Erscheinungsbild der Karies und ihre Diagnostik Prof. Dr. Adrian Lussi Universität Bern, Klinik für Zahnerhaltung, Freiburgstrasse 7, 3010 Bern ____________________________________________________________ Die Zähne bestehen aus dem Zahnschmelz, dem Dentin (= 'Zahnbein'), dem Zahnzement und der Zahnpulpa (= 'Zahnmark'). In der Mundhöhle leben Mikroorganismen (vor allem Bakterien), die Zucker sowie andere Stoffe zu Säure verarbeiten. Diese Säuren können den Schmelz, das Dentin und das Zement zerstören. Karies beginnt mit einer nur mikroskopisch sichtbaren Demineralisation (= Entkalkung) der betroffenen Schmelz-, Dentin- oder Zementoberflächen. Bei weiterem Fortschreiten entstehen im Schmelz kreidige Veränderungen, und schliesslich kommt es zum Einbruch der Oberfläche (ein ’Loch’ ist entstanden). In diesem Stadium ist die Karies leicht zu diagnostizieren. Als Therapie muss die Karies entfernt (ausgebohrt) und eine Füllung gelegt werden. Schwierig zu diagnostizieren hingegen sind Läsionen im An- fangsstadium oder Läsionen, die, obwohl bis ins Dentin vorgedrungen, eine makroskopisch intakte Oberfläche zeigen, was vor allem auf den Okklusal- (= Kauflächen) und der Approximalflächen (= Zahnflächen zwischen den Zähnen) beobachtet wird. Nur eine korrekte Diagnose ermöglicht es, die richtige Therapie einzuleiten. Es muss entschieden werden, ob präventive Massnahmen genügen, verbunden mit einer Reevaluation zu einem späteren Zeitpunkt, oder ob direkt invasiv vorgegangen werden soll, indem eine Füllung gelegt wird. Studien haben gezeigt, dass - bei einer generellen Abnahme der Kariesprävalenz in der Schweiz und auch Europa - die okklusalen Flächen (Fissuren) der bleibenden Molaren (= Backenzähne) bei Kindern und Jugendlichen am meisten mit Karies befallen sind. Fissurenkaries (Karies auf der Kaufläche) muss dementsprechend häufig diagnostiziert werden. 60 Prozent der Restaurationen werden bei 13-15jährigen an Kauflächen gelegt, obwohl diese nur 12 Prozent der gesamten Zahnfläche ausmachen. Es wurde zudem festgestellt, dass sich Fissurenkaries vor allem während den ersten Jahren nach dem Durchbruch entwickelt. Weiter wurde festgestellt, dass unter einer makroskopisch intakten Oberfläche tiefe Karies vorhanden sein kann. Dieser Sachverhalt erschwert die Diagnose. Es scheint, 17.08.2004, Medienkonferenz 1 dass etwa 10-30% der Dentinläsionen an Molaren eine bei visueller Inspektion ‘intakte’ Oberfläche zeigen, die sogenannte ‘hidden’ Karies. Erschwerend kommt hinzu, dass die oft zu beobachtende dunkle Verfärbung des Fissurenfundus nicht zwangsläufig mit Fissurenkaries zusammenhängt, da diese Verfärbung auch eine andere äussere Ursache haben kann. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine frühzeitige Diagnose der Karies wichtig ist, damit rechtzeitig notwendige Prophylaxemassnahmen eingeleitet werden können. Solche Prophylaxemassnahmen bewirken, dass die Karies nicht mehr weiter fortschreitet und dadurch eine Restauration verhindert werden kann. Die heute in der täglichen Praxis angewendeten Methoden zur Diagnostik der Fissurenkaries sind leider meistens nicht fähig, Karies im Frühstadion zu erfassen. Eine von den Universitäten Ulm und Bern entwickelte neue Diagnostikmethode für Fissurenkaries hilft die Karies zu erkennen. Sie basiert auf Lasertechnologie und ermöglicht es, Karies im Frühstadion mit besserer Treffsicherheit als herkömmliche Methoden zu diagnostizieren. Dieser Laser besteht aus einer Lichtquelle mit einer Wellenlänge von 655 nm und einer Leistung von 1 mW und beruht auf dem Prinzip, dass durch Karies veränderte Zahnhartsubstanz fluoresziert und dass diese Fluoreszenz proportional zur Demineralisation ist. Er besteht aus einem zentralen Teil für die Zuführung des Lichtes und den konzentrisch angeordneten äusseren Fasern für den Empfang des vom Zahn fluoreszierten Lichtes. Nicht erwünschtes Licht wird durch ein Filtersystem abgehalten. Das detektierte Licht wird dann auf einer Anzeige festgehalten. 17.08.2004, Medienkonferenz 2 Prävention morgen Prof. Dr. Adrian Lussi Universität Bern, Klinik für Zahnerhaltung, Freiburgstrasse 7, 3010 Bern ____________________________________________________________ Lacke Prophylaxe der Karies wird auch in der Zukunft auf den bewährten Säulen (Zahnreinigung, entsprechende Ernährung, Applikation von Fluoriden) basieren. Lacke werden noch mehr Verwendung finden. Es ist zudem anzunehmen, dass die zusätzliche Anwendung antibakteriell wirkender Substanzen eine wichtige Rolle spielen wird. In diesem Zusammenhang wird zur Zeit die lokale Applikation von Ozon untersucht. Die Zahnreinigung der Okklusalflächen (= Kauflächen) der bleibenden Molaren (= Backenzähne) ist beim Durchbruch schwierig, da eine Schleimhautfalte eine Trockenlegung verunmöglicht. Die Versiegelung der Fissuren (= Grübchen) ist während des Zahndurchbruches kontraindiziert. Es hat sich gezeigt, dass in dieser Phase die Applikation von Fluoridlacken angebracht ist. Durch lokale Anwendung von Fluorid wird eine kontinuierliche Freisetzung von F- unter anderem als kalziumfluoridhaltige Deckschicht ermöglicht. Bei kariesaktiven Patienten kann diese Fluoridierungsmassnahme noch durch die Applikation von Cervitec unterstützt werden. Es handelt sich dabei um einen Schutzlack auf Polyvinylbutyral-Basis mit antimikrobiellen wirksamen Substanzen, die die bakterielle Aktivität in der Plaque senken und dadurch die Remineralisation mit F- begünstigen. Die Fluoridlacke werden auf die getrockneten und gereinigten Molaren appliziert, wobei die Approximalflächen (= Flächen zwischen den Zähnen) und die benachbarten Milchmolaren ebenfalls touchiert werden sollten. Die Applikation sollte alle 3-6 Monate erfolgen. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist die Tatsache, dass Fluorid in der Mundhöhle vorhanden sein muss, damit es seine günstige Wirkung entfalten kann. Aus diesem Grunde wird heute empfohlen, nach dem Zähneputzen nur auszuspucken und nicht mit Wasser zu spülen. Bei sehr kariesaktiven Kindern zeigte eine neue Methode, die Applikation von am Zahn befestigten Glaskörpern, sehr gute Resultate. Diese Glaskörper geben kleinste Mengen von Fluoridsalzen ab und können so das Fortschreiten der Karies verhindern. 17.08.2004, Medienkonferenz 3 Ozon Ozon kommt natürlicherweise sowohl bodennah als auch in großen Höhen vor. In der Stratosphäre (25 - 30 km über der Erdoberfläche) befindet sich etwa 90% des Ozons. In der Zahnmedizin wird Ozon zur Wasserdesinfektion in Dentaleinheiten verwendet. Langzeitergebnisse über eine Beobachtungszeit von 11 Jahren zeigen, dass die Wasserdesinfektion sehr effektiv und derjenigen mit Wasserstoffperoxid und Silberionen überlegen ist. Es wurde auch gezeigt, dass ozonisiertes Wasser bei täglicher Applikation in den ersten 48 Stunden die epiteliale Wundheilung der Haut und Schleimhaut fördert. Mit Ozon angereichertes Wasser wird in der Behandlung von Gingivitis (Zahnfleischentzündung) empfohlen und auch zur antimikrobiellen Mundpülung. Die für die Prophylaxe der Karies im Vordergrund stehende Applikation ist das Ozongas. Es wird dabei Ozon in einem Generator aus Luftsauerstoff gewonnen und durch einen Schlauch in ein spezielles Handstück geleitet. Auf dem Handstück sitzt ein Silikonaufsatz, der auf die zu behandelnde Stelle gehalten wird. Nachdem ein Unterdruck erzeugt worden ist, wird Ozon für eine vorgegebene Zeit appliziert und dann für 10 Sekunden abgesaugt. Damit wird erreicht, dass kein Ozon in die Mundhöhle gelangt. Hauptsächlich wird Ozon zur Kariesbehandlung propagiert, jedoch auch zur Behandlung von überempfindlichen Zahnhälsen, zur Wurzelkanaldesinfektion und zur Aphtenbehandlung. In einer prospektiven Studie wurden 41 Patienten über 3 Monate untersucht bei monatlicher Kontrolle. Die Messung der Karies mit dem vorher erwähnten Laser zeigte eine signifikante Verbesserung bei initialer Fissurenkaries verglichen mit den Ausgangswerten. Die Autoren schliessen daraus, dass Ozon besonders bei Hochrisikokariespatienten prophylaktisch eingesetzt werden könnte. Falls Ozon zur Sterilisierung der Fissur vor der Versiegelung der Kauflächen gebraucht wird, kann auch bei Ozonapplikation von einem guten Verbund Versiegler-Zahn ausgegangen werden. Dem Ozon mit seinem Wirkungsspektrum wurde sicherlich lange Zeit in der Schulmedizin zu wenig Bedeutung beigemessen, jedoch gibt es in jüngerer Zeit viele interessante und vielversprechende Forschungsansätze und einige Ergebnisse. Ob es zu einem Paradigmenwechsel in der Kariologie kommen wird, wird die Zukunft zeigen. Weitere Forschungsergebnisse werden den Weg in den nächsten Jahren weisen müssen. 17.08.2004, Medienkonferenz 4 Impfung Die Immunisierung gegen die Entstehung der Karies wird schon lange diskutiert und erforscht. Bei der passiven Immunisierung gegen Streptococcus mutans (S. mutans) (ein Keim, der mit der Entstehung von Karies zusammenhängt) werden Antikörper verabreicht, die die Anhaftung von S. mutans auf die Zahnoberfläche erschweren. Studien haben im Kurzzeitversuch hoffnungsvolle Resultate geliefert. Die aktive Immunisierung z.B. durch intramuskuläre Injektion von Bakterienzellen ist beim Menschen nicht möglich, weil auch Antikörper gegen menschliches Herzmuskelgewebe gebildet werden. Was möglich scheint, ist eine lokale Immunantwort der Mundschleimhaut zu provozieren oder die natürlich vorkommenden S. mutans gegen einen gentechnisch veränderten nicht pathogenen Stamm zu vertauschen (Verdrängungsprozess). Alle diese Methoden werden aber in der nächsten Zukunft nicht von Erfolg gekrönt sein, da bei der Entstehung von Karies nicht nur S. mutans beteiligt ist, sondern andere Bakterien und Pilze eine sehr wichtige Rolle spielen. 17.08.2004, Medienkonferenz 5