Schein oder Bewusstsein Der wissenbloggt-Artikel Schein oder Sein (13.5.) basiert auf dem Interview der Süddeutschen Zeitung mit Galen Strawson. Dessen Ansicht über Bewusstsein und Pan-Psychismus wurde heftig diskutiert (Bild: geralt, pixabay). Die Diskussion ist nun auch bei wb angekommen. Mit freundlicher Genehmigung bringen wir eine Notiz von Dr. Günter Dedié zum Interview in der SZ (15.5.), der die Auseinandersetzung mit Galen Strawson als "Steilvorlage" für eine emergente Sicht der Funktion des Gehirns sieht – und als guten Anlass, auf die enge Beziehung zwischen Materie und Geist hinzuweisen. Aus Dediés Sicht sind die beiden Kernaussagen im Interview (Auszüge aus dem Text ins Konditional gesetzt und in kursiv): 1. Das Bewusstsein sei nicht existiert. Das findet Strawson albern (aus Dediés Sicht zu Recht). Der Interviewer fragt, warum er diese Annahme so albern finde? Strawson darauf: Das sei ganz einfach. Wir Menschen fühlen Schmerzen, wir sehen Farben, wir hören Musik. Er findet es sehr rätselhaft, wie man dann behaupten kann, all das sei nicht wirklich. Es sei eine ganz andere Frage, wie das genau funktioniert, aber das Bewusstsein selbst sei schlicht ein Faktum. 2. Wie kommt das Bewusstsein zustande? Der Interviewer fragt Strawson dazu, er bringe in seinen Schriften Argumente für einen "Pan-Psychismus". Was das sei? Alles sei beseelt? Die Antwort: Das klinge vielleicht ein bisschen verrückt, aber die philosophische Argumentation geht nach Strwason so: Erstens wissen wir, dass wir Bewusstsein haben (hier steigen andere schon aus), zweitens glauben wir, dass wir komplett physisch, also materiell zusammengesetzt sind (hier steigen die Idealisten aus), drittens könne unser Bewusstsein unmöglich nur durch das Arrangement von körperlichen Elementen entstanden sein (hier steigen die Naturalisten aus und wb auch). Wenn man diese Prämissen akzeptiere und Wunder ausschließe, dann muss Bewusstsein ("etwas Psychisches") in den physischen Elementen selbst stecken; deshalb: "Pan-Psychismus" (hier steigt die SZ aus). Der dritte Punkt ist für Philosophen natürlich schwer zu bejahen, weil sie die unbelebte Welt schon immer scharf getrennt von ihrer geistigen Welt sehen (wollen). Aus Sicht der Naturwissenschaften möchte Dedié dazu folgendes sagen: Das Bewusstsein besteht aus sehr komplexen Prozessen, die nur in einer entsprechend leistungsfähigen Umgebung möglich sind. Einzelne physische Elemente wie einzelne Atome oder einzelne Zellen sind dazu sicher nicht in der Lage Man kann ein Bewusstsein, sogar das Bewusstsein seiner selbst, nicht nur beim Menschen (ab einem Alter von etwa 2 Jahren), sondern auch bei einigen höheren Lebewesen wie Schimpansen, Delfinen und Elefanten experimentell nachweisen Im Gehirn des Menschen entsteht das Bewusstsein (wie auch alle anderen geistigen Fähigkeiten) aus dem emergenten Zusammenwirken der 10 – 100 Mrd. Nervenzellen. Entsprechendes gilt für höhere Lebewesen. Das Bewusstsein ist im Gehirn nicht lokalisiert, sondern eine kollektive Fähigkeit, zu der allerdings unterschiedliche funktionelle Bereiche des Gehirns unterschiedlich beitragen. Referenzen: 1. Günter Dedié: Die Kraft der Naturgesetze, tredition 2014 2. Dick Swaab: Wir sind unser Gehirn, Droemer 2011 (hier ein Auszug aus S. 221, Abschnitt Wie könnte das Bewusstsein funktionieren? ): Alle neueren Forschungen deuten darauf hin, dass das Zusammenwirken einer immensen Menge von Neuronen im Austausch mit mehreren Hirnregionen die Grundlage unseres Bewusstseins bilden. Andere Theorien wie das "Psychon" seien demnach eine völlig überflüssige Konzeption. Bewusstsein kann als neue emergente Eigenschaft verstanden werden, die aus dem Zusammenwirken mehrerer spezifischer Hirregionen innerhalb des riesigen Netzzwerks von Nervenzellen in unserem Kopf hervorgeht. Unterschiedliche Nervenzellen und unterschiedliche Hirnregionen haben demnach jeweils spezielle Funktionen, und da sie auch funktionelle Verbindungen eingingen, bilden sie zusammen eine neue "emergente" Funktion. Als Beispiele unter den vielen emergenten Eigenschaften werden genannt: Die Vereinigung von Wasser von Wasserstoff und Sauerstoff, die als Wasser völlig andere Eigenschaften zeigen. Auf die Neurobiologie angewandt, stellt sich die Frage, was genau zur Entstehung der neuen Eigenschaft Bewusstsein erforderlich sei. Dieses Thema beschäftige viele Hirnforscher … Anmerkung wb: Beim Menschen ist das Bewusstsein der Focus auf die wichtigsten Aktivitäten (Gefühle, Entscheidungen, Handlungen). Es ist quasi die höchste Ebene innerhalb der Prioritätsverwaltung mit Durchgriff auf Hormone und Muskulatur. Man kann das Bewusstsein als Verwaltung der internen Regierungsdaten anschauen. Bei Robotern wird es so eine Instanz gewiss auch mal geben, sobald man ihnen die entsprechenden Grundlagen spendiert. Viele Autoren sehen das auch so, viele andere haben die gleichen Probleme mit dualistischen Sichtweisen wie Strawson. Sie können sich nicht damit abfinden, dass Vorgänge auf rein materieller Basis emergent Qualitäten wie das Bewusstsein, das Ich, den Willen entwickeln. Bei den Religiösen mag es angehen, dass sie für ihr Verständnis eine "Beseelung" der Materie brauchen. Dass Naturwissenschaftler den göttlichen Odem ebenfalls vermissen, zeugt von Inkonsequenz. Der "Pan-Psychismus" ist schließlich nur eine Scheinerklärung. Das Problem wird ja nur auf eine andere Ebene verschoben, und dort ist dann immer noch zu erklären, wo das behauptete Phänomen herkommt und wie es funktioniert. Kein Wunder, wenn das Thema so heftige Reaktionen hervorrief, wie in dem 1. Link geschildert. Links zu Schein oder Bewusstsein: Schein oder Sein In der KI-Falle Roboter mit Gefühlen? Das Ende der Maloche Generation Gerätestreichler Maschinenzeitalter? Entscheidungsverarbeitung Quanteneffekte und Freier Wille oder Zweites