denn der zerlegte Sinn ist eben nicht der
ursprüngliche. Entweder ich denke bei dem zu erklärenden Worte schon alles deutlich, was ich beim definierenden Ausdruck denke, dann haben wir den ‚offenbaren Zirkel‘; oder der definierende Ausdruck hat einen reicher
gegliederten Sinn, dann denke ich bei ihm nicht dasselbe wie bei dem zu erklärenden: Die Definition ist
falsch.“ (ebd.) Frege hat zu diesem Zeitpunkt schon die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung getroffen. Der Begriff „Sinn“ verweist hier also auf den objektiven semantischen Gehalt eines Ausdrucks, im Gegensatz
sowohl zu seiner Bedeutung als auch der subjektiven Vorstellungen, die wir mit ihm verbinden.
Frege bietet dann auch gleich — zumindest sehen das die meisten Interpreten so — eine Auflösung des Dilemmas an. Frege zufolge offenbart das Problem nämlich einen „Zwiespalt zwischen psychologischen Logikern und
Mathematikern“. So meint er: „Jenen kommt es auf den Sinn der Worte an und auf die Vorstellungen, die sie
von dem Sinne nicht unterscheiden, diesen dagegen auf die Sache selbst, auf die Bedeutung der Worte.“ (ebd.)
Um die Situation aufzuklären, diskutiert Frege dann kurz zwei potentielle Definitionen des Begriffs „Kegelschnitt“. Die eine Definition setzt fest, dass ein Kegelschnitt die Schnittkante einer Ebene und eines Kreiskegelmantels ist und die andere definiert einen Kegelschnitt als ebene Kurve, deren Gleichung in Parallelkoordinaten
vom zweiten Grad ist. Sein Kommentar dazu: „Welche von diesen beiden oder noch andern er [der Mathematiker, G.E.] auswählt, richtet sich allein nach Zweckmäßigkeitsgründen, obwohl diese Ausdrücke weder denselben
Sinn haben, noch dieselben Vorstellungen erwecken.“ (Frege 1894, 184) Was Frege als Resultat dieser Diskussion
anzusehen scheint ist also einerseits ein Adäquatheitskriterium für korrekte Definitionen und gleichzeitig eine
Auflösung für das Paradox der Analyse. Repräsentativ für diese Interpretation sei hier Michael Beaney zitiert, der
meint: „Frege’s […] response to the paradox of analysis can thus be stated as follows. An analysis of the form ‘A
is C’ is correct if ‘A’ and ‘C’ have the same Bedeutung, and informative if ‘C’ has a ‘more richly articulated sense’
than ‚A’ […]“. (Beaney 2004, 122)
Wenn diese Interpretation richtig ist dann ist aber einiges an Freges Diskussion verwirrend. Um einen klareren
Blick dafür zu bekommen, was, ist es sinnvoll einen kurzen Ausflug ins Jahr 1914 zu machen.
3
V Freges Logik in der Mathematik
Im Fragment Logik in der Mathematik macht Frege eine Unterscheidung zwischen zwei Arten von Definitionen.
Auf der einen Seite gibt es die sogenannten „aufbauenden“ oder „eigentlichen“ Definitionen. (Frege 1914, 227
ff.) Definitionen dieser Art sind rein stipulativ. Einem einfachen Zeichen wird durch so eine Definition ein Sinn
und eine Bedeutung erst gegeben. Definitionen dieser Art müssen nur gewissen formalen Standards (Eliminierbarkeit, Konservativität, etc.) genügen, um korrekt zu sein. Kurz: eigentliche Definitionen sind bloße Abkürzungen.
Auf der anderen Seite gibt es dann noch das, was Frege „zerlegende Definitionen“ nennt. Bei Definitionen dieser Art wird der Sinn eines schon in Gebrauch befindlichen Zeichens in einfachere Bestandteile zerlegt. Diese Art
„Definition“ ist also das, was bei Frege dem Begriff der „Analyse“ entspricht. Für die Korrektheit einer zerlegenden Definition gibt es jetzt auch ein inhaltliches Adäquatheitskriterium: der analysierende und der analysierte
Ausdruck müssen, so Frege, sinngleich sein. Ohne hier auf den Begriff des „Sinns“ oder der „Sinngleichheit“ näher eingehen zu können, muss man sich fragen: woher können wir wissen, wann analysierter und analysierender
Ausdruck denselben Sinn haben? Freges Antwort darauf ist: Manchmal ist das „unmittelbar einleuchtend“ —
manchmal nicht. In jedem Fall sollten wir, falls das nicht klar ist, den alten Begriff einfach wegwerfen und ein
neues Zeichen einführen, das — qua aufbauender Definition — den Sinn des Analysans bekommen soll. (Frege
1914, 228)
Die wesentlichen Punkte dieser späteren Diskussion können wir demnach so zusammenfassen: Erstens ist für
eine korrekte Analyse notwendig, dass Analysans und Analysandum sinngleich sind. Zweitens ist das aber irrelevant beim Aufbau einer systematischen Wissenschaft (insbesondere der Mathematik), weil zerlegende Definitionen dem Aufbau des Systems nur vorausgehen und im System der Wissenschaft nur mehr aufbauende Definitionen vorkommen.2
VI Noch einmal Freges Husserl-Rezension
Wenn wir wieder zu Freges Husserl-Rezension in das Jahr 1894 zurückgehen, dann fallen nun mehrere Unzulänglichkeiten an der früheren Diskussion auf. Die Frage, die sich zunächst stellt, ist: Von welcher Art „Definitionen“, zerlegenden oder aufbauenden, meint Frege hier angeblich, dass sie nur — aber doch immerhin — extensional
adäquat sein müssen?
Die Antwort scheint zunächst klar zu sein: er muss von zerlegenden Definitionen reden. An das, was er später
aufbauende Definitionen nennt, werden ja überhaupt keine inhaltlichen Kritierien gestellt. Falls Frege andererseits
über zerlegende Definitionen spricht, dann ist seine Position offenbar nicht nur inkonsistent mit seiner späteren
Auffassung — auch seine Argumentation dafür ist schwach. Wir erinnern uns: In der Husserl-Rezension sieht er
sich zwei alternative Definitionen des Begriffs „Kegelschnitt“ an. Das Beispiel soll dann offenbar zeigen dass
von einer zerlegenden Definition sinnvollerweise nur Bedeutungsgleichheit von Analysans und Analysandum
gefordert werden sollte. Das Kegelschnitt-Beispiel sollte also folgendes Prinzip stützen:
2
Freges späte Auffassung ist sichtlich nahe an dem, was Carnap später „Explikation“ oder „rationale Rekonstruktion“ nennt. Vgl. (Beaney 2004)
4
(ExAd) Wenn zwei Begriffe K und K’ bedeutungsgleich sind, ist die zerlegende Definition K = K’ korrekt.
Das tut es aber offenbar nicht! Was das Beispiel bestenfalls zeigt, ist dass die zerlegende Definition K = K1 dann
und nur dann korrekt ist wenn es die zerlegende Definition K = K2 ist. Das allein liefert aber noch kein „absolutes“ Kriterium für die Korrektheit von zerlegenden Definitionen. Es sagt uns nur, dass zwei Begriffe K1 und K2
gleichermaßen gut als zerlegende Definitionen eines prä-theoretischen Begriffs K geeignet sind, falls sie bedeutungsgleich sind — nicht aber wann eine der beiden Definitionen tatsächlich korrekt ist.
Das Beispiel zeigt aber nicht einmal das. Eine Besonderheit des Beispiels ist nämlich, dass die beiden Kegelschnittsbegriffe nicht bloß bedeutungsgleich, sondern beweisbar bedeutungsgleich sind.3 D.h. das Beispiel zeigt
nur, dass zwei alternative zerlegende Definitionen K = K1 und K = K2 „äqui-korrekt“ sind, falls die Begriffe K1
und K2 beweisbar bedeutungsgleich sind. Das aber reicht sicherlich nicht aus um (ExAd) auch nur plausibel erscheinen zu lassen. Kurz: folgen wir der ersten Interpretation, dann vertritt Frege eine unplausible Position zu zerlegenden Definitionen, die inkonsistent ist mit seiner späteren Auffassung, und die noch dazu unzureichend argumentiert ist.
Es gibt aber eine Alternative. Wir können Frege auch so verstehen, dass er an dieser Stelle gar kein Argument für
(ExAd) liefern, sondern etwas über aufbauende Definitionen sagen will. Das Kegelschnittsbeispiel will — unter
dieser Interpretation — unsere Aufmerksamkeit auf den Umstand lenken, dass im Rahmen eines schon etablierten Systems der Mathematik zwei beweisbar bedeutungsgleiche Bedingungen gleich gut geeignet sind, um einem
als leer angesehenen Zeichen eine Bedeutung zuzuweisen. Und dem würde (modulo Zweckmäßigkeitserwägungen)
vermutlich wirklich jeder „Mathematiker“ zustimmen. Diese Interpretation hat keinen der Nachteile der ersten
Interpretation, andererseits sagt Frege dann auch nichts zum Paradox der Analyse und reagiert in Wahrheit gar
nicht auf Husserl, dem es ja um den prä-theoretischen Gehalt des Zahlbegriffs geht.
Freges Diskussion in seiner Husserl-Rezension wirft also ein Dilemma auf: Entweder vertritt Frege eine unplausible, mit seiner späteren Auffassung inkonsistente Position zu zerlegenden Definitionen, und zwar basierend auf
einem schlechten Argument oder er vertritt überhaupt keine Position zu zerlegenden Definitionen, formuliert
zwar in Reaktion auf Husserl das Paradox der Analyse, bietet aber keine Lösung an und wechselt einfach das
Thema. Ich denke keine der beiden Alternativen ist besonders attraktiv.
Literatur
Beaney, Michael 2004 „Carnap’s Conception of Explication: From Frege to Husserl?“, in: Steven Awodey and
Carsten Klein (eds.), Carnap Brought Home: The View from Jena, Chicago: Open Court, 117–150
Frege, Gottlob 1884 Die Grundlagen der Arithmetik, Stuttgart: Reclam (2005)
3
Dieser Punkt wurde auch von (Dummett 1991, 32) betont.
5
— 1894, „Rezension von: E. G. Husserl, Philosophie der Arithmetik I“, in: Gottlob Frege,
Kleine Schriften,
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft (1967), 179–192
— 1914 „Logik in der Mathematik“, in: Gottlob Frege, Nachgelassene Schriften, Hamburg: Felix Meiner Verlag,
219–270
Dummett, Michael 1991 Frege. Philosophy of Mathematics, London: Duckworth
Husserl, Edmund 1891. Philosophie der Arithmetik, Halle-Saale: C.E.M. Pfeffer
Nelson, Michael 2008 „Frege and the Paradox of Analysis“ Philosophical Studies 137, 159–181
Weiner, Joan 2004 Frege Explained, Chicago: Open Court
6
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