Simulation von Störfällen in Verteilungsnetzen mit Heizkraftwerken

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Simulation von Störfällen in Verteilungsnetzen mit
Heizkraftwerken
Torsten Haase*, Fred Prillwitz*
*
Universität Rostock, Institut für Elektrische Energietechnik
Albert-Einstein-Str. 2, 18059 Rostock
[email protected], [email protected]
1. Einleitung
Die Ursachen für Störungen in den 110-kV-Verteilnetzen können vielfältig sein.
Neben Blitzeinschlägen sind Sturmböen eine der häufigsten Ursachen, die im
schlimmsten Fall zu Umbrüchen von Hochspannungsfreileitungsmasten führen
können und damit zu einem Kurzschluss im Netz. Bedingt durch diese Netzfehler entsteht ein Spannungstrichter, wobei die Spannung im umgebenden Netz je
nach Art und Dauer des Fehlers absinkt. Befinden sich konventionelle Erzeugungsanlagen in diesem Trichter, dann können sich diese Anlagen in Abhängigkeit von der Entfernung zur Fehlerstelle durch Auslösung des Untererregungsschutzes vom Netz trennen.
In diesem Beitrag wird eine solch oben dargestellte Situation, die im Jahr 2002
im Netzgebiet der enviaM aufgetreten ist, untersucht. Ziel der Untersuchung
sind die möglichen schädlichen Auswirkungen solcher Netzfehler auf die Betriebsmittel der konventionellen Erzeugungsanlagen, in diesem Fall auf einen
Generator mit einer Gasturbine in einem Heizkraftwerk.
2. Störungsverlauf
Im Januar 2002 kam es im 110-kV-Netz der enviaM zwischen den Umspannwerken Preilack (Prl) und Neuendorf (Ndf) zu einem Umbruch von drei Hochspannungsfreileitungsmasten. Dies verursachte im gesamten Netz des Heizkraftwerkes (HKW) Cottbus einen Spannungseinbruch kleiner 0,7 UN. Der Gasturbinengenerator ging durch Untererregungsauslösung vom Netz. Kurz darauf
erfolgte die Netztrennung der Dampfturbine. Einen Tag später wurde das HKW
Cottbus aufgrund von zu hohen Schwingungen der Gasturbine abgeschaltet. Aus
dem Betrieb ergaben sich die Fakten, dass nach der Störung im 110-kV-Netz die
Gasturbine anfangs nicht mehr gestartet werden konnte und die Schwingungen
bis zur Abschaltung der Gasturbine zunahmen.
Anhand der Störungsmitschrift lässt sich folgender Störungsverlauf im enviaMNetz als wahrscheinlich rekonstruieren:
T0 = -0,1 s
T1 = 0 s
T2 = 0,283 s
T3 = 0,382 s
T4 = 0,414 s
Das 110-kV-Netz ist störungsfrei.
Einpoliger Erdschluss des Leiters R auf der Leitung Prl 2. Der
Erdschluss erfolgte auf ca. halber Leitungslänge.
Zweipoliger Kurzschluss von Leiter R und S mit Erdberührung
auf der Leitung Prl 2 an der gleichen Stelle. Ursache ist ein
Umbruch von 3 Freileitungsmasten.
Auslösung des Leistungsschalters der Leitung Prl 2 im SW
Neuendorf. Der Fehler ist vom enviaM-Netz getrennt und wird
nur noch aus dem Netz der Vattenfall Europe gespeist.
Auslösung des Leistungsschalters der Leitung Prl 2 im UW
Preilack. Der fehlerbehaftete Abschnitt ist dadurch komplett
freigeschaltet.
3. Datenbasis
Das Netzmodell des 110-kV-Netzes der enviaM wurde nach einem vorliegenden
Schaltzustand sowie Last- und Kurzschlussdaten erstellt. Die Daten der Generatoren und Transformatoren im HKW Cottbus waren auch bekannt. Für eine
Simulation im Effektivwertbereich bei Unsymmetrie sowie im Momentanwertbereich werden neben den Daten des Mitsystems auch Angaben zum Gegensystem und Nullsystem der Betriebsmittel benötigt, die alle vorlagen. Das 110-kVNetz der enviaM im Netzgebiet Cottbus wird über die Leitungen Prl 2 (Preilack 2 – Neuendorf 2) und Prl 3 (Preilack 3 – Neuendorf 3) vom 380/110-kV
Umspannwerk Preilack der Vattenfall Europe Transmission (VE-T) versorgt.
Die 380-kV-Sammelschienen im UW Preilack werden nicht gekuppelt betrieben. Die Leitungen Prl 2 und Prl 3 speisen im SW Neuendorf der enviaM die
Sammelschienen SS 2 bzw. SS 1, die miteinander gekuppelt sind.
Vor der Störung wurden von der VE-T über die Leitungen Prl 2 und Prl 3 eine
Leistung von P = 75 MW und Q = 6 MVAr in das 110-kV-Netz der enviaM
eingespeist. Der Generator der Hochdruckdampfturbine des Heizkraftwerkes
war zum untersuchten Zeitpunkt schon außer Betrieb. Der Generator der Gasturbine wurde im Auslegungspunkt (S = 17,65 MVA, cosϕN = 0,85) betrieben.
4. Modellierung und Simulation
Das Herzstück des HKW Cottbus ist eine Druckwirbelschichtkesselanlage. Der
darin erzeugte Dampf wird durch eine HD- und eine MD-/ ND-Dampfturbine
geleitet und erzeugt hier Strom. Neben seiner Funktion als Dampferzeuger dient
der Kessel als externe Brennkammer einer Gasturbine zur Strom- und
Druckluftgewinnung. Der Frequenz-Leistungsregler der Gasturbine ist ein PIRegler, der die Position des Servomotors in Abhängigkeit vom
Leistungssollwert und der mit der Primärregelstatik gewichteten
Drehzahlabweichung vorgibt. Ausgangsgröße des Modells ist der
Gasmassenstrom. Die Brennkammer wird vereinfacht durch ein
Verzögerungsglied 1. Ordnung nachgebildet.
DIgSILENT
T4
T3
1
T2
2
T1
Der komplette Antriebsstrang besteht aus dem Generator, einem Getriebe (mit
Zahnrad und Ritzel), einer flexiblen Kupplung und der Gasturbine. Der Gasturbinen-Generatorsatz wird durch ein Dreimassenmodell nachgebildet, wobei der
Generator, das Zahnrad und die Gasturbine inklusive Kupplung und Ritzel jeweils durch eigene Trägheitsmomente dargestellt sind. Die Wellenabschnitte
zwischen Generator und Getriebe sowie zwischen Getriebe und Gasturbine werden durch ihre Steifigkeit und Dämpfung sowie Reibungsverluste charakterisiert. Man kann dadurch die Torsion zwischen dem Generator und der Turbine
nachbilden. Diese Phänomene lassen sich mit einem Einmassenmodell nicht
simulieren. Für den Spannungsregler wurde ein in Kraftwerken häufig installierter PD-Regler mit Stabilisierungspfad verwendet.
Der Störungsverlauf wurde präzise nachgebildet. Das Netzmodell wurde dynamisch an den Mitschriften der Verläufe der Spannungen auf den Leitungen Prl 2
und Prl 3 überprüft. Ein Vergleich der in den Abb. 1 dargestellten simulierten
Verläufe mit den vom Störschreiber gemessenen Verläufen zeigt eine gute
Übereinstimmung. Die Reaktion des Gasturbinengenerators auf die Störung im
110-kV-Netz wurde im Momentan- und Effektivwertbereich untersucht. Berechnet wurden dabei die Drehzahl- und Momentenänderungen aller Elemente
des aus Generator, Getriebe und Gasturbine bestehenden Antriebsstranges. Die
auftretenden Momentenänderungen sind dann maßgeblich für die Beurteilung
eines möglichen Schadens am Antriebsstrang.
0
-1
[s]
0.45
T4
0.35
T3
1
0.25
T2
2
0.05
0.15
NDFB 2 - PRL 2: Spannung Nullsystem in p.u.
T1
-2
-0.05
0
-1
[s]
0.45
T4
0.35
T3
1
0.25
T2
2
0.05
0.15
NDFB 2 - PRL 2: Spannung Leiter T in p.u.
T1
-2
-0.05
0
-1
[s]
0.45
T4
0.35
T3
1
0.25
T2
2
0.05
0.15
NDFB 2 - PRL 2: Spannung Leiter S in p.u.
T1
-2
-0.05
0
-1
-2
-0.05
0.05
0.15
NDFB 2 - PRL 2: Spannung Leiter R in p.u.
0.25
Abb. 1: Momentanwerte der Spannungen auf der Leitung Prl 2
0.35
[s]
0.45
S 8.
Phasenstrom in kA
S
DIgSILENT
9.
T=0s
Leiter-Erde-Spannung in kV
7.
6.
5.
4.
3.
2.
1.
-13.-12.-11.-10. -9. -8. -7. -6. -5. -4. -3. -2. -1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
-1.
-2.
R
-3.
T
-4.
R
-5.
T
-6.
-7.
Abb. 2:
Generator vor
1-pol. Erdschluss
-8.
-9.
9.
T = 0,283 s
S 8.
Phasenstrom in kA
S
DIgSILENT
-10.
Leiter-Erde-Spannung in kV
7.
6.
5.
4.
3.
2.
R
1.
-13.-12.-11.-10. -9. -8. -7. -6. -5. -4. -3. -2. -1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
-1.
-2.
-3.
T
-4.
R
-5.
-6.
-7.
Abb. 3:
Generator vor
2-pol. Kurzschluss
T
-8.
-9.
T = 0,284 s
S
9.
Phasenstrom in kA
8.
Leiter-Erde-Spannung in kV
7.
R
6.
5.
4.
3.
2.
1.
-13.-12.-11.-10. -9. -8. -7. -6. -5. -4. -3. -2. -1.
S
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
-1.
R
-2.
-3.
-4.
-5.
T
-6.
Abb. 4:
Generator nach
2-pol. Kurzschluss
-7.
-8.
-9.
-10.
T
DIgSILENT
-10.
S
Phasenstrom in kA
8.
DIgSILENT
9.
T = 0,382 s
Leiter-Erde-Spannung in kV
7.
6.
R
5.
4.
3.
2.
1.
-13.-12.-11.-10. -9. -8. -7. -6. -5. -4. -3. -2. -1.
S
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
-1.
R
-2.
-3.
-4.
-5.
-6.
T
-8.
-9.
-10.
9.
T = 0,384 s
S
S 8.
7.
Phasenstrom in kA
DIgSILENT
Abb. 5:
Generator vor Öffnen des
Leistungsschalters in Ndf
T
-7.
Leiter-Erde-Spannung in kV
6.
5.
4.
3.
2.
1.
-13.-12.-11.-10. -9. -8. -7. -6. -5. -4. -3. -2. -1.
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
-1.
T
-2.
R
-3.
-4.
-5.
T
-6.
R
Abb. 6:
Generator nach Öffnen des
Leistungsschalters in Ndf
-7.
-8.
-9.
-10.
5. Ergebnis der Untersuchung
Aus den Abb. 1 – 7 lässt sich folgendes ablesen: Vor dem Eintritt des 1-poligen
Erdschlusses wird der Generator übererregt betrieben, d.h. er speist induktive
Blindleistung ins Netz. Die Spannungs- und Stromzeiger sind völlig symmetrisch. Während des 1-poligen Erdschlusses ändert sich das Verhalten des Generators. Durch den 1-poligen Erdschluss auf der Leitung Prl 2 kommt es zu einer
sprunghaften Änderung der Länge und der Phasenlage der Spannungszeiger an
der OS-Seite des Trafos am HKW Cottbus. Ein Null- sowie ein Gegensystem
treten nun auf. Der Dreiwicklungstrafo (YN0yn0yd5) transformiert und verdreht
die Spannungen auf die US-Seite. Dort tritt kein Nullsystem auf, aber das Gegensystem bewirkt eine sprunghafte Änderung der Länge und der Phasenlage
der Zeiger. Der Spannungswinkel ändert sich sprungförmig, was zur Folge hat,
dass der Polradwinkel sich um diese Differenz erhöht.
0.05
0.15
Gasturbine: Drehzahländerung Turbine in mHz
0.35
0.35
DIgSILENT
0.45
T4
T3
[s]
[s]
0.45
T4
0.25
0.45
T4
T3
T2
0.35
T2
0.25
0.25
T4
T3
T2
T1
T1
0.05
0.15
Gasturbine: Drehzahländerung Generator in mHz
[s]
T3
160
120
80
40
0
-40
-80
-0.05
0.05
0.15
Gasturbinengenerator: Elektrisches Moment in p.u.
0.35
T2
300
200
100
0
-100
-200
-300
-0.05
0.25
T1
6
4
2
0
-2
-4
-0.05
0.05
0.15
Gasturbine: Abtriebsmoment Turbine in p.u.
T1
2.0
1.6
1.2
0.8
0.4
0.0
-0.05
[s]
0.45
Abb. 7: Momentanwerte der Gasturbine und des Generators
Dadurch vergrößert sich das elektrische Moment, was eine kurzzeitige Erhöhung
der Wirkleistung nach sich zieht. Die Erhöhung des abtreibenden elektrischen
Momentes bei konstanter Antriebsleistung hat einen Einbruch der Drehzahl zur
Folge, siehe Abb. 7. Das Polrad kehrt nach einem Ausgleichsvorgang wieder in
seine ursprüngliche Lage zurück. Während des zweipoligen Kurzschlusses mit
Erdberührung ändert sich das Verhalten des Generators. Die Ströme in den Phasen R und T sind in Phasenopposition, d.h. es entsteht ein Wechselstrom. Der
Generator geht über in den untererregten Zustand, d.h. es wird kapazitive Blindleistung in das Netz eingespeist. Nach der Auslösung des Leistungsschalters im
SW Neuendorf und der damit verbundenen Trennung des Fehlers vom enviaMNetz wird dem Generator sofort die symmetrische Netzspannung aufgeprägt und
nach einem Übergangsvorgang kehrt der Generator in die übererregte Betriebsweise zurück. Aufgrund der in der Untersuchung erzielten Ergebnisse erscheint
es unwahrscheinlich, dass die Gasturbine im HKW Cottbus durch die Störung
im Jahr 2002 im 110-kV-Netz der enviaM beschädigt worden ist. Der Generator
war zu keinem Zeitpunkt der Störung vollständig vom Netz getrennt, d.h. es trat
keine Inselnetzbildung auf. Die Störung war ein fehlerhafter, aber kein kritischer
Betriebszustand, für den der Generator und die Gasturbine jedoch ausgelegt sein
müssen. Es traten keine Extremwerte bei den Mittelwerten der Drehmomente
auf. Die Zulässigkeit der momentanen Belastung, die an der Gasturbine aufgetreten ist, kann nur vom Turbinenhersteller beurteilt werden.
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