Festkörperphysik: 40.000 Ampere in der Spule: Materie im Mega-Magnetfeld VON THOMAS KRAMAR (Die Presse) 02.01.2006 Wiener Physiker messen in Florida, wie sich Samarium und andere "Seltene Erden" durch Magnetostriktion verändern. Eine Million Mal so stark wie das Magnetfeld der Erde, 50.000 Mal so stark wie ein großer Hufeisenmagnet: Mit einer Feldstärke von 45 Tesla hält die Anlage im Hochfeldlabor der USA - in Tallhassee, Florida - derzeit den irdischen Rekord. Erzeugt wird dieses Magnetfeld durch elektromagnetische Induktion, mit einer Kombination aus supraleitenden Spulen (Nb3Sn, gekühlt mit flüssigem Helium) und "normalen" Spulen aus Kupfer, gekühlt mit Wasser unter hohem Druck (50 Bar). In der Kupferspule beträgt die Stromstärke 40.000 Ampere. "Das hohe Magnetfeld herrscht dann nur in einer Bohrung von 32 Millimeter Durchmesser, dort platzieren wir unsere Proben", erzählt Martin Rotter von der Uni Wien. Was treibt ihn nach Florida, zu so hohen Feldstärken? Nun, Alexander Barcza und er untersuchen, wie Materialien in magnetischen Feldern ihre Form ändern. Ein Kristall kann sich etwa in einer Richtung um bis zu zehn Prozent ausdehnen; wenn die Änderung sprunghaft erfolgt, kann man sogar von Phasenübergang sprechen. Diese "Magnetostriktion" beruht darauf, dass ein Magnetfeld die Abstände zwischen den Atomen im Kristallgitter verändert. Zunächst beeinflusst es die Elektronen, die ja sowohl einen Spin als auch einen Bahndrehimpuls haben - und damit, da sie elektrisch geladen sind, ein magnetisches Moment. Rotter arbeitet in einem FWF-Projekt mit Lanthaniden (Seltenen Erden), das sind Elemente wie Cer, Neodym, Samarium oder Gadolinium, die ziemlich weit unten, meist in einer eigenen Reihe, im Periodensystem stehen, aber gar nicht so selten sind. Sie sind einander nur ziemlich ähnlich, was daran liegt, dass sie alle in den äußersten Schalen (5d, 6s) gleich viele Elektronen haben und sich nur in der Anzahl der 4f-Elektronen unterscheiden, die sich näher am Atomkern aufhalten. "Daher spüren die 4f-Elektronen, die den Magnetismus ausmachen, nicht so stark den Einfluss der Nachbar-Atome, sie sind abgeschirmt durch die weiter außen liegenden s- und d-Elektronen", erklärt Rotter: "So kann man die magnetischen Eigenschaften der Lanthaniden recht gut auf die Eigenschaften der einzelnen Atome zurückführen. Das erleichtert die theoretische Beschreibung." Wie das magnetische Moment der Atome das Kristallgitter beeinflusst, wird in der Kristallfeldtheorie einfach über ein "klassisches" elektrisches Feld erklärt. Diese Erklärung reicht aber nicht immer, etwa nicht für Samarium. Hier muss man auch magnetische Wechselwirkungen berücksichtigen. "Es ist ähnlich wie bei zwei Stabmagneten", erläutert Rotter: "Wenn man sie so aufeinander legen will, dass die Nordpole beieinander sind, spürt man eine starke Kraft, die dagegen wirkt. Dreht man jedoch einen der Magnete durch ein äußeres Feld um 180 Grad, dann kann man die beiden ganz leicht aufeinander legen." Entsprechend ergibt sich, wenn man Atome mit magnetischem Moment dreht, eine Kraft, die den Abstand zwischen den Atomen ändert. Wie stark diese Kraft - und das erforderliche äußere Magnetfeld - sein muss, hängt vom magnetischen Moment ab. Und das ist bei Samarium klein (weil Spin und Bahndrehimpuls einander fast kompensieren). So sieht man den Phasenübergang bei Feldstärken unter 33 Tesla nur ansatzweise. Das ist der Grund für die Florida-Reisen. Rotter und Barcza träumen freilich davon, dass auch in Österreich eine Anlage errichtet wird, die so hohe Magnetfelder erzeugt. Ganz unpraktisch wäre das nicht: Magnetostriktion wird bereits technisch angewendet, etwa zur Erzeugung von Ultraschall und für hochgenaue Positionierungseinrichtungen. "Wie sich so hohe Felder bei der Synthese neuer Materialien nutzen lassen, ist weitgehend unerforscht", ergänzt Rotter, "es gibt einfach zu wenig Anlagen. Was man dazu brauchen würde, sind 100 Millionen Euro an Investitionsmitteln."