Berufsfelder für Psychotherapeuten jenseits der Niederlassung Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen in Ausbildung! Für Viele von Ihnen ist die Selbstständigkeit, als freiberuflicher PT in eigener Praxis > das große Endziel Ihrer Ausbildung, das ist auch nur zu verständlich: Ist damit doch der hohe gesellschaftliche Status eines Freiberuflers verbunden als auch das relativ gute Einkommen, endlich nach so vielen Jahren als Geringverdiener! Etliche unter Ihnen haben nicht nur während des sog. Psychiatriejahres das Innenleben einer Klinik kennen gelernt, sondern während ihrer gesamten Ausbildungszeit in einer Klinik gearbeitet. Und nicht wenige sind froh, wenn sie da endlich rauskönnen. Auch das ist verständlich bei den mancherorts haarsträubenden Arbeitsbedingungen. Unbestreitbar hat die niedergelassene Tätigkeit in eigener Praxis demgegenüber seine Vorteile: Keine Ärzte mehr, die einem Anweisungen erteilen, keine ein- oder festgefahrenen Teamstrukturen, denen man sich anpassen muss, evt. auch keine Wochenenddienste mehr – Ist die Tätigkeit in eigener Praxis also das Eldorado schlechthin?. Die Nachteile einer niedergelassenen Tätigkeit zeigen sich erst nach einer Weile: Man wurschtelt alleine in seiner Praxis so vor sich hin, der Austausch mit Kollegen ist mancherorts nur schwer zu organisieren, in den kurzen Pausen zwischen den Therapiestunden kann man kaum was für seine Psychohygiene tun und man ist auf wenige Behandlungssettings festgelegt: hauptsächlich Einzelkontakte, hin und wieder zieht man mal Angehörige von Patienten hinzu, bestenfalls hat man noch die Gruppenziffer, d.h. die Möglichkeit mit Kleingruppen zu arbeiten und als Verhaltenstherapeut können Sie zu den Konfrontationsbehandlungen mit den Patienten noch rausgehen. Das gilt v.a. für die Einzelpraxis, die sog. Versorgerpraxis, mit 30 – 40 Therapiesitzungen pro Woche, d.h. 7-9 Sitzungen pro Tag im Stundentakt und Berichteschreiben an den Wochenenden. Auf Dauer ist man definitiv burnout-gefährdet. Die Mehrzahl der Niedergelassenen arbeitet deshalb auch gar nicht so. Zwei Gegenstrategien gegen die Gefahr des frühzeitigen burnout haben sich bewährt: 1. Die Praxengemeinschaft: man hat den kollegialen und persönlichen Austausch zwischendurch, kann sich bei der Praxisführung gegenseitig unterstützen, sich wechselseitig vertreten, usw. 2. Ein zweites Betätigungsfeld: als Supervisor und Lehrtherapeut , sie geben Kurse oder halten Vorträge bei der VHS oder AOK oder sie haben noch eine TeilzeitAnstellung in einer Beratungsstelle, einer psychiatrischen Institutsambulanz o.ä. Das macht ein Großteil der Kollegen! Mit der seit Beginn diesen Jahres bestehenden Möglichkeit, einen Praxissitz mit halbem Versorgungsauftrag zu erwerben, ist es noch einfacher als bisher, freiberufliche und angestellte Tätigkeit miteinander zu verbinden. Max. 13 Wochenstunden kann man zusätzlich angestellt in einer Institution arbeiten. Bei Institutionen denkt man zuerst an die Kliniken: Psychosomat. Reha-Kliniken, Fachkliniken für Essgestörte, somatische, v.a. onkologische Kliniken, Akutkrankenhäuser, Psychiatrische Kliniken und deren Ambulanzen. Ca. 45% d. Hess.Kammermitglieder arbeiten teilzeit oder vollzeit in einer Institution, 60% davon in einer Klinik. In dem 2.großen Bereich, den Beratungsstellen arbeiten über 25% d. angestellten PP/KJP; überwiegend in Erziehungs- u. Familienberatungsstellen, aber auch in JD- u. Erwachsenensuchtberatungsstellen, Psychosoziale- Kontakt- u. Beratungsstellen f. chron. Psychisch Kranke, Beratungsstellen gegen sexuellen Missbrauch, Opferberatungsstellen. Darüberhinaus gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Arbeitsfelder für Psychotherapeuten, wie z.B. den Massregel- oder den Strafvollzug, die stationären Einrichtungen der Jugendhilfe, wie therapeutische Wohngruppen, Intensivbetreutes Wohnen, Kinder- und Jugendheime. Die berechtigte Frage, die Sie sich jetzt vielleicht stellen, ist: Kann man dort mit dem, was man in der äußerst energie-, zeit- und kostenaufwändigen Ausbildung erlernt hat, überhaupt psychotherapeutisch arbeiten? Wird dort überhaupt Psychotherapie gemacht oder kann man dort „nur“ beraten oder nur psychoedukative oder indikative Gruppen durchführen? Hat sich die ganze Ausbildung für mich denn dann gelohnt, wenn ich hinterher überwiegend Gruppentrainings zur Streß- oder Schmerzbewältigung anleite? Wenn das so wäre, müsste man die Frage sicher verneinen. So etwas kann wahrscheinlich auch schon ein bachelor der Rehabilitationspädagogik. – Die Realität in den Einrichtungen des Gesundheitswesens wie auch der Jugendhilfe ist jedoch geprägt von einem breiten Tätigkeitsspektrum. Und die Breite ist es, die diese Arbeitsplätze auch so attraktiv macht. Dies möchte ich zunächst am Beispiel der Erziehungs-oder Ehe-,Familien- und LebensBeratungsstellen zeigen: Nach dem Inkrafttreten des PTG vor 10 Jahren gab es zunächst von vielen, v.a. den kommunalen Trägern, die Anweisung, dass künftig keine psychotherapeutischen Angebote in der Beratungsstelle mehr gemacht werden dürfen. Das hat viele Kolleginnen verständlicherweise sehr frustriert. Inzwischen ist eine Entwicklung dahingehend erkennbar, dass in EBs Kinder- u. Jugendlichenpsychotherapie, Paar- und Familientherapie wieder zum Leistungsspektrum gehören. Wenn man sich das Beratungsverständnis betrachtet, welchem sich das Gros der Beratungsstellen verpflichtet fühlt, dann ist klar, dass in der Arbeit mit Eltern permanent psychotherapeutisches Wissen mit einfliesst, ja ohne dieses Wissen kaum denkbar ist. Der psychotherapeutische background und die psychotherapeutische Grundhaltung erhöhen die Effektivität und Reichweite jeder psychosozialen Beratung. Sie ermöglichen überhaupt erst, dass die untergründigen Motivationen und Beziehungsmuster erkannt und auf eine fruchtbare Weise angesprochen werden können. Das fokussierte Bearbeiten von verdeckten und unbewußten Beziehungsdynamiken zwischen Eltern und ihren Kindern kann für PP+KJP den Reiz der Tätigkeit in EBs ausmachen. EBs und EFL s sind als Arbeitsplatz für KJP + PP hervorragend geeignet, wenn man z.B. bedenkt, welch enormer Bedarf gerade an Ehe- und Trennungsberatung und an Paartherapie dort bedient wird. Allerdings wird man hier auch als Approbierter ohne eine weitergehende Paar- oder familientherapeutische Ausbildung nicht wirklich erfolgreich arbeiten können. In einer 2. Gruppe von Beratungsstellen sind ebenfalls etliche approbierte Kollegen beschäftigt: in den JDBs und Erwachsenensuchtberatungsstellen. Als Schwerpunkt haben sie die Motivationsarbeit – die Motivation zur Suchtmittelabstinenz. Die monate- oder sogar jahrelange Motivationsarbeit geht einer psychotherapeutischen Arbeit ( stationär oder ambulant) fast immer voraus. Von den Kolleginnen, die ich kenne und die dort arbeiten, höre ich aber immer wieder, dass sie diese harte Motivationsarbeit als wertvoll betrachten. Stärker psychotherapeutisch ausgerichtet wird in den ambulanten RehaGruppen in den Beratungsstellen gearbeitet. Dieser Teil der Arbeit wird von den Kolleginnen häufig als sehr zufrieden stellend bezeichnet. Aktuell stellen sich mit der Medien-, computerspiel- und internet-Sucht ganz neue therapeutische Herausforderungen an die Mitarbeiter von JDB u. Erw.SuchtBstellen. Jetzt zum stationären Arbeitsbereich: Die Anforderungen an die PTen und die Arbeitsbedingungen in den Kliniken sind sehr, sehr unterschiedlich. Das liegt an der Art der Klinik und an den unterschiedlichen Behandlungskonzepten. Am intensivsten psychotherapeutisch gearbeitet wird in den psychosomatischen Reha-Kliniken. Hier haben die PP auch die unangefochtenste Stellung und es gibt auch approbierte Kollegen in Leitungsfunktionen. In den psychiatrischen Kliniken wird die eigentliche psychotherapeutische Arbeit mit den Patienten, v.a. die Gruppentherapie, häufig von unseren Berufskollegen übernommen. Kolleginnen und Kollegen, sowohl in Kliniken als auch in Beratungsstellen heben als positive Faktoren ihrer Arbeit einerseits die Teamarbeit hervor – ständiger Austausch, ständig neue Anregungen, gemeinsame Teamprojekte - und andererseits die Möglichkeit zur kreativen Erprobung neuer Behandlungsformen und Therapietechniken. Bei der Entscheidung für eine angestellte Tätigkeit als PP/KJP sollte man sich bewusst machen, dass ein Teil der Arbeit darin besteht, die eigene psychotherapeutische Kompetenz immer wieder in ein multidisziplinäres Team einzubringen, indem es konkurrierende Behandlungsvorschläge und Konzepte gibt. Und dass man einen Teil seiner Energie darauf verwenden sollte, die Rahmenbedingungen für das therapeutische Arbeiten zu erhalten oder zu verbessern. 1. berufspolitisches Engagement: Mir sind einige Kollegen bekannt, die haben dort, wo sie eine neue Stelle angetreten haben, erstmal dafür gesorgt, dass es überhaupt einen Betriebsrat gab. Andere haben sich in vorhandenen Betriebsrat wählen lassen. Das war zwar zu Anfang oft mit Schulungen in ziemlich trockener Materie verbunden, aber sie haben innerhalb der Klinik nach und nach mehr Einblick in die internen Strukturen bekommen– gerade auch die informellen Strukturen, die sind ja immer ganz besonders wichtig! – und letztlich zahlt es sich für alle PP/KJP einer Einrichtung aus, wenn einer im Betriebsrat sitzt. Wenn Stellenpläne geschrieben werden, wenn neue Anschaffungen geplant werden, wenn es um finanzielle Zulagen geht. Sitzt z.B. der Koch im Betriebsrat, so wird eher eine neue Dunstabzugshaube angeschafft und evt. außertarifvertragliche Schichtzuschläge gezahlt, als wenn er nicht drin sitzt. Sitzt ein PP/KJP dort drin, so wird es an etlichen Stellen kleinere oder auch größere Verbesserungen an den Arbeitsbedingungen von PP/KJP in der Klinik geben, einfach deshalb, weil da jemand sitzt, der rechtzeitig mitbekommt, was geplant wird und der sich dann eben zu Wort meldet und dafür sorgt, dass die eigene Interessengruppe mitbedacht wird. Das ist eine allgemeine Erfahrung bei der betrieblichen Interessenvertretung. 2. Letztes Jahr auf dem Angestelltentag RLP in Mainz hat der kaufm.GF einer größeren Klinikskette öffentlich geäußert, dass PP/KJP bei den Gehaltsverhandlungen viel zu wenig selbstbewusst auftreten, dass sie sich unter Wert verkaufen und dass ein Arbeitgeber natürlich nur soviel zahlt, wie er unbedingt muss. Machen Sie sich doch bitte mal klar, dass Sie als Approbierte den Status eines Facharztes in der Klinik haben. Sie sind bereits für Ihren Bereich weitaus besser ausgebildet als ein approbierter Arzt, der gerade seine Weiterbildung macht! Häufig werden Sie jedoch so behandelt, als wüsste der Arzt, wo´s langgeht und Sie sind bestenfalls sein Assistent. Schlimmerenfalls werden Sie so behandelt, als gehörten Sie einem Heilhilfsberuf an und müssten nur die Zuarbeit machen: Tests über Tests, Befunde erheben – im Grunde so ne Art psychodiagnostische Laborleistung erbringen, während der Arzt sich dann einen Überblick verschafft und den Therapieplan entwirft. Schon als PiA sollten Sie sich dagegen zur Wehr setzen – als Approbierter aber erst recht- und Sie müssen Ihre Kompetenz in diagnostischen, behandlungsplanerischen und behandlungstechnischen Fragen offensiv vertreten, sonst werden Sie u.U. der Testknecht bleiben. 3. Damit möchte ich aber nicht ein Schreckensbild von den Arbeitsbedingungen in Kliniken generell zeichnen. In den allermeisten psychosomatischen Reha-Kliniken 4. 5. 6. 7. 8. TM haben PP eine hochangesehene Stellung und sind eigenverantwortlich psychotherapeutisch tätig. In vielen Kliniken arbeiten in den multiprofessionellen Teams - ungeachtet von Statusunterschieden – Psychologen, PP, Ärzte u. die sog. Kreativtherapeuten kooperativ zusammen. Ein zukunftsweisendes Modell sind sog. Tandems von Bezugstherapeuten – eine Ärztin, eine PPin, oder ein PP und ein Musiktherapeut. Auf dem letzten HPT hat dieses Konzept die leitende Oberärztin der Vogelsbergklinik sehr anschaulich dargestellt. In den Psychiatrischen Kliniken gibt es Stationen, die seit Jahrzehnten von Dipl.Psych. und heute von PP geleitet werden. Es gibt ja sogar den informellen Begriff des „Stationspsychotherapeuten“ – analog zum Stationsarzt. Die Chancen stehen auch in den kommenden Jahren nicht schlecht, dass aufgrund des Ärztemangels – und insbesondere des Mangels an Ärzten, die sich überhaupt noch für die Psychiatrie interessieren und dann auch noch deutsch sprechen - wieder vermehrt PP auf diese Stellen kommen könnten. Damit ist die formelle Klinikshierarchie keinesfalls ausgehebelt, aber de facto können die Kollegen weitgehendst eigenständige Entscheidungen über Aufnahme, Verlegung und Entlassung von Patienten treffen, den Behandlungsplan schreiben, Absprachen mit der Pflegedienstleitung treffen, und auch über die Medikamentengabe befinden. Überhaupt sind PP/KJP mit mehrjähriger institutioneller Berufserfahrung regelrecht für Leitungstätigkeiten prädestiniert: Sie kennen die Abläufe besser, als die ständig rotierenden Ärzte, kennen auch die chronischen Patienten, die in einer akuten Krise immer wiederkommen, besser… Fakt ist aber auch, dass es im Bereich der stationären Psychotherapie und der psychosomatischen Reha in den letzten 15 Jahren eine drastische Verkürzung der Aufenthaltsdauer, der Behandlungszeiten und –frequenz und eine enorme Verdichtung der Arbeitsbelastung gegeben hat. Viele, u. v.a., die langgedienten Kollegen beklagen dies immer wieder. Eine aktuelle Studie von Manfred Zielke kommt zum Ergebnis, dass diese Verkürzung der Aufenthaltsdauer von … auf sich auch negativ auf die Qualität der Arbeit ausgewirkt hat. … Wenn Sie sich entschliessen sollten, eine Klinik als Arbeitsplatz zu wählen, so sollten Sie sich mit dem Gedanken anfreunden, sich dort auch gleich ins QM einzuklinken – Sie müssen ja nicht gleich QM-Beauftragter für die gesamte Klinik werden. Beim QM werden heute die Schlachten geschlagen, wenn es um den Erhalt von therapeutischen Spiel- und Freiräumen und um den Erhalt von psychotherapeutischen Mindeststandards geht. Dieses Feld sollte man nicht auf Dauer der in QM fortgebildeten Pflege- oder Verwaltungskraft überlassen und auch nicht einem bachelor of health management. Sie sehen: Institutionelle Arbeit bedeutet, sich in vielen Bereichen einzumischen und dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für psychotherapeutisches Arbeiten stimmen. Dies kann sich auch auf Auseinandersetzungen um die Einhaltung der Schweigepflicht erstrecken oder auf die Frage der Unterschriftsberechtigung bei Entlassungsberichten. Institutionen sind jedoch nicht nur was für kämpferische Naturen! Die einfühlsame und kreative psychotherapeutische Arbeit steht auch in den meisten Institutionen im Vordergrund. Es ist nur ein Fehler, zu glauben, man könne sich ganz darauf zurückziehen oder beschränken.