1. Geschichte der Philosophie des Geistes

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Bewusstsein und Philosophie/Psychologie des Geistes
1. Geschichte der Philosophie des Geistes
Drei Ausgangspunkte in der Philosophie des Geistes:
i. Bewusstsein als eine Substanz (Ich, Seele) ist Subjekt bestimmter Eigenschaften und Zustände.
ii. Bewusstsein als die Verfügung über kognitive Fähigkeiten.
iii. Subjektivität als unmittelbarer, privilegierter Zugang.
Beispiel René Descartes (1596-1650):
Ausgangspunkt Zweifel. Nicht in Zweifel gestellt wird jedoch, dass Ich es bin, der denkt. Descartes schließt so von iii auf i (“[Ego] cogito [ergo] sum”). - Bewusstsein fungiert hier als
Oberbegriff. - Aufmerksamkeit und Erleben sowie reflexives Wissen sind Formen dieses
Bewusstseins. - Selbst-Bewusstsein gilt als Versuch, einen absolut sicheren Boden für das
Wissen aus dem Selbstbewusstsein zu gewinnen (Gewissheitsprivileg).
Beispiel Gottfried W. Leibniz (1646-1716):
Er bestimmt, terminologisch bezogen auf seine Monadenlehre, zwei Aspekte des Bewusstseins:
Perzeption und Apperzeption. Perzeption ist der innere Zustand einer Monade, durch den
äußere Dinge repräsentiert werden; Apperzeption stellt die reflexive Erkenntnis dieses
Zustandes dar.
Beispiel Christian Wolff (1659-1754):
Das deutsche Wort “Bewusstsein” wird als das Vorstellen von Gegenständen erläutert
Beispiel Immanuel Kant (1724-1804):
Bewusstsein ist Einheit stiftende Instanz für jede Erfahrung. K. unterscheidet das empirische
vom transzendentalen Bewusstsein. Dabei hat das empirische Bewusstsein notwendigerweise
einen Bezug auf das transzendentale Bewusstsein (- auf das “reine” Selbst-Bewusstsein). Alle
Gegenstandskonstitutionen gründen in der Einheit dieser Arten von Bewusstsein, die sich dem
obersten Prinzip (Synthesis), verdankt - und nicht dem Objekt entstammt. Es gibt also ein a
priori aller empirischen oder kategorialen Vorstellungen. - Selbst-Bewusstsein kann als
Einheitspunkt der synthetisierenden Leistungen des Bewusstseins gesehen werden.
Beispiel Johann G. Fichte (1762-1814):
Im Selbst-Bewusstsein ist das Bewusstsein der eigenen Autonomie verankert; Ich ist handelnd
und zugleich Produkt der Handlung.
Beispiel Georg F.W. Hegel (1770-1831):
Aus Subjektivität kann Wirklichkeit und ihre Einheit prozessual erklärt werden. Bewusstsein ist
Bewusstsein seiner selbst. - Selbst-Bewusstsein bedeutet fundamentale Bildung der gesamten
Wirklichkeit.
Beispiel Edmund Husserl (1859-1938):
Er bestimmt Bewusstsein als Grundlage aller Sinnkonstitution von Wirklichkeit. Bewusstsein
und Welt korrelieren. Das raum-zeitliche Sein der Wirklichkeit gibt es nur insofern, als es ein
erfahrendes, wahrnehmendes, denkendes, sich erinnerndes Bewusstsein gibt. - Bewusstsein ist
immer Bewusstsein von etwas. Daher ist Welt als in Bedeutungsdimensionen Existierendes nur
durch die intentionale Struktur des Bewusstseins möglich; und das Verstehen (Cogitatio) lässt
sich nach Vollzug (Noesis) und gemeintem Inhalt (Noema) gliedern. - Kurz: Erkennende
Subjektivität ist Urstätte aller objektiven Sinnbildung und Seinsgeltung.
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Fazit: Es gibt drei Bereiche zur Charakterisierung bewusster Zustände; das Erlebnis (Phänomen), die
Zielsetzung (Intentionalität), und die Wahrnehmung (Repräsentation).
Anmerkung: W. ist freilich auf Erlebnis oder Zielsetzung reduzierbar.
2. Philosophie des Geistes heute
2.1 Unterscheidung: Phänomenales Bewusstsein vs. Access-Bewusstsein.
Ersteres bezieht sich auf den intrinsisch subjektiven Charakter (Qualia), letzteres auf den
subjektiven Zugang zum repräsentationalen Gehalt dieser Zustände.
Access-Bewusstsein
Variante 1 - das Subjekt kann über seinen intentionalen Zustand informieren
Variante 2 - der repräsentationale Gehalt ist dem Denken zugänglich
Variante 3 - der repräsentationale Gehalt steht in rational erfassbaren Zusammenhängen
(z. B. intelligentes System) ..... das Subjekt muss sich ja über den Zusammenhang zwischen
seiner Wahrnehmung und seinem Verhalten nicht klar sein.
2.2 Streitfragen (Normen beziehungsweise normative Aspekte!)
Ž Ist Access-Bewusstsein vom phänomenalen Bewusstsein abhängig oder nicht?
Ž Können intentionale mit physikalischen Zuständen identisch sein oder nicht?
Ž Ist Bewusstsein ist durch ein physikalisches Weltbild erfassbar oder nicht?
Ž Schwierigkeit der Unterscheidung von Bewusstsein und Selbstbewusstsein
g Sie sind keine homogenen Bereiche. Je nach Klasssifikation, Kriterium und
Definition gelten Teile des Bewusstseins per se als Selbstbewusstsein. Die Frage ist, ob
Bewusstsein ohne Selbstbewusstsein überhaupt möglich ist oder ob Selbstbewusstsein
ein Sonderfall intentionaler Zustände ist.
g Die Erkenntnistheorie der Neuzeit ist maßgeblich von Descartes' Grundidee
beeinflusst.- Ist Selbst-Bewusstsein nun ein ursprüngliches Phänomen und fundamentale
Bedingung allen Bewusstseins oder lediglich ein Sonderfall intentionaler Zustände ohne
besondere begründungstheoretische Funktion.
g Anmerkung: Piaget hat in der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes gefunden, dass
das Selbst-Bewusstsein Ergebnis einer Differenzierung von frühkindlicher ungetrennter
Subjekt-Objekt-Einheit (?) in Ich und Welt ist: durch den Umgang mit Realität (Erfolg,
Misserfolg, Schmerz, ...).
Fazit: Sowohl die wissenschaftliche (wie die Alltags-Redeweise) über das Bewusstsein ist zu vage. Der
Terminus “bewusst” z.B. deckt im alltäglichen Sprachgebrauch eine Vielzahl von Phänomenen ab. Er
schließt jedoch begrifflich die Existenz un-/unter-/nicht-bewusster (?) Zustände aus: Gibt es hier
“Übergänge”?
3. Psychologie des Geistes
3.1 Neuropsychologie und “Bewusst” (Erlebendes Ich), “Unbewusst” (Er?-lebendes Es)
Ž Bewusstsein und Ich-Bewusstsein sind durch das Unbewusste determiniert. Letzteres entsteht
ontogenetisch lange vor dem Bewusstsein und legt die Grundstruktur des Psychischen fest. Das
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“bewusste Ich” hat keine oder nur wenig Einsicht in diese Determinanten.
Ž Bewusstseinszustände können im Hintergrund des Erlebens (Hintergrundbewusstsein) oder
als gegenwärtiges Erleben (Aktualbewusstsein) auftreten.
Ž (Bewusst) Erlebte Zustände beziehen sich - neurobiologisch gesehen - auf
g Sinneswahrnehmungen von Umwelt und Körper;
g mentale Zustände und Abläufe (Denken, Vorstellen, Erinnern);
g die eigene Identität;
g den Besitz des eigenen Körpers;
g Verursachung und Kontrolle mentaler Vorgänge und Motorik;
g die Unterscheidung zwischen Realität und Vorstellungen.
Ž (Un?bewusst) vorhandene Zustände/Abläufe beziehen sich - neurobiologisch gesehen - auf
g vorbewusste Wahrnehmungsvorgänge, die nach hinreichender Aktivierung der
assoziativen Großhirnrinde bewusst werden;
g subliminale Wahrnehmungen;
g Vorgänge außerhalb der assoziativen Großhirnrinde;
g Gedächtnisinhalte, die einmal bewusst waren und unter Umständen wieder bewusst
werden können;
g kognitive und emotionale Vorgänge im Gehirn vor Ausreifung des assoziativen
Kortex.
3.2 Neuropsychologie und Ich-Bewusstsein
Unabhängig von der Behandlung solcher Begriffe wie “Ich”, “Geist”, “Bewusstsein” durch die
Geisteswissenschaften wird das Ich durch die Neurowissenschaften modular aufgefasst: als
g Körper-Ich (mein Körper);
g Verortungs-Ich (ich befinde mich gerade hier);
g Ich als Zentrum von Verhalten und Erleben (perspektivisches Ich);
g Ich als Subjekt von kognitiven und emotionalen Vorgängen und Zuständen (ich
nehme wahr, fühle, .....);
g Handlungs-Ich (ich tue gerade dies und das);
g Authorschafts-Ich (ich verursache und kontrolliere);
g autobiografisches Ich (ich bin die Person, die ich gestern war);
g sprachliches Ich (reden über mich selber überdauernd);
g (Selbst)reflexives Ich (ich denke über mich);
g ethisches Ich (Gewissen).
Literatur
Block, N. (2004). Consciousness, Philosophical Issues about. In: Encyclopedia of Cognitive
Science. URL(Zugriff 16.10.2006) =
http://www.nyu.edu/gsas/dept/philo/faculty/block/papers/ecs.pdf
Frank, M. (1991). Fragmente einer Geschichte der Selbstbewusstseins-Theorie von Kant bis
Sartre. In M. Frank, Selbstbewusstseinstheorien von Kant bis Sartre. Frankfurt a.M.:
Suhrkamp
Prechtl, P. & Burkhard, F.-P. (Hrsg.)(1999). Metzler Philosophie Lexikon (2. erweit. & aktual.
Aufl.). Stuttgart: Metzler.
Roth, G. (2003). Wie das Gehirn die Seele macht. In G. Schiepek (Hrsg.), Neurobiologie der
Psychotherapie (S. 28 - 41). Stuttgart: Schattauer.
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