ORIGINALARBEIT ❚ H. Lang, W.H.-M. Raab1 Auswirkung endodontisch-präparativer Maßnahmen auf die Stabilität von Frontzähnen Die destabilisierende Wirkung endodontischer Maßnahmen auf Zähne ist immer noch umstritten. Ziel dieser Studie war es, den Einfluss unterschiedlicher Schritte einer endodontischen Behandlung auf die Stabilität von Zähnen zu untersuchen. An extrahierten zentralen Oberkieferfrontzähnen (n=20) wurde zunächst die Verformbarkeit in unbehandeltem Zustand (Gr. 1 Belastung: 3,75 N) interferometrisch bestimmt. Im Weiteren wurden sequentiell folgende Maßnahmen mit anschließender Erfassung der Verformbarkeit durchgeführt: Trepanation (Gr. 2), manuelle Aufbereitung mit Kerrfeilen ISO-Größe 40 (Gr. 3), ISO 60 (Gr. 4), ISO 80 (Gr. 5), ISO 110 (Gr. 6), konische (Gr. 7) und zylindrische Stiftpräparation (Gr. 8). Es zeigte sich, dass die Zähne durch jede Präparation zunehmend destabilisiert wurden. Während jedoch der Anstieg der Verformbarkeit durch manuelle Erweiterung mit Kerrfeilen nicht signifikant war (p > 0,05), wurde nach Trepanation und Stiftpräparation eine statistisch signifikante Zunahme der Verformbarkeit gefunden (p < 0,05). Ein entsprechender Unterschied wurde auch nach Umformung der Stiftpräparation von einer konischen zu einer zylindrischen Form beobachtet. Offensichtlich spielen neben Hartsubstanzverlusten auch Veränderungen der natürlichen Wurzelkanalgeometrie eine wesentliche Rolle für die Stabilität von Zähnen. Schlüsselwörter: Endodont, Stabilität, Wurzelkanalbehandlung, Verformung, Wurzelstift Impact of Endodontical Procedures on the Deformation of Anterior Maxillary Teeth. The removal of tooth structure decreases the stability of teeth. The purpose of this study was to evaluate the extent of destabilization of teeth produced by different stages of an endodontic treatment. A total of 20 extracted human anterior maxillary teeth was assigned to a series of endodontic treatments and after each procedure an assessment of the deformation using 3D-Speckle-Interferometry (load: 3.75 N). The following treatments were applied: no treatment – control (Gr. 1), access preparation (Gr. 2), root canal instrumentation using Kerr files ISO 40 (Gr. 3), files ISO 60 (Gr. 4), files ISO 80 (Gr. 5), files ISO 110 (Gr. 6), conical post preparation (Gr. 7) and cylindrical post preparation (Gr. 8). The stability of the teeth decreased with every stage of the endodontic treatment. A significant decrease was observed with the access preparation and the post preparation (p < 0.05). The transformation of the conical post preparations to a cylindrical form also reduced the stability of the teeth. In contrast, the differences between the stiffness of teeth in various stages of the manual instrumentation (Kerr files) 1 26 Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde, Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf (Direktor: Prof. Dr. W.H.-M. Raab) were not statistically significant. It was concluded that excessive removal of tooth structure and in addition, alterations of the natural geometry of the root canal destabilize endodontically-treated teeth. Keywords: root canal treatment, stability, deformation, post and core technique 1 Einleitung Die Stabilität von Zähnen wird wesentlich vom Grad der Unversehrtheit der Krone und auch der Wurzel bestimmt [17,20]. Im Bereich der klinischen Krone kann ein ausgeprägter Verlust von Zahnhartsubstanz zur Destabilisierung der Höcker, zu Infrakturen bis hin zu Frakturen führen. Aus diesem Grund werden minimal-invasive Präparationstechniken zur Minimierung des Hartsubstanzverlustes sowie adhäsive Techniken bzw. Restaurationsmaterialien zur Wiederherstellung der Stabilität favorisiert [2]. Endodontisch behandelte Zähne nehmen hinsichtlich ihrer Stabilität eine Sonderstellung ein, weil sie klinisch einem erhöhten Frakturrisiko unterliegen. Verschiedene in der Vergangenheit formulierte Theorien, z. B. dass die erhöhte Anfälligkeit auf einen relativen Feuchtigkeitsverlust bzw. eine Versprödung der Zahnhartsubstanz zurückführen sei, gelten heute als widerlegt [7]. Es bestehen jedoch immer noch uneinheitliche Auffassungen über die Gründe dieser Frakturanfälligkeit ebenso wie divergente Auffassungen zu Möglichkeiten der Stabilisierung. So gibt es eine Vielzahl von Studien zur Stabilität endodontisch behandelter Zähne, in denen auch der Einfluss unterschiedlicher endodontischer Restaurationen (Stiftaufbausysteme) untersucht wird [13,14,16]. Obwohl zunehmend die Auffassung vorherrscht, dass Stiftsysteme nicht primär der Wiederherstellung der Stabilität dienen, existieren dennoch sehr unterschiedliche Daten zu den Auswirkungen von unterschiedlichen Stiftund Aufbaumaterialien auf die Frakturanfälligkeit von endodontisch-behandelten Zähnen [4,18]. In den meisten dieser Untersuchungen wurden Veränderungen der Stabilität durch endodontische Maßnahmen mit Hilfe von Messungen der Frakturresistenz erfasst [8,13,15]. Hierbei können ausschließlich Versagenslasten bestimmt werden, nicht jedoch der zeitliche Verlauf von Veränderungen der Verformbarkeit bzw. der Stabilität. Derartige Messungen sind z. B. mit Hilfe von Dehnmesselementen (strain gauges) möglich [12,17]. So wurde bereits der Einfluss schrittweise durchgeführter restaurativer und endodontischer Maßnahmen auf die Stabilität von Zähnen untersucht [17]. Hier wurde gezeigt, dass endodontisch-präparative Behandlungen zwar die Stabilität („relative Steifheit“) des Zahnes vermindern, Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 60 (2005) 1 © Deutscher Ärzte-Verlag, Köln H. Lang, W.H.-M. Raab: Auswirkung endodontischer Maßnahmen Abbildung 1 Experimentelles Design: Schematische Darstellung des zeitlichen Ablaufs der Behandlungsschritte und Verformungsmessungen. Figure 1 Study design: Schematic drawing showing the sequence of endodontic treatments and assessments of the deformation. %) gelagert und vor den Messungen mit Hilfe eines Auflichtmikroskops auf Risse bzw. Frakturen untersucht. Danach wurden an allen Zähnen verschiedene Abschnitte einer endodontischen Therapie bzw. Wurzelkanalbehandlung schrittweise durchgeführt, wobei jeweils nach jedem Schritt eine interferometrische Bestimmung der Verformbarkeit der Zähne erfolgte (Abb. 1). Endodontische Maßnahmen Abbildung 2 Belastung der Zähne: Die Zähne wurden im Bereich der Wurzelspitze gefasst sowie 2 mm unterhalb der Schmelz-Zement-Grenze (rechts). Die Verformungsmessung erfolgte standardisiert mit Hilfe einer lastgesteuerten Belastungsvorrichtung und eines keilförmigen Stößels in einem Winkel von 130° zur Zahnachse (links-oben). Figure 2 Loading of the teeth: The teeth were fixed at the root tip and 2 mm apical to the cement-enamel-junction (right side). Forces were applied using a force-controlled piezoelectric device with a rounded pressure tip (standardized angle of 130° to the teeth’s long axis - upper left side). aber im Vergleich zu Präparationen an der klinischen Krone nur einen geringen Einfluss haben. Verfahrensbedingt sind jedoch bei diesem Messverfahren nur Aussagen über Verformungen an einzelnen Messpunkten möglich. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, den Einfluss von präparativen Maßnahmen bei endodontischen Behandlungen auf die Verformbarkeit des Zahnes zu überprüfen und das Verformungsmuster der Zahnwurzel durch interferometrische Vermessung zu bestimmen. Die Arbeitshypothese lautete, dass alle präparativen Maßnahmen im Bereich des Endodonts zu einer Destabilisierung des Zahnes führen. 2 Material und Methode Die Untersuchung wurde an insgesamt 20 extrahierten oberen Frontzähnen (Zähne 11,21) durchgeführt. Die Zähne wurden gereinigt, in physiologischer Kochsalzlösung (0,9 Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 60 (2005) 1 Als Baseline der Untersuchung wurde zunächst die Verformbarkeit der unbehandelten Zähne (Gr. 1) unter Belastung interferometrisch erfasst. Im 2. Schritt wurden die Zähne mit Hilfe eines zylindrischen Diamantschleifers trepaniert (Nr. 806-314-111-544-016, Meisinger GmbH, Düsseldorf), wobei palatinal eine Zugangskavität (ø 3mm) angelegt wurde. Nach Exstirpation des Restgewebes (Exstirpationsnadel, VDW GmbH, München) erfolgte zunächst eine Spülung mit Natriumhypochlorit (5 %) und anschließend mit physiologischer Kochsalzlösung (0,9 %). Die Bestimmung der Aufbereitungslänge erfolgte durch Sondierung der Wurzelkanäle mit einer Kerrfeile (ISO 15) und Überprüfung durch eine Abstandsbestimmung zwischen Trepanationsöffnung bzw. Referenzpunkt und Wurzelspitze an der Außenfläche. Anschließend wurde wiederum die Verformung der Zähne (Gr. 2) bestimmt. Im 3. Schritt erfolgte die initiale Aufbereitung der Wurzelkanäle mit Kerrfeilen (K-Feilen, VDW GmbH, München) und eine Erweiterung des Wurzelkanals auf ISOGröße 40 (Gr. 3). Nach einer erneuerten Erfassung der Verformungen wurden die Wurzelkanäle im 4.–6. Schritt weiter auf ISO-Größe 60 (Gr. 4), 80 (Gr. 5) und 110 (Gr. 6) erweitert. Im Anschluss an die Aufbereitungen erfolgten jeweils eine Spülung der Kanäle mit Kochsalzlösung und eine erneute Bestimmung der Verformbarkeit der Zähne. Um den Einfluss einer Stiftpräparation auf die Verformbarkeit der Zähne zu überprüfen, wurde im 7. Schritt eine konische Stiftpräparation angelegt. Die Präparation erfolgte mit Hilfe des standardisierten Präparationssets eines konfektionierten Stiftsystems (Stiftbohrer ISO 110, Komet ER-Set, Gebr. Brasseler GmbH, Lemgo). Die Präparationstiefe betrug jeweils zwei Drittel der Aufbereitungslänge des jeweiligen Zahnes. Nach Entfernung der Dentinspäne durch Spülungen mit Kochsalzlösung wurde die Verformbarkeit erneut bestimmt. Anschließend erfolgte im 8. Schritt eine Erweiterung der konischen zu einer zylindrischen Stiftpräparation 27 H. Lang, W.H.-M. Raab: Auswirkung endodontischer Maßnahmen Abbildung 3 Verformbarkeit der Zähne: Boxplots zeigen die Ergebnisse der Vermessung nach Belastung mit 3,25 N. Mittelwerte ± SD der Verformung [µm – z-Achse] von jeweils 20 Zähnen nach unterschiedlichen Behandlungsmaßnahmen sind dargestellt. Signifikante Mittelwertunterschiede sind durch Sterne (*) markiert. Gr. 1: Unbehandelte Zähne, Gr. 2: Trepanation, Gr. 3: Aufbereitung ISO 40, Gr. 4: ISO 60, Gr. 5: ISO 80, Gr. 6: ISO 110, Gr. 7: konische und Gr. 8: zylindrische Stiftpräparation. Figure 3 Deformation of the teeth: Box plots showing the extent of deformation at a load of 3,25 N. Means ± SD of the deformation [µm – z-axis] of 20 teeth after different treatments in each case and significant differences of means between groups are shown (*). Gr. 1: Untreated teeth, Gr. 2: Access preparation, Gr. 3: root canal instrumentation ISO 40, Gr. 4: ISO 60, Gr. 5: ISO 80, Gr. 6: ISO 110, Gr. 7: conical and Gr. 8: cylindrical post preparation. Abbildung 4 Interferogramme und Verformungsrichtung: Beispiel einer dreidimensionalen Vermessung eines Zahnes mit Interferogrammen für die jeweiligen Verformungsrichtungen (x-, y- und z-Achse). Während in z-Richtung, d. h. in Belastungsrichtung, ausgeprägte Verformungen zu beobachten sind (große Anzahl von dunklen und hellen Streifen), ist die Verformung in x- und y-Richtung minimal (links-oben: Schema der Vermessungsrichtungen bzw. -achsen) Figure 4 Interferograms: Sample of an interferometric assessment of a tooth showing interferograms of the three orthogonal components of deformation (x-, y- and z-axis). An extensive deformation along the z-axis, i.e. direction of loading, was observed (see: huge number of dark and light stripes in the lower right figure). In contrast, deformations along the x- and y-axes were minimal. Upper left figure: Schematic drawing showing the orthogonal components of deformation. mit Hilfe eines konfektionierten Präparationssets (Stiftbohrer ISO 110, Parapost XP, Coltène/Whaledent GmbH, Langenau), wobei die Präparationstiefe der bestehenden konischen Präparation beibehalten wurde. Nach erneuter Reinigung des präparierten Kanals erfolgte eine abschließende Bestimmung der Verformbarkeit der Zähne. Interferometrische Bestimmung der Verformbarkeit Zur Erfassung der Verformbarkeit wurden die Zähne in einer speziellen Halterung befestigt (Abb. 2) und mit Hilfe einer lastgesteuerten Belastungsvorrichtung mit insgesamt 3,75 N in einem Winkel von 130° zur Zahnachse belastet 28 (keilförmiger Stößel, Vorschubgeschwindigkeit: 0,25 N/s). Die resultierende Verformung des Zahnes bzw. der Wurzel wurde mit Hilfe eines interferometrischen Verfahrens (elektronische 3D-Speckle-Interferometrie – 3D-ESPI) bestimmt. Das Verfahren wurde bereits zuvor beschrieben [10] und soll nur kurz umrissen werden: Durch Beleuchtung des Zahnes mit einem Argonlaser (512 nm) wird ein SpeckleMuster auf der Zahnoberfläche erzeugt, das für die räumliche Lage des Zahnes charakteristisch ist. Bei Veränderung der räumlichen Lage (z. B. Verformung) werden das Specklemuster und die Lichtintensitäten verändert. Zur Messung sind 2 Aufnahmen erforderlich (Doppelbelichtungstechnik): Eine Aufzeichnung des Specklemuster im unbelasteten Zu- Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 60 (2005) 1 H. Lang, W.H.-M. Raab: Auswirkung endodontischer Maßnahmen Abbildung 5 Intakter Zahn: Verformung eines intakten Zahnes bei Belastung mit 3,75 N (Gr. 1). Der Zahn bzw. die Zahnwurzel wird nur minimal verformt (nicht quantitative 3D-Plot-Darstellung, Skala im Bild zur Orientierung). Figure 5 Untreated tooth: Deformation of an untreated tooth under applied force of 3,75 N (Gr. 1). The tooth, i.e. the root, shows only minimal deformation (non-quantitative 3D-Plot, scale shown for orientation). Abbildung 6 Zahn mit Stiftpräparation: Verformung eines Zahnes mit zylindrischer Stiftpräparation bei Belastung mit 3,75 N (Gr. 8). Der Zahn wird deutlich verformt. Der durch Stiftpräparation verursachte Hartsubstanzverlust sowie die veränderte Wurzelkanalgeometrie führen zu einer ausgeprägten Zunahme der Verformbarkeit des Zahnes bzw. der Zahnwurzel (nicht quantitative 3D-Plot-Darstellung, Skala im Bild zur Orientierung). Figure 6 Tooth with post preparation: Deformation of a tooth after cylindrical post preparation under applied force of 3,75 N (Gr. 8). The tooth is extensively deformed. The loss of tooth structure and in addition, the alteration of the natural geometry of the root canal significantly destabilize the tooth (non-quantitative 3D-Plot, scale shown for orientation). stand und eine weitere Aufzeichnung des veränderten Musters im belasteten Zustand. Durch Subtraktion der Lichtintensitäten für jeden Specklepunkt ergibt sich ein Interferogramm des Zahnes, aus dem durch Bildverarbeitung das Ausmaß der Verformung berechnet werden kann. Bei einer dreidimensionalen Vermessung werden die Zähne sequentiell aus drei verschiedenen Richtungen mit dem Laser beleuchtet und drei Interferogramme generiert, aus denen durch Vektorberechnung die Verformungen entlang der drei Raumachsen (x-,y-, und z-Achse) kalkuliert werden. Die Darstellung der Verformung erfolgt durch sog. Inplane- (x- und y-Achse) und Out-of-plane-Plots (z-Achse). Der experimentell bedingte Messfehler beträgt ±0,025 µm. Statistische Auswertung Es wurden Mittelwerte und Standardabweichungen für jede Versuchsgruppe (Gr. 1–8) aus jeweils 20 Einzelmessungen berechnet. Die Signifikanz von Mittelwertunterschieden wurde mit Hilfe einer einfaktoriellen Varianzanalyse über- Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 60 (2005) 1 prüft. Die Bestimmung der Mittelwertunterschiede zwischen den verschiedenen Gruppen erfolgte durch Post-hocMehrfachvergleiche (Scheffé-Test) auf dem 5 %-Signifikanzniveau. Die statistische Analyse wurde mit Hilfe des Programms SPSS für Windows (Version 8.0, SPSS Inc., München) durchgeführt. 3 Ergebnisse Die Verformungswerte für die verschiedenen Gruppen sind in Abbildung 3 dargestellt; signifikante Mittelwertunterschiede sind jeweils markiert (homogene Untergruppen im Scheffé-Post-hoc-Mehrfachvergleich). Obwohl eine dreidimensionale Erfassung der Verformungen erfolgte, wurden nur die Messwerte für die Out-of-plane-Komponente der Verformung (Verformungen in Belastungsrichtung) statistisch analysiert, weil die gemessenen Werte für die Inplane-Komponente (Verformungen quer zur Belastungsrichtung) nur in Einzelfällen den Bereich des experimentell bedingten Messfehlers überschritten (Abb. 4). 29 H. Lang, W.H.-M. Raab: Auswirkung endodontischer Maßnahmen Bezüglich der Out-of-plane-Komponente zeigte sich, dass alle Zähne – unabhängig von der endodontischen Vorbehandlung – bei Belastung verformt wurden. Des Weiteren ist deutlich zu erkennen, dass die Verformbarkeit der Zähne mit jeder weiteren endodontischen Maßnahme, d. h. mit zunehmender Erweiterung des Wurzelkanals, anstieg (Abb. 3). Die Zunahme der Verformbarkeit war jedoch nicht kontinuierlich. Während die manuelle Erweiterung mit Kerrfeilen keinen signifikanten Anstieg der Verformbarkeit zur Folge hatte (p > 0,05), wurde nach folgenden Behandlungsschritten ein sprunghafter, statistisch signifikanter Anstieg der Verformbarkeit beobachtet (Abb. 5 und 6): a) Schritt 2 (Trepanation): Nach der Trepanation wurde eine signifikante Zunahme der Verformbarkeit von 0,24 ±0,03 µm (Gr. 1) auf 0,36 ±0,04 µm (Gr. 2, p < 0,05) beobachtet. b) Schritt 7 (konische Stiftpräparation): Die Erweiterung der Wurzelkanäle mit dem konischen Stiftpräparationsinstrument führte ebenfalls zu einer signifikanten Destabilisierung der Zähne (Gr. 6: 0,43 ±0,06 µm auf Gr. 7: 0,57 ±0,04 µm; p < 0,05). c) Schritt 8 (zylindrische Stiftpräparation): Die Erweiterung der konischen zu einer zylindrischen Stiftpräparation hatte eine weitere signifikante Zunahme der Verformbarkeit zur Folge (Gr. 7: 0,57 ±0,04 µm auf Gr. 8: 0,73 ±0,09 µm). Über alle Behandlungsschritte erhöht sich die Verformbarkeit der Zähne insgesamt ungefähr um das Dreifache (unbehandelte Zähne: 0,24 ±0,03 µm bis zur zylindrische Stiftpräparation: 0,73 ±0,09 µm). 4 Diskussion In der vorliegenden Studie wird deutlich, dass sich bereits geringfügige Präparationen bzw. Hartsubstanzverluste auf die Verformbarkeit des Zahnes und des Zahnwurzel auswirken. Frühere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass ein Hartsubstanzabtrag im Bereich des Wurzelkanals zu einer Destabilisierung des Zahnes führt [3,5,19]. Reeh et al. (1989) erfassten mit Hilfe von Dehnmesselementen Verformungen der klinischen Krone nach unterschiedlichen Maßnahmen (Trepanation, Aufbereitung des Wurzelkanals, etc.). Es wurde der Verlust von „relativer Steifheit“ des Zahnes berechnet und festgestellt, dass endodontische Maßnahmen nur einen geringen Einfluss auf die Stabilität des Zahnes hatten. Es ist jedoch zu beachten, dass aufgrund der Messmethodik bzw. der Versuchsanordnung (Messelemente am bukkalen und lingualen Höcker) nicht die Steifheit des gesamten Zahnes sondern primär die Stabilität der klinischen Krone bzw. der Höcker bestimmt wurde. Dies bedeutet, dass der Einfluss endodontischer Maßnahmen nur hinsichtlich der Stabilität der klinischen Krone geringfügig ist, während Auswirkungen der Prozeduren auf die Stabilität der Wurzel bzw. des gesamten Zahnes nicht erfasst wurden. Die vorliegende Studie zeigt, dass endodontisch-präparative Maßnahmen – bei Betrachtung des gesamten Zahnes (einschließlich der Wurzelregion) – die Verformbarkeit messbar beeinflussen und einzelne Behandlungsschritte einen signifikanten Einfluss auf die Formstabilität haben. Die Trepanation bzw. die Entfernung des Pulpadachs sowie die Stiftpräparation führten zu einer signifikanten Schwächung des Zahnes, während der formkongruente Dentinabtrag an der Kanalwand (bei manueller Erweiterung) keinen signifikanten Anstieg der Verformbarkeit zur Folge hatte. Dies läßt vermuten, dass es neben dem Hartsubstanzverlust einen weiteren wichtigen stabilisierenden Faktor für 30 den Zahn gibt, nämlich die natürliche Geometrie des Wurzelkanals bzw. des Endodonts. Wenn man den destabilisierenden Effekt der Stiftpräparationen betrachtet, ist es bemerkenswert, das sich das zuletzt verwendeten Handinstrument von dem konischen Stiftbohrer hinsichtlich der Aufbereitungsgröße nicht unterschied. Da es sich hierbei jedoch um ein starres Instrument ohne Möglichkeit zur Anpassung an die Formgebung des Wurzelkanals handelt, ist eine artifizielle Veränderungen bzw. Begradigung des Kanalverlaufes unvermeidlich. Obwohl Frontzähne einen relativ geraden Wurzelkanalverlauf aufweisen, führten offensichtlich bereits minimale Veränderungen der Wurzelkanalgeometrie zu einer signifikanten Destabilisierung der Zahnwurzel. Dieses Phänomen wird auch deutlich, wenn man die Folgen der anschließenden Erweiterung der konischen zu einer zylindrischen Stiftpräparation betrachtet. Hier führt die Präparation zu einem ungleichmäßigen Hartsubstanzabtrag im Verlauf des Wurzelkanals, d. h. zusätzlich zum Hartsubstanzverlust wird die Wurzelkanalgeometrie erheblich verändert. In früheren Untersuchungen zur Mikromorphologie des Wurzeldentins wurde bereits vermutet [6,9], dass nicht nur die Dicke des Dentinmantels sondern auch der Aufbau des inneren Dentins die Wurzel stabilisiert. Der kombinierte Effekt von Substanzabtrag und nicht-kongruenter Präparation (d. h. ungleichmäßiger Entfernung des pulpennahen Dentins) scheint für den sprunghaften Anstieg der Verformbarkeit im Bereich der Wurzel und die Destabilisierung des Zahnes verantwortlich zu sein. Zur Frage, inwieweit eine (Teil-)Stabilisierung der präparierten Wurzel durch Stiftaufbausysteme möglich ist (z. B. adhäsiv-befestigte Glasfaser- oder Keramikstifte), gibt es heterogene Untersuchungsergebnisse [1,8,13,14]. Da der limitierende Faktor für eine Fraktur letztlich die verbleibende Zahnhartsubstanz ist [5,12,18], werden sich vermutlich solche Systeme bewähren, die a) keine bzw. nur minimal-invasive Präparationsmaßnahmen erfordern, b) in ihren Eigenschaften der natürlichen Struktur und Funktion des entfernten Wurzeldentins entsprechen und c) mit dem Dentin im Wurzelkanal stabil (adhäsiv) verbunden sind [4,14]. Schließlich wurde die Verformbarkeit von Zähnen in der Studie mit minimaler Belastung untersucht (3,75 N = 1/20 der mittleren Kaubelastung). Bei ausreichender Sensitivität des Messverfahrens besteht hierbei der Vorteil, dass Verfälschungen durch plastische bzw. irreversible Veränderungen im Wurzeldentin (z. B. Zunahme der Verformbarkeit durch Mikrofrakturen bei wiederholten Belastungen) unwahrscheinlicher sind als bei Messungen mit Mittelwertoder Maximalbelastungen (70 N). Die Aussagekraft von In-vitro-Untersuchungen zur Stabilität und Frakturresistenz endodontisch behandelter Zähne ist ohnehin auf vergleichende Betrachtungen beschränkt, da sie a) vom gewählten Versuchsdesign beeinflusst werden (z. B. der Belastungsrichtung [11]), b) eine Simulation der In-vivo-Verhältnisse schwierig ist und vor allem c) keine Angaben zur kritischen Belastungsgrenze bzw. Verformbarkeit existieren. 5 Schlussfolgerungen Grundsätzlich erhöht jeder Hartsubstanzabtrag im Endodont die Verformbarkeit der Wurzel. Invasivere Maßnahmen, wie z. B. Stiftpräparationen, beeinträchtigen die Formstabilität der Wurzel erheblich, während eine substanzschonende Aufbereitung bei maximalem Erhalt der Wurzelkanalgeometrie nur zu einer geringfügigen Destabilisierung führt. In der Konsequenz bedeutet dies, dass ein minimal-invasives Vorgehen nicht nur bei der Kavitätenpräparation sondern auch bei der Wurzelkanalbehandlung geboten ist. Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 60 (2005) 1 H. Lang, W.H.-M. Raab: Auswirkung endodontischer Maßnahmen Literatur 1. Assif D; Bitenski A, Pilo R, Oren E: Effect of post design on resistance to fracture of endodontically treated teeth with complete crowns. J Prosthet Dent 69, 36-40 (1993) 2. Bremer BD, Geurtsen W: Molar fracture resistance after adhesive restoration with ceramic inlays or resin-based composites. Am J Dent 14, 216-220 (2001) 3. Cobankara FK, Ungor M, Belli S: The effect of two different root canal sealers and smear layer on resistance to root fracture. J Endod 28, 606-609 (2002) 4. Cormier CJ, Burns DR, Moon P: In vitro comparison of the fracture resistance and failure mode of fiber, ceramic, and conventional post systems at various stages of restoration. J Prosthodont 10, 26-36 (2001) 5. Fernandes AS, Dessai GS: Factors affecting the fracture resistance of post-core reconstructed teeth: a review. Int J Prosthodont 14, 355-362 (2001) 6. Hals E: Column-like structures following the course of tubules in human dentin. Scand J Dent Res 98, 380-386 (1990) 7. Huang TJ, Schilder H, Nathanson D: Effects of moisture content and endodontic treatment on some mechanical properties of human dentin. J Endod 18, 209215 (1992) 8. Johnson ME, Stewart GP, Nielsen CJ, Hatton JF.: Evaluation of root reinforcement of endodontically treated teeth. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 90, 360-364 (2000) 9. Kishen A, Kumar GV, Chen NN: Stress-strain response in human dentine: rethinking fracture predilection in postcore restored teeth. Dent Traumatol 20, 90-100 (2004) 10. Lang H, Schwan R, Nolden R: Die 3D-Speckle-Interferometrie zur dreidimensionalen Erfassung der Verformung eingegliederter Restaurationen. Dtsch Zahnärztl Z 50, 379-383 (1995) 11. Loney RW, Moulding MB, Ritsco RG: The effect of load angulation on fracture resistance of teeth restored with cast post and cores and crowns. Int J Prosthodont 8, 247-251 (1995) 12. Magne P, Douglas WH: Cumulative effects of successive restorative procedures on anterior crown flexure: intact versus veneered incisors. Quintessence Int 31, 5-18 (2000) Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 60 (2005) 1 13. Martinez-Insua A, da Silva L, Rilo B, Santana U: Comparison of the frac-ture resistances of pulpless teeth restored with a cast post and core or carbon-fiber post with a composite core. J Prosthet Dent 80, 527-532 (1998) 14. Newman MP, Yaman P, Dennison J, Rafter M, Billy E: Fracture resistance of endodontically treated teeth restored with composite posts. J Prosthet Dent 89, 360-367 (2003) 15. Pontius O, Hutter JW: Survival rate and fracture strength of incisors restored with different post and core systems and endodontically treated incisors without coronoradicular reinforcement. J Endod 28, 710-715 (2002) 16. Raygot CG, Chai J, Jameson DL: Fracture resistance and primary failure mode of endodontically treated teeth restored with a carbon fiber-reinforced resin post system in vitro. Int J Prosthodont 14, 141-145 (2001) 17. Reeh ES, Messer HH, Douglas WH: Reduction in tooth stiffness as a result of endodontic and restorative procedures. J Endod 15, 512-516 (1989) 18. Sornkul E, Stannard JG: Strength of roots before and after endodontic treatment and restoration. J Endod 18, 440-443 (1992) 19. Trope M, Ray HL Jr.: Resistance to fracture of endodontically treated roots. Oral Surg Oral Med Oral Pathol 73, 99-102 (1992) 20. Watts DC, Wilson NH, Burke FJ: Indirect composite preparation width and depth and tooth fracture resistance. Am J Dent 8, 15-19 (1995) ❙ Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Hermann Lang Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, D-40225 Düsseldorf 31