EMV-gerechtes Design «EMV-gerecht» .................................................................................................. 2 Störübertragungsart und Störquellenart ................................................................ 2 Reziprozitätsprinzip ............................................................................................ 2 Metallgehäuse als Faraday-Käfig .......................................................................... 2 Keine Abschirmung tieffrequenter Magnetfelder ..................................................... 3 Geräteinterne Massnahmen gegen Magnetfelder .................................................... 4 Signal-Ground Loops .......................................................................................... 4 Ground Loops .................................................................................................... 5 Ground Plane ..................................................................................................... 5 Multi Point Grounding zum Gehäuse ..................................................................... 6 Öffnungen in der Abschirmung (1) ....................................................................... 6 Öffnungen in der Abschirmung (2) ....................................................................... 7 Lösungen für Öffnungen ...................................................................................... 7 Dämpfung eines Lochblechs ................................................................................. 7 Spezialfall elektrostatische Entladung ................................................................... 8 «Human Body Model» und IEC 61000-4-2 Prüfnorm ............................................... 9 Eingebauter ESD-Schutz von integrierten Schaltungen ............................................ 9 Standardlösung zum ESD-Schutz ........................................................................10 Leitungen: «Common-Mode» und «Differential-Mode» ...........................................11 «Single-ended» Übertragung und «differentielle» Übertragung ...............................12 Übertragungsart und elektrisches Feld, Strahlung..................................................12 Kabelschirmung gegen elektrisches Feld, Strahlung ...............................................14 Kabelschirmung und Verbinder ......................................................... 15 Übertragungsart und Magnetfeld .........................................................................15 «Twisted-Pair» Kabel .........................................................................................16 Hinweise zum Verdrillen .....................................................................................16 Verdrahtungsschema Flachbandkabel ..................................................................16 Ground Loops durch Kabelverbindungen ..............................................................17 Literaturverzeichnis ......................................................................... 17 EMV-gerechtes Design 2 Redaktioneller Hinweis: dieses Kapitel ist als Abhandlung gehalten, ohne Fallbeispiele. «EMV-gerecht» «EMV» bedeutet «Elektromagnetische Verträglichkeit», damit ist gemeint: • nicht unzulässig stark stören • nicht unzulässig stark gestört werden • unzulässig: Betrieb eingeschränkt oder gar nicht mehr möglich Störübertragungsart und Störquellenart Störungen treten grundsätzlich drahtgebunden (galvanisch) oder drahtlos auf (Art der Störungsübertragung). Drahtlose Störungen entstehen im Zusammenhang mit Magnetfeldern, elektrischen Feldern und elektromagnetischer Strahlung (Quellenart der Störung). Meist sind an einer konkreten Störung mehr als eine Störübertragungsart und mehr als eine Störquellenart beteiligt. Meist sind an einer konkreten Störung auch mehr als eine Störquellenart beteiligt. In der Regel können die Anteile einer Störübertragungsart und einer Störquellenart an einer Störung weder voneinander getrennt gemessen, noch sind sie theoretisch berechenbar. Weiterhin ist der Störpegel stark abhängig von der Umgebung und von Geräten, die in der Umgebung betrieben werden (z.B. Motoren). Daher wird das Thema EMV oft als schwieriges, unangenehmes Thema angesehen. Oft ist jedoch eine Störübertragungsart so dominant, so dass es reicht, diese zu unterdrücken, damit der Betrieb wieder uneingeschränkt möglich ist. Reziprozitätsprinzip Das Reziprozitätsprinzip besagt folgendes: Jede Massnahme zur Reduktion der Störaufnahme ist auch eine Massnahme zur Reduktion der Störaussendung. Eine Besprechung der Massnahmen zur Reduktion der Störaufnahme ist damit auch eine Besprechung der Massnahmen zur Reduktion der Störaussendung. Es reicht daher, wie folgend den Aspekt der Störaufnahme zu besprechen. Zu beachten ist jedoch, dass eine Verbesserung des Signal-Rauschabstandes durch Erhöhen der Signalspannung nicht obigem Reziprozitätsprinzip entspricht und die Störaussendung der Schaltung erhöht. Das Reziprozitätsprinzip gilt nur für die Reduktion der Störaufnahme. Metallgehäuse als Faraday-Käfig Elektrische Felder und elektromagnetische Strahlung lassen sich bereits durch eine dünne Aluminiumfolie relativ gut abschirmen. Abbildung 1 zeigt ein (repräsentatives) Beispiel einer Dämpfung bei einer Schachtel, welche mit 0,05 mm dicker Aluminium-Folie abgedeckt wurde (ohne jegliche Öffnung, ein Faraday-Käfig). Dämpfung entsteht durch Reflexion an der Aussenseite und Absorption. Im tieffrequenten Bereich sind das elektrische und das magnetische Feld untereinander nicht gekoppelt und die Dämpfung der Felder ist unterschiedlich (man befindet sich hier im sogenannten «Nahfeld» der Quelle). © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design Abbildung 1. Dämpfungskurven einer mit Alufolie ausgekleideten Schachtel(1). Keine Abschirmung tieffrequenter Magnetfelder Ein Faradayscher Käfig aus normalem, unmagnetischen Metall ist nicht feldfrei, feldfrei sondern lässt statische und tieffrequente Magnetfelder passieren (siehe Darstellung unten). Dies wird häufig missverstanden, da käufliche Faradayische Käfige auch tieffrequente und statische Magnetfelder dämpfen, dies geschieht jedoch durch den Einsatz einer hochpermeablen Schicht aus sogenanntem «Mu-Metall». «Mu Mu-Metall ist jedoch teuer und vor allem druckempfindlich, weshalb es nur mit grosser Vorsicht verarbeitet werden kann. Dies hat als Konsequenz, dass es in der Praxis nicht möglich ist, Geräte, welche in Serie gefertigt werden, mit Mu-Metall Mu Metall zu versehen. Abbildung 2. Magnetische Dämpfung einer Aluminiumfolienbox, aus «Shielding a room using aluminum foil», D.A.Weston, www.emcconsultinginc.com consultinginc.com, 2006. © 26.08.11, M. Nussberger 3 EMV-gerechtes Design 4 Geräteinterne Massnahmen gegen Magnetfelder Da tieffrequente Magnetfelder, insbesondere 50 Hz Magnetfelder, auch von einem Metallchassis nicht abgeschirmt werden, müssen andere Massnahmen ergriffen werden, damit Störungen durch Magnetfelder nicht problematisch werden. Eine Massnahme besteht darin, sogenannte «Stützkondensatoren» zu verwenden (Abbildung 3). Aufgrund der viel grösseren Lastimpedanz als der Quellenimpedanz fällt eine induzierte Spannung hauptsächlich über der Lastimpedanz ab. Mit dem Kondensator kann nun wechselstrommässig eine tiefere Lastimpedanz erreicht werden, anders gesagt, gleicht der Kondensator Spannungsschwankungen über der Last aus. Ein typischer Wert für einen Stützkondensator ist 100 nF (etwa 32 kΩ bei 50 Hz, deshalb für höhere Frequenzen) bei jedem Speisungsanschluss einer integrierten Schaltung (Operationsverstärker, Instrumentenverstärker, etc.), sowie verteilt über die Schaltung einige 10 µF Kondensatoren (ca. 320 Ω bei 50 Hz, daher gut für diese Störfrequenz geeignet). Abbildung 3. Stützkondensator zum Ausgleichen von induzierten Störspannungen. Signal-Ground Loops Bei Signaleingängen ist das Anbringen einer zusätzlichen Kapazität in aller Regel nicht möglich, da mit der Quellenimpedanz der vorgängigen Ausgangsstufe ein Tiefpass gebildet wird. Weiterhin können typische digitale Ausgangsstufen in der gebräuchlichen CMOSTechnik nur bis ca. 50 pF kapazitive Last treiben (ansonsten zu grosser Ausgangsstrom). Daher besteht die einzige Möglichkeit zum Schutz gegen magnetisch induzierte Störungen in der Reduktion der Schleifenfläche. Abbildung 4. Signal-Ground Loop. © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 5 Ground Loops Ground Loops bestehen, wenn die Masserückleitung ein verteiltes Netzwerk darstellt, Abbildung 5. Stützkondensatoren nützen bei Ground Loops nichts: es müsste ein Stromfluss entgegen der definierten Speisestromflussrichtung fliessen. Die einzige Lösung besteht wieder darin, die Schlaufenflächen von Ground Loops zu minimieren. Ground Loops stören insbesondere im Bereich von Analogschaltungen: es entsteht Rauschen auf der Masse, welches z.B. direkt im Ausgangssignal von Verstärkern erscheint, man spricht dann von sogenannten «Brummschleifen». Abbildung 5. Ground Loop mit Störmagnetfeld. Ground Plane Mit einer sogenannten «Ground Plane» – eine Lage bei einer mehrlagigen Leiterplatte ist eine möglichst durchgängige Kupferfolie – können alle Ground Loops eliminiert werden, siehe z.B. Abbildung 6. Wichtig ist, dass keine grösseren Unterbrechungen vorhanden sind, ansonsten sind rund um die Unterbrechungen wieder Ground Loops möglich. Insbesondere bei Durchkontaktierungen ist zu beachten, dass nicht mehrere Durchkontaktierungen zusammen einen grossen Unterbruch erzeugen. Abbildung 6. Ground Plane mit Unterbrechnungen (Leiterplatte ZEMEP2, ZHAW). © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 6 Multi Point Grounding zum Gehäuse Speicher DMA Controller Speicher Analog I/O Logik Analog Power CPU, cache, clock A/D Gate Arrays, Logik Memory Buffers Power I/O Analog I/O Eine Leiterplatte muss in einem Gehäuse montiert werden. Verwendet man ein Metallgehäuse, so ist es sinnvoll, die Ground Plane mit dem Chassis leitfähig zu verbinden. Ansonsten können Differenzspannungen zwischen dem Gehäuse und der Ground Plane entstehen, die Bauteile beschädigen können, namentlich bei einer elektrostatischen Entladung auf einen Steckverbinder. Zur guten elektrischen Verbindung sind mehrere Schrauben zu verwenden. Dies führt jedoch auf Ground Loops zwischen Leiterplatte und Gehäuse. Die Lösung sung besteht darin, Ground Loops zu zu lassen, aber man minimiert deren Fläche durch zusätzliche Masseverbindungen (zusätzliche Schrauben). Als Faustregel gilt: horizontaler Abstand von Masseverbindungen vom PCB mit dem Chassis kleiner als λ/20, mit λ = Vakuumlichtgeschwindigkeit kuumlichtgeschwindigkeit / für das System relevante Signalbandbreite. Signalbandbreite Abbildung 7.. Multi Point Grounding im Umfeld einer in einem Chassis montierten Leiterplatte. Quelle Bild links: M. Montrose, Printed Circuitt Board Design Techniques for EMC Compliance, IEEE Press. Öffnungen in der Abschirmung (1) Zurück bei der Schirmung elektrischer Felder und insbesondere elektromagnetischer Strahlung ist zu bemerken, dass die Schirmwirkung Schirmwirkung durch ein Metallgehäuse noch von den immer vorhandenen Öffnungen abhängt. Bei steigender Frequenz nimmt die Wellenlänge eines Signals ab, dies bedeutet, dass auch kleine Öffnungen für relativ hochfrequente Signale zu grossen «Tore» werden. Für Wellenlängen Wellenlängen kleiner oder gleich der doppelten, grössten Öffnungslänge (Abbildung 8,, λ ≤ 2 · d) besteht praktisch keine Dämpfung mehr. mehr Für Wellenlängen ab der doppelten, grössten grösste Öffnungslänge nimmt die Dämpfung linear mit einer Rate von 20 dB per Dekade zu (Abbildung ( 9). Der Vergleich zwischen Schirmungseffizienz des Faraday-Käfigs Käfigs und der Schirmungseffizienz von Öffnungen zeigt, dass die totale Schirmung im Wesentlichen durch die Schirmung der Öffnungen bestimmt bestimmt ist. Ausschlaggebend für die Berechnung ist die grösste Dimension der Öffnung d Abbildung 8. Dämpfungsbestimmende Öffnung d. © 26.08.11, M. Nussberger d EMV-gerechtes Design Öffnungen in der Abschirmung (2) Für Frequenzen bis beispielsweise 1 GHz und bei minimaler Schirmung von 20 dB darf die grösste Öffnung nicht grösser als 1.6 cm sein Abbildung 9. Öffnungen im Gehäuse und daraus folgende Dämpfungsreduktion. Lösungen für Öffnungen Folgendes sind Lösungen für Öffnungen: • Displays als sehr grosse Öffnungen können mit einem transparenten, leitfähigem Film überzogen werden • Sensitive Schaltungsteile oder Schaltungsteile mit hohem Störpotential sollten von den Öffnungen entfernt platziert werden • Spälte verhindern durch Überlappungen, ein elektrischer Kontakt ist dabei hilfreich (Abklären wegen der Oberflächenbehandlung, Oxidation) Dämpfung eines Lochblechs Lüftungsöffnungen können ohne grössere Probleme mit einem gelochten Metallblech abgedeckt werden • Wenn der Abstand der Löcher kleiner als λ/2 ist, dann ist die totale Schirmung um den Faktor der Wurzel aus der Lochzahl schlechter als die Schirmung eines einzelnen Loches • z.B. hundert 4 mm-Löcher schirmen um den Faktor √100 = 10 = 20 dB schlechter als das einzelne 4 mm-Loch • Zwei gleiche Öffnungen mit einem grösseren Abstand als λ/2 bewirken keinen gemeinsamen, höheren Schirmungsverlust © 26.08.11, M. Nussberger 7 EMV-gerechtes Design 8 Spezialfall elektrostatische Entladung Menschen können sich beim Gehen auf elektrisch schlecht leitfähigen Böden auf mehrere Kilovolt aufladen. Beim Kontakt mit einem geerdeten Gerät kommt es zu einer Entladung vom Menschen über das Gerät, es kann dabei ein beträchtlicher Strom bis zu 30 Ampère fliessen. Wegen der kurzen Entladezeit im Nanosekundenbereich handelt es sich allerdings um eine kleine Energiemenge. Findet der Entladestrom seinen Weg durch Elektronik, so kommt es wegen der kleinen Energiemenge meist nicht zu einer Vollschädigung, jedoch in aller Regel zu einer Teilschädigung. Nach mehreren Entladungen folgt dann ein Totalausfall, u.U. wegen einer minimalen Entladung, die die entladenen Person gar nicht spürt. Durch schaltungstechnische Schutzmassnahmen ist es jedoch möglich, elektrostatische Entladungen abzufangen, bevor eine solche die Elektronik schädigt. Ein ESD-Fall (von engl. «electrostatic discharge») beinhaltet meist differentielle und Common-Mode Signalanteile: zunächst findet zwar eine Entladung z.B. auf einen Anschluss statt, aber Geräteintern kommt es oft zu Übersprechen (Koppeln) des Störsignals auf benachbarte Leitungen. In der Folge ist im System auch eine Common-Mode Störung vorhanden. Koaxialkabel gestreckt Oszilloskop-Eingang 1 1 MΩ Koaxialkabel gestreckt 20 pF Oszilloskop-Eingang 2 1 MΩ 20 pF Abbildung 10. Elektrostatische Entladung auf einen Anschluss, internes Übersprechen führt zu Common-Mode Störungsanteilen im Geräteinnern. © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 9 «Human Body Model» und IEC 61000-4-2 Prüfnorm Für ein Gerät, welches in den Verkauf kommt, muss nachgewiesen werden, dass es durch einen ESD-Fall nicht beschädigt wird. Grundsätzlich existieren zwei Verfahren zur Prüfung der ESD-Festigkeit, das «Human Body Model» und die IEC 61000-4-2 Prüfnorm. Tabelle 1 stellt die Unterschiede des Testens nach den beiden Modellen dar. Verwendbarkeit Generatorkapazität Entladewiderstand Stromspitze bei 8 kV Testspannung Energie (grob geschätzt) Kurvenform Pulsanstiegszeit Anzahl Pulse Test gemäss Human Body Model Mensch-zu-IC Entladungen in Umgebungen, welche elektrostatische Aufladungen nur teilweise zulassen* 100 pF 1500 Ω 5,33 A Test gemäss IEC 61000-4-2 Worst-Case Annahme einer komplett ESD-begünstigenden Umgebung 1,5 mJ 6 mJ 150 pF 330 Ω 24,2 A 25 ns < 1 ns 1 x positiv, 1 x negativ 3 x positiv, 3 x negativ *) z.B. Tisch ableitfähig, aber Schuhe nicht. Tabelle 1. Vergleich «Human Body Model» vs. IEC 61000-4-2, Quellen: (1), (2). Das Testen nach der Norm IEC 61000-4-2 ist mit einer ungefähr vierfach so hohen Pulsenergiemenge verbunden (bei gleicher Spitzenspannung, beim Vergleich HBM 1,5 kV und IEC 8 kV ist der Unterschied gar über 100fach!), die Maximalspannung wird bereits nach 1 ns erreicht und grob die Hälfte der Energie ist bis 25 ns bereits umgesetzt. Beim Testen nach HBM ist die Anstiegszeit mit 25 ns sehr viel länger, verbunden mit einer vergleichsweise «gemächlichen» Energieleistung. Zu diesen Differenzen kommt dazu, dass der nach «Human Body Model» spezifizierte ESDSchutz von gewöhnlichen ICs oft nur wenige kV stark ist. Texas Instruments z.B. (Hersteller des oben aufgeführten MSP430 Mikrocontrollers) spezifiziert standardmässig (auch beim MSP430) nur einen ESD-Schutz von 1,5 kV HBM. Eingebauter ESD-Schutz von integrierten Schaltungen Es existieren tatsächlich ICs, welche für die höchste ESD-Teststufe (Stufe 4) mit je drei positiven und drei negativen 8 kV Kontaktpulsen (15 kV Funkenstreckenentladung) gemäss Norm IEC 61000-4-2 spezifiziert sind, z.B. der LVDS Line Receiver ADN4666 oder der RS485 Halbduplex Transceiver MAX14840 (letzerer sogar für 12 kV, im SO8-Gehäuse). Ein durchgehender Einbau eines solchen Totalschutzes ist jedoch für die Halbleiterhersteller unökonomisch, er würde viele Komponenten, welche keinerlei direkten Kontakt zur Welt ausserhalb der Leiterplatte haben, unnötig verteuern. Alleine auf die ESD-Schutzmassnahmen in Entwicklung und Produktion wollen sich die Halbleiterhersteller jedoch auch nicht © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 10 verlassen. Sie wissen nur zu genau, dass diese Schutzmassnahmen – alles ableitfähig, vom Stuhl über die Schuhe bis zur Tischfläche und dem Lötkolben – nur all zu oft vernachlässigt werden. Zwar ist dies eine Unterlassungssünde des Anwenders, aber massenweise defekt gehende Bausteine werfen einfach automatisch ein schlechtes Licht auf den Hersteller. Der logische Kompromiss besteht darin, einen reduzierten ESD-Schutz, passend für die Entwicklungs- und Herstellungsumgebung, einzubauen. Den Herstellern kommt entgegen, dass sie einen zwar begrenzten, aber vorhandenen Teilschutz mit den Standard-PN-Dioden des IC-Designprozesses erreichen können, indem bei jedem Eingang eine Diode in Sperrrichtung nach Masse und eine Diode in Flussrichtung zur Versorgungsspannung geschalten wird, siehe Abbildung 11. Die Diode zur Versorgungsspannung ist erforderlich für positive Überspannungen, da eine Zenerdiode schon wieder zu teuer wäre. D.h. positive Spannungsspitzen werden in die Spannungsversorgung umgeleitet (!), anstatt nach Masse. Es wäre unsinnig, diesen ESD-Teilschutz, der für die Entwicklungs- und Produktionsumgebung gedacht ist, nach der Norm IEC 61000-4-2 zu testen. Die Norm IEC 61000-4-2 bezieht sich auf die Anwender-Umgebung, welche ausgesprochen ESD-freundlich sein kann. Für die Entwicklungs- und Produktionsumgebung hat sich gezeigt, dass das sogenannte «Human Body Model» («HBM») das richtige Testniveau darstellt. Das «Human Body Model» modelliert, wie der Name besagt, die Mensch-zu-IC Entladung, welches den kritischsten und weitaus häufigsten ESD-Fall in der Entwicklung und Produktion darstellt. Das «Human Body Model» bestand vor der IEC 61000-4-2 Norm, d.h. früher wurde nur nach dem HBM-Modell getestet. Es zeigte sich jedoch in der Praxis, dass das Testen von Geräten gemäss dem «Human Body Model» in Bezug auf den schlussendlichen Einsatz beim Benützer zu optimistisch ist, darauf hin wurde die strengere Norm IEC 61000-4-2 entwickelt. Abbildung 11. Standard-Schutzdioden im Innern eines ICs. Standardlösung zum ESD-Schutz Üblicherweise wird ein IC-Ein- bzw. Ausgang gegen ESD mit einer Avalanche-Diode nach Masse und einem Strombegrenzungswiderstand geschützt, siehe Abbildung 12. Abbildung 12. Standard-ESD-Schutz bei digitalen Ein- und Ausgängen bestehend aus einer Avalanche-Diode und einem Widerstand (Details siehe Text). © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 11 Avalanche-Dioden sind Dioden deren Lawinendurchbruchs-Spannung durch Dotierung bewusst auf einen bestimmten Wert verschoben wurde, in der Regel auf die Zenerdurchbruchs-Spannung. Ein Lawinendurchbruch findet theoretisch innerhalb von Picosekunden statt, was sehr schwierig zu messen ist. Hersteller geben deshalb als Reaktionszeit entweder keine Werte an – sie sprechen lediglich von «very fast response time» – oder spezifizieren eine Reaktionszeit im Nanosekundenbereich (z.B. «Typical fast response times are less than 1.0 ns for unidirectional devices and less than 5.0 ns for bidirectional devices.»(3), welche mit absoluter Sicherheit länger ist als die tatsächliche ist. Avalanche-Dioden sind explizite Schutzelemente, welche für andere Zwecke üblicherweise nicht eingesetzt werden. Sie sind unter verschiedenen Begriffen, einige davon Markennamen, bekannt: «Transient Voltage Suppressor Diode» («TVS»), «Transzorb™» (General Semiconductor, jetzt Vishay Intertechnology, Inc.), «Transil™» (ST Microelectronics). Der Wert des Schutzwiderstandes bestimmt sich nach dem maximal zulässigen Fehlereingangsstrom des zu schützenden ICs und der Restspannung, welche bei einem 8 kV Spannungspuls über den Schutzdioden noch verbleibt. Leitungen: «Common-Mode» und «Differential-Mode» Im Folgenden werden Leitungen zwischen zwei Geräten betrachtet. Zwei wichtige Begriffe in dieser Thematik sind die Ausdrücke «Common-Mode» und «Differential-Mode». Mit Common-Mode ist der Störanteil gemeint, welcher auf mehreren Leitern gleichartig ausgeprägt erscheint (Abbildung 13). Mit Differential-Mode sind die Unterschiede in den Störanteilen auf mehreren Leitern gemeint. Abbildung 13. Common-Mode Störungsanteil und Differential-Mode Störungsanteil. © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 12 «Single-ended» Übertragung und «differentielle» Übertragung Für die folgende Besprechung sind die zwei grundsätzlich unterschiedlichen Übertragungsarten mittels zweier Leiter zu identifizieren: • bei «single-ended» Übertragung wird das Potential auf einer Leitung variiert, die andere Leitung verbleibt auf dem Massepotential, welches in aller Regel auch das Erdpotential ist (ausser bei doppelt isolierten Geräten), siehe Abbildung 14. • bei «differentieller» Übertragung (auch «symmetrische» Übertragung genannt) wird das Potential auf beiden Leitungen im Gegentakt (gegensätzliche Spannung) variiert, d.h. gegenüber dem Masse- bzw. Erdpotential liegen die Leitungen bei einem Signal auf einer positiven bzw. negativen Spannung Abbildung 14. Single-Ended Übertragung (links), differentielle Übertragung (rechts) Übertragungsart und elektrisches Feld, Strahlung Das elektrische Störfeld und elektromagnetische Einstrahlungen bewirken bei ähnlich gestalteten, verlegten und ähnlich angeschlossenen Drähten ähnliche, eingekoppelte bzw. eingestrahlte Störpegel. Man spricht deshalb bei elektrischem Störfeld und elektromagnetischer Einstrahlung von einer Störung mit dominantem Common-Mode Anteil. Indem eine differentielle Übertragung und gleichartige Signaladern (kein Koaxialkabel, sondern z.B. Flachbandkabel) verwendet wird, werden diese Störungen durch Differenzenbildung beim Empfänger im Bereich seiner Verstärkung gut unterdrückt ( Abbildung 15). Bei hochfrequenten Störungen besteht jedoch ein Problem darin, dass diese Differenzenbildung nicht mehr funktioniert und die Eingangsstufe nur noch gleichrichtend wirkt, wodurch amplitudenmodulierte Signale demoduliert werden. © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design Abbildung 15. Auswirkungen der Störungen durch Strahlung und durch elektrische Felder bei differentieller Signalübertragung. © 26.08.11, M. Nussberger 13 EMV-gerechtes Design 14 Beim Single-Ended Übertragungen besteht keine Symmetrie der Leiteranordnung, insbesondere ist z.B. beim Empfängereingang die Signalader hochohmig beschaltet, die Masseader sehr niederohmig (Abbildung 16. Störungen durch elektrische Felder und durch elektromagnetische Strahlung werden unterschiedlich eingeprägt. Damit erscheinen diese Störungen direkt im Signal. Abbildung 16. Auswirkungen der Störungen durch Strahlung und durch elektrische Felder bei Single-Ended Signalübertragung. Kabelschirmung gegen elektrisches Feld, Strahlung Mit einer beidseitig am Chassis verbundenen Kabelschirmung können elektromagnetische Einstrahlungen und Störungen durch das elektrische Feld vollständig unterdrückt werden, insbesondere ist das Problem der Amplitudenmodulation gebannt. Bei beidseitiger Verbindung entsteht jedoch eine niederohmige Masseverbindung, mit weiter unten erwähnten Problemen. Bei einseitiger Verbindung wirkt der Kabelschirm wie eine Antenne, elektromagnetische Einstrahlung kann in die Signalleiter eingekoppelt werden. Die Schirmung dient dann noch dazu, Störungen durch das elektrische Feld zu dämpfen. Es gibt keine eindeutige Anweisung, wie vorzugehen ist, man muss im konkreten Fall abklären, welche Störungen einem mehr Probleme bereiten. Man sollte daher eine beidseitige Chassisverbindung vorsehen, jedoch ebenso die Möglichkeit, diese nur einseitig durchzuführen Abbildung 17. Kabelschirmung: beidseitig oder einseitig anbringen? Abbildung 18. Einseitiges Anbringen der Kabelschirmung: welche Seite? © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 15 Kabelschirmung und Verbinder Der Kabelschirm muss korrekt an das leitfähige (!) Steckergehäuse verbunden werden.Eine Verbindung des Schirms an einen Pin auf dem Stecker ist praktisch wirkungslos.Die wirkungslos Schirmung muss rundum zum Steckergehäuse kontaktiert werden Abbildung 19.. Anbringen der Kabelschirmung. Übertragungsart und Magnetfeld Einwirkungen durch Fremdmagnetfelder bewirken in Zweileiter-Systemen Zweileiter immer rein differentielle Störungen. Störungen Ob ein Single-Ended Ended oder ein differentielles Übertragungsschema verwendet wird, spielt für das Mass der Störungsaufnahme keine Rolle. Die in der Schleife gebildet aus den Leitern, dem Treiber und dem Empfänger induzierte Spannung wird wegen dem hohen Eingangswiderstand Eingangswiderstand hauptsächlich am Empfängereingang abfallen. Diese induzierte Spannung erscheint erschein direkt im Signal, egal ob eine Single-Ended Ended oder eine differentielle Übertragung gewählt wurde ( γ E + – Abbildung 15, Abbildung 16). 16 + B – Abbildung 20. Auswirkungen uswirkungen der Störungen durch ein Fremdmagnetfeld bei differentieller Signalübertragung. B Abbildung 21. Auswirkungen der Störungen durch ein Fremdmagnetfeld bei Single-Ended Ended Signalübertragung. © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 16 «Twisted-Pair» Pair» Kabel Um ein Fremdmagnetfeld von Kabeln fern zu halten, könnte ein Schlauch aus flexiblem Mu-Metall (Geflecht) eingesetzt werden. Solche Abschirm-Schläuche Abschirm Schläuche sind erhältlich aber teuer. Viel günstiger iger ist es, ein zweiadriges Kabel einfach zu verdrillen.. Durch die Verdrillung wird wechselweise eine Spannung mit umgekehrtem Vorzeichen induziert, welche sich gegenseitig kompensieren. Es gibt auch sogenannte «twist-and-flat»-Kabel, welche an den Enden Flachbandkabel aufweisen, so dass mehrpolige Stecker einfach angeschlossen werden können. Abbildung 22.. «twist and flat» Kabel (Quelle: Farnell AG). Hinweise zum Verdrillen • Alle Kabel, auch Speisungskabel, sollten nach Möglichkeit verdrillt werden. • bei Leistungskabel vermindert man so deren Feldwirkung • auch bei DC-Speisungskabeln Speisungskabeln: wesentlich ist der Stromfluss,, dieser kann kräftig variieren • Ein Twisted-Pair Kabel macht auch bei Single-Ended Verbindung Sinn Verdrahtungsschema Flachbandkabel Ist es nicht möglich, ein Twisted-Pair Twisted Pair Kabel einzusetzen, soll die aufgespannte Schlaufenfläche möglichst durch führen von zusätzlichen Masseleitungen minimiert werden. • Beste Anordnung Variante A • Zweitbeste Anordnung Variante B. Falls alle Massen Massen GND1...n zusammengeschaltet sind, praktisch so gut wie Variante A. • Variante C ist tolerierbar • im äussersten Minimum 1 Masseleitung auf 10 Signalleitungen, die Masseleitung in der Mitte anordnen Abbildung 23. Masse-Leitungen Leitungen beim Flachbandkabel. © 26.08.11, M. Nussberger EMV-gerechtes Design 17 Ground Loops durch Kabelverbindungen Bei Kabelverbindungen treten schnell Ground Loops auf, es genügt ein Signal mit Signalrückleitung und eine Versorgungsspannung mit deren Rückleitung. Nur eine Masserückleitung zu führen ist oft keine Lösung: der Versorgungsstrom führt zu Rauschen auf der Masse, welches direkt im Signal sichtbar wird. Die Masseadern könnten verdrillt werden, dann ist aber keine Verdrillung mehr möglich mit dem Datensignal oder mit der Speisungszuleitung. In der Regel möchte man lieber die Speisungskabel verdrillen, da die relativ starken, oft schwankenden Versorgungsströme Störmagnetfelder bewirken. Ground Loops können oft nur durch differentielle Signale oder galvanische Trennung (Lichtleiter) unterbunden werden. Abbildung 24. Ground Loops durch Kabelverbindungen. ╝ Sachverzeichnis Anstelle eines Sachverzeichnisses ist in diesem Kapitel ein Inhaltsverzeichnis vorhanden. Literaturverzeichnis 1. Williams, Tim. Circuit Designer's Companion. s.l. : Newnes, 2005. 2. Human Body Model (HBM) vs. IEC IEC61000-4-2. s.l. : California Micro Devices, 2008. (California Micro Devices gehört jetzt On Semiconductor, Artikel kann vom Autor bezogen werden). 3. James Bryant, Walt Kester, Chuck Kitchin, Eamon Nash (Analog Devices). Protecting Instrumentation Amplifiers. SENSORS. 2000. 4. SMAJ Transient Voltage Suppressor Diode Series (Datasheet). s.l. : Bourns, 2010. 5. Datenblatt MMBZxAL Series. s.l. : NXP (Philips), 2009. © 26.08.11, M. Nussberger